Überleben und Schreiben

Herta Müller: 'In der Falle' und das Moment der Todesangst in der Literatur eines diktatorischen Regimes


Hausarbeit, 2009

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Literatur und Regime
Herta Müller und die Gedichte der Unterdrückten

2 Lyrik als Mahnmal!?
2.1 wozu Gedichte dienen konnen
2.2 Emotionen als Konserve

Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

„ Ich kann meinen Kopf nicht ins Schließfach legen, ich muss damit weiterdenken. "

(Herta Muller)

Die Zeit der Regimes nach dem Zweiten Weltkrieg liegt noch gar nicht allzu weit in der Vergangenheit und dennoch weist die jtingere Generation eine groBe emotionale Distanz dazu auf.

Herta Muller wendet sich in ihrem Essay „ In der Falle " denjenigen Gedichten zu, die die Zustände frei denken wollender Menschen in einem diktatorischen Regime widerspiegeln. Im öffentlichen Leben wurde es ihnen verweigert, ihre Gedanken frei zu äuBern. Deswegen mussten diese niedergeschrieben werden. Besonderen Gehalt bekommen diese Texte mit dem Moment der Angst, das in der gelebten Diktatur ständig präsent war. Diese akute Angst, von Herta Muller zuweilen mit Recht zur Todesangst erhoben, setzt sich unweigerlich zwischen die einzelnen Verse und kommt immer wieder hervor, wenn sie gesprochen werden. Egal ob laut oder im Stillen fur sich.

Die Besonderheiten und Wirkungen solcher lyrischen Werke sollen in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen. Dabei wird auf die von Herta Muller angebrachten Gedichte Theodor Kramers, Inge Müllers und Ruth Klügers eingegangen, die sie in ihrem Essay „ In der Falle " behandelt.

Die „Falle" wird nach Muller durch die Diktatur konstruiert. Jedoch besteht sie weiterhin, auch wenn die Diktatur selbst untergeht. Was geschieht mit ihr? Und was passiert mit denjenigen, die in ihr sind? — Egal ob als Opfer, Lockmittel oder Bediener.

Die Lyrik, auf die sich Herta Muller bezieht, ist diejenige der Unterdrückten eines Regimes. Kann sie als Mahnmal nach der Diktatur stehen? Mindestens steht sie aber als Hilfe, Trost, Stütze oder sogar Zufluchtsort fir die Menschen, die nur noch in einem literarischen Ort Freiheit finden können. Wie dies funktioniert, soll anhand des Essays „ In der Falle " gezeigt werden. Auch wenn durch den autobiographischen Charakter dieser ausgewählten Gedichte nur Einzelfälle gezeigt werden können, stehen diese jedoch exemplarisch fir die Grausamkeiten eines diktatorischen Systems. Die Kette eines Staates ist, wie das Sprichwort besagt, nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Und dieses Glied ist in den starken AusdrUcken der Verse geschwächter Dichter zu finden.

1 Literatur und Regime

Herta Muller und die Gedichte der Unterdrückten

Wenn der Staat sein Ideal von bestimmten Verhaltens- und Denkweisen vorgibt, geriet ein Mensch mit dem Drang zum freien Denken schnell in Misskredit. Aufgrund dessen sucht er nach Moglichkeiten, in einem solchen diktatorischen System ilberleben zu konnen ohne sich dabei als Individuum aufgeben zu milssen. Ob es sich hierbei nun um direkt beteiligte KZ-Haftlinge, Kriegsopfer, Soldaten oder Angehorige handelt, jedes der Gedichte, das Herta Muller in ihrem Essay „In der Falle" behandelt, bietet Eindrücke und Hintergrtinde vom Leben und Denken in einer Welt, in der genau diese Faktoren auf das Scharfste vorgeschrieben, beobachtet und eingegrenzt werden. Texte, die in solchen Situationen entstehen, sind oft gepragt von Zynismus und Ironie aus der Verzweiflung heraus, wie Herta Muller bei Theodor Kramer zeigt:

„Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan."1

Kramer beschreibt unentwegt unmenschliche Umstände und betont dann immer wieder mit einer fühlbar erschUtterten Ironie, dass man ihm „nichts getan" hätte. Nicht nur, dass er das Gegenteil von dem sagt, was er eigentlich meint, er steigert genau dadurch sogar das Empfinden des Lesers, dass ihm Unrecht widerfahren ist. Auch „die Mutter darf noch in der Wohnung bleiben".2 Allein dieses „dürfen" in einem System, in dem alles vorgeschrieben wird, wirkt fir sich schon zynisch und deutet auf die Dinge, die gemacht werden „dürfen" und gleichzeitig auf alles Verbotene auBerhalb dieses Dürfens.

Ruth Klüger, so zitiert Muller, sieht die Notwendigkeit des Vorhandenseins von Gefahr innerhalb einer Falle, in der man gefangen ist.3 Hier zeigt sich diese „Falle" durchaus als ein diktatorisches System. Der Heimatstaat bleibt Heimat, auch wenn sich die Regierung andert. Man flüchtet nur in groBter Not und auch dann bleibt der zurtickgelassene Ort die Heimat:

„Andre, die das Land so sehr nicht liebten,
warn von Anfang an gewillt zu gehen;

ihnen — manche sind schon fort — ist besser,
ich doch m ußte mit dem eignen Messer
meine Wurzeln aus der Erde drehn."4

Diese Angst vor der Heimatlosigkeit, die Angst vor dem Verlust der Heimat oder allein des Heimatgefuhls an sich, versucht Herta Muller zu konstatieren. Sie grenzt den Begriff Angst in ihrem Essay streng von allen anderen Formen von Angst ab und versucht mithilfe eines Gedichtes Theodor Kramers, dieses eigenstandige Gefuhl von Angst darzustellen.5 Es ist demnach nicht allein die Angst der akuten Gewalt oder das tatsachliche Moment einer gewaltsamen Situation (sei es Zwangsraumung, Verhaftung oder Deportation), sondern auch die standige Angst, dass diese Momente uberhaupt eintreffen konnten und vor allem die Unbewusstheit, wann diese eintreffen.6

Herta Muller kristallisiert hypothetisch vier Grundtypen von agierenden Menschen in einem diktatorischen Staat heraus.7 Hierbei bezieht sie sich zum Einen auf die Literatur direkt Betroffener in den Weltkriegen, sowie auf die in den Diktaturen der Nachkriegszeit. Dazu gehören ebenso Texte zur Vergangenheitsbewältigung, wie auch die uberlieferten aus dieser Zeit. Da Herta Muller selbst unter dem Regime ceauLescus leben musste, gewann sie Eindrucke und Erkenntnisse, die sie in ihrem Essay wiedergibt. Somit erkennt sie vier Hauptcharakteristika in einem diktatorischen Staatssystem: Zum Einen, an der Spitze des Regimes, die Person, die " ) % * stellt. Diese entspricht dem Oberhaupt der Regierung, in Mullers Fall wohl auch direkt ceauLescu. Herta Muller charakterisiert diese Position als vollig angstlos in ihrem Handeln, welche die „Falle" konstruiert. Das Gedankengut einer Ideologie entspringt also genau dieser Position und wird durch zwei weitere, unter ihr stehenden Positionen propagiert. Eine dieser ist nach Muller genauso Tater, wie die oberste Position, nur dass diese nun mit Angst agiert, eben durch den Druck der uber ihr stehenden Person — sie bedient die Falle. Diese beiden Positionen machen den kleineren, aber wirksamsten Teil einer Diktatur aus. Sie fuhren den Regierungsapparat, den Herta Muller als „Falle" bezeichnet. Lockmittel soll dabei die dritte Personengruppe sein, die Muller in ihrer Position als + identifiziert.9 AuBerhalb dieser agierenden Gruppierungen und dennoch innerhalb der Falle, da in diesem System lebend, sieht Muller die vierte Variante eines

Menschen im Regime: den ) .10 Dieser letzten Gruppe sind auch die angefuhrten Gedichte in Herta Mullers Essay zuzuordnen. Sie stammen von Menschen, die einer Repression eines diktatorischen Staatssystems ausgesetzt waren oder sind und diese Situation in ihren Gedichten konservieren.

[...]


1 Siehe: Muller, Herta: In der Falle, S. 9.

2 Siehe ebd.

3 Vgl. ebd.

4 Siehe: ebd. S. 6.

5 Vgl. Muller, Herta: In der Falle, S. 10: Theodor Kramer: + & -% /

6 Siehe dazu auch eingehender Punkt 2.1 zu Kramers + & -% /

7 Herta Muller (*195 3 im deutschsprachigen, rumänischen Nitzkydorf geboren) war selbst dem Regime ceauLescus ausgesetzt und stand unter standiger Beobachtung der Securitate (Geheimdienst).Siehe: http://www.hanser-literaturverlage.de/autoren/autor.html?id=24 382

8 Vgl. Muller, Herta: In der Falle, S. 11.

9 Vgl. ebd. S. 1 3 f.

10 Vgl. ebd. S. 14 f.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Überleben und Schreiben
Untertitel
Herta Müller: 'In der Falle' und das Moment der Todesangst in der Literatur eines diktatorischen Regimes
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Überwachen und Schreiben
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V141731
ISBN (eBook)
9783640506583
ISBN (Buch)
9783640506774
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Überwachung, Stasi, DDR, Angst, Verfolgung, Literatur, Herta Müller, Rumänien, Ceausescu, In der Falle, Falle, Regime, Überleben, Schreiben, und
Arbeit zitieren
Mathias Seeling (Autor:in), 2009, Überleben und Schreiben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141731

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