Deutschland in der Mittelbronzezeit

Mit Zeichnungen von Friederike Hilscher-Ehlert


Fachbuch, 2011

302 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Die Mittelbronzezeit in Deutschland Abfolge und Verbreitung der Kulturen und Gruppen

Der Kult der »goldenen Hüte« Die Hügelgräber-Kultur von etwa 1600 bis 1300/1200 v. Chr.

Der Goldbecher von Fritzdorf Die ältere Bronzezeit in Nordrhein-Westfalen von etwa 1500 bis 1200 v. Chr.

Flügelhauben und Totenhäuser Die Lüneburger Gruppe in der älteren Bronzezeit von etwa 1500 bis 1200 v. Chr.

Drei Nackte blickten zur Sonne Die Stader Gruppe in der älteren Bronzezeit von etwa 1500 bis 1200 v. Chr.

Der Schalenstein von Wiershausen Die Südhannoversche Gruppe von etwa 1500 bis 1200 v. Chr.

Pfostenavenuen und »Sonnensteine« Die Oldenburg-emsländische Gruppe von etwa 1500 bis 1200 v. Chr.

Der Sonnenkult der »Urgermanen« Die nordische ältere Bronzezeit von etwa 1500 bis 1200 v. Chr.

Ihre Siedlungen kennt man nicht Die ältere Bronzezeit im westlichen Brandenburg von etwa 1500 bis 1300/1200 v. Chr.

Steinkränze als Sonnensymbole? Die Vorlausitzer Kultur von etwa 1500 bis 1300/1200 v. Chr.

Anmerkungen

Literatur / Seite 253 Bildquellen

Die wissenschaftliche Graphikerin Friederike Hilscher-Ehlert

Der Autor Ernst Probst

Bücher von Ernst Probst

Vorwort

R

und 400 Jahre Urgeschichte von etwa 1600 bis 1300/1200 v. Chr. passieren in dem Taschen buch »Deutschland in der Mittelbronzezeit« in Wort und Bild Revue. Es befasst sich mit den Kulturen und Gruppen, die in dieser Zeitspanne im Gebiet zwischen Nordseeküste und Alpen existierten. Geschildert werden die Anatomie und Krankheiten der damaligen Acker- bauern, Viehzüchter und Bronzegießer, ihre Siedlungen, Kleidung, ihr Schmuck, ihre Keramik, Werkzeuge, Waffen, Haustiere, Jagdtiere, ihr Verkehrswesen, Handel, ihre Kunstwerke und Religion.

Verfasser ist der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst, der sich vor allem durch seine Werke »Deutsch- land in der Urzeit« (1986), »Deutschland in der Steinzeit« (1991) und »Deutschland in der Bronzezeit« (1996) einen Namen gemacht hat. Von 1986 bis 2011 veröffentlichte er mehr als 100 Bücher, Taschenbücher, Broschüren und E-Books.

Das Taschenbuch »Deutschland in der Spätbronzezeit« ist Dr. Rolf Breddin, Professor Dr. Claus Dobiat, Professor Dr. Markus Egg, Dr. Rudolf Feustel, Dr. Gretel Gallay (heute Callesen), Professor Dr. Hans- Eckart Joachim, Professor Dr. Albrecht Jockenhövel, Professor Dr. Horst Keiling, Dr. Joachim Köninger, Professor Dr. Rüdiger Krause, Dr. Friedrich Laux, Dr. Berthold Schmidt, Dr. Peter Schröter, Dr. Klaus Simon und Dr. Otto Mathias Wilbertz gewidmet, die den Autor bei seinem Werk „Deutschland in der Bronzezeit“ un- terstützt haben. Es enthält Lebensbilder der wissen- schaftlichen Graphikerin Friederike Hilscher-Ehlert aus Königswinter.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der dänische Archäologe

Christian Jürgensen Thomsen (1788-1865) hat 1836 die Urgeschichte

nach dem jeweils am meisten verwendetem Rohstoff in drei Perioden eingeteilt:

Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit.

Die Mittelbronzezeit in Deutschland

Abfolge und Verbreitung der Kulturen und Gruppen

I

n der Zeit von etwa 1600 bis 1300/1200 v. Chr., die in Süddeutschland als Mittelbronzezeit bezeichnet

wird, beherrschten sämtliche im Gebiet von Deutsch- land verbreiteten Kulturen den Bronzeguss. Wegen dieses Fortschritts der Metallurgie hat 1935 der schwedische Prähistoriker Nils Åberg (1888-1957) die Mittelbronzezeit als Hochbronzezeit bezeichnet. An- dere Autoren dagegen - vor allem in Norddeutschland - reden von der eigentlichen, reinen oder älteren Bronzezeit.

Der Mittelbronzezeit entsprechen in Süddeutschland vor allem die Stufen Bronzezeit B und C im Sinne der 1902 vorgenommenen Gliederung des damals in Mainz arbeitenden Prähistorikers Paul Reinecke (1872-1958). Demzufolge wird die Stufe Bronzezeit B in zwei Unterstufen eingeteilt (B 1 und B 2). Im Gegensatz zu früher tendiert man heute dahingehend, die Stufe Bronzezeit D (etwa von 1300 bis 1200 v. Chr.) erst der Spätbronzezeit zuzuordnen.

Mit der Mittelbronzezeit ist in Baden-Württemberg, Bayern, im Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Süd thüringen und Sachsen-Anhalt die Hügelgräber-Kultur (s. S. 17) bzw. -Bronzezeit identisch. Sie dauerte in diesen Gebieten von etwa 1600 bis 1300/1200 v. Chr.1 Die Hügelgräber-Kultur war damals von Ostfrankreich bis zum Karpatenbecken in Ungarn verbreitet. Sie wird von den Experten in mehrere lokale Gruppen gegliedert. Nordrhein-Westfalen gehörte nur bedingt zur Hügel- gräber-Kultur. Dort werden die Funde zwischen 1500 und 1200 v. Chr. - norddeutscher Terminologie folgend allgemein der älteren Bronzezeit (s. S. 79) zugerechnet. Damit findet die auf dem Kulturgefälle in der Frühbronzezeit zwischen dem Süden und dem Norden basierende Phasenverschiebung von Bronzezeitstufen terminologisch ihre Fortsetzung.

In Niedersachsen bezeichnet man den Abschnitt von etwa 1500 bis 1200 v. Chr. als ältere Bronzezeit. Diese umfasst die Stufe II in der Chronologie des schwedi- schen Prähistorikers Oscar Montelius (1843-1921) für die nordische Bronzezeit. Damals gab es in Nieder- sachsen mehrere lokale Gruppen: die zur Hügelgräber- Kultur gehörende Lüneburger Gruppe (s. S. 99), die zum Nordischen Kreis zählende Stader Gruppe (s. S. 123), die Südhannoversche Gruppe (s. S. 143) und die Oldenburg-emsländische Gruppe (s. S. 149).

In Schleswig-Holstein und im Küstengebiet von Mecklenburg-Vorpommern begann um 1500 v. Chr. die nordische ältere Bronzezeit (s. S. 165). Diese Kultur endete um 1200 v. Chr. Sie entspricht der Stufe II nach Montelius.

Die Funde von etwa 1500 bis 1300/1200 v. Chr. im westlichen Teil Brandenburgs werden der älteren Bronzezeit (s. S. 203) zugeordnet.

In Sachsen und Ostbrandenburg war ab ungefähr 1500 bis 1300/1200 v. Chr. die Vorlausitzer Kultur (s. S. 213) heimisch. Sie ging der spätbronzezeitlichen Lausitzer Kultur voraus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

PAUL REINECKE,

geboren am 25. September 1872 in Berlin-Charlottenburg,

gestorben am 12. Mai 1958 in Herrsching. Er wirkte 1897 bis 1908

am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. 1908 bis 1937

war er Hauptkonservator

am Bayerischen Landesamt

für Denkmalpflege in München. 1917 wurde er kgl. Professor. Reinecke teilte 1902 die Bronzezeit in die Stufen A bis D ein.

1902 sprach er von der Straubinger Kultur sowie von der Grabhügelbronzezeit und später von der Hügelgräber-Bronzezeit.

Der Kult der » goldenen Hüte «

Die Hügelgräber-Kultur

E

twa um 1600 v. Chr. änderten sich in weiten Teilen Europas die Bestattungssitten radikal: Statt die To ten wie in der Frühbronzezeit in Flachgräbern beizu- setzen, schüttete man nun häufig über den Gräbern ein bis zwei Meter hohe Hügel auf und setzte dann nicht selten noch weitere Verstorbene darin bei. Auf diesem neuen Brauch beruht der Begriff »Hügelgräber-Kultur«, den 1902 der damals am Römisch-Germanischen Zen- tralmuseum, Mainz, tätige Prähistoriker Paul Reinecke (1872-1958) geprägt hat. Bei der Namenswahl wurde er vermutlich durch die 1887 erschienene Publikation »Die Hügelgräber zwischen Ammer- und Staffelsee« des Münchener Historienmalers und Altertumsforschers Julius Naue (1832-1907) inspiriert.

Nach heutigem Kenntnisstand war die Hügelgräber- Kultur etwa ab 1600 bis 1300/1200 v. Chr. von Ost- frankreich (Elsass) bis nach Ungarn (Karpatenbecken) verbreitet. Sie ist in diesem Raum mit der Mit- telbronzezeit identisch und lässt sich in zahlreiche Lo- kalgruppen gliedern.

Zu den im Gebiet von Deutschland vertretenen Lo- kalgruppen gehören die Württembergische Gruppe1, die Oberbayerische Gruppe2, die Oberpfälzisch-böhmische Kulturen und Gruppen während der Mittelbronzezeit (etwa 1600 bis 1300/1200 v. Chr.) in Süddeutschland und in derälteren Bronzezeit (etwa 1500 bis 1200 v. Chr.) in Norddeutschland

Gruppe3, die Rhein-Main-Gruppe4, die Werra-Fulda- Gruppe5 und die Lüneburger Gruppe (s. S. 99). Die Lokalgruppen unterscheiden sich durch die Keramik sowie bronzene Schmucktracht und Bewaffnung voneinander.

Die Angehörigen der süddeutschen Hügelgräber-Kul- tur stammen von den Menschen der Frühbronzezeit im selben Gebiet ab. Sie sind nicht eingewandert, wie der Marburger Prähistoriker Friedrich Holste (1908- 1942) in einer 1953 posthum erschienenen Publikation meinte. Nach seiner Ansicht spiegelten angeblich die mittelbronzezeitlichen Fundstellen in einigen Gebieten Süddeutschlands eine andere Verbreitung als die frühbronzezeitlichen Fundorte wider. Doch später wurden viele der vermeintlichen Fundlücken durch neue Entdeckungen geschlossen.

Wie groß die damaligen Menschen waren, wird anhand von sieben Bestattungen bei Nersingen6 (Kreis Neu- Ulm) in Bayern ersichtlich, die durch den Münchener Anthropologen Peter Schröter untersucht wurden. Dort erreichten die Männer eine Größe zwischen 1,60 und 1,70 Metern und die Frauen zwischen 1,52 und 1,57 Metern. Ein sechsjähriges Kind brachte es auf eine Kör- perhöhe von etwa einem Meter. Als ungewöhnlich groß für jene Zeit gilt ein Mann von angeblich 1,93 Metern aus Gauingen-Hochberg (Kreis Reutlingen) in Baden- Württemberg. Diese Maßangabe beruht jedoch auf einer Messung des Ausgräbers bei der Grabung und nicht auf einer anthropologischen Körperhöhenschätzung.

Mit Prunk und Pomp vorgenommene Bestattungen deuten auf erhebliche gesellschaftliche Unterschiede in der Bevölkerung hin. Offenbar hat es Häuptlinge oder »Fürsten« gegeben, die großen Reichtum anhäufen konnten. Ein solcher Anführer war wohl der »Fürst« von Hagenau bei Regenstauf7 (Kreis Regensburg) in Bayern. Auch bei der übrigen Bevölkerung gab es merkliche Unterschiede zwischen arm und reich innerhalb einer Sippe sowie zwischen verschiedenen Gegenden.

Frauen wurden mit ihrem gesamten Schmuck beerdigt. Nur ihnen legte man wertvolle Bernstein- und Glasperlen mit ins Grab. Der Weimarer Prähistoriker Rudolf Feustel vertritt die Ansicht, dass die bronzenen Schmuckstücke die Frauen nicht nur schmücken, sondern vor allem den Reichtum ihrer Ehemänner demonstrieren und so deren gesellschaftliche Reputation und Macht erhöhen sollten.

Feustel hat nach Untersuchungen von Hügelgräbern in Thüringen zahlreiche interessante Schlüsse über die damalige Gesellschaft gezogen. Das ausgeglichene Verhältnis der Bestattungen von Männern und Frauen sowie vereinzelte Doppelbestattungen von Mann und Frau beispielsweise deuten nach seiner Auffassung auf Monogamie hin.

In der Gesellschaft hatten anscheinend die Männer das Sagen, vermutet Feustel. Denn anders ließe es sich kaum erklären, warum unter hohem Arbeitsaufwand und sicherlich als Gemeinschaftsunternehmen fast alle Grabhügel für jeweils einen Mann errichtet worden seien. Zudem lagen fast sämtliche Männer im Zentrum und auf dem Grund des Grabhügels, während die Frauen und Kinder meist am Rand bestattet wurden. Fremde Schmuckformen in manchen Frauengräbern beweisen Einheirat von Frauen aus anderen Gegenden. So trug eine Frau, die in Neuenstein-Obergeis (Kreis Hersfeld-Rotenburg) in Hessen bestattet wurde, eine Radnadel und eine Fibel, die für die Lüneburger Gruppe in Niedersachsen typisch ist. Im Grab eines Mädchens von Hünfeld-Molzbach (Kreis Fulda) lagen einige Schmuckstücke aus dem Maingebiet. Nach Erkennt- nissen des Prähistorikers Albrecht Jockenhövel aus Münster/Westfalen dürften Frauen selten weiter als in ihre direkte Nachbargruppe eingeheiratet haben. Mitunter sind ältere Männer nach weiblichem Ritus beigesetzt worden. Der Prähistoriker Alexander Häusler aus Halle/Saale deutete 1966 diese Bestattungen als solche von Homosexuellen und Transvestiten. Die Hügelgräber-Leute sind meistens nicht sehr alt geworden. Unter den 16 Verstorbenen von Wixhausen8 (Kreis Darmstadt-Dieburg) in Hessen wurde kein einziger älter als 60 Jahre und nur einer überschritt das

40. Lebensjahr. Von den neun Erwachsenen in Wixhausen waren zwei Männer und sieben Frauen. Auch die beiden Jugendlichen von dort sind weiblich, der Rest starb bereits im Kindesalter.

Auf ungünstige Lebensbedingungen deuten auch die bei Jüchsen9 (Kreis Schmalkalden-Meiningen) in Thüringen entdeckten Bestattungen hin. Von sieben Männern sind fünf (71 Prozent) schon im Alter von 20 bis 35 Jahren gestorben, ein Mann wurde um die 40 Jahre alt und ein weiterer mindestens 40 bis maximal 60 Jahre.

Untersuchungen der Gebisse aus Nersingen zeigten, dass es um die Zähne häufig schlecht bestellt war. Der Mann in Grab 2 hatte alle Zähne des Oberkiefers sowie die Mahlzähne und den rechten zweiten Vormahlzahn des Unterkiefers verloren. Die wenigen noch vorhandenen Zähne waren stark abgeschliffen, und der linke erste Vorbackenzahn war von Karies befallen. Bei der Frau aus Grab 3 sind die Zähne auf der rechten Seite des Ober- und Unterkiefers stärker abgekaut als links. Ihre oberen ersten Backenzähne sind von Karies geschädigt, und an etlichen Zähnen im Ober- und Unterkiefer haften Zahnsteinreste. Beim Mann aus Grab 6 ist der untere zweite Vormahlzahn ausgefallen, die Schneidezähne sind relativ stark abgeschliffen, und es konnte geringer Zahnsteinbefall festgestellt werden.

Ein mindestens 14-jähriger Jugendlicher von Wilsingen10 (Kreis Reutlingen) in Baden-Württemberg hat nach einer Entzündung im Oberkiefer den rechten ersten Vormahlzahn verloren. Im Unterkiefer war sein linker zweiter Vormahlzahn ungewöhnlich klein und bildete nur einen Lückenfüller zwischen dem ersten Vormahl- zahn und Mahlzahn. Eine Frau aus Wixhausen hatte Überbiss.

Auch an den Skeletten sind mancherlei Krankheiten ablesbar. So litt der erwähnte Mann aus Grab 2 von Nersingen unter degenerativen Gelenk- und Wirbel- schäden. Ein mehr als 40 Jahre alter Mann aus Wilsin- gen hatte in der Hals- und Brustwirbelsäule eine Spondylitis (Wirbelentzündung). Und der ebenfalls erwähnte 40 bis 60 Jahre alte Mann aus Jüchsen muss große Arthroseprobleme gehabt haben.

Sogar Opfer von Gewalttaten sind aus einigen Hügel- gräbern in Bayern und Thüringen bekannt. Es handelt es sich hierbei um Menschen, die durch Pfeilschüsse ums Leben gekommen sind. So steckte einem Toten in der Gegend des unterfränkischen Ortes Stetten11 (Kreis Main-Spessart) die eingeschossene bronzene Pfeilspitze noch in einem seiner Oberarmknochen. Ob dieser Mensch an seiner Verwundung starb, ist unbekannt, weil weitere Skelettreste fehlen. Wahrscheinlich hat er diese Verletzung nicht lange überlebt.

Auf eine Tragödie lassen auch die Funde in der Grab- kammer eines Hügels bei Jüchsen schließen. Dort hatte man drei männliche Tote gleichzeitig bestattet. Obwohl die Grabkammer genügend Platz bot, bettete man zwei der Männer nicht nebeneinander, sondern in entge- gengesetzter Richtung übereinander. Zwischen den Skelettknochen dieser beiden Männer lagen insgesamt acht Pfeilspitzen, die ihnen wahrscheinlich den Tod gebracht haben. In einigem Abstand war in extremer Hockstellung - möglicherweise gefesselt - ein dritter Mann niedergelegt worden.

Nach Ansicht des erwähnten Prähistorikers Rudolf Feustel kann man darüber spekulieren, ob alle drei Männer hingerichtet worden waren, oder ob der drit- te, gefesselte Mann die beiden anderen erschossen hatte. War letzterer vielleicht wegen der Bluttat zum Tode verurteilt und aus Vergeltung lebend zu seinen Opfern ins Grab gelegt worden? Zumindest sollte seine Wiederkehr aus dem Jenseits verhindert wer- den.

Als weiteres Zeugnis dafür, dass Pfeil und Bogen nicht nur als Jagdwaffen, sondern auch bei Konflikten eingesetzt wurden, gilt eine Bestattung aus Klings/ Rhön12 (Wartburgkreis) in Thüringen. In diesem Fall steckte eine Pfeilspitze in einem menschlichen Rü- ckenwirbel. Eine Schussverletzung in Saalfeld13 (Kreis Saalfeld-Rudolstadt) in Thüringen war offenbar nicht tödlich, weil die Pfeilspitze von Knochenwucherungen umgeben ist.

Ein anderer seltener Fund beweist, dass es auch im Verbreitungsgebiet der Hügelgräber-Kultur Medizin- männer gab, die Schädeloperationen (Trepanationen) vornahmen. Der entsprechende Nachweis - ein Schä- del mit rundlicher Öffnung - gelang in einem der Hü- gelgräber von Lochham14 (Kreis München). Die Bronzeobjekte aus den Hügelgräbern von Lochham wurden 1938 durch den Prähistoriker Friedrich Holste als älteste Funde der Hügelgräber-Kultur bezeichnet und dem so genannten Lochham-Horizont zugerech- net.

Die Haltung von Schafen und Funde von tönernen Spinnwirteln zum Spinnen von Wolle deuten darauf hin, dass die damalige Kleidung aus Schafwolle angefertigt wurde. Spinnwirtel kennt man aus Gräbern von Holzalfingen bei Lichtenstein und Hundersingen bei Münsingen (beide Kreis Reutlingen) in BadenWürttemberg. Die Kleidung war vielleicht teilweise mit ähnlichen Mustern verziert, wie sie auf der Oberfläche mancher Tongefäße zu sehen sind.

Das Gewand der Männer wurde durch eine bronzene Nadel zusammengehalten. Die Prähistoriker unter- scheiden zwischen Kolbenkopf-, Lochhals- und Trompetenkopfnadeln. Bei diesen Nadeln gab es einen Trend zu bombastischen Formen, der in Häuptlings- beziehungsweise »Fürstengräbern« besonders drastisch zum Ausdruck kommt. Zur Garderobe der Männer gehörte ein Gürtel aus Wolle oder Leder, der manchmal mit einem bronzenen Gürtelhaken oder -blech versehen war.

Als Gürtelhaken bezeichnet man jenen Teil des Gür- tels, der beim Verschließen zum Einhängen in ein anderes Teil diente. Er besteht aus einem Haken oder Dorn und einer Vorrichtung zur Befestigung am Gürtel. Beliebt waren Gürtelhaken aus Bronzedraht mit Spiralscheiben an beiden Enden. Man fand kleine Exemplare von nur zwei Zentimeter Länge, wie in Wilsingen (Kreis Reutlingen), aber auch große von 24 Zentimeter Länge, wie in Mehrstetten (Kreis Reutlin- gen). Von den Gürtelhaken unterscheiden sich die nach

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zwei Frauen mit langärmeligen Blusen, knöchellangen Röcken, Schulter- und Kopftüchern aus Schwarza (Kreis Schmalkalden Meiningen) in Thüringen - eine Rekonstruktion des Weimarer Prähistorikers Rudolf Feustel von 1958

dem gleichen Prinzip angefertigten Gürtelbleche, die ebenfalls Teil eines Gürtels aus organischem Material waren.

Im Gegensatz zum Gewand der Männer wurde das Kleid der Frauen an beiden Schultern durch je eine bronzene Radnadel zusammengehalten, oder man hatte damit den Schulterumhang festgesteckt. Im östlichen Teil Süddeutschlands trugen die Frauen ein lang herabfallendes, schürzenartiges Kleidungsstück, das mit kleinen Bronzehütchen besetzt und verziert war. Die Füße blieben entweder nackt oder steckten in offenen Sandalen. Manche Zehen wurden mit bronzenen Ringen verschönert.

Bei den Frauen in Südthüringen waren schleierartige Kopf- und Schultertücher aus feinen Wollfäden, är- mellose oder langärmelige Blusen sowie knöchellange Röcke aus dichtem, gewalktem Wolltuch in Mode. Wie ein Fund aus der Gegend bei Schwarza (Kreis Schmalkalden-Meiningen) in Thüringen zeigt, gehör- ten zur weiblichen Ausstattung auch kleine Beutel aus Schafleder.

Dass die Frauen der Werra-Fulda-Gruppe in Südthü- ringen und in Osthessen sich in lange Röcke hüllten, schloss der Prähistoriker Rudolf Feustel aus der Tat- sache, dass in diesen Gebieten kaum Knöchelbänder oder sonstiger Beinschmuck gefunden wurde. Dagegen haben die Frauen der Rhein-Main-Gruppe ihre Beine häufig mit Bronzeschmuck versehen und deswegen wohl kurze Röcke bevorzugt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Rekonstruktionen von Frauentrachten aus der Zeit der Hügel gräber-Kultur nach Funden aus Wiesbaden (Südfriedhof) und Großenlüder-Unterbimbach (Kreis Fulda) in Hessen

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Rekonstruktionen von Frauentrachten aus der Zeit der Hügel gräber-Kultur nach Funden aus Hünfeld-Molzbach (Kreis Fulda) und Darmstadt-Wixhausen in Hessen

Manche Frauen in Süddeutschland besaßen wertvolle bronzene Gürtel aus einem Blechband mit einem Ha- ken am einen und einer Einhängevorrichtung (meistens einfache Löcher) am anderen Ende. Besonders dekorative Blechgürtel kamen in Großen-Linden (Kreis Gießen) und Hünfeld-Molzbach (Kreis Fulda) in Hessen zum Vorschein. An dem 80,6 Zentimeter langen Blechgürtel von Großen-Linden hafteten sogar noch Lederreste. Er ist an einem Ende mit eingepunzten Buckeln verziert.

Das fragmentarisch erhaltene, 49,3 Zentimeter lange Gürtelblech aus dem Mädchengrab von Hünfeld- Molzbach (Flur Bomberg) ist an einem Ende zur Vor- derseite hin spiralförmig eingerollt. Sechs kleine Durchbohrungen am anderen Ende könnten von einer Reparatur stammen. Dieses Gürtelblech trägt auf der Schauseite ein Dekor aus getriebenen Perlbuckeln. Die beiden Längsseiten werden von doppelten Perlreihen gesäumt. Das große unverzierte Mittelfeld wird auf beiden Enden von je einer senkrechten Reihe größerer Schrägkreuze zwischen dreifachen Perlreihen begrenzt. Ab der Hügelgräber-Kultur stutzten sich die Männer in Mitteleuropa mit bronzenen Rasiermessern die Kopf- und Barthaare und zupften sich mit bronzenen Pinzetten lästige Haare aus. Solche Toilettegegenstände hatte es zuvor schon bei der Mykenischen Kultur in Griechenland gegeben. Sie wurden vermutlich durch Kontakte mit dieser Kultur bekannt und verbreitet. Die Rasiermesser der Mittelbronzezeit sind allesamt zweischneidig und häufig mit einen Ring an einem Ende versehen.

Experimente mit bronzenen Rasiermessern ergaben, dass man sich damit nicht täglich rasieren konnte. Manche Autoren nehmen an, die Rasur sei nur bei festlichen oder kultischen Anlässen vorgenommen worden. Um die Schneiden zu schützen, hat man die Rasiermesser in Schutzhüllen aus Holz, Leder, Stoff oder Bronzeblech aufbewahrt. An einem Rasiermes- ser von Muckenwinkling bei Agendorf (Kreis Strau- bing-Bogen) wurden auf einer Seite Reste von Haaren und auf der anderen Lederreste vom einstigen Futteral festgestellt. Die Klingen der Rasiermesser sind zuweilen durch Dengeln oder Schleifen geschärft worden.

Mit den bronzenen Pinzetten ließen sich Kopf- oder Barthaare entfernen, die dem Rasiermesser widerstanden hatten. Als erster vermutete dies 1916 der damals in Berlin tätige Prähistoriker Max Ebert (1879- 1929). Der bereits erwähnte Münchner Historienmaler Julius Naue dagegen vertrat 1894 die Ansicht, man habe mit den Pinzetten Fäden durchgezogen.

Unterschiedlich gedeutet wurden auch bronzene Pfrieme. Der dänische Prähistoriker Sophus Müller (1846-1934) bezeichnete diese Metallgeräte schon 1897 als Tätowiernadeln. Seine Erklärung findet heute noch die meisten Anhänger. Im Gegensatz dazu stieß die phantasievolle Deutung des Hamburger Prähistorikers Gustav Schwantes (1881-1960), es handle sich um Dornauszieher, in der Fachwelt auf wenig Gegenliebe.

Die Lage der Goldringe im Grab des erwähnten »Für- sten« von Hagenau lässt darauf schließen, dass dieser bedeutende Mann sein Haar zu einem hüftlangen Zopf geflochten hatte. Wenn dies zuträfe und es sich tatsächlich um einen mächtigen Herrscher handelt, wäre der Zopf wohl nicht vom Fürsten selbst, sondern von einem Familienmitglied oder Untergebenen kunstvoll geflochten worden.

Die Siedlungen der Hügelgräber-Leute lagen im Flachland an Quellen, Bächen, Flüssen und Seen, welche die Wasserversorgung sicherten, sowie auf Bergen mit mehr oder minder steilen Hängen. Die auf Bergen errichteten Höhensiedlungen konnten sowohl unbe- festigt als auch stark geschützt sein. Die besonders wehrhaften Höhensiedlungen mit Erdwällen oder Steinmauern gelten als Sitze von Häuptlingen oder »Fürsten«, die deren Macht demonstrierten.

Eine kleine Flachlandsiedlung wurde am Rabenhof bei Freystadt-Thannhausen15 (Kreis Neumarkt) in Bayern entdeckt. Sie setzte sich aus drei in einer Reihe angeordneten kleinen Pfostenbauten von etwa sechs Meter Länge und vier Meter Breite zusammen. Die Behausungen waren entlang einer Umzäunung und in gleichmäßigen Abständen voneinander errichtet. Als tragendes Element der Hauskonstruktion dienten vier Reihen von jeweils drei Pfosten, die man im Abstand von zwei Metern in den Boden eingegraben hatte. Die Außenwände bestanden aus Flechtwerk mit Lehm- bewurf. Abdrücke des Flechtwerks waren häufig in Lehmbrocken zu sehen, die durch einen Brand verziegelt wurden.

Die Behausungen sind offenbar häufig bei Bränden zerstört worden, wie Funde von Hüttenlehm, Mahl- steinen und Tongefäßen mit starken Feuerspuren ver- raten. Derartige Zeugnisse für eine Brandkatastrophe wurden am Fundort Riedwiesen von Frankfurt/Main- Schwanheim16 entdeckt, einer Siedlung, die nach dem Unglück von den Bewohnern aufgegeben worden war. Ob das Feuer durch unachtsamen Umgang entstand oder durch Angreifer gelegt wurde, ist in diesem Fall nicht zu klären.

Hüttenlehm mit Abdrücken von Flechtwerk hat man auch in Bubenheim (Kreis Mainz-Bingen) in Rheinland- Pfalz entdeckt. Der Lehm für die Hauswände und für die Keramik wurde aus Gruben entnommen, die man in Nähe der Baustelle ausgehoben hatte. In den Häusern gab es mit Steinen gepflasterte Herde und teilweise in den Fußboden eingelassene tönerne Vorratsgefäße. Seeufer waren zur Zeit der süddeutschen Hügelgräber- Kultur keine idealen Siedlungsplätze mehr, weil sich das Klima rapide verschlechterte. Seeufersiedlungen aus jenem Abschnitt kennt man in Bodman-Schachen am Bodensee (Kreis Konstanz) und am Federsee bei Bad Buchau (Kreis Biberach) in Baden-Württemberg.

Am Federsee wurde um 1500 v. Chr. erneut ein Dorf errichtet, das noch etwas größer als die frühbronze- zeitliche »Siedlung Forschner«17 war. Doch spätestens um 1450 v. Chr. musste das durch einen Palisadenring befestigte Dorf wegen einer Überschwemmung schon wieder aufgegeben werden.

Den letzten Bewohnern der »Siedlung Forschner« könnte bereits das Bau- und Brennholz knapp ge- worden sein, weil sie den umliegenden Laubwald aus Buchen, Eschen und Eichen unterschiedlichen Alters planlos abholzten. Allein auf der ausgegrabenen Fläche der Siedlung wurden 5035 Pfosten und 2772 Hölzer gefunden. Zur jüngsten Siedlung am Übergang zur Mittelbronzezeit führte von Südosten ein etwa 60 Meter langer hölzerner Bohlenweg. In diesem Dorf stand eine unbekannte Zahl von Blockhäusern.

Nach den Siedlungsresten auf süddeutschen Bergen zu urteilen, existierten zur Zeit der Hügelgräber-Kul- tur zahlreiche Höhensiedlungen. Teilweise wirkten diese aufgrund steiler Felswände in ihrer Umgebung wie natürliche Bergfestungen, in anderen Fällen wur- den zusätzlich mächtige Erdwälle oder Steinmauern errichtet, wodurch regelrechte »Burgen« entstanden. So war es schon vorher in der Frühbronzezeit gewe- sen.

Unbefestigte Höhensiedlungen der Hügelgräber-Kul- tur waren in Bayern auf dem Frauenberg bei Welten- burg18 (Kreis Kelheim), dem Schlossberg von Kall- münz19 (Kreis Schwandorf), dem Schlüpfelberg bei Sulzbürg20 (Kreis Neumarkt) der Gelben Bürg bei Dittenheim21 (Kreis Weißenburg-Gunzenhausen) und dem Hesselberg bei Wassertrüdingen22 (Kreis Ansbach) zu finden.

Zu den mittelbronzezeitlichen »Burgen« in Baden- Württemberg gehören die Heuneburg bei Hunder- singen an der Donau23 (Kreis Sigmaringen) und der Runde Berg bei Urach24 (Kreis Reutlingen). In Bayern sind gut geschützte Höhensiedlungen im »Rauen Forst« bei Bergheim25 (Kreis Augsburg), auf dem Stätteberg bei Unterhausen26 (Kreis Neuburg-Schro- benhausen), der Großen Birg bei Kochel27 (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) und dem Bogenberg bei Bogen28 (Kreis Straubing-Bogen) bekannt.

Eine besonders wehrhafte Anlage in Süddeutschland ist die Heuneburg bei Hundersingen. Der Bergsporn, der während der Hügelgräber-Kultur erstmals besie- delt wurde, fällt auf drei Seiten steil zur Donau ab. Das etwa 275 mal 175 Meter große Plateau wurde an der Kante des Berges mit einer 2,50 bis 3,20 Me- ter breiten Mauer abgesichert. Diese bestand aus einem in Blockbautechnik gezimmerten Kastenwerk mit Erdfüllung. An der Nordspitze setzten die Erbauer der Befestigung zusätzlich einen sechs Meter tiefen und 14 Meter breiten Graben vor die Mauer. Im Südwesten schüttete man auf einer Länge von 110 Metern einen 3,60 Meter hohen, an der Basis bis zu 20 Meter breiten Wall auf, dessen Krone zwei knapp drei Meter breite Kastenmauern bildeten. Im Inneren der Befestigung wurden Reste von Pfo- stenhäusern mit Herden sowie ein sieben Meter breiter und vier Meter tiefer Graben entdeckt, der das Plateau quer durch-zog. Vor wem sich die Bewohner dieser imposanten mittelbronzezeitlichen Burg fürchteten, weiß man nicht.

Von steilen Hängen gesäumt war auch die mit mehreren Wällen umgebene Befestigung auf der Großen Birg bei Kochel in Bayern. Sie thronte auf der in den Kochelsee hineinragenden Felskuppe.

In höhlenreichen Gegenden wurden die natürlichen Refugien vorübergehend von umherziehenden Hirten aufgesucht. Als Unterschlupf dienten unter anderen die Burghöhle bei Dietfurt und die Göpfelsteinhöhle bei Veringenstadt (beide Kreis Sigmaringen), die Höhle Lautereck bei Lautrach und die Bärenhöhle bei Erp- fingen (Alb-Donau-Kreis), eine mittlerweile zerstörte Höhle bei Gächingen (Kreis Reutlingen) und die Kühlstellenhöhle bei Winterlingen (Zollernalbkreis). Lange galten die Hügelgräber-Leute als Bauern, die sich vorwiegend als Viehzüchter betätigten. Der Prähistoriker Friedrich Holste meinte, die Funde der Hügelgräber- Kultur hätten sich auf Gebiete konzentriert, die sich wenig für Ackerbau eigneten. Doch dieser Irrtum wurde allmählich aufgrund neuer Entdeckungen und Beo- bachtungen korrigiert. Außerdem hatte es geheißen, die Hügelgräber seien häufig aus Plaggen von Heideflächen errichtet worden, die nur bei intensiver Weidewirtschaft entstehen können.

Funde von Getreidekörnern und deren Abdrücke auf Tongefäßen, Pollenanalysen, bronzene Sicheln und Mahlsteine beweisen heute eindeutig auch Ackerbau. So sind Getreidekörner aus Butzbach (Wetteraukreis) in Hessen Indizien für den Anbau von Einkorn (Triti cum monococcum) und Dinkel (Triticum spelta) und der Abdruck eines Getreidekorns der Beweis für die Kultivierung von Zwergweizen (Triticum aestivum ssp. compactum). Auf Getreideanbau in Nähe der Siedlung von Frankfurt/Main (Riedwiesen) deuten Abdrücke von Getreidekörnern auf Tongefäßen, Mahlsteine und die Ergebnisse der Pollenanalyse hin.

Zur Getreideernte wurden Sicheln aus Bronze ver- wendet. Mit den Metallsicheln ließen sich die Ähren schneller und müheloser als mit den zuvor üblichen Steinsicheln abschneiden. Experimente ergaben eine Leistungssteigerung von etwa 40 Prozent. Bronzene Sicheln waren bei den damaligen Ackerbauern sehr begehrt. Allein zu einem Depotfund von Penkhof29 (Kreis Amberg-Sulzbach) in Bayern gehören 159 bronzene Sicheln beziehungsweise deren Fragmente. Tierknochenreste in den Siedlungen von Gauting (Kreis Starnberg), Straßkirchen (Kreis Straubing-Bogen) und Frankfurt am Main-Schwanheim (Riedwiesen) belegen die Haltung von Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen. Die Tierknochen aus Gauting mit Feuerspuren und die von Straßkirchen gelten als Mahlzeitreste. In Straßkirchen hat man sogar Hundefleisch gegessen. Reste von zwei Hunden kamen im Brunnerschacht bei Vorra (Kreis Nürnberger Land) zusammen mit Schaf- und Ziegenknochen zum Vorschein. In Südthüringen züchtete man vor allem Schafe, deren Fell eine vor- zügliche grannenfreie Wolle ergab.

Auch die als Wegzehrung für die Toten gedachten Speisebeigaben in Gräbern lieferten Hinweise auf die Viehzucht. So barg man in Gräbern von Nersingen (Kreis Neu-Ulm) Schaf- oder Ziegen- sowie Rinder- knochen. In Gräbern von Deggendorf-Fischerndorf (Kreis Deggendorf) stieß man auf verbrannte Reste vom Rind, Schwein und Hund. Dass Hunde damals nicht selten waren, verraten durchbohrte Eckzähne als Anhänger von Halsketten in Gräbern von Wilsingen (Baden-Württemberg), Nersingen, Tremmersdorf (Bayern) und Mutterstadt (Rheinland-Pfalz).

In einem Grab von Appenstetten bei Schwimmbach (Kreis Roth) in Bayern lag neben mehreren Rinder- zähnen auch der Oberkieferzahn eines jüngeren Pfer- des. Reste von Pferden aus der Zeit der Hügelgräber- Kultur sind bisher sehr selten entdeckt worden. Der Fischfang wird unter anderem durch Fischreste in der Höhle Lautereck bei Lautrach (Alb-Donau-Kreis) und durch einen durchlochten Fischwirbel am Fundort Schwaigersche Kiesgrube in Straubing dokumentiert. Bei Lautrach hatte vielleicht ein kleiner Fischer- und Jägerposten bestanden. In Gräbern von Pörndorf (Kreis Landshut) und Unterbrunnham bei Tacherting (Kreis Traunstein) fand man jeweils einen bronzenen Angel- haken.

Auf gelegentliche Jagd deuten durchbohrte Bären- und Eberzähne aus Gräbern hin, die als Anhänger für Halsketten bestimmt waren. In einer der Höhlen des Kyffhäusers (Kyffhäuser-Kreis) in Thüringen wurden drei Hasenknochen geborgen, die vielleicht von einem Opferfest stammen, bei dem es Hasenbraten gab. Die Gegend bei Schwarza (Kreis Schmalkalden-Mei- ningen) in Thüringen war damals von Mischwäldern bedeckt, in denen neben Eichen (Quercus) auch Linden (Tilia) und Haselnusssträucher (Corylus) vorherrschten. Außerdem bestimmten Buchen (Fagus), Erlen (Alnus), Birken (Betula), Eschen (Fraxinus), Tannen (Abies) und Kiefern (Pinus) das Landschaftsbild. Dagegen fehlten offenbar die dort heute überwiegenden Fichten (Picea). Zum Backen von fladenartigem Brot diente eine qua- dratische tönerne Herdplatte aus Rückersdorf30 (Kreis Nürnberger Land). Sie hat einen Durchmesser von etwa 60 Zentimetern und ist ein bis drei Zentimeter dick. Die Platte wurde in feuchtem Zustand über einer mit Steinen umstellten rechteckigen Grube angebracht und von Brettern gestützt, bis sich der Ton durch Trocknen oder Feuer verfestigt hatte. Die Bretter haben an der Unterseite der Herdplatte Rillen hinterlassen. Auf der Oberseite sind Stärkereste enthalten, die von Emmer stammen sollen. Als Brennstoff wurde Eichen- und Tannenholz verwendet.

Als Belag auf fladenartigem Brot aß man vielleicht Käse aus Rinder-, Schaf- oder Ziegenmilch. Diese Vermutung basiert darauf, dass in manchen Siedlungen tönerne Scherben von Siebgefäßen gefunden wurden. Die Hügelgräber-Leute haben möglicherweise schon Hanf (Cannabis sativa) oder Schlafmohn (Papaver somni- ferum) in Pfeifen mit tönernem Kopf und hölzernem Saugrohr geraucht. Darauf deutet ein Fund von 1993 aus Bad Abbach-Heidfeld (Kreis Kelheim) in Bayern hin, den der Prähistoriker Michael M. Rind aus Kel- heim als Tonpfeifenkopf betrachtet. Dieser ist fast vier Zentimeter hoch und hat einen Durchmesser von 4,5 Zentimetern. Vom schräg nach unten verlaufenden Saugrohr mit einem Innendurchmesser von zwei Millimetern sind nur noch 1,5 Zentimeter erhalten. Am Fundort des mutmaßlichen Pfeifenkopfes kam auch das eventuelle »Feuerzeug« zum Vorschein, nämlich ein Schlagstein aus Feuerstein mit zahlreichen Benut- zungsspuren. Sollte sich diese Annahme bewahrheiten, wäre es die älteste Pfeife der Welt.

Unter den Keramiken der Hügelgräber-Kultur gab es Schüsseln, Schalen, Teller, Krüge, Tassen, große ei- merartige Gefäße, Siebgefäße und Tonlöffel. Ein Ton- löffel wurde in Nabburg (Kreis Schwandorf) zutage gefördert. Die Prähistoriker unterscheiden zwischen Feinkeramik, mittelfeiner Ware und Grobkeramik (Wirtschaftsware).

Die zur Feinkeramik gehörenden Krüge und Tassen sind dünnwandig, gut geglättet, poliert, mit bandförmigen Henkeln versehen und reich dekoriert. Man hat die Verzierungen meistens vor dem Brennen im Töpferofen eingeritzt, aber auch eingeschnitten (Kerbschnitt) und - deutlich seltener - eingestempelt. Als Ornamente dienten waagrecht umlaufende Bänder mit Rillen, Leiterband, Schrägstichgruppen, Kornstich, Punktstich und Kreisaugen.

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Ende der Leseprobe aus 302 Seiten

Details

Titel
Deutschland in der Mittelbronzezeit
Untertitel
Mit Zeichnungen von Friederike Hilscher-Ehlert
Autor
Jahr
2011
Seiten
302
Katalognummer
V180296
ISBN (eBook)
9783656030218
ISBN (Buch)
9783656030591
Dateigröße
14482 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Bronzezeit, Mittelbronzezeit, Hügeltgräber-Kultur, Hügelgräber-Bronzezeit, Lüneburger Gruppe, Stader Gruppe, nordische Bronzezeit, Vorlausitzer Kultur
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2011, Deutschland in der Mittelbronzezeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180296

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