Schnitzlers Romanfigur Therese. Chronik eines Angestelltenlebens


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Der Wunsch nach wirtschaftlicher Selbstständigkeit

2. Auf Stellungssuche

3. Austauschbarkeit
3.1 In Stellung
3.2 Die Sklaverei
3.3 Dumpfheit, Müdigkeit, Stumpfheit

4. Das Erwachen und die Zerstreuung
4.1 Thereses Erwachen
4.2 Die Wochenendzerstreuung und Liebschaften
4.3 Der abgeschabte Samtkragen

5. Abschließende Beobachtungen

Literaturverzeichnis
Primätliteratur
Sekundärliteratur

Einleitung

Schnitzlers Romanfigur Therese, die sich ihren Lebensunterhalt als Gouvernante verdient, weist in ihrer Funktion als Angestellte „eine merkwürdige und suggestive Nähe zu der einer Berufsgruppe, die Siegfried Kracauer in seiner 1930 erschienenen Untersuchung >Die Angestellten< beschrieben hat“[1], auf. „Therese ist nur noch Angestellte und Lohnempfängerin“[2], sodass die Austauschbarkeit ihrer Anstellung mit der Austauschbarkeit ihrer Person korrespondiere[3]. Ebenso ergeht es auch den Angestelltenmassen im Berlin der 20/30er Jahre, wie Siegfried Kracauer sie beschreibt. Diese Massen zählten immer mehr Gemeine, die untereinander austauschbar seien.[4]

Die auffälligen Parallelen, die sich in einem Vergleich zwischen der Gouvernante Therese und den Berliner Angestellten ergeben, sollen hier die Grundlage meiner Untersuchung sein, bei der ich aufzeigen möchte, wie die von außen bedingte Gleichschaltung der Angestellten in Physiognomie und Verhalten, sowie das Bewusstsein um ihre Austauschbarkeit, zu einer inneren Abgestumpftheit der Betroffenen und zu einem Persönlichkeitsverlust führen kann, von dem durch Zerstreunungskulte und Liebschaften am Wochenende abgelenkt werden soll.

1. Der Wunsch nach wirtschaftlicher Selbstständigkeit

Therese verlässt ihre Heimatstadt Salzburg um in Wien ein selbstständiges Leben als Erzieherin zu führen. Dies ist ihr jedoch nur in privaten Anstellungen als Erzieherin, Gesellschafterin oder Haushälterin möglich, denn „ein Versuch, an einer Erziehungsanstalt als Lehrerin einzutreten, war erfolglos geblieben, da sie die notwendigen Prüfungen nicht abgelegt hatte“[5]. Auch Kracauer weist in seiner Studie darauf hin, dass die Auswahlkriterien für einen Angestellten auf Grund der hohen Nachfrage immer höher stiegen und somit auch die Schulbildung immer wichtiger werde[6]. Als kluge, junge, sowie attraktive Frau aus gutem Elternhaus, findet sie jedoch immer wieder, wenn auch manchmal sehr mühselig, Anstellung. Therese scheint in beruflicher aber Hinsicht nicht viele Möglichkeiten jenseits des Gouvernantentums zu haben: Sobald ihr ihre Lage Aussichtslos erscheint, spielt sie mit dem Gedanken sich zu verkaufen, wie es auch so viele andere in ihrer Lage tun[7]. Es scheinen sich für eine Frau, die ihren Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen sucht, keine anderen Möglichkeiten zu bieten als in einem Haus in Stellung zu gehen, sich zu verkaufen[8] oder sich aushalten zu lassen[9]. Auch Agnes, die Ziehschwester ihres Sohnes, bietet das Beispiel einer Frau, die auf eigenen Beinen zu stehen versucht. Sie, die zunächst als zweites Stubenmädchen in einem Haus tätig ist[10], arbeitet, als sie diese Stelle verliert, als Verkäuferin in einem Parfümeriegeschäft, wobei sie schon „auffallend, fast verdächtig“ aussieht[11] um dann als Prostituierte zu enden[12]. Es ist die Bildung, die Therese vor diesem endgültigen Abstieg bewahrt und ihr immer wieder die Türen zu neuen Stellungen öffnet oder ihr zumindest die Freiheit lässt, sich ihre Liebhaber selbst auszusuchen, wie Agnes es ihr vorwirft[13]. Trotzdem muss sie sich immer wieder rechtfertigen, dass sie ihr Geld tatsächlich nur als Lehrerin verdiene und ihren Beruf nicht als „Deckmantel“ für andere Geschäfte nutze[14]. Trotz wirtschaftlicher Selbstständigkeit, auf die Therese Stolz ist[15], bleibt sie stets eine weibliche Angestellte[16], zu denen Kracauer in seiner Studie bemerkt:

Dass gerade so viele Frauen in die Angestelltenberufe geströmt sind, läßt sich noch im besonderen aus der Erhöhung des Frauenüberschusses, den wirtschaftlichen Folgen von Krieg und Inflation und dem Bedürfnis der neuen Frauengeneration nach wirtschaftlicher Selbstständigkeit erklären.[17]

2. Auf Stellungssuche

Welches sind die Kriterien, nach denen ein Angestellter ausgewählt wird? Welche Bedingungen muss Therese erfüllen um eine Stelle zu finden? Es findet unter anderem eine physische Auslese[18] statt:

„In der Regel spielt nämlich das Äußere eine entscheidende Rolle. […] Bei dem riesigen Angebot von Arbeitskräften „[…] ergibt sich zwangsläufig eine gewisse physische >Auslese<.“[19] So zitiert Kracauer den sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Julius Moses.

Eine äußerliche Einschränkung mache den Angestellten auf Stellungssuche sozusagen zum „Arbeitsinvaliden“[20]. „Vor allem wollen die Arbeitgeber einen netten Eindruck haben. […] Der Mann muss ein freundliches Gesicht haben […]und] entscheidend ist vielmehr die moralisch-rosa Hautfarbe.“[21] Diese äußerlichen Kriterien wirkten quasi als Zuchtwahl und es bilde sich ein Angestelltentypus heraus.[22] „Sprache, Kleider, Gebärden und Physiognomien gleichen sich an.“[23] So durchleben die Angestellten also Existenzängste, wenn sich ihr Äußeres zum Unvorteilhaften wendet und die Kosmetiksalons profitieren davon.[24] Was die Kleidung anbelangt, spiegelt auch diese kracauerische Beobachtung bei Schnitzler eine Wahrheit wieder: Sei es Therese als auch ihr Sohn, beide müssen die Erfahrung machen, auf Grund ihrer Kleidung abgewiesen zu werden:

Es begegnete ihr, daß man in Häusern, wo sie selbst offenbar sympathisch wirkte und wo sie auch gern geblieben wäre, wegen ihrer fast dürftigen Kleidung- wie sie an den Blikken der Leute wohl merkte – nicht aufgenommen wurde.[25]

Ihrem Sohn ergeht es ähnlich. Dieser beklagt sich schon längst eine Anstellung hätte finden können, fehlte es ihm nicht am Nötigsten, wobei er auf seine abgetragene Kleidung hinweist.[26]

Welche Rolle Thereses ansprechende Physiognomie in Bezug auf die Suche nach Arbeit spielt, lässt Schnitzler, zumindest explizit, unbeantwortet. Auffällig ist aber doch, wie oft die Erzieherin in Situationen gerät, in denen sie sich vor den sexuellen Zudringlichkeiten ihres Arbeitgebers durch Aufgabe ihrer Stelle schützen muss[27] und auch Agnes „ließ es an Anspielungen nicht fehlen über mancherlei, was man sich als junge hübsche Person von den jungen und ganz besonders von den älteren Herren gefallen lassen musste.“[28] Therese ist hierauf entrüstet[29] und tatsächlich wehrt sie diese Übergriffe meist[30] ab[31], jedenfalls insofern es die älteren Herrschaften anbelangt[32], doch scheint mir Schnitzlers Wahl Therese gleich im darauf folgenden Kapitel in ebensolch eine Lage zu versetzen[33], durchaus als Unterstreichung dieser Arbeitskondition zu dienen.

Im Vergleich zu Kracauers Studie fällt auf, dass jener seine eigentliche Arbeit, die dem Vorwort folgt, mit der Wiedergabe der Aussage einer Angestellten beginnt, die vor allem betont, dass ihr Chef Junggeselle sei und ihre schönen dunklen Augen bewundere[34]. Somit wird auch hier einerseits der Aspekt der Attraktivität als Auswahlkriterium betont, sowie andererseits die Beziehungen zu den männlichen Vorgesetzten angedeutet werden.

Eine weitaus direktere Beziehung zwischen Kracauers und Schnitzlers jeweiliger Schilderung der Angestellten auf Stellungssuche ergibt sich aus der Bedeutung von Zeugnissen und der familiären Herkunft der Suchenden. Kracauer nennt diese Gutachten gar „schmucke Waffen“[35], die seine Arbeitssuchenden da in die Hand bekämen und auch die Herkunft aus gutbürgerlichen Familien erleichtere die Stellungssuche.[36] Schnitzler drückt dies noch deutlicher aus, wenn es heißt Therese habe „mit dem vorzüglichen Zeugnis, das sie erhalten […]die] Freiheit der Wahl“[37], während er sie zuvor die Anfrage auf ein (nicht vorhandenes) Zeugnis, bewusst umgehen lässt, in dem sie sagt, es handle sich um ihre erste Stelle.[38] In dieser, ebenso wie in anderen Situationen, lassen sich die potenziellen Arbeitgeber von Thereses Herkunft aus einer Offiziersfamilie für sie einnehmen[39] und brüsten sich mit der Herkunft ihrer Erzieherin sogar mit einen gewissen Stolz in Gesellschaft von Bekannten.[40]

[...]


[1] Dangel-Pelloquin, Elsbeth, Nachwort, in: Schnitzler, Arthur, Therese, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2008, S. 367.

[2] Ebd.

[3] Vgl. ebd.

[4] Kracauer, Siegfried, Die Angestellten, Aus dem neuen Deutschland (1930), Frankfurt a. M., 1971, S. 13.

[5] Schnitzler, Arthur, Therese (1928), Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2008, S. 207.

[6] Band, Henri, Mittelschichten und Massenkultur, Lukas Verlag, Berlin, 1999, S. 154 oder Kracauer, Siegfried, Die Angestellten, Aus dem neuen Deutschland, a. a. O., S. 17f.

[7] „Und mit vollkommen klarer Besinnung erwog sie zum erstenmal die Möglichkeit, von ihrer Jugendfrische, von ihren körperlichen Reizen, wie es so viele andere in ihrer Lage taten, Nutzen zu ziehen und sich einfach zu verkaufen.“ Schnitzler, Arthur, Therese, a. a. O., S. 65.

[8] Vgl. auch „Wieder einmal […] kam ihr […] der Gedanke sich zu verkaufen.“ Ebd., S. 155.

[9] „Es kommt schon wieder einmal wer, der was auslasst. […] Hatte sie sich Herrn Wohlschein am Ende nicht auch verkauft?“ Ebd., S. 329 und S. 331.

[10] Vgl. ebd., S. 206.

[11] Vgl. ebd., S 243.

[12] „Oh, man konnte keinen Augenblick in Zweifel sein, was für eine Art von Frauenzimmer man davor sich hatte.“ Ebd., S. 328.

[13] „Das ist halt das Glück, wenn man eine Bildung genossen hat. Ich möcht` mir auch lieber meine Herren aussuchen können.“ Ebd., S. 330.

[14] „Meinst du vielleicht, ich hab` nicht immer gewusst, was du für eine Existenz führst, unter dem Deckmantel deines sogenannten Berufes? […] Glaubst du ich fall` dir darauf hinein?“ Ebd., S. 306.

[15] „Sie habe ihr anständiges Auskommen, und es sei ihr Stolz, ihr einziger Stolz vielleicht, daß sie zeitlebens mit ihrem Berufe sich selbst und lange genug auch ihren Sohn habe erhalten können.“ Ebd., S. 291.

[16] Ich lasse hier eines einfacheren Vergleiches zuliebe bewusst Thereses berufliche Veränderung außer Acht, die sie noch selbstständiger macht und sozusagen zu einer freischaffenden Lehrerin.

[17] Kracauer, Siegfried, Die Angestellten, Aus dem neuen Deutschland, a. a. O., S. 12.

[18] Vgl. auch Band, Henri, Mittelschichten und Massenkultur, a. a. O., S. 155.

[19] Ebd., S. 23.

[20] Ebd.

[21] Ebd., S. 24.

[22] Vgl. Ebd., S. 25.

[23] Ebd.

[24] Vgl. Ebd.

[25] Schnitzler, Arthur, Therese, a. a. O., S. 155.

[26] Ebd., S. 263.

[27] „Herr Trübner faßte nach ihrer Hand, zog sie an seine Lippen; dann, als Therese zugleich erschreckt und erschüttert es sich gefallen ließ, wurde er verwegener, und Therese, mit halberstickter Stimme, mußte ihn endlich bitten, von ihr abzulassen.“ Ebd., S. 186 oder vgl. auch S. 208.

[28] Ebd., S. 206.

[29] „Therese, entrüstet, verbat sich Bemerkungen dieser Art.“ Ebd.

[30] „[…] und sie wurde seine Geliebte.“ Ebd., S. 188.

[31] „In einer vierten [war es] die freche Zudringlichkeit des Hausherrn, die Therese bald wieder vertrieb.“ Ebd., S. 60.

[32] Vgl. im Gegensatz dazu ebd., S. 183.

[33] „Er hatte auch eine gewisse Art, im Vorbeigehen wie zufällig an Theresen anzustreifen und seinen Atem in ihren Nacken zu hauchen, und Therese war vollkommen überzeugt, daß es nur von ihr abgehangen hätte, in ein näheres Verhältnis zu ihm zutreten[…].“Ebd., S. 208.

[34] Kracauer, Siegfried, Die Angestellten, Aus dem neuen Deutschland, a. a. O., S. 10.

[35] Ebd., S. 19.

[36] Vgl. ebd., S. 18.

[37] Schnitzler, Arthur, Therese, a. a. O., S. 186.

[38] Ebd., S.66.

[39] Vgl. bspw. ebd. S. 66f.

[40] Vgl. ebd., S. 71.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Schnitzlers Romanfigur Therese. Chronik eines Angestelltenlebens
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Siegfried Kracauer und die klassische Moderne: Literatur, (Film-) Ästhetik, Kulturtheorie
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V134415
ISBN (eBook)
9783640426164
ISBN (Buch)
9783640423316
Dateigröße
407 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kracauer, Die Angestellten, Schnitzler, Frauenleben
Arbeit zitieren
Laura Gemsemer (Autor:in), 2008, Schnitzlers Romanfigur Therese. Chronik eines Angestelltenlebens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134415

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