"KeratinGebilde" - Berufliche Praxis zwischen Kunsttherapie und Pädagogik


Diplomarbeit, 2011

86 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 KeratinGebilde
1.2 Verallgemeinerte Fragestellung und Literaturwahl

2. Kunstpädagogik
2.1 Definition,Bedeutung,Selbstverständnis
2.2 Geschichtliche Entwicklung
2.3 AktuelldiskutierteAnsätzeder Kunstpädagogik
2.3.1 Sellevs. Otto-Kunst gegenBild?
2.3.2 Subjektzentrierte künstlerische Bildung
2.3.3 Biografiearbeit im Kunstunterricht
2.3.4 Ästhetische Erziehung
2.4 Gegenwärtige Praxis der Kunstpädagogik

3. Kunsttherapie
3.1 Einführung, Definition und Eingrenzung
3.2 Zur Entstehung der Pädagogischen Kunsttherapie
3.3 Theorie pädagogisch-kunsttherapeutischer Ansätze
3.3.1 KunsttherapiemitKindern (Bloch-Aupperle)
3.3.2 Identität und ästhetisches Handeln (Richter-Reichenbach)
3.3.3 PädagogischeKunsttherapiein der Sozialen Arbeit (Domma)
3.3.4 Grenzüberschreitungen (Hampe, Wichelhaus)

4. Grauzonen und Zwischenbereiche - Berufliche Praxis zwischen Kunsttherapie und Pädagogik
4.1 KunsttherapieanSchulen
4.2 Außerschulische Angebote zwischen Kunsttherapie und (Sozial-) Pädagogik
4.3 Malateliers zwischen Pädagogik, Lebensbegleitung und Therapie
4.4 „Ich kann halt nicht so gut malen" - Eigene Erfahrungen aus der Arbeit mitKindern undJugendlichen
4.5 Exkurs:AusbildungsinhalteimVergleich
4.6 BerufsrechtlicheAspekte

5. Schlussbetrachtungen

6. KeratinGebilde

Literatur

Organisationen, Institutionen

Abbildungsnachweis

Einleitung

1.1 KeratinGebilde

Das KeratinGebilde ist ein kleiner privater Atelier- und Werkraum, ein helles, aber gemütliches Zimmer mit Tisch und Malwand und einem ordentlichen Fundus an unterschiedlichstem Material und anderen Utensilien (s. Titelbild).

Hier arbeite ich.

Das heißt zum Einen, dass ich in diesem Raum meiner eigenen künstlerischen Arbeit nachgehe, was momentan in erster Linie malen und zeichnen bedeutet. Das KeratinGebilde ist also mein persönliches Atelier.

Zum Anderen ist hier aber auch Atelier, Mal-Ort, Kreativwerkstatt oder „Frei(zeit)raum" für eine handvoll anderer Menschen - vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene - die in irgendeiner Form künstlerisch interessiert sind, die sich ausprobieren, etwas ausprobieren oder dazu lernen, die ihre Freizeit kreativ gestalten wollen.

Sie werden von mir betreut, angeleitet, begleitet, unterstützt, mit Materialien und Anregungen und mit Tee und Keksen versorgt und nutzen den Raum folglich genau wie ich selbst.

Dies macht somit den zweiten Teil meiner Arbeit aus: Das offene Atelier. Hier ereignen sich seit Mitte des vergangenen Jahres Kunstkurse, Ferienprojekte oder „Bastelnachmittage", es wird gemalt und gezeichnet, gefeilt, geformt und gestaltet, gefilzt und zusammengenäht und manches mehr.

Je nach Interesse, Zeit und Ausdauer findet das Ganze regelmäßig einmal pro Woche, in den Ferien oder auch „nur mal so zwischendurch" bzw. zu besonderen Anlässen statt.

Die Kosten für Betreuung und Material tragen die Teilnehmer selbst bzw. deren Erziehungsberechtigte.

Im Großen Ganzen handelt es sich hierbei also momentan um ein kunstorientiertes Freizeit- und Weiterbildungsangebot für Kinder und Erwachsene, das zum Teil zwar als pädagogische Ergänzung zur schulischen (Kreativitäts-) Förderung verstanden wird, im Allgemeinen aber weder einem konkreten Lehrauftrag noch einem pädagogischen oder therapeutischen Konzept im Sinne des Ausgleichs bestimmter Defizite oder gar zum Zwecke der Linderung einer psychischen Erkrankung folgt. Vielmehr richtet sich die Umsetzung und Durchführung eines „Kurses" nach den Wünschen und Bedürfnissen der einzelnen Teilnehmer (ggf. auch der Gruppe) sowie nach deren individuellen Ansprüchen und Fähigkeiten. Dementsprechend unterschiedlich fallen die Anforderungen und Erwartungen aus und dementsprechend differenziert sind auch die Ziele des Einzelnen.

Zudem variiert der tatsächliche Umfang der Atelierarbeit wie oben angedeutet von einmalig drei bis vier Stunden (sog. „Bastelabend") über einmal ein paar Tage in den Ferien bis hin zu regelmäßig zwei Stunden pro Woche (als Kreativkurs bzw. offenes Atelier) und es werden nicht nur Gruppen, sondern auch einzelne Interessenten „bedient". Weitere Details zu meiner Atelierarbeit werde ich später an gegebener Stelle und anhand eines Fallbeispiels näher erläutern.

Für die Zukunft erhoffe ich mir, meine Atelierarbeit insoweit ausbauen zu können, dass es darin auch ein kunst-therapeutisches Angebot gibt. Wie genau dieses dann aber aussehen wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich noch nicht sagen. Zunächst ist es für mich wichtig, überhaupt erst einmal einen Einstieg in den Beruf zu finden.

Doch ich bin davon überzeugt, dass mir die Erfahrungen, die ich seit einigen Monaten in meinem Atelier mache, in jedem Fall nützlich sein werden - obwohl (oder gerade weil) es sich dabei um vorrangig pädagogische Erfahrungen handelt. Ich denke, dass Kunstpädagogik unter bestimmten Gesichtpunkten und in bestimmten Bereichen als Basis der Kunsttherapie betrachtet werden kann und muss.

1.2 Verallgemeinerte Fragestellung und Literaturwahl

Meiner Beobachtung nach trifft man inzwischen viele Kunsttherapeutinnen in nicht-klinischen, pädagogischen oder sozialen Einrichtungen an, zum Beispiel auch in Ganztagsschulen oder Kinderhorten. Oft ist in diesem Zusammenhang die Rede von Pädagogischer Kunsttherapie - eine Bezeichnung, die als Teil der Sonderpädagogik, also als Therapeutischer Kunstunterricht, ursprünglich dem Heilpädagogischen bzw. der rehabilitativen Erziehung geistig und körperlich benachteiligter Menschen zugeordnet war (Richter, 1999, S.9).

Auch im Hinblick auf die Möglichkeiten freiberuflicher Selbstständigkeit stößt man häufig auf Kunsttherapie, die sich eher im pädagogischen als im therapeutischen Kontext bewegt, beispielsweise als Mobile Kunsttherapie (z.B. Schmitt, o.J.) oder in Form kunsttherapeutischer Projekte an Schulen (z.B. Hampe, 2003).

Insbesondere Kunsttherapeutinnen, die freiberuflich ohne Heilbehandlungs­Erlaubnis im Sinne des Heilpraktikergesetzes tätig sind, suchen offensichtlich nach Wegen, Kunsttherapie nicht im Sinne einer alternativen Behandlung von psychischen Störungen, sondern beispielsweise als Ausgleich und Prävention oder zur Entwicklungs- und Kreativitätsförderung anzubieten (z.B. Schmitt, o.J.). Besonders im Fall von Prävention und Förderung stellt sich mir die Frage, inwieweit Kunsttherapie hier überhaupt als Therapie bezeichnet werden kann, ob der Begriff nicht irreführend ist und vor allem, wo man die Grenzen ziehen muss zwischen Pädagogischer Kunsttherapie und Kunstpädagogik oder auch sozialer Arbeit/ Sozialpädagogik mit künstlerischen Mitteln.

Zusammenfassend möchte ich diese Arbeit deshalb dazu nutzen, mich mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen:

- Worin liegen gemeinsame Ursprünge, Inhalte und Zielsetzungen von Kunsttherapie und (Kunst-)Pädagogik,
- in welchen kunsttherapeutischen Praxisbereichen sind pädagogische Kompetenzen verstärkt gefragt und
- was unterscheidet letztlich die Pädagogische Kunsttherapie von (subjektzentrierter) Kunstpädagogik auf der einen und kultureller Sozialarbeit auf der anderen Seite?

Dazu werde ich zunächst die historische Entwicklung, Bedeutung und Selbstverständnis sowie unterschiedliche Ausprägungen und Ansätze von Kunstpädagogik und Pädagogischer Kunsttherapie einander gegenüberstellen, um schließlich Überschneidungen und Differenzen in Theorie und Praxis aufzuzeigen.

Die Ausarbeitung stützt sich dabei zum einen auf grundlegende Fachliteratur aus den Bereichen Kunstpädagogik und ästhetische Erziehung (Peez, Buschkühle, Blohm, Kämpf-Jansen, Bloch-Aupperle, Kathke, Schmeer), zu pädagogisch orientierter Kunsttherapie im Allgemeinen (Menzen, Richter, Richter-Reichenbach) und zu unterschiedlichen theoretischen und praktischen Zugängen zur Pädagogischen Kunsttherapie im Speziellen (Bloch-Aupperle, Richter-Reichenbach, Domma, Wichelhaus, Hampe, Prünster-Soares) sowie auf Erfahrungsberichte, Informationsmaterial und persönliche Mitteilungen von im pädagogischen Rahmen tätigen Kunsttherapeutinnen und von Ausbildungsstätten und Berufsverbänden.

Die Erörterung soll durch ein eigenes Praxisbeispiel vervollständigt und ferner durch Notizen zu berufspolitischen bzw. -rechtlichen Aspekten ergänzt werden.

Im Ergebnis erhoffe ich mir nicht nur hilfreiche Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Kunsttherapie und Pädagogik im aktuellen gesellschaftlichen und berufspolitischen Kontext, sondern vor allem auch etwas mehr Klarheit hinsichtlich meiner eigenen beruflichen Identität.

2. Kunstpädagogik

2.1 Definition, Bedeutung,Selbstverständnis

„Kunstpädagogen und -pädagoginnen vermitteln Grundbegriffe im Bereich Kunst und motivieren Lernende jeder Altersstufe zur aktiven künstlerischen Betätigung" - so lautet die Definition der Bundesagentur für Arbeit für den Berufdes Kunstpädagogen (BERUFENET, 2010, „Kunstpädagogik").

Der BDK e.V. (Bund deutscher Kunstpädagogen) sieht den Auftrag der Kunstpädagogik im weiten Feld der kulturellen Bildung, was hier ästhetische Erziehung im Allgemeinen und die Auseinandersetzung mit Kunst und gestalteter Umwelt im Besonderen bedeutet (BDK e.V., o.J., „Ziele").

Zwei unterschiedliche Aufgabenbereiche der Kunstpädagogik werden hier bereits angedeutet: Zum einen geht es der Kunstpädagogik um die (theoretische) Vermittlung von Kunst und Bild, mit dem Ziel, ein Verständnis für ästhetisch gestaltete Umweltphänomene zu erhalten, was nach Gunter Otto auch als Bildlesekompetenz bezeichnet werden kann und vor allem die Fähigkeit der Deutung bzw. des Auslegens visueller Darstellungen beinhaltet (Peez, 2008, S.73). Zum Anderen geht es der Kunstpädagogik um das Erlernen praktisch gestalterischer Fähigkeiten, und zwar nicht nur im Sinne des Erwerbs kunsthandwerklicher Geschicke, sondern auch mit dem Ziel, sinnlich­ästhetische Erfahrungen machen zu können, die eine stärker subjektorientierte Entwicklung fördern (ebd., S.27).

Der BDK e.V. betrachtet die Kunstpädagogik weiterhin als wichtigen Bestandteil der Allgemeinbildung, der nicht nur Schlüsselkompetenzen in Bildender Kunst, Film, Fotografie, Design, Architektur sowie Landschafts- und Stadtplanung etc. vermittelt, sondern v.a. auch kulturelle und soziale Kompetenzen fördert und somit einen bedeutsamen Beitrag zu Persönlichkeitsentwicklung und Integrationsfähigkeit leistet (ebd., o.J., „Ziele").

Im Folgenden möchte ich nun - basierend auf der „Einführung in die Kunstpädagogik" von Georg Peez (2008) - zunächst einen kurzen Abriss der historischen Entwicklung der Kunstpädagogik erstellen, um im Anschluss näher auf unterschiedliche, teils kontroverse, teils aufeinander aufbauende Ansätze der Kunstpädagogik in Deutschland eingehen zu können.

2.2 Geschichtliche Entwicklung der Kunstpädagogik

Die Anfänge der Kunstpädagogik können bereits in den Zeichenstunden des Mittelalters gesehen werden. Außer zum Zwecke der Planung architektonischer Konstruktionen und anderem diente das Zeichnen hier vor allem der Illustration und wurde in dieser Form hauptsächlich von Geistlichen ausgeübt (Peez, 2008, S.32f.).

Im 17. und 18. Jahrhundert kam dann das Malen und Zeichnen auch bei Adeligen immer stärker in Mode, weil es als bedeutsam für die Charakterbildung angesehen wurde. Obwohl auch hier das kunsthandwerkliche Virtuosentum im Vordergrund stand, zeichnete sich eine weitergehende Bedeutung künstlerischen Handelns ab: Die Kunst als schöpferische, also göttliche Tätigkeit diente demnach nicht nur dem reinen Zeitvertreib, sondern wurde Ende des 18. Jahrhunderts insbesondere durch Friedrich Schiller sogar als für die Gesundheit des Menschen notwendiges, weil zwischen Vernunft und Sinnlichkeit ausgleichendes Element proklamiert (ebd., S.35). Schiller sah in der ästhetischen Erziehung deshalb schon zu damaliger Zeit eine Möglichkeit, der zunehmenden Entfremdung des Menschen von seinen Bedürfnissen und der Ambivalenz der Moderne zwischen unbestreitbaren Fortschritten auf der einen und schwerwiegenden Verlusterfahrungen auf der anderen Seite entgegen zu wirken (Peez, 2008, S.35).

Im Verlauf der Industrialisierung geriet dieser Ansatz aber weitestgehend in Vergessenheit. Zwar wurde das Malen und Zeichnen nach wie vor als dem Wohlbefinden zuträglich erachtet und war so gesehen Teil einer allgemeinen Hinwendung zum Gefühl bzw. einer ästhetischen Innenkonzentration, die das Biedermeiertum (einhergehend mit einer Flucht in das bürgerliche Familienleben) auszeichneten und von Peez als Katalysator für die politische Machtlosigkeit bezeichnet werden (ebd.) Zeitgleich jedoch entwickelte sich auf

der Ebene der Volksschulbildung eine Form des Zeichenunterrichtes, die sich als erzieherische Maßnahme offenbar einzig und allein auf das Einstudieren der „vom Produktionswesen verlangten Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Ordnung für die industrielle Arbeit" (ebd., S.39) beschränkte.

Die anschließende Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war geprägt von allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen und somit auch von einem Umbruch im Bereich der Kunst.

Für die sich seit dem Kunsterziehungstag in Dresden 1901 herausgebildete Kunsterzieherbewegung war dabei zunächst vor allem die neue Kunst des Jugendstils interessant: Sie rückte die Individualität des Einzelnen stärker in den Vordergrund und verband diese mit einer eher nach vorne gerichteten, d.h. zukunftsorientierten Geschmacksrichtung (Peez, 2008, S.39).

Zudem sollte das Bildungswesen zu dieser Zeit grundlegend reformiert und die persönliche Entwicklung des Kindes gezielter gefördert werden. An Bedeutung gewann laut Peez auch die „freie Handzeichnung - was heute Kinderzeichnung genannt wird" (ebd.). Entgegen der bisherigen Praxis ging man dann auch hinaus in die Natur, um durch entsprechende Studien die Wahrnehmung der Schüler und Schülerinnen auszubilden. Und auch Kunstbetrachtung war ein wichtiger Bestandteil der Kunsterziehung geworden, beispielsweise durch Museumsbesuche und die Besprechung zeitgenössischer Werke vor Ort (ebd., S.40).

Es folgte die Zeit der Weimarer Republik (1919 - 1933), in der sich unter anderem auch das berühmte Bauhaus als staatliche Kunstakademie gründete (Peez, 2008, S.41), deren fortschrittliche Lehrinhalte und Methoden meines Wissens zum Teil bis heute aktuell sind. Bekannte Künstler und Pädagogen wie Paul Klee, Wassily Kandinsky oder Johannes Itten wurden dort ausgebildet bzw. unterrichteten selbst die nachfolgenden Generationen von Künstlern und Kunsterziehern (Peez, 2008, S.42). Im Besonderen die Konzepte zur Förderung

subjektiv gesteigerter sinnlicher Erfahrungsfähigkeit, die u.a. von Itten entwickelt wurden, sind als prägend für die Kunstpädagogik anzusehen (ebd.). Dabei war es Ziel der ästhetischen Erziehung, die von Grund auf in jedem Menschen vorhandenen schöpferischen Anteile zu mobilisieren und deshalb „junge Menschen bekannt zu machen mit all den Arbeitsmitteln und -methoden sowie den Gesetzmäßigkeiten, deren Betrachtung und Beherrschung für den Erfolg im Bildnerisch-Praktischen unerlässliche Voraussetzung seien" (ebd.). Diese Bildnerischen Mittel seien nach Auffassung der Bauhaus-Meister von jedem erlernbar (ebd., S.43) und wurden von vielen Dozenten anhand von „sorgfältig systematisierten Prinzipien ihrer eigenen Kunst" (ebd., S.44) vermittelt. Während so beispielsweise bei Klee und Kandinsky die Wirkung von Formen und Farben im Vordergrund stand, praktizierte Johannes Itten einen, in heutigen Worten ausgedrückt, ganzheitlichen Ansatz, der u.a. sehr stark experimentelle und vor allem auch körperlich-gestisch angelegte Zeichenübungen einbezog (ebd.).

Diese doch recht offene Haltung in der Kunstpädagogik versank mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland (Peez, 2008, S.45).

Mit scheinbar stärkerer Volksnähe, durch das Wiederaufleben-lassen der Volkskunst und der Proklamierung moderner Strömungen als ,entarteť, versuchten die Nationalsozialisten die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen, was bekanntlich ja auch zu großen Teilen gelang. Die Kunstpädagogik wurde dementsprechend ein Mittel zum Zweck und leistete einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Verbreitung eindringlicher Propagandasymbolik, die in alltagsnahe, volkskunstähnliche und sozusagen leicht verdauliche Darstellungen integriert wurde (ebd., S.45f.).

Die deutsche Kunst konnte sich von diesem Absturz nur langsam erholen. In beiden Teilen Deutschlands war das kulturelle Schaffen und demnach auch die kulturelle Erziehung nach 1945 zunächst stark von traditionellen Mustern geprägt (ebd., S.46). Während jedoch in der 1949 gegründeten DDR vor allem der sogenannte Sozialrealismus als weiterhin ideologisch bestimmte Kunstrichtung überwog und so auch den Kunstunterricht beeinflusste (Peez, 2008, S.50f.), wollte man in Westdeutschland innerhalb der Musischen Erziehung auch Freiräume für einen individuellen, spontanen und emotionalen Ausdruck anbieten, um die ursprüngliche Schöpferkraft des Kindes zu fördern (ebd., S.47). Der Kunstunterricht erfüllte somit zumindest teilweise eine kompensatorische Funktion gegenüber dem sonst sehr strengen Lern- und Leistungssystem (ebd.). Auch die Ansichten und Praktiken des Bauhaus erfuhren bald eine Wiederbelebung, wenn gleich in reduzierter bzw. selektierter Form. Ende der 50er/ Anfang der 60er Jahre wurden vereinzelte Lehren u.a. von Paul Klee und Johannes Itten aufgegriffen und veröffentlicht (ebd., S.48). Insbesondere die Farblehre nach Johannes Itten erhielt nach meiner Kenntnis als grundlegendes Element Einzug in den Kunstunterricht, und zwar in beidenTeilenDeutschlands.

Insgesamt hatte sich laut Peez (2008) trotz aller gegenläufigen Bemühungen in der BRD letztlich der Formale Kunstunterricht durchgesetzt und die „bildnerische Praxis im Kunstunterricht wurde immer stärker zu messbaren und zugleich sinnlich verarmten Schulaufgaben didaktisiert, zu formal­bildnerischen Ordnungstätigkeiten, die oft aus abstrakten Übungsreihen bestanden" (S.49).

Ende der 60er Jahre trat im Zuge der Studentenbewegung allmählich ein erneuter Wandel ein, Kunst wurde von Vielen als sozialer Prozess verstanden und der Kunstunterricht sollte in diesem Bedeutungszusammenhang als Experimentierfeld dienen (ebd., S.56ff.). Weiterhin wurde gefordert, moderne Medien und Phänomene der visuellen Kommunikation verstärkt mit einzubeziehen (sprich Foto, Video, Ton) (ebd., S.59).

Peez (2008) kritisiert, dass sich die daraus entstandene Lehrmethodik insgesamt aber zu wenig an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert. Zwar würden darin gezielt alltagsnahe Inhalte und Medien integriert, tatsächlich aber wird der Umgang mit diesen rasch „als Bevormundung durch Erwachsene erfahren oder ist für die sich nach bildnerischer Praxis Sehnenden nicht attraktiv" (ebd., S.60). Grundlegende künstlerische Techniken zur naturalistischen Darstellung beispielsweise könne man demnach nicht einfach ausklammern (ebd.). Eine Verbesserung in diese Richtung wurde zwar zum Beispiel von Gunter Hartwig Ende der 70er Jahre angeregt, insgesamt wirft Peez jedoch der Visuellen Kommunikation als kunstpädagogischer Linie ebenso wie dem Formalen Kunstunterricht Einseitigkeit vor (ebd., S.61).

Interessanter Weise erfolgte in den anschließenden 1980ern eine verstärkte Hinwendung zur „Subjektivierung im Lebensgefühl und in der Lebensweise vieler gesellschaftlicher Gruppen" (Peez, 2008, S.61), die auch im Bereich der Pädagogik zu neuen Ideen bzw. zu einer Rückbesinnung auf vergleichbare, frühere Erziehungs-Gedanken, wie die der Ästhetischen Erziehung nach Schiller und anderen führte. Der in allen Lebensbereichen verstärkt spürbar gewordenen Rationalisierung stand die Forderung nach mehr Sinnlichkeit kritisierend gegenüber. Als praktische Umsetzung eines entsprechenden sinnespädagogischen Ansatzes, der sich allerdings nicht nur an Kinder, sondern auch an Erwachsene richtete, sind in diesem Zusammenhang vor allem die „Erfahrungsfelder zu Bewegung und Besinnung" (Kükelhaus und zur Lippe, zit. n. Peez, 2008, S.62) bekannt. Doch auch in vielen anderen Erziehungs­Entwürfen stand das Lernen mit allen Sinnen, der konstruktive Austausch miteinander sowie das autodidaktische Lernen und Begreifen im Vordergrund (Peez, 2008, S.62), was übrigens besonders auch für die Entwicklung und das Verständnis der Kunsttherapie relevant ist.

Bis heute scheint es innerhalb der in Deutschland gelehrten und praktizierten Kunstpädagogik keine einheitliche Richtung zu geben.

Je nach Ziel und Selbstverständnis geht es der Kunstpädagogik, so wie eingangs schon angemerkt, zum einen um die Vermittlung fachlicher Kompetenzen und um die rezeptive Auseinandersetzung mit der gestalteten und medialen Umwelt, während andererseits das Augenmerk auf ästhetischen Erfahrungen bzw. dem sinnlichen Erkunden von sich Selbst und dem eigenen Umfeld liegt, weil die reine lehrende Vermittlung im Falle der Kunst nicht gelingen kann (Peez, 2008, S.25).

Aufbauend auf dieser ersten Unterteilung möchte ich nun die unterschiedlichen Ansätze der Kunstpädagogik näher beleuchten.

2.3 Aktuell diskutierte Ansätze der Kunstpädagogik

In einer Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation der Kunstpädagogik differenziert Georg Peez (2005) hauptsächlich zwischen drei Richtungen der Kunstpädagogik, von denen sich die erste vorrangig mit dem Bild, die zweite mit der Kunst und die dritte mit dem Subjekt befasst.

Dem Konzept der ß/'/dorientierung scheint die Einstellung der Kunsrorientierten direkt gegenüber zu stehen, während die Idee der Subyekrorientierung eine gesonderte Rolle einnimmt (ebd.). Offenbar werden die Gedanken der beiden vorangegangenen Strömungen durch die subjektorientierte Kunstpädagogik aufgegriffen und erweitert und ich vermute, dass für die Kunsttherapie die Ideen der subjektorientierten Kunstpädagogik ebenfalls von besonderer Relevanzsein könnten.

Ich möchte daher zunächst die bildbezogene Kunstdidaktik nach Gunter Otto mit der Theorie der erweiterten Kunstbezogenheit nach Gert Seile vergleichen und mich im Anschluss etwas ausführlicher mit verschiedenen Ansichten und Möglichkeiten subjektorientierter Kunstpädagogik befassen.

2.3.1 Selle vs. Otto - Kunst gegen Bild?

Der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Theorien nach Gunter Otto auf der einen und Gert Seile auf der anderen Seite besteht zunächst einmal darin, dass für die bildorientierten Kunstpädagogen (Gunter Otto) ganz allgemein die Förderung der Bildlesekompetenz im Vordergrund steht, während sich die so genannten Kunstorientierten (Gert Seile) mit der Kunst als solches befassen, wobei hier von einem erweiterten Kunstbegriff ausgegangen wird, wie ihn insbesondere Joseph Beuys prägte (Peez, 2005, o.S.).

Gunter Otto als Begründer des bildbezogenen Unterrichtskonzeptes veröffentlichte seine Ideen u. a. schon 1968 in der von ihm herausgegebenen Fachzeitschrift „Kunst+Unterricht" (Peez, 2008, S.65). Später vertiefte er seine Theorie in dem 1987 erschienen Buch „Auslegen. Ästhetische Erziehung als Praxis des Auslegens in Bildern und des Auslegens von Bildern" (ebd.). Der Titel macht bereits den Grundsatz deutlich: Sinn der ästhetischen Erziehung (und nicht Kunst-Erziehung) müsse es sein, die praktische und theoretische Auseinandersetzung mit dem Bild zu fördern. Wie Peez (2008) verdeutlicht, ging es ihm darum, dass Kinder und Jugendliche lernen, die Erfahrungs- und Bilderwelt in der sie leben, in eigenen Bildern zu deuten (ebd., S.67). Von Kunst ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede, denn: „Alle visuellen, bildhaften Phänomene der Lebenswelt haben Anrecht, im Kunstunterricht behandelt zu werden, nicht nur die Kunst" - so Otto (zit. n. Peez, 2008, S. 67).

Diese Betrachtung führt im Rahmen des Unterrichtes zum einen zwar automatisch zur erweiterten Anwendung des Kunstbegriffes auch auf alltagsnahe Erzeugnisse wie z.B. Werbe- und Medienbilder, andererseits beschränkt sich der Bild-Begriff in der Umsetzung aber sehr auf naturalistische und vorzugsweise zweidimensionale Darstellungen. Das heißt, dass (künstlerische) Objekte und Erscheinungen aus anderen Bereichen, solche wie Skulptur und Plastik, Performance oder beispielsweise auch Architektur hier nicht oder nur geringfügig berücksichtigt werden (Peez, 2008, S.67.).

Im Gegensatz dazu stellt Gert Seile den Begriff der Kunst ganz bewusst in den Mittelpunkt und fordert eine „kunstähnliche - nicht pädagogisch-didaktische Haltung von kunstpädagogisch Tätigen" (Peez, 2008, S. 69). Die Kunstpädagogik sollte sich also stärker anhand der Kunst als durch die Pädagogik definieren (ebd., S.71). Seile nimmt hier insbesondere Bezug auf Joseph Beuys, dessen offene Einstellung zur Kunst er für vorbildhaft auch für die Kunstvermittlung hält, denn in seinen Augen dürfe und könne es der Kunstpädagogik nicht um Erziehung im Sinne des Erreichens bestimmter Lernziele gehen, sondern sie müsse als künstlerische Bildung begriffen werden (ebd.). Er unterscheidet hier Erziehung deutlich von Bildung und versteht letzteres als selbst bestimmte Aneignung, bei der man unter Umständen sogar gänzlich auf konkrete Lernziele verzichten könnte. Allerdings gestaltet sich die reale Integration solcher ästhetischen Erfahrungsprozesse, die laut Peez einen anarchisch­unkontrollierten Charakter hätten, als schwierig und wurde von Seile selbst (im Gegensatz zur Ottos Konzeptionen) vor allem im Zusammenhang mit dem Studium der Kunstpädagogik gesehen. Er äußerte sich also weniger zum Kunstunterricht an sich, als zu der Einstellung und Ausbildung, die zukünftige Kunstlehrer erhalten und erfahren sollten, denn Kunst Unterrichtende müssten in seinen Augen zu allererst selbst Künstler sein (ebd.).

Entsprechend lässt sich auch seine Auffassung von Kunst verstehen: Er erklärt, dass in der Praxis das „Bewegt-Getane" quasi von selbst wie Kunst wirken würde und meint mit Kunst vor allem deren zeitgenössische Formen, die häufig experimentellen und umfeldabhängigen Charakter haben (Seile, zit. n. Peez, 2008, S.72).

In dem Punkt kann man meines Erachtens eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen Gunter Otto und Gert Seile feststellen, denn indirekt betonen beide die Bezugnahme zum aktuellen Zeitgeschehen und somit zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation. Eine Beschäftigung mit kunstgeschichtlichen Stilen und Werken scheint hingegen bei beiden eher zweitrangig zu sein, während der praktische Umgang mit Kunst bzw. mit den künstlerischen Mitteln offenbar eine zentrale Rolle spielt, was auch am methodisch-praktischen Vorgehen innerhalb beider Ansätze erkennbar wird:

Gunter Otto unterstreicht eine erfahrungsmäßige Herangehensweise und schlägt die Bearbeitung bildnerischer Phänomene mit Hilfe von Experiment, Material und Montage vor (Peez, 2008, S.57).

Gert Seile beschreibt in seinem Buch „Gebrauch der Sinne. Eine kunstpädagogische Praxis" von seinen Studenten ausgeführte Übungen, bei denen laut Peez (2008) „meist der eigensinnige, experimentelle und langsam gestaltende Zugriff auf Materialien am Anfang steht" (S.72). Offenbar geht es ihm und seinen weiterführenden Vertretern insbesondere um die Ausbildung künstlerischer Denk- und Handlungsweisen und weniger um die rezeptive Auseinandersetzung mit Kunst und Kunstgeschehen (Peez, 2005, o.S.).

Dies wiederum markiert die Abgrenzung zu Ottos Vorgehen, der seine gesamte Theorie ja auf der verstehenden Verarbeitung aller von Außen kommenden, visuellen Phänomene aufbaut - und zwar nicht auf die Kunst als solche beschränkt, wie mehrfach betont wurde. Vielmehr wird die Kunst im Speziellen hier den Bildern im Allgemeinen untergeordnet (Peez, 2008, S.75).

Bei dem Versuch der Übersetzung beider Theorien in die Praxis erscheinen die Grenzen allerdings fließend. Laut Peez (2005) entscheidet letztlich „der theoretische Standpunkt, von dem aus ein kunstpädagogischer (Unterrichts-) Entwurf begründet wird".

Ich vermute außerdem, dass das Ziehen klarer Grenzen im praktischen Kunstunterricht zum Teil schon an den unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten von Kunst scheitern muss, da erfahrungsgemäß keine Einigkeit darüber herrscht, ab wann ein Bild ein Kunstwerk ist oder nicht (und inwieweit zum Beispiel auch Werbe- und Mediengestaltungen zur Gegenwarts-Kunst gezählt werden können).

Bevor ich mich aber mit der kunstpädagogischen Praxis im Konkreten beschäftige, möchte ich wie angekündigt näher auf die Betrachtung der Kunst als sozialen Prozess und die daraus resultierenden Formen subjektzentrierter künstlerischer Bildung und Erziehung eingehen.

2.3.2 Künstlerische Bildung

Das Kunst bzw. künstlerische Bildung als ein zentraler Teil der Persönlichkeitsförderung verstanden werden muss, erläutert Annette Schavan (2003) in Ihrer damaligen Funktion als Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg anlässlich des vorangegangenen Kunstpädagogen-Symposiums über „Künstlerische Bildung und die Schule der Zukunft" im Oktober 2001 wie folgt: „Kunst setzt Kreativität und geistige Produktivität frei - und trägt damit bei zur Entwicklung einer selbstbestimmten, verantwortlichen Persönlichkeit" (S.ll).

Der Kunstunterricht „trägt dieser Tatsache Rechnung und [...] ermöglicht kulturelle Teilhabechancen" (ebd.). So die Forderung bzw. Begründung der Notwendigkeit des Kunstunterrichtes von Seiten der baden-württembergischen Landespolitik vor sieben Jahren.

Zwei Seiten weiter in der entsprechenden Sammlung von Fachtexten der damals zum Symposium geladenen Referenten kritisiert Carl-Peter Buschkühle (2003), dass der Kunstunterricht aktuell geprägt sei von erstarrten, altmodischen Unterrichtspraktiken sowie von Fachkräftemangel und Stundenkürzungen (S.13).

Diese Aussage steht in scheinbarem Widerspruch zur Einordnung der künstlerischen Bildung als „ein zentraler Teil der Persönlichkeitsbildung" (Schavan, 2003, S.ll) und der Kunst als eine der „wichtigsten Formen des Umgang des Menschen mit Welt"(ebd.).

Liest man allerdings weiter in Buschkühles Erläuterungen, dann wird klar, das mit der Künstlerischen Bildung hier nicht nur die in den gewohnten Schulalltag integrierten und immer geringfügiger werdenden ,Kunststunden' gemeint sind, sondern dass der Begriff a) auch die Künstlerische Bildung an privaten Einrichtungen sowie im Rahmen von Projekten und Ganztagsschulbetreuung mit einschließt (S.25f.) und b) dass die Künstlerische Bildung im weiteren Sinne als Konzept zum Erlernen künstlerischer Formen des Denkens und Handelns (S.19) und darin Kunst als Lernprinzip (S.26) verstanden werden soll.

Obwohl Buschkühle (2003) somit genau wie zuvor Gert Seile die Kunst an sich als Kern des Bildungskonzeptes betrachtet und in dem Zusammenhang die Bedeutung selbstbestimmten, kreativen Lernens betont (vgl. Abs.2.3.1), möchte er die Künstlerische Bildung von Seiles ästhetischem Projekt', wie er es nennt, unterschieden wissen: Zwar habe Seile wesentliche Impulse geliefert zu einer an der Kunst und ihren Denk- und Handlungsweisen orientierten Unterrichtslehre, er lasse jedoch ihre intellektuellen Dimensionen außen vor (Buschkühle, 2003, S.33). Buschkühle spricht weiter von „Monologisierungen am Werk, die dessen Herausforderungen jenseits subjektiver Assoziationsbildungen ausweichen" (ebd.). Während Seile also den Wert persönlich-sinnlicher Erfahrung betont, fordert Buschkühle eine Verknüpfung des subjektiven ästhetischen Erlebens mit intellektueller Auseinandersetzung, ähnlich wie sie Gunter Otto im Prinzip der Auslegung proklamierte (S.34) (vgl. Abs.2.3.1).

Meinem Verstehen nach versucht also die künstlerische Bildung der Einseitigkeit vorangegangener Ansätze entgegenzuwirken, indem sie deren Grundgedanken in einem neuen Konzept miteinander verbindet.

Im methodischen Zentrum dieses Konzeptes steht - wie bereits mehrfach benannt wurde - die Kunst, was laut Buschkühle (2003) vor allem auch den Unterschied zwischen Künstlerischer Bildung und Ästhetischer Erziehung ausmacht. Denn obwohl bei beiden das Subjekt bzw. die subjektiven ästhetischen Erfahrungen die Grundlage der pädagogischen Praxis bilden, geht die reine Ästhetische Erziehung von der Wahrnehmung aus und konstruiert daraus ihre Bedeutungen (S.35). Während die Ästhetische Erziehung also ein konstruktives Vorgehen verlangt, ist die Künstlerische Bildung de-konstruktiv, was Buschkühle folgendermaßen erklärt: Dem künstlerischen Denken gehe es nicht in erster Linie um Erfahrung oder Erkenntnisse, sondern um die Gestaltung (ebd.). Und auf den Punkt gebracht: „Was Kunst als Ort der spielerischen, experimentellen Auseinandersetzung von ästhetischer Erkenntnis oder Erfahrung, die sie in sich begreift, unterscheidet, ist die Notwendigkeit, eine eigene Position zu formulieren - sei es bei der Rezeption oder bei der Produktion eines Werkes" (S.36). Demzufolge schult die Künstlerische Bildung vor allem auch die Positionierungsfähigkeit des Einzelnen. Somit haben Ästhetische Erziehung und Künstlerische Bildung letztlich doch gemeinsam, dass tatsächlich die Person des Lernenden im Mittelpunkt aller Bemühungen steht, was beide Ansätze klar von historisch vorangegangenen Ausprägungen der ursprünglichen Kunsterziehung abgrenzt (Buschkühle, 2003, S.24).

Die Umsetzung des Grundgedankens der subjektbezogener Kunstorientierung kann und könnte auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen, wie die Zusammenstellung der verschiedenen Referentenbeiträge anlässlich des vorausgegangenen Symposiums verdeutlicht (Buschkühle, 2003).

Es macht an dieser Stelle leider wenig Sinn, auf jeden einzelnen der sicher sehr interessanten Beiträge einzugehen - dies würde den Rahmen meiner (grundlegend kunsttherapeutisch ausgerichteten) Arbeit sprengen. Stattdessen möchte ich daher einen einzelnen Ansatz herausgreifen, den ich für besonders wichtig halte, da er bekanntermaßen auch für Lehre und Praxis der Kunsttherapie von Belang ist. Es handelt sich um das Konzept der Ästhetischen Forschung von Helga Kämpf-Jansen (2003), welches hier wie ich finde von ihr besonders eindrücklich zusammengefasst worden ist und zugleich die Theorie der Künstlerischen Bildung leichter nachvollziehbar macht.

Der vielleicht wichtigste Grundgedanke der Ästhetischen Forschung nach Kämpf-Jansen (2003) ist: „Fast alles kann Gegenstand und Anlass ästhetischer Forschung sein" (S.266), ganz gleich ob es sich dabei um einen Gedanken, einen Begriff, ein Gefühl, ein Bild, einen Text, ein Objekt oder auch um eine Person handelt - wichtig ist, dass man von dieser einen Sache „infiziert" ist, dass man eine Frage hat, der man unbedingt auf den Grund gehen will (ebd., S.267).

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Details

Titel
"KeratinGebilde" - Berufliche Praxis zwischen Kunsttherapie und Pädagogik
Hochschule
Fachhochschule für Kunsttherapie Nürtingen
Note
2,5
Autor
Jahr
2011
Seiten
86
Katalognummer
V182240
ISBN (eBook)
9783656057062
ISBN (Buch)
9783656056843
Dateigröße
898 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Keratingebilde, Kunstpädagogik, Ästhetische Bildung, Kunsttherapie, Offenes Atelier, Kinder, Sinnespädagigik, Ästhetische Forschung, Berufsbild, Freiberuflichkeit, Künstlerische Bildung, Kreativität, Persönlichkeitsentfaltung, Kunst als Pädagogik
Arbeit zitieren
Jenny Gösche (Autor:in), 2011, "KeratinGebilde" - Berufliche Praxis zwischen Kunsttherapie und Pädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/182240

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Titel: "KeratinGebilde" - Berufliche Praxis zwischen Kunsttherapie und Pädagogik



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