Entsorgte Väter erzählen

Eine empirische Untersuchung zu den Auswirkungen des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung von geschiedenen und getrenntlebenden Vätern


Bachelorarbeit, 2010

109 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

1 Bedeutung des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung

2 Theoretische und empirische Grundlagen zum Abbruch der Vater- Kind-Beziehung und deren Auswirkungen
2.1 Theoretische Bestimmungen zum Abbruch der Vater-Kind-Beziehung
2.1.1 Die Vater-Kind-Beziehung
2.1.2 Erklärungen für den Abbruch der Vater-Kind-Beziehung
2.1.2.1 Die Bindungstheorie nach John Bowlby
2.1.2.2 „Parental Alienation Syndrom“ nach Richard Gardner
2.1.3 Gesetzliche Rahmenbedingungen
2.2 Empirische Befunde zu den Auswirkungen des Abbruchs der Vater-Kind Beziehung

3 Konzeption der empirischen Untersuchung zu den Auswirkungen des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung auf Väter
3.1 Motive und Ziele der empirischen Untersuchung
3.2 Grundzüge des verwendeten Verfahrens
3.3 Durchführung der empirischen Untersuchung
3.3.1 Kontaktaufnahme zu den betroffenen Vätern
3.3.2 Durchführung der Interviews
3.3.3 Dokumentation der Interviews
3.3.4 Auswertung der Interviews

4 Bestimmung der Auswirkungen des ungewollten Abbruchs der Vater Kind-Beziehung auf Grundlage des erhobenen Datenmaterials
4.1 Interview mit Herrn F
4.1.1 Einleitung
4.1.2 Interpretation
4.1.2.1 Interpretation Kernpassage I
4.1.2.2 Zusammenfassung Kernpassage I
4.1.2.3 Interpretation Kernpassage II
4.1.2.4 Zusammenfassung Kernpassage II
4.1.3 Analytische Abstraktion
4.2 Interview mit Herrn S
4.2.1 Einleitung
4.2.2 Interpretation
4.2.2.1 Interpretation Kernpassage I
4.2.2.2 Zusammenfassung Kernpassage I
4.2.2.3 Interpretation Kernpassage II
4.2.2.4 Zusammenfassung Kernpassage II
4.2.3 Analytische Abstraktion
4.3 Vergleichende Analyse

5 Möglichkeiten des zukünftigen Umgangs mit der dargestellten

Problematik

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Auswirkungen einer Trennung oder Scheidung auf Väter

Abbildung 2: Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf Männer

Abbildung 3: Auswirkungen des Kontaktverlustes zu den eigenen Kinder auf die Eltern

Abbildung 4: Logo des Vereins Väter helfen Vätern e.V

Abbildung 5: Transkriptionsregeln

Abstract

Entsorgung, entsorgt bedeutet dass etwas beseitig wird, wie Müll oder Problemfälle. Man will Überflüssiges loswerden. „Ent-sorgt“ hat wiederum die Bedeutung, dass die Sorge nicht mehr nötig bzw. überflüssig ist. Der Vater hat keine Sorge mehr zu tragen. Er hat ent-sorgt bzw. wurde entsorgt und wird in dieser Arbeit darüber berichten.

Ein gesellschaftlich bisher kaum wahrgenommenes Phänomen ist, dass die Beziehung von einigen Vätern zu ihren eigenen Kindern infolge von Trennung und Scheidung gänzlich abgebrochen ist und sie nicht mehr an deren Leben teilhaben können oder dürfen. Was für Außenstehende kaum vorstellbar ist, stellt für die betroffenen Vätern ein existenzielles Trauma dar. Die vorliegende Arbeit gibt eine Einführung in die Problematik und beschäftigt sich mit der Untersuchung der bisher wissenschaftlich vernachlässigten Seite des betroffenen Vaters beim Abbruch der Vater-Kind-Beziehung infolge von Trennung und Scheidung. Wie kommt es zum Kontaktabbruch? Welche Auswirkungen hat dieser schwere Schicksalsschlag auf die Väter? Welche Rolle spielen dabei die Politik, Familiengerichte und vor allem die Mütter? Die Ergebnisse dieser qualitativen Studie, in Form von narrativen Interviews, geben einen umfassenden Einblick in die Situation betroffener Väter und wichtige Anregungen für die Praxis. Diese Arbeit richtet sich an alle trennungs- und scheidungsbegleitenden Professionen sowie an die Verantwortlichen in der Politik und Gesellschaft, um dem Leiden der Väter ein Ende zu setzen.

1 Bedeutung des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind Beziehung

„Vater, warum hast du mich verlassen“ (Mathieu Carrière, 2006). So protestierte am Kreuz geschlagen der wohl berühmteste entsorgte Vater in Deutschland am 17.06.2006 vor dem Bundesjustizministerium. Mit ihm demonstrierten ca. 300 weitere Trennungsväter, um auf die Schicksale der Väter und Kinder nach einer Ehescheidung aufmerksam zu machen (vgl. Nawrath 2006). Aufgrund der Tatsache, dass mittlerweile bei rund der Hälfte der Ehescheidungen minderjährige Kinder betroffen sind (vgl. Statistisches Bundesamt 2008), müssen sich Kinder immer öfter für ein Elternteil entscheiden. Nicht nur in der Literatur, sondern auch im Familiengericht, gilt die Mutter immer noch als größere Bezugsperson für die Kinder (vgl. Amendt 2006, S. 24). Das führt dazu, dass die Kinder nach einer Ehescheidung fast immer bei der Mutter leben (vgl. Mühlhausen/ Ständer/Watzlawik 2007, S. 11). Es gehört immer noch zu den Ausnahmen, dass sich die Ehegatten einvernehmlich scheiden lassen. So reichten im Jahr 2008 lediglich 8,6% der Ehepaare gemeinsam die Scheidung ein (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008). Dementsprechend entstehen viele Verletzungen und Feindseligkeiten bei den geschiedenen Eheleuten und es entwickeln sich regelrechte Kämpfe zwischen den beiden Parteien - besonders um die Kinder. Die Zahlen bestätigen das Bild des entsorgten Vaters. Lediglich 17% der Väter haben nach der Scheidung die Möglichkeit des uneingeschränkten Kontaktes zu ihren Kindern. 30% der Väter treffen sich nur selten bis nie mit ihren Kindern und bei 15% ist es zu einem Kontaktabbruch gekommen (vgl. BMFSFJ 2005). Wie das vorangegangene Beispiel von Mathieu Carrière und seinen Mitleidenden zeigt, liegt der Kontaktabbruch nicht generell in der Schuld der Väter. Sie kämpfen mit allen Mitteln gegen die Politik, das Familiengericht und vor allem gegen die Mütter, die Ihnen die Kinder vorenthalten.

Beiträge wie „Väter sind anders“ (Petri 2004), „Väter“ (Le Camus 2001) oder „Väter Band 1 und 2“ (Fthenakis 1985a; b) stellen den Wandel der Vaterschaft aus Sicht der Geschlechterforschung mit der Erkenntnis dar, dass der Vater eine ebenso große Relevanz für die Entwicklung der Kinder spielt. Jedoch besteht die Bedeutung des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung Problematik, dass die Väter ihr Väter-da-sein verstärken wollen, dies aber erschwert wird, durch die fehlende Teilhabe am innerfamiliären Leben aufgrund ihres Berufs. Aus diesen Beiträgen heraus und dem Umstand der vermehrten Scheidungen beschäftigen sich nun wenige Autoren mit der Problematik des Vaters ohne Kinder. Die Mehrzahl der Untersuchungen befasst sich ausschließlich mit dem Wohl der Kinder bzw. mit deren Folgeerscheinungen nach einer Scheidung (vgl. Landolf 1968; Figdor 1991; Walper/Schwarz 1999; Wallerstein 2000; Petri 2006). Eine noch geringere Zahl von Autoren versucht sich diesem Thema empirisch zu nähren. Davis (1998) und Amendt (2006) machen durch eine Reihe von Erfahrungsberichten von Betroffenen auf die Leiden der Väter aufmerksam. Wissenschaftliche Studien zum Thema Abbruch der Vater-Kind- Beziehungen gibt es nach eigenen Recherchen nur wenige (vgl. Napp-Peters 1995; Tazi-Preve et al. 2007; Mühlhausen/Ständer/Watzlawik 2007). Durch quantitative Forschung werden in diesen Studien lediglich äußere Verhaltensmerkmale der Väter nach der Scheidung sowie Zusammenhänge mit dem Kontaktabbruch zu den Kindern betrachtet. Studien über die Auswirkungen des Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung auf den Vater sind eher selten (vgl. Katona 2008). Vermehrt werden in solchen Studien die Auswirkungen der Scheidung und Trennung auf Väter betrachtet, um diese später mit dem Kontakt zu den Kindern in Zusammenhang zubringen (vgl. Pagels 2002; Amendt 2005). Überdies unterscheiden sich diese Studien zur vorliegenden Arbeit durch die Verwendung von quantitativen Fragebögen. Die Relevanz dieser Problematik dürfte außer Frage stehen, da Erkenntnisse zu den Auswirkungen auf die Väter Familiengerichten, Jugendämtern und Psychologen von großem Nutzen sein sollten und volkswirtschaftliche Folgekosten von Scheidungen eingespart werden könnten.

Katona verwies darauf „ […] dass es von großer Wichtigkeit wäre, die Problematik des Kontaktverlusts zum eigenen Kind qualitativ zu untersuchen, da die einzelnen Geschichten so unterschiedlich in ihren teils äußerst dramatischen Entwicklungsverläufen sind“ (ebd. 2008, S. 96). Angesichts dieses Forschungsdefizits werden in der vorliegenden Arbeit die Auswirkungen auf die Väter durch die abgebrochene Beziehung zu den Kindern aufgezeigt. Um diese Frage genauer beantworten zu können, wurden zwei narrative Interviews mit betroffenen Vätern durchgeführt.

Im Folgenden wird lediglich auf die Auswirkungen der Väter, die ungewollt keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, eingegangen. Da anzunehmen ist, dass die Auswirkungen auf Väter in solch einer extremen Situation am deutlichsten dargestellt werden können und Väter mit einem selbst initiierten Kontaktabbruch nicht zu einem Interview bereit wären. Desweiteren werden anhand des Datenmaterials nicht die Auswirkungen auf die Kinder aufgezeigt, auch wenn diese in erhöhten Maßen vorhanden sind und von den Vätern immer wieder im Gespräch dargestellt werden. Es ist unmöglich aus bloßen Gesprächen mit den Vätern, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, Belege für Auswirkungen auf die Kinder zu finden.

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht die Suche nach einem Theoriegerüst zur empirischen Bestimmung der Auswirkungen des Abbruchs der Vater-Kind- Beziehung auf die Väter. Gegenstand von Kapitel 3 ist die Konzeption der dieser Arbeit zugrunde liegenden Studie. Im vierten Kapitel werden anhand von zwei Kernpassagen für jedes Interview Auswirkungen auf die Vätern abgeleitet, um anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu vergleichen. Den Abschluss der Arbeit bildet u.a. die Frage, welche Handlungsbedarfe es gibt und wie diese zukünftig aussehen könnten.

2 Theoretische und empirische Grundlagen zum Abbruch der Vater-Kind-Beziehung und deren Auswirkungen

2.1 Theoretische Bestimmungen zum Abbruch der Vater-Kind Beziehung

In der theoretischen Analyse wird der heutige Standpunkt der gleichwertigen Vater-Kind-Beziehung aufgezeigt. Diese Erkenntnisse zur Entwicklung der Vateridentität und der daraus entstehenden Vater-Kind-Beziehung, liefern für die folgende empirische Untersuchung eine Grundlage für ein Verständnis über das Ausmaß der Auswirkungen, die nach einem Abbruch der Vater-Kind-Beziehung entstehen. Bowlby erkannte schon:

„ […] jede Situation, die die Bindung zu gefährden scheint, [ruft] Aktionen hervor, die den Zweck haben, die Bindung zu erhalten; und je größer die Gefahr eines Verlustes erscheint, um so intensiver und unterschiedlicher sind die Aktionen, die hervorgerufen werden, um diesen Verlust zu verhindern“ (Bowlby 2006, S. 61).

Der Versuch der Wiederherstellung der Beziehung zum Kind hört für gewöhnlich nie auf, da dieser Verlust mit dem Verlust der eigenen Identität einhergeht. Dies liefert auch die Voraussetzung, warum Väter und Mütter handeln und gerade in den folgenden Interviews immer wieder die elterliche Entfremdung auftaucht. Der Verlust des Glaubens an den Rechtsstaat taucht ebenso immer wieder in den Interviews auf. Um dies nachzuvollziehen, wird ein kurzer Einblick in die Rechtsgrundlagen für Scheidungs- und Trennungsväter gegeben.

2.1.1 Die Vater-Kind-Beziehung

Die Begriffe „Neue Väter“ oder auch „aktive Vaterschaft“ haben seit Anfang des 21. Jahrhunderts in der Vaterschaftsforschung eine immer größere Bedeutung des Vaters von heute betont. „Dieser gilt als engagiert, gefühlvoll, partnerschaftlich und kompetent, wobei man nicht nur an alleinerziehende Väter oder Väter in Elternzeit denkt“ (Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller 2007, S. 183). Diese neue Rolle des Vaters nahm nach dem zweiten Weltkrieg zu, als auch die Frauen begannen in das Berufsleben einzutreten. Nun war nicht mehr der Vater allein in der Rolle des Ernährers. Das Argument der Väter, aufgrund von Berufstätigkeit sich nicht allzu stark für die Familie zu engagieren, wurde damit außer Kraft gesetzt und die Haushaltsführung und Kindererziehung wurde von ihnen gefordert. So hat in den 90er Jahren die Beteiligung an der Kindererziehung in der jungen Vätergeneration um 30% gegenüber früheren Generationen zugenommen und sie waren zu 50% mehr verfügbar für die Familie (vgl. Fthenakis 1985a, S. 18-18; Fthenakis 1985b, S. 216-219; Mühlhausen/Ständer/Watzlawik 2007, S. 24-25).

Die Intensität und die Art des väterlichen Verhaltens haben sich über die Jahre verändert. Der frisch gebackene Vater entwickelt in der geistigen Auseinandersetzung seine eigene Vateridentität und sein Selbstkonzept wurde um die Aufgabe „ein guter Vater sein“ erweitert. Dieser neu gewonnene Teil der Persönlichkeit ist unauslöschbar.

In der Väterforschung geht man davon aus, dass der Vater eine Mittlerfunktion zwischen dem Kind und der Außenwelt einnimmt. Das heißt, dass der Vater besonders im Jugendalter der Kinder, aufgrund der zwingend notwendigen Selbstständigkeit für die Lebensbewältigung, mit seinen väterlichen Verhaltensweisen in Aktion tritt (vgl. Kindler 2002, S. 13).

Kinder erleben insgesamt gesehen mit ihren Müttern mehr

Interaktionserfahrungen als mit ihren Vätern. Einzige Ausnahmen sind Erlebnisse wie Tobespiele und Erkundungen außer Haus. Mütter gehen bei gemeinsamen Interaktionen mit dem Kind eher auf die Bedürfnisse der Kinder ein. Väter gestalten solche Interaktionen eher nach ihren eigenen Vorstellungen und Zielen, was wiederum die bereits erwähnte Selbstständigkeit der Kinder in hohen Maßen fördert (vgl. Kindler 2002, S. 43; Martin 1979, S. 41-45). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Qualität der Vater-Kind-Beziehung stärkere Auswirkungen auf das Wohlergehen der Kinder zeigt, als die Häufigkeit der Kontakte (vgl. Tazi-Preve 2007, S. 118).

Diese Annahme weist auch auf die Theorie des Triangulierungsprozesses hin. Die Triangulation ist eine Erweiterung des Ödipuskomplexes nach Freud (1923) und mehrere Autoren benutzen diese zur Erläuterung der Vater-Kind-Beziehung (vgl. Figdor 1991; Fthenakis 1985a; Schon 2000). Petri beschreibt den Triangulationsprozess folgendermaßen (2004, S.16-19): Nachdem das Kind sich in der ödipalen Phase symbiotisch mit der Mutter vereint hat, folgen im Anschluss die Separation und Wiederannäherung. In der Separationsphase löst sich das Kind immer mehr von der Mutter, um die Außenwelt mit Hilfe des Vaters zu erkunden. Der Vater hilft dem Kind dabei Trennungsängste zu überwinden und eine erneute symbiotische Bindung an die Mutter in der Wiederannäherungsphase zu verhindern. Durch die zwei unterschiedlichen Personen verfügt das Kind nun über ein Mutter- und Vaterbild, welche die Entwicklung des Kindes zu einem eigenständigen Individuum ausmachen. Dennoch spielt für die positive Entwicklung des Kindes auch die Beziehung der Eltern untereinander eine Rolle. Die Nichtakzeptanz der gegenüberstehenden Elternrolle, aber auch negative Gefühle gegenüber dem anderen Elternteil, hinterlässt bei dem Kind ein inneres Ungleichgewicht, da es als Ersatzobjekt für die Eltern fungiert.

Für den weiteren Verlauf der Arbeit ist festzuhalten, dass die Mutter allein nicht gut genug ist für die Entwicklung des Kindes. Neben ihr kommt auch dem Vater eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes zu. Dieser Umstand gilt heutzutage als ausreichend empirisch belegt (vgl. Fthenakis/Minsel 2002; Kindler 2002; Werneck 1998). Ferner ist die Vater-Kind-Beziehung einzigartig und ebenso bedeutungsvoll für den Vater, wie für die Mutter.

2.1.2 Erklärungen für den Abbruch der Vater-Kind-Beziehung

2.1.2.1 Die Bindungstheorie nach John Bowlby

Die Bindungstheorie nach Bowlby beschreibt eine tiefe emotionale und kausale Beziehung des Kleinkindes zu den Eltern, die dem Kind eine sichere Basis bietet. Mit solch einer vorhandenen sicheren Basis fällt es dem Kind umso leichter sich Schritt für Schritt von den Bindungspersonen zu entfernen, um Erkundungen zu unternehmen und eine eigene positive Beziehungsfähigkeit zu entwickeln (vgl. Bowlby 2001, S. 167).

Dies könnte unter anderem den Beziehungskonflikt zwischen Mutter und Vater erklären. Wenn nun einer oder gar beide in ihrer eigenen Kindheit keine sichere Basis zu ihren Eltern aufbauen konnten, besteht nach Bowlby die Gefahr der negativen Beziehungsfähigkeit. Geht man davon aus, liegt die Voraussetzung zum Konfliktpotential der Eltern in der eigenen Kindheit. Die dadurch entstandene negative Beziehungsqualität erfährt ein erhöhtes Risiko zur Scheidung und zu Konflikten mit dem Umgang zu den Kindern (vgl. Gloger-Tippelt/Ullmeyer 2001, S. 195-197).

Die Theorie nach Bowlby steht im starken Zusammenhang zu der genannten Theorie der Triangulation. In beiden Theorien wird das Kind durch seine sichere Basis (die Eltern) zur Lösung ermutigt, um nach und nach ein selbständiges Individuum zu werden. Im Bezug auf die Untersuchung ist noch zu sagen, dass diese starke Bindung bis zum ersten Lebensjahr nur zur Mutter besteht und erst danach eine ähnliche Bindung zum Vater entwickelt wird - auch wenn die Präferenz weiterhin eindeutig bei der Mutter bleibt (vgl. Bowlby 2001, S. 64-65).

Nun geht man prinzipiell davon aus, dass die Bindung zwischen dem Kind und dessen Eltern beständig und permanent ist. In der hier dargestellten Problematik ist dies jedoch nicht der Fall. Schon Bowlby hat diese Problematik im Bezug auf die kindliche Bindung erkannt. Zunächst untersuchte er nur den Verlust der Mutter für das Kind (2005) und stellte verheerende Folgen für die kindliche Entwicklung und das Selbstbild der Mutter fest. Aber ist dieser Verlust auch mit der Trennung vom Vater gleich zu setzen?

Obgleich Bowlby (2001, S. 115-118) sich nicht explizit mit der Trennung vom Vater beschäftigt hat, kommt er doch zu dem Ergebnis, dass auch der Vater eine starke Bindungsperson für das Kind ist. Die Trennung von einem Elternteil ist für das Kind immer schmerzhaft, auch wenn es die Gefühle häufig unterdrückt und sich hinter Alltagsaktivitäten und der verbleibenden Bindungsperson versteckt. Hier bestehen Ähnlichkeiten zum entsorgten Vater, auch er leugnet vehement den Verlust und muss sich nun eine neue Bindungsperson suchen, um den tragischen Verlust ansatzweise überwinden zu können. Da hat es das Kind schon einfacher. Es muss sich keine neue Bindungsperson suchen, denn die Mutter verbleibt ja noch. Durch die permanente Angst auch noch die Mutter zu verlieren, besteht eine totale Bindung an die Mutter und das Kind tut bedingungslos alles, um die Mutter bei sich zu halten. Dieser Umstand bereitet den Weg für ein noch relativ unbekanntes Phänomen.

2.1.2.2 „Parental Alienation Syndrom“ nach Richard Gardner

Die Rede ist von dem Begriff „Parental Alienation Syndrome“ (PAS), welches 1985 durch den amerikanischen Psychiater Richard Gardner geprägt wurde. Zu Deutsch meint er damit das „elterliche Entfremdungssyndrom“. Das Syndrom soll der vorliegenden Arbeit als Erklärung dienen für den Abbruch der Vater-Kind- Beziehung durch die Verweigerung des Kindes, aufgrund von Manipulation durch die Mutter. Diese Situation wurde in den beiden Interviews beschrieben und löst Unverständnis bei mir selbst aus. Wie kann ein Kind rigoros den Kontakt zum Vater ablehnen, ohne mit dem Vater tatsächlich passierte negative Erfahrungen gemacht zu haben? Gardner definiert dieses Syndrom wie folgt:

„Das Syndrom der Elternentfremdung (Parental Alienation Syndrome - PAS) ist eine Störung, die vor allem im Zusammenhang mit Sorgerechtstreitigkeiten auftritt. Die Störung äußert sich hauptsächlich in einer Ablehnungshaltung des Kindes gegenüber einem Elternteil, die in keiner Weise gerechtfertigt ist. Diese Haltung entsteht aus dem Zusammenwirken von Indoktrinierung durch einen programmierenden (eine Gehirnwäschebetreibenden) Elternteil und dem eigenen Beitrag des Kindes zur Verunglimpfung des zum Feindbild gewordenen anderen Elternteil“ (2010, S. 27).

Gardner stellt eine Reihe von Symptomen und Typen von PAS sowohl für die Kinder als auch die Eltern auf. Dabei betont er jedoch, dass die Schwere der Entfremdung des Kindes von der Stärke der Bindung zum entfremdeten Elternteil abhängt (vgl. Gardner 2010, S. 27-30).

Wie in der Einleitung erwähnt, sind die meisten Scheidungen nicht einvernehmlich. Die Grundvoraussetzung für PAS ist der Umstand, dass die Eltern in der ohnehin schon schwierigen Trennungs- und Scheidungsphase die Probleme zwischen einander häufig nicht von der elterlichen Verantwortung gegenüber dem Kind trennen können (vgl. Katona 2008, S. 27).

Exkurs: Was passiert nach der Scheidung?

Das Vater-Ideal des Vaters ist nach der Scheidung zu tiefst erschüttert, da er seine zentrale Verantwortung nicht eingelöst hat und durch die Scheidung an seiner Aufgabe als Vater gescheitert ist. Schwere Gefühle der Schuld und Scham entwickeln sich in diesem Zuge bei dem Vater. Diese Schwäche macht den Vater angreifbar und erpressbar. Um dem Kind weitere Leiden zu ersparen, spart der Vater an Erziehungsinterventionen wie Strenge und Härte. Die Kinder leben bei ihm im sprichwörtlichen Schlaraffenland und werden an allen Seiten verwöhnt (vgl. Petri 2004, S. 168-172).

Nicht nur für den Vater, sondern auch für die Mutter ist die Scheidung ein Scheitern des Selbstkonzeptes. Folgt man den Überlegungen von Niesel; Griebel (1996, S. 18- 21; 24-27) und Kaslow (2001, S. 444-473), so lässt sich feststellen, dass die Massen an Gefühlen und Verletzlichkeiten, die nach der Scheidung bei beiden auftreten, sich in verschiedene Stadien und Phasen einteilen lassen. Von der Verzweiflung über Wut bis hin zur Rachesucht; über die Angst auch noch das Kind zu verlieren und vielleicht am Ende hin zur Akzeptanz, gibt es wirklich alles. Diese Gefühle wirken jedoch auch immer mit auf die elterliche Sorge und den Kampf um das Kind ein. Noch mehr Elternkonflikte entstehen und das Wohl des Kindes wird leider allzu häufig außer Acht gelassen.

Der Gang des Kontaktabbruchs durch eine elterliche Entfremdung scheint immer ähnlich abzulaufen (vgl. Dettwiler-Bienz 2003, S. 27; Kodjoe/Koeppel 1998, S.32- 33): Nach der Trennung funktioniert das Umgangsrecht mit dem Vater und den Kindern reibungslos. Vereinbarte Termine werden eingehalten. Doch schon kurze Zeit später werden Besuchstage durch Verschiedenes unterbrochen. Hier nur einige Beispiele: Das Kind wird zu Übernachtungen bei anderen Kindern eingeladen; die Großeltern (mütterlicherseits) wollen einen Ausflug machen; wenn der Vater nicht das macht, was das Kind will, kommt es eben nicht zu ihm; die Mutter ist mit der Erziehungsfähigkeit des Vaters nicht einverstanden. Egal was der Vater auch macht - aus dem Blickwinkel der Mutter ist alles falsch. Bemüht der Vater sich zu sehr, ist es eine Belästigung des Kindes und der Ex-Frau; unterlässt er die Bemühungen, heißt es, er interessiert sich nicht für die Kinder. Der Teufelskreis nimmt seinen Lauf.

Jedoch trägt nicht nur die Mutter allein ihren Betrag zum Aufbau des Eltern- Feinbildes auf Seiten des Kindes bei. Dettwiler-Bienz weist darauf hin (2003, S. 15-16), dass auch der abgelehnte Vater mit seinen Verhaltensweisen gegenüber dem Kind und der Ex-Partnerin einen Beitrag zur Entfremdung leistet. Beispiele für solche Verhaltensweisen kann eine neue Partnerin und das Aufdrängen dieser sein oder die Instrumentalisierung des Kindes im Nachscheidungskampf, also das Ausnutzen des Kindes zu egoistischen Zwecken. Die Entfremdung des Kindes kann bei beiden Elternteilen bewusst, aber auch unbewusst verursacht werden.

Obwohl mögliche Interventionen und Präventionen für die Auswirkungen des PAS von großer Bedeutung sind, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit nicht mit dem Thema, da dies über den Rahmen der Arbeit hinausgehen würde. Wer dennoch interessiert daran ist, wird auf Gardner „Das elterliche Entfremdungssyndrom“ (2010) und Kodjoe/Koeppel „The Parental Alienation Syndrome“ (1998) verwiesen.

Mehrere Autoren haben darauf hingewiesen, dass PAS als Kindeswohlgefährdung einzuordnen und damit in Deutschland justiziabel ist (vgl. Gardner 2010, S. 30; Katona 2008, S. 49-50; Kodjoe/Koeppel 1998, S. 143). Tatsächlich wurde das Syndrom jedoch bisher nur sehr selten in Umgangsverfahren beachtet. Das bringt einen weiteren Punkt näher, den es genauer zu untersuchen gilt, bevor die empirische Untersuchung betrachtet werden kann.

2.1.3 Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die Vater-Kind-Beziehung nach einer Trennung oder Scheidung hängt in nicht geringen Maßen von gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. In einigen Situationen verhindern diese eben auch den Kontakt zu den Kindern. Die folgenden Darstellungen lehnen sich im Wesentlichen an Büte (2001, S. 71-83) an.

Zunächst muss man festhalten, dass das Sorgerecht vom Umgangsrecht abzugrenzen ist. Wenn das Sorgerecht nach einer Ehescheidung an nur einen Elternteil übertragen wird, muss das Umgangsrecht nach gesetzlichen Regelungen für den nichtsorgeberechtigten Elternteil weiterhin gewährleistet werden - egal ob eheliches oder nichteheliches Kind. Dies gilt auch, wenn beide Eltern nach der Ehescheidung das Sorgerecht haben, aber das Kind eben in nur einer ständigen Obhut ist. Mit der Kindschaftsrechtsreform ist der Grundsatz, dass eine Beziehung zu beiden Elternteilen die Basis für eine gesunde körperliche, seelische und intellektuelle Entwicklung des Kindes ist, gesetzlich festgehalten. Dazu ist in den §1626 Abs. 1 BGB die elterliche Sorge folgendermaßen definiert:

„Vater und Mutter haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und für das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge)“.

Sind die Eltern verheiratet, geht das Sorgerecht automatisch an beide Elternteile über. Das bedeutet, dass die Eltern sich gemeinsam einigen müssen, was zum Wohle des Kindes ist (§1627 BGB). Lediglich kleine Alltagsentscheidungen können auch allein getroffen werden (§1687 BGB). Eine Ausnahme für das automatische Sorgerecht für beide Eltern besteht, wenn das Wohl des Kindes nach §1626 Abs. 3 BGB verletzt wird. Dies kann durch die unzureichende Erziehungsfähigkeit eines Elternteils oder durch den Willen des Kindes, bei entsprechendem Entwicklungsstand, der Fall sein.

Sind die Eltern nicht verheiratet, hat die Mutter das alleinige Sorgerecht. Es sei denn, die Mutter erklärt sich bereit mit dem Vater des Kindes gemeinsam eine Sorgerechtserklärung zu unterschreiben. Die Abhängigkeit des Vaters durch die Mutter spielt hier oft eine Rolle. Ganz aktuell hat sich nun am 03.08.2010 ergeben, dass das Bundesverfassungsgericht die bestehende Sorgerechtsregelung für unverheiratete Väter für verfassungswidrig erklärt hat. Ab sofort müssen Familiengerichte das gemeinsame Sorgerecht von Vater und Mutter anordnen, wenn das dem Kindeswohl entspricht (vgl. Bundesverfassungsgericht 2010). Dennoch hängt es letztendlich vom Richter ab, wie der Beschluss des Bundesverfassungsgericht umgesetzt wird. Die gängige Praxis, das alleinige Sorgerecht bei nichtehelichen Kindern weiterhin zunächst der Mutter zuzusprechen, wurde vom BVerfG nicht gerügt.

Die Ausgestaltung des Umgangsrechts liegt nicht in der Hand der Gerichte. Dafür sind allein die Eltern verantwortlich. Lediglich in Fällen, in denen es zu keiner Einigung kommt, trifft das Familiengericht nach §1684 Abs. 3 BGB eine Entscheidung zum Wohle des Kindes. Dies trifft immerhin für 14,8% der Fälle zu, in denen Eltern die gemeinsame Sorge haben, aber für 35,2% in denen nur ein Elternteil das Sorgerecht hat (vgl. Proksch 2002, S. 7). Dafür wird ein sogenannter „Anwalt des Kindes“ gestellt, der das Wohl des Kindes vertreten soll. Mit diesem Anwalt und den Wünschen der Eltern versucht das Gericht eine adäquate Lösung für Dauer und Häufigkeit der Umgangskontakte zu finden. Das Umgangsrecht steht dem Kindeswohl ebenso übergeordnet. Das heißt: bei Missachtung dieses Wohls kann es zu einem begleiteten Umgang oder gar zum Ausschluss des Umgangsrechtes nach §1684 BGB kommen. 40% der Kinder äußern sich gegen Besuche des Vaters. Da in 93% der Fälle dem Kindeswunsch nachgegangen wird, führt dies zum logischen Schluss, dass in 58% der Fälle der Ausschluss des Umgangs durch das Familiengericht fest gesetzt wird (vgl. Fthenakis 1985b, S. 61).

Zu dem neu geregeltem Umgangsrecht gehört neben dem Besuchsrecht auch das Recht auf Brief- und Telefonkontakte. Dies tritt besonders in Fällen ein wenn der Kontakt durch eine deutliche Distanz erschwert wird. Desweiteren gehört dazu das Auskunftsrecht nach §1686 BGB. Dies besagt, dass der betreuende Elternteil dazu verpflichtet ist Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, wie Krankheiten oder schulische Probleme, zu geben (vgl. Büte 2001, S. 119-122).

Sanktionen bei Unterbindungen des Umgangsrechts sind sehr unklar und weitestgehend offen. Das Familiengericht darf keine Familientherapie zur Aufklärung des Sachverhalts verordnen; lediglich psychologische Gespräche mit den Kindern. Theoretisch gesehen könnte dem betreuenden Elternteil aufgrund des Entzugs des Umgangsrechts das Sorgerecht nach §1666, 1696 entzogen werden. Praktisch gesehen wird diese Regelung ausgeschlossen, da das Wohl des Kindes durch den Abbruch der starken Bindung zum betreuenden Elternteil gefährdet wird.

2.2 Empirische Befunde zu den Auswirkungen des Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung

Es gibt zwei verschiedene Intensionen bei Vätern, die einen Abbruch der Vater-Kind-Beziehung erleben. Es gibt Väter, die den Abbruch aus eigenen Stücken hervorrufen und die Gruppe, die in dieser Arbeit ausschließlich betrachtet werden soll - die Väter, die ungewollt den Kontakt zu ihren Kindern verlieren. Der Kontakt zerbricht meistens aus einer konflikthaften Situation heraus. Immer wieder wird dafür das Verhalten der Mutter als Ausgangslage beschrieben. Die Wahrnehmungen der Väter sind häufig ähnlich: Die Mutter verhindert den Kontakt zwischen dem Vater und seinen Kindern aktiv, indem sie die Kontaktaufnahme erschwert (vgl. Tazi-Preve 2007, S. 150).

Aber wie vielen Vätern mag es schon geben mit solch einem Schicksal? Eingangs wurde erwähnt, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005) bekannt gegeben hat, dass der Anteil der Väter, die keinen Kontakt mehr zu Ihren Kindern haben, 15% beträgt. Weitere Studien haben dazu ergeben dass fast 60% der Kinder, die mit der sorgeberechtigten Mutter zusammen leben, ein Jahr nach der Trennung oder Scheidung keinen kontinuierlichen Kontakt mehr zum Vater haben (vgl. Napp-Peters 1995, S. 103). Proksch (vgl. 2002, S. 7) mindert diesen Anteil etwas, er spricht von 40% der Väter, die nach drei Jahren einer Trennung oder Scheidung keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben. Daraus lässt sich schließen: je länger die Trennung oder Scheidung zurückliegt, desto eher erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs der Vater- Kind-Beziehung.

In Amendts Studie (2006) werden 15 Fallgeschichten dargestellt. Aus diesen lassen sich schließen, dass ca. 60% der Väter nach der Scheidung bzw. Trennung einen schlechten Gesundheitszustand hatten. Dies hängt zu großen Teilen auch immer mit dem Kontaktabbruch zu den Kindern zusammen. So äußert sich ein Vater, der den Kampf vor Gericht um seine Kinder aufgibt, um seine Gesundheit zu schützen, mit den Worten: „Wenn ich das weiterhin mitmache, fürchte ich, dass ich abdrehen werde“ (ebd., S. 79). Insgesamt kann man sagen, dass der Abbruch der Vater-Kind-Beziehung in dieser Untersuchung zwei verschiedene Folgen Empirische Befunde zu den Auswirkungen des Abbruch der Vater-Kind- Beziehung hervor ruft. Zum einen entdecken einige Väter sich neu und engagieren sich in Vereinen, der Politik und im Alltag, um ihre Situation und die von anderen betroffenen Vätern zum positiven zu wenden. Zum anderen gibt es die psychisch labilen Väter, die vereinsamen und immer unsicherer in ihren Handlungen werden. Diese stützen sich häufig auf ihre Herkunftsfamilie und verlieren jeglichen Kontakt für alle Zeit zu ihren Kindern.

Amendt hat zusätzlich eine Studie durchgeführt, die die Auswirkungen auf die Väter nach Trennung und Scheidung untersuchen soll (2005). Dazu wurden 2.100 Väter über das Internet befragt. Zwar wurden hauptsächlich die Auswirkungen nach Trennung und Scheidung auf die Männer untersucht, doch wurden diese im Zusammenhang mit dem Kontakt zu den Kindern betrachtet. Es soll nun eine kurze Zusammenfassung der Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf die Väter dargestellt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Auswirkungen einer Trennung oder Scheidung auf Väter

Quelle: eigene Darstellung auf der Basis von Amendt (2005, S. 27-31).

Diese Beschwerden sind allerdings nur von vorübergehender Art, wenn die Väter ein intaktes Umgangsrecht zu ihren Kindern haben. Außerdem wurde festgestellt, dass Väter, die keine gesundheitlichen Probleme benennen, die wenigsten Probleme mit dem Umgang haben. Es lässt sich also daraus schließen, dass die dargestellten Auswirkungen auf die hier zu untersuchenden entsorgten Väter zutreffen und darüber hinaus andauernd anhalten können.

Ebenso hat Pagels (2002) die Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf Männer untersucht und diese später mit dem Abbruch des Kontakts zu den Kindern in Verbindung gesetzt. Dazu hat er zehn persönliche Gespräche mit getrenntlebenden und geschiedenen Vätern durchgeführt, um daraus anschließend einen Fragebogen zu entwickeln. Durch diese quantitative Studie entstand eine Gesamtstichprobe von 104 betroffenen Vätern, die den Fragebogen ausfüllten. Zusammengefasst stellt er fest, dass die Mehrheit der Männer kurze Zeit nach der Trennung oder Scheidung eine seelische Beeinträchtigung quält, die sich mit Depressionen, vermehrtem Alkoholkonsum und einem Ausweichen der Situation äußert (vgl. ebd., S. 367). Folgende Werte konnte er aus der Untersuchung schließen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf Männer

Quelle: eigene Darstellung auf der Basis von Pagels (2002, S. 367-380).

Pagels betont im Gegensatz zu Amendt, dass das Anhalten der gesundheitlichen Beschwerden sehr unterschiedlich sein kann. Dennoch stimmt er zu, dass durch den Abbruch des Kontaktes zu den Kindern die Beschwerden verstärkt werden bzw. langanhaltender sind. So berichten 85% der Väter, dass immer wieder traditionell-familiäre Anlässe, wie Geburtstage und Weihnachten, sie besonders emotional belasten (vgl. Pagels 2002, S. 373).

Katona (2008) hat sich in ihrer Studie zu den Auswirkungen des Kontaktverlusts nicht explizit auf Väter beschränkt, sondern betrachtet dabei Eltern insgesamt. Dabei wird in dieser Studie nicht auf die Dauer der Beschwerden eingegangen. Man erfährt demnach nicht bei wie vielen Eltern die Auswirkungen lediglich kurzfristig sind und bei welchem Anteil sich langanhaltende Beschwerden zeigen. Durch die Kontaktaufnahme mit verschiedenen sozialen Vereinen, die sich mit dem Phänomen „Kontaktverlust zu den Eltern“ beschäftigen, konnten 288 Eltern für die Beantwortung von mehreren Online-Fragebögen gewonnen werden.

Die gravierendsten Auswirkungen sollen an dieser Stelle dargestellt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Auswirkungen des Kontaktverlustes zu den eigenen Kinder auf die Eltern

Quelle: eigene Darstellung auf der Basis von Katona (2008, S. 112-124).

Für den weiteren Verlauf der Arbeit ist festzuhalten, dass sehr wohl Auswirkungen auf den Vater nach dem Abbruch der Vater-Kind-Beziehung zu verzeichnen sind - vor allem im Bereich psychischer Belastungen und körperlicher Beschwerden.

3 Konzeption der empirischen Untersuchung zu den

Auswirkungen des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind- Beziehung auf Väter

3.1 Motive und Ziele der empirischen Untersuchung

Wie aus der Darstellung des Forschungsstandes erkenntlich wurde, sind lediglich die offensichtlichen Auswirkungen, wie körperliche und psychische Beschwerden, nach einem Abbruch der Vater-Kind-Beziehung auf Seiten des Vaters wissenschaftlich erforscht worden. Der Vater selbst sollte nach verschiedenen Antwortkategorien erkennen und bestimmen was auf ihn zutrifft. Aber welche versteckten Auswirkungen, die erst auf den zweiten Blick nach einem intensiven Gespräch bemerkbar sind, treten bei dem Vater auf? Dieser Frage soll in der empirischen Untersuchung dieser Arbeit nachgegangen werden.

Während der Suche nach geeigneten Interview-Partnern, auf die in einem folgenden Kapitel näher eingegangen wird, wurde immer wieder auf die Frage nach den Motiven zur Arbeit gefragt. Aus diesem Grund scheint es erforderlich die Motive zu der empirischen Untersuchung dieser Arbeit beizufügen.

Aufgrund eigener familiärer Erfahrungen zum Thema Vater-Kind-Beziehung bei getrenntlebenden Eltern bestand ein großes Interesse zur Vater-Kind-Beziehung. Bei der Recherche zu diesem Thema sind mir zahlreiche Artikel aus Zeitschriften aufgefallen, die schon in den Überschriften deutlich machten, dass Väter immer mehr ausgeschlossen werden. Einige seien hier genannt:

Der entsorgte Vater (Mattussek 1997 im SPIEGEL)
Verlierer sind die Männer (Spiegelautoren 1997 im SPIEGEL) Warum Väter zählen (Brinck 1995a im FOCUS) Wo ist Vati? (Brinck 1995b im FOCUS)
Mit Mama allein zu Haus (Bettermann 1998 im FOCUS)
Nicht ohne meinen Papa (Brinck 2003 in DIE ZEIT)
Tobt der Machtkampf ums Kind? (Bayer 2010 in Welt der Frau)

Motive und Ziele der empirischen Untersuchung

Trotz dieser wachrüttelnden Artikel wissen nur wenige, meist nur die Betroffenen, von den Problemen der Väter. Es gibt zudem nur wenige wissenschaftliche Publikationen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Aus diesem Grund entstand die Idee zur vorliegenden Arbeit.

Ziel dieser Arbeit ist es Ergebnisse über die Intensität nicht sofort offensichtlicher Auswirkungen eines Kontaktabbruchs zum eigenen Kind auf den Vater zu erhalten. Unter einem ungewollten Kontaktabbruch wird ein, über mehrere Monate bis hin zu Jahren, nicht stattfindender Kontakt zum eigenen Kind verstanden, der gegen den eigenen Willen des Vaters unterbleibt und sich trotz intensiver Bemühungen nicht wieder herstellen lässt. Zu den potentiellen Interviewpartnern zählten biologische Väter ohne Kontakt zu ihren Kindern bzw. zu mindestens einem Kind. Dabei liegen die Ursachen des Kontaktverlustes in der Entfremdung des Kindes durch den ausgrenzenden Elternteil und in der Rechtsprechung durch das Familiengericht. So ist die Aufrechterhaltung der gelebten Vater-Kind- Beziehung nicht mehr möglich. Diese neuen Ergebnisse bzw. Erkenntnisse sollen für alle trennungs- und scheidungsbegleitenden Professionen, sowie für die Verantwortlichen in der Politik und Gesellschaft einen Beitrag zur Verbesserung der Situation der geschiedenen und getrenntlebenden Vätern leisten und Konsequenzen hervorrufen.

Um die nicht offensichtlichen Auswirkungen auf Väter in der späteren Analyse erfassen zu können, sollten durch die intensiven Gespräche folgende Punkte von den Vätern näher erläutert werden:

Die eigene Kindheit und die Eltern
Die Partnerschaftqualität und der Verlauf der Ehe
Der Verlauf der Trennung und die daraus resultierenden Veränderungen Der Verlauf und die Umstände des Kontaktabbruchs zu dem Kind Die Entwicklung der Beziehung zum Kind vor der Trennung bis nach dem Kontaktabbruch
Die Entwicklung der Beziehung zur Mutter
Die Wechselwirkungen zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen und den Auswirkungen des Kontaktabbruch

Weitere Vorgehensweisen um den Kontakt wieder herzustellen Wünsche und Hoffnungen Um diese Punkte so ausführlich wie nur möglich beantwortet zu bekommen stand nur das Verfahren des narrativen Interviews zur Verfügung. Dieses soll nun kurz erläutert werden.

3.2 Grundzüge des verwendeten Verfahrens

Die im Wesentlichen von Fritz Schütze entwickelte qualitative Methode des narrativen Interviews basiert auf den Erzählmustern alltäglicher Kommunikation und zählt demnach zu der Form des offenen Interviews (vgl. Glinka 2009, S. 9).

Der potenzielle Erzähler wird darum gebeten seine eigenen Erlebnisse als Geschichte zu erzählen und die Ereignisabläufe in einer Stehgreiferzählung wiederzugeben. Das Problem dabei besteht darin, dass eine relativ hohe Erzählkompetenz bei dem potenziellen Erzähler vorausgesetzt werden muss (vgl. Glinka 2009, S. 9). Diese Problematik tauchte jedoch nicht in der eigenen Untersuchung auf. Durch die Stehgreiferzählung taucht ein weiteres Problem bei der Form des narrativen Interviews auf. Der Interviewpartner kann vor dem Interviewgespräch keine systematische Vorbereitung auf die beabsichtigte Thematik vornehmen. Das heißt, dass der Interviewpartner seine Formulierungen nicht kalkulieren oder gar schriftlich abfassen kann, um sie für die Präsentation einzuüben (vgl. Glinka 2009, S. 9). Diese Tatsache ist in den durchgeführten Interviews immer wieder stark aufgefallen. Die teilweise sehr unstrukturierten Erzählungen haben ihren Ausgang verloren oder hatten keinen chronologischen Ablauf.

Ziel des narrativen Interviews ist es Erfahrungen und Erlebnisse in die Gegenwart zu transportieren um eine Geschichte in Bewegung zu setzen. Die zurückliegenden Ereignisse werden so für den Interviewpartner als auch für den Zuhörer greifbar und laufen quasi als Film vor dem inneren Auge ab. Da es eine festgelegte Thematik und eine relativ begrenzte Zeit gibt, nimmt der Erzähler eigenständig Raffungen seiner Darstellungen vor. Durch die daraus entstandene Dynamik des Erzählvorgangs wird der Erzähler noch einmal in die damaligen Handlungs- und Erleidenssituationen versetzt. Auf diese Weise können nicht gleich erkennbare Auswirkungen und vor allem Gefühle auf die Väter durch den Zuhörer wahrgenommen werden (vgl. zu diesem Abschnitt Glinka 2009, S. 8-9).

Bei der Untersuchung handelte es sich um ein narrativ-fokussiertes Interview. Diese sind im Gegensatz zu autobiographisch-narrativen Interviews thematisch eingegrenzt. Der Forscher gibt dem potentiellen Informanten ein bestimmtes Thema vor und setzt damit den sogenannten Erzählstimulus. Damit ist die Rollenverteilung für beide klar - der Informant hat das uneingeschränkte Rederecht und der Forscher wird zum stillen Zuhörer. Damit beginnt auch schon nach einer kurzen Einstiegsphase die Haupterzählung. Nachdem der Erzähler einen deutlich erkennbaren Abschluss seiner Darstellungen bildet, darf der Forscher wieder aktiv werden. Mit dem tangentialen Nachfrageteil versucht der Forscher noch einmal bestimmte Erlebnisse vom Erzähler näher beleuchten zu lassen (vgl. zu diesem Abschnitt Glinka 2009, S. 10-19).

Wie diese Grundzüge des narrativen Interviews in der Untersuchung praktisch umgesetzt wurden, soll nun folgen.

3.3 Durchführung der empirischen Untersuchung

3.3.1 Kontaktaufnahme zu den betroffenen Vätern

Der erste Schritt für die Durchführung der narrativen Interviews war betroffene Väter zu finden, die sich zu diesem Interview bereit erklärten und ihre Geschichte erzählen wollten. Die beste Möglichkeit auf solche Väter zu stoßen, ergab sich durch die Suche nach Väter-Vereinen und Selbsthilfegruppen zum Thema. Es wurden vier verschiedene Vereine über das Internet angeschrieben (Anhang A):

-Väter in Niedersachsen (www.vaeter-in-niedersachsen.de)
-Netzwerk für Väter in Niedersachsen (www.vaeter-netz.de)
-Väteraufbruch für Kinder e.V. (www.vafk.de)
-Väter helfen Vätern e.V. (www.vaeter-helfen-vaetern.de)

Es wurden zwei Rückmeldungen auf das Anschreiben gesendet. Eine Redakteurin der Internetseite Väter in Niedersachsen erklärte, dass die Anfrage an andere Redakteure weiter geleitet wird. Daraufhin kam leider keine weitere Rückmeldung.

Ein Mitglied des Vereins Väter helfen Vätern e.V. (vgl. Abb. 1) lud mich in ein Forum eines Social-Networks1 ein, in welchen sich zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme 723 Mitglieder versammelten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Logo des Vereins Väter helfen Vätern e.V. Quelle: www.vaeter-helfen-vaetern.de2

[...]


1 Business Network www.xing.com

2 Mit freundlicher Genehmigung des Vereinsvorsitzenden Thomas Maas

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Entsorgte Väter erzählen
Untertitel
Eine empirische Untersuchung zu den Auswirkungen des ungewollten Abbruchs der Vater-Kind-Beziehung von geschiedenen und getrenntlebenden Vätern
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)  (Sozial- und Organisationspädagogik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
109
Katalognummer
V169823
ISBN (eBook)
9783640882809
ISBN (Buch)
9783640882748
Dateigröße
1087 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Scheidungsproblematik
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Janine Gänsicke (Autor:in), 2010, Entsorgte Väter erzählen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169823

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