Der Ursprung des Wagens


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

15 Seiten


Leseprobe


Gliederung

Zusammenfassungen

Einleitung

Fundchronologie
Mesopotamien
Mitteleuropa
„Ukrainische“ Tripol`e-Kultur, „südrussische“ Majkop-Kultur und „ungarische“ Badener Kultur

Innovationsfaktoren und Wagennutzung
Mesopotamische Innovationshemmnisse
Südamerika und China
Mitteleuropäische Innovationsfaktoren
Mitteleuropäische Wagennutzung

Diffusion der Wagenerfindung von Mitteleuropa

Fazit

Literatur

Zusammenfassungen

Der früheste Erfindungsort des Wagens liegt nach derzeitiger Fundchronologie im Gebiet der

mitteleuropäischen Trichterbecherkultur. Entgegen weit verbreiteter Meinung belegen die „Schlitten-Piktogramme“ aus Uruk keine Wagen, so dass die frühesten mitteleuropäischen Nachweise des Wagens sogar vier bis fünf Jahrhunderte älter als die frühesten mesopotamischen sind. Die Wagennachweise aus der Trichterbecherkultur sind weltweit am ältesten.

Nicht nur die derzeitige Fundchronologie, sondern vor allem die seinerzeitigen naturräumlichen und sozioökonomischen Bedingungen in Mesopotamien einerseits und Mitteleuropa andererseits sowie Innovations- bzw. Erfindungsfaktoren hinsichtlich des Wagens, sprechen für seinen mitteleuropäischen Ursprung. In Mitteleuropa bestanden hinreichende Innovationsvoraussetzungen und hoher Transportbedarf. Die mesopotamischen Innovationshemmnisse hinsichtlich des Wagens (insbesondere Sklaven, Kanäle und Esel) fehlten in Mitteleuropa; und die Nichterfindungen des Wagens in den komplexen Andenkulturen und in China zeigen, dass eine „Hochkultur“ bzw. Verstädterung für eine Wagenerfindung nicht maßgeblich war.

Mitteleuropa bzw. die Trichterbecherkultur war, zumindest nach derzeitiger Fund- und Sachlage, nicht nur der früheste, sondern wohl auch der einzige Erfindungsort des Wagens. Von dort drang die Erfindung, die Wagenidee, nicht nur über die Wartbergkultur zur Horgener Kultur, sondern auch nach Osteuropa und, wohl über „südrussische“ Steppen und den Kaukasus, nach Mesopotamien. Die Diffusion der Wagenidee ist wesentlich wahrscheinlicher als eine polyzentrische Erfindung.

Einleitung

Der Wagen ist eine herausragende technische Neuerung in der Urgeschichte. Sein Ursprung wird inzwischen kontrovers diskutiert.

Lange galt der Wagen einhellig als mesopotamische Erfindung, die sich von dort nach Mitteleuropa verbreitet habe (CHILDE 1951, 177 ff.; PIGOTT 1979, 3 ff.). Diese These wird noch häufig vertreten. Insbesondere SHERRATT (2004, 423) führt den Wagen weiterhin auf mesopotamische Entwicklungen zurück, da frühen Stadtkulturen aufgrund Kapitalkonzentration und entwickeltem Wirtschaftssystem ein großes Innovationspotential innewohne.

Eine jüngere Theorie (HÄUSLER 1996, 83; VOSTEEN 2002, 144) nimmt an, der Wagen sei polyzentrisch, unabhängig voneinander, sowohl in Mesopotamien als auch in Mitteleuropa entstanden. Sie stützt sich dabei auf mitteleuropäische Funde bzw. Wagenbelege der letzten Jahrzehnte, die zeigen, dass der Wagen deutlich früher als zuvor angenommen in Mitteleuropa war. In Mitteleuropa sieht VOSTEEN (ebd., 145, 147) gleich zwei eigenständige Erfindungszentren des Wagens: nach der Trichterbecherkultur habe die späte Horgener Kultur den Wagen im Nordalpengebiet erneut erfunden.

Eine dritte Theorie besagt, der Wagen sei eine Erfindung aus dem „Gebiet des schwarzen Meeres“ (DIAMOND 1999, 309) bzw. aus dem nordwestlichen Schwarzmeergebiet (heutige Ukraine). Von dort sie die Erfindung nach Südost- und Mitteleuropa und, über den Kaukasus, auch nach Mesopotamien diffundiert (MARAN 2004b, 439).

Fundchronologie

Gegen diese drei „etablierten Ursprungstheorien“ spricht zunächst die derzeitige Fundchronologie.

Mesopotamien

Die bisherigen Theorien gehen nahezu einmütig davon aus, dass der Wagen in Mitteleuropa nur ungefähr zeitgleich mit Mesopotamien (VOSTEEN 2002, 144; MARAN 20004b, 429) bzw. nur ein Jahrhundert früher als in Mesopotamien (SHERRATT 2004, 419) aufgetaucht sei. Dies resultiert allerdings bloß aus einer Fehlinterpretation der „Schlitten-Piktogramme“ (Abb. 1) aus Uruk. Diese bildhaften Schriftzeichen, die aus der Zeit um 3300 v. u. Z. sind (VOSTEEN 2003, 54), gelten zwar weithin unkritisch als älteste Belege für mesopotamische Wagen (z. B. VOSTEEN 2002, 144; MARAN ebd.). Ihre nähere Betrachtung unter Einbezug der zeitgleichen mesopotamischen Bildkunst zeigt aber, dass sie keine Wagen, sondern nur Schlitten nachweisen. Die drei Fahrzeug-Konstruktionen, mit je zwei ausgefüllten Kreisen darunter, sind lediglich als auf Rollhölzer bzw. Walzen gelegte Schlitten zu interpretieren, zumal über den vorgenannten drei Konstruktionen ebenfalls Schlitten abgebildet sind. Auf Walzen gelegte Schlitten sind auch in der zeitgleichen mesopotamischen Bildkunst nicht selten; Wagenabbildungen fehlen hingegen völlig (z.B. FANSA 2004, 12). Wagen treten erst mit Beginn des dritten Jahrtausends v. u. Z. in mesopotamischer Bildkunst und Schrift auf. Diese ältesten mesopotamischen Wagenhinweise sind dann gleich häufig und eindeutig: ein zusätzliches Indiz, dass erst mit Beginn des dritten Jahrtausends mesopotamische Wagen existierten (vgl. auch ebd.). Wäre der Wagen schon einige Jahrhunderte zuvor in Mesopotamien bekannt gewesen, wäre er dort wohl auch schon früher (deutlich und vom Schlitten unterscheidbar) abgebildet worden.

Die ältesten mesopotamischen Wagenbelege sind mithin entgegen ganz überwiegender Meinung (z.B. VOSTEEN ebd.; CROUWEL 2004, 69; MARAN ebd.; BAKKER 2004, 292) nicht fast aus der Mitte des vierten, sondern erst aus dem Beginn des dritten Jahrtausends v. u. Z.

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Abb. 1 Piktogramme aus Uruk, ohne Maßstab (nach VOSTEEN 2002, 143, Abb. 1).

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Abb. 2 Frühmesopotamischer Schlitten auf einer Steinplakette, ohne Maßstab (nach VOSTEEN 2002, 143, Abb. 2).

Mitteleuropa

In Mitteleuropa ist der Wagen bereits für die Mitte des vierten Jahrtausends v. u. Z. nachgewiesen. Fahrspuren eines Wagens aus Flintbek in Schleswig-Holstein belegen Wagen und Wagennutzung der Trichterbecherkultur schon für die Mitte des vierten Jahrtausends v. u. Z. (siehe VOSTEEN 1998, 111 f.; 2002, 144; BAKKER 2004, 287). Auf einem Gefäß der „polnischen“ Trichterbecherkultur aus der Zeit um 3400 v. u. Z. ist ein Vierradwagen abgebildet (vgl. VOSTEEN 2002, 144 nebst Abb. 4). Auf einem Grabkammerstein der Wartbergkultur in Züchen (Hessen), aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends, ist ein von Rindern gezogener zweirädriger Wagen eingeritzt (VOSTEEN 1998, 112).

Zudem liegen in Mitteleuropa zahlreiche Räder bzw. Radfragmente und einige Wagenteile aus dem Anfang und der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends v. u. Z. vor. Viele Radfunde, die eine Wagennutzung belegen, sind aus den norddeutschen Moorgebieten sowie dem süddeutschen Federseemoor und aus der Schweiz. Beispielsweise wurde in

Seekirch („Stockwiesen“) am Federseemoor in Oberschwaben ein Rad- bzw. Radfragment der späten Horgener Kultur aus der Zeit um 3000 v. u. Z. gefunden (z.B. SHERRATT 2004, 412). In Nordwestdeutschland wurden zeitgleiche Wagenachsen entdeckt (FANSA 2004, 10). Demgegenüber fehlen für Mesopotamien Rad- und Wagenteile aus der Zeit um 3000 - 2750 v. u. Z.

Innerhalb Mitteleuropas stammen die ältesten Wagennachweise aus der Trichterbecherkultur. Der einzige Nachweis aus der Wartbergkultur, die „Züschener Steinritzung“, folgt knapp dahinter und ist zeitlich noch recht deutlich vor den Horgener Belegen des Wagens.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Wagen, nach derzeitiger Fundchronologie, vier bis fünf Jahrhunderte früher in Mitteleuropa als in Mesopotamien war.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Gravierung auf einem Grabkammerstein aus Züschen, ohne Maßstab (nach VOSTEEN 2002, 147, Abb. 7).

„Ukrainische“ Tripol`e-Kultur, „südrussische“ Majkop-Kultur und „ungarische“ Badener Kultur

Die mitteleuropäischen Wagennachweise sind auch nicht jünger, sondern wohl ungefähr zwei Jahrhunderte älter als die ukrainischen und südrussischen Wagenbelege. Die von MARAN (2004b, 436) herangezogenen „Gefäßtierchen“ auf „Rädern“ (Abb. 5) der „ukrainischen“ Tripol`e-Kultur aus der ersten Hälfte des vierten Jahrtausends v. u. Z. sind keine Wagenbelege: die, obendrein zweifelhafte, Kenntnis des Prinzips des Rades bedeutet keineswegs schon eine Erfindung bzw. Kenntnis des Wagens. So war das Rad in Mittelamerika zwar lange vor der spanischen Invasion bekannt, es kam aber, wohl mangels Zugtieren, nur in Miniaturform (sog. „Rädertierchen“) als Spielzeug oder Musikinstrument aus Ton vor. Wagen waren vor der spanischen Eroberung in Mittelamerika nicht bekannt (z. B. ebd., 429; BURMEISTER 2004, 24). Zu einem stichhaltigen Beleg für den Wagen gehört „mehr als nur das Vorhandensein eventueller Räder“ (VOSTEEN 2002, 143). Am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass der Wagen ein mindestens zweirädriges und mindestens einachsiges Fahrzeug ist, das von menschlicher oder tierischer Muskelkraft bewegt wird.

Die ältesten Belege für Wagen der Majkop-Kultur in der „südrussischen“ Steppe sind Radfragmente aus einem Grab in der Nähe von Starokorsunskaja im Kubangebiet (TRIFONOV 2004, 168). Sie sind jedoch erst aus der Zeit um 3000 v. u. Z. (vgl. VOSTEEN 2003, 51). „Selbst“ nach TRIFONOV (ebd., 169 f.) sind diese Radfragmente keinesfalls älter als knapp 3500 v. u. Z, sondern „möglicherweise“ nur „der dritten Stufe (Barmut-Stufe) der Majkop-Kultur zuzuordnen“ (ebd.), die bloß etwa zwischen knapp 3200 und 2900 v. u. Z. datiert.

Die ältesten Wagenhinweise der „ungarischen“ Badener Kultur sind zwei aus Ton geformte Spielzeug- bzw. Miniaturwagen von Budakalasz und Sziggetszentmarton aus der Zeit um 3200 v.u. Z. (VOSTEE 145, 146). Damit sind auch sie jünger als die mitteleuropäischen Wagenbelege aus der Trichterbecherkultur.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der Ursprung des Wagens
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V114460
ISBN (eBook)
9783640145348
ISBN (Buch)
9783640146383
Dateigröße
630 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Archäologie, Technikgeschichte, Erfindungen, Diffusionismus, Rad und Wagen, Verkehr, Westeuropa
Arbeit zitieren
Dr. Gerald Görmer (Autor:in), 2008, Der Ursprung des Wagens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114460

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