Zu: Mai und Beaflor: Dreißig Schwerter sollte man durch dich stechen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Werk und Inhalt
2.1 Werk und Edition
2.2 Die Erzählung

3. Der Bezugsrahmen
3.1 Die feudale Ordnung und das dreifache Vertrauen
3.2 Eine Fremde – das geht doch nicht (Beaflor vs. Eliacha)

4. Und dazwischen: Boten
4.1 Zwei Boten
4.2 Was Boten und Botschaft beeinflussen kann

5. Und wozu das Ganze?
5.1 Grenzen der Kommunikation und Konfusion
5.2 Wandel der Botenrolle
5.3 Didaktischer Nutzen

6. Resümee

7. Quellen- und Darstellungsverzeichnis

1. Einleitung

In vino veritas heißt es, doch schon so mancher wachte nach einer durchzechten Nacht auf und konnte sich danach nicht mehr an alles erinnern. Aber auch die Variante, jemanden mit gutem Wein zu traktieren, hat vielfach Anwendung gefunden, so zum Beispiel im Roman Mai und Beaflor eines anonymen Autors aus dem späten 13. Jahrhundert. Darin macht ein Bote mit Briefen einen verhängnisvollen Umweg und trägt danach ausgetauschte Schreiben mit sich. Dies alles lässt fraglich erscheinen, ob im Wein denn wirklich so viel Wahrheit liege.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Gegebenheiten der Fernkommunikation, wie sie in Mai und Beaflor verhandelt werden. Dabei wird nach einigen Bemerkungen zu Text und Edition und einer kurzen Wiedergabe der Handlung der Referenzrahmen beleuchtet, in dem im Roman und der entsprechenden Zeit kommuniziert wurde. Fragen vom Vertrauen, aber auch vom feudalen System und wer darin wie wirkt, sind im Folgenden Gegenstände der Betrachtung. Da der Verfehlung eines Boten eine ganze Kette von tatsächlichen oder beinahe stattfindenden Unglücken folgt, werden die beiden auftretenden Boten in einem eigenen Kapitel ‚gewürdigt’. Aus den beschriebenen Schwierigkeiten der Fernkommunikation im Mittelalter werden anschließend Überlegungen zu Schwierigkeiten und Grenzen der Botschaftsübertragung und den verschiedenen Möglichkeiten der Konfusion abgeleitet. Den Schluss bilden Betrachtungen zum Wandel der Rolle des Boten und der Frage, welchen Effekt der Text beim zumeist adligen Publikum mutmaßlich bewirken sollte.

Armin Schulz stellt zwar fest, dass das Interpretationspotential des Textes Mai und Beaflor bei weitem noch nicht ausgeschöpft sei, doch zumindest ist die Literaturlage nicht allzu angespannt, da gerade Fragen nach Kommunikation, Beziehungsführung, Nachrichtenübertragung und Herrschaftspraxis im feudalen Kontext verschiedentlich das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben. So arbeitet diese Darstellung unter anderem mit Texten von Werner Röcke, Horst Wenzel, Armin Schulz und Ingrid Kasten, in denen mal der eine, dann der andere Aspekt aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird.

Das im vergangenen Jahr von Albrecht Classen eine Neuedition mit umfangreichem Kommentar und weiterführenden Überlegungen vorgelegt worden ist,[1] kann der Diskussion um Mai und Beaflor neuen Schwung geben. Dies gilt umso mehr, da diese Edition nicht unwidersprochen blieb, da Classens sehr freie Übersetzung Debatten über einzelne Aspekte gerade herausfordert.

2. Werk und Inhalt

2.1 Werk und Edition

Mai und Beaflor ist ein mittelhochdeutscher Versroman von 9600 Versen Umfang und einem anonymen Verfasser. Ingrid Kasten gibt als Entstehungszeitraum die Jahre 1270 bis 1280 an,[2] der Herkunftsort wurde von Werner Fechter in der Steiermark verortet.[3] Erhalten ist das Werk in zwei bairisch-österreichischen Handschriften.[4]

Lange Zeit war eine anonym erschienene Leseausgabe aus dem Jahre 1848[5] die einzige Edition des Textes, bis im vergangenen Jahr Albrecht Classen eine Neuedition und Übersetzung vorlegte, die nicht nur auf ungeteilte Zustimmung stieß.[6] Obwohl Classen eine neue durchlaufende Verszählung einführt, lässt er die alte Zählweise in vierziger Blöcken am anderen Editionsrand fortbestehen. Diese ist in der Forschungsliteratur zu Mai und Beaflor aufgrund der lange Zeit dürftigen Editionslage[7] bislang ausschließlich genutzt worden. Da die Classen-Edition „nur bedingt einen zuverlässigen Text“[8] bereitstellt, wird im Verlauf dieser Arbeit auf die Edition von 1848 zurückgegriffen, die zudem im Internet als gescannte Vorlage bereitsteht. Inhaltlich lehnt sich der Roman stark an das Crescentia-Motiv an, das in der deutschen Literatur zuerst in der Kaiserchronik aus dem 12. Jahrhundert erscheint. Neuartig im Vergleich damit sind das zu Beginn eingeführte Inzestthema sowie die stärkere Akzentuierung des Vertrauensaspekts, auf den Werner Röcke ausführlich eingeht.[9] Die literarische Figur „Beaflor realisiert unterschiedliche Formen personaler Kommunikation“[10] – ein Umstand, der im Folgenden noch wichtig wird. Aber was noch viel wichtiger ist: Eine mörderische Intrige wird mittels Alkohol liebender Boten und vertauschter Briefe ins Werk gesetzt, was der Erzählung vom Wirken des Boten im Text ungewöhnlich viel Raum verschafft.

2.2 Die Erzählung

Alles nimmt in Rom seinen Anfang, wo König Telion nach dem Tode seiner Frau Sabie auf die Idee kommt, sich an seiner Tochter Beaflor zu vergehen. Diese schafft es aber mit Hilfe ihres treuen Dieners Roboal und dessen Frau Benigna vor Vollzug dieser Tat zu fliehen, und so verschlägt es sie auf den Peloponnes. Dort lernt sie den jungen Fürsten Mai kennen. Die beiden verlieben sich und heiraten, wobei sich Mai keineswegs um die unklare Herkunft seiner Braut kümmert, was noch zu Schwierigkeiten führen wird. Doch vorerst ist die Freude groß und die Beiden führen eine idealtypische Ehe. Schließlich wird sie schwanger. Doch da erscheint ein Bote und überbringt mündlich folgende Botschaft: Mais Onkel in Spanien schlägt sich mit den Heiden und bittet um Hilfe. Der Bote reist mit positiver Nachricht zurück und auch Mai tritt frohgemut das Abenteuer an. Seine Frau vertraut er seinen engsten Beratern, den Grafen Cornelius und Effreide an.

Dann kommt das Kind auf die Welt: ein Sohn. Die Grafen senden einen Brief mit der frohen Botschaft und auch Beaflor schreibt ein paar Zeilen an ihren Geliebten. Ein namenloser Bote wird mit den Briefen auf dem kürzesten Weg nach Spanien geschickt. Aber anstatt zu tun, wie ihm geheißen, macht der Bote einen Umweg über Schloss Claremunt, wo Mais Mutter Eliacha lebt und überbringt ihr die vermeintlich frohe Kunde. Da sie dynastischer als Mai denkt, ist Beaflors unklare Herkunft für sie durchaus ein Problem: Sie unterstellt ihr, aufgrund sexueller Verfehlungen aus ihrer Heimat verjagt worden zu sein. Halb überredet, halb befiehlt sie dem Boten über Nacht zu bleiben und lässt ihn ordentlich abfüllen.

Tags darauf fliegt der leicht verkaterte Bote förmlich seinem Ziel entgegen, bis er schließlich Mai gefunden hat und ihm strahlend die Briefe übergibt. Dabei vergisst er nicht hinzuzufügen, dass er gute Nachrichten bringe. Mai sieht das anders: Im vermeintlich von den Grafen geschriebenen Brief steht, dass Beaflor mit zwei Pfaffen gesündigt und daraufhin ein Wolfsjunges geboren habe. Im vermeintlichen Brief von Beaflor steht nicht viel, außer dass sie sich ihrer Schuld bewusst sei und sein Urteil erwarte. Da hat, was Mai und der Bote nicht wissen, die böse Schwiegermutter ihre Finger im Spiel. Mai kriegt nach der Brieflektüre einen etwas unritterlichen Heulkrampf, fällt vom Pferd und will sich ertränken. Doch das verhindern seine Getreuen: Trotzdem versteht Mai jetzt die Welt nicht mehr und der Bote auch nicht.

Wenig später setzt Mai einen Brief auf. Darin steht, dass nichts unternommen werden solle, bis er zurück sei. Der Bote macht aber wieder den verhängnisvollen Umweg über das Schloss der Schwiegermutter. Dort werden seine Erwartungen an die Abendplanung nicht enttäuscht: Der Bote landet unter dem Tisch und erneut ausgetauschte Post in seiner Tasche.

Einen Tag später erreicht der Bote, der den Inhalt des Briefs nicht kennt, die Grafen, die den Brief vorlesen lassen. Darin steht, dass sie Beaflor und das Kind umbringen sollen, andernfalls werde Mai nach seiner Rückkehr die gesamten Familien der Grafen auslöschen. Verzweifelt statten Effreide und Cornelius Beaflor einen Besuch ab, um mit ihr über die Lage zu beraten. Nach einigem hin und her entschließt man sich, Beaflor in das Boot, mit dem sie einst nach Griechenland kam, zu setzen. Sie gelangt nach Rom, wo sie im Hause des Senators Roboal und seiner Frau Benigna, Beaflors untadeligen Adoptiveltern, Unterschlupf findet.

Nach Mais Rückkehr berichten die Grafen ihm, dass sie seiner Order gemäß Beaflor und das Kind ermordet hätten. Jetzt gerät Mai in Wut und legt sich mit den Grafen an, die sich seiner vermeintlichen Order widersetzt haben. Aber auch das Volk gerät in Aufruhr und will Mai steinigen, denn es hält ihn für einen ungerechten Herrscher, der wie aus heiterem Himmel seine vortreffliche Frau, ein Muster an Tugend, und den Thronfolger hat töten lassen. Erst als ein Bischof vermittelt, löst sich das Ganze langsam auf und der Bote wird herbeizitiert. Der weiß natürlich nichts von der ganzen Sache, gibt aber zu, den erwähnten kleinen Umweg gemacht zu haben. So hat der schlechte Bote sein Leben schon fast verwirkt, da macht sich Mai zum Schloss seiner Mutter auf, wo er auch die abgefangenen Briefe findet. Rasend erschlägt er seine Mutter. Daraufhin hat er schon zwei Probleme: die Trauer um die vermeintlich toten Frau und Sohn, sowie die Schuldgefühle wegen des Muttermords. Mit diesen beiden seelischen Problemen reist Mai Absolution suchend zum Papst nach Rom, wo er bei einer Party im Hause des mittlerweile Senator gewordenen Roboal Beaflor wieder trifft. Nach Jahren der Trennung sind sie wieder glücklich vereint. Auch Beaflors Vater erkennt nun seine Tochter wieder und gesteht vor lauter Rührung seinen Inzestversuch. Er legt die Kaiserkrone nieder und in Mai findet das Volk Roms seinen neuen Herrscher.

3. Der Bezugsrahmen

3.1 Die feudale Ordnung und das dreifache Vertrauen

Mit Mais Erhöhung zum König von Rom und der Auflösung der Verwirrung um die ausgetauschten Briefe wird auch Beaflors Status wiederhergestellt. Der gesellschaftliche Platz, von dem sie einst fliehen musste, wird ihr am Ende der legendarisch anmutenden Geschichte wieder zuteil.

Überhaupt fällt auf, dass der Autor der Geschichte, die mit einer großen Anzahl von Verwicklungen, Missverständnissen und Fehlern der Protagonisten daherkommt, schließlich einer jeden Hybris eine Nemesis gegenüberstellt, alles und jeder findet an seinen Platz zurück: So endet der Versuch des kaiserlichen Inzests schlussendlich mit der freiwilligen (!) Niederlegung der Kaiserwürde. Mais Übertretung der feudalen Ordnung – er heiratet eine zwar reiche und schöne, aber unbekannte Fremde, ohne vorher seine Familie oder seine Vasallen zumindest formal um ihr Einverständnis zu bitten[11] – zieht sowohl eine mörderische Intrige seiner Mutter, einen Aufstand seines Volkes und fast seine Steinigung nach sich. Der korrupte und vinophile Bote büßt seine Verfehlung beinahe mit dem Verlust seines Lebens, interessanterweise nicht beim Überbringen der außerordentlich schlechten Nachrichten in den gefälschten Briefen, sondern erst als herauskommt, dass er seinen Auftrag verhängnisvoll schlecht erfüllt hat. Ihm schlägt nicht gerade Freude entgegen, als er auf die Frage, wie es Beaflor ginge, freudestrahlend und arglos gute Botschaften verkündet,[12] während die von ihm ausgehändigten Briefe das Gegenteil verkünden und auch nicht ganz die Reaktion auslösen, die der Bote erwartet haben dürfte:

„der tievel hât dich her gesant./ waz maere hâstû uns her braht?/

jâ daz die ie wart gedâht!/ dû waerest wol des tôdes wert./

man sollte durch dich drizic swert/ stechen umb diese botschaft.“[13]

Das Schwert aber bleibt Eliacha vorbehalten, von der diese Botschaft ja auch tatsächlich stammt und deren Intrige sie schließlich das Leben kostet.

Das alles gestaltet meines Erachtens ein funktionstüchtiges und nachhaltig als gültig angenommenes System, dass Ausdruck einer Gott gegebenen Gesellschaft ist. Der passende Oberbegriff lautet ‚göttliche Gerechtigkeit’. Und genau auf diese vertraut auch Beaflor, wie Röcke betont. Er hält ihr zwar eine „bemerkenswerte Passivität“[14] vor, da sie allein auf Gottes Allmacht und Güte vertraue und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten denkbar gering einschätze. Dieses Vertrauen stellt er dabei aber in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, der eine dreifache Form dessen in die funktionierende (!) Kommunikation innerhalb der gegebenen Gesellschaft ausdrückt. Neben dem Glauben an Gott verlässt sich Beaflor dabei zum einen auf den Familienverband, da sie in einem intakten familiären Umfeld aufwächst und selbst nach der drohenden Zerstörung der Idylle und ihrer Flucht in Griechenland rasch wieder in einem funktionierenden Umfeld lebt. Zum anderen zeigt sie eine Vertrauensseligkeit in ihren Gatten Mai, die als Minne bekannt ist.[15] Schon im Vorfeld der Ehe wird deutlich, dass bestimmte Normen gesellschaftliche Gültigkeit besitzen: Als Beaflor Griechenland erreicht und Mai kennen lernt, ist sie objektiv gesehen ein allein reisendes Mädchen ohne den Schutz einer Familie oder eines männlichen Begleiters, dafür aber ausgestattet mit einigen materiellen Gütern und einer nicht zu verachtenden Schönheit. Folglich erkennt Mai sie sofort als Angehörige seines Standes an, wenn auch „ohne rechtlichen Status, ohne rechtliche Absicherung.“[16] Aber da in diesem Romanzusammenhang die Gesellschaftsordnung funktioniert, sichert ihr Mai sofort Freiheit von Übergriffen zu und fragt auch nicht nach den Umständen ihrer Reise oder ihrer Herkunft. Damit, unterstreicht Ingrid Kasten, beweist Mai, dass die gesellschaftliche Verhaltensnorm gilt und Beaflors Vertrauen berechtigt ist.[17]

Anhand dieser Situation, in der Beaflor das Vertrauen in die Gültigkeit der Normen ihrer Gesellschaft bewahrt und so auch ihr Weltbild intakt bleibt, zeigt sich, wie ebendieses Weltbild als ein Schema der Erfahrung mit der Wirklichkeit funktioniert und dadurch wiederum zum Schema der Deutung von Wirklichkeit im Sinne Röckes wird.[18]

3.2 Eine Fremde – das geht doch nicht (Beaflor vs. Eliacha)

„Deutungsschemata des Mittelalters, seien es nun Weltbilder oder Mentalitäten, sind häufig in Gegensätzen organisiert, die einander wechselseitig bedingen und erst in ihrem Zusammenhang sinnvoll sind“[19] führt Röcke aus und fügt zur Interpretationsbedürftigkeit als Besonderheit literarischer Weltbilder hinzu, bei literarischen Diskursen gelte mehr noch als bei außerliterarischen, dass „Weltbilder hier nicht als solche reproduziert, sondern ihre einzelnen Elemente auf jeweils unterschiedliche Art und Weise reflektiert und montiert, erprobt, gegeneinander gestellt und an ihre Grenzen geführt werden.“[20]

Wenn also Beaflor durch ihre interpersonelle Kommunikation, ihr Vertrauen in das große Ganze und einen grenzenlosen Idealismus charakterisiert ist, so steht ihrer Figur ein Gegenentwurf gegenüber: Eliacha.[21] Diese Konstruktion verlangt von Eliacha, dass sie das exakte Gegenteil Beaflors ist: Eliacha misstraut Beaflor aufgrund ihrer unklaren Herkunft und handelt überaus pragmatisch, wie sich im Folgenden an ihrer Intrige noch zeigen wird. Der Heirat Mais und Beaflors hat sie aber zunächst nichts entgegenzusetzen, denn Beaflor kann „jeden durch ihre unglaubliche körperliche Schönheit bestechen“[22] (ein altersbedingtes Attribut, das Eliacha nicht mehr unbedingt zu Eigen sein muss) und nebenbei auch „durch ihren unermesslich Schatz so beeindrucken“[23], dass schließlich der Widerstand gegen Mais Heirat mit einer „vorläufig sozial nicht einstufbaren“[24] Unbekannten in sich zusammenbricht. Genau das aber ist Eliachas Problem, die daraufhin den Hof verlässt. Noch vor der Hochzeit aber wird sich ihr Misstrauen in einer hanebüchenen Erklärung Bahn schlagen – eines Tages beobachtet sie die noch arg kindlich erscheinende Beaflor beim Baden und kann sich trotz des Anblicks nur vorstellen, dass diese wegen sexueller Verfehlungen aus ihrer Heimat vertrieben worden ist. Dass Classen diesem „Widerspruch zwischen körperlicher Evidenz und fehlendem genealogischen Wissen“[25] nicht problematisiert, kritisiert Schulz und deutet diese Situation seinerseits als literarischen Ausdruck einer problematischen, zweifachen Konzeption adeliger Identität.[26]

Es muss hier jedoch ergänzt werden, dass sogar drei Konzepte aufeinander prallen, wobei die von Mai und Beaflor harmonieren, während Eliachas Sicht der Dinge der von Beaflor wie oben schon aufgezählt diametral gegenüber steht.

Mai leitet aus Beaflors Schönheit und ihrem mitgebrachten Reichtum ab, dass sie von seinem Stand sein müsse und er ihr zumindest nicht misstrauen müsse – im Romankontext ein zulässiger Schluss und ein typisch männlicher dazu. Beaflors Vertrauen in die funktionierenden Regeln ihrer Schicht ist schon oben beschrieben worden. Eliacha aber ist gekennzeichnet durch genau das Misstrauen, dass Mai gerade nicht zeigt. Woher kommt das Mädchen und warum ist sie verjagt worden? Vor allem die ungeklärte Frage von Beaflors familiärer Herkunft ist für Eliacha als Verkörperung feudaler Logik und Bewahrerin der Familienehre überaus problematisch. Zudem kann sie sich durch Mais Alleingang, Beaflor zu heiraten, in ihrer Kompetenz übergangen fühlen. „So weiß man, daß im Adel Ehen in der Regel aus politischen, dynastischen und wirtschaftlichen Gründen geschlossen wurde (…) Der Ehevertrag wurde nicht zwischen den künftigen Eheleuten sondern zwischen zwei Familien geschlossen.“[27] Da Mai sich über die gültigen und für das Weiterbestehen des Feudalsystems unerlässlichen Regeln hinwegsetzt, stellt er sich faktisch gegen das System, das die Herrschaft sichert und auch gegen seine Mutter, was nicht folgenlos bleibt. Beaflor hingegen scheint das zu ahnen und lehnt „zunächst einmal mit Verweis auf ihre vorgeblich niedere Herkunft Mais Bitte ab, in Ehe und Herrschaftsübernahme einzuwilligen, bevor sie dann doch zustimmt. Graf Mai allerdings setzt sich über alle diesbezüglichen Warnungen hinweg und überantwortet sich ausschließlich seiner Liebe, nicht aber seinen politischen Aufgaben, die Ehre des Landes und seiner Krone zu schützen.“[28]

[...]


[1] Albrecht Classen (Hg.), Mai und Beaflor, hrsg., übers., komment. und mit einer Einleitung, Beihefte zur Mediaevistik, Bd. 6, Frankfurt/Main u. a., 2006; Rezension hierzu: SCHULZ, Armin, Eine verschenkte Möglichkeit. Albrecht Classens Neuausgabe von Mai und Beaflor, Rezension über Albrecht Classen (Hg.), Mai und Beaflor, herausgegeben, übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung, Frankfurt/Main u. a., 2006, in: IASLonline, URL: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Schulz3631543034_1785.html, abgerufen am 21.05.2007.

[2] Vgl. KASTEN, Ingrid, Ehekonsens und Liebesheirat in 'Mai und Beaflor', in: Oxford German Studies 22, Oxford, 1993, S. 1-20, S. 2.

[3] Vgl. FECHTER, Werner, Gundacker von Judenburg und ‚Mai und Beaflor’, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 7, Amsterdam, 1974, S. 187-208, S. 208.

[4] Fassung A, BSB München, Ggm 57, 14. Jahrhundert; Fassung C, Landesbibliothek Fulda, Cod. 6, 15. Jahrhundert.

[5] Mai und Beaflor. Eine Erzählung aus dem 13. Jahrhundert, Leipzig, 1848. Im Internet zu finden unter URL: http://books.google.com/books?id=B3LHUQ6-dbIC&dq, abgerufen am 20.09.2007. (Im Folgenden: MuB, 1848.)

[6] Albrecht Classen (Hg.), Mai und Beaflor, hrsg., übers., komment. und mit einer Einleitung, Beihefte zur Mediaevistik, Bd. 6, Frankfurt/Main u. a., 2006; Rezension hierzu: SCHULZ, Armin, Eine verschenkte Möglichkeit. Albrecht Classens Neuausgabe von Mai und Beaflor, Rezension über Albrecht Classen (Hg.), Mai und Beaflor, herausgegeben, übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung, Frankfurt/Main u. a., 2006, in: IASLonline, URL: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Schulz3631543034_1785.html, abgerufen am 21.05.2007.

[7] Vgl. Schulz, Absatz 5.

[8] Schulz, Absatz 36.

[9] RÖCKE, Werner, Isolation und Vertrauen. Formen der Kommunikation und des Weltbildwandels im Creszentia - und Mai und Beaflor -Roman, in: Weltbildwandel. Selbstdeutung und Fremderfahrung im Epochenübergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, hrsg. v. Hans-Jürgen Bachorski, Werner Röcke, Reihe Literatur, Imagination, Realität, Bd. 10, Trier, 1995, S. 243-268.

[10] RÖCKE, S. 254.

[11] Vgl. Kasten, S. 12.

[12] „herre, diu gehabet sich wol,/ unde ist aller vrouden vol. (…)ir habt dâ heime, des ir gert/ iuch hât got eines suns gewert“, MuB, 1848, Sp. 134, Z. 3f. und 12f.

[13] Ebd., Sp. 135, Z. 24-29.

[14] Röcke, S. 260.

[15] Vgl. Röcke, S. 257.

[16] Kasten, S. 11.

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. Röcke, S. 245.

[19] Röcke, S. 246.

[20] Ebd., S. 247

[21] Ein weiteres Beispiel findet sich im gegensätzlichen Verhalten des galanten Fürsten Mai gegenüber Beaflor verglichen mit der versuchten Normübertretung durch Beaflors Vater Telion.

[22] Classen (Hg.), 2006, S. XIV.

[23] Classen (Hg.), 2006, S. XIV.

[24] Ebd.

[25] Schulz, Absatz 15.

[26] Vgl. ebd.

[27] Kasten, S. 6.

[28] Röcke, S. 259f.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Zu: Mai und Beaflor: Dreißig Schwerter sollte man durch dich stechen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur/Kulturwissenschaftliches Seminar)
Veranstaltung
Boten und Botschaften
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V121952
ISBN (eBook)
9783640267279
ISBN (Buch)
9783640267460
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Dozenten: Klug, prima geschrieben, gut recherchiert - sehr gut.
Schlagworte
höfischer Roman, Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Minne, Mai, Beaflor, Boten, 13. Jahrhundert
Arbeit zitieren
Ivo Gebert (Autor:in), 2007, Zu: Mai und Beaflor: Dreißig Schwerter sollte man durch dich stechen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121952

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Zu: Mai und Beaflor: Dreißig Schwerter sollte man durch dich stechen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden