Die Rosenkreuzer - Ein Versuch über eine Geheimgesellschaft im Wandel der Neuzeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

36 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

Vorbemerkung

1 Die Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts
1.1 Die erste Rosenkreuzerschrift
1.1.1 Der Inhalt der Schrift
1.1.2 Die Idee einer Gelehrtengesellschaft
1.1.3 Die Autoren der Schrift
1.2 Die Wirkung der ersten Rosenkreuzerschrift
1.2.1 Die Geheimheit der Rosenkreuzer
1.2.2 Die Hinwendung zur Alchemie
1.2.3 Die Gegner der Rosenkreuzer
1.3 Das Rosenkreuzertum in Wechselwirkung mit der Moderne
1.3.1 Die rosenkreuzerische Publizität
1.3.2 Die rosenkreuzerische Geheimheit
1.3.3 Das rosenkreuzerische Gedankengut
1.4 Die Anschauungen der Rosenkreuzer

2 Die Rosenkreuzer des 18. Jahrhunderts
2.1 Die Vorläufer der Gold- und Rosenkreuzer
2.2 Die Gold- und Rosenkreuzer
2.2.1 Die veränderte Mitgliederstruktur von Alchemistengesellschaften
2.2.2 Die Gold- und Rosenkreuzer in Wechselwirkung mit der Moderne
2.2.3 Die Aktivitäten der Gold- und Rosenkreuzer
2.3 Das Gedankengut der Gold- und Rosenkreuzer in Wechselwirkung mit der Moderne
2.3.1 Die Zerfallserscheinungen im Orden der Gold- und Rosenkreuzer
2.3.2 Die Zerfallserscheinungen bei rosenkreuzerischen Geheimlehren
2.3.3 Die Zerfallserscheinungen bei freimaurerischen Hochgradsystemen
2.4 Die Auflösung des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer
2.5 Die Statuten des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer

3 Die Geheimlehren. Ein Glossar

Literatur

Vorbemerkung

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit soll die rosenkreuzerische Literatur des 17. Jahrhunderts in ihrer Wechselwirkung mit der zeitgleichen Veränderung gesellschaftlicher Funktionen und als deren Ausdruck untersucht werden. Der zweite Teil wird unter dem selben Aspekt eine Betrachtung der rosenkreuzerischen Geheimgesellschaft des 18. Jahrhunderts versuchen.

Hierzu wird es zur Vereinfachung vereinzelt nötig, relevante gesellschaftliche Funktionen in dem reichlich unzulänglichen Begriff „Moderne“ zusammenzufassen. Als Projekt der Moderne wird Folgendes definiert:

- die Entstehung und Ausbildung einer Publizität und Öffentlichkeit, die nicht mehr ausschließlich vom Öffentlichkeit repräsentierenden Publikum getragen ist
- die Entstehung und Fortentwicklung getrennter Sphären des Öffentlichen und Privaten, damit auch des Geheimen
- die fortschreitende Ausbildung von Gruppenidentitäten und Gruppen, deren Interaktion nicht mehr ausschließlich eine zwischenmenschliche ist
- das Aufkommen und die Fortentwicklung des Versuchs, solche Gruppenidentitäten und Gruppen gemäß einer normativen Weltanschauung meist unter Zuhilfenahme von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu schaffen und planmäßig zu formen
- die Entstehung und Fortentwicklung getrennter Sphären des im weitesten Sinne religiösen - und des im weitesten Sinne wissenschaftlichen Versuchs eines Erkenntniserwerbs; in der Folge auch die schärfer werdende Trennung einzelner Bereiche der Wissenschaft

Bei obiger Zielsetzung der Arbeit kann darauf verzichtet werden, die Protagonisten der Geschichte der Rosenkreuzergesellschaft lückenlos vorzustellen. Es wird lediglich das Geburts- und Todesjahr ihrer wichtigsten Wortführer genannt. Selbst prominente Personen, die angeblich in Kontakt zu den Rosenkreuzern standen, werden nicht erwähnt, wenn ihr Einfluß auf die Entwicklung der Rosenkreuzergesellschaft nicht nachweisbar ist. Ebenso ist die Rolle von deren Mitgliedern bei politischen Entwicklungen entweder nicht eindeutig nachweisbar oder sie ist vom persönlichen Interesse, aber in keiner Weise vom Gedankengut des Ordens beeinflußt. Auch dieser interessante Aspekt, den eine Arbeit allgemein über freimaurerische Hochgradsysteme wohl besser untersuchen könnte, wird daher nicht erörtert.

Um den Leser trotzdem mit den nötigsten der ohnehin spärlich vorhandenen Informationen über den Charakter der Rosenkreuzergesellschaft auszustatten, werden im Anschluß an den ersten Teil die Ideen der rosenkreuzerischen Literatur des 17. Jahrhunderts, im Anschluß an den zweiten Teil der Arbeit die Statuten der rosenkreuzerischen Geheimgesellschaft des 18. Jahrhunderts kurz vorgestellt. Der gesamten Arbeit werden Definitionen der Begriffe für die in beiden Teilen relevanten Geheimlehren angehängt, welche keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, aber die Bedeutung umreißen, mit der diese Begriffe innerhalb dieser Arbeit verwendet werden.

1 Die Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts

„Mitte des 18. Jahrhunderts bildete sich in deutschen Landen ein Mysterienbund, der sich als `Orden der Gold- und Rosenkreuzer` bezeichnete und seinen Ursprung auf einen Orden bezog, der angeblich im 14. Jahrhundert von einem Christian Rosenkreutz gegründet worden war.“[1]

Tatsächlich ist kaum mehr über die Geheimgesellschaft der Rosenkreuzer - besonders über deren Ursprung - bekannt. Die wissenschaftliche Literatur über Rosenkreuzer stützt ihre Thesen im Wesentlichen auf Schriften, die von vermeintlichen Mitgliedern und Verteidigern verfaßt wurden, und auf Dokumente, welche auf Gegner und abtrünnige Mitglieder zurückgehen. Das Bild von den historischen Tatsachen, das aufgrund solch subjektiv gesättigter Quellen entsteht, muß also äußerst ungenau bleiben. Oft können Pseudonyme und Ordensnamen der damaligen Autoren nicht sicher zugeordnet werden, ihre Intentionen sind oft nicht eindeutig, die Funktionsträger einer eventuellen Ordensorganisation dieser Geheimgesellschaft bleiben unbekannt und außerdem ist es offenbar unmöglich, gesicherte Informationen darüber zu erhalten, inwieweit Schriften authentisch sind und Äußerungen von der Geheimgesellschaft autorisiert waren. Ebenso ungewiß ist die Intention und der Grad an Kompetenz bei Autoren von sogenannten Verräterschriften, die sich gegen die Geheimgesellschaft wenden. Phantasie, Propaganda und Realität sind in den Quellen über die Rosenkreuzer inzwischen unentwirrbar vermischt; eine Tradition, die sich bis heute in der esoterischen Literatur und den Werken der sogenannten Freimaurerhistoriker, die selbst Freimaurer sind, fortzusetzen scheint. Trotz all dieser Schwierigkeiten soll versucht werden, die rosenkreuzerische Literaturgeschichte kurz zusammenzufassen, um diese interpretieren zu können.

1.1 Die erste Rosenkreuzerschrift

1.1.1 Der Inhalt der Schrift

Nach Frick wurde 1614 in Kassel anonym die erste Rosenkreuzerschrift verlegt. Das Buch von 147 Seiten richtete sich an alle Gelehrten Europas.

Im ersten Teil wurde eine Satire di Parnassos übersetzt, in der er eine Reform forderte. Ziel der Generalreformation der Welt war für die Rosenkreuzer die harmonische Verschmelzung der christlichen Reformation und der modernen Naturwissenschaft. Im Anhang dieses ersten Teils wurde gegen die Machenschaften des 1540 gegründeten Jesuitenordens, als größten Widersacher der Reformation, argumentiert.[2]

Das Kernstück des Buches bildete aber die Legende um einen Vater Rosenkreutz. Diese schien als Traditionsnachweis und Ermächtigungsurkunde für das plötzliche Auftreten der Rosenkreuzerbruderschaft für allgemeine Reformtätigkeit zu fungieren. Nach diesem Mythos sei ein Vater Rosenkreutz während einer Reise ins „Heilige Land“, nach Arabien und Ägypten mit den Naturweisheiten des Orients bekannt geworden. Er habe Einblick in das große Buch der Natur, das liber mundi, erhalten und so den tieferen Sinn der Mikro- und Makrokosmoslehre erkannt. Diese Lehre von den Entsprechungen wurde später durch die Tradition der alchemistischen Literatur als die „Tabula Smaragdina“ des Hermes Trismegistos bekannt. Rosenkreutz sei zur Erkenntnis gelangt, daß die christliche Lehre zwar mit der Welterkenntnis harmoniert, aber zum Beispiel durch Dogmen verborgen liege. Als seine Reformbemühungen im Abendland scheiterten, habe er nach dem Vorbild arabischer und afrikanischer Gelehrter eine Gelehrtenrepublik in Europa gegründet. Deren Forschungsergebnisse sollten der Fürstenerziehung und der allgemeinen Politik nutzbar gemacht werden. Man betrieb laut Mythos „neue“ Naturphilosophie, beschäftigte sich mit magischer Sprache und Schrift sowie mit Medizin. 120 Jahre noch dem Tod von Rosenkreutz trete nun diese Bruderschaft mit der vorliegenden Schrift an die Öffentlichkeit.[3] Die Verfasser „(...) bekennen sich zum lutherischen Glauben, streben keine politischen Veränderungen an, sondern hoffen, daß sich die `einige Wahrheit` von selbst durchsetzen werde.“[4]

1.1.2 Die Idee einer Gelehrtengesellschaft

Das mit dieser ersten Rosenkreuzerschrift verbreitete Gedankengut scheint zunächst wenig aufklärerisch (der Begriff „Aufklärung wird hier im denkbar weitesten Sinne benutzt). Mit der Wende zum 17. Jahrhundert hatte sich die exakte Naturwissenschaft immer weiter von spekulativen Wissenschaften, wie der Alchemie und der Astrologie zu trennen begonnen. Unterdessen erschienen besonders in Deutschland literarische Erzeugnisse, die mit Hilfe der alten naturphilosophischen und theosophischen Spekulation christlich-reformatorische Bestrebungen zu stützen suchten. Möglicherweise läßt sich jedoch gerade die Literatur der Rosenkreuzer als Ausdruck damaliger Fortschrittlichkeit und eben nicht als gegen die beginnende Aufklärung rückwärts gewandt auffassen. Zentrale Faktoren für die Entstehung und den Inhalt dieser Schrift scheinen nämlich die neue exakte Naturwissenschaft, die Reformation, der Humanismus sowie das regere geistige Leben unter Gelehrten und an den Universitäten zu sein.

- Die Suche nach dem Stein der Weisen drückte den Versuch aus, Wissenschaft, Philosophie und religiöse Anschauung wieder zu einem Ganzen zu vereinigen, nachdem dieses ganzheitliche Weltbild nach dem Mittelalter in Widersprüche zwischen naturwissenschaftlichem und religiösem Weltbild auseinandergefallen war. Die Gedankenwelt der Rosenkreuzer spiegelt so die geistigen Fragen, Konflikte, Probleme während einer Zeitenwende wieder.
- Nach der Reformation konnte das festgefügte Lehrmodell der mittelalterlichen Scholastik eher in Frage gestellt werden. Freieres Denken, neue Anschauungen wurden möglich und waren in der „aus den Fugen geratenen Welt“ verschiedener Konfessionen und wiederentdeckter Antike gefragt wie nie zuvor.
- Die Neubewertung des menschlichen Individuums durch die Humanisten mag gnostische Ideen begünstigt haben, die in unterschiedlichem Maße eine „Veredelung“ des Menschen schon zu Lebzeiten für möglich hält, während vormals der mit der Erbsünde belastete Mensch erst mit dem Tod aus dem irdischen Jammertal „aufsteigen“ konnte.
- Nach dem Mittelalter erlebte das universitäre Bildungssystem einen allgemeinen Aufschwung, protestantische Fürsten bauten eigene, von der römisch-katholischen Kirche unabhängige Universitäten auf. Unter den protestantischen Gelehrten war dabei das Bedürfnis nach akademischer Vereinigung, in denen zum Beispiel auch die Wissenschaften betrieben werden konnten, welche an den Universitäten keinen Platz hatten, besonders groß, da es im protestantischen Bereich keine Gesellschaft gab, die wie die der katholischen Jesuiten ein Forum für Wissenschaftler bildete.

1.1.3 Die Autoren der Schrift

Tatsächlich deutet einiges darauf hin, daß die erste Rosenkreuzerschrift von protestantischen Akademikern stammte. Nach Frick verbreitete das Buch - wie oben beschrieben - die Utopie einer Gelehrtenrepublik, war dementsprechend vornehmlich, aber nicht ausschließlich an Gelehrte adressiert und richtete sich gegen die Jesuiten. „Die Brüder wollen den Kampf gegen das Papsttum zu Ende führen (...), auch `Nicht-Gelehrte` sollen nicht ausgeschlossen sein.“[5] In den folgenden Jahren erschienen modifizierte Nachdrucke der ersten Fassung, in denen zum Beispiel auch aufgekommenen Mißverständnisse und Diskussionen geklärt wurden.

Es paßt zur bisherigen Interpretation der Rosenkreuzerschrift, wenn all diese Veröffentlichungen gemeinhin einem Kreis um den Tübinger Rechtsgelehrten Prof. Christian Besold (1577-1638) und den protestantischen Theologiestudenten Johann Valentin Andreae (1586-1654) zugeschrieben werden. Laut Schick soll Besold in Tübingen der Mittelpunkt eines Kreises gewesen sein, der sich im Rahmen von pansophischen Studien mit Studion, Sperber, Gutmann, Weigel, Paracelsus befaßt habe. „Ein Niederschlag dieser pansophischen Studien findet sich in der Confession [so wird ein Teilabschnitt der Nachdrucke der ersten Rosenkreuzerschrift bezeichnet].“[6] Besold war Anhänger des Schwärmers und Freigeistes Simeon Studion. Als Mystiker, Alchemist, Chiliast und Antiorthodoxer hatte dieser einer Geheimgesellschaft „Militia Crucifera Evangelica“ angehört und gilt somit als geistiger Vorläufer der Rosenkreuzer. Studion verfaßte eine „Tempelmeßkunst“, womit die Klärung von Geheimnissen der heiligen Schrift und der Natur - symbolisch des inneren und äußeren Tempels - gemeint war. Die allumfassende Offenbarung kündigte er gemeinsam mit dem Weltuntergang für 1620 an, danach werde Christus das 1000jährige Reich errichten. 1612 werde der Papst gekreuzigt.[7]

Da Johann Valentin Andreaes Vater, Pfarrer in Württemberg, ein laborierender Alchemist nach dem Vorbild des Landesherren Herzog Friedrich I von Württemberg gewesen sei, meint Schick, daß Johann Valentin Andreae als inzwischen orthodoxer Protestant in der Autobiographie seine Ketzervergangenheit zwar zu vertuschen suche, bei den Schriften ab 1614 aber federführend gewesen sei. Schick stellt fest, „(...) daß mindestens seit 1609 in Tübingen ein vertrauter Freundeskreis mit geheimem Charakter und pansophischer Ausrichtung bestand, dem Andreae mit Besold und Heß als tragende Mitglieder angehörten, dem aber auch zuzuzählen sind Hölzel, Stoffel und Bidembach.“[8]

Andreae bekannte sich zur Autorenschaft der alchemistischen Schrift „Chymische Hochzeit“, die zu den für die Rosenkreuzer wichtigen Werken gezählt wird. Neben der möglichen Affinität des jungen Andreae zur Alchemie, dem Kontakt Besolds zu einer den Rosenkreuzern geistesverwandten Geheimgesellschaft und sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen läßt wohl noch einer vierter Hinweis die Autorenschaft des sogenannten Tübinger Kreises wahrscheinlich erscheinen: Andreae verfaßte nach der Lektüre Thomas Campanellas „Sonnenstaat“ selbst mit seiner „Christianopolis“ eine literarische Utopie einer Gesellschaftsform von Gelehrten in der Tradition der „Utopia“ von Thomas Morus. Diese Tatsache scheint jedoch in der Forschung bezüglich der Rosenkreuzer bisher keine Beachtung gefunden zu haben.

Das Gedankengut der kleinen Gruppe um Besold und Andreae schien also im Trend des damaligen Geisteslebens zu liegen. Die ganz persönlichen Motive der Autoren für ihre anonymen Veröffentlichungen bleiben aber trotzdem völlig unklar. Schon von Zeitgenossen sind über die Absichten der Verfasser zahlreiche Spekulationen angestellt worden.

- Das Auftreten der Rosenkreuzerschriften sei ein Versuch gewesen, eine Gelehrtengesellschaft im Sinne von Campanella oder Thomas Morus zu verwirklichen.[9]
- Es habe sich um den Versuch gehandelt, Gelehrte „hervorzulocken“, bei denen man „Geheimwissen“ vermutete, das man selbst noch suchte.
- Die tatsächliche Begeisterung der Autoren für die vertretenen Ideen sei eine Art Jugendsünde gewesen.
- Etwas abwegiger ist die Vermutung, die Rosenkreuzerschriften seien ein Jugendstreich gewesen, um die Wundergläubigkeit der Zeit aufs Korn zu nehmen.[10]
- Im 18. Jahrhundert werden sogar wenig sinnvolle Spekulationen über die Rosenkreuzer als Verschwörer jesuitischer oder sonstiger Herkunft geäußert.[11]

1.2 Die Wirkung der ersten Rosenkreuzerschrift

Wenn also die genauen Ziele, die mit der Veröffentlichung verfolgt werden, unklar bleiben, so dürfte doch zumindest die Absicht, eine größtmögliche Öffentlichkeit zu erreichen, in Erfüllung gegangen sein. Die erste Rosenkreuzerschrift und ihre Nachdrucke lösten eine Flut von Werken aus, welche die Idee eines Rosenkreuzertums aufgriffen. Der Begriff „Rosenkreuzer“ schien offenbar für kurze Zeit zur literarischen Heimat, zum Sammelbegriff für viele der verbreiteten Alchemisten, Pansophen und Theosophen geworden zu sein. Nach Frick gab es neben dem Tübinger Kreis zugleich in Holland, Lübeck, Kassel, Danzig, Köln, Marburg, Frankfurt, Gießen, Straßburg, Basel, Prag und Schlesien Zentren von Theosophen und Pansophen. In Frankfurt seien bis 1630 zahlreiche alchemistische, pansohische und rosenkreuzerische Schriften herausgegeben worden. Der Tatsache, daß sich solche Schriften als ausdrücklich rosenkreuzerisch verstanden, liege wohl weniger eine vielfach vermutete tatsächliche existierende Ordensstruktur zugrunde, sondern sei eine Nachahmung der Veröffentlichungen des Tübinger Kreises. Es habe wohl eher eine Anzahl von Zirkeln Gleichgesinnter gegeben, die nur in losem Kontakt standen.[12]

1.2.1 Die Geheimheit der Rosenkreuzer

Geht man nun tatsächlich davon aus, daß es zur Zeit der ersten Rosenkreuzerschrift noch keine Ordensstruktur gegeben hatte, was ja auch - wie oben zusammengefaßt - schon als zeitgenössische Vermutung über die Motive der Autoren geäußert wurde, wirft dies ein neues Licht auf das konspirative Agieren des Tübinger Kreises.

- Nur der Charakter einer Geheimgesellschaft machte es nämlich möglich, darüber hinwegzutäuschen, daß eine tatsächliche Ordensstruktur nicht existierte und die Rosenkreuzergesellschaft eine fiktive war, beziehungsweise nur die Idee einer kleinen Gruppe von Akademikern war.
- Nur der Charakter einer Geheimgesellschaft machte es möglich, die Tatsache zu verschleiern, daß eine legitimierende Tradition, die ein Geheimwissen aller größter Bedeutung weitergab, gar nicht vorhanden war. Außerdem war es nur durch die Geheimheit möglich, den beschränkten Erfolg der eigenen Forschung nach dem Geheimwissen zu verbergen, das unbekannte Obere des Ordens angeblich innehatten.

Neben diesen neuen Möglichkeiten, die sich durch das konspirative Agieren des Tübinger Kreises eröffneten, haben sicherlich vor allem die politischen Rahmenbedingungen, eventuell aber auch gruppenpsychologische Mechanismen den Charakter des fiktiven Geheimordens geprägt.

- Die wenig bescheidene Aufgabenstellung und die hohe Meinung vom Wissen der unbekannten Oberen des Ordens bedingte das Selbstverständnis als Elite, die sich naturgemäß nicht mit den Unwissenden gemein machen will und daher im Geheimen agiert.
- Die politische Situation ließ teils wenig Platz für die „Freidenker“, Ketzer, Magier, Alchemisten.

1.2.2 Die Hinwendung zur Alchemie

Bemerkenswert ist jedenfalls, daß im Rahmen der großen literarischen Resonanz auf die ersten Rosenkreuzerschriften vor allem die Aspekte des rosenkreuzerischen Programms aufgegriffen wurden, die das alchemistische Geheimwissen der unbekannten Oberen und die Tradition alchemistischer und magischer Literatur betrafen, welche die Rosenkreuzer zu besitzen vorgaben, wie zum Beispiel die Werke von Agrippa ab Nettesheim, Paracelsus ab Hohenheim, aber auch die „heilige Magie des Abramelin“ und die „Tabula Smaragdina“ des Hermes Trismegistos. Laut Katsch läßt sich zwar aus dem Geist der ersten Rosenkreuzerschriften erkennen, daß der Geheimbund auf bekannte theosophische Grundlagen aufbaue.[13] Frick meint hierzu: „Die (...) pansophisch-rosenkreuzerische Idee war schon bald besonders durch den Theologen Andreae in eine theosophische Lehre mit der angestrebten Bildung einer `Societas Christiana` umfunktioniert worden“.[14] Diese theosophischen Ideen Andreaes gerieten neben der durch das konspirative Agieren - wie schon beschrieben - erzeugten Eigendynamik der alchemistischen und pansophischen Bemühungen mehr und mehr ins Hintertreffen. Zu den Streitern der inzwischen wichtigeren alchemistisch-pansophischen Richtung unter den Rosenkreuzern hätten dagegen vor allem Ärzte und Paracelisten gehört: darunter der kaiserliche Leibarzt Dr. Michael Maier, der Leibarzt des Landgrafen von Hessen-Butzbach Dr. Daniel Mögling und in England der Arzt und Philosoph Robert Fludd.[15]

[...]


[1] Holtorf, Jürgen / Lock, Karl-Heinz; 1993; S. 71

[2] Vgl. Frick, Karl R. H.; 1973; S. 145

[3] Vgl. Maack, Ferdinand (Hrsg.); Johann Valentin Andreae; 1913; S. 26 -73

[4] Krüger, Gustav; 1932; S. 13

[5] Vgl. Frick, Karl R. H.; 1973; S. 148

[6] Schick, Hans; 1942; S. 105

[7] Vgl. Frick, Karl R. H.; 1973; S. 149

[8] Schick, Hans; 1942; S. 109

[9] Vgl. Frick, Karl R. H.; 1973; S. 159

[10] Vgl. Schuster, Georg; 1997; 1. Bd.; 3. Buch; S. 527 f.

[11] Vgl. Frick, Karl R. H.; 1973; S. 358 f.

[12] Vgl. ebd.; S. 153

[13] Vgl. Katsch, Ferdinand; 1897; S. 322

[14] Frick, Karl R. H.; 1973; S. 153

[15] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die Rosenkreuzer - Ein Versuch über eine Geheimgesellschaft im Wandel der Neuzeit
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Geheimnis und Politik
Note
1
Autor
Jahr
1998
Seiten
36
Katalognummer
V14947
ISBN (eBook)
9783638202169
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rosenkreuzer, Versuch, Geheimgesellschaft, Wandel, Neuzeit, Seminar, Geheimnis, Politik
Arbeit zitieren
Matthias Franke (Autor:in), 1998, Die Rosenkreuzer - Ein Versuch über eine Geheimgesellschaft im Wandel der Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14947

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