Ansatz und Bewertung von Rückstellungen nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz

Darstellung und Beurteilung


Diplomarbeit, 2009

78 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

1. PROBLEMSTELLUNG

2. ABSCHAFFUNG DER ANSATZWAHLRECHTE FÜR AUFWANDSRÜCKSTELLUNGEN
2.1 GELTENDE RECHTSLAGE
2.1.1 Begriff und Arten von Rückstellungen
2.1.2 Steuerliche Berücksichtigung von Rückstellungen
2.1.3 Rückstellungsbildung aus statischer und dynamischer Sicht
2.1.4 Ansatz von Aufwandsrückstellungen
2.1.4.1 Begriff und Arten von Aufwandsrückstellungen
2.1.4.2 Instandhaltungsrückstellungen
2.1.4.3 Rückstellungen für Abraumbeseitigung
2.1.4.4 Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB
2.1.5 Bilanzierung von Rückstellungen nach IFRS
2.2 Ä NDERUNGEN DURCH DAS B ILANZRECHTSMODERNISIERUNGSGESETZ 16
2.2.1 Aufhebung von Rückstellungswahlrechten
2.2.2 Beibehaltung passivierungspflichtiger Aufwandsrückstellungen gemäß § 249 Abs. 1 Satz
HGB
2.3 A USWIRKUNGEN UND B EURTEILUNG DER N EUREGELUNG 18
2.3.1 Vorbemerkungen
2.3.2 Argumente für die Passivierung von Aufwandsrückstellungen
2.3.3 Kritikpunkte an der Passivierung von Aufwandsrückstellungen
2.3.3.1 Auflösung von Aufwandsrückstellungen durch Planänderungen
2.3.3.2 Verstoß gegen das Objektivierungsprinzip
2.3.3.3 Eingeschränkte Nachprüfbarkeit der Aufwandsrückstellungen
2.3.3.4 Eingeschränkte Vergleichbarkeit der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse
2.3.4 Kritik an der Beibehaltung passivierungspflichtiger Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs
1 Satz 2 HGB
2.3.5 Komponentenansatz nach IAS
2.3.5.1 Vorbemerkungen
2.3.5.2 Grundkonzeption des Komponentenansatzes
2.3.5.3 Bilanzierung von Generalüberholungen nach IFRS, HGB und BilMoG
2.3.6 Bewertungskonsequenzen aus der Abschaffung der Passivierungswahlrechte
2.3.7 Erstanwendung und Übergangsvorschriften
2.3.8 Zusammenfassende Beurteilung der Neuregelung

3. ÄNDERUNGEN BEI DER BEWERTUNG VON RÜCKSTELLUNGEN 35
3.1 B EWERTUNG VON R ÜCKSTELLUNGEN NACH GELTENDER R ECHTSLAGE 35
3.1.1 Bewertungsgrundsätze
3.1.2 Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostensteigerungen
3.1.3 Abzinsung von Rückstellungen
3.1.4 Rückstellungsbewertung in der Steuerbilanz
3.1.5 Bewertung von Rückstellungen nach IFRS
3.2 Ä NDERUNGEN DURCH DAS B ILANZRECHTSMODERNISIERUNGSGESETZ
3.2.1 Vorbemerkung
3.2.2 Bewertung mit dem „Erfüllungsbetrag“
3.2.3 Diskontierungsgebot
3.3 A USWIRKUNGEN DER N EUREGELUNG AUF DIE R ÜCKSTELLUNGSBEWERTUNG 43
3.3.1 Berücksichtigung von Preis- und Kostensteigerungen
3.3.1.1 Vorbemerkungen
3.3.1.2 Berücksichtigung rückläufiger Preisentwicklungen
3.3.1.3 Sind Schätzungen mittels Trendfortschreibung zulässig?
3.3.1.4 Schätzung künftiger Preissteigerungen durch Trendfortschreibung
3.3.1.5 Schätzung künftiger Preissteigerungen für Geldleistungsverpflichtungen
3.3.2 Einführung einer Diskontierungspflicht für Rückstellungen
3.3.2.1 Vorbemerkungen
3.3.2.2 Marktzinssatz
3.3.2.2.1 Ermittlung und Anwendung
3.3.2.2.2 Beispiel zur Anwendung des durchschnittlichen Marktzinssatzes
3.3.2.2.3 Marktzinssatz für Fremdwährungsrückstellungen
3.3.2.3 Ausweis und Anhangangaben
3.3.2.3.1 Ausweis der Zinseffekte in der Gewinn- und Verlustrechnung
3.3.2.3.2 Rückstellungsspiegel
3.3.2.4 Verstoß gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
3.3.2.4.1 Realisationsprinzip
3.3.2.4.2 Höchstwertprinzip
3.3.3 Durchbrechung der Maßgeblichkeit
3.3.4 Erstanwendung und Übergangsvorschriften
3.3.5 Zusammenfassende Beurteilung

4. FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Systematik der Rückstellungen nach HGB

Abb. 2: Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB

Abb. 3: Voraussetzungen für den Ansatz einer Rückstellung nach IAS

Abb. 4: Bilanzierung von Generalüberholungen nach IFRS

Abb. 5: Bilanzierung von Generalüberholungen nach HGB a. F.

Abb. 6: Bilanzierung von Generalüberholungen nach HGB n. F.

Abb. 7: Entwicklung der Personal- und Materialkosten

Abb. 8: Trendfortschreibung

Abb. 9: Ermittlung des Zinsanteils

Abb. 10: Erfassungsmöglichkeiten der Abzinsung von langfristigen Rückstellungen

Abb. 11: Aufbau eines Rückstellungsspiegels

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Problemstellung

Der Bundesrat hat am 03.04.2009 dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG) in der Fassung zugestimmt1, die am 26.03.2009 vom Bundestag beschlossen wurde.2 Die umfassendste Reform des deutschen Handelsgesetzbuchs seit mehr als 20 Jahren ist am 28.05.2009 mit der Verkündigung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten. Der Gesetzgeber möchte das deutsche Bilanzrecht durch das Bilanzrechts-modernisierungsgesetz zu einer dauerhaften, kostengünstigeren und einfacheren Alternative zu den IFRS entwickeln. Dadurch sollen insbesondere die kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen entlastet werden. Die Eckpunkte des bisher geltenden HGB-Bilanzrechts, als Grundlage der Ausschüttungsbemessung und der steuerlichen Gewinnermittlung sowie das bisherige System der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, sollen bei der Umsetzung des modernisierten Bilanzrechts jedoch nicht aufgegeben werden.

Wesentliche Änderungen des BilMoG betreffen den Ansatz und die Bewertung von Rückstellungen. In der vorliegenden Arbeit sollen die Einzelheiten der Neuregelungen zur Rückstellungsbilanzierung dargestellt und die Konsequenzen sowie Auswirkungen für die künftige Abschlusserstellung aufgezeigt werden. Die Ausführungen beschränken sich jedoch auf den Bereich der sonstigen Rückstellungen, da dies sonst den Rahmen der Diplomarbeit sprengen würde. Die Bilanzierung und Bewertung von Rückstellungen nimmt in der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung eine zentrale Bedeutung ein. Sie mindern den handelsrechtlichen und falls anerkannt auch den steuerrechtlichen Gewinn. Zudem eröffnen sie dem Bilanzierenden bilanzpolitische Gestaltungsspielräume zur Ergebnisglättung, wodurch die Ausschüttungsansprüche der Anteilseigner beeinflusst werden können. Die besondere Bedeutung der sonstigen Rückstellungen in der Bilanz wird an deren Anteil von durchschnittlich etwa 12 Prozent3 an der Bilanzsumme deutlich.

Die folgende Arbeit soll die bisher geltende Rechtslage und die Änderungen durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz zunächst beschreiben. Dem folgend sollen die mit den Änderungen verbundenen praktischen und theoretischen Auswirkungen untersucht werden. Dabei ist auch kritisch zu untersuchen, ob die Neuregelung der Rückstellungsbilanzierung mögliche Veränderungen der bisher geltenden Fundamentalgrundsätze der handelsrechtlichen Rechnungslegung verursacht. Schließlich soll geklärt werden ob der Gesetzgeber die angestrebten Ziele durch das modernisierte Bilanzrecht erreicht.

2. Abschaffung der Ansatzwahlrechte für Aufwandsrückstellungen

2.1 Geltende Rechtslage

2.1.1 Begriff und Arten von Rückstellungen

Rückstellungen sind Passivposten für bestimmte Verpflichtungen des Unternehmens, die am Bilanzstichtag ihrer Entstehung und/oder ihrer Höhe nach ungewiss sind und deren zugehöriger Aufwand der Periode ihrer Verursachung zugerechnet werden muss.4 Das heißt, dass die Ursache der Schuld oder Last im abgelaufenen Geschäftsjahr liegt, während die Erfüllung erst in einer nachfolgenden Rechnungsperiode erfolgt. Die Ungewissheit bezüglich Fälligkeit und/oder Höhe der Schuld bildet ein Abgrenzungs-merkmal zu den Verbindlichkeiten.5 Die derzeit geltenden Vorschriften für alle Kaufleute hinsichtlich des Ansatzes von Rückstellungen werden in § 249 HGB geregelt. Für den Geltungsbereich der sonstigen Rückstellungen ist darüber hinaus auch § 266 Abs. 3 HGB zu beachten. Hieraus lässt sich die Untergliederung der Rückstellungen durch den deutschen Gesetzgeber in drei Kategorien erkennen:

- Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen,
- Steuerrückstellungen
- sonstige Rückstellungen

Wie hieraus ersichtlich wird, dient die Gruppierung der sonstigen Rückstellungen als Auffangbecken für alle Risiken, die nicht bereits in den Steuerrückstellungen bzw. den Pensionsrückstellungen berücksichtigt sind. Die Position der sonstigen Rückstellungen gemäß § 249 HGB umfasst verschiedene Rückstellungsarten, die sich grundsätzlich in vier Rückstellungskategorien gliedern lassen:6

- Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
- Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
- Rückstellungen für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung7 und
- Aufwandsrückstellungen.

Darüber hinaus lässt sich die Vorschrift des § 249 HGB in ein Passivierungsgebot, -wahlrecht und -verbot unterteilen. Der Gesetzgeber schreibt gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften vor. Zudem besteht gemäß § 249 Abs. 1 Satz 2 HGB eine Passivierungspflicht für die Nachholung von Instandhaltungsaufwendungen innerhalb der ersten drei Monate des folgenden Geschäftsjahrs und für Aufwendungen der Abraumbeseitigung sowie für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung. Neben diesen Pflichten räumt der Gesetzgeber auch Wahlrechte zur Bildung von Rückstellungen ein. Demnach können gemäß § 249 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 HGB Rückstellungen für bestimmte innerbetrieblich anfallende Aufwendungen gebildet werden. Die Instandhaltungs- und Abraumbeseitigungsrückstellungen sowie die in § 249 Abs. 2 HGB normierten Rückstellungen sind der Kategorie der Aufwands-rückstellungen zuzuordnen, die in Kapitel 2.1.4 näher thematisiert werden. Für andere als die in § 249 Abs. 1 und 2 HGB genannten Rückstellungsarten besteht nach deutschem Handelsrecht ein Passivierungsverbot (§ 249 Abs. 3 Satz 1 HGB).

Weiterhin lassen sich Rückstellungen nach dem Charakter der ihnen jeweils zugrunde liegenden Verpflichtung systematisieren. Dabei erfolgt grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen der Bildung von Rückstellungen, die entweder auf Außenverpflichtungen oder auf Innenverpflichtungen beruhen. Während bei Außenverpflichtungen stets eine Leistungsverpflichtung gegenüber Dritten besteht, liegen Innenverpflichtungen unternehmensinterne Belastungen zugrunde.8 Aufgrund des wesentlich niedrigeren und weniger konkretisierten Verpflichtungsdrucks von Innenverbindlichkeiten ist deren Objektivierung und Nachvollziehbarkeit schwierig.9 Der fehlende Verpflichtungscharakter von Aufwandsrückstellungen bildet ein Abgrenzungsmerkmal zu den Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und Drohverlustrückstellungen, denen grundsätzlich Außenverpflichtungen zugrunde liegen.10

Die folgende Übersicht fasst die oben dargestellte Systematik der Rückstellungen gemäß § 249 HGB zusammen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Systematik der Rückstellungen nach HGB

(In Anlehnung an: BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 417)

Die Notwendigkeit zur Bildung von Rückstellungen ergibt sich „aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung, nach denen mögliche Verluste bereits als echte Verluste auszuweisen sind (Imparitätsprinzip)“.11 Rückstellungen übernehmen demnach eine Gläubigerschutzfunktion und dienen darüber hinaus auch der langfristigen Sicherung der Unternehmensfortführung. Ferner dient die Rückstellungs-bildung der periodengerechten Erfolgsermittlung und der finanzwirtschaftlichen Vorsorge. Mit Rückstellungen sollen zukünftige Ausgaben bilanziell vorgezogen und bereits in dem Geschäftsjahr berücksichtigt werden, in dem die tatsächliche Ursache zur Ausgabe liegt.12

2.1.2 Steuerliche Berücksichtigung von Rückstellungen

Nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, der sich aus § 5 Abs. 1 EStG ergibt, orientiert sich das Steuerrecht am handelsrechtlichen Rückstellungsbegriff. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Nach einem Beschluss des BFH sind Passivposten, die in der Handelsbilanz ansatzpflichtig sind, auch in der Steuerbilanz anzusetzen. Besteht dagegen ein handelsrechtliches Passivierungswahlrecht, so dürfen diese steuerrechtlich nicht angesetzt werden.13 Auf Rückstellungen übertragen sind somit, die einer Passivierungspflicht unterliegenden Rückstellungen (mit Ausnahme der Drohverlustrückstellungen) auch in der Steuerbilanz anzusetzen, während Rückstellungen für die ein handelsrechtliches Wahlrecht besteht, steuerrechtlich einem Passivierungsverbot unterliegen. Wird somit nach geltendem Recht, ein Wahlrecht zur Bildung von Aufwandsrückstellungen ausgeübt, so führt dies zu einer Bewertungsdifferenz zwischen Handels- und Steuerbilanz, die gemäß § 274 Abs. 2 HGB als aktive latente Steuer abgegrenzt werden kann.

2.1.3 Rückstellungsbildung aus statischer und dynamischer Sicht

Bei den Rückstellungen handelt es sich um eine bezüglich ihres Inhalts und Umfangs umstrittene und intensiv diskutierte Bilanzposition. Die Diskussion um die Bildung von Rückstellungen, insbesondere von Aufwandsrückstellungen, wird dabei vor allem durch die jeweils vertretene Bilanzauffassung geprägt.

Nach der statischen Bilanzauffassung verfolgt der Jahresabschluss das Ziel die Schuldendeckungsfähigkeit des bilanzierenden Unternehmens durch eine Gegenüberstellung der Schulden und des Vermögens darzustellen.14 Die Rückstellungsbildung dient aus statischer Sicht somit der vollständigen Erfassung der Schulden des Unternehmens. Nach dieser Auffassung sind als Rückstellungen alle Verbindlichkeiten auszuweisen, die gegenüber Dritten bestehen (Außenverpflichtung).15 Maßgeblich für den Rückstellungsbegriff nach statischer Bilanzauffassung ist also der Verpflichtungscharakter der Schuld. Demnach werden Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften von der statischen Bilanztheorie erfasst, wohingegen Aufwandsrückstellungen aufgrund der fehlenden Verpflichtung gegenüber Dritten keine Berücksichtigung finden.

Die dynamische Bilanzauffassung sieht den Hauptzweck der Bilanz hingegen in der periodengerechten Erfolgsermittlung. Aufwendungen und Erträge sind hiernach denjenigen Perioden zuzurechnen, in denen sie verursacht wurden (Verursachungsprinzip).16 Durch diese Auslegung wird der Umfang des Rückstellungs-begriffs erweitert. Das erzielte Jahresergebnis soll aus dynamischer Sicht einen Maßstab für die Ertragslage eines Unternehmens im Zeitablauf darstellen und so die Vergleichbarkeit des Periodenerfolgs verbessern. Rückstellungen stellen nach der dynamischen Bilanztheorie somit einen speziellen Abgrenzungsposten dar, deren Zweck die periodengerechte Zuordnung des Aufwands zu den entsprechenden Erträgen ist. Rückstellungen sind nach dieser Auffassung deshalb nicht nur für Verpflichtungen gegenüber Dritten zu bilden, sondern auch für unterlassene betriebliche Ausgaben, die im abgelaufenen Geschäftsjahr zur Erzielung von Erträgen erforderlich waren. Zur periodengerechten Erfolgsermittlung sind somit die unterlassenen betrieblichen Ausgaben dem Ertrag des abgelaufenen Geschäftsjahrs als Aufwand gegenüber-zustellen.17 Die Rückstellungsdefinition nach der dynamischen Bilanztheorie geht demnach über die statische Bilanzauffassung hinaus. Neben den Verbindlichkeiten werden aus dynamischer Sicht auch sämtliche Rückstellungen des § 249 Abs. 1 und 2 HGB, also auch Aufwandsrückstellungen, als Schulden erfasst.

Anhand des derzeit geltenden Rückstellungskatalogs nach § 249 HGB lässt sich feststellen, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Bilanzrichtlinien-Gesetzes 1985 einen Kompromiss zwischen beiden Bilanzauffassungen gesucht hat. Einerseits schreibt der Gesetzgeber die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften vor (statische Bilanzauffassung). Andererseits wird dem Kaufmann ein Wahlrecht zur Bildung von Aufwands-rückstellungen eingeräumt, um den Vorschriften des HGB einen dynamischeren Charakter zu verleihen.18

2.1.4 Ansatz von Aufwandsrückstellungen

2.1.4.1 Begriff und Arten von Aufwandsrückstellungen

In der Literatur wird der Begriff Aufwandsrückstellungen häufig als diejenigen Rückstellungen definiert, denen keine Verpflichtung gegenüber Dritten zugrunde liegt. Es handelt sich hierbei um betriebswirtschaftliche Verpflichtungen des Unternehmens gegenüber sich selbst. Der Kategorie der Aufwandsrückstellungen sind die Instandhaltungs- und Abraumbeseitigungsrückstellungen sowie die in § 249 Abs. 2 HGB normierten Rückstellungen zuzuordnen. Aufgrund der fehlenden Außen-verpflichtung und der Möglichkeit bestimmte Verpflichtungen gegenüber sich selbst zu passivieren, spricht Naumann auch von einer „Manipulationsanfälligkeit“ der Aufwandsrückstellungen.19 Sie werden in der Praxis häufig als bilanzpolitisches Instrument zur Ergebnisbeeinflussung genutzt, um durch Passivierung überhöhter Verpflichtungen eine Reduktion des Jahresergebnisses zu bewirken, das Ausschüttungspotential zu verringern und folglich finanzielle Mittel in der Unternehmung zu binden. Um den bilanzpolitischen Spielraum einzuschränken, versucht der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Bildung von Aufwandsrückstellungen einzugrenzen. So versucht das Handelsrecht im Detail zu konkretisieren, für welche Zwecke in der Handelsbilanz Rückstellungen gebildet werden müssen und für welche Zwecke ein Ansatzwahlrecht besteht.20 Für andere als die im Gesetz genannten Zwecke dürfen gemäß § 249 Abs. 3 HGB keine Rückstellungen gebildet werden.

Der Begriff Aufwandsrückstellung wirkt missverständlich, weil nicht nur bei dieser Rückstellungsart ein Aufwand entsteht. Jede Rückstellungsbildung, also auch die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, führt zur Entstehung eines Aufwands. Mit dem Begriff Aufwandsrückstellung soll lediglich verdeutlicht werden, dass deren vorherrschender Bilanzierungszweck in der periodengerechten Erfolgsermittlung liegt. Aufwands-rückstellungen dienen somit der Erfassung von Aufwendungen im Jahresabschluss, die erst in Zukunft zu Ausgaben führen, ohne dass am Bilanzstichtag eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten besteht.21 Deren Bilanzierung kann somit als Gedankengut und Ausfluss der dynamischen Bilanztheorie gewertet werden.22

2.1.4.2 Instandhaltungsrückstellungen

Unterlassene Instandhaltungen kommen insbesondere bei Gegenständen des abnutzbaren Anlagevermögens in Betracht. Zu den typischen Sachverhalten, die unter Rückstellungen für im Geschäftsjahr unterlassene Instandhaltungen erfasst werden, zählen insbesondere Generalüberholungen, Großreparaturen, aber auch Inspektionen und Wartungsarbeiten.23 So müssen beispielsweise Produktionsanlagen innerhalb ihrer Nutzungsdauer zur Sicherstellung der Betriebsfähigkeit regelmäßig gewartet und nötigenfalls auch repariert werden. Erfolgen die Instandhaltungs-, Reparatur- und Wartungsarbeiten in der Periode, in der sie erforderlich waren, sind sie als Aufwand der betreffenden Periode zuzurechnen.24 Gelegentlich muss aber eine fällige Reparatur-oder Wartungsmaßnahme auch in eine der folgenden Perioden verschoben werden, um zum Beispiel die Produktionsabläufe nicht zu stören. Die Instandhaltungsarbeiten werden also nicht in der Abrechnungsperiode durchgeführt, in der sie verursacht wurden, sondern in die Zukunft verschoben. In solchen Fällen kommt die Bildung einer Rückstellung für unterlassene Instandhaltung in Betracht, um eine periodengerechte Aufwandsverteilung und Gewinnermittlung zu gewährleisten.25

Die Instandhaltungsrückstellung stellt im Grunde aber auch eine Vereinfachung dar. Die regelmäßige Instandhaltung stellt die Basis für die zu veranschlagende Nutzungsdauer und damit für die planmäßige Abschreibung dar. Wird die Instandhaltung versäumt, entfällt die Grundlage für die planmäßige Abschreibung, sodass eine außerplanmäßige Abschreibung notwendig wird. Sobald die Instandhaltung jedoch vollständig nachgeholt werden würde, müsste die außerplanmäßige Abschreibung wieder rückgängig gemacht werden, sodass diese Vorgehensweise, im Vergleich zur Bildung einer Rückstellung für unterlassene Instandhaltung, zu aufwendig wäre.26

In Abhängigkeit von der Nachholfrist der Instandhaltung hat der Gesetzgeber unterschiedliche Rechtsfolgen normiert. Werden die Instandhaltungsmaßnahmen innerhalb der ersten drei Monate des folgenden Geschäftsjahrs nachgeholt, so besteht gemäß § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HGB eine Passivierungspflicht. Erfolgt die Nachholung der Instandhaltungsmaßnahmen jedoch innerhalb eines Jahres, aber nach Ablauf von drei Monaten, so besteht für den Kaufmann gemäß § 249 Abs. 1 Satz 3 HGB ein Passivierungswahlrecht. Die zeitliche Differenzierung bei den Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung lässt sich steuerrechtlich und über das Maßgeblichkeitsprinzip27 begründen. Damit Instandhaltungsrückstellungen bei einer Nachholung innerhalb der ersten drei Monate in der Steuerbilanz Berücksichtigung finden, hat man sie auch im Handelsrecht verbindlich vorgeschrieben. Für unterlassene Instandhaltungen, die nach Ablauf der Dreimonatsfrist nachgeholt werden, besteht dagegen ein steuerrechtliches Passivierungsverbot.28 Vorraussetzung für die Bildung einer Instandhaltungsrückstellung ist, dass die Maßnahmen zur Instandhaltung innerhalb der vorgegebenen Fristen (drei Monate bei Passivierungspflicht und ein Jahr bei Passivierungswahlrecht) nicht nur begonnen, sondern wahrscheinlich im Wesentlichen abgeschlossen sein werden.29

2.1.4.3 Rückstellungen für Abraumbeseitigung

Rückstellungen für Abraumbeseitigung sind vor allem im Tagebau von Bedeutung. Nach der Förderung sind die zur Wiederherstellung des Landschaftsbildes und zur Beseitigung des Abraumes anfallenden Kosten nach dem Grundsatz der Periodenabgrenzung der Periode zuzurechnen, in der die entsprechenden Erträge erzielt werden. Erfolgt die Beseitigung des Abraumes innerhalb des nächsten Geschäftsjahrs, so ist der Kaufmann gemäß § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HGB dazu verpflichtet, am Bilanzstichtag eine Rückstellung in Höhe der zu erwartenden Abraumkosten zu bilden. Da der Gesetzgeber hierfür eine Passivierungspflicht vorgesehen hat, ist die Rückstellung auch steuerrechtlich wirksam. Falls die zeitliche Begrenzung des § 249 Abs. 1 Nr. 1 HGB nicht erfüllt werden kann, so kommt auch eine Aufwandrückstellung nach § 249 Abs. 2 HGB in Betracht. Diese findet allerdings steuerrechtlich keine Anerkennung. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für im Geschäftsjahr unterlassene Abraumbeseitigung als Aufwandsrückstellung ist das Vorliegen einer Innenverpflichtung. Sofern die Verpflichtung zur Abraumbeseitigung etwa aufgrund einer gesetzlichen Auflage bindend gegenüber Dritten besteht, kommt eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in Betracht.30

Durch die relativ eindeutige Zweckbindung – Instandhaltung oder Abraumbeseitigung – sowie durch die zeitlichen Restriktionen wird der Rahmen für die oben genannten Aufwandsrückstellungen durch den Gesetzgeber eng gezogen. Demnach müssen Aufwendungen im Geschäftsjahr unterlassen worden sein und im folgenden Geschäftsjahr, bei Instandhaltungen innerhalb der ersten drei Monate, nachgeholt werden, um passivierungspflichtig zu sein.31 Durch die enge Zweckbindung sollen die bilanzpolitischen Spielräume der Aufwandsrückstellungen eingeschränkt werden.

2.1.4.4 Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB

Aufwandsrückstellungen gemäß § 249 Abs. 2 HGB ermöglichen dem Kaufmann die Passivierung künftiger Ausgaben, ohne dass eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten besteht. Sie werden in der Literatur deshalb als „typische Aufwandsrückstellungen“32 bezeichnet und stellen aus bilanztheoretischer Sicht ein wichtiges Element der dynamischen Bilanzierung dar. Durch die Passivierung von Aufwandsrückstellungen ermöglicht der Gesetzgeber dem bilanzierenden Unternehmen die Ansammlung erforderlicher Mittel für konkrete künftige Aufwendungen, die dem laufenden oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnen sind und denen sich der Kaufmann aller Voraussicht nach nicht entziehen kann.33 Das Rückstellungswahlrecht gemäß § 249 Abs. 2 HGB hat somit den Charakter einer Bilanzierungshilfe. Aufwandsrückstellungen dienen damit der Sicherstellung der Finanzierbarkeit und Verkraftbarkeit notwendiger größerer Aufwendungen und übernehmen demnach auch eine Art Vorsorge- und Schutzfunktion für den Bestand eines Unternehmens. Darüber hinaus haben Aufwandsrückstellungen einen Glättungseffekt, der es dem bilanzierenden Unternehmen ermöglicht außergewöhnliche Gewinnsprünge zu vermeiden und künftig auftretende Aufwendungen auf mehrere Geschäftsjahre zu verteilen. Aufwands-rückstellungen können somit zur Selbstfinanzierung des Unternehmens beitragen.34

Trotz der dargestellten positiven Effekte von Aufwandsrückstellungen werden sie in der Literatur teilweise sehr kritisch gesehen. Die besondere Problematik liegt in der eindeutigen Bestimmung der Sachverhalte, für die zukünftige Ausgaben trotz fehlender Außenverpflichtung passiviert werden dürfen. Es ist demnach schwierig festzustellen, ob es sich bei der Rückstellungsbildung um eine zulässige Vorsorge für konkrete künftige Ausgaben oder eine unzulässige allgemeine Risikovorsorge mit Rücklagencharakter handelt. Hieraus ergeben sich dem bilanzierenden Unternehmen erhebliche Gestaltungsspielräume zur Beeinflussung des Ergebnisausweises. Aus diesem Grund wird in der Literatur mit Recht von einer Manipulationsgefahr und der eingeschränkten Nachprüfbarkeit der Aufwandsrückstellungen gesprochen.35

Diesen bilanzpolitischen Spielraum von Aufwandsrückstellungen versucht der Gesetzgeber durch eine genaue Aufwandsumschreibung und enge Zweckbindung einzuschränken. Demnach dürfen Aufwandsrückstellungen gemäß § 249 Abs. 2 HGB nur dann gebildet werden, wenn die folgenden im Gesetz normierten Bedingungen zur Rückstellungsbildung erfüllt sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB
(In Anlehnung an: MAUS, G. (2008), S.17)

Die genaue Aufwandsumschreibung dient der Abgrenzung der Rückstellungen für konkrete künftige Aufwendungen und soll somit sicherstellen, dass Zweck und Inhalt der Rückstellungen exakt feststehen. Sie dürfen demnach nur dann gebildet werden, wenn ihnen ein konkret bezeichneter Sachverhalt zugrunde liegt und die Aufwendungen eindeutig bestimmbar sind. Es muss also ein Bezug auf einen bestimmten Vermögensgegenstand oder ein bestimmtes Ereignis vorliegen.36 Durch die Konkretisierung der Aufwendungen soll eine pauschale Bildung von Aufwandsrückstellungen zur allgemeinen Risikovorsorge, dass der Rücklagenbildung vorbehalten sein soll, verhindert werden.37

Zur Passivierung einer Aufwandsrückstellung ist weiterhin erforderlich, dass die künftigen Aufwendungen dem abgelaufenen oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnen sind. Die zeitliche Zuordnung ist erfüllt, wenn künftige Aufwendungen wirtschaftlich gesehen den Erträgen des abgelaufenen Jahres zugerechnet werden können.38

Als weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der Bildung von Aufwands-rückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB müssen die Aufwendungen „wahrscheinlich oder sicher“ sein. Das Eintreten der Aufwendungen ist am Bilanzstichtag wahrscheinlich oder sicher, wenn sich der Kaufmann bei unveränderter Fortführung des Unternehmens den Aufwendungen nicht entziehen kann. Der Gesetzgeber untersagt somit die Bildung von Aufwandsrückstellungen für vage zukünftige Aufwendungen und verlangt, dass zumindest objektive Anhaltspunkte für die Durchführung der Maßnahmen vorliegen müssen. So soll sichergestellt werden, dass nicht jede beliebig geringe Wahrscheinlichkeit eines künftigen Aufwands, unter Berufung auf das Vorsichtsprinzip, für eine Rückstellungsbildung ausreicht.39

Als letzte Voraussetzung für das Vorliegen einer Aufwandsrückstellung nach § 249 Abs. 2 HGB müssen die Höhe der Ausgaben oder der Zeitpunkt des Eintritts unbestimmt sein. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um ein spezielles Kriterium der Aufwandsrückstellungen, sondern um ein allgemeines Rückstellungskriterium, welches bei der Bildung jeglicher Rückstellungen stets erfüllt werden muss.40 Ausgaben sind in ihrer Höhe unbestimmt, wenn die Größenordnung der zukünftigen Aufwendungen zwar abgeschätzt werden kann, die genaue Höhe jedoch nicht bekannt ist. Der Zeitpunkt des Eintritts ist unbestimmt, wenn die Aufwendungen zwar erwartet werden, jedoch der genaue Termin der geplanten Maßnahme nicht genau feststeht.41

Da für die Bildung von Aufwandsrückstellungen ein handelsrechtliches Wahlrecht besteht, können diese aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips steuerrechtlich nicht anerkannt werden.

2.1.5 Bilanzierung von Rückstellungen nach IFRS

Die Rückstellungsbilanzierung nach IFRS ist in IAS 37 geregelt. Eine Rückstellung ist verpflichtend anzusetzen, wenn die folgenden in IAS 37.14 genannten Kriterien erfüllt sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Voraussetzungen für den Ansatz einer Rückstellung nach IAS 37.14(Quelle: Eigene Darstellung)

Zum einen muss das Unternehmen aus einem Ereignis der Vergangenheit eine rechtliche oder faktische Verpflichtung haben, deren Höhe oder Fälligkeit ungewiss ist. Eine Rückstellung kann daher nur dann angesetzt werden, wenn sich das Unternehmen der Verpflichtung nicht entziehen kann, was regelmäßig bei Verpflichtungen gegenüber Dritten der Fall ist. Die IFRS knüpfen somit den Ansatz von Rückstellungen grundsätzlich an die Existenz einer Außenverpflichtung.42

Zum anderen muss der mit der Erfüllung einer Verpflichtung verbundene Ressourcenabfluss ausreichend wahrscheinlich sein. Dies ist nach Literaturmeinung dann der Fall, wenn die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt dieses Ereignis größer als fünfzig Prozent ist.43

Die dritte zu erfüllende Voraussetzung für den Ansatz einer Rückstellung ist die zuverlässige Schätzung der Höhe der Verpflichtung. Für eine verlässliche Schätzung der Rückstellungshöhe ist nach IAS 37.25 bereits die Angabe einer Bandbreite der möglichen Vermögensbelastung ausreichend.44

Bei der Erfüllung der Voraussetzungen nach IAS/IFRS kommt es somit zum Bilanzansatz von Verbindlichkeitsrückstellungen sowie von Drohverlust- und Kulanzrückstellungen. Die nach Handelsrecht zulässigen Aufwandsrückstellungen dürfen dagegen nach internationalen Vorschriften nicht gebildet werden. Dies ergibt sich bereits aus dem ersten Ansatzkriterium, wonach für die Rückstellungsbilanzierung nach IFRS eine Außenverpflichtung zugrunde liegen muss.45

Trotz der generellen Ablehnung von Aufwandsrückstellungen kennen auch die IFRS verschiedene Rückstellungen, die zumindest Elemente und Charakteristika von Aufwandsrückstellungen aufweisen können. Hierzu zählen die Restrukturierungs- und Rekultivierungsrückstellungen. Restrukturierungsrückstellungen werden gebildet, wenn sich Art oder Umfang der Geschäftstätigkeit wesentlich verändern werden. Für die Bildung der Rückstellung nach IAS 37.70 reicht eine faktische Verpflichtung aus. IAS 37 versucht eine Objektivierung der Rückstellungsbildung zu erreichen indem die Bildung der Restrukturierungsrückstellung nur für den Fall erlaubt wird, wenn zum einen die allgemeinen Ansatzkriterien erfüllt sind und zum anderen ein detaillierter Umstrukturierungsplan vorliegt. Darüber hinaus wird verlangt, dass gegenüber den Betroffenen die Erwartung geweckt wird, dass dieser Restrukturierungsplan auch tatsächlich umgesetzt werden soll. Nach IAS 37.80 darf die Rückstellung nur Ausgaben enthalten, die in direktem Zusammenhang mit der Restrukturierung stehen, zwangsweise durch die Restrukturierung anfallen und zudem kein Zusammenhang mit der laufenden Tätigkeit besteht. Durch die Bezugnahme auf die allgemeinen Ansatzkriterien für Rückstellungen und die Notwendigkeit für das Vorliegen von einer faktischen Verpflichtung wird bei der Bildung von Restrukturierungsrückstellungen also durchaus eine Außenwirkung verlangt, so dass der Ansatz einer reinen Innenverpflichtung nach IFRS auch in dem Fall ausgeschlossen bleibt. Darüber hinaus erlauben die IFRS die Bildung von Rückstellungen für Abraumbeseitigung und Rekultivierung die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Sachanlagen anfallen. Der Ansatz erfolgt jedoch nur dann, wenn das Unternehmen eine gegenwärtige rechtliche oder faktische Verpflichtung (Außenverpflichtung) zum Abbruch und zur Wiederherstellung hat. Auch nach HGB wäre in dem Fall eine Verbindlichkeits- und keine Aufwandsrückstellung zu bilden46. Es bleibt also dabei, dass die IFRS keine dem HGB vergleichbare Aufwandsrückstellungen kennen und für die Bildung einer Rückstellung stets eine Außenverpflichtung bzw. einen Außenbezug verlangen.

2.2 Änderungen durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz

2.2.1 Aufhebung von Rückstellungswahlrechten

Nach dem Regierungsentwurf des BilMoG sollen die in § 249 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 HGB gesetzlich normierten handelsrechtlichen Wahlrechte zur Bildung von Aufwandsrückstellungen aufgehoben werden. Der Ausweis dieser Rückstellungen führt nach der Regierungsbegründung zu einer „irreführenden Darstellung der Vermögens-lage“, weil Aufwandsrückstellungen bei „wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Charakter von Rücklagen zukommt“. Darüber hinaus werde die Ertragslage verfälscht, da die Zuordnung von Aufwendungen nicht periodengerecht erfolgt. Durch die Abschaffung der Wahlrechte soll das Informationsniveau des handelsrechtlichen Jahresabschlusses verbessert werden.47

Des Weiteren verfolgt der Gesetzgeber mit der Abschaffung der Wahlrechte das Ziel die handelsrechtliche Rechnungslegung an die internationale Rechnungslegung anzunähern. Auf internationaler Ebene ist die Bildung von Rückstellungen für Innenverpflichtungen nicht zulässig.48 Ob jedoch die vom Gesetzgeber angestrebte Annäherung an die internationale Rechnungslegung im gewünschten Maße erreicht wird, kann den Ausführungen in Kapitel 2.3.5.3 entnommen werden.

Der Gesetzgeber erwartet außerdem, dass durch die Aufhebung des § 249 Abs. 1 Satz 3 HGB eine Verbreiterung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen erreicht wird. Durch die Erhöhung des Eigenkapitals soll die Bonität der Unternehmen verbessert und somit die Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung erleichtert werden. Weiterhin strebt der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Wahlrechte eine stärkere Annäherung des externen an das interne Rechnungswesen an. Denn die Bildung von Aufwands-rückstellungen führt nach Ansicht des Gesetzgebers regelmäßig zu einer Verzerrung der periodischen Performance von Unternehmenseinheiten.49

[...]


1 Vgl. BT-Drucksache 270/09

2 Vgl. BT-Drucksache 16/12407

3 Vgl. ZÜLCH, H./HOFFMANN, S. (2009), S. 369.

4 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 415.

5 Vgl. WÖHE, G. (1992), S. 541.

6 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 418.

7 Gewährleistungsrückstellungen stellen eine Unterkategorie der Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten dar.

8 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 416.

9 Vgl. DAUB, S. (2000), S. 92 f.

10 Vgl. HOMMEL, M. (2002), Rn. 182.

11 WÖHE, G. (1992), S. 538.

12 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 7.

13 Vgl. BUNDESFINANZHOF, Beschluss vom 03.02.1969 - GrS 2/68, S. 291-294.

14 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 419.

15 Vgl. WÖHE, G./DÖRING, U. (2002), S. 934.

16 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 18.

17 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 419 f.

18 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 420 f.

19 Vgl. NAUMANN, K.-P. (1989), S. 127.

20 Vgl. SCHILDBACH, T. (2008), S. 131.

21 Vgl. PILLHOFER, J. (1997), S. 50 f.

22 Vgl. Kapitel 2.1.3.

23 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 75.

24 Vgl. COENENBERG, G. (1997), S. 250 f.

25 Vgl. GRÄFER, H./SCHNEIDER, G. (2009), S. 247.

26 Vgl. SCHILDBACH, T. (2008), S. 135.

27 Vgl. Kapitel 2.1.2.

28 Vgl. THEILEMANN, F./KELLER, G. (2004), S. 70.

29 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 80-83.

30 Vgl. COENENBERG, G. (1997), S. 252.

31 Vgl. SCHILDBACH, T. (2008), S. 135.

32 HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 230.

33 Vgl. BERGER, A./RING, S. (2003), Rn. 301.

34 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn . 231.

35 Vgl. DAUB, S. (2000), S. 92 f.; Vgl. BERGER, A./RING, S. (2003), Rn. 302 f.

36 Vgl. GRÄFER, H./SCHNEIDER, G. (2009), S. 248.

37 Vgl. HOMMEL, M. (2002), Rn. 186.

38 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 242.

39 Vgl. HÖFER, R./KESSLER, H./MAYER-WEGELIN, E. (1995), Rn. 246-248.

40 Vgl. GRÄFER, H./SCHNEIDER, G. (2009), S. 249.

41 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 446.

42 Vgl. GRÄFER, H./SCHNEIDER, G. (2009), S. 250.

43 Vgl. BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2007), S. 458 f.

44 Vgl. BERGER, A./RING, S. (2003), Rn. 336.

45 Vgl. COENENBERG, G. (1997), S.254.

46 Vgl. STEINER, E. (2004), S. 892 f.

47 Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 50.

48 Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 50 f.

49 Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S.51.

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Ansatz und Bewertung von Rückstellungen nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
Untertitel
Darstellung und Beurteilung
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltung
Wirtschaftsprüfung und Rechnungswesen
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
78
Katalognummer
V134127
ISBN (eBook)
9783640416851
ISBN (Buch)
9783640411405
Dateigröße
1234 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Ausführungen der Diplomarbeit beschränken sich auf den Bereich der sonstigen Rückstellungen.
Schlagworte
Ansatz, Bewertung, Rückstellungen, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, Darstellung, Beurteilung, BilMoG, Rechnungswesen, Bilanzierung, BWL
Arbeit zitieren
Eugen Hörz (Autor:in), 2009, Ansatz und Bewertung von Rückstellungen nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134127

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