Einsatz von Virtual Reality (VR) in der Produktentwicklung (Band 2)

Kennzahlenorientierte Nutzenanalyse für den Einsatz von Virtual Reality in der Produktentwicklung


Masterarbeit, 2009

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Hintergründe
2.1 Produktentwicklung
2.2 Prozessmanagement
2.3 Virtual Reality
2.4 Controlling
2.4.1 Controlling bei neuen Technologien
2.4.2 Controllingebenen
2.4.3 Controlling mit Kennzahlen
2.4.4 Die Balanced Scorecard

3 Anforderungen an eine Methode zur Analyse des Nutzens von VR
3.1 Nutzen von VR
3.2 Problembereiche
3.3 Anforderungen
3.4 Fazit

4 Entwurf des Kennzahlensystems Virtual Reality
4.1 Perspektiven
4.2 Methodik
4.3 Anwendung
4.3.1 Analyse des Einsatzpotentials in der strategischen Ebene
4.3.2 Analyse der Einsatzgebiete in der taktischen Ebene
4.3.3 Analyse der Umsetzung in der operativen Ebene

5 Anwendungsbeispiel des Kennzahlensystems Virtual Reality
5.1 Fallstudienbeschreibung
5.2 Bewertung des Einsatzpotentials von VR
5.3 Ermittlung der Einsatzgebiete
5.4 Bildung der VR-Prozesskette

6 Zusammenfassung und Ausblick

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2-1: Prozesskette einer heutigen Produktentwicklung

Abbildung 2-2: Definition eines Prozesses

Abbildung 2-3: VR-Systemarten

Abbildung 2-4: Fokus der Betrachtung

Abbildung 2-5: Controlling bei neuen Technologien im Unternehmen

Abbildung 2-6: Auswahl einiger Verfahren, die häufig zur Bewertung von neuen Investitionsvorhaben herangezogen werden

Abbildung 2-7: Struktur einer Kennzahlen-Hierarchie

Abbildung 2-8: Funktionen eines kennzahlenorientierten Controllings

Abbildung 2-9: Aufbau der klassischen Balanced Scorecard

Abbildung 2-10: Strategieumsetzung mit der Balanced Scorecard

Abbildung 3-1: Bewertbarkeit der Nutzenpotentiale neuer Technologien wie VR

Abbildung 3-2: Analyse des Nutzens von VR in der Praxis

Abbildung 3-3: Anforderungen an eine VR-Nutzenanalyse

Abbildung 4-1: Perspektiven in der strategischen Ebene

Abbildung 4-2: Perspektiven in der taktischen Ebene

Abbildung 4-3: Perspektiven in der operativen Ebene

Abbildung 4-4: Beispiel für eine Nutzeffektkette zur Ermittlung der Nutzenkriterien von VR

Abbildung 4-5: Beispiel für eine Befragung hinsichtlich des Nutzens von VR

Abbildung 4-7: Leitfaden zur Erstellung der VR-Scorecard

Abbildung 4-8: Ermittlung des VR-Scores in der strategischen Ebene

Abbildung 4-9: Beispiel für einen Berechnungsbogen des VR-Scores, hier in der strategischen Ebene

Abbildung 4-10: VR-Entscheidungsmatrix in der taktischen Ebene

Abbildung 4-11: Ermittlung des VR-Scores in der taktischen Ebene

Abbildung 4-12: Bewertete VR-Entscheidungsmatrix in der taktischen Ebene

Abbildung 4-13: VR-Prozesskette in der operativen Ebene

Abbildung 4-14: Ermittlung des VR-Scores in der operativen Ebene

Abbildung 4-15: Bewertete VR-Prozesskette in der operativen Ebene

Abbildung 5-1: Beispiele für den Einsatz von VR im Bootsbau

Abbildung 5-2: VR-Nutzeffektkette in der strategischen Ebene der Fallstudie

Abbildung 5-3: Mögliche VR-Systeme [Stu08], hier im Rahmen der Fallstudie

Abbildung 5-4: Auszug eines Fragebogens in der strategischen Ebene der Fallstudie

Abbildung 5-5: VR-Berechnungsbogen in der strategischen Ebene der Fallstudie

Abbildung 5-6: Beispiel einer VR-Nutzeffektkette in der taktischen Ebene der Fallstudie

Abbildung 5-7: VR-Entscheidungsmatrix in der taktischen Ebene der Fallstudie

Abbildung 5-8: Beispiel einer VR-Nutzeffektkette in der operativen Ebene der Fallstudie

Abbildung 5-9: Bewertete Prozesskette in der operativen Ebene der Fallstudie für den Einsatz von VR

Abbildung 5-10: Terminplanung für ein VR-System auf Basis bewerteter Prozessketten, hier am Beispiel der Konstruktion

Abbildung 8-1: Leitfaden zur Erstellung der VR-Scorecard

Tabellenverzeichnis

Tabelle 4-1: Maßzahlen für die linguistische Bewertung

Tabelle 4-2: Abschätzung der Gewichtungsfaktoren

1 Einleitung

Aufgrund eines zunehmenden globalen Wettbewerbs stoßen viele Unternehmen bei der Entwicklung neuer Produkte zunehmend an ihre Grenzen. Verantwortlich hierfür sind immer kürzer werdende Produktlebenszyklen, die zu einem immer größer werdenden Zeit- und Kostendruck in der Produktentwicklung führen.

Für eine erfolgreiche Neuproduktentwicklung benötigen diese Unternehmen daher neue Vorgehensweisen, Methoden oder Technologien, die ihnen dabei helfen, innovative und zugleich qualitativ hochwertigere Produkte zu entwickeln, sowie den Produktentwicklungs-prozess kostenmäßig zu entlasten und zeitlich zu verkürzen. Die Anwendung der Technologie Virtual Reality verfolgt nun genau dieses Ziel.

Unter Virtual Reality (VR) wird in dieser Arbeit eine Technologie verstanden, die es dem Benutzer erlaubt, eine computergenerierte Umwelt in Ansprache mehrerer Sinne als Realität wahrzunehmen [Bur93]. Diese Technologie kann sich die Produktentwicklung zur Visualisierung und Evaluierung virtueller Prototypen im Rahmen des Virtual Prototyping zu Nutze machen. Unter Virtual Prototyping wird hier die Erstellung eines virtualisierten Prototyps verstanden, dessen Eigenschaften durch Computer simuliert werden [BeRVP06]. Unter VR kann folglich auch ein Werkzeug verstanden werden, durch dessen Unterstützung es möglich ist, komplexe Entwicklungsprozesse innovativer Produkte und Dienstleistungen in Abstimmung mit Kunden, Zulieferern, Vertrieb und Produktion erfolgreicher zu gestalten.

Damit die Anwendung von VR auf eine wirtschaftliche Weise erfolgt, d. h. dass der Nutzen dieser Technologie alle mit seinem Einsatz verbundenen Aufwendungen überwiegt, ist es wichtig, diese Größen zu beurteilen und gegeneinander abwägen zu können. Während die einmaligen und laufenden Kosten relativ einfach erfasst oder abgeschätzt werden können, stellt die Beurteilung des Nutzens von VR jedoch eine große Herausforderung dar. Das liegt zum einen daran, dass die Erfahrungen mit dem Potential dieser noch sehr jungen Technologie äußerst begrenzt sind. Zum anderen existieren derzeit keine geeigneten Controlling-Instrumente, die eine Beurteilung des Nutzens innovativer Technologien in der Produktentwicklung noch vor und während ihrer erstmaligen Anwendung in einem Unternehmen erlauben [Sch01]. Daher steht den Unternehmen auch kein geeignetes Hilfsmittel zur Verfügung, um den Nutzen der Anwendung von VR im Rahmen einer Produktentwicklung zu messen und zu beeinflussen.

Das Ziel dieser Arbeit ist es daher, eine Methodik zu entwickeln, die es einem Unternehmen gestattet, in einem ersten Schritt das Einsatzpotential dieser Technologie in der Produkt-entwicklung zu beurteilen. Auf dieser Basis kann dann eine Entscheidung für oder gegen den Einsatz von VR getroffen werden. Liegt eine Entscheidung für den Einsatz von VR vor, so soll ein Unternehmen mit Hilfe dieser Methodik in einem zweiten Schritt bei der Planung des Einsatzes hinsichtlich Zeitpunkt und Ort innerhalb einer Produktentwicklung unterstützt werden. In einem dritten Schritt soll das Unternehmen in die Lage versetzt werden, noch während der Produktentwicklung den Einsatz von VR zu kontrollieren und für Folge-anwendungen zu optimieren.

Aus diesen Gründen wird in dieser Arbeit ein VR-Kennzahlensystem entwickelt, das den Nutzen von VR anhand weniger Kennzahlen transparent und nachvollziehbar visualisiert. Diese Methodik bietet dem Unternehmen damit eine Grundlage für seine Entscheidungen bzgl. des Einsatzes von VR in der Produktentwicklung.

Als Rahmenkonzept dient dabei die Balanced Scorecard, welche durch ihre zukunfts-orientierte Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven eine sehr viel detailliertere Analyse des Nutzens von VR im Unternehmen ermöglichen kann, als klassische vergangenheits-orientierte und zumeist eindimensionale Kennzahlensysteme.

Hierzu werden in Kapitel 2 zunächst einige theoretische Hintergründe erläutert. Dazu werden die Grundlagen der heutigen Produktentwicklung beschrieben, bevor die Technologie VR vorgestellt wird. Desweiteren werden die Hintergründe aufgezeigt, welche eine Nutzenbetrachtung bei der Einführung neuer Technologien wie VR notwendig werden lassen und welche Funktionen Kennzahlen hierzu erfüllen können. Dazu werden die Kriterien beschrieben, die den Umgang mit Kennzahlensystemen kennzeichnen. Zudem wird hier das Balanced Scorecard Konzept mit seinen Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt.

Im Anschluss werden in Kapitel 3 der Nutzen von VR aufgezeigt und die Problembereiche einer Nutzenanalyse bei VR erläutert. Hieraus werden die Anforderungen an eine neue Methode zur Analyse des Nutzens speziell von VR abgeleitet.

Auf der Basis der Balanced Scorecard wird in Kapitel 4 ein Kennzahlensystem entwickelt, welches den formulierten Anforderungen nun gerecht wird. Hierbei wird ein Leitfaden formuliert, der Unternehmen aus der Realwirtschaft bei der Umsetzung der Methode unterstützen soll.

In Kapitel 5 wird die Anwendung der Methodik und des Leitfadens anhand einer Fallstudie beispielhaft verdeutlicht.

Am Ende wird die Arbeit in Kapitel 6 zusammengefasst und mit einem Ausblick beendet.

2 Theoretische Hintergründe

Da in dieser Arbeit ein Kennzahlensystem zur detailierten Analyse des Nutzens von VR im Rahmen einer Produktentwicklung entwickelt wird, werden in diesem Kapitel zunächst einige theoretische Hintergründe erläutert.

Hierzu werden in Kapitel 2.1 Einblicke in die Produktentwicklung und in Kapitel 2.2 in das Prozessmanagement von Heute gegeben, um auf diese Weise ein Verständnis zu vermitteln, weshalb neue innovative Technologien wie bspw. VR in einem Unternehmen überhaupt zur Anwendung kommen sollten.

Danach werden in Kapitel 2.3 das Konzept und die Technologien einer Virtual Reality vorgestellt. Da verschiedene Fachbereiche, wie bspw. Ingenieure und Informatiker, häufig ein unterschiedliches Verständnis darüber aufweisen, was VR eigentlich ist und in der Literatur deshalb auch keine einheitliche Definition für VR existiert, wird an dieser Stelle für diese Arbeit eine ingenieurwissenschaftliche Begriffsdefinition für VR vorgenommen. Auch wird die Bandbreite der für den ingenieurmäßigen Einsatz verfügbaren VR-Systemarten aufgezeigt. Außerdem wird das Einsatzpotenzial von VR im Unternehmen näher beleuchtet. Durch den Einsatz von VR in der Produktentwicklung kann sich für ein Unternehmen eine Reihe von Vorteilen ergeben.

Im Anschluss wird deshalb in Kapitel 2.4 zunächst die Funktion beschrieben, die ein Controlling speziell für neue Technologien im Unternehmen einnehmen muss. Der Einsatz neuer Technologien ermöglicht die Erschließung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile. Dies ist jedoch nicht bei jeder Technologie für jedes Unternehmen in jeder Situation immer der Fall. Die Anwendung von VR in der Produktentwicklung ist hierfür das beste Beispiel. Der Einsatz einer neuen Technologie im Unternehmen muss daher sorgfältig geplant, gesteuert und kontrolliert werden. Hierzu wird der idealtypische Planungs- und Kontrollprozess einer erfolgreichen Unternehmensführung auf die Einführung einer neuen Technologie im Unternehmen übertragen. Als erfolgreicher Ansatz für ein Controlling in komplexen Situationen hat sich in der Praxis das Controlling mit Kennzahlen etabliert. Auch dieser Ansatz wird deshalb im Rahmen dieser Arbeit auf das Controlling beim Einsatz von VR in der Produktentwicklung übertragen. Hierzu werden einige Grundlagen zum Umgang mit Kennzahlen bzw. Kennzahlensystemen beschrieben. Im Anschluss wird dann die Balanced Scorecard als ein spezielles Kennzahlensystem zur Steuerung des Unternehmens durch Informationen vorgestellt. Die Idee des Balanced-Scorecard-Konzepts dient in dieser Arbeit als Rahmenkonzept für ein Kennzahlensystem, das den nutzenorientierten Einsatz der Technologie VR in der Produktentwicklung gewährleisten soll.

2.1 Produktentwicklung

Die Produktentwicklung hat sich in den vergangenen Jahren entscheidend gewandelt. Auch wenn sich der grundsätzliche Ablauf eines Produktentwicklungsprozesses immer noch in die Hauptphasen Planung, Konzeption, Definition und Versuch bzw. Erprobung unterteilen lässt [BePE06], so hat sich die heutige Produktentwicklung von einer Einzeldisziplin zu einer Querschnittsaufgabe im Unternehmen entwickelt, wie Abbildung 2-1 verdeutlicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-1: Prozesskette einer heutigen Produktentwicklung [BePE06]

In Anlehnung an Bergers [BePE06] und Wheelwright [WhCl94] kann der Produkt-entwicklungsprozess in eine strategische, taktische und operative Ebene unterteilt werden. In der strategischen Ebene erfolgt die Bildung einer Entwicklungsstrategie, d. h. es werden Ziele gesetzt, die durch die Produktentwicklung erreicht werden sollen. Diese Zielsetzung leitet sich aus der Unternehmensstrategie ab. In der taktischen Ebene erfolgen die Produkt-findung und die detailierte Planung der Produktentwicklung z. B. durch eine Analyse des Marktes, des Wettbewerbs oder der zu berücksichtigenden Technologien. In der operativen Ebene findet dann die Umsetzung der Produktentwicklung statt, d. h. es wird z. B. entschieden, wie das Produkt ausgelegt und entwickelt wird.

Der Wandel der Produktentwicklung ist in einer analog zum globalen Wettbewerb ge-stiegenen Innovationsdynamik begründet, die eine zeitliche und kostenmäßige Optimierung des Produktentwicklungsprozesses bei den Unternehmen gegenüber Wettbewerbern notwendig werden ließ. Diese Entwicklung hat deshalb ihren Ursprung im Aufkommen neuer organisatorischer und methodischer Vorgehensweisen zur Optimierung der Produkt-entwicklung. Ein Beispiel stellt das Simultaneous Engineering dar, bei welchem eine Optimierung der Produktentwicklung durch die Teil-Parallelisierung einzelner Prozesse, sowie durch frühzeitige Kommunikation und Einbindung aller beteiligten Unternehmens-bereiche erreicht wird [BePE06]. Die Anwendung der VR-Technologien stellt nun eine konsequente Weiterentwicklung in diese Richtung dar.

2.2 Prozessmanagement

Die Ausrichtung der Unternehmensstruktur an Prozessen etabliert sich zunehmend als das zentrale Gestaltungsprinzip in der Unternehmensführung [Kra99] und damit auch in der Produktentwicklung [Sch01].

Ein Prozess ist hierbei als eine Menge von verknüpften Aktivitäten [FiLi97], [VSF96] oder eine Menge von miteinander verbundenen Teilprozessen zu verstehen [DIN96], die sich wiederum in Aktivitäten unterteilen lässt. Eine Aktivität kann nicht weiter zerlegt werden. In Abbildung 2-2 wird diese Definition für einen Prozess veranschaulicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-2: Definition eines Prozesses [Sch01]

Bei der Organisation von Prozessen können diese mit Zielen, d. h. angestrebten End-zuständen des zu gestaltenden Unternehmensbereiches koordiniert werden [FiLi97]. Solche Prozessziele bestehen nach Schabacker [Sch01] üblicherweise in einer:

- Minimierung der Prozesszeit,

(d. h. einer Verkürzung der Durchlaufzeit eines Prozesses)

- Minimierung der Prozesskosten,

(d. h. einer Senkung der Kosten, die für die Bearbeitung des Prozesses anfallen)

- Verbesserung der Prozessqualität

(d. h. Prozesse, die keine Nacharbeit erfordern) und

- Verbesserung der Kundenzufriedenheit

(d. h. Erhöhung der Zufriedenheit eines Abnehmers mit dem Ergebnis eines Prozesses)

Diese Prozessziele lassen sich über den Einsatz verschiedener Methoden (z. B. Brain-storming), Vorgehensweisen (z. B. Simultaneous Engineering) und Werkzeuge (z. B. neue Technologien) erreichen [Hil90], [VSF96]. Das Ziel der Anwendung einer neuen Technologie, wie bspw. VR, kann also darin gesehen werden, die Prozesskette der Produktentwicklung hinsichtlich Qualität, Zeit, Kosten und Kundenzufriedenheit zu optimieren.

2.3 Virtual Reality

Unter Virtual Reality wird eine Technologie verstanden, die dem Benutzer durch eine realitätsnahe Simulation der Sinne ein „Eintauchen“ in eine synthetisch generierte Umgebung vermittelt. Diese Empfindung einzutauchen wird hierbei als Immersion bezeichnet [BeBu07]. Die Immersion wird daher zum entscheidenden Qualitätsmerkmal von VR-Systemen und hängt in erster Linie vom eingesetzten Visualisierungssystem ab.

Nach Abbildung 2-3 kann das Spektrum der am Markt erhältlichen VR-Systeme damit nach der Komplexität des Visualisierungssystems und der hiermit zu erreichenden Immersion in unterschiedliche Systemarten differenziert werden [BeRVP06]. Heute zählen zu den gebräuchlichsten VR-Systemen, angefangen mit den im Vergleich wenig immersiven Arbeitsplatzumgebungen und Projektionswänden, noch hoch immersive Datenanzüge und CAVE-Umgebungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-3: VR-Systemarten [BeRVP06]

Die VR-Technologien lassen sich damit in zwei Kategorien unterteilen [HUB06], [IPT03], [Bau96]. Die erste Kategorie bilden sog. Desktop-Anwendungen, mit deren Hilfe der Benutzer einen „Einblick“ in die virtuelle Welt erhalten und mit den darin enthaltenen Objekten interagieren kann. Die andere Kategorie bilden aufwendige, hoch immersive virtuelle Welten, in welche der Benutzer eintaucht und zu einem unmittelbaren Bestandteil wird. Jede Bewegung wird erfasst und bewirkt eine unmittelbare Rückkopplung. Weitere Erläuterungen zu den Komponenten verschiedener VR-Systeme, sowie zum Ablauf einer VR-Prozesskette finden sich bei Sturm [Stu08].

Da es sich bei VR im Vergleich zu anderen Werkzeugen, wie bspw. dem Rapid Prototyping, um eine noch sehr junge und dynamische Technologie handelt, ergeben sich für Unter-nehmen aufgrund der geringen Erfahrung noch viele Hemmnisse bzw. Probleme beim Einsatz der VR-Technologie im Rahmen der Produktentwicklung. Über zwei Drittel der VR-betreibenden Unternehmen erwirtschaften Milliarden-Umsätze und sind dementsprechend finanzstark [IPT03]. Kleine und mittelständische Unternehmen setzen dagegen nur in Einzelfällen VR in ihrer Produktentwicklung ein. In der Industrie, gerade in kleinen und mittleren Unternehmen, hat VR deshalb seinen endgültigen Durchbruch bis heute noch nicht geschafft. Jedoch schreitet auch hier die Entwicklung katalysiert durch den Einzug der 3D-CAD-Systeme, sowohl technologisch als auch organisatorisch immer weiter voran. In der Vergangenheit waren noch Ausnahmebranchen wie die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrt oder die Schiffahrtsindustrie die Hauptanwender dieser Technologie, weil die Entwicklung eines physischen Prototypen hier entweder zu teuer oder zum Teil auch gar nicht möglich ist (z. B. Airbus A380) [Ker07]. Seit längerem ist dagegen auch ein Trend im Maschinenbau, Anlagenbau, sowie in zahlreichen Zulieferindustrien zu verzeichnen [IPT03], VR als systematische Planungshilfe in die Produktentwicklung zu integrieren.

Wie in Abbildung 2-4 verdeutlicht, fokussiert sich die folgende Arbeit daher vornehmlich auf die Verknüpfung der modernen rechnerintegrierten Produktentwicklung mit VR. Durch VR lassen sich komplexe technische Zusammenhänge und Abläufe im Rahmen der Produktentwicklung in einen exakten räumlichen und, für alle an der Entwicklung Beteiligten, verständlichen Kontext bringen. Virtuelle Prototypen neuer Produkte können so auf Schwachstellen sowie Verbesserungsmöglichkeiten hin untersucht werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-4: Fokus der Betrachtung

Der wachsende Einsatz von virtuellen Prototypen in der Produktentwicklung hat seine Ursache zum einen in dem sehr dynamischen Fortschreiten der VR-Technologien, zum anderen aber auch in der steigenden Bandbreite von Anwendungsmöglichkeiten. Inzwischen kann der gesamte Produktlebenszyklus angefangen von der Produktidee bis hin zur Markteinführung und dem nachfolgenden Service durch VR unterstützt werden [Pfo02], [BeBu07]. VR kann bei manchen Produktentwicklungen bereits heute die kostspielige und zeitraubende Herstellung physischer Prototypen durch virtuelle Prototypen ersetzen. Deshalb lässt sich VR flexibel einsetzen. Insgesamt betrachtet, kann damit ein durch-gängiger Einsatz von VR im Unternehmen erreicht werden.

Der Einsatz der virtuellen Prototypunterstützung in einem Unternehmen macht jedoch nur dann Sinn, wenn dadurch die Prozesskette der Produktentwicklung beschleunigt bzw. wirtschaftlicher gemacht wird oder zu besseren Ergebnissen führt, als dies ohne den Einsatz von virtuellen Prototypen der Fall wäre [IPT03], vgl. nochmals Abbildung 2-1 und Kapitel 2.2. Die Bewertung über den Einsatz von VR in der Produktentwicklung hängt also stark von dessen wirklich gewinnbringenden Nutzen für das Unternehmen ab und geht daher von den klassischen Forderungen aus. Diese bestehen u. a. darin, die Kosten für eine Produkt-entwicklung zu senken, die Qualität des Produktentwicklungsprozesses selbst und seiner Ergebnisse zu verbessern und eine kurzfristige Entwicklung neuer Produkte, verbunden mit einem frühzeitigen Markteintritt, der sich immer mehr zum entscheidenden Kriterium für den Markterfolg eines Unternehmens entwickelt, herbeizuführen [Sch01]. Nur die Möglichkeit der stereoskopischen Betrachtung mittels VR reicht zur Erfüllung dieser Forderungen nicht aus. Es sollte vielmehr danach gefragt werden, was ein Unternehmen und seine Mitarbeiter durch den Einsatz von VR und der frühzeitigen Evaluierungsmöglichkeit virtueller Prototypen erreichen können, was sie sonst nicht schaffen [HUB06]. Die wesentlichen Vorteile von VR gegenüber konventionellen Planungsmethoden belegen die Studien des Fraunhofer Instituts [IPT03]:

- Reduzierung physischer kostenbehafteter Komponenten,
- Bessere Evaluierungsmöglichkeiten,
- Sofortige Betrachtungsmöglichkeit,
- Unabhängigkeit der Begutachtung von Zeit und Ort,
- Frühzeitige Fehlervermeidung,
- Schnellere Entscheidungsmöglichkeit,
- Bessere Animations- und Simulationsmöglichkeiten,
- Erfahrbarmachen von undenkbaren Eindrücken,
- Bessere Wissensvermittlung

Aus diesen Vorteilen ergibt sich der Nutzen von VR. Jedoch ist Nutzen nicht gleich Nutzen. Welche Nutzenarten sich aus VR ergeben können, wird ferner in Kapitel 3.1 beschrieben.

2.4 Controlling

Um eine Investition, z. B. in eine neue Technologie wie VR, rechtfertigen zu können, muss der Nutzen, d. h. der Ertrag dieser Investition den mit ihr verbundenen Aufwand übersteigen. Zur Überprüfung und fortwährenden Gewährleistung dieses Entscheidungskriteriums dient das Controlling.

Der Begriff Controlling ist jedoch dynamisch gewachsen und wurde seit seiner Entstehung bis heute inhaltlich kontinuierlich erweitert. Controlling bedeutet mehr als nur „Kontrolle“ und wird allgemein als ein Instrument zur Unterstützung der Unternehmenssteuerung durch Informationen verstanden [PiMe03].

Das Controlling lässt sich in die Phasen der Planung, Steuerung und Kontrolle unterteilen. Zudem wird zwischen strategischem und operativem Controlling unterschieden [Hor06], [Rei06]. Beim strategischen Controlling steht der langfristige Unternehmenserfolg durch das Schaffen und Erhalten nachhaltiger Erfolgspotentiale im Vordergrund. Im Falle einer neuen Technologie wie bspw. VR also z. B. eine Reduzierung der Time-to-Market und eine kostenmäßige Entlastung der Produktentwicklung. Die strategische Perspektive konzentriert sich demnach auf die Planung von Strategien, Zielen sowie Maßnahmen zur Zielerreichung. Das operative Controlling hingegen konzentriert sich vorwiegend auf die Gestaltung von Planungs- und Kontrollkonzepten zur Einhaltung kurzfristiger Erfolgs- bzw. Teilziele. Es dient damit zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit von Unternehmensprozessen. In Bezug auf den Einsatz einer neuen Technologie im Unternehmen bedeutet dies also die Gewährleistung eines nutzenorientierten Einsatzes.

2.4.1 Controlling bei neuen Technologien

Im Fokus eines „Technologie-Controllings“, also eines Controllings speziell für neue Technologien, steht nun die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und somit das Erschließen von Erfolgspotentialen durch den Einsatz eben dieser neuen Technologien.

Die Grundlage für die erfolgreiche Einführung einer neuen Technologie im Unternehmen bilden Informationen [Mac99]. Gerade bei komplexen Technologien wie VR, die zudem einem ständigen Wandel unterliegen (s. Kapitel 2.3), ist es daher von besonderer Bedeutung, dass die richtigen Informationen auch zur richtigen Zeit zur Verfügung stehen.

Die Aufgabe eines Technologie-Controllings besteht demnach in der ziel- bzw. problem-orientierten Versorgung der Entscheidungsträger mit Informationen über den Nutzen und den Aufwand welche mit dem Einsatz einer neuer Technologien im Unternehmen verbunden sind [SKGS06].

Der Einführung einer neuen Technologie im Unternehmen und damit auch in der Produkt-entwicklung muss deshalb eine systematische Vorgehensweise zu Grunde liegen. Diese spiegelt sich in einem Planungs- und Kontrollprozess wieder, wie er etwa in der Regel bei einer Produktentwicklung selbst auch wiederzufinden ist. Nur durch eine systematische Vorgehensweise vor, während und nach der Einführung einer neuen Technologie kann ihr nutzenorientierter Einsatz im Unternehmen nachhaltig gewährleistet werden.

In Abbildung 2-5 wird der hierzu notwendige Planungs- und Kontrollprozess zur Einführung neuer Technologien im Unternehmen dargestellt, der dem Konzept dieser Arbeit zugrunde liegt. Sein Aufbau entspricht der idealtypischen Struktur eines Planungs- und Kontroll-prozesses im Allgemeinen, wie er z. B. auch nach Schierenbeck beschrieben wird [Sch03].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-5: Controlling bei neuen Technologien im Unternehmen

Im Rahmen dieser Arbeit werden die Phasen eines solchen idealtypischen Planungs- und Kontrollprozesses auf die Einführung einer neuen Technologie im Unternehmen übertragen. Folglich müssen Controlling-Instrumente hier dazu dienen, Erfolgspotentiale bzw. Risiken zu identifizieren und zu analysieren, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Einsatz dieser neuen Technologie stehen.

Die Phasen des in Abbildung 2-5 idealtypisch abgebildeten Planungs- und Kontrollprozesses beim Einsatz einer neuen Technologie werden im Folgenden beschrieben.

Phase 1: Problemanalyse und Zielbildung

Ausgangspunkt einer jeden Planung ist immer eine Problemstellung, die durch einen Plan gelöst werden soll [Sch03]. Dies kann bezogen auf die Zielsetzung dieser Arbeit z. B. das Problem sein, dass die Time-To-Market, d. h. die Zeit von der Entwicklung einer Produktidee bis zur Einführung des fertigen Produkts in den Markt, bei einem Unternehmen durch-schnittlich länger ausfällt, als dies bei Wettbewerbern der Fall ist. Die Planung des Einsatzes einer neuen Technologie sollte deshalb mit einer Beschreibung der Ausgangssituation beginnen, gefolgt von einer Analyse potenzieller Einflussfaktoren und deren Auswirkungen auf den Nutzen einer neuen Technologie. Diese Überlegungen münden schließlich in einer Zieldefinition mit Hinweisen auf den gewünschten Endzustand und Entscheidungsvoraus-setzungen beim Einsatz einer neuen Technologie im Unternehmen.

Phase 2: Alternativensuche und -prognose

Zu Beginn der Problemlösungsfindung geht es darum, Handlungsmöglichkeiten zu finden und inhaltlich zu konkretisieren, die geeignet erscheinen, um das erkannte Problem lösen zu können [KlSc04], [Sch03]. Diesem Suchprozess schließt sich eine Prognose von Aus-wirkungen an, woraus sich erschließen lässt, welche Konsequenzen aus der Umsetzung der Alternativen für ein Unternehmen zu erwarten sind [Sch03], [Han86].

Die Informationen über neue Technologien können hier als Anregung zur Entwicklung von Lösungen verarbeitet werden [Mac99]. Dabei sollten in der Regel mehrere technische Lösungsalternativen immer unter dem Blickwinkel der Realisierbarkeit entwickelt werden. Dies können z. B. verschiedene Systemarten einer Technologie sein oder unterschiedliche Anwendungskonzeptionen. Damit der Einsatz einer neuen Technologie nicht im späteren Verlauf an der Umsetzung scheitert, sollten für jede Lösungsalternative realistische Szenarien prognostiziert und deren Realisierbarkeit im Unternehmen überprüft werden.

Phase 3: Bewertung

Die Ermittlung der Wirtschaftlichkeit des Einsatzes einer neuen Technologie im Unter-nehmen benötigt Bewertungsgrößen in Form von Nutzengrößen wie bspw. eine höhere Produktqualität, Zeiteinsparung und Kostenreduktion. Die Zuordnung dieser Nutzengrößen ermöglicht eine Rangordnung unter den zu vergleichenden Lösungsalternativen und erleichtert damit die Auswahl. Im Prinzip kann dieser Nutzen als zukünftiger Ertrag einer Investition in diese Technologie gesehen werden. Es entsteht damit eine Rentabilitäts-verbesserung für das Unternehmen.

Zum Nachweis von Rentabilitätsverbesserungen durch Investitionen existieren in der Betriebswirtschaft diverse Bewertungsverfahren, über die an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick gegeben werden soll, vgl. z. B. nach Schabacker [Sch01] oder Gerpott [Ger05]. In Abbildung 2-6 wurden die wichtigsten Verfahren noch einmal zusammengefasst.

Die Spanne der dargestellten klassischen Verfahren beginnt bei den quantitativen Verfahren der Investitionsrechnung, deren Aussagekraft in erster Linie von der Homogenität der Datenerhebung abhängig ist. Semi-quantitative Verfahren, wie bspw. die klassische Nutzenanalyse, bei der drei Nutzenkategorien nach ihrer Aussicht auf Realisierbarkeit eingestuft werden oder die Nutzwertanalyse, bei der Daten auf wenige inhaltliche Aussagen verdichtet werden, kommen den Wünschen der Praxis nach Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit am ehesten entgegen. Qualitative Verfahren, wie Profilanalysen, setzen hingegen ausschließlich auf subjektive Urteile.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-6: Auswahl einiger Verfahren, die häufig zur Bewertung von neuen Investitionsvorhaben herangezogen werden [Ger05]

Ein großes Problem dieser klassischen Bewertungsverfahren ist jedoch die fehlende Prozessorientierung. Viele Unternehmen haben sich im Rahmen des Bedeutungs-zuwachses der Produktentwicklung „von einer aufbauorientierten Funktionalorganisation zu einer ablauforientierten Prozessorganisation“ gewandelt [Kra99] und die Idee des Prozess-managements in ihre Organisation integriert, vgl. Kapitel 2.2. Die fehlende Prozess-orientierung dieser Verfahren hat damit zur Folge, dass wichtige Nutzengrößen u. U. nicht erfasst werden. Diese Gefahr ist bei der Anwendung neuer komplexer Technologien, bei denen keine oder nur sehr wenige Erfahrungen vorliegen, logischerweise besonders hoch.

Phase 4: Entscheidung

Liegt eine Bewertung der verschiedenen Alternativen, so kann auf der Basis der einzelnen Bewertungsgrößen und einer anschließenden Rangbildung eine endgültige Auswahl-entscheidung getroffen werden.

Phase 5: Realisation

Erst durch die Implementierung der ausgewählten Lösungsalternative im Unternehmen können die während der Planung gebildeten Ziele zur Lösung eines Problems erreicht werden [Sch03]. In der Realisierungsphase werden damit Regelungs- und Steuerungs-aufgaben für eine wirtschaftliche Umsetzung den jeweiligen Aufgabenträgern zugeordnet. Letzte Informationslücken, aus denen ein Widerstand gegen die Planungsrealisierung folgen könnte, müssen geschlossen werden.

Für den Einsatz einer neuen Technologie im Unternehmen bedeutet dies, dass nach der Bewertung des Einsatzpotentials eine Einsatzplanung erfolgen muss. Dazu muss jeder Mitarbeiter, welchen der Einsatz der neuen Technologie betrifft, über die Technologie genauestens informiert sein, damit sich aus Informationsmängeln oder etwaigen Fehl-informationen keine Widerstände oder fehlende Akzeptanz ergeben.

Phase 6: Kontrolle

Kontrolle dient der Zielerreichung [Sch03]. So auch beim Einsatz einer neuen Technologie im Unternehmen. Um den gesamten Controllingprozess besser koordinieren zu können sollte ein gewisser Grad an Kontrolle jedoch schon während der Planung einsetzen. Bei der Kontrolle kann daher zwischen verschiedenen Stufen zu unterschieden werden [Sch03]. Auf operativer Ebene werden die Einzel-Ergebnisse gesammelt und mit den Ziel-Vorgaben für jeden Einzelfall verglichen. In der taktischen Ebene findet die grundsätzliche Durchführungs-kontrolle statt. Das bedeutet, dass alle Soll-Ist-Abweichungen analysiert werden, bevor Handlungsanweisungen erarbeitet werden können. Aggregiert auf strategischer Ebene sollte regelmäßig, u. U. auch noch vor der Implementierung, eine Überprüfung der Prämissen, d. h. der Entscheidungsvoraussetzungen getätigt werden, da sich Umweltzustände im Zeitablauf verändern können.

2.4.2 Controllingebenen

Der in Kapitel 2.4.1 beschriebene Planungs- und Kontrollprozess beim Einsatz einer neuen Technologie im Unternehmen ist damit kein singulärer Prozess, der isoliert vom Rest des Unternehmens durchgeführt wird [Bul94]. Entscheidungen von höherer Tragweite, wie z. B. kostenintensiven Investitionsentscheidungen, berühren alle Ebenen des Unternehmens. Dies gilt analog für die strategische, taktische und operative Planungs- und Entscheidungsebene der Produktentwicklung [Mac99], [WhCl94], die im Folgenden näher charakterisiert werden.

Strategische Ebene

Die strategische Ebene stellt die oberste Entscheidungsebene in einem Unternehmen dar [Sch03]. Entscheidungen orientieren sich daher vor allem an der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens. Im Fokus der strategischen Ebene steht die Entwicklung von Strategien für den Erhalt bzw. Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Analog gilt für die Produktentwicklung, dass zunächst die Entwicklungsstrategie auf die Unter-nehmensziele abgestimmt werden muss [WhCl94]. Hinsichtlich des Technologieeinsatzes im Rahmen der Produktentwicklung bedeutet dies, dass in der strategischen Ebene das Einsatzpotenzial neuer Technologien abgeschätzt und beurteilt werden muss.

Taktische Ebene

In der taktischen Ebene werden Strategien in operative Maßnahmen übersetzt [Sch03]. Im engeren Sinne bedeutet dies, dass in dieser Ebene geplant und entschieden wird, wie die Zielsetzung aus der strategischen Ebene im Unternehmen integriert werden soll. Hierzu ist eine detailierte Planung notwendig. Eine systematische Planung ist vor allem aus Gründen der Umsetzung in der nachfolgenden operativen Ebene sinnvoll. Für die Produktentwicklung muss entschieden werden, wann und wo im Unternehmen ein Projekt abgewickelt werden soll [BePM00]. In Bezug auf den Einsatz einer neuen Technologie, also in welcher Phase der Produktentwicklung und unter Teilnahme welcher funktionalen Bereiche [Mac99].

Operative Ebene

In der operativen Ebene erfolgt schließlich die Umsetzung der in der strategischen Ebene gebildeten Ziele und der in der taktischen Ebene getätigten Einsatzplanung [Mac99]. Ausgangspunkt für die Technologieplanung in der Produktentwicklung sind der zuvor festgelegte Einsatzzeitpunkt und Einsatzort. Entscheidungsprozesse in der operativen Ebene werden sachlich wie zeitlich „vor Ort“, also am konkreten Arbeitsplatz durchgeführt.

2.4.3 Controlling mit Kennzahlen

In Kapitel 2.4.1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Controlling mit klassischen Nutzenbewertungsverfahren, insbesondere bei der Planung des Einsatzes neuer komplexer Technologien, bei denen keine oder nur sehr wenige Erfahrungen vorliegen, viele Probleme aufwirft. Das Controlling mit Kennzahlen bietet nun einen Ansatz, der normalerweise zur Unternehmensführung herangezogen wird, um Entscheidungsträgern eine Orientierungshilfe zu geben und hierdurch komplexe Entscheidungssituationen zu vereinfachen.

Kennzahlen

Unter Kennzahlen werden Verhältniszahlen und absolute Zahlen verstanden, die eine Vielzahl von Informationen in komprimierter Form wiedergeben. Hierdurch verringern Kennzahlen die Komplexität von Entscheidungssituationen und erhöhen die Transparenz betrieblicher Prozesse [Böl90].

Grundsätzlich können mit Kennzahlen alle Unternehmensinformationen interpretiert werden (z. B. Bilanz-, Liquiditäts-, Produktivitäts- oder Technologiekennzahlen, etc.), sofern sie in quantitativer Form vorliegen und einen konkreten Problembezug haben [Kai97]. Somit können Kennzahlen auch bei der Unterstützung von Entscheidungen über den Einsatz einer neuen Technologie herangezogen werden.

Die Bildung von Kennzahlen kann sowohl auf quantitative als auch qualitative Art und Weise erfolgen. Quantitative Verfahren arbeiten mit scharfen bzw. harten Zahlen. Hier werden natürliche Kennwerte erfasst und gemessen. Diese Verfahren gelten daher im allgemeinen Verständnis meist als objektiv und exakt. Qualitative Verfahren hingegen gelten eher als subjektiv und ungenau. Hier werden Situationen und Sachverhalte verbal beurteilt. Die Frage des geeignetsten Bewertungsverfahrens stellt in der Wissenschaft daher einen häufig strittigen Diskussionspunkt dar [FrSc00].

Die Einteilung in scharfe bzw. harte und in unscharfe bzw. weiche Kennzahlen ist jedoch in erster Linie historisch gewachsen und keineswegs argumentativ begründet [FrSc00]. Auch empirisch konnte bis heute kein Genauigkeitsvorteil quantitativer Verfahren bewiesen werden. Die häufige Verwendung scharfer Kennzahlen resultiert vielmehr daher, dass Menschen im Allgemeinen dazu neigen, harte Fakten, die durch einfaches Zählen bzw. mit einfachen Messmethoden erfasst und bewertet werden können, zu bevorzugen [FrSc00]. Sie beachten dabei jedoch nur selten mit welchen Fehlern die der Bewertung zugrunde liegenden Basisdaten selbst erfasst wurden.

Diese Fehler scharfer Kennzahlen können aus zwei Ursachen resultieren. Zum einen sind harte Kennzahlen schon dann wieder veraltet, wenn sie gerade erst erfasst worden sind [FrSc00]. Die Informationen, auf denen diese Kennzahlen basieren, sollten daher immer kritisch nach ihrem Ursprungsdatum hinterfragt werden. Dies gilt gerade bei der Bewertung mit Kennzahlen. Keine Kennzahl kann aktueller sein, als die Aktualität der Basisdaten. Da die den harten Kennzahlen zugrundeliegenden Basisdaten jedoch in der Regel nicht kontinuierlich erfasst werden können, sondern nur in gewissen Zeitabständen, weisen diese Daten oftmals ein beträchtliches Alter, das den Entscheidern selbst gar nicht bewusst ist. Zum anderen resultiert ein weiterer Fehler scharfer Kennzahlen zumeist daraus, dass die Genauigkeit der Mess- bzw. Basisdatenerfassung selbst ihre Grenzen hat [FrSc00]. Jedoch kann eine Kennzahl niemals eine genauer sein als die Genauigkeit dieser Basisdaten. Beide Ungenauigkeiten, die also jeweils aus der Begrenzung der Messgenauigkeit und der Begrenzung der zeitlichen Aktualität resultieren, kombinieren sich dazu in jeder Kennzahl und potenzieren sich, je komplexer eine Kennzahl bzw. ein Kennzahlensystem aus einer Vielzahl von Basisdaten zusammengesetzt wird. Diese Ungenauigkeit scharfer Kennzahlen kann dazu führen, dass insbesondere bei komplexen Entscheidungsprozessen den Entscheidern eine Exaktheit wiedergespiegelt wird, die nicht der Realität entspricht.

Die wichtigsten Eigenschaften von Kennzahlen sind ihr Informationscharakter, ihre Quantifizierbarkeit, sowie die spezielle Art der Visualisierung. Der Informationscharakter von Kennzahlen hat zur Folge, dass komplexe Entscheidungssituationen auf wenige, eindeutige und entscheidungsrelevante Sachverhalte komprimiert werden [Mac99]. Anhand dieser können sich die Entscheider zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt orientieren. Als Input für diese Entscheidungssituationen können Kennzahlen zudem von nachgelagerten Organisationseinheiten an übergeordnete Ebenen übertragen werden, um dort in die Entscheidungsfindung mit einzufließen [PiMe03]. Die Messbarkeit anhand eines Skalen-niveaus liefert gleichzeitig die Basis für eine Beurteilung der Kennzahlenausprägungen durch z. B. Vergleiche mit Kennzahlen der Vergangenheit, anderer Abteilungen oder ggf. sogar anderer Unternehmen. Durch die komprimierte Art der Darstellung werden Veränderungen über den Zeitablauf direkt ersichtlich.

Weil Kennzahlen stets Zusammenhänge wiederspiegeln, können sie als Stellschrauben dienen und werden so zu einem Steuerungsinstrument [FrSc00]. Sie sind damit Ausgangsgrößen von Steuerungsprozessen und gewährleisten das Funktionieren eines Frühwarnsystems [Bom92]. Zuvor unbekannte Zusammenhänge können durch die Veränderungen der Kennzahlen und ihrer Korrelation untereinander aufgedeckt werden.

Kennzahlen ermöglichen damit, in „Bottom-Up“-Richtung nicht bzw. nur schwer fassbare Nutzengrößen zu ermitteln. In entgegen gesetzter Richtung können Kennzahlen dann wiederum für Vorgabezwecke an nachgelagerte Entscheidungsebenen „Top-Down“ weitergegeben werden. Diese Vorgaben dienen dann als Basis für Kontrollprozesse und ermöglichen damit eine Rückkopplung [PiMe03]. Hierzu werden die Vorgabe- bzw. Sollwerte in einem Soll-Ist-Vergleich mit den realisierten Werten, d. h. den Ist-Werten verglichen. Weisen die Ist-Kennzahlen signifikante Abweichungen von den Soll-Vorgaben auf, muss analysiert werden, welche Ursachen diese Abweichungen haben.

Zwar nutzen viele Unternehmen verschiedenste Kennzahlen, um ihre Innovationsfähigkeiten z. B. in der Produktentwicklung zu messen [Ger05]. Die Praxis zeigt jedoch, dass diese Indikatoren oftmals auf vergangenheitsorientierten Daten basieren und daher nur eine geringe Aussagekraft über den tatsächlichen Nutzen einer technischen Innovation in einem Unternehmen haben [Som01]. Nur sehr wenige Unternehmen nutzen umfangreichere Controlling-Kennzahlen.

Kennzahlensysteme
Um Ungenauigkeiten bzw. Mehrdeutigkeiten einzelner Kennzahlen zu minimieren und Zusammenhänge zwischen einzelnen Sachverhalten aufzuzeigen, ist es sinnvoll, mehrere Kennzahlen zu einem Kennzahlensystem zusammenzufassen.

Ein Kennzahlensystem ist als eine geordnete Zusammenstellung quantitativer Größen, die in einem sachlogischen oder rechentechnischen Zusammenhang zueinander stehen, zu verstehen [Böl90].

Bei sachlogischen Kennzahlensystemen erfolgt die Interpretation der Zusammenhänge zwischen den Kennzahlen über Plausibilitätserklärungen, z. B. kann die Höhe des F&E-Budgets B(€) Einfluss auf die Anzahl der Patente P(t) haben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine rechnerische Verknüpfung existiert hierbei nicht. Verschiedene Kennzahlen aus verwandten Bereichen werden daher häufig zu Gruppen zusammengefasst. In diesem Fall entstehen sog. Ordnungssysteme.

Bei rechentechnischen Kennzahlensystemen hingegen erfolgt die Verknüpfung der Kennzahlen über mathematische Funktionen, z. B. kann die Anzahl der Patente P(t) in einer Periode im Verhältnis zur Anzahl neuer Produkte N(t) in der gleichen Periode als ein Maß für die Güte Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten von Produktinnovationen eines Unternehmens genommen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die mathematische Verknüpfung erfolgt hierbei entweder „Top-Down“ ausgehend von einer Spitzenkennzahl, die in weitere, untergeordnete Kennzahlen zerlegt wird oder „Bottom-Up“, wobei ausgehend von mehreren Kennzahlen, diese zu einer Spitzenkennzahl verdichtet werden. In Abbildung 2-7 wird gezeigt, dass auf diese Weise in jedem Falle eine Kennzahlenpyramide entsteht, an deren Spitze immer genau eine Kennzahl steht. Diese Spitzenkennzahl repräsentiert das Oberziel, welches ein Unternehmen mit der Anwendung des Kennzahlensystems erreichen will.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-7: Struktur einer Kennzahlen-Hierarchie [PiMe03]

Eine rechentechnische Verknüpfung setzt in jedem Falle zunächst voraus, dass die Informationen in quantitativer Form vorliegen. Liegen Informationen jedoch in qualitativer Form vor, so müssen diese erst in eine quantitative Form überführt werden.

Darüber hinaus sind Kennzahlensysteme möglich, welche sich aus beiden möglichen Formen zusammensetzen. Das bedeutet, dass auch Mischformen aus Ordnungs- und Rechensystemen möglich.

Kennzahlensysteme bieten damit eine Reihe von Möglichkeiten. Zum einen setzen sie Informationen über verschiedene Sachverhalte zueinander in Verbindung. Durch eine zielbezogene Verbindung prozessbezogener und prozessübergreifender Sachverhalte werden Kennzahlensysteme damit zu einem Informations- bzw. Controllingsystem. Zum anderen abstrahiert der transparente und nachvollziehbare Aufbau eines Kennzahlen-systems komplexe Ursache-Wirkungszusammenhänge auf wenige verständliche Kenn-zahlen anhand derer sich Entscheidungsträger orientieren können. Abbildung 2-8 stellt schematisch dar, welche Möglichkeiten sich insgesamt damit aus der Anwendung eines kennzahlenorientierten Controllingsystems ergeben können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-8: Funktionen eines kennzahlenorientierten Controllings [Hor06]

Diese Funktionen werden nach Horvath [Hor06], Gerpott [Ger05] und Töpfer [Töp76] im Folgenden beschrieben.

Informations- und Dokumentationsfunktion

Die Werte eines Kennzahlensystems lassen sich dokumentieren und können auf diese Weise Entscheidungen auch noch nachträglich legitimieren oder zur Ursachenforschung von Fehlentwicklungen bzw. -entscheidungen herangezogen werden. Zukünftige und ähnliche Entscheidungen können hierdurch vereinfacht bzw. beschleunigt werden.

Die sprachenunabhängige Visualisierungsform sorgt dafür, dass die mit Kennzahlen verbundenen Informationen verständlich, d. h. unabhängig von Nationalität, Fachgebiet, etc. im Unternehmen kommuniziert werden können.

Koordinationsfunktion

Aufgrund der Zusammenhänge zwischen den Kennzahlen können Ursache-Wirkungs-beziehungen transparent und nachvollziehbar abgebildet werden. Durch die höhere Transparenz in den Ursache-Wirkungsbeziehungen können Prioritäten besser gesetzt und Ressourcenentscheidungen vereinfacht werden. Kennzahlensysteme nehmen damit eine Art Führungs- bzw. Geleitfunktion ein, anhand dessen sich Entscheidungsträger orientieren können.

[...]

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Einsatz von Virtual Reality (VR) in der Produktentwicklung (Band 2)
Untertitel
Kennzahlenorientierte Nutzenanalyse für den Einsatz von Virtual Reality in der Produktentwicklung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Institut für Product Engineering (IPE))
Veranstaltung
Lehrstuhl für Produktentwicklung und Produktionstechnologien
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
91
Katalognummer
V126885
ISBN (eBook)
9783640364671
ISBN (Buch)
9783640364862
Dateigröße
2275 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit ist die erste seiner Art, die sich detailiert mit der Analyse des Nutzens von VR-Technologien in der Produktentwicklung befasst.
Schlagworte
Einsatz, Virtual, Reality, Produktentwicklung, Kennzahlenorientierte, Nutzenanalyse, Einsatz, Virtual, Reality, Produktentwicklung
Arbeit zitieren
M.Sc. Wi.-Ing. Markus Sturm (Autor:in), 2009, Einsatz von Virtual Reality (VR) in der Produktentwicklung (Band 2), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126885

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