Die Aktualität von Fingerspielen in der Elementarpädagogik und ihre Bedeutung für die Erweiterung der Sprachkompetenz junger Kinder


Bachelorarbeit, 2008

115 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der aktuelle Bildungsansatz
2.1. Die gegenwärtige Bildungsdiskussion
2.2. Neurobiologische Befunde
2.3. Die gegenwärtige Qualitätsdiskussion

3. Der Bildungsbereich Sprache(n)
3.1. Sprachkompetenz
3.2. Spracherwerb

4. Die Bedeutung der ganzheitlichen Sprachförderung
4.1. Merkmale der ganzheitlichen Sprachförderung
4.2. Die Sprachumwelt in Kindergärten
4.3. Textsorte „Kinderlyrik“

5. Der Einsatz von Fingerspielen in Kindergärten
5.1. Besonderheiten und Funktionen der Fingerspiele
5.2. Analyse der Fingerspiele nach sprachstrukturellen Aspekten
5.3. Auswertung: Beitrag der Fingerspiele zur Erweiterung der Sprachkompetenz

6. Didaktik der Fingerspiele
6.1. Eltern-Kind-Interaktion
6.2. Erzieher/in-Kind-Interaktion

7. Schlussbetrachtung

8. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

Überblick zum Spracherwerb

Überblick zur Analyse weiterer Fingerspiele nach sprachstrukturellen Aspekten

Ein selbst entworfenes Fingerspiel zur Förderung von komplexeren Satzkonstruktionen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Richtungen im aktuellen Bildungsansatz

Abbildung 2.1: Der Zusammenhang zwischen dem aktuellen Bildungsansatz und dem Bildungsbereich Sprache(n)

Abbildung 3.1: Der Sprachbaum

Abbildung 3.2: Einordnung der Fingerspiele in die Sprachumwelt von Kindergärten

Abbildung 4.1: Überblick zu verschiedenen Formen der Fingerspiele

Abbildung 4.2: Graphische Darstellung des Körpers eines Menschen nach der Repräsentation seiner Körperteile im Gehirn

Abbildung 5.1: „Ideale“ Eltern-Kind-Interaktion

Abbildung 5.2: „Ideale“ Erzieher/in-Kind-Interaktion

1. Einleitung

Die Förderung der sprachlichen Kompetenz im Kindergarten1 genießt aufgrund des Zusammenhangs mit dem zukünftigen Bildungserfolg des Kindes höchste bildungspolitische Priorität (vgl. Jampert et al. 2006, 9). „Sprache ist eine Schlüsselkompetenz und jedes Kind im Kindergarten sollte beim Erwerb dieser Kompetenz unterstützt werden“ (Spanier 2004, 8; im Orig. teilw. hervorgeh.). Der kindliche Spracherwerb ist ein ganzheitlicher Entwicklungsprozess, bei dem die Kinder auf Anreize und vertraute Personen angewiesen sind (vgl. Jampert et al. 2006, 44f.). Der enge Zusammenhang zwischen Sprache, Motorik und Sinneswahrnehmung erfordert eine ganzheitliche Sprachförderung. Der Einsatz von Fingerspielen im kommunikativen Alltag von Kindergärten kann einen Beitrag zur ganzheitlichen Sprachförderung leisten und weckt spielerisch die Lust am Sprechen (vgl. Näger 2005, 30).

„Sie sind in einfachen Sprachrhythmen und in Reimform abgefasst, erleichtern deshalb das Nachsprechen und der Sprachfluss wird mit Fingerbewegungen unterstützt“ (Walter 2003, 120). Die Fingerspiele sind in der Tradition der Kindergärten durch die bekannten Mutterund Koselieder Friedrich Fröbels (vgl. Fröbel 1895) tief verwurzelt und werden von den Kindern auch heute noch gerne gespielt. „Es lohnt sich, dieses ‚Handwerkszeug’ zu pflegen, denn es macht den Kindern Spaß und fördert gleichzeitig durch das Zusammenspiel von Musik, Sprache und Bewegung, die Sprache und die Wahrnehmung“ (Hirler 2002, 17). Diese tradierten Sprachförderaktivitäten prägen die Kindergartenpraxis noch heute, wobei sie von den Erzieher/innen eher intuitiv verwendet werden. So weist Lilian Fried (2003) darauf hin, dass Beobachtungen im Kindergartenalltag zeigen, dass sich die Sprachförderung in Kindergärten noch zu unbewusst und unsystematisch vollzieht. Deshalb sollte der in Kindergärten implizit vorhandene Reichtum an alltäglichen Sprachfördermöglichkeiten expliziert sowie systematisiert werden und so für die Erzieher/innen zugänglich gemacht werden. Die kommunikative Kompetenz sollte dabei ebenso berücksichtigt werden wie die linguistische (vgl. Fried 2003, 52ff.).

Zu diesem bewussten und reflektierten Einsatz von sprachlichen Aktivitäten im Kindergartenalltag will die vorliegende Bachelor-Arbeit anhand der Systematisierung der Fingerspiele nach sprachstrukturellen Aspekten sowie der konkreten Darstellung ihrer Umsetzung in der Interaktion beitragen. Ziel ist es, einerseits die Aktualität von Fingerspielen in der Elementarpädagogik2 nachzuweisen, und andererseits ihre Bedeutung für die Erweiterung der Sprachkompetenz junger Kinder systematisch herzuleiten.

Fingerspiele zeichnen sich durch ihren ganzheitlichen Ansatz und ihre Didaktik, die Wechselseitigkeit zwischen Erwachsenem und Kind, aus. Durch ihren Einsatz bilden sie eine ganzheitliche Anregung der Sprachumwelt. Sie gehören zu den Spracherfahrungen, die das Kind im kommunikativen Alltag sammeln kann und begrenzen diese nicht auf eine Programmkultur. Die gegenwärtigen Diskussionen um den aktuellen Bildungsansatz weisen auf die Bedeutung ebendieser Spracherfahrungen in Ergänzung zu speziellen Sprachprogrammen hin. In der gegenwärtigen Bildungsdiskussion nimmt vor allem die Erzieher/in- Kind-Interaktion einen hohen Stellenwert ein, denn „nur in gemeinsamer Interaktion, im kommunikativen Austausch und im ko-konstruktiven Prozess findet Bildung, nicht zuletzt als Sinnkonstruktion, statt“ (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 24). Auch in der Qualitätsdiskussion wurde nachgewiesen, dass die Prozessqualität, die sich vornehmlich auf die Erzieher/in-Kind-Interaktion bezieht, als wesentliches Kriterium zum Erfolg pädagogischen Handelns gilt. Des Weiteren weisen neurobiologische Befunde auf die Bedeutung des ganzheitlichen Lernens und auf eine anregende Sprachumwelt hin. Sensible Phasen in der frühen Kindheit wurden speziell für den Spracherwerb nachgewiesen und sollten durch angemessene sprachliche Aktivitäten in Kindergärten genutzt werden. Betrachtet man nun den Bildungsbereich Sprache(n) , zeigt sich, dass der Erwerb der Sprachkompetenz als ein ganzheitlicher Prozess gesehen und die Förderung des kindlichen Spracherwerbs als Querschnittsaufgabe betrachtet werden muss. Dem kommunikativen Alltag in Kindergärten kommt neben den Sprachförderprogrammen eine besondere Bedeutung zu. Die aktuellen Diskussionen und Standpunkte, die in den ersten zwei Kapiteln dargestellt werden, verweisen auf die Bedeutung der Interaktion sowie auf die Bedeutung des ganzheitlichen Lernens. Im dritten Kapitel wird deshalb die Bedeutung der ganzheitlichen Sprachförderung herausgestellt. Im Hinblick auf den aktuellen Bildungsansatz sowie die neuesten Befunde zum Spracherwerb erscheint es notwendig, zunächst die Merkmale einer ganzheitlichen Sprachförderung vorzustellen. Schwerpunktmäßig werden hierbei die Aspekte herausgearbeitet, die den ganzheitlichen Ansatz der Fingerspiele betreffen. Die aktuelle Diskussion um eine effektive Sprachförderung verweist neben den ganzheitlichen Ansätzen auf spezielle Sprachförderprogramme. So gestaltet sich die Sprachumwelt in Kindergärten keineswegs einheitlich. Um die Fingerspiele in der derzeitigen Diskussion um Sprachfördermöglichkeiten angemessen verorten zu können, wird im dann folgenden Abschnitt ebendiese Sprachumwelt vorgestellt. Abschließend erfolgt eine kurze Darstellung der Textsorte „Kinderlyrik“, der die Fingerspiele zugeordnet werden. Das dritte Kapitel bildet somit zugleich die Überleitung zur konkreten Beschäftigung mit den Fingerspielen.

Damit die Sprachkompetenz effektiv gefördert werden kann, müssen die Fingerspiele im Kindergartenalltag bewusst eingesetzt werden. Bisher fehlt es jedoch an jeglicher Strukturierung der Fingerspiele nach sprachstrukturellen Aspekten. Daher wird in dieser Bachelor- Arbeit insbesondere dem Ziel nachgegangen, eine Systematik der Fingerspiele zu entwerfen, sodass sie gezielt im Alltag von Kindergärten eingesetzt werden können. Im vierten Kapitel Der Einsatz von Fingerspielen in Kindergärten werden diese, nach einer Einleitung in die Besonderheiten und Funktionen der Fingerspiele, hinsichtlich sprachstruktureller Aspekte bzw. der linguistischen Teilbereiche Phonetik, Phonologie, Rhythmik, Prosodie, Lexik, Semantik, Morphologie, Syntax und Aufbau von Erzählstrukturen analysiert. Abschließend wird in Bezug auf den Spracherwerb dargestellt, inwiefern die Fingerspiele einen Beitrag zur Erweiterung der Sprachkompetenz leisten können. In einer Weiterführung wird im fünften Kapitel an die Didaktik der Fingerspiele angeknüpft. Ausgehend von der bereits vielfach erforschten und strukturierten Eltern-Kind-Interaktion wird auf die förderlichen Verhaltensweisen in dieser Interaktion verwiesen. Diese werden abschließend zu der Erzieher/in-Kind-Interaktion und zum Einsatz der Fingerspiele in Bezug gesetzt. In der Schlussbetrachtung werden die wichtigsten Aspekte zusammengefasst, die Aktualität der Fingerspiele nachgewiesen sowie auf die Bedeutung der Strukturierung des kommunikativen Alltags in Kindergärten und weitere mögliche wissenschaftliche Beschäftigungen hingewiesen.

2. Der aktuelle Bildungsansatz

Die aktuelle Debatte um die Förderung der Sprachkompetenz in Kindergärten kann nicht abgelöst von der breiten Bildungsdiskussion in Deutschland gesehen werden (vgl. Leu 22007, 19). Die vor allem durch PISA ausgelöste Debatte rückte das Thema „Bildung“ in den Mittelpunkt der Betrachtung und hat eine Reformierung des Elementarbereichs in Gang gesetzt. Die PISA–Studie zeigte neben der schlechten Gesamtplatzierung von Deutschland, dass in keinem anderen Industriestaat der Bildungserfolg der Schüler/innen so stark von der sozialen Herkunft der Eltern abhängt wie in Deutschland. Daher fordert man eine frühe Bildung, um diesen Zusammenhang aufzubrechen (vgl. Rauschenbach 2004, 111ff.). Die Bildungsdebatte wurde ferner von den neurobiologischen Befunden beeinflusst, die auf sensible Phasen in der frühen Kindheit hinweisen, welche im Hinblick auf die Bildung verstärkt genutzt werden sollen. Zuletzt ging die Bildungsdiskussion mit der Qualitätsdiskussion einher, in der die Kindergärten im Hinblick auf ihre Qualität genauer untersucht werden. Um die Aktualität der Fingerspiele verdeutlichen zu können, sollen zunächst ebendiese gegenwärtigen Diskussionen in der Elementarpädagogik betrachtet werden. Wie eng die drei darzustellenden Bereiche dabei zusammenliegen, verdeutlicht folgendes Zitat:

Die Bildungspolitik muss Forschungsergebnisse zur Entwicklung in der frühen Kindheit zur Kenntnis nehmen, nach der schon kleine Kinder Bildungsprozesse durchlaufen, und vorschulische Institutionen müssen durch die Qualität ihrer Arbeit Weichenstellungen vornehmen, die für die weitere Bildungsbiographie von Kindern entscheidend sein können (Tietze et al. 20073, 9).

2.1. Die gegenwärtige Bildungsdiskussion

„Nach PISA lautete das Schlüsselwort ‚Bildung’“ (Tietze et al. 20073, 9). Der Bildungsbegriff ist in der deutschen Sprache ein eigener Begriff. Im Englischen lässt sich lediglich der Begriff „education“ verzeichnen, der Erziehung und Bildung in einem Wort zusammenfasst. Im Laufe der Zeit hat der Bildungsbegriff in Deutschland eine Vielzahl von Bedeutungen erlangt (vgl. Textor 1999, 527; Laewen 2002, 29). Das Verständnis von Bildung ist demnach abhängig „[…] vom zeitdiagnostischen Gehalt einer kulturellen Epoche […]“ (Marotzki/Ortlepp 20025, 153). Sie ist eine dynamische Kategorie, die der gesellschaftlichen Entwicklung unterliegt (vgl. ebd.).

Bildung wird heute als „zentrale Ressource der Lebensbewältigung“ (Münchmeier 2004, 104) verstanden. Sie ist notwendig, um sich in einer so komplex gewordenen Welt behaupten zu können. Der heutige Bildungsbegriff geht vor allem auf den von Wilhelm von Humboldt geprägten, klassischen Bildungsbegriff zurück. Bildung wird als Selbstbildung verstanden, aber immer im Zusammenhang mit dem sozialen Kontext. Die Forschung hat bewiesen, dass Bildung nicht direkt vermittelt werden kann, und dass der soziale Kontext für das kindliche Lernen von zentraler Bedeutung ist (vgl. Fthenakis 2002, 24; Fthenakis 2003, 27). „Das Subjekt braucht ein Gegenüber, durch das es sich bilden kann“ (Schäfer 2006, 34). Das Kind wird als kompetentes Wesen angesehen, das ab der Geburt beginnt, sich selbst zu bilden. Selbstbildung verläuft aber immer in sozialen Bezügen, denn nur durch den sozialen Austausch erfährt das Kind die Bedeutung der Dinge (vgl. Schäfer 2005, 30ff.;

Andres 2002, 350ff.; Laewen 2002, 17; Tietze et al. 20073, 18f.).

Hans-Joachim Laewen (2002) unterscheidet zwischen Bildung und Erziehung und differenziert diese dahingehend, dass Bildung vor allem Selbstbildung durch Selbsttätigkeit des Kindes ist. Erziehung hingegen ist das Ermöglichen, die Unterstützung sowie die Herausforderung der kindlichen Konstruktionen durch die Gestaltung der Umwelt des Kindes und der Gestaltung der Interaktionen3. Somit ist der einzig angemessene Zugang zu den Bildungsprozessen des Kindes der Dialog (vgl. Laewen 2002, 73ff.; Textor 2002, 9). „Der Bildungsauftrag der Kindergärten würde in seiner allgemeinsten Formulierung also lauten, die Bildungsprozesse der Kinder durch Erziehung zu beantworten und durch Betreuung zu sichern“ (Laewen 2002, 92; im Orig. teilw. hervorgeh.).

Diese Auffassungen von Bildung für den Elementarbereich weisen eine sozial-konstruktivistische Orientierung auf (vgl. Fthenakis 2003, 23)4. Auch in den neueren Bildungsund Erziehungsplänen wird Bildung als sozialer, ko-konstruktiver Prozess beschrieben. So heißt es im Bayerischen Bildungsund Erziehungsplan von 2006:

Bildung im Kindesalter gestaltet sich als sozialer Prozess, an dem sich Kinder und Erwachsene aktiv beteiligen. Nur in gemeinsamer Interaktion, im kommunikativen Austausch und im ko-konstruktiven Prozess findet Bildung, nicht zuletzt als Sinnkonstruktion, statt (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 24; im Orig. teilw. hervorgeh.).

Das Kind wird als selbstständig handelndes und denkendes Wesen betrachtet, das Mitgestalter seiner Entwicklung ist. Einerseits ist es autonom, da es sich selbst entwickelt, andererseits ist es abhängig von dem, was ihm seine soziale und kulturelle Umwelt ermöglicht. Lernen und Wissenskonstruktionen werden im Sozialkonstruktivismus als ein kommunikativer, interaktionaler und ko-konstruktiver Bildungsprozess aufgefasst (vgl. Ostermayer 2006, 39; Fthenakis 2002, 24; Siebert 2004, 4). Die Interaktionsprozesse zwischen Kind und Erwachsenem werden von Geburt an in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt (vgl. Fthenakis 2002, 24; Ostermayer 2006, 40). Auch Ursula Carle und Annette Samuel (2007) weisen darauf hin, dass Menschen Erkenntnisse in der Auseinandersetzung mit Objekten der gegenständlichen Welt immer eingebettet in soziale Beziehungen erlangen (vgl. Carle/Samuel 2007, 24). „Letztlich ist die Bewältigung des Übergangs zu neuen Qualitäten des Selbst und zu neuen Qualitäten des Wissens ein gemeinsamer, interaktiver und kein bloß individueller Prozess, der zudem unterschiedliche Phänomene gleichzeitig betrifft“ (ebd., 26).

Darüber hinaus wird in den neueren Curricula eine enge Verknüpfung zwischen Spiel und Lernen vorgenommen und somit die spielerischen Aspekte frühkindlicher Erziehung mitberücksichtigt (vgl. Fthenakis 2002, 24ff.). Kinder lernen mit all ihren Sinnen und sammeln somit Erfahrungen über ihre Umwelt (vgl. Schäfer 2003, 27). Kindergärten können einen großen Vorteil nutzen, indem sie Bildungssituationen entwickeln, die sich auf die nicht– formelle (freiwilliges Lernen und freiwillige Angebote) und auf die informelle Bildung (die lebenslangen Bildungsprozesse, die in der Familie, in der Freizeit oder z. B. unter Freunden stattfinden) beziehen (vgl. Münchmeier 2004, 103). Kinder lernen am besten in Situationen, in denen es gelingt, spielerisch, indirekt und an den Bedürfnissen und Interessen der Kinder orientiert, ihre Fähigkeiten zu fördern und neue Erkenntnisse und Erfahrungen zu vermitteln. Der Kindergarten an sich bietet des Weiteren durch sein vielfältiges Setting, wie die Kindergartengruppe oder die Spielmöglichkeiten, bereits viele Erfahrungsund Lernmöglichkeiten, die der familiale Lebensraum den Kindern nicht geben kann. Sie offerieren allen Kindern soziale, emotionale und kognitive Anregungen und ermöglichen ihnen, unabhängig von ihrem sozialen Milieu, Kontakte herzustellen, Beziehungen aufzubauen, mit Erwachsenen und Gleichaltrigen zu interagieren, Erfahrungen zu sammeln, allgemein gesagt: sich zu bilden (vgl. Rauschenbach 2004, 117f.).

Da die gegenwärtige Bildungsdiskussion von den neurobiologischen Befunden beeinflusst wird, sollen im Folgenden die wichtigsten Befunde festgehalten werden.

2.2. Neurobiologische Befunde

Neurobiologische Befunde haben gezeigt, dass die Erfahrungen in der frühen Kindheit von besonderer Bedeutung sind. Direkt nach der Geburt bilden sich im Gehirn neue Verbindungen, und die Synapsendichte5 nimmt ungeheuer zu. Welche Verbindungen sich neu bilden und welche absterben (in der Neurobiologie wird dieser Prozess mit „Pruning“ bezeichnet) ist zum einen von den Genen, und zum anderen von den Erfahrungen abhängig, die das Kind in seinen ersten Lebensjahren macht6. Ferner weisen Forschungen darauf hin, dass die Entwicklung des Gehirns im Hinblick auf das Lernen sensible Phasen aufweist, die genutzt werden sollten (vgl. Blakemore/Frith 2006, 39ff.; Spitzer 2002, 240). „Eine sensible Phase ist ein Zeitraum in der Entwicklung, in dem bestimmte Verhaltensweisen und Fähigkeiten nachhaltig erworben werden“ (Buch 2002, 70). Solche sensiblen Phasen wurden vor allem im Spracherwerb nachgewiesen. Die Zeit zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr stellt dabei eine sensible Phase für den Mutterspracherwerb dar (vgl. ebd.). Sarah-Jayne Blakemore und Uta Frith (2006) weisen allerdings auch darauf hin, dass diese Befunde nicht als endgültige Fakten betrachtet werden dürfen. Vielmehr muss es noch weitere Forschungen geben, die die dargelegten Befunde überprüfen, die dann in die Praxis umgesetzt werden können (vgl. Blakemore/Frith 2006, 52ff.).

Darüber hinaus hat die Säuglingsforschung gezeigt, dass für den Säugling die Interaktion mit anderen Menschen von besonderer Relevanz ist. Säuglinge sind schon vor der Geburt sehr sensibel für den Rhythmus, die Intonation sowie die Lautelemente der Sprache. Drei Tage alten Säuglingen ist es bereits möglich, die Stimme ihrer Mutter von anderen zu unterscheiden (vgl. ebd., 45ff.). „Aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Welt konstruieren sie eine eigene innere Welt in ihren Köpfen und Körpern“ (Laewen 2002, 53). Die Konstruktionsleistungen des Gehirns sind dabei abhängig von den Anregungen, die den Kindern offeriert werden (vgl. Andres 2002, 348). Kinder lernen immer auf der Grundlage bereits gemachter Erfahrungen, die sie aufgrund neuer Erfahrungen variieren, erweitern und differenzieren (vgl. Schäfer 2003, 18). „Das, was das Kind wahrnimmt, bestimmt seine Selbstbildungsprozesse“ (ebd., 349). Dabei bilden sich Kinder vor allem durch Selbsttätigkeit. Besonders in den frühen Jahren denken Kinder, indem sie handeln. Motorische Koordinationsleistungen sind für das Begreifen der Welt besonders wichtig und sind die erste Bildungsform von jüngeren Kindern. Ferner ist die Qualität, also die Angemessenheit, Differenziertheit und Komplexität sowie der emotionale Gehalt der frühen Interaktionen für die Konstruktion von Welt für das Kind von besonderer Signifikanz (vgl. Laewen 2002, 61ff.). Die soziale Interaktion mit anderen Menschen bietet ferner die Möglichkeit, auch nach der sensiblen Phase Neues zu erlernen. Somit ist die Interaktion in Kindergärten besonders für Kinder, die aus einer anregungsarmen sozialen Umwelt stammen, von großer Bedeutung (vgl. Blakemore/Frith 2006, 63). Kommunikative Prozesse sind jedoch für die Hirnentwicklung aller Kinder von besonderer Relevanz (vgl. Holler 20072, 26). Die Kommunikationsmöglichkeiten sollten daher ausgeschöpft werden, da auch die differenzierte Entwicklung kognitiver Fä- higkeiten wesentlich von den Kommunikationsfähigkeiten der Kinder abhängt. Die verbale Kommunikation stellt allerdings nicht die einzige Art der menschlichen Kommunikation dar. Vielmehr kommt z. B. der Mimik in der Interaktion eine große Bedeutung zu, derer wir uns meist nicht bewusst sind und auch die Mimik des Kommunikationspartners nur unbewusst wahrnehmen (vgl. Roth 2001, 361). Wolf Singer (2003) plädiert für einen verstärkten Einsatz von nicht-rationalen Ausdrucksund Kommunikationsmitteln wie Mimik, Gestik, Bild, Musik oder Intonation zum Transportieren von Informationen (vgl. Singer 2003, 74f.). Kinder brauchen mehr als nur die Sprache des gesprochenen Wortes (vgl. Laewen 2002, 96). So erhöht das Ansprechen von mehreren Sinneskanälen die Wahrscheinlichkeit, an ein bereits bestehendes neuronales Netz Anschluss zu finden, denn Kinder lernen Inhalte dann gut, wenn eine Anschlussmöglichkeit besteht. Die Kinder müssen folglich dort abgeholt werden, wo sie stehen (vgl. Reich 2005, 143f.; Meier 2004, 197ff.). Befunde der Hirnforschung und der Kognitionsforschung verdeutlichen, dass es keine isolierten Funktionen und Kompetenzen gibt. Kompetenzen wie das Sprechen, Wahrnehmen, Denken, soziale Verhalten, usw. sind keine einzelnen Fähigkeiten, sondern sind vielfältig zusammengesetzt und müssen zusammen bei der Förderung ganzheitlich berücksichtigt werden (vgl. Schäfer 2003, 18). Auch Michaela Meier (2004) betont das ganzheitliche Lernen, damit sich der Mensch in der hochkomplexen Gesellschaft zurechtfinden kann (vgl. Meier 2004, 194).

Des Weiteren kann das Lernen nach Manfred Spitzer (2002) durch die Aufmerksamkeit, Emotionen sowie die Motivation positiv beeinflusst werden. Ein Mensch behält sich bestimmte Themen besser, wenn er aufmerksam ist. Der Blickkontakt spielt hier, wie auch in Bezug auf die Motivation, eine wichtige Rolle. Hinsichtlich der Emotionen hat die Hirnforschung gezeigt, dass Lernen mit positiven Emotionen erfolgen sollte, da Stress zu negativen Folgen führt (vgl. Spitzer 2002, 141ff.; Reich 2005, 145; Carle/Samuel 2007, 29).

Die Ausführungen verdeutlichen, dass auch hinsichtlich der neurobiologischen Befunde der alltäglichen Kommunikation und speziell der wechselseitigen Interaktion ein hoher Stellenwert zukommt. Eberhard Reich (2005) weist aufgrund der neurobiologischen Befunde darauf hin, dass nicht spezielle Trainingsmaßnahmen, sondern „das Notwendige“ im Mittelpunkt der Förderung stehen sollte und warnt vor einem Überangebot (vgl. Reich 2005, 104). Es gilt, den kommunikativen Alltag in Kindergärten zu nutzen und zu strukturieren. Ferner verdeutlichen die neurobiologischen Befunde, dass sich ein Lernen mit allen Sinnen besonders förderlich auswirkt.

2.3. Die gegenwärtige Qualitätsdiskussion

Die aktuelle Bildungsdiskussion sowie die Befunde der Neurowissenschaft gingen in der Elementarpädagogik mit einer Qualitätsdiskussion einher. „Die Notwendigkeit der Offenlegung und Verbesserung von Qualität in der Früherziehung war [seit der Bildungsdebatte] unabweisbar geworden“ (Tietze et al. 20073, 9; Zus. v. J.P.). Darüber hinaus stellt sich im Zuge eines universell feststellbaren Trends zu mehr außerfamiliarer Kinderbetreuung verstärkt die Frage nach der Qualität in Kindergärten. Der in Deutschland seit 1996 bestehende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder, die das dritte Lebensjahr vollendet haben, führte zu einer Ausweitung des Platzangebots und ging teilweise mit einer Abwertung von Qualitätsstandards einher, was wiederum vermehrt zu Diskussionen um die Verbesserung der Qualität führte (vgl. Tietze 1999, 153f.).

Das Verständnis von Qualität in vorschulischen Einrichtungen ist von der jeweiligen Kultur, Gesellschaft und historischen Epoche abhängig. Der Begriff Qualität ist als ein mehrdimensionales Konstrukt zu verstehen, das sich je nach Perspektive der Bezugsgruppen (Erzieher/innen, Eltern, Kinder usw.) unterschiedlich darstellt (vgl. Textor 1996, 3). Eine allgemein gültige Definition zum Qualitätsbegriff gibt es nicht (vgl. Roux 2002, 19).

In der aktuellen Qualitätsdiskussion lassen sich drei unterschiedliche Perspektiven von Qualität verzeichnen: Qualität als relativistisches Konstrukt, Qualität als dynamisches Konstrukt sowie Qualität als mehrdimensionales, strukturell-prozessuales Konstrukt (vgl. Fthenakis 2003a, 208; Roux 2002, 26ff.). Die relativistische Perspektive begreift Qualität vor allem „[…] als Ausbalancierung der unterschiedlichen Bedürfnisse, Überzeugungen und Wertorientierungen von Eltern, Kindern, Familien und Gesellschaft […]“ (Fthenakis 2003a, 208)7. Qualität als dynamisches Konstrukt verweist auf ein bewegliches Konzept von Qualität mit transitorischem Charakter. Qualität wird hierbei aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen als ein sich kontinuierlich verändernder Prozess begriffen. Die dritte Perspektive, die Qualität als mehrdimensionales, strukturell-prozessuales Konstrukt begreift, berücksichtigt die interaktionalen und strukturellen Dimensionen des Erziehungsprozesses sowie kontextuelle Aspekte pädagogischer Qualität. Einen hohen Stellenwert nehmen besonders die Ansätze ein, die eine Integration von dimensionalen und dynamischen Modellen erlauben. Die Qualität in vorschulischen Einrichtungen lässt sich demnach durch strukturelle (Gruppengröße, Personalschlüssel usw.) und prozessuale Dimensionen (Erzieher/in-Kind-Interaktion, Sensitivität und Responsivität der Erzieher/innen usw.) erfassen (vgl. ebd., 208ff.).

Die Untersuchungen von Wolfgang Tietze et al. (1998) knüpfen an ebendieses Verständnis von Qualität an. Nach ihnen rückt pädagogische Qualität das Interesse des Kindes und dessen Sichtweisen in den Mittelpunkt und dient als Maßstab der Qualität der jeweiligen Einrichtung (vgl. Tietze et al. 2005, 19). Tietze (1998) unterscheidet dabei drei pädagogische Qualitätsbereiche, die pädagogische Qualität ausmachen: Die Prozessqualität, die Strukturqualität sowie die Orientierungsqualität. „ Prozeßqualität [!] bezieht sich dabei auf das Gesamt der Interaktionen und Erfahrungen, die das Kind in der Kindergartengruppe mit seiner sozialen und räumlich-materialen Umwelt macht“ (Tietze 1998, 21). Sie gilt als der dynamische Aspekt pädagogischer Qualität, die sich innerhalb situationsunabhängiger und zeitlich stabiler Rahmenbedingungen vollzieht. Diese strukturellen Rahmenbedingungen, die Aspekte wie z. B. die Gruppengröße, den Erzieher/in-Kind-Schlüssel, die Raumgestaltung u. Ä. beinhalten, bezeichnet Tietze als Strukturqualität. Der letzte Qualitätsbereich, die Orientierungsqualität, bezieht sich auf die pädagogischen Werte, Vorstellungen und Überzeugen der Erzieher/innen. Hierzu zählt z. B. die Auffassung von pädagogischer Qualität, die Vorstellungen über die kindliche Entwicklung sowie pädagogische Normen und Ziele. Auch diese bilden eher stabile Rahmenbedingungen und wirken sich auf die Prozessqualität aus. Im Gegensatz zur Strukturqualität sind die Merkmale der Orientierungsqualität allerdings nicht direkt politisch regulierbar (vgl. ebd., 21ff.).

Da sich die internationale Diskussion um die Verbesserung der Qualität in Kindergärten in Richtung der prozessualen Faktoren verschiebt (vgl. König 2006, 51), sollen diese im Folgenden besondere Beachtung finden. Auslöser für diese Verschiebung war das Ergebnis von Studien, dass die Prozessqualität den Erfolg pädagogischen Handelns bestimmt. Sie nimmt im Hinblick auf die Moderation von Entwicklungsanregungen eine Schlüsselfunktion ein (vgl. Tietze 1998, 225). „Die Prozeßqualität [!] kann als der Transmissionsriemen angesehen werden, über den alle anderen Qualitätsaspekte, also die der Strukturund Orientierungsqualität, im Sinne von Entwicklungsanregungen an die Kinder weitergegeben werden“ (ebd.). Sie wird neben der Orientierungsund Strukturqualität von den organisatorischen und sozialen Kontextbedingungen sowie den Makrobedingungen (Ostoder Westdeutschland) determiniert. Unter guter pädagogischer Prozessqualität wird eine sichere sowie der Gesundheit förderliche Betreuung, eine entwicklungsangemessene Stimulation durch Gelegenheiten zum Spielen und Lernen in verschiedenen Bereichen, ein positives sowie vertrauensvolles Interaktionsklima mit den Erzieher/innen, eine ermutigende Haltung gegenüber der kindlichen Entwicklung sowie die Förderung von positiven sozialen Beziehungen zu anderen Kindern verstanden (vgl. ebd., 227ff.).

Zur Messung der Prozessqualität wurde von Tietze et al. (1997) die Kindergarten-Einschätz- Skala (KES), eine deutsche Fassung der Early Childhood Environment Rating Scale (ECERS) (vgl. Sylva et al. 2003), verwendet8. Mit dieser Skala wurde festgestellt, dass in deutschen Kindergärten nur eine mittelmäßige pädagogische Prozessqualität erreicht wurde. Die Qualität der pädagogischen Prozesse fällt dabei über die einzelnen Kindergartengruppen hinweg sehr unterschiedlich aus. Diese Unterschiede machen bei den Kindern im Extremfall einen Entwicklungsunterschied von bis zu einem Jahr aus (vgl. Tietze 1999, 159f.). Zur Erfassung der spezifischen Erzieher/in-Kind-Interaktion wurde eine deutsche Fassung der Caregiver Interaction Scale (CIS) verwendet (vgl. Tietze 1998, 227). Hierdurch wurde beobachtet, dass unter denselben strukturellen Bedingungen die Prozessqualität von den Erzieher/innen unterschiedlich realisiert wurde. Die Befunde zeigen, dass zum einen die Strukturqualität einen bemerkenswerten Einfluss auf die Prozessqualität hat, sie allerdings dennoch erheblich von der Erzieher/in-Kind-Interaktion beeinflusst wird (vgl. ebd., 285ff.). Lediglich ein Drittel der Einrichtungen wiesen eine gute Prozessqualität auf (vgl. Tietze 1999, 159). Das hohe Potenzial, das in den Interaktionsprozessen liegt, um die kindliche Entwicklung zu fördern, wird offensichtlich nicht in allen Einrichtungen genügend ausgeschöpft. Die Qualitätskonzepte liefern für die weitere Diskussion den Beitrag, dass sie neben den konkreten Strukturen von Kindergärten auch die Interaktionsprozesse in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellen. Lilian Fried und Susanne Roux (2006) weisen darauf hin, dass der Effektivität des Handelns der Erzieher/innen sowie der Gestaltung der kindlichen Lernumgebung in Zukunft mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss (vgl. Fried/Roux 2006, 379)9.

Die folgende Abbildung soll zum Abschluss dieses Kapitels die wichtigsten Aspekte zusammenfassen sowie den Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Diskussionen um den aktuellen Bildungsansatz verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1.1: Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Richtungen im aktuellen Bildungsansatz

(weiterentwickelt in Anlehnung an König 2006, 153)

3. Der Bildungsbereich Sprache(n)

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die kommunikativen Prozesse und vor allem die Interaktion für die kindlichen Bildungsprozesse sowie die pädagogische Qualität von hervorragender Bedeutung sind. Dabei hängen Bildung und Sprache bzw. Sprachförderung eng zusammen (vgl. Roux 2005, 3). Die Sprache ist der „Schlüssel zum Bildungserfolg“ (Holler 2005, 25), und ihre Bedeutung hinsichtlich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist unbestritten (vgl. ebd., 24f.). Darüber hinaus wurde auch gezeigt, dass das Lernen und Sprechen in alltäglichen Situationen auf die Entwicklung einen wesentlichen Einfluss hat. Auch beim Sprechenlernen ist der kommunikative Akt die treibende Kraft (vgl. Lessmöllmann 2005, 33). Eine Erweiterung der Sprachkompetenz in der alltäglichen Kommunikation erscheint hinsichtlich dieser Befunde von besonderer Bedeutung. Bevor jedoch auf die Sprachumwelt von Kindergärten sowie auf die Möglichkeiten zur Förderung des kindlichen Spracherwerbs näher eingegangen wird, soll zunächst der Bildungsbereich Sprache(n) dargestellt werden. Im Anschluss an die Definition von Sprachkompetenz sowie den kurzen Überblick zum Spracherwerb, kann auf der Grundlage der vorangegangenen Diskussionen überprüft werden, ob die Fingerspiele noch heute eine angemessene sprachliche Aktivität zur Erweiterung der Sprachkompetenz darstellen.

3.1. Sprachkompetenz

„Sprachkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation und sie ist eine wesentliche Voraussetzung für schulischen und beruflichen Erfolg, für eine volle Teilhabe am gesellschaftlichkulturellen Leben“ (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 207). Um sich dem Begriff Sprachkompetenz nähern zu können, muss zunächst geklärt werden, was unter Sprache und Kompetenz zu verstehen ist.

Die Sprache ist eine der Fähigkeiten, die den Menschen am deutlichsten vom Tier unterscheidet (vgl. Roth 2001, 355; Lessmöllmann 2005, 33). Sie ist ein hochkomplexer Gegenstand, der nicht auf ein abstraktes System von Zeichen zu reduzieren ist. „Sprache ist die Fähigkeit, lautrein und artikuliert zu sprechen, Dinge und Erscheinungen sprachlich zu bezeichnen, grammatikalische Formen richtig anzuwenden, zusammenhängend zu sprechen sowie sprachliche Inhalte zu verstehen“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport 2002, 65). Sprache ist somit zum einen Produktion, und zum anderen Verständnis. Um Sprache möglichst umfassend darzustellen und ihre Bedeutung greifbarer zu machen, hilft eine Unterteilung in verschiedene Dimensionen. Diese setzen sich nach Bärbel Fendrich (2000) aus der Dimension des sozialen Austauschs (pragmatisch-kommunikative Ebene), der Dimension der Bedeutung (semantisch-lexikalische Ebene), der Dimension der Aussprache (phonetisch-phonologische Ebene) sowie der Dimension der Grammatik (syntaktisch-morphologische Ebene) zusammen (vgl. Roux 2005, 7; Fendrich 2000, 50ff.). Der soziale Austausch ist dabei von grundlegender Bedeutung. Bereits die frühe Eltern-Kind-Interaktion hilft den Kindern, die der Sprache zugrundeliegende Struktur zu erwerben. Des Weiteren lernen die Kinder im sozialen Austausch die Bedeutungen der Wörter kennen. Mit der Zeit erwerben sie den Wortschatz ihrer Muttersprache (Lexik) und die Bedeutungen (Semantik), die die einzelnen Wörter tragen. Die Dimension der Aussprache bezieht sich zum einen auf die Lautbildung (Phonetik), und zum anderen auf den Lautgebrauch (Phonologie)10. Die Sprechbewegungen zum Produzieren von Lauten müssen erlernt und die Regeln, nach denen Laute zu Wörtern gebildet werden, erkannt werden. Die Grammatik ermöglicht es dem Kind letztendlich, von der Sprache grenzenlosen Gebrauch zu machen und sie vielfältig zu kombinieren (vgl. Roux 2005, 7f.). Hinzuzufügen wäre nach Sabine Weinert et al. (2008) ferner die rhythmisch-prosodische Dimension, die sich auf die rhythmische Gliederung von Sprache, die Betonungen sowie die Intonation (Sprachmelodie) bezieht (vgl. Weinert et al. 2008, 98). Beim Spracherwerb sind die fünf Dimensionen eng verbunden und werden parallel zueinander erworben (vgl. Kapitel 2.2) (vgl. Roux 2005, 8).

Der Begriff der Kompetenz bezeichnet in der Linguistik die Sprach fähigkeit und wird im Sinne von Noam Chomsky als dynamisches Konzept verstanden. Die Sprachfähigkeit ist nach Chomsky das intuitive Wissen über die jeweilige Einzelsprache und dient der Erzeugung zur unendlichen Produktion von Sprache11. Chomskys Konzept liefert den wichtigen Beitrag, dass Kompetenz als dynamisches Konzept aufgefasst wird12. In der aktuellen Bildungsdiskussion wird der Begriff Kompetenz häufig mit Fertigkeiten oder Fähigkeiten gleichgesetzt. Im lernpsychologischen Sinne bezeichnet Kompetenz das Anwenden von Wissen und Können in unvorhersehbaren Situationen. Bislang existiert allerdings keine klare begriffliche Definition von Kompetenz (vgl. Nodari 2002, 9f.). Festzuhalten ist, dass sich der Begriff Kompetenz auf die Fähigund Fertigkeiten bzw. das Wissen und Können der Kinder bezieht und als ein dynamisches Konzept verstanden werden sollte. Ferner kann der Bereich Sprache nicht als isolierter Kompetenzbereich angesehen werden, sondern muss stets in Verbindung mit anderen Kompetenzbereichen betrachtet werden (vgl. Schäfer 2003, 18; List 2006, 15; Holtz 20002, 40).

Unter Sprachkompetenz versteht Eugenio Coseriu (2007) „[…] das Wissen, das die Sprecher beim Sprechen und bei der Gestaltung des Sprechens anwenden“ (Coseriu 20072, 1). Als Synonyme verwendet er u. a. die Begriffe „Sprechenkönnen“, „Fähigkeit zum Sprechen“ oder „sprachliches Wissen“ (ebd., 187)13. Diese allgemeine Definition von Sprachkompetenz soll im Folgenden weiter konkretisiert werden. So lässt sich nach Susanne Roux (2005) Sprache als Kompetenzbündel in „[…] das Sprachverständnis einer Person, ihre Sprechfähigkeit, ihre Aussprache, die Stimme, den Klang [sowie] die Gestik und Mimik“ (Roux 2005, 7; Zus. v. J.P.) unterteilen. Auch Sabine Weinert et al. (2008) definieren Sprachkompetenz als das Zusammenspiel der verschiedenen Sprachkomponenten (rhythmisch-prosodisch, phonologische, morphologische, syntaktische, lexikalisch-semantische sowie pragmatische) (vgl. Weinert et al. 2008, 97f.). In Anlehnung an den Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (2006) soll Sprachkompetenz im Folgenden als ein funktionaler und dynamischer Kompetenzbegriff aufgefasst werden. Sprachkompetenz beinhaltet hier zum einen Dimensionen wie Artikulation, Wortschatz, Grammatik, Sprachverständnis und kommunikative Kompetenz, und zum anderen wird beachtet, wie das Kind mit neuen sprachlichen Herausforderungen umgeht (vgl. das Anwenden von Wissen und Können in unvorhersehbaren Situationen), und in welchen Situationen die Sprachkompetenz erweitert werden kann. Wie noch zu zeigen sein wird, können hier u. a. die Fingerspiele zur sprachlichen Anregung und zur Erweiterung der Sprachkompetenz eingesetzt werden. Die Entwicklung der Sprachkompetenz ist dabei nicht auf die verbalen Äußerungen zu reduzieren, sondern bezieht sich des Weiteren auf die nonverbalen Aspekte der Kommunikation, die Motivation und Fähigkeit zum Dialog (vgl. Dimension des sozialen Austauschs) sowie die Entwicklung von Literacy14. Der Begriff „Literacy“ verweist hinsichtlich der frühen Kindheit vor allem auf die vielfältigen Erfahrungen rund um die Erzähl-, Reim-, Buch-, und Schriftkultur. Auch durch Fingerspiele entwickeln Kinder literacy-bezogene Kompetenzen, die einen wesentlichen Beitrag zum Spracherwerb leisten sowie die sprachliche Abstraktionsfä- higkeit anregen und schriftsprachliche Kompetenzen fördern (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 208). Auf eine nähere Einordnung der Fingerspiele in die Sprachumwelt von Kindergärten sowie nähere Ausführungen zur Literacy erfolgen im dritten Kapitel.

Ziel der Förderung der Sprachkompetenz ist es, den Kindern Freude und Interesse am Sprechen und am Dialog zu vermitteln. Die Kinder sollen lernen, aktiv zuzuhören und die Fä- higkeit erlangen, ihre Gefühle und Gedanken verbal sowie nonverbal angemessen auszudrü- cken. Ferner sollten die Kinder literacy-bezogene Kompetenzen erwerben sowie ein sprachliches und auch mehrsprachiges Bewusstsein erreichen (vgl. ebd., 209f.). Des Weiteren ist der Sprachkompetenz aufgrund ihrer Funktion für das Anstoßen von höheren kognitiven Prozessen in der Bildungsarbeit besondere Aufmerksamkeit zu widmen (vgl. Holler 20072, 27). Sie wird dabei nicht als isolierte Fähigkeit erworben, sondern ist stets in soziale Kommunikationen bzw. Interaktion und Handlungen eingebunden, die für Kinder einen Sinn ergeben. Deshalb sollte die Unterstützung der sprachlichen Kompetenz als durchgängiges Prinzip im kommunikativen Alltag von Kindergärten begriffen werden. Sie durchzieht alle anderen Bildungsbereiche im pädagogischen Alltag und sollte stets mit berücksichtigt werden15 (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frau-en, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 209f.; Schäfer 2003, 18; Holler 20072, 25). Der Erzieherin/dem Erzieher kommt hier als sprachliches Vorbild und als Interaktionspartner/in eine hervorragende Rolle zu. Sie/er sollte sich Zeit für das Gespräch nehmen, zu dem Kind Blickkontakt herstellen, sich an die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes anpassen, das Kind ausreden lassen sowie eine angemessene authentische Sprache verwenden (vgl. Jeuk 2004, 17; Burger-Gartner et al. 2006, 23). Weitere Hinweise zum Verhalten der Erzieherin/des Erziehers in der Interaktion werden im fünften Kapitel gegeben.

Die Annäherung an den Begriff „Sprachkompetenz“ hat bereits gezeigt, wie vielschichtig und komplex das Phänomen Sprache aufzufassen ist. Zur Erweiterung der Sprachkompetenz junger Kinder müssen die verschiedenen sprachlichen Dimensionen berücksichtigt werden. Sprachliche Aktivitäten mit ganzheitlichem Ansatz sollten die Kinder zum eigenaktiven Gebrauch von Sprache anregen, denn auch der Spracherwerb ist ein hochkomplexer Vorgang, der mit der körperlichen, emotionalen und geistigen Entwicklung verflochten ist und nicht losgelöst vom sozialen Kontext betrachtet werden kann (vgl. Butzkamm/Butzkamm 20042, 13f.).

3.2. Spracherwerb

Der kindliche Spracherwerb1617 beginnt lange vor dem ersten Wort, im Grunde schon vor der Geburt. Auf das Erlernen einer Sprache nehmen bereits genetische Dispositionen sowie die soziale und kulturelle Umwelt einen erheblichen Einfluss. Das Neugeborene besitzt von Geburt an einen Drang zur Exploration, sucht von der ersten Stunde an den Kontakt zu seiner Bezugsperson und zeigt eine hohe Motivation hinsichtlich der Interaktion (vgl. Whitehead 2004, 297; Dornes 1995, 39ff.; Papoušek 1994, 16ff.; Hellrung 20043, 12). Das Gehirn ist schon im Säuglingsalter auf das Erlernen und Verstehen von Sprache eingestellt (vgl. Blakemore/Frith 2006, 61). Neben diesen genetischen Anlagen kommt der Qualität und Quantität der Inputsprache eine große Bedeutung zu. Ein akzeptierender Interaktionsstil der Bezugspersonen (vgl. Kapitel 5.1), der durch die Referenz auf das jeweilige Thema sowie durch neugierige und interessierend wirkende Fragen gekennzeichnet ist, sorgt für langfristige, kognitive Fortschritte im Spracherwerb (vgl. Szagun 19966, 216ff.).

Kinder erwerben ihre Muttersprache, indem sie anderen Menschen zuhören, wie sie kommunizieren und indem sie das nachahmen, was sie hören, um selbst interagieren zu können (vgl. Blakemore/Frith 2006, 70). Sie bilden ihre eigenen Regeln und Hypothesen, gleichen diese mit dem Input ihrer Interaktionspartner ab, und revidieren einzelne Hypothesen gelegentlich wieder. „Sprache ist [somit] ebenso Stammeserbe wie kindliche Selbstschöpfung“ (Butzkamm/Butzkamm 20042, 243; Zus. v. J.P.). Der Spracherwerb vollzieht sich infolgedessen einerseits durch die Eigenaktivität des Kindes, und andererseits im Dialog und in persönlichen Beziehungen. Er ist an das kindliche Interesse gebunden sowie an die Handlungen, die für Kinder einen Sinn ergeben (vgl. Schäfer 2003a, 172f.; Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 207). „Das Erlernen der Sprache ist in soziale Kontexte und soziales Handeln eingebettet und gewinnt aus dem ‚Mit-Worten-Handeln-Wollen’ seine Formen und Bedeutungen“ (Laewen 2002, 90). Wie sich der Spracherwerb konkret gestaltet wird allerdings noch immer kontrovers diskutiert. Je nach Spracherwerbstheorie stehen die angeborenen Mechanismen (Nativismus), die Interaktion (Interaktionismus) oder die kognitive Entwicklung als Motor des Spracherwerbs (Kognitivismus) im Vordergrund18. Um die größtmögliche Übereinstimmung zu erreichen, gehen die folgenden Ausführungen in Anlehnung an Hannelore Grimm und Sabine Weinert (2002) vom Spracherwerb als impliziten, unbewussten Lernprozess aus, bei dem innere Voraussetzungen und Mechanismen des Kindes und äußere Lernbedingungen sich wechselseitig beeinflussen (vgl. Grimm/Weinert 20025, 520).

Im Folgenden sollen die wichtigsten Phasen19 im Spracherwerb aufgezeigt werden. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass die Kinder diese Phasen unterschiedlich schnell und nicht immer chronologisch erwerben. Dennoch lässt sich eine relative Chronologie von Erwerbsphasen aufweisen, die die Kinder durchlaufen (vgl. Butzkamm/Butzkamm 20042, 247). Die aufgeführten Jahreszahlen sind dabei lediglich ungefähre Angaben und dürfen nicht als Altersnormen verstanden werden (vgl. Szagun 19966, 30). Die sprachliche Entwicklung wird entlang des Lebensalters im Hinblick auf die fünf Dimensionen von Sprache (Dimension des sozialen Austauschs, Dimension der Bedeutung, Dimension der Aussprache, Dimension der Grammatik, Dimension der Prosodie und Rhythmik) beschrieben, wobei sich diese parallel entwickeln und ineinandergreifen (vgl. Fendrich 2000, 58)20. Im Folgenden werden schwerpunktmäßig die ersten vier Jahre des Spracherwerbs betrachtet, da dies die primäre Zeit des Spracherwerbs ist (vgl. Grimm 1999, 40).

Bereits im ersten Lebensjahr verfügt das Kind über beträchtlich mehr Kompetenzen als in den letzten Jahrzehnten noch angenommen wurde. Schon vorgeburtlich hat das Neugeborene ein differenziertes Wissen über die Laute und Gliederungsstruktur seiner Muttersprache, wie z. B. den Sprachrhythmus und Sprachmelodie, erworben (vgl. Weinert et al. 2008, 95). Kinder lernen vor der Geburt im Mutterleib den Klang ihrer Sprache kennen und sind, wenn sie auf die Welt kommen, mit dieser vertraut (vgl. Butzkamm/Butzkamm 20042, 5ff.). Bevor das Kind nach der Geburt mit dem Sprechen beginnt, hat es bereits kommunikative Kompetenzen erworben. So kann es schon früh über Mimik und Gestik sowie mit stimmlichen Mitteln - wie etwa dem Schreien - erste Intentionen ausdrücken (vgl. Motsch 2004, 13f.; Papoušek 1994, 16). Daran schließen mit etwa sechs bis acht Wochen die sogenannten „Gurrlaute“ (Papoušek 1994, 72; Grimm/Weinert 20025, 525) an, bevor mit drei bis vier Monaten die „Phase der stimmlichen Expansion, die Phase des Spiels mit der Stimme“ (Klann-Delius 1999, 23), erfolgt. In dieser Zeit überwiegt der Gebrauch von Vokalen gegenüber dem Gebrauch von Konsonanten. Mit circa sechs bis neun Monaten beginnt dann die „Phase des Babbelns“ (ebd., 23) bzw. die Phase des „Plapperns“ (Papoušek 1994, 72), in der erstmals Konsonanten mit Vokalen kombiniert und systematisch produziert werden. Mit der Zeit erhöht sich der Konsonantenanteil, und die Silben bestehen häufig aus der Paarung von Konsonant und Vokal („ba“, „da“) sowie kurz darauf deren Verdoppelung („dada“, „mama“). In der Literatur wird diese Phase auch häufig als „Lallphase“ (Grimm/Weinert 20025, 525; Fendrich 2000, 59; Wendlandt 20065, 31) bezeichnet.

Im zweiten Lebensjahr verwendet das Kind neben den Vokalen die Laute „m“, „b“, „p“ und „n“ und beginnt mit der gezielten Lautbildung in der Wortproduktion (vgl. Fendrich 2000, 62; Wendlandt 20065, 31). Es bildet darüber hinaus die ersten Wörter (vgl. Papoušek 1994, 72; Klann-Delius 1999, 22ff.; Hellrung 20043, 30; Grimm/Weinert 20025, 525). Das Kind fängt an, seine Handlungen mit Sprache zu begleiten und erschließt sich die Inhaltsfunktion der Sprache. Langsam begreift es, dass gewisse Lautklanggebilde für bestimmte Gegenstände in der Welt stehen. In der Phase der Einwortäußerungen werden die Lautfolgen mit Inhalten verbunden und vor allem Dinge benannt, die sichtbar oder mit einer Handlung bzw. Bewegung verbunden sind (vgl. Fendrich 2000, 60; Motsch 2004, 14; Füssenich 19994, 74). Sprache ist in dieser Erwerbsphase noch augenblicksgebunden. Die Syntax oder die Lautgestalt der Wörter nehmen für Kinder erst später Einfluss (vgl. Blakemore/Frith 2006, 45; Sozialpädagogisches Institut NRW – Landesinstitut für Kinder, Jugend und Familie 2002, 34). Die Bedeutung der Wörter erschließt sich das Kind durch individuelle Erfahrungen und Erlebnisse (vgl. Jampert 2002, 24). Es verwendet zunächst vor allem Lexeme der offenen Klasse (u. a. Substantive und Verben), deren Bedeutungen sich leichter erschließen lassen als die der Lexeme der geschlossenen Klasse (u. a. Modalverben, Präpositionen, Konjunktionen) (vgl. Tracy 2007, 68). Mit etwa 1 ½ Jahren kommen zu den Lauten die Konsonanten „w“, „f“, „t“ und „d“ hinzu (vgl. Fendrich 2000, 62). Die Kinder beherrschen nun etwa 50 Wörter und lernen neue Wörter ab diesem Zeitpunkt sehr viel schneller (vgl. Grimm/Weinert 20025, 525; Füssenich 19994, 74)21. Der rasante Anstieg von Wörtern ab der Mitte des ersten Jahres wird auch als „Vokalspurt“ (Dittmann 2002, 40; Szagun 19966, 101) oder „Wortexplosion“ (Grimm 1999, 36) bezeichnet22. Der passive Wortschatz ist dem aktiven zu dieser Zeit bereits weit voraus und enthält etwa 500 Wörter (vgl. Szagun 19966, 101).

Der Wortzuwachs ermöglicht den Kindern anschließend die Produktion von grammatischen Formen. „Innerhalb der ersten 4-5 Lebensjahre vollbringen Kinder die beeindruckende Leistung, das komplexe morphologisch-syntaktische System der jeweiligen Muttersprache weitgehend zu beherrschen“ (Kolonko 20012, 76). So beginnt das Kind in der Zeit zwischen 1 ½ Jahren und zu Beginn des dritten Lebensjahres, Wörter miteinander zu kombinieren. Die produzierten Zweiwortäußerungen weisen besonders semantische Funktionen auf und markieren z. B. das (Nicht-)Vorhandensein („da auto“), den Besitzer und Besitz („dani tasse“), den Handlungsträger und die Handlung („opa essen“) oder verbinden das Objekt mit einer Handlung („musik haben“) (vgl. Szagun 19966, 31ff.). In der Zeit zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren machen die Kinder im Spracherwerb im Gegensatz zu den vorangegangenen Einund Zweitwortäußerungen einen gewaltigen Fortschritt (vgl. Butzkamm/Butzkamm 20042, 255). Die Zeit zwischen zwei und drei Jahren wird auch als frühgrammatische Phase bezeichnet (vgl. Fendrich 2000, 63). Die Kinder bilden nun neben Einwortund Zweiwortäußerungen bereits Dreiund Mehrwortäußerungen. Sie verwenden häufig korrekte Pluralformen, Hilfsund Modalverben, bilden erste Vergangenheitsformen und Zukunftsformen mit „werden“, lernen die wichtigsten Verbstellungsregeln und erwerben die Verneinung mit „nicht“ (vgl. Szagun 19966, 32ff.). Darüber hinaus beginnt das Kind, Fragen mit Fragewörtern zu bilden und leitet erste Regeln zur Konjugation und Deklination ab23. Im Hinblick auf die Dimension der Aussprache beginnt das Kind, schwierige Lautverbindungen wie „kn“ und „bl“ zu verwenden. Die Dreifachkonsonantenverbindungen wie z. B. „pfl“ bei Pflaume fallen ihm noch schwer zu artikulieren. Der Wortschatz wächst in dieser Zeit weiter an (vgl. Fendrich 2000, 63).

Im vierten Lebensjahr lernen die Kinder, wie verschiedene Begriffe zueinander in Beziehung stehen. Ihr Wortschatz erweitert sich, indem sie sich Wortfelder und Sinnbereiche erschließen (vgl. Leuckefeld 2006, 32). Trotzdem ist die Begriffsentwicklung bei Kindern bis zum vierten Lebensjahr noch stark von dem abhängig, „[…] was sie selbst erleben und wo sie selbst tätig werden können“ (Völkel 2002, 151). Im Hinblick auf die lautliche Entwicklung fehlen nur noch schwierige Lautverbindungen wie z. B. die Zischlaute („sch“ und „s“) sowie die Laute „g“ und „k“, die den Kindern häufig Schwierigkeiten bereiten (vgl. Fendrich 2000, 64; Kolonko 20012, 73; Wendlandt 20065, 31). In der Grammatikentwicklung sind sie zwischen dem dritten und vierten Jahr bereits zu komplexeren Sätzen fortgeschritten. Sie reihen Hauptsätze aneinander und bilden die ersten Nebensätze (vgl. Leuckefeld 2006, 34f.). Das bedeutet allerdings nicht, dass ab dem dritten Lebensjahr keine Einoder Zweiwortäußerungen mehr vorkämen. Vielmehr tauchen Elemente aus früheren Phasen auch in späteren Phasen immer wieder auf (vgl. Dittmann 2002, 53).

Im fünften Lebensjahr erwerben Kinder erste textstrukturelle Mittel und sind in der Lage inhaltlich und formal zusammenhängend zu erzählen (vgl. Leuckefeld 2006, 35). Gedankengänge können nun variierend ausgedrückt werden, und die Grammatik wird weitestgehend beherrscht. Nur schwierige Formen, wie z. B. das Passiv, werden in der Regel erst nach dem sechsten Lebensjahr erlernt (vgl. Fendrich 2000, 64). Der aktive Wortschatz beträgt bis zum Ende des sechsten Jahres 5000 Wörter (vgl. Füssenich 19994, 80). Mit fünf bis sechs Jahren können die Kinder in der Regel auch alle Laute ihrer Sprache bilden und haben die Regeln des Lautsystems vollständig erworben. Mit sechs Jahren werden ferner die Kommunikationsregeln sicher beherrscht (vgl. Hellrung 20043, 32ff.)24.

Für die Förderung des kindlichen Spracherwerbs müssen den Erzieher/innen die wichtigsten Phasen des Spracherwerbs geläufig sein. Darüber hinaus setzt eine sinnvolle Förderung die genaue Beobachtung des individuellen Sprachstands des Kindes voraus. Nur so können sprachliche Aktivitäten bewusst mit dem Kind durchgeführt und die Sprachkompetenz erweitert werden. Der Spracherwerbsstand25 kann u. a. unter Zuhilfenahme verschiedener sprachdiagnostischer Mittel26 festgestellt werden, wobei die Komplexität des Spracherwerbs berücksichtigt bleiben muss, denn „das Wunder der Sprache ist vierfach: das Wunderwerk des Hörens, das Wunderwerk der menschlichen Stimme [mit ihren motorischen Höchstleistungen], das Symbolvermögen und das Wunderwerk der Grammatik“ (Butzkamm/Butzkamm 20042, 260; Zus. v. J.P.; im Orig. teilw. hervorgeh.).

Die verschiedenen Entwicklungen innerhalb des Spracherwerbs sowie dessen Einbettung in die gesamte Entwicklung des Kindes verweisen auf die Komplexität dieses Geschehens. Dies verdeutlicht, dass der Spracherwerb nicht punktuell gefördert werden kann, sondern in seiner Komplexität in der alltäglichen Kommunikation aufgegriffen werden muss.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1: Der Zusammenhang zwischen dem aktuellen Bildungsansatz und dem Bildungsbereich Sprache(n)

4. Die Bedeutung der ganzheitlichen Sprachförderung

Die markanten Thesen sowohl der Bildungsdiskussion als auch von sprachentwicklungs-psychologischen Ergebnissen machen deutlich, dass für Sprachförderung zum einen der Bezug zur individuellen Entwicklung der Kinder unumgänglich ist, zum anderen kann als entscheidende Voraussetzung zum Erwerb neuer Fähigkeiten die Aktivität des Kindes in einer anregungsreichen Umwelt festgehalten werden. Beide Prinzipien lassen sich in den Grundannahmen der ganzheitlichen Ansätze wieder finden. Es gilt sie zukünftig durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu erweitern und zu untermauern (Zehnbauer/Jampert 20072, 34).

Sprache muss, berücksichtigt man die vorangegangenen Ausführungen, aus einer ganzheitlichen Sicht als Querschnittsaufgabe im Alltag von Kindergärten wahrgenommen und gefördert werden (vgl. Jampert et al. 2006, 9ff.). Die teilweise als altmodisch bezeichneten Fingerspiele scheinen demnach in der aktuellen Diskussion um Sprachförderung und sprachliche Bildung wieder an Aktualität zu gewinnen. Im Hinblick auf die Begriffe Sprachförderung und sprachliche Bildung lässt sich in der Fachliteratur derzeit keine einheitliche Verwendung finden. So definiert Lilian Fried (2006) Sprachförderung ganz allgemein als die „[…] positive Beeinflussung der Sprachentwicklung von Kindern“ (Fried 2006, 173). Karin Jampert et al. (2007) verstehen unter Sprachförderung zum einen alle sprachlichen Aktivitäten mit den Kindern, und zum anderen die Diagnose von sprachlichen Defiziten und deren Behebung. Sprachliche Bildung hingegen zielt im Sinne eines ressourcenorientierten Konzeptes auf Sprache als einen Teil der allgemeinen Persönlichkeitsbildung (vgl. Jampert et al. 20072, 11). Der Begriff sprachliche Bildung steht dabei mit dem Begriff der ganzheitlichen Sprachförderung in einem engen Zusammenhang. Auch bei der ganzheitlichen Sprachförderung werden alle Entwicklungsbereiche reflektiert, die den Spracherwerb beeinflussen, fundieren bzw. ausmachen (vgl. Fried 2006, 173). So haben auch nach Anne Zehnbauer und Karin Jampert (2007) ganzheitliche Ansätze ihr Profil u. a. aus der sprachlichen Bildung entwickelt (vgl. Zehnbauer/Jampert 20072, 36). In Anlehnung an die von Joachim Laewen (2002) vorgenommene Differenzierung von Bildung und Erziehung, können auch die Begriffe „sprachliche Bildung“ und „Sprachförderung“ in ähnlicher Weise differenziert werden. Sprachliche Bildung vollzieht sich dann vor allem durch die Selbstbildung und Selbsttätigkeit des Kindes. Erziehung im Sinne von Sprachförderung, ist demnach die Unterstützung sowie die Herausforderung der kindlichen Konstruktionen durch die Gestaltung der Umwelt des Kindes und der Gestaltung der Interaktionen bzw.

[...]


1 Im Folgenden wird der Begriff „Kindergarten“ als Sammelbezeichnung für die unterschiedlichen Organisationsformen in der Elementarpädagogik verwendet, in denen vorschulische institutionelle Erziehung gegenwärtig stattfindet. Die Verwendung des Begriffs „Kindergarten“ bezieht sich auf Friedrich Fröbel und seine Gedanken zur vorschulischen Bildung. Die Auswahl des Begriffs rechtfertigt sich dadurch, dass Fröbel bereits einige Kerngedanken der heutigen Bildungsdiskussion formulierte (z. B. der Gedanke der Selbstbildung) und des Weiteren die Fingerspiele u. a. durch seine Mutterund Koselieder geprägt wurden (vgl. Kapitel 3).

2 Die Elementarpädagogik ist ein Teilbereich der Pädagogik und des erzieherischen Handelns, die sich mit der Bildung, Betreuung und Erziehung der unter 6-Jährigen und den jeweiligen Institutionen (hier: Kindergarten als Sammelbegriff) befasst. Im engen Sinne bezieht sich der Elementarbereich sowie die Elementarerziehung speziell auf die 3-6-Jährigen. Die Elementar pädagogik fragt nach den allgemeinen Voraussetzungen sowie den Grenzen und Möglichkeiten erzieherischen Handelns und reflektiert Aspekte der Handlungsleitung, die Erziehungsmittel sowie die Erziehungsziele im Hinblick auf den Elementarbereich (vgl. Aden-Grossmann 20025, 254f.; Didaktisches Wörterbuch 20013, 266f.).

3 Die Interaktion bildet nach Sigrid Nolda (2000) einen Unterbegriff von Kommunikation (vgl. Nolda 2000, 9). Bei der Interaktion handelt es sich im Gegensatz zur Kommunikation um eine wechselseitig verschränkte Beziehung (vgl. Frey/Schnabel 1999, 170; Fliedner 2004, 30; Nolda 2000, 9). Die Begriffe sollen in ebendieser Beziehung von Oberund Unterbegriff im Folgenden verwendet werden.

4 Der soziale Konstruktivismus ist dabei vom radikalen Konstruktivismus abzugrenzen. Letzterer vertritt die Auffassung, dass sich jeder Mensch ein individuelles Bild von der Welt erschafft und man somit keine Aussagen über die Realität treffen kann. Der soziale Konstruktivismus hingegen geht davon aus, dass der Mensch Erkenntnisse über die Welt im sozialen Diskurs erlangt und Wirklichkeit somit gemeinsam mit anderen konstruiert (vgl. Siebert 2004, 1ff.; Lindemann 2006, 22ff.). Laut der Auffassung der Sozialkonstruktivisten sind das Individuum und seine Welt miteinander verbunden. Die Gesellschaften erzeugen ihrerseits selbst Wirklichkeiten, in denen die Individuen aufwachsen, und werden gleichzeitig von ebendiesen konstruiert. „Der Mensch ist - um an K. Marx zu erinnern - das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse; und die Gesellschaft ist ein Produkt menschlichen Denkens, Handelns und Unterlassens“ (Siebert 2004, 4).

5 Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen (vgl. Blakemore/Frith 2006, 35).

6 Das heißt allerdings nicht, dass die Kinder in den ersten drei Jahren mit Angeboten überfordert werden sollten. Die Untersuchungen in der Neurowissenschaft haben gezeigt, dass natürliche Umwelten genügend Anreize bieten und die Vernetzung im Gehirn mit drei Jahren auch noch nicht beendet ist (vgl. Reich 2005, 102f.).

7 Zur näheren Betrachtung von Qualität als relativistisches Produkt sei hier auf Lilian Katz (1996) verwiesen.

8 Die KES sowie ihre revidierte Fassung (KES-R) erfassen die globale Prozessqualität vorschulischer Betreuung und Erziehung. Die Skala weist auch in der revidierten Fassung verschiedene Subskalen, wie z. B. Platz und Ausstattung, Betreuung und Pflege der Kinder, Aktivitäten, Interaktionen u. Ä. auf (vgl. Tietze 2005, 8). Durch die umfangreiche Perspektive auf die Prozessqualität (zum einen räumlich-materielle Aspekte und zum anderen soziale Aspekte der Interaktion) wird die konkrete Struktur der Interaktion allerdings vernachlässigt. Erzieher/innen erfahren daher nicht, wie sie ihr Interaktionshandeln verbessern können (vgl. König 2005, 55). Die KES-R bietet auch nach Lilian Fried und Eva Briedigkeit (2008) zu undifferenzierte Anhaltspunkte (vgl. Fried/Briedigkeit 2008, 13).

9 Da gerade der Erzieher/in-Kind-Interaktion ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, wäre es von besonderer Relevanz, das pädagogische Handeln der Erzieher/innen zu professionalisieren. Der Bereich der Interaktion und die Sensibilisierung für die Gelegenheitsstrukturen für kindliche Lernund Bildungsprozesse müssen verstärkt mit in die Ausbildungskonzepte aufgenommen werden (vgl. König 2006, 289).

10 Eine genauere Definition der Begriffe Phonologie, Phonetik, Syntax, Morphologie, Semantik, Lexik und Pragmatik erfolgt im vierten Kapitel.

11 Chomsky grenzt dabei den Begriff der Kompetenz gegenüber dem der Performanz, der Sprach verwendung, ab (vgl. Lexikon der Sprachwissenschaft 20023, 357). Die Performanz ist sozusagen die Durchführung der Kompetenz (vgl. Coseriu 20072, 59). Er bezieht sich mit den Begriffen Kompetenz vs. Performanz auf die von Ferdinand de Saussure getroffene Unterscheidung zwischen langue, womit er die Einzelsprache bezeichnet, und parole, das im Deutschen mit „Rede“ übersetzt wird (vgl. Coseriu 20072, 3).

12 Während Chomsky die Kompetenz in den Vordergrund der Betrachtung stellt und die Performanz lediglich als die Durchführung der Kompetenz sieht, plädiert Eugenio Coseriu (2007) dafür, die Tätigkeit des Sprechens in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen (vgl. Coseriu 20072, 57ff.).

13 Zur vertiefenden Lektüre einer linguistischen Herangehensweise an eine Theorie der Sprachkompetenz sei hier auf Eugenio Coseriu (20072) verwiesen.

14 Da es für den Begriff „Literacy“ keinen entsprechenden deutschen Begriff gibt, wird im Folgenden der englische Begriff weiter verwendet (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006, 208).

15 Karin Jampert et al. (2007) würden hier von sprachlicher Bildung im Sinne eines ressourcenorientierten Konzeptes, das auf Sprache als einen Teil der allgemeinen Persönlichkeitsbildung zielt, sprechen (vgl. Jampert et al. 20072, 11). Eine weitere Annäherung an die Begriffe Sprachförderung und sprachliche Bildung wird im nächsten Kapitel vorgenommen.

16 Die folgenden Ausführungen zum Spracherwerb beziehen sich auf den Erwerb der Muttersprache.

17 Im Folgenden wird im Hinblick auf das aktuelle Bildungsverständnis der Begriff Spracherwerb dem der Sprachentwicklung vorgezogen, da bei diesem der Akzent stärker auf das selbsttätige, aktive Moment gelegt wird. Während bei der Sprachentwicklung die Entfaltung einer biologischen Disposition im Vordergrund steht, bekommt beim Spracherwerb die eigene produktive Aneignung des Kindes mehr Gewicht (vgl. Volmert 20055, 207).

18 Einen Überblick zu den unterschiedlichen Spracherwerbstheorien sind bei Klann-Delius (1999), S. 50ff. zu finden.

19 In Anlehnung an Harald Clahsen (1986) wird im Folgenden vor allem der Begriff Entwicklungs phase anstatt dem der Entwicklungssequenz bzw. –stufe verwendet. Die kindliche Entwicklung soll „[…] nicht mehr nur isoliert den Erwerb oberflächenstruktureller Formen für eng umgrenzte grammatische Teilbereiche, z. B. Negationswörter […] beschreiben, […] sondern Entwicklungszusammenhänge zwischen verschiedenartigen sprachlichen Ausdrucksmitteln [aufdecken]“ (Clahsen 1986, 13; Zus. v. J.P.). Die festgestellten Formen im Laufe des Erwerbs wurden in einigen Untersuchungen direkt als Entwicklungssequenzen bzw. -stufen aufgefasst, und es blieb unberücksichtigt, dass die Teilbereiche nicht isoliert voneinander zu betrachten sind. Um den Zusammenhang sowie die Wechselwirkung der Teilkomponenten zu verdeutlichen, wird daher der Begriff der Erwerbsphase verwendet, in der durchaus distinkte Entwicklungsstufen zu einer Erwerbsphase zusammengefasst werden können (vgl. ebd., 13f.).

20 Ein tabellarischer Überblick zu den einzelnen Spracherwerbsphasen ist im Anhang hinterlegt.

21 Dabei kommt es bei einbis zweijährigen Kinder häufig zur Überdiskriminierung und zur Überdehnung bzw. Übergeneralisierung der Bedeutung von Wörtern. Bei der Überdiskriminierung ist z. B. nur der rote BMW ein Auto. Der Bedeutungsumfang des Wortes „Auto“ ist in diesem Fall enger als in der Erwachsenensprache. Zur Überdehnung kommt es, wenn Kinder z. B. „wauwau“ für alle Tiere verwenden, die vier Beine haben und nicht nur für Hunde (vgl. Dittmann 2002, 38f.; Leuckefeld 2006, 32f.).

22 Im Hinblick auf den aktuellen Bildungsansatz erscheint der Begriff „Vokabelspurt“ angemessener, da er die Aktivität des Subjekts bzw. die Selbstbildung hervorhebt. Daher wird im Folgenden der Begriff „Vokabelspurt“ weiterverwendet.

23 Der Begriff Deklination steht für die Flexion (Beugung) von Nomen, wohingegen der Begriff Konjugation die Flexion des Verbs bezeichnet (vgl. Lexikon der Sprachwissenschaft 20023, 218).

24 Einen vertiefenden Einblick zum Spracherwerb gibt Jürgen Dittmann (2002).

25 Einen Überblick zu verschiedenen Sprachstandserhebungsverfahren geben Jampert et al. (20072), S.67-73.

26 Beim Einsatz solcher sprachdiagnostischen Hilfsmittel muss vorerst überprüft werden, ob sie bestimmten sprachtheoretischen, frühpädagogischen und messtechnischen Standards genügen. Lilian Fried (2004) hat in ihrer Expertise speziell Verfahren untersucht, die von Erzieher/innen eingesetzt werden können. Jedoch mangelt es bis jetzt an Verfahren, die die Kommunikationsfähigkeit von Kindern einschätzen können. Nutzbringend sind solche Verfahren vor allem, um drohende Sprachoder Schriftsprachentwicklungsstörungen zu erkennen und diese gezielt zu fördern, oder um Schwierigkeiten beim Erlernen der Erstund Zweitsprache festzustellen (vgl. Fried 2006, 176).

Ende der Leseprobe aus 115 Seiten

Details

Titel
Die Aktualität von Fingerspielen in der Elementarpädagogik und ihre Bedeutung für die Erweiterung der Sprachkompetenz junger Kinder
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
115
Katalognummer
V116510
ISBN (eBook)
9783640183500
ISBN (Buch)
9783640183715
Dateigröße
1543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aktualität, Fingerspielen, Elementarpädagogik, Bedeutung, Erweiterung, Sprachkompetenz, Kinder
Arbeit zitieren
Janine Pollert (Autor:in), 2008, Die Aktualität von Fingerspielen in der Elementarpädagogik und ihre Bedeutung für die Erweiterung der Sprachkompetenz junger Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116510

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