Quentin Tarantino als Produkt und Produzent in der postmodernen Popkultur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

36 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Postmoderne und der Film
2.1. Erluterung des Begriffes Postmoderne und dessen Bedeutung
2.1.1. Der Postmoderne-Begriff nach David Bordwell
2.1.2. Der Postmoderne-Begriff nach Mike Sandbothe und Jean-Francois Lyotard
2.2. Quentin Tarantino als postmoderner Filmemacher
2.2.1. Tarantino als Teil und Produkt der amerikanischen Populrkultur
2.2.2. Tarantinos Trademarks

3. Quentin Tarantinos True Romance
3.1. Plotstruktur und Aufbau von True Romance
3.2. True Romance und seine Einflsse
3.3. Charakterkonstitution in True Romance

4. Schlusswort

5. Anhang

6. Quellen

I love fucking with an audience. I love taking them on a ride!

-Quentin Tarantino

1. Einleitung

Im Jahr 2002 ist es zehn Jahre her, dass Quentin Tarantino mit seinem Debt Reservoir Dogs 1 zuerst Festivalbesucher in den USA und dann das Kinopublikum auf der ganzen Welt zu begeistern wusste. Sowohl bei Kritikern als auch bei Zuschauern rief Tarantino

mit seinem Gangsterfilm Lobpreisungen und positive Reaktionen hervor. Kontrovers diskutiert wurde aber der Einsatz stilisierter Gewalt, die manche Kritiker in keiner Weise nachzuvollziehen in der Lage waren. Nach seinem in Cannes mit der goldenen Palme ausgezeichneten 1994er Nachfolger Pulp Fiction 2 , der ihn endgltig in aller Munde und auf die Bhne des Shrine Auditoriums in Los Angeles brachte, folgte bis jetzt nur Jackie Brown 3 (1997). Nichtsdestotrotz ist Tarantino zu so etwas wie einer jungen, amerikanischen Legende geworden: vom kleinen Angestellten in einer Videothek zum Oscarpreistrger. In der Mitte der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war er in der Lage, einen eigenen Stil in Hollywood zu etablieren und damit unzhlige Nachahmer auf der ganzen Welt auf den Plan zu rufen. Er zeigte aber auch zahlreichen

Nachwuchsregisseuren, dass es durchaus mglich ist, auch ohne einen groen Namen zu haben, einen Film auf die Beinen zu stellen.

Doch was ist das besondere an Quentin Tarantino? Was zeichnet ihn aus und was unterscheidet ihn von anderen Regisseuren seiner Generation? War es so, dass die bersttigte Hollywoodindustrie am Anfang der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts geradezu nach jemandem wie Tarantino gierte und etwas Neues brauchte, auf das sie sich strzen konnte? Und ist das, was Tarantino in seinen Filmen zelebriert, berhaupt so neu, oder haben es die Zuschauer hier nicht vielmehr mit einem Filmliebhaber und Kenner der Popkultur des zwanzigsten Jahrhunderts erster Gte zu tun, der es geschafft hat, sich selbst hinter (und auch vor) eine Filmkamera zu bringen und von dort aus seine Art der Rezeption, hauptschlich von Filmen und Musik, in die Kinosle auf der ganzen Welt zu spiegeln?

Ganz so einfach ist es hchstwahrscheinlich nicht. Denn im Unterschied zu vielen seiner Nachahmer, die oftmals ber das flache und unvollstndige Kopieren des

Tarantinoschen Stils nicht hinweggekommen sind, ist es Quentin Tarantino schon in seinem ersten Film gelungen, eine eigene Form der Erzhlweise zu entwickeln.

In wie weit sich Tarantinos Art der Drehbuchentwicklung und der Umsetzung

seiner Stoffe, trotz des unabsprechbar hohen Grades an Referenzen auf schon existierende Filme, als etwas Neues und Eigenstndiges bezeichnen lsst, in wie weit man hier von einer postmodernen Erzhlweise sprechen kann und ob es sich hierbei um eine Form des Sampling handelt, oder ob ein anderer, neuer Begriff fr eine solche Art des Geschichtenerzhlens etabliert werden sollte, soll u.a. Thema dieser Arbeit sein.

Im einzelnen gibt es mehrere Punkte, die bei der Klrung der oben formulierten Fragestellungen hilfreich sein knnen. Diese lassen sich in zwei Komplexe unterteilen:

1. Um eine Charakterisierung von Tarantinos Erzhlstil zu ermglichen, bietet es sich an, seine Filme und Drehbcher zu vergleichen. Im Vordergrund sollen hierbei nicht unbedingt die Filme stehen, in denen er selber in der Funktion des Regisseurs ttig war. Diese sollen im Laufe der Arbeit immer wieder zur Veranschaulichung dienen. Gesondert soll aber ein Film behandelt werden, zu dem er nur das Drehbuch lieferte: True Romance 4 . Dies mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, denn True Romance scheint zu erst einmal nur ein typischer Hollywoodstreifen der frhen neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts zu sein: scheinbar ohne besonderen Tiefgang und filmstethischen Wert. Diesem Urteil soll sich nicht komplett widersetzt werden, denn immerhin war Blockbusterregisseur Tony Scott mit der Regie beauftragt worden. Um so erstaunlicher ist bei wiederholtem Sehen das Ergebnis welches sich in Form von True Romance dem Zuschauer prsentiert: Ein Vergleich mit anderen Filmen Scotts und Tarantinos kann leicht zeigen, wessen Handschrift hier deutlicher zu erkennen ist, die des Drehbuchautors oder die des Regisseurs. Gerade aufgrund dieses Sachverhaltes eignet sich True Romance um so besser, den Stil Tarantinos darzustellen.
2. Vergleicht man die Filme True Romance, Reservoir Dogs, Pulp Fiction und Jackie Brown, so stellt sich die Frage, in wie weit sich Gemeinsamkeiten in Struktur, Erzhlweise und Charakterentwicklung als Ausprgungen der fr Tarantino typischen Stilmittel etc. ergeben. Wie setzt Tarantino Zitate und (eventuell) Samples ein, um seine Geschichten zu erzhlen, seine Charaktere zu konstituieren und warum whlt er gerade diese Form der Erzhlweise?

Tarantinos Filme als intellektuell zu bezeichnen ist vielleicht problematisch. Auf eine Weise sind sie es und auf eine andere Weise sind sie es nicht. Das soll heien: Ich wrde in Bezug auf den Inhalt der Filme nicht so weit gehen zu sagen, dass sich

Tarantino mit den groen Problemen der Welt auseinandersetzt. Das ist auch ganz offensichtlich nicht sein Ziel. Im Gegenteil: Alle seine Filme spielen viel mehr in einem eigenen Mikrokosmos. Die Geschichten sind in gewissem Sinne trivial (ohne diesen Begriff negativ verwenden zu wollen!), also kurzweilig, nachvollziehbar und unterhaltsam, fr ein groes Publikum geeignet. Ebenso sind sie aber raffiniert und liebevoll konstruiert, zeugen von dem enormen Wissen Tarantinos was Popkultur (in ihren verschiedensten Ausprgungen) betrifft und schaffen es trotzdem immer wieder, durch spontane Wendungen oder unvorhersehbare Gewaltausbrche zu schockieren. Ohne allzu groen Tiefgang zu haben (und haben zu wollen) sind seine Filme also trotzdem auch von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus relevant. Im Endeffekt schafft Tarantino mit seinen Filmen aus Popkultur neue Popkultur. Ist das noch postmodern, oder haben wir es hier mit einem neuen Bastard der kulturellen Evolution zu tun, der sich bisher einer Kategorisierung entzog?

Im Laufe der Arbeit wird auch auf das Thema Tarantino als Fan eingegangen werden. Soll heien: Was sagt Tarantinos Einsatz von Zitaten, etwaigen Samples und sogar Schauspielern ber ihn selber aus? (In seinem neuen Film Kill Bill findet sich auf der Besetzungsliste u.a. der Name Sonny Chiba. Sonny Chiba ist der von Clarence Worley (Christian Slater) in True Romance verehrte Kung-Fu-Film- Darsteller.) Warum greift er bei den Entwicklungen seiner Geschichten mit Vorliebe auf die B-Kultur des Amerikas der sechziger und siebziger Jahre zurck?

Bevor nun in die Themen Die Postmoderne und der Film und Quentin Tarantino als postmoderner Filmemacher eingestiegen werden kann muss noch ein Wort zu dem Begriff Sample verloren werden. Dieser Begriff hat letztendlich immer wieder die Diskussionen in unserem Seminar bestimmt und beeinflusst, weil wir uns praktisch stndig auf der Suche nach ihm befanden.

In dieser Arbeit wird der Begriff nur ein- oder zweimal fallen. Dies mag verwundern, hat aber unmittelbar mit meinen Untersuchungsergebnissen zu tun. Im Rahmen der Erluterungen am Ende dieser Arbeit wird noch einmal auf ihn eingegangen werden. Um Missverstndnisse zu vermeiden: Tarantino verwendet durchaus Samples in seinen Filmen, trotzdem sind sie meiner Meinung nach kein signifikanter Teil seiner Arbeit. Im Verlauf dieser Arbeit und der Untersuchungen der Arbeitsweise Tarantinos werden die Grnde fr diese Meinung offensichtlich werden. Eine genaue Definition des Begriffes Sample wird in dieser Arbeit fehlen. Im Fazit dieser Arbeit wird auf das Sample als definitorisches Mittel im Film eingegangen werden und es wird eine Begrndung fr meine Entscheidung geliefert.

2. Die Postmoderne und der Film

2.1. Erluterung des Begriffes Postmoderne und dessen Bedeutung

Die Postmoderne. Ein Begriff, der benutzt wird, um eine Einordnung und Kategorisierung vorzunehmen, der aber selber oftmals nur eine leere Hlle bleibt. Was verbirgt sich hinter einem Wort, das so viele Diskussionen ausgelst hat, selber fast nur schemenhaft erkennbar bleibt, dabei aber nichtsdestotrotz in den Feuilletons der Zeitungen und den Debatten um Kultur und Gesellschaft der Gegenwart und jngeren Vergangenheit fast omniprsent ist.

Eines ist sicher: Bis jetzt ist es niemandem gelungen, eine wirkliche Definition fr das zu formulieren, was sich hinter der Postmoderne verbirgt. Vielmehr gibt es mehrere differierende Anstze, von denen besonders zwei vielversprechend erscheinen. Im Verlauf dieses Kapitels sollen beide Anstze vorgestellt werden, wobei am Ende durchaus eine Entscheidung getroffen werden soll, welcher der beiden fr die Erarbeitung des Themas dieser Arbeit relevant sein wird.

Der Vorstellung der beiden Thesen soll ein kurzes Zitat vorangestellt werden, welches ganz knapp den Disput zusammenfasst:

Postmodernity [...] in effect, represents either a continuation of modernism or a radical

break with modernism. No-one is yet quite sure.5

Dieses Zitat erfasst trotz seiner Krze sehr gut, wovon die Debatte um die Postmoderne geprgt ist. Zum einen zeigt es die beiden Positionen. Die eine Seite geht davon aus, dass die Postmoderne aus der Moderne heraus entstand. Sie ist aber keine Folgeerscheinung der Moderne, sondern vielmehr Teil der Moderne, in ihr angelegt und wre ohne sie nicht denkbar. Die andere Seite sieht die Postmoderne zwar als einen Nachfolger der Modere, beansprucht aber, dass die Postmoderne einen klaren und radikalen Bruch mit der Moderne vollzieht. Strker noch: Dieser Bruch scheint die Existenzgrundlage fr die Postmoderne zu sein.

Der letzte Satz des Zitates, und deswegen wird er hier auch angefhrt, relativiert in gewisser Weise die anscheinend vorliegende Feindseligkeit beider Parteien und wirkt in seiner Formulierung fast beschwichtigend: Die Debatte ist zwar im Gang, aber weder die eine noch die andere Position konnte bis jetzt zu einer hinreichenden Beweisfhrung gelangen.

Nun also zu den beiden Positionen.

2.1.1. Der Postmoderne-Begriff nach David Bordwell

David Bordwell schreibt in einem Beitrag zum Thema Postmoderne und Filmkritik: Die Postmoderne, weltbekannt als akademisches quivalent von Andy Warhols fnfzehn Minuten, erscheint am Ende in ihrer zerbrechlichen Kurzlebigkeit selbst als das

paradigmatische postmoderne Phnomen. 6

Sehr eindeutig bezieht Bordwell hier Position. Er geht davon aus, dass die Postmoderne die Nachfolge der Moderne antreten wollte, sieht die Postmoderne also als eine eigene Kulturepoche an. Gleichzeitig versucht er aber zu begrnden, warum die Postmoderne in diesem Bestreben als gescheitert zu betrachten ist.

Seiner Meinung nach liegt das Scheitern in der Art und Weise verankert, wie versucht wurde, die Existenz der Postmoderne nachzuweisen. Den Vertretern der Theorie von der Post moderne als eigene Kulturepoche werden Nachlssigkeit in der Beweisfhrung vorgeworfen. Als signifikantes Beispiel fhrt Bordwell den Umgang mit Beweisen und Gegenbeweisen fr bzw. gegen die Existenz der Postmoderne an. Dies bedeutet, dass in bei der Argumentationsfhrung zum Nachweis der Existenz der Postmoderne zu erst ein Theoriegebude entworfen wird, aufgrund dessen Kriterien und Charakteristika spter dann nach Beweisen in Kultur und Gesellschaft gesucht wird. Werden diese Beweise gefunden, und das werden sie zwangslufig, reicht dies fr die Argumentation aus, d.h. es wird nicht darauf eingegangen, dass es eventuell auch Gegenbeweise geben knnte. Vor allem aber werden eben jene Beweise nicht in Relation gesetzt.

Um es in einer extremen Situation zu verdeutlichen: ein einziger Nachweis eines Kriteriums, welches der Theorie der Postmodernen als eigene Kulturepoche entspricht,

z.B. in Form eines Films, wrde fr den Beweis ihrer Existenz ausreichen. Im Bereich der Naturwissenschaften wrde dieser eine Beweis gengen, aber im Gebiet der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften bewegen sich die Wissenschaftler nicht im Bereich der exakten Wissenschaften. Die Vorgehensweise, sich zuerst ein Theoriegebude zu

entwerfen und dieses dann von oben nach unten 7, wie Bordwell es formuliert,

anzuwenden und nachzuweisen, beherbergt also die Mglichkeit, ein Kunstwerk, sei es nun ein Film, ein Roman oder ein Bauwerk, zu postmodernialisieren und dadurch etwas nachzuweisen, das unter Umstnden nicht existiert. Womit man sich wieder im Kreis dreht und zurck gelangt zur Frage nach der Existenz. Ist es nicht inzwischen so, dass, obwohl nicht eindeutig nachgewiesen oder formuliert ist, was eigentlich postmodern ist und was nicht, allein durch die nun schon knapp zwei Jahrzehnte andauernde Diskussion um den Begriff so etwas wie die Postmoderne entstanden ist? Sind nicht gerade die Selbstreflexion und der Bezug auf sich selbst zwei der hervorstechendsten Merkmale der Postmoderne?

Bordwell kommt nun aber zu dem Schluss, dass sich die Postmoderne als definitorischer Rahmen fr eine Tendenz in der Kunst und Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts nicht eignet und sich praktisch durch die Art und Weise, in der fr sie argumentiert wurde, selber wiederlegt hat. Er bietet in seinen Ausfhrungen allerdings keinen Gegenentwurf an, sondern beschrnkt sich lediglich auf das Verwerfen des postmodernen Theoriegebudes. Worin liegen denn nun aber die Ursachen fr die, nach Bordwell, ungengende Argumentation? In gewisser Weise lsst sich der Entwurf der Postmoderne bzw. der Bedarf nach einem Erklrungsgebude fr aktuelle Tendenzen in Kunst und Kultur mit deren Intellektualisierung zu einem sehr frhen Zeitpunkt erklren. Das bedeutet, dass fast im gleichen Augenblick, in dem sich eine neue Str mung, beispielsweise in der modernen Kunst, zu manifestieren scheint, Intellektuelle und Wissenschaftler zur Stelle sind, um eine Kategorisierung vorzunehmen. Es wird sofort der Bedarf einer Definition und Einordnung vorausgesetzt, die vllig unabhngig vom Knstler selber ist. Man muss hier also ganz deutlich zwischen Produzent und Konsument unterscheiden. An der Diskussion um die Kategorisierung und Einordnung haben die Knstler oftmals einen sehr geringen Anteil. Wie und wo sich das Produkt dann einordnen lassen muss, darauf hat der Knstler am Ende keinen Einfluss. Hier treten dann Kritiker, Wissenschaftler und zu letzt wahrscheinlich der Laie (sprich Ausstellungsbesucher nach Feierabend, Kinobesucher in der Freizeit etc.) auf den Plan. Dass sich dieser beschriebene Prozess aber durchaus auch wieder von den Knstlern umkehren lsst, ist ein Phnomen, welches sich durchaus als postmodern bezeichnen lsst und typisch fr die westliche Popkultur ist. Es kann nmlich der Fall eintreten, dass der Knstler nicht nur Teil des Kunstwerkes selber wird, sondern darber hinaus die Person an sich ein greres Interesse erweckt als sein Werk. Quentin Tarantino kann in dieser Hinsicht durchaus als Beispiel fungieren, wenn man sich den Rummel um seine Person zur Zeit der Verffentlichung von Pulp Fiction vergegenwrtigt.8

In wie weit unterscheidet sich aber in unser heutigen Zeit dieser Prozess der Einordnung und Kategorisierung von der Unterteilung und Klassifizierung, um die Kritik und Wissenschaft seit jeher bemht scheinen? Ein wichtiger Faktor scheint hier der Faktor Zeit selber zu sein. Im Gegensatz zu ihren Vorgngern, wie z.B. der Klassik und der Moderne, deren Grenzen ja auch nicht immer eindeutig festlegbar sind, hatte die Postmoderne, sofern man denn ihre Existenz voraussetzt, viel weniger Zeit, sich zu manifestieren. Wenn sie denn gescheitert bzw. bereits berholt ist, so dann doch durch die Tatsache, dass viel zu frh auf die Mglichkeit ihres Erscheinens hingewiesen wurde.

Dies prgte natrlich ihre Entwicklung, denn gerade im Zeitalter der Massenkommunikation ist es fast unmglich, sich den oftmals lautstarken uerungen der Kritik zu entziehen. So wurde die Postmoderne praktisch schon verwssert, wenn man es so drastisch formulieren will, bevor sie eine markante Ausprgung erreichen konnte. Diese daraus resultierende Schwammigkeit wurde dann zu ihrem Hauptmerkmal. Von einem Identifikationsmerkmal sollte man hier allerdings nicht sprechen, denn gerade die Schwierigkeit bei der Identifikation eines postmodernen Kulturphnomens scheint ja eben dieses auszumachen.

Bei diesen berlegungen ist immer im Auge zu behalten, dass wir im Augenblick davon ausgehen, dass die Postmoderne eine eigene Kulturepoche zu sein beansprucht. Vergleichen wir Bordwells Ausfhrungen mit dem zu Anfang genannten Zitat, so ist sofort erkennbar, dass Bordwell im Laufe seiner Argumentation noch einen Schritt weiter geht. Er geht zwar grundstzlich von der Postmoderne als einer eigenen Kulturepoche aus, um diesen Ansatz dann aber sofort wieder zu wiederlegen. Seine Argumentation ist dabei durchaus plausibel. In dem Augenblick, in dem er aber darauf verzichtet, einen Gegenvorschlag vorzubringen wird sein Standpunkt unproduktiv und hilft bei der Orientierung und der Suche nach einer weiterfhrenden Definition von Postmoderne nicht weiter.

2.1.2. Der Postmoderne-Begriff nach Mike Sandbothe und Jean-Francois Lyotard

Anstze, die in oben genannter Hinsicht weiter fhren als der von Bordwell, sind die von Mike Sandbothe und Jean-Francois Lyotard. Sandbothe bezieht sich in seinem Beitrag wiederholt auf Lyotard, bringt aber vor allem die Begriffe der diffusen und der reflektierten Postmoderne ins Spiel. Um zu erlutern, was unter diffuser Postmoderne zu verstehen ist, fhrt er vier Hauptmissverstndnisse betreffend die Postmoderne ein, deren Auftreten berhaupt erst zu dem Entstehen des Bildes der diffusen Postmoderne fhren konnte und die Entwicklung der Postmoderne stark beeinflusste.

Die vier Missverstndnisse nach Sandbothe:

1. Das Epochenmissverstndnis
2. Das Moderne-Missverstndnis
3. Das Anything goes - Missverstndnis
4. Das Kompensationsmissverstndnis

Es sollen jetzt nicht im einzelnen die Ausfhrungen Sandbothes zu jedem einzelnen Missverstndnis rekapituliert werden, sondern es wird eine Zusammenfassung und Erklrung der diffusen Postmoderne folgen.9

Im wesentlichen kommt Sandbothe zu dem Schluss, dass der Postmoderne ein Unrecht geschieht, wenn sie als ein diffuses Theoriegebude ohne praktischen Nutzen abgetan wird. Sandbothe vertritt die Meinung, dass die Postmoderne nicht als eine eigene Kulturepoche anzusehen ist, sondern vielmehr ein Teil der Moderne ist. Im Rahmen der postmodernen Erklrungsversuche ist es mglich, Aspekte des Lebens und der Kultur in Betracht zu ziehen, die im Rahmen der Moderne nicht einmal als kulturell einzuordnen wren. In diesem Sinne ist sie also auch kein Gegenentwurf und keine Nachfolgeepoche der Moderne. Ebenso weist Sandbothe zurck, die Postmoderne habe ein falsches Verstndnis von der Moderne. Er begrndet dies mit dem Gegenentwurf der reflektierten Postmoderne. Im Gegensatz zur diffusen Postmoderne ist die reflektierte nicht gezwungen, zeitlich gegenber der Moderne abgegrenzt zu werden, da sie ohnehin ein Teil der Moderne ist.10

Einen wichtigen Punkt nimmt der Vorwurf der Willkr ein. Alles knne im Rahmen

der Postmoderne verhandelt werden und knne postmodern sein, da die Postmoderne nach keinen Regeln funktioniere. Dem hlt Sandbothe entgegen: Die Postmoderne lsst sich als der Versuch verstehen, diese Forderungen nach einem tragkrftigen und wirklichkeitstauglichen Denken, das Differenzen achtet und nuancierte Akzente zu setzen versteht, auf breiter Front einzulsen.11

Von Sandbothes Argumenten ausgehend kommt der Franzose Jean-Francois

Lyotard ins Spiel. Anstatt des Begriffes postmodern schlgt Lyotard die Einfhrung der Formulierung die Moderne redigieren vor. Von entscheidender Bedeutung ist hier wieder der Faktor Zeit: Im Wort postmodern oder Postmoderne wird eine genaue Festlegung eines Zeitpunktes impliziert, von dem aus die Betrachtung stattfindet. Ein

pr- oder post- Prfix setzt immer eine Definition eines Jetzt voraus. Dies ist aber innerhalb einer schriftlichen Errterung unmglich, da das Jetzt stets subjektiv, flchtig und von krzester Dauer ist: Es ist unmglich [...] den Unterschied zwischen dem zu bestimmen, was stattgefunden hat [...], und dem, was kommt [...], ohne die Flut der

Ereignisse auf ein Jetzt [...] zu beziehen. Aber zugleich ist es nicht weniger unmglich, sich eines solchen Jetzt zu bemchtigen, weil es sich unaufhrlich verflchtigt [...].12

Lyotard schlgt deswegen vor, dass die Moderne die Postmoderne schon in sich impliziere, da die Moderne in sich einen Antrieb enthlt, sich selbst im Hinblick auf einen

[...]


1 Reservoir Dogs, USA 1992. Regie und Drehbuch: Quentin Tarantino. Mit: Harvey Keitel, Tim Roth, Michael Madsen, Chris Penn, Steve Buscemi.

2 Pulp Fiction, USA 1994. Regie: Quentin Tarantino. Drehbuch: Quentin Tarantino und Roger Avary. Mit: John Travolta, Samuel L. Jackson, Uma Thurman, Eric Stoltz.

3 Jackie Brown, USA 1997. Regie und Drehbuch: Quentin Tarantino. Mit: Pam Grier, Samuel L. Jackson, Robert Forster, Robert De Niro.

4 True Romance, USA 1993. Regie: Tony Scott. Drehbuch: Quentin Tarantino. Mit: Christian Slater, Patricia Arquette, Dennis Hopper, Christopher Walken, Val Kilmer, Brad Pitt u.a.

5 K.I.S.S. of the Panopticon. www.geneseo.edu/~bicket/panop/subject_M.htm , 13.9.2002.

6 Bordwell 1998, S. 29.

7 Ebd., S. 32.

8 Vgl. auch: Kapitel 2.2.1. Quentin Tarantino als postmoderner Filmemacher

9 Originalausfhrungen nach zu lesen in: Bordwell 1998, S. 41ff.

10 Vgl. auch: Abschnitt ber Jean-Francois Lyotard.

11 Bordwell 1998, S. 51.

12 Lyotard 1989, S. 52.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Quentin Tarantino als Produkt und Produzent in der postmodernen Popkultur
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Germanistik II)
Veranstaltung
Sampling (als Verfahren und Form der Wirklichkeitskonstitution
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
36
Katalognummer
V11551
ISBN (eBook)
9783638176811
Dateigröße
577 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Quentin, Tarantino, Produkt, Produzent, Popkultur, Sampling, Verfahren, Form, Wirklichkeitskonstitution
Arbeit zitieren
Arno Schumacher (Autor:in), 2002, Quentin Tarantino als Produkt und Produzent in der postmodernen Popkultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11551

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