Über das Gehirn im Bilde sein

Wie Hirnbilder im wissenschaftlichen Kontext erzeugt werden


Masterarbeit, 2009

161 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Medien, Bild und bildgebende Verfahren
2.1 Mediendefinitionen
2.2 Was ist ein Bild?
2.3 Bildgebende Verfahren
2.4 Exkurs in die Zeichentheorie (Semiotik)
2.5 Bilder als Wissensträger

3. Wissenschaft
3.1 Wissenschaftstheorie: Analytischer Ansatz
3.2 Naturwissenschaft als Erfahrungs- und Beobachtungswissenschaft
3.3 Hermeneutischer Ansatz
3.4 Analytische Hermeneutik oder hermeneutische Analytik?
3.4.1 Objektivität
3.4.2 Repräsentation(en)
3.5 Ärztlicher Blick

4. (Medien-) Techniken der wissenschaftlichen Arbeit
4.1 Grundlegende Voraussetzungen Erste Unterbrechung: Habitus 28
4.2 Koordinierung von Beobachtungen Über die Bedingtheit wissenschaftlicher Beobachtungen
Zweite Unterbrechung: Denkstil und Denkkollektiv 33
Dritte Unterbrechung: Begriffliche Schärfung 37
4.3 Mikroskop
4.3.1 Entdeckung und Funktionsweise
4.3.2 Mikroskopie und Zeichnung:
Ein neuer Wahrnehmungsbereich und sein Protokollieren in Bildern
4.3.3 Mikroskopie und Autorität der gezeichneten Protokolle
4.3.4 Mikroskopie und Fotografie
4.3.5 Mikroskop und Gehirn
4.4 Präparieren und Präparate erzeugen
4.4.1 Sichtbarmachung eines Erregers durch Extraktion,
Isolation und Färbung bei Robert Koch
4.4.2 Das Gehirn-Präparat als wissenschaftliches Objekt
4.5 Röntgenbilder
4.5.1 Entdeckung der X-Strahlen und das erste Röntgenbild als Medium der Überzeugung
4.5.2 Funktionsweise und Probleme der Röntgendiagnostik
4.5.3 Röntgenbilder des Gehirns
4.6 (Computer-) Tomographie
4.6.1 Computertomographien des Gehirns
4.7 Magnetresonanztomographie
4.7.1 Kernspin – Physikalische Grundlage des MRI
4.7.2 Strukturelle Magnetresonanztomographie (MRI)
4.7.3 Funktionale Magnetresonanztomographie (fMRI)
4.7.4 Gehirne in MRI-Scannern
4.7.5 Einwände gegen Ergebnisse von fMRI-Studien

5 Einordnung der bildgebenden Verfahren als Medien
5.1 Fotografie als Vergleichsmedium
5.2 Mikroskop, Präparate und Fotografie
5.3 Röntgenaufnahmen
5.4 Computertomographie
5.5 MR-Bilder

6 Bildgebende Verfahren und ihre Bildbegriffe

7 Doing Images als kulturelle Praxis
7.1 Soziotechnische Praxistheorie: Akteure und Objekte
7.2 Visuelle Rationalität in einer soziotechnischen Praxis
7.3 Medizinische Bildpraxis
7.3.1 Visualität der materiellen Bilder in der soziotechnischen Praxis
7.3.1.1 Autorität und Ästhetik
7.3.1.2 Technische Bildproduktion
7.3.1.3 Bildinterpretation
7.3.1.4 Bildfunktionen in praktischen Prozessen
7.3.1.5 Doing Images the visual way:
Visuelle Komponenten der soziotechnischen Bildererzeugung
7.3.2 Materialität der materiellen Bilder in der soziotechnischen Praxis
7.4 Doing Images als Kombination materieller und visueller Rationalitäten

8 Konstruktion des Gehirns über Bilder bildgebender Verfahren

9 Schlussbetrachtung:

Literaturverzeichnis

Bemerkung zur neuen Rechtschreibung

Verzeichnis der Abkürzungen

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Anhang

Ideengeschichte der Hirnforschung

I Antike Wurzeln der Gehirnforschung

II pneuma und spiritus – Beseelung des Gehirns von Außen

III. Gehirn als Reflexmaschine – Descartes trennt Geist und Seele

IV. Animalische Elektrizität – elektrischer Geist im Froschschenkel

V. Fasersystem und Nervenzellen

VI. Zellulärer Aufbau

VII. Lokalisationslehre

VIII. Neuronales Netzwerk – das Gehirn als Computer

IX. Chemische Maschine

Bildgebende Verfahren: Vergleich

Zusammenfassung der Tabellen aus Kapitel 5.

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Bildern im Allgemeinen und mit Bildern vom Gehirn im Besonderen.

Es wird gefragt, welche Bilder mit welchen Medientechniken von Gehirnen im wissenschaftlichen Kontext gemacht werden; wie unterschiedliche Bilder zur Konstruktion eines materiellen Objektes, wie dem Gehirn, beitragen.

Kurz: es ist die Frage, wie Wissenschaftler bzw. Mediziner über das Gehirn im Bilde sind, wie sie solche Bilder technisch und praktisch erzeugen bzw. wie technische und praktische Erzeugung aufeinander bezogen sind. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass beide Aspekte nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern aufeinander bezogen sind.

Diese Arbeit bewegt sich damit in Feldern der Wissenschaftsgeschichte, -theorie und
-soziologie mit einem besonderen Blick auf die Geschichte der Gehirnbildgebung. Gleichzeitig fragt sie medienkulturwissenschaftlich nach der Rolle der medientechnischen Apparate in einem solchen Prozess, ordnet medizinische Medientechniken ein und hinterfragt Bilddefinitionen bildgebender Verfahren und in wissenschaftlichen Prozessen. Damit fragt sie auch nach der Bedeutung unterschiedlicher bildgebender Verfahren für die Konstruktion des Gehirns.

Wenn von Konstruktion die Rede ist, anerkennt diese Arbeit auch, dass Wissenschaft als kulturelle Praxis kollektiv Dinge ordnet und auch, dass diese Dinge als solche kollektiv wahrgenommen, erkannt und benutzt werden müssen. Sie erkennt also an, dass sich Kultur in performativ-praktischen Begegnungen in einem sozialen Raum bzw. dessen Feldern vollzieht.

Zunächst wird es nötig sein, eine Definition von Medien (-techniken) und Bild im Sinne dieser Arbeit und deren praktische Logiken innerhalb der Wissenschaften herzuleiten und schließlich zu klären, was bildgebende Verfahren sind (Kap. 2).

Es folgt eine generelle Einleitung in die Wissenschaftstheorie, wissenschaftliche Herangehensweisen und exemplarische kulturelle Werte wissenschaftlicher Arbeit (Objektivität und Repräsentation) (Kap. 3).

Damit erkennt diese Arbeit weiter an, dass soziale Praxis Werte (re-) konstruiert und Wissenschaft als soziale Praxis auf der Grundlage habitualisierter Werte geschieht.

Daran anschließend sollen zunächst Medientechniken der wissenschaftlichen Arbeit vorgestellt werden (Kap. 4). In diesem Teil der Arbeit wird die bereits begonnene Einleitung in die Wissenschaftstheorie in Hinblick auf wissenschaftssoziologische Zusammenhänge (Habitus, Denkstil und -kollektiv) in Form von Unterbrechungen fortgeführt.

Die Frage dabei: Wie beeinflussen die Medientechniken die Wahrnehmung des Repräsentierten? Es handelt sich also um Fragen der medienkulturellen (Wissenschafts-) Praxis. Es können nicht alle bildgebenden Verfahren behandelt werden, sodass repräsentativ eine Achse der Geschichte der wissenschaftlichen/medizinischen Bildgebung gewählt wurde, die über das Mikroskop und das Präparat zu Röntgenbildern, Computer- und Magnetresonanztomografien führt.

So fragt diese Arbeit schließlich nach der Konstruktion materieller wissenschaftlicher Objekte (bspw. Gehirn) über visuell-materielle Objekte (Bilder davon), nach der Relevanz der Autorität eines aus der Fotografie kommenden Abbildungsparadigmas und nach dem daraus resultierenden Problem der messwertorientierten Bildgebung moderner CT- und MRT-Verfahren bzw. dem Paradox mimetischer Bilder aus ikonologisierten Werten (Kap. 5 u. 6).

Da wissenschaftliche Praxis im Rahmen dieser Arbeit als kulturelle Praxis verstanden wird und der Umgang mit Bildern innerhalb wissenschaftlicher Praktiken somit als Umgang mit Bildern in kulturellen Praktiken analysiert werden kann, wird ein entsprechendes Analyseinstrument für die kulturelle Praxis Umgang mit Bildern in der Wissenschaft benötigt. Dazu stelle ich das Konzept der performativen Bilderzeugung in praktischen Prozessen, das Doing Images, vor (Kap. 7).

Anschließend werden anatomische Atlanten analysiert. Leitend ist hierbei: Welche Bilder werden in diesen Büchern wie zu einem Gesamtbild des Gehirns zusammengefügt, bzw. wie werden diese Bilder den Bildbenutzern zur praktisch-perfomativen Konstruktion des Gesamtgehirns angeboten. Das kann nicht annähernd ausführlich geschehen, wie in der Arbeit von Buschhaus (2005) Über den Körper im Bilde sein, die den Titel dieser Arbeit inspirierte, sondern konzentriert sich nur auf die Bilder, ihre Bereitstellungsform und ihren viskursiven Bezug aufeinander (Kap. 8).

Schließlich soll aufgezeigt werden, welche Bögen mit dieser Arbeit aufgespannt worden sind und welche Auswirkungen das hier Zusammengestellte auf die medienkulturelle Beschäftigung mit den Bildern bildgebender Verfahren hat (Kap. 9).

Im Anhang informiert zudem eine Ideengeschichte der Hirnforschung über die idealen Vorstellungen des Gehirns und setzt sie in Beziehung zu den wissenschaftlichen Entdeckungen der Hirnforschung.

2. Medien, Bild und bildgebende Verfahren

Zunächst soll ein Überblick über die Begriffe Medium und Bild und die Bedeutung des Bildes in einer Zeit der Bilderflut und des Bildes für die Wissenschaft gegeben werden.

2.1 Mediendefinitionen

Der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch operiert in Eine Geschichte der Medien[1] mit einem weiten Medienbegriff, den er mit Rückgriff insbesondere auf Niklas Luhmann und (Herbert) Marshall McLuhan formt. Er definiert Medien zunächst anhand ihrer Eigenschaften:

Erstens:

"Medien sind Körperextensionen. Mit medialer Hilfe dehnen wir die Reichweite unserer Sinne und unseres Körpers weit über seine kreatürlichen Grenzen hinaus aus" (Hörisch 2006: 62, 12f. Herv.i.O.).

Bei McLuhan heißt es dazu:

"Alle Techniken [sind] Ausweitungen unserer Körperorgane und unseres Nervensystems, die dazu neigen, Macht und Geschwindigkeit zu vergrößern" (McLuhan 1968: 99, 25ff.).

Einerseits erlauben sie uns, an Orten zu wirken, ohne dort zu sein.[2] Andererseits ermöglichen sie uns die Teilhabe an fernen Situationen mittels direkter Kommunikation (Telefon, Telefax, Email, Blogs, Twitter) oder mittels massenmedialer Teilhabe an sog. Ereignissen[3] (Television, Rundfunk zunehmend auch in Online-Formen). Medien sind dabei nicht in erster Linie Prothesen, die nur Mängel ausgleichen. Sie transzendieren das Mängelwesen Mensch über den Mängelausgleich hinaus.[4]

Zweitens: "Medien sind Interaktionskoordinatoren" (Hörisch 2006: 66, 16. Herv.i.O.). Somit bringen sie zusammen, was zusammengehört oder zusammengehören soll, indem sie zwei oder mehrere Elemente vereinen oder diese Begegnung eben nicht zustande kommt. Medien überbrücken und schaffen dadurch den Zwischenraum und koordinieren Verhalten.

Drittens sind Medien "Unwahrscheinlichkeitsverstärker" (Hörisch 2006: 67, 10 nach Luhmann). Medien ermöglichen die Teilhabe und leisten so durch Koordinierung von Interaktionen "dialektische Leistungen" (vgl. Hörisch 2006: 68). Sie lassen "Unwahrscheinliches unwahrscheinlich werden" (Hörisch 2006: 68, 5).

Luhmann benutzt in seiner Systemtheorie den Begriff der symbolisch generalisierten Medien. Das sind Medien,

"die Generalisierungen verwenden, um den Zusammenhang von Selektion und Motivation zu symbolisieren, das heißt: als Einheit darzustellen. Wichtige Beispiele sind: Wahrheit, Liebe, Eigentum/Geld, Macht/Recht; in Ansätzen auch religiöser Glaube, Kunst und heute vielleicht zivilisatorische standardisierte 'Grundwerte'" (Luhmann: 222, 6ff.).

Sie repräsentieren die Einheit des Verschiedenen.[5] Symbolisch generalisierte Medien koordinieren Interaktionen und haben intersubjektive Gültigkeit. Sie sind untereinander auf medialer Ebene nicht konvertierbar (vgl. Hörisch 2006: 69 u. Krause 1996: 118f.).[6]

Hörisch zitiert den berühmten Satz des Medientheoretikers Marschall McLuhan: "Das Medium ist die Botschaft" (McLuhan 1968: 13 u. ders. 2001). Das zentrale Element eines Mediums ist weniger die Botschaft, als das Medium selbst, weil

"die jeweils diensthabenden Medien für gänzlich unterschiedliche Raum-Zeit-Strukturen, Aufmerksamkeitsfokussierungen und Sinn-Sinne-Konstellationen sorgen" (Hörisch 2006: 73, 3ff.).

Davon ausgehend kategorisiert Hörisch Medien zunächst nach deren Funktion in Speicher- und Übertragungsmedien, die bevorzugt Zeit- bzw. Distanzprobleme überwinden[7], sowie in Medien der Datenverarbeitung (vgl. Hörisch 2006: 73-76).

Schließlich kategorisiert Hörisch Medien in Anlehnung an Harry Pross in primäre, sekundäre und tertiäre Medien (vgl. Hörisch 2006: 14-20 u. vgl. Pross 1974: 127f.).

Primäre Medien finden sich in Kommunikationsprozessen, die ohne technische Innovationen auskommen, wie die direkte, nicht technisch vermittelte Kommunikation (vgl. Hörisch 2006: 76, 20ff. u. vgl. Pross 1974: 128-145).

Sekundäre Medien sind solche, für deren Produktion oder Übermittlung oder für beides Technik eingesetzt wurde (vgl. Hörisch 2006: 77, 8-29 u. vgl. Pross 1974: 145-224). Sie lassen in den meisten Fällen das "Primärmedium Mensch, sofern es nur als Rezipient auftritt, technisch unbehelligt" (Hörisch 2006: 77, 16ff.). Doch auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Sekundärmedien, wie Hörrohr oder Nachtsichtgerät können "den Empfänger technisch hochrüsten" (Hörisch 2006: 77, 19f.). Unter den Sekundärmedien ist das Bild eines der wirkungsmächtigsten:

"Nach dem Monopol der Gutenberg-Medientechnik erfordert doch die Aufnahme eines Bildes, nicht aber seine Betrachtung einen erheblichen Technikeinsatz" (Hörisch 2006, 77, 24ff.).

Tertiäre Medien sind solche, "die sowohl auf der Sender- wie auch auf der Empfängerseite die Mobilisierung von Technik erfordern" (Hörisch 2006: 77, 35ff.), damit Kommunikation überhaupt gelingt (vgl. a. Pross 1974: 224-262).

Für die Ausgangsfrage dieser Arbeit hilft dieser inflationäre und vielperspektivische Medienbegriff mehrfach.

Es kann analysiert werden, welche Medienarten wie genutzt werden, um den Gegen-stand Gehirn zu manifestieren bzw. welche Medientechniken den Blick aufs Gehirn ermöglichen. Damit kann diskutiert werden, was diese Medien (-techniken) verdecken bzw. als versteckte Voraussetzungen in die Situation einbringen.

Die Geschichte der Hirnforschung kann als Geschichte der Hochrüstung des Mängelwesens Wissenschaftler oder Arzt gelesen werden, der zunächst durch sekundäre Medientechniken (scheinbar) ins Gehirn blicken kann, später gar mit tertiären Medientechniken. Denn ist ein traditionelles Röntgenbild noch ein "Explikat einer Technologie, die sich ganz auf die Klärung der bildlichen Referenz konzentriert" (Boehm 2007: 110, 8ff.), ist der dargestellte Körper bei modernen Techniken wie der Magnetresonanztomographie nur mehr eine "Summe von dreidimensionalen Punkten" (Boehm 2007: 110, 14) und somit ein durch Medientechnik darstellbares "ikonologisches Konstrukt" (Boehm 2007: 110, 15).

Alle Techniken stellen in diesem Sinne Körperextentionen im doppelten Wortsinne dar. Die Wahrnehmungen der Beobachtenden werden durch Medien (-techniken) möglich gemacht, die Erweiterungen der Sinne sind. Das Gehirn selbst – manifest oder als Bild – aus dem Körper gelöst. Dass der Arzt dadurch zu mehr wird als einem Wesen, dessen Mängel bloß prothesengleich ausgeglichen werden, manifestiert sich vielfach, u.a. dadurch, dass alltagssprachlich oft von (Halb-) Göttern in Weiß geredet wird (auratische Verklärung der Nutzer von Medientechniken) und dass viele Patienten und (Forschungs-) Rezipienten vor der Macht und der Aura bunter Bilder aus den Köpfen ungeheuren Respekt haben bzw. diese Aura die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit steigert.

Anderseits dient das Gehirn selbst als Medium in einer großen Mediengenealogie, in der am und im Gehirn mittels Medientechniken andere Diskurse materialisiert und befestigt werden.

2.2 Was ist ein Bild

Der Duden nennt mehrere Bedeutungsbereiche des Begriffs Bild.

Im Theater wird der Abschnitt eines Bühnenstückes so bezeichnet, außerdem gibt es bildliche sprachliche Ausdrücke, also Metaphern. In der Mathematik ist ein Bild ein "durch Abbildung zugeordnetes Element" eines anderen Elements (vgl. Duden).

Daneben taucht Bild in der Bedeutung "sich ein Bild von etwas machen" (Duden) auf, um einen Eindruck oder eine Vorstellung zu beschreiben. Auch der Anblick oder die Ansicht eines Gegenstandes oder Gegenstandbereiches wird als Bild bezeichnet (bspw.: das Bild der Stadt ist geprägt durch hohe Häuser).

Als wichtigste Bedeutungen benennt der Duden: (a) "mit künstlerischen Mitteln auf einer Fläche Dargestelltes, Wiedergegebenes; Gemälde, Zeichnung o.Ä."; (b) "Fotografie; gedruckt wiedergegebene bildliche Darstellung". (c) "[A]uf dem Fernsehschirm Erscheinendes" und (d) "Abbild, Spiegelbild" (Duden).

Im Englischen wird unterschieden zwischen picture und image. Beide Begriffe gehen auf lateinische Wurzeln zurück. Lat. pictura bedeutet (1.) Malerei; (2.) metonymisch das Gemälde oder eine Stickerei und (3.) metaphorisch eine Ausmalung oder Beschreibung (vgl. Stowasser: 383). Lat. imago steht für (1.) das Bild und Porträt; (2.) für eine Wachsmaske; (3.) für ein Ab- oder Ebenbild, so auch für Schatten und Schemen, Traumbilder, Echos, Gleichnisse und Metaphern; (4.) für Trugbilder und den Schein; (5.) metonymisch für Anblicke oder Erscheinungen und metaphorisch für Vorstellungen, Einbildungen und Gedanken, aber auch szenische Darstellungen (vgl. Stowasser: 245f.).

Der Bedeutungsbereich des Wortes Bild ist sehr weit und erfasst Darstellungen mit unterschiedlichen Beziehungen zum Dargestellten. Sowohl abstrakte Bilder, deren Referent nicht existent ist, als auch (exakt) realistische Bilder mit klar erkennbaren und klar abgrenzbaren Referenten zählen dazu. Diesem Problem nimmt sich die Disziplin der Bildwissenschaft an.

Für den Bildwissenschaftler Horst Bredekamp ist ein Bild "eine visuelle Konstitution, die sich mit einem Sinn verbindet" (Bredekamp 2003). Ein Bild ist etwas Zeigendes, dem eine Bedeutung zugewiesen wird. Das Bild zeigt zwar etwas, ihm ist aber keine Bedeutung inhärent, diese erhält sie erst in einem Prozess der Aneignung, bspw. durch Abgleichen des Inhaltes des Bildes mit Inhalten der sonstigen Entitäten. So kann ein Bild die direkte oder auch abstrakte Repräsentation einer Entität sein oder eben gerade dieses auch nicht.

Doris Bachmann-Medick entwickelt mehrere Analyseebenen . Sie sollen die Bedingungen für das Erzeugen einer Bildbedeutung aufdecken.

Diese Ebenen sind: (I) die Vorgeschichte oder Subgeschichte, (II) die Relation der Abbildung zum Abgebildeten, (III) der Sinn und evtl. die Eigensinnigkeit (also auch die eventuelle Selbstreferenz), (IV) die Medialität, (V) die vielschichtige Wahrnehmung und schließlich (VI) die Rezeption (vgl. Bachmann-Medick 2006: 334).

Schließlich weist sie auch daraufhin, dass das

"Bild [sich] […] erst durch den Umgang mit dem Bild […], nicht zuletzt durch kulturelle Konventionen der Bildwahrnehmung sowie durch affektive Zuschreibungen, [konstituiert]" (Bachmann-Medick 2006: 335, 12ff.).

Deswegen müsse eine Bildanalyse einschließen: (a) die Bilderzeugung im sozialen Raum, (b) die Aktivität der sinnlichen Wahrnehmung und schließlich auch (c) die Produktion innerer Bilder (vgl. Bachmann-Medick 2006: 335).

Insbesondere die Bilderzeugung im sozialen Raum wird uns bei der kulturellen Praxis der wissenschaftlichen Bilderzeugung im Rahmen dieser Arbeit näher beschäftigen.

"In einer in der Geschichte des Wissens bis dahin ungekannten Direktheit werden Bilder […] zu Instrumenten, die Erkenntnis ermöglichen, die nur auf diesem Wege so zu gewinnen sind" (Boehm 2007: 13, 19ff.).

Befördert durch neue technische Möglichkeiten, insbesondere der digitalen Datenverarbeitung entsteht eine "ikonologische Durchdringung der Realität, welche die Möglichkeiten traditioneller Fotografie bei weitem überbietet" (Boehm 2007: 29f.), sodass mit bloßem Auge nicht sichtbare Zusammenhänge "als Bilder erschlossen" werden (vgl. Boehm 2007: 13).

Durch inflationäre Medientechnik im Bereich der Speicherung, Übertragung und Datenverarbeitung leben wir heute in einer Dekade des Bildes. Bild-Medien eröffnen neue und andere Erkenntnismöglichkeiten in einem ikonologischen Sinnsystem. "The medium is the message" (McLuhan), deswegen kann man davon ausgehen, dass Bilder spezifische Erkenntnismöglichkeiten eröffnen, die nur Bilder auf diese Weise eröffnen können. Dass Wissen bildlich vermittelt wird, beinhaltet die Horizonte spezifischer Sinn-Sinne-Konstellationen.

Bilder sind Instrumente der Erkenntnis, die solche Erkenntnisse ermöglichen, die mit anderen Sinnsystemen nicht in dieser Weise erreichbar sind. Medientechniken haben bildliche Repräsentationen omnipräsent gemacht.

"Bilder [beruhen] ihrer eigenen Natur nach auf einem doppelten Zeigen, nämlich etwas zu zeigen und sich zu zeigen" (Boehm 2007: 19, 3ff. Herv. i.O.). Das, was bildlich gezeigt werden kann, geht niemals gänzlich in Sprache auf (vgl. Wittgenstein: 4.1212). Bilder sind Inhalt und Material zugleich und somit auf zweifache Weise in praktischen Prozessen erschließbar. Eine medienkulturelle Analyse wissenschaftlicher Bilder muss deswegen auf beiden Ebenen ansetzen.

Bilder zeigen etwas, sie bilden etwas ab, sind Repräsentationen für etwas.[8] Der Prozess des Erkennens ist aber von Bedingungen abhängig. Der Beobachter kann nur erkennen, was er kennt. Erkenntnis kann Bildern nicht inhärent sein.

Gleichzeitig ist ein Bild auch Material, es existiert und kann als Ding mit Geschichte in praktischen Prozessen genutzt werden.

Nicht erst mit dem iconic turn in den (Kultur-) Wissenschaften (vgl. Bachmann-Medick 2006: 329-380) und der Ausbildung einer allgemeinen Bildwissenschaft (vgl. Boehm 2006 und Boehm 2007) wird dem Bild seine eigene Wirkungsmacht zugestanden und die Ausbildung visueller Kompetenz gefordert.

2.3 Bildgebende Verfahren

Unter dem Begriff bildgebende Verfahren werden in der Medizin Diagnostiktechniken zusammengefasst, die Aufnahmen aus dem Körperinneren liefern, wie Röntgentechnik, Ultraschall-Diagnostik, Computertomographie, die Kernspintomographie, heute Magnetresonanztomographie etc. (vgl. Bogensberger: 82f.). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ein Bild ausgegeben wird. Der Duden definiert "bildgebend" als "einen physikalischen Effekt in ein Bild umwandelnd" (Duden), womit darauf verwiesen wird, dass es nicht allein darum geht, dass der physikalische Effekt Licht ein Lichtbild erzeugt, sondern dass auch andere physikalische Effekte aus nicht sichtbaren Beobachtungsbereichen in sichtbare Bilder umgewandelt werden.[9]

Bilder bildgebender Verfahren der Medizin zeigen keine ohne Medientechnik sichtbaren Oberflächen, sie durchdringen Oberflächen und Strukturen und explizieren neue Oberflächen. Röntgenaufnahmen zeigen eine Oberfläche des Körpers jenseits des alltagspraktischen Körper-Oberflächen-Begriffs – sie durchdringen die Hautoberfläche und stellen gerade diese (fast) nicht dar. Gleiches gilt für MRT[10] -Aufnahmen, bei denen bspw. Gehirn-Aktivitäten farblich dargestellt werden. Bilder bildgebender Verfahren extrapolieren aus der Welt neue Oberflächen und sind Artefakte mit Bezug zur Wirklichkeit. Sie stellen diese als fotoähnliche (Ab-) Bilder dar. Mit ihren technischen Möglichkeiten zeigen sie das "Optisch-Unbewusste"[11] (Benjamin 1976: 72, 14). An dieser Stelle kann nicht abschließend darüber geurteilt werden, welcher Bildbegriff auf die sog. bildgebenden Verfahren angewandt wird. Es wird zu untersuchen sein, wie (I) Bilder in wissenschaftlichen Kontexten erzeugt und (II) diese Bilder benutzt werden.

2.4 Exkurs in die Zeichentheorie (Semiotik)

Hilfreich als Hintergrund für eine Analyse von Bildern bildgebender Verfahren ist ein kurzer Exkurs in die Zeichentheorie. Gängig ist in der Linguistik die Terminologie von Charles S. Peirce, der zwischen Symbol, Ikon und Index unterscheidet. Bei einem Symbol besteht zwischen der Form des Zeichens (Bezeichnendes) und seiner Bedeutung (Bezeichnetes) ein arbiträres Verhältnis, das durch Konventionalität gekennzeichnet ist. Eine Ähnlichkeit besteht nicht. Ein Ikon hingegen weist eine Ähnlichkeit mit dem Bezeichnenden auf. Standardbeispiele der Linguistik sind lautmalerische Begriffe wie Kuckuck. Ein Index ist ein Zeichen, das Folge oder Wirkung seines Objektes ist. Das Zeichen selbst ist die Spur des Bezeichneten, wie der Pfotenabdruck eines Hundes das Index-Zeichen für die vormalige Anwesenheit des Hundes ist (vgl. Volli: 21-48.)

2.5 Bilder als Wissensträger

Mit den bildgebenden Verfahren kommt das Paradigma der Repräsentation in den Naturwissenschaften zum Ausdruck, bei dem ein großer Teil der non-verbalen Praxis innerhalb der Wissenschaft und in ihrer Außendarstellung bildlich erfasst wird. Die Bilder sprechen bzw. stiften Sinn. Dies geschieht mit einer Technik, die Boehm "mit dem Auge denken" bezeichnet (vgl. Boehm 2007: 94ff.). Damit meint er, dass das Auge "Anblicke gewinnt" (Boehm 2007: 100, 2):

"Ein Anblick ist nicht einfach diese oder jene Beobachtung, er ergibt sich nicht, wenn wir unsere Augen lediglich spazieren führen […]. Einen Anblick gewinnen wir vielmehr dann, wenn wir das Sichtbare so zurechtrücken, dass es 'sich' zeigt, sich uns 'darbietet'. Damit ist zugleich auch gemeint, dass wir uns sehend in ein angemessenes Verhältnis setzen." (Boehm 2007: 100, 2ff.).

Dies wird später in dieser Arbeit noch untersucht: der Wissenschaftler wird geschult, richtig zu beobachten; seine Beobachtungen sind voraussetzungsvoll und durch Vorerfahrungen geprägt. Die gleiche bzw. ähnliche Sinnerzeugung mit den gleichen Bildern kann nur von Rezipienten mit ähnlichen Codes angenommen werden, also von scientific communities, die einen ähnlichen Wahrnehmungs- und Sinnerzeugungshabitus haben, sowie ähnliche Informationshintergründe. Dies kann per se nicht für alle möglichen Rezipienten angenommen werden, insbesondere nicht bei Verwendung in außerwissenschaftlichen Zusammenhängen.

3. Wissenschaft

Gewöhnlich teilt man Wissenschaft in die Geistes- und Gesellschafts- bzw. Sozialwissenschaften und die Naturwissenschaften.

Diese Einteilung erfolgt größtenteils aufgrund der Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen. Daneben sehen manche Ideal- bzw. Strukturwissenschaften (Mathematik, Logik).

Gleichwohl wird angeführt, dass die Trennung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften insbesondere auch eine methodische und prozessuale Trennung sei. Während die Naturwissenschaft bestrebt sei, ihre Methoden einheitlich zu gestalten, herrsche in den Geisteswissenschaften ein Methodenmix. Einerseits ist dieses Argument – insbesondere historisch – schlecht haltbar, anderseits können auch Geistes- und Gesellschaftswissenschaften bestrebt sein, einheitliche, exakte Wissenschaften zu sein.

Im englischen Sprachgebrauch (aus dem lateinischen kommend) werden die sciences (Naturwissenschaften) , lat. scientiae[12], von den humanities (Geisteswissenschaften), lat. humanitae, getrennt. Daneben stehen in der englischen Sprache die social sciences, die in der deutschen Tradition als Geistes- bzw. Gesellschaftswissenschaft gelten.

Für alle Wissenschaften gilt:

(1.) Wissenschaft ist eine systematische Tätigkeit, da es um ein „System von Sätzen“ bzw. um ein „System der Erkenntnis“ geht. (2.) Im Gegensatz zu Metaphysik und Spekulation ist Wissenschaft auf die Wirklichkeit gerichtet, d.h. sie ist „empirisch“ auf „Natur, Gesellschaft und Denken“ gerichtet.[13] (3.) Wissenschaft arbeitet mit Hilfe von Hypothesen, Theorien und anderen Mitteln und will (4.) zu generellen Aussagen gelangen. Es werden „Theoriesysteme“ aufgestellt und überprüft bzw. „kausale Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten“ für ein „System der Erkenntnis“ fixiert (vgl. für den gesamten Absatz: Alemann/Forndran: 44).

Es stellt sich damit die Frage, wie Wissenschaft von anderen Methoden der Erzeugung von Erkenntnissystemen getrennt werden kann, wie die empirische Verbindung zustande kommt und wie Hypothesen, Theorien und generelle Aussagen ihren Realitätsbezug erhalten.

Um eine greifbare Definition von Wissenschaft zu erhalten, muss der Blick auf die Wissenschaftstheorie als Metawissenschaft geworfen werden. Bedeutsam für die Naturwissenschaft ist der sog. analytische Ansatz. Danach soll der hermeneutische Ansatz vorgestellt werden. Dies wird zeigen, dass eine klare Trennung schwer fällt, sodass dann zwei Begriffe auf Wissenschaft bezogen werden sollen, die grundlegend sind: Repräsentation und Objektivität.

Schließlich soll der ärztliche Blick betrachtet werden, da der Gegendstand dieser Arbeit – Bilder vom Hirn – gerade in der Diagnostik von Ärzten betrachtet wird.

3.1 Wissenschaftstheorie: Analytischer Ansatz

Eine kurze, gleichsam umfangreiche Definition für Wissenschaft liefert Immanuel Kant in der Vorrede der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft:

"Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein nach Principien geordnetes Ganzes der Erkenntnis, seyn soll, heißt Wissenschaft." (Kant 1789: 4[14] ).

Damit benennt Kant mehrere Eigenschaften von Wissenschaft, die auch heute noch allgemein anerkannt sind. Einerseits geht es um Erkenntnis und damit um Begründungen, da jede Erkenntnis eine logischbewiesene wahre Aussage ist.

Zweitens handelt es sich um ein System. Eine einzelne Erkenntnis ist noch keine Wissenschaft, sie wird erst zur Wissenschaft, wenn sich Erkenntnisse zu einem System fügen. Nur ein methodisches Verfahren kann einzelne Aussagen in einen Zusammenhang einordnen. Drittens und davon ausgehend muss ein solches System, um "ein geordnetes Ganzes" zu werden, in einer argumentativen Struktur die Prinzipien dazu bereit stellen.

Es müssen noch weitere Vorüberlegungen angestellt werden.

Für die Wissenschaft als Erkenntnissystem ist das Medium Sprache von Bedeutung. Mit Sprache können wahre, aber auch falsche, trotzdem verständliche Aussagen formuliert werden (vgl. Poser: 30, 11ff.). Sprachliche Vorstrukturierung bestimmt bereits das inhaltliche Material (vgl. Poser: 30, 18ff.). Gleichzeitig betrifft diese Vorstrukturierung nicht nur den Prozess des Ausdrückens, sondern auch den Prozess der vorsprachlichen Strukturierung von Welt, da sich sprachliche Realitäten – wie die Sapir-Whorf-Hypothese[15] eindringlich zeigt (vgl. Whorf) – in Denk- und Wahrnehmungsschemata ablagern (vgl. Poser: 30, 32ff. u. Carrier: 64-69).

Aussagen können Erkenntnisse a priori[16] oder a posteriori[17] enthalten. Eine Trennung ist in der wissenschaftlichen Theoriebildung und Praxis schwieriger, als dies auf den ersten Blick scheint: Grundprinzipien, Definitionen und Konventionen sind in Wissenschaften ohne Erfahrungskontrolle gültige apriorische Erkenntnisse bzw. stellen sich als solche dar. Meist sind sie relativer Art, da grundsätzlich die Möglichkeit der Aufhebung besteht (vgl. Poser: 32f.).[18]

Darüber hinaus können Aussagen deskriptiv, also faktisch sein, oder normativ bewertend. Auch diese sind nicht immer einwandfrei trennbar und es kann zum paradoxen, da eigentlich nicht möglichen, naturalistischen Fehlschluss kommen, bei dem von deskriptiven auf normative Aussagen geschlossen wird (vgl. Poser: 33-36).[19]

Weitergehend sind viele Begriffe, die für die Wissenschaft und ihre Erkenntnis wichtig sind, nur unscharf definiert und historischem Wandel unterlegen.[20]

Lange wurden in den Naturwissenschaften sog. Naturgesetze gesucht (vgl. Poser: 62f.), allerdings hat sich die Wissenschaft mittlerweile von diesem Begriff verabschiedet[21] (vgl. Poser: 64f.), da Universalitäts-[22] und Kontrafaktizitätsbedingung[23] die Gesetzmäßigkeit solcher Aussagen für alle möglichen Fälle in allen möglichen Zeiten fraglich erscheinen lässt (vgl. dazu: Poser: 61-72).

Beobachtungen sind grundlegende Erkenntnismomente der Naturwissenschaft, aber nicht alle wissenschaftlichen Begriffe sind Beobachtungsbegriffe[24]. Eine Kraft selbst kann bspw. nicht sinnlich wahrgenommen werden, nur ihre Wirkungen. Die Frage ist für empirische Wissenschaft demnach, wie solche Nichtbeobachtungsbegriffe, also theoretische Begriffe, die sich der direkten Beobachtung entziehen, verifiziert werden können und so Sinn erhalten. Die Beziehung zwischen theoretischem Begriff und Beobachtungen ist "stärker indirekt und verwickelt, so dass es sich um eigenständige Bereiche der Begriffsentwicklung handelt" (Carrier: 62, 14).[25] Diesem Problem begegnen auf unterschiedliche Weisen und mit unterschiedlicher Standhaftigkeit der operationalistische Standpunkt[26], der Übersetzungsstandpunkt[27] und der Signifikanzstandpunkt[28] (vgl. Poser: 86).

Nun stellt sich das Problem der Verifikation als "Verfahrens des Wahrheitsnachweises" (Poser: 106, 22f.).

Wahrheit ist von Wahrheitsbedingungen abhängig. Nach Aristoteles ist "ein Satz […] genau dann wahr, wenn das als zusammen bestehend ausgesagt wird, was zusammen besteht" (Poser: 104: 26). Diese Korrespondenztheorie stößt schnell an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Hinzu kommt die Kohärenztheorie, nach der eine Aussage genau dann wahr ist, "wenn sie mit allen anderen akzeptierten Aussagen eines Bereiches […] verträglich ist" (Poser: 105, 23f.).

"Die Verifikation kann nur intersubjektive Konkordanzen erreichen, denn sie hängt ab von Kriterien, die für den Wahrheitsnachweis in einer Gemeinschaft akzeptiert und als erfüllt angesehen werden" (Poser: 106, 23ff.),

wodurch eine Konsenstheorie zum Tragen kommt. Da zwischen den einzelnen Theorien nicht unbedingt Einstimmigkeit erzielt werden kann und möglicherweise das Wissen zur Beantwortungen aller Fragen im Verifikationsprozess nicht ausreichend ist, kristallisiert sich schließlich eine Wahrscheinlichkeit der Wahrheit einer Aussage (vgl. Poser: 106f.).

Erkenntnis stellt sich also über einen komplexen Prozess der Wahrheitsfindung heraus, der von vielen Seiten gefährdet ist.

Erfahrungen und sinnliche Wahrnehmungen können in Induktionsschlüssen zu (Erkenntnis-) Theorien verarbeitet werden, aus denen dann deduktiv Voraussagen gemacht werden können. Da diese Induktionsschlüsse erstens selbst deduktiv sind und zweitens das Apriori bei Widerlegung des Induktionsschlusses in Frage stellen, ist die Tragfähigkeit des Induktionsprinzips als analytisches Prinzip in Frage gestellt.

In der Wissenschaft sind einige Begriffe – wie bereits beschrieben – sinnlich nicht erfassbar (bspw. elektromagnetische Wellen). Deswegen muss über den hypothetisch-deduktiven Weg die theoretische, nicht direkt überprüfbare Behauptung durch beobachtbare Konsequenzen abgeleitet werden (vgl. Carrier: 36f.). Dadurch wird der analytische Prozess durch zwei unabhängige Sachverhalte bestimmt: den Entdeckungs[29] - und den Rechtfertigungszusammenhang[30] (vgl. Carrier: 37, 14ff.), also Genese und Geltung einer Hypothese.

Karl R. Popper begründete das methodologische Paradigma, dass "ein empirisch-wissenschaftliches System […] an der Erfahrung scheitern können [muss]" (Popper: 13, 1ff.) und wandte sich damit gegen Induktionsschlüsse, die nicht widerlegbar sind. Er tritt dafür ein, dass Erfahrungswissenschaften keine Wahrheitsbeweise suchen sollten, da dies für alle denkbaren Raum- und Zeitfälle unmöglich ist, sondern sogenannte Naturgesetze ausschließlich als Hypothesen betrachtet werden, die solange beibehalten werden, wie sie nicht falsifizierbar sind. Bedingung von Wissenschaft ist demnach für Popper, die grundsätzliche Falsifizierbarkeit allen "Wissens"[31] (vgl. Popper und Schröder: 25-29 u. 43-47).

Dem analytischen Ansatz nach untersuchen Wissenschaftler die äußere gegebene Welt und versuchen, deren inhärente Regelmäßigkeiten über Repräsentationen zu erklären. Dabei versuchen sie, die Erklärung möglichst einfach zu gestalten. Deswegen wird versucht, Teile abzutrennen, die als Ganzes erklärt werden können. Diese erklärten Teile können zu einem Erklär-Ganzen zusammengesetzt werden, das nie deckungsgleich mit der Ganzheit aller Phänomene ist. Dabei sollte die Wissenschaft, so fordert es der analytische Ansatz, bestrebt sein, psychologische, soziologische – kurz: nicht naturwissenschaftliche – Sachverhalte aus den Erklärung herauszuhalten und nicht logisch auf Beobachtungen zurückführbare Sachverhalte vermeiden.

Beides ist in der Praxis aus unterschiedlichen Gesichtspunkten schwierig.

Beobachtung ist, wie gezeigt wurde, auch bei analytischem Vorgehen voraussetzungsvoll und teilweise – Beispiel waren Kräfte – nur indirekt über Wirkungen von Phänomenen möglich. Außerdem muss analytische Wissenschaft – bereits in den Vorstrukturierungen von Welt – auf sprachliche Realitäten zurückgreifen. Psychologische und soziologische Aspekte haben Einfluss u.a. bei Definition von Begriffen, auf Apriorisierungsprozessen und Bewertung von Aussagen und Erkenntnissen auf Faktizität oder Normativität.

3.2 Naturwissenschaft als Erfahrungs- und Beobachtungswissenschaft

Mit dem oben erarbeiteten analytischen Ansatz versucht die Wissenschaft, Sachlichkeit und Objektivität zu erhalten, indem sie ihr Wissen aus Erfahrungen mit der Realität gewinnt. Sie "kondensiert […] ein über die Beobachter erarbeitetes Wissen um die Welt" (Breidbach 2005: 19, 21). Dies tut sie – so die Wissenschaftstheorie – gegründet auf ausreichendem Tatsachenmaterial, trennt zwischen Tatsachen und deren Deutung und verknüpft sie logisch und undogmatisch (vgl. Theimer: 9-10). Sie ist Erfahrungswissenschaft und damit Beobachtungswissenschaft und somit zwangsläufig am Ort der Erfahrung subjektiv.

Allgemeine Aussagen werden aus begründeten Einzelaussagen hergestellt. Diese sind Einzelerfahrungen im Sinne von Beobachtungen, die wiederum in Protokollen gesichert werden. Aus den Protokollen werden Schlüsse gezogen (vgl. Breidbach 2005: 20). So wird die Ebene der Protokolle zu einer Ebene der naturwissenschaftlichen Arbeit.

Mittels technischer Verfahren und Apparaturen werden die Beobachtungen selbst standardisiert. Beobachtungsbereiche, die der direkten Erfahrung verschlossen sind, werden durch Messgeräte erschlossen und auf andere Art sichtbar gemacht und durch Operationalisierungen kategorisiert bzw. skaliert. Diese Apparate enthalten selbst Beobachtungstheorien, die in ihnen konserviert sind. Dem Verständnis der Apparate nach sind apparative Beobachtungen entsubjektivierter, damit objektivierter.

Breidbach umreißt in seiner Monographie Bilder des Wissens Konturen der Geschichte der Beobachtung für die Naturwissenschaft (vgl. Breidbach 2005: 49-132), in der er zeigt, dass die Technisierung der Erfahrung durch Apparate das Erfahren standardisiert und die Reproduktion der Erfahrung selbst sichert (vgl. Breidbach 2005: 25). Gleichzeitig werden dadurch aber die Beobachtungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Geschichte der Beobachtung in der Naturwissenschaft ist eine Geschichte der Verlagerung der Beobachtung von den Dingen und den Erfahrungen mit den Dingen selbst zu einer Geschichte der Beobachtung von Datenmaterial, dass durch Beobachtungsapparate erzeugt wurde (vgl. Breidbach 2005: 49-132).

Beobachtung und Erfahrung können – so wird im Laufe dieser Arbeit gezeigt – nicht getrennt werden von kollektiven Abstimmungen, individuellen Einflüssen und (kulturellen) Wertungen. Deswegen kann Wissenschaft zwar bestrebt sein, solche Einflüsse insbesondere mittels apparativer Techniken auszuschließen, allein dadurch handelt Wissenschaft aber wiederum orientiert an Werten – hier am Wert der Objektivität.

Selbst apparative Aufschreibe- oder Abbildungstechniken operieren in Bezug auf die Herstellung der Beobachtung und deren Aufzeichnung selektiv auf den Zweck der Untersuchung. Erfahrung und Beobachtung kann deswegen nie völlig unabhängig vom Akteur bzw. von akteursbedingten Einschreibungen in Apparate und Ergebnisse sein.

3.3 Hermeneutischer Ansatz

Der analytische Ansatz geht davon aus, dass das Ganze nicht erfasst werden kann und will das Ganze überhaupt nicht als Ganzes erkennen. Nur Einzelheiten sind überprüfbar. Deswegen muss das Ganze in erklärbare Einheiten zerlegt werden, von denen einige (zumindest vorläufig) unerklärt bleiben müssen.

Die Hermeneutik geht hingegen davon aus, dass das Ganze nur durch dessen Teile verstanden werden kann, das Ganze aber wiederum Voraussetzung für das Verstehen der Teile ist. Sie tritt also für die Möglichkeit eines ganzheitlichen – nie abgeschlossenen – zirkulären Verstehens ein.

Das Individuum begegnet den Teilen des Ganzen mit einem Vorverständnis, mit einem Vor-Urteil des Ganzen. Es ist somit "der Vorurteilsstruktur des Verstehens" (Hörisch 2004: 130) ausgeliefert.

"Wer etwas Spezifisches und Neues verstehen will, hat immer schon ein Ganzes verstanden; und umgekehrt wirkt sich die neue hermeneutische Erfahrung auf das Verständnis des Ganzen aus, indem es dieses unablässig modifiziert" (Hörisch 2004: 130).

Was aber ist Verstehen? Wilhelm Dilthey erklärt es mit der inneren Aufnahme äußerer Zeichenstrukturen: "Wir nennen den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von außen sinnlich gegeben sind, ein Inneres erkennen: Verstehen" (Dilthey: 318).

Bei diesem Verstehensakt wird ein Zeichen[32] in einen Gesamtzusammenhang von Weltverständnis früherer Verstehensakte eingeordnet. Mit jedem Verstehensakt eines Teiles kommt man dem Verstehen des Ganzen näher. Gleichzeitig beeinflusst der jeweilige Verstehensakt und die damit verbundene Modifikation des Verstehens des Ganzen, das Vorverständnis für noch nicht erfolgte Verstehensakte. Verstehen ist nicht wiederholbar und nicht umkehrbar, erklären – dem analytischen Paradigma folgend – schon bzw. ist essentiell für das analytische Paradigma.

Einmal Verstandenes, hat aber, so der hermeneutische Ansatz, Einfluss auf alle weiteren Verstehensakte – dies wird im Kap. 4.2 dieser Arbeit anhand eines Beispiels gezeigt werden.

3.4. Analytische Hermeneutik oder hermeneutische Analytik?

Zunächst wurde versucht, Wissenschaft in Natur- und Geisteswissenschaft zu unterteilen. Dies wäre anhand der Gegenstände und der Methoden möglich. Eine klare Trennung ist allerdings schwierig.

Vorgestellt wurde der in den Naturwissenschaften vorherrschende analytische Ansatz, sowie dessen ständige Gefährdungen benannt und skizziert. Naturwissenschaft wurde dann als Erfahrungs- und Beobachtungswissenschaft bezeichnet, die sich weniger mit Realitäten als mit deren Repräsentationen beschäftigt, vornehmlich in Form von protokollierten Erfahrungen, die zudem durch Apparate technisiert wurden.

Außerdem wurde in Frage gestellt, ob solche apparativen Objektivierungen nicht ebenso durch subjektive Inskriptionen gefährdet, diese jedoch verdeckter sind.

Während der analytische Ansatz davon ausgeht, dass komplexe Realitäten in erklärbare Einzelheiten zerlegt werden müssen, geht der hermeneutische Ansatz davon aus, dass nur das Vorverständnis des Ganzen das Verstehen der Teile ermöglicht und diese Verstehensakte der Teile ständig das Verständnis des Ganzen modifizieren. Damit widerspricht er dem Ideal des analytischen Ansatzes, der mit seiner Herangehensweise Verstehenszustände stabilisieren und entsubjektivieren will.

Es bleibt die Frage offen, ob nicht alles Verstehen – auch in analytischer Herangehensweise – nur hermeneutisch ablaufen kann, da selbst bei der Abtrennung von Einzelheiten, die analytisch untersucht werden sollen, ein Vorverständnis der Gesamtheit vorhanden sein muss, das aber durch die Ergebnisse der analytischen Einzelelementfokussierung zusammengesetzt werden kann.

Insoweit ist die Frage, ob objektive Analytik nicht doch eine subjektiv bewertende Herangehensweise ist, die letztendlich Teil einer subjektiv hermeneutischen Praxis im Lichte kollektiver kultureller Vorstellungen ist.

Bevor der diagnostische Blick des Arztes beschrieben werden soll, müssen nun noch zwei für wissenschaftliche Arbeit grundlegende Begriffe betrachtet werden.

Einerseits handelt es sich hierbei um Objektivität, die gerade in den Naturwissenschaften von wissenschaftlichen Praktiken für die kollektive Anerkennung gewonnener Erkenntnisse gefordert wird und – so wird hier in Anlehnung an Daston argumentiert – ein kultureller Wert ist, mit dem Repräsentationen wissenschaftlich verifiziert und systematisiert werden.

Danach muss noch geklärt werden, was Repräsentationen sind bzw. welche Bedeutung sie für die Naturwissenschaften haben, da sich alle Erkenntnis letztlich nur über Repräsentationen erzeugen lässt, da sie – so wurde hier argumentiert – verfügbare Objekte der wissenschaftlichen Arbeit sind.

3.4.1 Objektivität

Wie bereits erwähnt, versucht systematische (Natur-) Wissenschaft insbesondere auf der Grundlage von Objektivität Wissen zu erzeugen. Die Wissenschaftshistorikerin Loraine Daston untersucht exemplarisch die Kultur der wissenschaftlichen Objektivität als kulturellen Wert einer sog. Naturwissenschaft. Zunächst betont sie, dass in den Naturwissenschaften eine Naturalisierung von Bedeutungsgeweben zu "eine[r] durch Gesetze angeordnete[n] Ansammlung von Objekten" (Daston: 147) zu beobachten sei, bei der kulturelle Bedeutungen durch neuzeitlich-wissenschaftliche Bedeutungen ersetzt werden (vgl. Daston: 147f.).

Dabei werden, so Daston, Repräsentationen betrachtet und diese auf ihre Wissenschaftlichkeit bzw. ihren wissenschaftlichen Charakter untersucht (vgl. Daston: 149, 2ff.). Dies sei aber keineswegs gleichbedeutend mit der Frage, ob eine Darstellung wahr sei (vgl. Daston: 149, 7ff.).

Weiter begründet sie, dass Objektivität ein Wert einer (natur-) wissenschaftlichen Kultur sei, der in einem "kollektiven System des Urteils und Empfindens" (Daston: 149, 35), der scientific community, nicht nur programmatisch, sondern auch praktisch ausgedrückt werde (vgl. Daston: 149, 21ff.) durch den Umgang mit den Arbeitsobjekten und der praktischen Erzeugung von Erkenntnis anhand der Kriterien (des kulturellen Wertes) der Objektivität.

Die Wörter objectivus und subjectivus wurden, so Daston in einer historischen Analyse, von den scholastischen Philosophen im 14. Jhd. eingeführt, zunächst in umgekehrter Bedeutung zur heute üblichen (vgl. Daston: 150, 10ff.).[33] Danach sind die Wörter verschwunden, bis auf Spuren in Descartes' Meditationes (1641) (vgl. Daston: 150, 18ff.). In den 1820/30-er Jahren tauchten die Wörter, in etwa der heute geläufigen Form, in Anlehnung an Kant wieder auf (vgl. Daston: 150, 28ff). Objektivität wurde zum dominierenden Ideal naturwissenschaftlicher Praxis (vgl. Daston, 151, 7). Weiter betont sie, dass die Geschichte der Wissenschaft häufig als Geschichte der wissenschaftlichen Objektivität erzählt werde, mit der Begründung Objektivierungsbemühungen seien seit Beginn der modernen Wissenschaft etwa bei Galileo, Bacon etc. zu erkennen, auch wenn das entsprechende Wort noch nicht verwandt wurde (vgl. Daston: 151, 10ff.). Dies sei jedoch eine Fehldeutung, da Objektivität zwar mit anderen epistemologischen Werten, wie der Suche nach Wahrheit oder Gewissheit oder umfassenden Erklärungen oder tiefliegenden Strukturen zusammenfallen könne (vgl. Daston: 151, 33ff.), aber nicht zwangsläufig konfliktfrei mit diesen Idealen integrierbar sei (vgl. Daston: 152, 4ff.).

Zudem identifiziert Daston eine vorherrschende Form der Objektivität, die sie "mechanische Objektivität" nennt, die "auf die Ausschaltung aller Formen des menschlichen Eingriffs in die Natur ab [zielt], entweder durch den Einsatz von Maschinen […] oder durch Mechanisierung wissenschaftlicher Prozeduren" (Daston: 153, 1ff., vgl. dazu auch: Daston/Galison: 121ff.).

Im Rahmen dieser Arbeit wird gezeigt werden, wie in der Geschichte der bildgebenden Verfahren Objektivität gesichert wurde, mit dem Ziel, authentische Repräsentationen zu erhalten. Dabei wird der Blick mit dem heutigen Begriff von Objektivität geleitet, eine historische Analyse über verwandte Begriffe kann nicht geleistet werden.

Zunächst ist es allerdings noch erforderlich, den Begriff Repräsentation für den Gegen-stand dieser Arbeit genauer zu klären.

3.4.2 Repräsentation(en)

In der essentialistischen Sichtweise, die davon ausgeht, dass eine Welt außerhalb der Erfahrungswelt real existiert, ist die Repräsentation "the means by which we generate images (reflections, representations, reports) of the object 'out there'" (Woolgar: 30, 19f.) bzw. die "Darstellung eines unabhängig vom Darstellungsvorgang existierenden Objekts" (Schlich: 149, 10f.).

Daraus ergeben sich diverse Dualismen (vgl. Woolgar: 31, 1ff.) zwischen Repräsentationen und Objekten und gleichzeitig das Problem der Validität und Validisierung dieser Verbindung (vgl. Woolgar: 31, 28ff.).

Das Problem aus einer realistischen Auffassung des Objekts spaltet sich in verschiedene Dimensionen, die nicht gänzlich auflösbar sind.

Aufgrund der Indexikalität dieser Verbindung ist jede Aussage das Verhältnis Objekt-Repräsentation betreffend angreifbar (vgl. Woolgar: 32, 15ff.). Das zweite Problem ist, dass eine weitergehende Erklärung zwangsläufig wiederum weiter präzisierbare Repräsentationen enthalten muss. Woolgar bezeichnet dies als Problem der Inkonkludabilität (vgl. Woolgar: 32, 28ff.). Das Wissen über das Verhältnis zwischen Repräsentation und Objekt ist reflexiv, in dem Sinne, dass alles weitere Wissen das vorherige Wissen strukturiert und einbindet und umgekehrt (Problem der Reflexivität).

Die Beziehung zwischen Objekt und Repräsentation ist somit nicht fix, sondern kontingent. Sie muss konstruiert werden. Dies geschieht wiederum durch Rückbezug auf andere kontingente Objekt-Repräsentation-Beziehungen. Dieser praktische Prozess der Referenzierung von Repräsentationen ist angeleitet durch kollektiv anerkannte wertorientierte Praktiken. Er ist historisch geprägt und hermeneutisch in dem Sinne, dass selbst analytische Referenzierung das Gesamtverständnis durch eine durchgeführte Referenzierung unumkehrbar modifiziert und die Referenzierung aufgrund eines Vor-Urteils der Welt geschieht.

3.5 Ärztlicher Blick

Da die Medientechniken, die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt werden, nicht nur Wissenschaftlern als Medien zur Erzeugung von Wissen dienen, sondern von Ärzten als diagnostische Medien genutzt werden, muss eingehender auf den ärztlichen Blick bzw. die ärztliche Erfahrung eingegangen werden. Blicken ist dabei – wie später eingehender gezeigt wird – ein historisch-kulturelles Phänomen, sodass unterschiedliche Epochen und Kollektive andere Verhältnisse zum Sehsinn haben können und somit unterschiedlichen Blickregimes unterworfen sind (vgl. Burri 2008: 17).

Moderne Medizin seit dem epistemischen Bruch der Aufklärung (vgl. Foucault 2008) arbeitet mit einer Phänomenologie der Krankheitsbilder, in der der Kranke zum Medium der Krankheit wird. Ihre Therapie leitet sich nicht ausschließlich aus der Theorie ab, sondern auch aus schon beschriebenen Fällen und deren Therapien sowie aus den Erfahrungen des Arztes. "Der Blick des Therapeuten ist der Blick eines Beobachters, der das Phänomen Krankheit möglichst umfassend konturiert, es mit vorgegebenen Bildern vergleicht" (Breidbach 2005: 55, 16ff.).

Aufgabe des ärztlichen Blicks ist es, nicht wie in der Wissenschaft, aus der Theorie abgeleitete Experimente zu beobachten, sondern Erscheinungen selbst zu beobachten, die sich in zeichenhaften Symptomen in und an den Körpern von "Kranken"[34] zeigen. Es ist seine Aufgabe, diese symptomatischen Zeichen der Krankheit im Medium des Körpers zu erkennen, sie von anderen Zeichen zu unterscheiden, diese schließlich in den Diskurs zu übersetzen und daraus die verborgene Krankheit zu konstruieren. Dies ist ein konventioneller Prozess, bei dem nur erkannt werden kann, was erkennbar und – aus Theorie oder Praxis – bekannt ist und was von der Norm des Nicht-Kranken abweicht (vgl. dazu: Foucault 2008).[35]

Zugleich ist die konventionelle Zuordnung der sich zeichenhaft äußernden Krankheit historischen, gesellschaftlichen, sogar politischen Diskursen beigeordnet und damit Transformationen ausgesetzt.

Der ärztliche unterscheidet sich von einem wissenschaftlichen Blick dadurch, dass er weniger eingegrenzt ist als der Blick auf ein Experiment, dessen Rahmenbedingungen bekannt sind und dessen Ergebnis durch die Hypothese vorstrukturiert ist. Gleichzeitig entspricht er dem wissenschaftlichen Blick, als der er zwar versucht, die Natur selbst zu erblicken, nur Repräsentationen sehen kann und dabei stets durch Vorerfahrungen vorstrukturiert ist. Erste Vermutungen über Krankheiten werden versucht, durch gezielte Nachfragen und gezielte Sichtungen konvergierender Symptombereiche – in diesem Sinne hypothesengeleitet – abzuklären.

Ärztliches Blicken ist dem Paradigma analytischen Vorgehens unterworfen, als historisch-kulturelles Phänomen eines ärztlichen Kollektivs ist der Vorgang des Blickens und dessen Aneignung sowie das Erkennen der Krankheit über ihre symptomatischen Repräsentationen ein hermeneutisches Verstehen.

Medizin ist eine Beobachtungswissenschaft und eine Erfahrungswissenschaft, die versucht ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu sichern und instrumentell zu verfeinern. Dabei verlagerte sich in der Medizin der Blick von Symptomen am Körper auf Repräsentationen von Symptomen an Monitoren. Dieser Prozess setzte nicht erst mit den modernen bildgebenden Verfahren ein, sondern bereits mit der Messung von Puls oder Gehirnströmen.

Mit diesen Vorüberlegungen zu analytischen und hermeneutischen Wissenschaftszugängen, wendet sich diese Arbeit nun den Medientechniken der wissenschaftlichen Arbeit zu.

4. (Medien-) Techniken der wissenschaftlichen Arbeit

Wenn nun von (Medien-) Techniken der wissenschaftlichen Arbeit die Rede sein wird, sollen hauptsächlich solche interessieren, die für die Wissenschaften von und mit dem Gehirn wichtig sind, also solche, deren genuines Sujet das Gehirn als materielles Objekt ist.

In den betreffenden Disziplinen muss, um angemessen agieren zu können (wie in allen spezifischen Bereichen), ein gewisses Repertoire an Fertigkeiten und Wissen erworben werden.

Zunächst soll deswegen geklärt werden, wie sich die Phase der Initiation darstellt. Da-ran anschließend wird erklärt, wie dadurch ein Habitus ausgeprägt wird und welche Auswirkungen er auf das Wahrnehmen, Beobachten und Denken der Wissenschaftler hat. Als erstes bildgebendes Verfahren wird das Mikroskop vorgestellt und die damit verbundenen Wahrnehmungsprobleme. Schließlich wird das Medium Präparat und seine Erzeugungsvoraussetzungen und -bedingungen beleuchtet, um dann moderne Techniken der Bildgebung vorzustellen.

Später wird das "Doing Images", die Erzeugung von Bildern, aufgegriffen, um die Bild-erzeugung als komplexe kulturelle Praxis zu analysieren, bei der auf technische Voraussetzungen, Fertigkeiten und Paradigmata zurückgegriffen und die durch habituelle Mechanismen beeinflusst wird.

4.1 Grundlegende Voraussetzungen

Das Studium der Medizin kann als Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten (Praktiken) verstanden werden. Absolventen sollen befähigt werden, Krankheiten zu erkennen, Kranke zu heilen oder im Rahmen medizinischer Forschung das "Wissen" zu erweitern.

Ein Studium ist aber auch Einführung, Initiation, in ein Kollektiv bestimmter Wissensinhalte und Praktiken.

Im Studium werden mit verschiedenen Medienformen[36] Inhalte dargestellt, gleichzeitig – the medium is the message – werden mit diesen Medienformen Konditionierungen der Studierenden vorgenommen.

In der ersten Unterbrechung wird mit einem soziologischen Modell Pierre Bourdieus erklärt, wie solche Konditionierungen gruppenspezifische Wahrnehmungs-, Handlungs- und Denkschemata in den individuellen Akteuren ausbilden und praktisches Handeln schon im vorreflexiven Bereich strukturieren (vgl. dazu: Erste Unterbrechung).

Der Prozess des Studierens kann mit dem Prozess der Alphabetisierung verglichen werden. Grundschüler lernen zunächst, den Stift zu halten und machen einfache Übungen, um einfache Gestalten (Linien, Schlaufen, Kreise etc.) zu erzeugen: praktische Annäherung an Werkzeug (Stift) und Technik (Erzeugen einfacher Formen und Gestalten). Schließlich nähern sich diese den Formen von Buchstaben an, bevor dann Buchstabe um Buchstabe erlernt wird (praktisch-technische Einführung in das Mediensystem Schrift).

Nach den ersten Buchstaben werden erste Worte, dann erste Sätze gebildet. Das Codesystem Schrift wird erlernt und praktisch angewandt und mit dem bereits erlernten Codesystem (gesprochene) Sprache verknüpft.

Medienkulturelle Praktiken befähigen Akteure, medienkulturelle Praktiken zu benutzen (praktische Benutzung eines Schreibwerkzeuges, Benutzen des Mediums Schrift, Verknüpfen der Medien Schrift und Sprache). Dies passiert schließlich ohne über die Formung jeder einzelnen Buchstabenwindung nachzudenken, automatisch, habituell.

Im Bereich des Studiums gibt es verschiedene Medienformen der didaktischen Vermittlung von Wissen und Praktiken.

Zunächst gibt es Vorlesungen, in denen systematische Überblicke vermittelt werden. Diese sind oft verknüpft mit Übungen, in denen Grundwissen vermittelt und praktisch angewandt wird. In Seminaren wird unter Anleitung ein bestimmtes Thema erarbeitet. In dieser Veranstaltungsform wird diskutiert und die intensive Mitarbeit bspw. in Form von Referaten erwartet. Tutorien sind Vertiefungen dieser Formen, zur Vorbereitung oder Anwendung von Inhalten.

Darüber hinaus gibt es insb. in naturwissenschaftlichen Studiengängen Praktikumskurse, in denen wissenschaftliche Experimente zu Übungszwecken durchgeführt werden
(z. B. messen, beobachten und auswerten, analysieren) oder praktisch gearbeitet wird (mikroskopieren, präparieren etc.) bzw. Formen, in denen beides gemischt wird.

Die medizinische Ausbildung wird ergänzt durch klinische Semester, in denen die Studenten an den Kliniken selbst praktisch lernen.

Dieser Bereich konzentriert sich mehr auf die Vermittlung von Praktiken, informiert durch erworbenes Wissen.

Gängige Medien der Wissensvermittlung sind Lehrbücher. In diesen Lehrbüchern wird das für eine Disziplin gültige Wissen (optimalerweise) kurz und verständlich dargestellt, ohne Kontroversen der Wissenschaftsgeschichte in toto darzustellen. Für die Praxis hat dies zur Folge, dass wissenschaftliche Argumentation bestimmte Inhalte für gegeben – apriori, da Lehrbuchmeinung – anerkennen kann, ohne bei jeder Erklärung mit den Grundprinzipien zu beginnen.[37] Wissenschaftliche Forschung kann ansetzen, wo Lehrbücher aufhören (vgl. dazu: Kuhn: 25-36), da sie hier ein Feld betritt, in dem noch nach definitiven (d.h. innerhalb einer Gemeinschaft kollektiv anerkennbaren, da nach anerkannten Prinzipien bewiesenen) Antworten gesucht wird.

Zeitschriften – zunehmend online – geben einen Raum der Kommunikation zwischen Wissenschaftlern. Im Gegensatz zu Lehrbüchern, in denen Kontroversen entweder nicht mehr auftreten, weil die dahinterliegenden Streite bereits ausgetragen sind oder Kontroversen als solche historisch dargestellt werden, ist es üblich, dass in Zeitschriften Kontroversen ausgefochten werden. Zeitschriften erheben dementsprechend weniger Allgemeingültigkeitsanspruch als Lehrbücher.

Daneben haben seit dem 16. Jhd. anatomische Atlanten[38] für die anatomische Ausbildung eine wichtige Bedeutung.[39] Sie unterscheiden sich von anderen Genres, wie Lehrbüchern oder Handbüchern dadurch, dass sie eine "vollständige[…], historisch gleichwohl quantitativ als auch qualitativ variable[…] Katalogisierung eines bestimmten und immer erst zu bestimmenden Untersuchungsgegenstandes" (Buschhaus 2005: 126, 5ff.) in der Form einer Sammlung von Bildern leisten. In diesen Atlanten wird

"anatomisch motiviertes Bildmaterial – das heißt: Bildzeugnisse, Photographien, Röntgenbilder, Computertomogramme usf. – mit der Funktion katalogisiert, bestimmte Teile des menschlichen Körpers sichtbar zu machen. Dieses Bildmaterial ist nahezu ausschließlich mit einer Bildlegende und bisweilen mit einem schriftlichen Kommentar versehen" (Buschhaus 2005: 127, 10ff.).

Bildmedien sind also Bestandteil der Ausbildung.

Nebenbei erlernt der Studierende eine spezifische Fachsprache für den intersubjektiven Austausch.

Kurzum, das gesamte Studium besteht aus einer medialen Hochrüstung der Sinne, der Ausprägung von disziplinspezifischen Schemata der Wahrnehmung, des Denkens, des Sprechens und des Handelns, somit aus der Ausprägung eines wissenschaftlichen Habitus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Habitus

Vorangehende Ausführungen legen es nahe, den Fluss zu unterbrechen und den Habitus einzuführen und auf den Gegenstand dieser Arbeit zu beziehen.

Pierre Bourdieu siedelt den Habitus als aktive, erfinderische und schöpferische Instanz dort an, wo Kultur durch Verhalten praktisch wird. Er definiert

"Habitus als ein System verinnerlichter Muster, die es erlauben, alle typischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen einer Kultur zu erzeugen – und nur diese" (Bourdieu 1970: 143).

Die Erzeugung von Habitusformen führt er auf "Konditionierungen" (Bourdieu 1987: 98) zurück, die als "Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierende Strukturen fungieren“ (ebd.). Das heißt, sie sind "Erzeugungs-, und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen" (ebd.). Sie können "objektiv ‚geregelt’ und ‚regelmäßig’ [sein, M.K.], ohne irgendwie das [konkrete, M.K.] Ergebnis der Einhaltung von Regeln" (ebd.) zu sein. Für Bourdieu sind sie aber genau deswegen "kollektiv aufeinander abgestimmt […], ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorgegangen zu sein" (ebd).

Unbewusst vorhanden, vereint der Habitus gesellschaftliche und damit auch historische Dispositionen als "Körper gewordene Geschichte" (Bourdieu/Steinrücke 1997: 28). Der Habitus stellt Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata zur Verfügung, die angemessene Praktiken für die soziale Welt erzeugen und damit einen sozialen Sinn determinieren (vgl. ebd.).

Während der Habitus als "Körper gewordene Geschichte" (ebd.), die Inkorporation äußerer Strukturen ist, so werden die äußeren sozialen Strukturen als "Ding gewordene Geschichte" (ebd.) durch die gesellschaftliche Praxis entwickelt, die wiederum durch die im Habitus angelegten Spielräume vorgegeben sind.

Die habituellen

"Systeme von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata ermöglichen es, praktische Erkenntnisakte zu vollziehen, die auf dem Ermitteln und Wiedererkennen bedingter und üblicher Reize beruhen, auf die zu reagieren sie disponiert sind" (Bourdieu 1997: 177).

In hermeneutischen Zirkeln vermitteln didaktische Medien den Studierenden die Inhalte und Praktiken, die für den späteren Beruf wichtig sein werden, da sie kollektiv als Unabdingbarkeit angesehen werden. Sowohl die verstandenen Inhalte, als auch die in bspw. Präparier- oder Mikroskopierkursen (medizinische Praktikumskurse) verinnerlichten Handlungs- und Beobachtungsmuster, richten das Handeln in Richtung einer bestimmten Anzahl möglicher Handlungen oder Beobachtungen aus. Diese Möglichkeiten ändern sich mit jedem Akt des Handels, Wahrnehmens oder Verstehens.

Durch die kollektive Konditionierung durch gleiche – oder zumindest ähnliche Erfahrungen und Inhalte – sind diese Schemata zwar individuell in dem Sinne, dass Individuen sie ausführen und individuell einfärben – aber gleichzeitig doch kollektiv, da auch andere so oder zumindest ähnlich handeln und wahrnehmen bzw. ihr Handeln auf kollektive Bedürfnisse hin abstimmen oder begründen; oder diese – dann reflexiv – durch bewusstes Andershandeln ex negativo bestätigen.

Insbesondere für den Bereich der Wahrnehmung bzw. der Verständigung über Wahrnehmungen ist dies für die Intersubjektivität der Wissenschaft von Bedeutung.

Gleichzeitig muss auch berücksichtigt werden, dass mit dem Beginn des Studiums die Studenten keine tabula rasa, sondern bereits habituell vorgeprägt sind, sodass auch diese habituelle Vorprägung Einfluss auf die habituellen Systeme von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata haben. Nichtsdestotrotz – und das zeigt auch die Geschichte der Wissenschaften – gibt kollektive Systeme von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata in den Wissenschaften, die einerseits für die Intersubjektivität von Bedeutung sind, andererseits – auch das zeigt die Geschichte der Wissenschaften – den Blick für Anomalien und gegen das Bewährte und Bekannte sprechende versperren.

Der Habitus von Wissenschaftlern wurde durch dessen Ausprägungen im sozialen Raum der Wissenschaft und der Wissenschaftsvermittlung geprägt und ist im Rahmen der möglichen praktischen Äußerungen im Sinne dieses Habitus' träge. Altbewährtes, habituell verinnerlichtes Wahrnehmen, Denken und Handeln, Messen und Beobachten orientiert sich stärker an Vorprägungen, als offen für Neues zu sein.

Dadurch bildet sich ein System der "Ding gewordenen Geschichte", ein System stabiler Interaktionsmuster und -möglichkeiten, die ein Feld der Wissenschaft, somit Art und Weise des Umgangs mit Dingen und Akteuren durch die Akteure und ihre Habitus (vor-) strukturiert, ein Feld der sozialen Beziehungen als kulturellen Raum aufspannt.

[...]


[1] Erstmals als Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien.

[2] Beispielsweise können wir mit entfernten Freunden telefonieren und dort Emotionen erzeugen oder aber mittels Geld andere Menschen dazu bringen, etwas für uns zu tun. Und dies sogar über das Mediensystem Markt ohne direkten Kontakt.

[3] Mit dem Voranstellen eines "sog." möchte ich auf die Ambivalenz des Begriffs Ereignis hinweisen. Teilweise wird etwas erst durch Medien zu einem solchen.

[4] An anderer Stelle weist Hörisch darauf hin, dass gerade mit dieser Medieneigenschaft der Medienbegriff inflationär aufgebläht werde, sodass selbst Kleidung als Körperextension zum Mängelausgleich, zum Medium würde. Gleichzeitig würden aber auch Strom und Geld alle plausiblen Anforderungen dieses Medienbegriffs erfüllen (vgl. Hörisch (2004): 177-178). Diese Definition eröffnet, auch für die Fragestellung dieser Arbeit, aufschlussreiche Neuperspektiven und Fragestellungen.

[5] Beispielsweise repräsentiert das symbolisch generalisierte Medium "Wahrheit" die Vielfalt der Praktiken mit denen intersubjektiv Wahrheit, bspw. in wissenschaftlichen Systemen, erzeugt wird. Daraus ergibt sich: Wahrheit ist relative Wahrheit in den Codesystemen, für die sie relevant ist.

[6] Beispielsweise gibt es in wissenschaftlichen Systemen einen Zusammenhang zwischen Wahrheit und Geld. Wissenschaftliche Praxis zur Wahrheitserzeugung kostet. Geld und Wahrheit sind dennoch nicht direkt konvertierbar, da sie unterschiedliche Motivations- und Selektionsbedingungen und damit verbundene Praktiken codieren.

[7] Er weist zudem darauf hin, dass Speichermedien auch zugestellt werden können (vgl. Hörisch 2006: 73, 33ff.). So können Speichermedien Übertragungsmedien sein bzw. mittels Übertragungsmedien (vgl. Dateianhang einer Email, Diskette im Briefumschlag) Distanzprobleme überwinden. Andererseits könne nicht davon ausgegangen werden, dass alles, was übertragen wird, auch gespeichert wird (vgl. Telefongespräche, Internetkommunikation) (vgl. Hörisch 2006: 74, 1ff.).

[8] An dieser Stelle sei auf die Ambivalenz der Repräsentation hingewiesen. Bilder können eine Entität realistisch abbilden, sodass Rezipienten, die diese Entität kennen – von anderen realistischen (Ab)Bildern oder durch Abgleich mit der Wirklichkeit – im Prozess der Sinngebung den repräsentativen Charakter des Bildes herstellen können. Doch auch für abstrakte Bilder ist eine Sinnerzeugung in diesem Sinne denkbar, sowie sie für realistische Bilder andersherum – es gibt Rezipienten, die den abgebildeten Gegenstand nicht kennen – auch unmöglich sein kann. Der Prozess der Repräsentation ist also ein zweiseitiger Prozess, wobei der Dekodierer mit einem anderen Code arbeiten kann, als zur Kodierung des Bildes benutzt wurde.

[9] Wodurch Medien(techniken) den Widerspruch auflösen und Nichtsichtbares sichtbar machen, die Augen des Analytikers oder Mediziners erweitern.

[10] MRT: Magnetresonanztomographie. Ein bildgebendes Verfahren unter Ausnutzung des sog. Kernspins. Auch Kernspintomograhie. Siehe auch Kapitel 4.7 dieser Arbeit.

[11] Walter Benjamin bezieht den Begriff "Optisch-Unbewusstes" in seinem Aufsatz Kleine Geschichte der Photographie (in Benjamin 1976: 67-93. Erstm. 1931) auf das, was Techniken wie Zeitlupen, Vergrößerungen etc. zeigen können und sich dem bloßen Auge verbirgt (vgl. Benjamin 1976: 72, 12ff.). Dies ist auf moderne bildgebende Verfahren anwendbar. Insbesondere verweist dieser Begriff implizit auf eine psychische Komponente des Wahrgenommenen. Benjamin selbst weist darauf hin, dass die Fotografie dieses Optisch-Unbewusste zu Tage fördert, wie die Psychoanalyse das Triebhaft-Unbewusste (vgl. Benjamin 1976: 72, 15).

[12] Daston weist darauf hin, dass das lateinische Wort sämtliche Formen systematischen Wissens beinhaltete und somit ein ähnliches Bedeutungsfeld besetzte wie das deutsche Wort Wissenschaft. Abkömmlinge des lateinischen Wortes haben in anderen Sprachen ihre Bedeutung auf Naturwissenschaften verengt (vgl. Daston: 137).

[13] Einzuwenden ist bei diesem Teil der Definition, dass nicht alle Wissenschaften empirisch arbeiten und Wissenschaft immer schon Teil der Wirklichkeit ist, somit nicht neben der Wirklichkeit stehen kann, die sie untersucht. Insoweit analysiert Wissenschaft keine äußere Entität, sondern ist immer Teil des untersuchten Gegenstandes, wenngleich sie versucht, dies zu ignorieren oder methodisch zu minimieren. Dies gilt augenscheinlich mehr für Geisteswissenschaften, dennoch muss auch für andere Wissenschaften davon ausgegangen werden, dass Wissenschaft, erstens, immer einen soziologischen Aspekt hat (auch Naturwissenschaftler und Naturwissenschaft sind Teil der Gesellschaft) und, zweitens, den eigenen Gegen-stand durch sich selbst konstruiert (Wie sehe unsere Vorstellung von Natur ohne Naturwissenschaft aus?).

[14] Benutzter Originaltext wird nicht in zeilengenauer Darstellung angeboten, sodass die angegebene Zahl hier nicht die Zeilenzahl ist, sondern die Satzzahl. Zitiert wurde Satz 4. Eine Anpassung der Sprache erfolgte nicht beim Gesamtzitat, wohl aber beim Aufgreifen der Zitate in den folgenden Sätzen.

[15] Die Art und Weise des Denkens eines Individuums ist stark durch die semantische Struktur seiner Muttersprache beeinflusst. Dadurch ist die Welterfahrung einer Sprachgemeinschaft durch grammatische und lexikalische Strukturen ihrer Sprache bestimmt (vgl. Whorf).

[16] Erfahrungsunabhängige Erkenntnisse, die mit Mitteln der Vernunft begründet wurden.

[17] Erkenntnisse aus Erfahrung.

[18] In wissenschaftlichen Revolutionen werden Aprioris durch neue abgelöst.

[19] Der Schluss, dass ein Gegenstand gut sei, da er blau ist, ist ein Beispiel für einen naturalistischen Fehlschluss, der in dieser Form einfach zu identifizieren ist.

[20] Poser nennt als Beispiele: Erklärung, Beobachtung, Gesellschaft, Epoche etc. (vgl. Poser: 37).

[21] Wenngleich er nicht gänzlich aus der Sprachpraxis verschwunden ist.

[22] "Ein Naturgesetz ist eine All-Aussage, die weder räumlich noch zeitlich in ihrer Gültigkeit eingeschränkt ist" (Poser: 65, 24f.).

[23] "Ein Naturgesetz ist eine Aussage, die sich in kontrafaktischen Aussagen sinnvoll verwenden lässt" (Poser: 67, 13f.).

[24] "Beobachtungsbegriffe […] können auf der Grundlage einiger weniger Wahrnehmungen auf Sachverhalte angewendet werden. Weder apparative noch theoretische Hilfsmittel sind erforderlich, um zu entscheiden, ob der Himmel blau […] ist" (Carrier: 62, 3ff.).

[25] Bspw. kann Temperatur durch eine Vielzahl von Messgeräten ermittelt werden, die selbst auf unterschiedliche Hypothesen zurückgreifen. So ist die Messung von der Temperatur mit einem Flüssigkeitsthermometer grundsätzlich verschieden von der Messung der Temperatur mit einem Galiläischen Thermometer, in dem flüssigkeitsgefüllte Kugel auf- oder absteigen, da sich mit einer Temperaturänderung die Dichte der Flüssigkeit ändert. Ein anderes Beispiel für Temperaturmessung ist die Ermittlung von Hochtemperaturen mittels Farbskala für glühende Metalle (vgl. Carrier: 62f. u. Poser: 73-103).

[26] "Ein wissenschaftlicher Begriff hat nur durch die Meßoperationen, durch die er eingeführt wird, einen Sinn, also nur insoweit, als ein Rückbezug auf Handlungen erfolgen kann" (Poser: 86, 11ff.).

[27] "Jeder theoretische Term lässt sich durch Zuordnungsregeln einen oder einigen Beobachtungstermen zuordnen" (Poser: 86, 16ff.).

[28] "Ein theoretischer Term ist nur unter bestimmten Bedingungen definiert; er ist zuverlässig, wenn man mit ihm etwas vorherzusagen vermag, was ohne ihn nicht vorhersagbar wäre" (Poser: 86, 19ff.).

[29] "Der Entdeckungszusammenhang betrifft die Wege, die Wissenschaftler zur Gewinnung ihrer Vermutungen und Behauptungen nutzen, die Quellen ihrer Inspiration sowie den Anlass und die Bedingungen der Formulierung von Hypothesen" (Carrier: 37, 19ff.).

[30] Teil des Rechtfertigungszusammenhanges sind die Fragen nach "Geltung der Behauptungen oder den Gründen für ihre Wahrheit" (Carrier: 37, 24ff.).

[31] Wissen deswegen in Anführungsstrichen, da mit der grundsätzlichen Falsifizierbarkeit alles Sichere des Wissens verloren geht bzw. in Frage gestellt ist. Im Folgenden setze ich diese Einschränkung voraus, sodass ich das Wort nicht mehr in Anführungszeichen setzen werde.

[32] Auch ein Verhalten kann ein äußeres Zeichen einer inneren Verfassung eines anderen Individuums sein.

[33] "'Objektiv' bezog sich auf Dinge, die sich dem Bewußtsein darboten, während 'subjektiv' sich auf die Dinge selbst bezog" (Daston: 150, 16ff.).

[34] Die Einklammerung des Wortes "Kranker" soll darauf hinweisen, dass dies eine Zuweisung ist. Jemand – bspw. der Arzt oder der "Kranke" selbst – definiert das Individuum aufgrund bestimmter An-Zeichen als krank. Dabei wird in einem symbolischen Akt der an sich fließende Übergang zwischen "Gesundheit" und "Krankheit" durch eine scharfe Linie getrennt, die relativ ist. Relativ ist sie in dem Sinne, als dass sie historisch und gesellschaftlich wandelbar bzw. die Definition des Krankhaften keine Entität an sich, sondern konstruiert ist. Krank-sein geht nicht gänzlich als deskriptiver Begriff auf, sondern ist auch ein normativer Begriff.

[35] Dies schließt ein, dass es eine Konvention darüber gibt was als nicht krank zu gelten habe. So ist der ärztliche Blick ein dialektischer Blick.

[36] Als Medium definiere ich in diesem Sinne institutionalisierte didaktische Formen der Wissensvermittlung.

[37] Eine eingehende Analyse von Lehrbüchern einer Disziplin würde zeigen, dass das Lehrbuchwissen keineswegs konsistent ist. Außerdem ist teilweise bereits innerhalb einer Disziplin zu erkennen, dass unterschiedliche Lehrbücher unterschiedliches Wissen oder Positionen vertreten. Oft spricht man, nicht nur in Naturwissenschaften, von unterschiedlichen Schulen.

[38] Die Bezeichnung Atlas verweist auf die erste Weltkarte, die 1596 von Gerhard Mercator herausgegeben wurde (vgl. Buschhaus 2005: 125), somit verweist der Begriff direkt auf eine graphische Gesamtschau.

[39] Buschhaus liefert eine eingehende Analyse über die Rolle der anatomischen Atlanten für den Bildhaushalt der anatomischen Disziplinen. Er geht dabei näher auf Publikations-, Produktions- und Rezeptionsformen in unterschiedlichen Bildgebungsepochen (Zeichnung, Fotografie, Röntgen, CT, MRI, Visible Human Projekt) ein (vgl. Buschhaus 2005).

Ende der Leseprobe aus 161 Seiten

Details

Titel
Über das Gehirn im Bilde sein
Untertitel
Wie Hirnbilder im wissenschaftlichen Kontext erzeugt werden
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Institut für Kultur und Medien)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
161
Katalognummer
V148785
ISBN (eBook)
9783640602711
ISBN (Buch)
9783640602308
Dateigröße
4384 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftssoziologie, Bildgebende Verfahren, Hirnforschung, Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft, Bildwissenschaft, Bildtheorie, Wahrnehmung, Sehen, Repräsentation, Objektivität, Denkstil, Denkkollektiv, Thomas H. Kuhn, Bourdieu, Habitus, MRT, Röntgen, Bildgebung, Medizin, Tomografie, Tomographie, CT, Cortex, Gehirn
Arbeit zitieren
MA Michael Kempmann (Autor:in), 2009, Über das Gehirn im Bilde sein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148785

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