Die Rolle des Militärs in der Entwicklung der Türkei

Von der Staatsgründung bis zum möglichen EU-Beitritt


Hausarbeit, 2007

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wo liegen die Wurzeln des zeitgenössischen türkischen Militärs?

3. Die Türkei nach 1945: Demokratisch wider Willen?
3.1 Wie kam es zur ersten Militärintervention 1960?
3.2 Was waren die Folgen der Intervention von 1960?
3.3. Der Putsch von 1971: Ein Rückschritt in der demokratischen Entwicklung?
3.4 Der Putsch von 1980: Die Hochphase militärischen Autoritarismus?

4. Welche Rolle spielt das Militär heute?

5. Schlusswort

Verzeichnis verwendeter Literatur:

1. Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit soll die Rolle des Militärs in der Entwicklung des politischen Systems der Türkei vom Zeitpunkt der Staatsgründung im Jahre 1923 bis heute analysiert werden. Dabei soll diese Entwicklung unter der Prämisse betrachtet werden, dass die moderne Türkei seit der Staatsgründung einen „langen Weg nach Westen“ eingeschlagen hat. Angesichts dieser Tatsache soll demokratischen Fort- beziehungsweise Rückschritten und der Rolle, die das Militär bei jenen gespielt hat, besondere Beachtung geschenkt werden.

Die Arbeit gliedert sich in insgesamt acht Kapitel., die sich an den (für das Militär und das politische System der Türkei) gravierendsten Ereignissen und Einschnitten in der über 80-jährigen Staatsgeschichte orientieren. Im ersten Kapitel soll die (ideologische) Grundlage der Streitkräfte dargelegt werden, die fest im 1923 installierten kemalistischen Staatsklassenregime verwurzelt sind. Das zweite Kapitel behandelt die Zäsur, die die außen- und innenpolitischen Wandlungen nach dem Ende des zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 darstellen. Das Militär spielt in dieser Phase – und daher auch in diesem Kapitel – eine unauffällige Rolle, dennoch halte ich es für unerlässlich, diesen historischen Abschnitt darzulegen, da er in Hinblick auf die Demokratieentwicklung in der Türkei eine maßgebliche Rolle spielt und daher prägend und mitbestimmend für das spätere Verhalten des Militärs und den Militärputsch von 1961 ist.

Die folgenden vier Kapitel bilden eine thematische Einheit: Sie widmen sich allesamt explizit den drei militärischen Interventionen, wobei hier besonders deren Entstehung und Folgen, weniger ihr Ablauf, von Interesse sein soll. Basierend auf der Kenntnis der sich wechselseitig beeinflussenden Entwicklung des politischen Systems der Türkei und des Militärs, widmen sich die letzten beiden Kapitel der heutigen Situation und wagen zudem einen kleinen Ausblick auf die zukünftige Rolle des Militärs, vor allem angesichts des sich beschleunigenden Beitrittsprozesses zur Europäischen Union, der auch medial sehr kontrovers diskutiert wird.

2. Wo liegen die Wurzeln des zeitgenössischen türkischen Militärs?

Um die türkische Armee, wie sie heute existiert, verstehen zu können, ist es unumgänglich, ihre Entstehungsgeschichte zu betrachten. Eine Entstehungsgeschichte, die untrennbar mit der Entstehung der modernen Türkei im Jahre 1923 verknüpft ist.

Das Osmanische Reich, ein multinationaler, religiös heterogener Vielvölkerstaat, war infolge des verlorenen ersten Weltkrieges im Jahre 1918 auseinandergebrochen. Im Abkommen von Sévres im Jahre 1920, das noch durch den damaligen Sultan geschlossen worden war, wurden Griechenland weitreichende territoriale Zugeständnisse gemacht. „Die Türkei gibt alle Rechte und Titel des ehemaligen Osmanischen Reiches auf dem europäischen Kontinent und außerhalb ihrer Grenzen nach Inkraftreten deses Abkommens zugunsten Griechenlands auf“ (Bozdemir 1988). Das hätte de facto bedeutet, dass die Türkei vom europäischen Kontinent vertrieben worden wäre. Gegen diese massiven Einschnitte, die drohende griechische Besatzung und gegen den Istanbuler Sultan, der diesen Vertrag unterzeichnet hatte, organisiert sich allerdings unter der Führung von Mustafa Kemal, der später mit dem Namen Atatürk – Vater der Türken – bedacht werden sollte, ein nationaler Volkswiderstand. Die alliierten Kräfte wollten durch eine Unterstützung Griechenlands so kurz nach dem Ende des ersten Weltkrieges keinen neuerlichen Krieg auslösen, was einen türkischen Erfolg in diesem Unabhängigkeitskrieg ermöglichte. „Darüber hinaus verbesserte sich die Lage der Nationalisten durch die Zusammenarbeit mit Moskau und die abnehmende Bereitschaft von Italien und Frankreich, hinter die Interessen Großbritanniens zurückzutreten“ (Kreiser/Neumann 2003). Am 24. Juli 1923 wurde dieser Erfolg im Friedensvertrag von Lausanne konstituiert. Er beinhaltete die völkerrechtliche Anerkennung der Türkei als souveränen und unabhängigen Staat. Allerdings zog er auch nach sich, dass weit mehr als eine Millionen Griechen und Armenier ausgesiedelt wurden, die vor dem Krieg den Großteil der Bourgoisie gestellt hatten, was für die sozio-ökonomische aber auch für die politische Entwicklung der jungen Türkei noch von zentraler Bedeutung sein sollte.

Mustafa Kemal charakterisierte den neuen türkischen Staat dennoch folgendermaßen: „Der neue türkische Staat wird kein welterobernder Staat sein“ (Bozdemir 1988). Um diese Worte zu untermauern verzichtete Atatürk unter anderem auf Territorien, wie das erdölreiche Mossulgebiet. Doch, um auf die Hauptfrage dieser Arbeit zurückzukommen, was bedeutete das alles für die türkische Armee und welche Rolle spielt sie hier? „Die zeitgenössische türkische Armee wird im Befreiungskrieg ihre endgültige Identität erhalten“ (Bozdemir 1988). Einem Befreiungskrieg, der unter der Führung von Mustafa Kemal zum Ziele des Souveränitätsgewinns einer neuen Nation geführt wurde. „Die Armee [...] blieb weiterhin die wichtigste Komponente des unter Führung von Mustafa Kemal im Befreiungskrieg entwickelten, nationalen Widerstandes. Sie war auf jeden Fall eine Institution, die Ordnung als eine unverzichtbare Regel ansah“ (Bozdemir 1988). Das bedeutet also, dass die Armee treu zu Mustafa Kemal stand, der sich schon als Retter von Istanbul einen Namen gemacht hatte. Zum anderen bedeutet es, dass sich die Armee in den Dienst der eigenen, noch in der Entstehung begriffenen türkischen Nation stellte, um ihre Souveränität zu sichern. Am 29. Oktober 1923 wurde in der Nationalversammlung offiziell die türkische Republik ausgerufen und Mustafa Kemal zu ihrem Präsidenten gewählt. Kennzeichnend für, und untrennbar mit dieser neuen Republik verbunden, waren die sechs kemalistischen Prinzipien, die zunächst in der Programmatik der Volkspartei Mustafa Kemals (CHP) verankert waren und später in die Verfassung übernommen wurden. Diese Prinzipien sind der Republikanismus, der Nationalismus, der Populismus, der Etatismus, der Säkularismus sowie der Reformismus. Der Republikanismus ist im Sinne von nationaler Volkssouveränität, nicht im Sinne von Demokratie zu verstehen. Der Nationalismus definierte die Türkei als geographisches und kulturelles Konzept. Türken waren diejenigen, die nach den Umsiedlungen die türkischen Gebiete bewohnten, türkisch sprachen, mit der türkischen Kultur aufgewachsen waren und türkische Ideale teilten. Der Populismus, im Sinne von Wolkswohl verstanden, soll garantieren, dass stets die Interessen des Volkes, und nicht nur die Interessen einer einzelnen Klasse verfolgt werden. Der Etatismus beruht darauf, dass Atatürk insgesamt an die Überlegenheit des Staates gegenüber dem Individuum glaubte. Die Privatwirtschaft sollte dabei allerdings nicht verdrängt, sondern vom Staat gestützt werden. Der Säkularismus sorgte für die strikte Trennung von Staat und Religion und verbannte die Religion aus dem politisch-öffentlichen Raum. Der Reformismus garantiert schließlich, dass an diesen Reformen dauerhaft festgehalten werden soll und dass sie zeitgemäß, in Anlehnung an Errungenschaften in der zivilisierten Welt, weiterentwickelt werden können.

Dieser damalige Staat mit seinem kemalistischen Staatsklassenregime und seiner Ein-Partei-Herrschaft stellt also bei weitem keine Demokratie dar. Es muss allerdings auch in Betracht gezogen werden, dass die Demokratie damals keineswegs ein gesichertes Konzept war und westeuropäischen Staaten, wie Deutschland und Italien, die, was die Lebensbedingungen angeht, durchaus als Vorbild galten, noch weitaus restriktivere Diktaturen bevorstanden. Dennoch spielte das Militär in dieser Phase der türkischen Geschichte eine dominierende Rolle: Ein bedeutender Teil der ersten Nationalversammlung bestand aus Offizieren. Weitere Verquickungen zwischen Militär und Politik waren die Tatsachen, dass der Generalstabchef noch bis 1924 gleichzeitig als Minister fungierte und dass die erste Regierung, der kein Militär angehörte, erst nach Ende des zweiten Weltkriegs, genau gesagt im Jahre 1948, zustande kam. Doch der Einfluss des Militärs beschränkte sich in der Anfangszeit der Republik nicht darauf, einige Minister zu stellen. Auch wenn es sich weder um eine Militärdiktatur, noch um eine Militärherrschaft handelte und „die türkische Republik doch darauf [bestand], ein Land mit einer zivilen Administration zu sein“ (Bozdemir 1988. S.147), lässt sich doch feststellen, dass Militär und Politik sehr eng miteinander verwoben waren. So eng, dass man sagen kann, „daß keine der kemalistischen Umwandlungen ohne Unterstützung der Armee hätte leicht verwirklicht werden können.“ (Bozdemir 1988. S. 146). Umwandlungen, die zwar von einer herrschenden Elite oktroyiert waren und äußerst undemokratisch verliefen, aber aus einem theokratischen, mulitnationalen, multireligiösen, vielsprachigen und rückständigen Reich eine laizistische, auch auch nicht westliche, so doch dem Westen äußerst treu gesinnte Republik machten (vgl. Bozdemir 1988. S. 146) und somit auch einen ersten Anstoß in Richtung möglicher zukünftiger demokratischer Entwicklungen darstellten.

Die Position der zivilen Administration sollte durch ein im Dezember 1923 erlassenes Gesetz weiter gefestigt werden. Einem überaus folgenreichen Gesetz, dass das Verhältnis von Politik und Armee und auch deren Selbstverständnis über Jahrzehnte maßgeblich beeinflussen sollte. Es besagte, dass sich das Militär aus der Politik heraushalten sollte und militärische Eingriffe lediglich im Falle einer Regimekrise statthaft seien. Das bedeutet also, „wenn die Kemalisten auf Schwierigkeiten stießen, fungierte die Armee als eine zur Lösung der Probleme quasi im Schatten stehende Sicherheitsreserve.“ (Bozdemir 1988. S. 148). Dieses 1923 erlassene Gesetz bildet die Grundlage und die Erklärung für die zahlreichen, noch folgenden militärischen Interventionen – von denen die letzte erst im Jahre 1997 als sogenannter „soft-putsch“ erfolgte. Es definierte die Rolle des Militärs als Hüter des kemalistischen Staates, einem Staat, der auf Modernisierung und Verwestlichung ausgelegt war. Im Hinblick auf zukünftige demokratische Entwicklungen implizierte es jedoch einen sich bis heute folgenschwer auswirkenden Faktor: Während die Aufgabe der Politiker darin besteht, sich mit der Alltagspolitik herumzuschlagen, ihre Reputation dort aufs Spiel setzen zu müssen und schnell in Verruf geraten können, korrupt oder inkompetent zu sein, wahrt das Militär einen Nimbus der Unfehlbarkeit und eine Autorität, in (staatsbedrohenden) Krisensituationen zu wissen, was zu tun ist. Bildlich und zugespitzt gesprochen, könnte man das Verhältnis zwischen Politik und Armee mit dem einer Mittelmeerfähre und deren Rettungsboot vergleichen: Auf die Fähre begibt man sich eher aus Notwendigkeit denn aus Überzeugung und man hofft, sicher anzukommen, doch im Notfall vertraut man blind dem Rettungsboot.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Militärs in der Entwicklung der Türkei
Untertitel
Von der Staatsgründung bis zum möglichen EU-Beitritt
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Politikwissenschaft - Abteilung Vorderer Orient)
Veranstaltung
Das politische System der Türkei (Hauptseminar)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V136815
ISBN (eBook)
9783640452552
ISBN (Buch)
9783640452811
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Behandelt die Rolle des Militärs in der Türkei von der Staatsgründnung 1923 über die drei Putsche (1960,1971,1980) bis hin zum heutigen Einfluss des Militärs v.a. im Bezug auf einen möglichen EU-Beitritt
Schlagworte
Rolle, Militär, Entwicklung, Türkei, EU-Beitritt, Militärputsch, Atatürk
Arbeit zitieren
Alkimos Sartoros (Autor:in), 2007, Die Rolle des Militärs in der Entwicklung der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136815

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