Kulturell und Intellektuell

Perspektiven postmoderner Pädagogik


Wissenschaftliche Studie, 2012

239 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kulturschaffen Jüdischer Intelligenz und Anti-Intellektualismus
1.1 Intelligenz, WissenschaftundKultur europäischer Juden
1.2 NegativeKindererziehunginZentral-Europa
1.3 Antisemitismusund Anti-Intellektualismus
1.4 Massenpsycholgie des Faschismus

2. Frühkindliche Basis von Intelligenz und Kulturschaffen
2.1 PsychoanalysedesUrvertrauens
2.2 Resultate derBindungsforschung
2.3 Bruststillen und Salutogenese
2.4 Gewaltzunahme durchZüchtigung

3. Multiple Intelligenzen und Pädagogische Fördermöglichkeiten
3.1 Hoch intelligente und kreative Kinder
3.2 Multipleintelligenzen
3.3 IntegrationBehinderter
3.4 Interkulturelle Bildung

4. Konzepte Alternativer und Positiver Pädagogik
4.1 Das Kontinuum-Konzept
4.2 Konzepte PostmodernerPädagogik
4.3 Positives Denken in der Pädagogik
4.4 Sexual-Pädagogik

5. Postmoderne Kunst-, Musik- und Medien-Pädagogik
5.1 Kunsterziehung undKreativitätsförderung
5.2 MusikerziehungundmusikalischeBildung
5.3 Postmoderne Pädagogik für die Cyber-Generation
5.4 Postmoderne Bildung

Nachwort

Literaturverzeichnis

Vorwort

„Made in Germany“ und „German Engineering“ sind immer noch Qualitätsmerkmale deutscher Produkte weltweit. Viele Deutsche sind oft stolz auf die Qualifikation, den Fleiß und die Präzision deutscher Arbeitskräfte, auf den innovativen Vorsprung deutscher Erzeugnisse und auf die Spitzenstellung in Technik, Wissenschaft und Kultur. BACH, BEETHOVEN und MENDELSSOHN-BARTHOLDY; GOETHE, SCHILLER und HEINE; OTTO und DIESEL; ZUSE, ZEISS und ZEPPELIN; BENZ, DAIMLER und PORSCHE; Karl MARX und Albert EINSTEIN - die Liste weltbekannter Deutscher ist groß. Es stellt sich die Frage, inwieweit bei der Freude über deutsche Prominente von vergangenem Ruhm gezehrt wird, denn die Zukunftsaussichten sind zum Teil besorgniserregend. Die Stärke Deutschlands beruhte zu einem großen Teil auf dem Fleiß, der Arbeitsamkeit, den innovativen Ideen und dem guten Ausbildungsgrad eines Teils der Bevölkerung. Hier muss der starke Einfluss der intellektuell und kulturell hoch gebildeten deutschen Juden bis zum Jahre 1933 und der verhängnisvolle Anti-Intellektualismus des deutschen Faschismus betont werden (Vgl. Kapitel 1 des vorliegenden Textes).

BIRG gibt zu bedenken, „...dass der demographische Niedergang Deutschlands (und Europas) rückblickend einmal als ein Vorzeichen für den Abschied unseres Landes aus seiner tausendjährigen Geschichte gedeutet werden könnte, ohne dass die Gefahr den heutigen Zeitgenossen überhaupt bewusst war “ (BIRG 2005 , S. 14). Die Anzahl der Geburten ist zwischen 1965 und 2009 auf die Hälfte gesunken. Wenn der Trend anhält, wird die Geburtenzahl bis zum Jahre 2050 ein weiteres Mal halbiert. Bis 2050 wird die Gesamtbevölkerung in Deutschland -trotz Zuwanderung­insgesamt um 10 Prozent sinken. Die Anzahl alter Menschen wird sich verdoppeln bei stets zunehmender höherer Lebenserwartung und zunehmender Pflegebedürftigkeit, zum Beispiel durch die ALZHEIMER - Gehimerkrankung. Die Menschen im arbeitsfähigen Alter zwischen 20 und 50 Jahren werden sogar um 40 Prozent abnehmen (Vgl. BIRG: Die Weltbevölkerung...2004; vgl. BIRG:...Zeitenwende...2005; vgl. BIRG: Die ausgefallene Generation...2005). Damit wird mit statistischer Wahrscheinlichkeit eine Abnahme der Quantität des intellektuellen, kulturellen und innovativen Potentials in der Bevölkerung einhergehen(Vgl. SARRAZIN2010).

Es gibt viele Hypothesen über die Gründe für den Geburten-Rückgang, angefangen bei der Verfügbarkeit der Anti-Baby-Pille bis hin zum Atheismus. Die geringe Geburtenrate der Deutschen hängt vielleicht auch zusammen mit

- Kinderfeindlichkeit (Vgl. Kapitel 1.2 des vorliegenden Textes);
- Schuldgefühlen wegen des Völkermords an den Juden (Vgl. Kapitel 1.3 und 1.4);
- mangelnder Gesundheit, z.B. Depressionen, Essstörungen, mangelnder Lebensfreude, Pessimistischem Denken (Vgl. Kapitel 2., und 4.3);
- eigener unglücklicher Kindheit der potentiellen Eltern,
- Mangel an Getragen-worden-sein (Vgl. Kapitel 4.1 ),
- Mangel an Brust-gestillt-worden- Sein (Vgl. Kapitel 2.3 ),
- Vernachlässiung oder Überforderung während der Schulzeit (Vgl. Kapitel 3 ),
- Mangel an Spielen mit anderen Kindern, an Lachen und Feiern, Mangel an echten und schönen Erlebnissen (Vgl. KERSCHER: Aktiviert und Fasziniert... 2011).
- Sexualfeindlichkeit (Vgl. Kapitel 4.4 ; vgl. KERSCHER/KERSCHER: Zu: Wilhelm REICH... 2008; vgl. KERSCHER; Sexualmoral und Sexualerziehung...2008) trotz Pornos, z.B. Singletum, Einsamkeit;
- bei Akademikerinnen weit verbreitetem latenten, seltener sogar vehement prononcierten Feminismus mit Opposition zum phallokratischen Penetrationsbegehren , womöglich als historisch spätere Rache für die wahnsinnigen Hexenverfolgungen im Mittelalter.

Internationale Vergleichsstudien belegen, dass Gesellschaften um so erfolgreicher sind, je fleißiger und gebildeter, innovativer und intelligenter, kreativer und kultivierter deren Bevölkerung ist. Im internationalen Vergleich hat Deutschland eine niedrige Quote an Hochschul-Absolventen und schneidet bei der internationalen Vergleichsstudie PISA überraschend ungünstig ab ( Vgl. PRENZEL 2007, 2008). Dies gilt sogar in noch stärkerem Maße für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Diese niedrige deutsche Anzahl an Absolventen der Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ist besorgniserregend und passt nicht zu der hierzulande verbreiteten Meinung, Deutschland sei ein weltweit bedeutender High-Tech-Standort (Vgl. SARRAZIN 2010). Hinzu addiert sich das Schrumpfen der Geburtszahlen und damit verbunden die Verminderung des intellektuellen und kulturellen Nachwuchses an Hochbegabten (Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2).

Im vorliegenden Text werden Resultate zusammengetragen

- der Psychoanalyse über die Bildung des Ur-Vertrauens oder -Misstrauens,
- der Bindungsforschung und Säuglingsforschung über das Getragen-werden und
- das Brust-gestillt-werden und deren Auswirkungen auf die späteren Charakterstrukturen der Erwachsenen,
- der somatosensorischen Deprivation für die Neigung zu Depression, Suizid, Abhängigkeiten bis hin zu Tötungsdelikten,
- der positiven Entwicklung zu Friedfertigkeit, optimaler Gehirnentwickung und Intelligenzentwicklung sowie zur Liebesfähigkeit.

Das Übel liegt in der Entstehung einer sado-masochistischen, autoritätshörigen Persönlichkeit (Vgl. Kapiel 1.4), im Streben nach Macht und Herrschaft, dem Durst nach Autorität. Es scheint eine Verblendung zu sein, einzig und allein im ökonomischen Wachstum, im Modus des Habens anstatt des Seins (FROMM: Haben oder Sein, 1983), im passiven Konsum die Garanten menschlichen Glücks zu suchen. Statistiken aus den USA und Europa belegen, dass Depressionen, Süchte, Kriminalität (Vgl. KERSCHER: Gewalt an Schulen, Jugendkriminalität...2008; vgl. KERSCHER: Mobbing...2008; vgl. KERSCHER: Kindheits- und Jugendprobleme...2011) bis hin zu Tötungsdelikten in hochmodernen, wohlhabenden Zivilisationen weit verbreitet sind und deren Glücksverheißung fragwürdig werden lassen. MONTAGU (1995) ist der Auffassung, dass es eine der voreiligsten Bezeichnungen für eine Spezies gewesen sei, den Menschen als „homo sapiens“ zu benennen. Nicht, dass Intellekt, Kreativität und Altruismus beim Menschen nicht als Potential vorhanden seien, aber der Mensch wird erst durch Sozialisation, Erziehung und Bildung zur Humanität motiviert. Davon handelt der vorliegende Text: von einigen Aspekten der Förderung von Intellektualität und Kultiviertheit durch Postmoderne Pädagogik (Vgl. KERSCHER; Postmoderne Pädagogik von A bis Z... 2012). Schätzungsweise zwischen 40 bis 80 Prozent der Intelligenz des Menschen sind bildbar über die natürlichen Grenzen der Vererbung hinaus (Vgl. ROST 2009). Das ermutigt Bildungsoptimisten (Vgl. Kapitel 4.3; vl. KERSCHER: Auf dem Weg zur positiven Erziehung...2010) zur Hoffnung auf eine kulturelle und intellektuelle Renaissance.

1. Kulturschaffen Jüdischer Intelligenz und Anti-Intellektualismus

1.1 Intelligenz,

Wissenschaft und Kultur europäischer Juden Interessante Aspekte ergeben sich, wenn einmal die Intelligenz des jüdischen Teils der Bevölkerung in Deutschland und Europa vor dem Zweiten Weltkrieg und vor dem Holocaust an den Juden durch den nationalsozialistischen Terror erörtert wird ( Vgl. HEINSOHN 1995; vgl. HILBERG 1985; vgl. KEMPNER 1986; vgl. REITLINGER 1956).

Im Mittelalter waren die Juden aus England, Frankreich, Spanien, Portugal und aus Deutschland zum größten Teil vertrieben worden. Viele jüdische Flüchtlinge hatten sich in Rotterdam, Hamburg, Venedig, in Polen, in der Ukraine und im Baltikum angesiedelt (Vgl. SCHWANITZ 1998). Die osteuropäischen Juden entwickelten das typische Jiddische als eigene Sprache mit slawischen Elementen. Vor allem schufen sie eine spezifische Kultur. Diese besondere Kultur der osteuropäischen Juden maß den Intellektuellen und Gelehrten einen hohen Status und Respekt zu.

In der traditionellen jüdischen Familie wurde das Baby und Kleinkind bis zum dritten Lebensjahr Brust-gestillt. Das Bruststillen nach Bedarf des Säuglings und die hohe Wertschätzung von Wissen und Können, Kultur, Musik, Theater, Oper, Dichtkunst, Schriftstellerei, Religion und Wissenschaft führten zu einer überdurchschnittlichen Vermehrung der besonders intelligenten Kinder und Erwachsenen (Vgl. WEINRYB 1973). Immer wieder überstanden sie antisemitische Pogrome. Aufgrund der Verfolgungen verließen viele jüdische Familien ihre Siedlungsgebiete in Osteuropa und emigrierten nach Deutschland und in die Österreichisch-Ungarische Habsburger

Monarchie.

Soziologisch erklärt wird die erheblich höhere Intelligenz der Juden mit dem starken Selektionsdruck im christlichen Europa. Lange waren ihnen die handwerklichen Zünfte sowie auch landwirtschaftliche Aktivitäten versperrt. Andererseits war es Christen verboten, im Geld- und Finanzwesen tätig zu werden wegen des in der Bibel ausdrücklich betonten Zinsverbots. Die Juden fanden Überlebenschancen im Handel, im Bankwesen und in den künstlerischen und akademisch-intellektuellen Berufen (Vgl. SOMBART 1911). Die schriftgelehrten Rabbis genossen hohes Ansehen in der jüdischen Gemeinde. Ein Rabbi hatte daher hohe Heiratschancen, weil er ein gern gesehener Schwiegersohn einer jeden wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie war. Eine Jahrhunderte lang betriebene Familien- und Heiratspolitik innerhalb der jüdischen Gemeinden, in dem intelligente Menschen willkommene Familienmitglieder wurden, führte nach und nach zu einer starken Zunahme der Intelligenz der gesamten jüdischen Bevölkerung (Vgl. McDONALD 1994).

Vor dem Zweiten Weltkrieg ergaben Intelligenz-Test-Messungen einen Intelligenzvorsprung bei europäischen Juden. Im Verhältnis zum Durchschnitt der europäischen Bevölkerung mit einem IQ von 100 ergaben die Tests bei Juden einen durchschnittlichen IQ von 115. Auch heute noch wird bei den in den Vereinigten Staaten von Nordamerika lebenden Juden ein derartig höheres Intelligenzniveau gemessen (Vgl. HERRNSTEIN / MURRAY 1994, S. 175). Auch die amerikanischen Juden sind überdurchschnittlich in der Wissenschaft, im Geschäftsleben und in den intellektuellen und künstlerischen Berufen vertreten.

Wilhelm (später William) STERN war Psychologe und Mitbegründer der Hamburger Universität. Noch vor dem Ersten Weltkrieg bemühte sich STERN um die Entwicklung von Intelligenz-Tests. Er führte im Jahre 1912 den Begriff des IQ, des Intelligenz Quotienten ein. 1935 musste er vor den Nazis in die USA flüchten. Der Vorsitzende der Deutschen Psychologischen Gesellschaft polemisierte im Jahre 1938 zur Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft auf einem Kongress gegen die „...jüdischen Intelligenztests von William STERN“, die „eindeutig auf einen bei Juden stark vorwaltenden Intelligenztypus eingerichtet seien.“ (WEISS 2000, S. 26).

Die Nazis lehnten Intelligenztests wegen der angeblich jüdischen Machart ab. Es konnte doch nicht angehen, dass bei einem Intelligenztest die Juden einen IQ von 115 aufwiesen , während deutsche Angehörige der „arischen Herrenrasse“ nur mit einem IQ von 100 abschnitten!

SARRAZIN ( 2010, S. 94 f.) hat die überdurchschnittlichen wissenschaftlichen, kulturellen und beruflichen Erfolge des eigentlich recht kleinen Bevölkerungsanteils der Juden aufgelistet.

Demnach wurden seit der Stiftung des Nobelpreises im Jahre 1901 in Physik und Chemie 204 Nobelpreise an 344 Wissenschaftler verliehen. Von diesen Preisträgern waren immerhin 22 Prozent jüdischer Herkunft.

1933 hatten die Juden in Deutschland einen Bevölkerungsanteil von lediglich 0,8 Prozent. Diese konzentrierten sich in den Metropolen, vor allen Dingen in Berlin und Hamburg. Überwiegend waren sie erfolgreich in Handel, Verkehr und Dienstleistungen tätig. Im Bankwesen, in den Medien, in der Wissenschaft, als Ärzte und Rechtsanwälte waren sie weit überdurchschnittlich repräsentiert. Ihr beruflicher und wirtschaftlicher Erfolg lag weit über dem Durchschnitt der gesamten Bevölkerung. (Vgl. BENNATHAN, In: MOSSE 1966, S. 87 ff.)

In Berlin betrug der jüdische Anteil der Bevölkerung 5 Prozent. Aber die Juden erwirtschafteten dort im Jahre 1932 beachtliche 31 Prozent des Einkommenssteuer- Einnahmen des Finanzamtes (Vgl. GORDON 1984, S. 15.). 80 Prozent der führenden Mitglieder der Berliner Börse waren in den Zwanziger Jahren Juden.

An deutschen Universitäten gab es am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts viele jüdische Gelehrte. Im Jahr 1910 waren 19 Prozent aller Hochschullehrer, Doktoren, Assistenten und Professoren jüdisch. In den Fakultäten Jura und Medizin gab es einen Anteil jüdischer Studenten von 25 Prozent, in den philosophischen Fakultäten sogar von 31 Prozent.

In der Zeit von 1905 bis 1932 wurden 32 Nobelpreise für wissenschaftliche Leistungen an deutsche Preisträger verliehen. Zehn der Nobelpreisträger waren Juden.

Deutlich wird die Intelligenz und Kultiviertheit der Juden auch bei einer Betrachtung ihrer Rolle in den Bereichen Kunst, Literatur, Musik, Theater und Journalismus: Im Jahre 1931 gab es in Deutschland 234 Theaterdirektoren. 50 Prozent davon waren Juden. In Berlin waren sogar 80 Prozent aller Theaterdirektoren jüdisch.

Drei Viertel sämtlicher im Jahre 1030 geschriebenen Theaterstücke stammte aus der Feder jüdischer Autoren. Der meiste private Klavierunterricht und die meisten privaten Violinstunden wurden von jüdischen Musiklehrerinnen gegeben. Der Anteil der Juden unter den Journalisten lag bereits im Jahre 1881 bei 9 Prozent und stieg im Laufe der Jahre bis 1930 stark an.

Karl MARX, Leonid TROTZKI, Sigmund FREUD, Wilhelm REICH, Felix MEDELSSOHN-BARTHOLDY, Gustav MAHLER, Heinrich HEINE, Hannah ARENDT, Theodor W. ADORNO, Albert EINSTEIN, um nur einige bedeutende Personen zu nennen, waren jüdischer Herkunft.

Eine ähnliche gesellschaftliche und kulturelle Situation bot sich in in Österreich­Ungarn dar. MARTON ( MARTON 2010) hat die weltberühmte Karriere neun jüdischer Emigranten aus Budapest, aufgezeichnet. Nach Ende des Ersten Weltkrieges gab es unter dem HORTHY-Regime in Ungarn Unterdrückung und Verfolgung von Juden, so dass viele jüdische Intellektuelle und Wissenschaftler in die USA flüchteten. Unter den Emigranten waren bedeutende Persönlichkeiten wie der Physiker Edward TELLER, der Mathematiker John von NEUMANN und der LotografRobert CAPA. MARTON resümiert: „ Um 1910 waren die Hälfte der Ärzte und Rechtsanwälte, ein Drittel der Ingenieure und ein Viertel der Künstler und Schriftsteller von Budapest Juden. Mehr als vierzig Prozent der Journalisten, die für die neununddreißig Budapester Zeitungen arbeiteten, waren Juden (MARTON 2010, S. 30).

Politiker, Soziologen und Historiker denken im Makrobereich der Gesellschaft. Kinderpsychiater, Kindermediziner und Kinderpsychologen betonen hingegen den Mikrobereich menschlicher Entfaltung, die frühkindliche Basis für eine optimale Gehirnentwicklung. Bruststillen nach Bedarf, nichtrepressive Kleinkindpflege und -erziehung, Verzicht auf restriktive und punitive Erziehungsprozeduren legen die Basis für Urvertrauen, optimale Gehirnentwicklung und Entfaltung des intellektuellen und kulturellen Potentials (Vgl. Kapitel 2 des vorliegenden Textes). Jüdische Kinder wurden in der traditionellen Lamilie drei Jahre lang liebevoll Brust-gestillt - optimale Bedingungen für die Entwicklung des Gehirns. Insgesamt war diejüdische Kindererziehung - bis auf die Vorhautbeschneidung der Knaben - liberal, supportiv und das Selbstwertgefühl fördernd. Jede neue Generation wurde bejahend als zukünftiges Mitglied des „von Gott erwählten Volkes“ freudig begrüßt, anders als bei Christen, die das Neugeborene bereits als mit der Erbsünde belastet sahen.

1.2 Negative Erziehung in Zentral-Europa

In einem Vortrag an der Universität Klagenfurt, Österreich, im Jahre 2005 hat Lloyd DeMAUSE die Ursprünge des Holocaust auf die frühkindliche Erziehung der späteren Täter zurückgeführt.

Vor mehr als dreißig Jahren ist die Geschichte der Kindheit von de MAUSE publiziert worden, die mit den Worten beginnt: Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir erst in jüngster Zeit zu erwachen beginnen. Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto niedriger ist das Niveau des Schutzes der Kinder, desto üblicher war es, Kinder zu töten, zu verlassen, zu schlagen, zu terrorisieren und sexuell zu missbrauchen.

In den drei Jahrzehnten seitdem sind ein Dutzend Bücher und über einhundert Artikel im Journal of Psychohistory geschrieben worden, die eine überwältigende Evidenz der Wahrheit über diese erstaunliche Sicht der Evolution in der Kindererziehung nachgewiesen haben. Weiterhin sind Hunderte zusätzliche Bücher und Artikel erschienen, die die grausamen Effekte der negativen Erziehung in der Kindheit auf historische Persönlichkeiten, auf die Geschichte selbst, besonders auf Kriege und Völkermord aufzeigen. Despotismus, Kriege und Völkermord wurden möglich durch routinemäßige Kindesmisshandlung, durch das Fehlen von Liebe und Zärtlichkeit während der frühen Lebensjahre, durch die fragilen, gestörten Persönlichkeiten, die das Resultat extremer Verunsicherung in der frühkindlichen Sozialisation waren.

De MAUSE fuhrt die emotionalen Ursachen des Rassismus und des Holocaust auf die negative Erziehung Adolf HITLERs und der Menschen in Österreich und Deutschland während der präfaschistischen Zeit zurück.

Welche Charakteristika hatte Kindheit üblicherweise in Zentral-Europa währendjener Epoche, die spätere Erwachsene zu Zeitbomben formten, die im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg hochgingen?

Zu allererst wäre da die offen ausgedrückte Ablehnung und Vernachlässigung von Mädchen anzuführen, sobald sie geboren wurden.

Wenn es bei der Geburt ein Mädchen war, so wurde oft über enttäuschte Väter berichtet, dass sie das Neugeborene so gewaltsam auf das Bett neben die Mutter schleuderten, dass oft das Rückgrat gebrochen wurde.

Als Resultat kann festgestellt werden, dass neugeborene Mädchen in zentralen Regionen Europas weit öfter getötet wurden als Jungen, was zu einem der höchsten Missverhältnisse der Geschlechterverteilung zwischen Jungen und Mädchen führte.

Manche Mütter töteten ihre Neugeborenen, indem sie ihnen die Köpfe zerschlugen oder sie mit ihren Körpern im Schlaf erdrückten. Jene Kinder, die überlebten, waren gewöhnlicherweise Zeugen, wie ihre Mütter rund vierzig Prozent ihrer Geschwister erwürgten oder erstickten, oder sahen zumindest tote Babies überall in Toiletten, Abfallplätzen und Flüssen, was ihnen das realistische Gefühl vermittelte, lieber nicht zu unartig zu sein, um nicht von ihren mörderischen Eltern auch getötet zu werden.

Eine Alternative für wohlhabendere Familien , die tatsächlich noch vermehrt ihre Töchter töteten als die ärmeren Familien, bestand darin, ihre Kleinkinder sogenannten Engelmacherinnen zu überlassen, die dafür bezahlt wurden, dass sie die ihnen in Obhut gegebenen Kinder töteten.

Das Brust-Stillen der Kleinkinder war so unüblich, dass die Mortalitätsrate im 19. Jahrhundert in Deutschland von 21 Prozent in Preußen bis zu erstaunlichen 58 Prozent in Bayern reichte. Der höhere Prozentsatz im Süden Deutschlands war das Resultat der Praxis des Nicht-Brust-Stillens, da handgefütterte Babies nur mit Wasser angerührten Mehlteig erhielten. Die derart unterernährten Babies hatten eine dreifach erhöhte Sterblichkeitsrate als Brust-gestillte Babies.

Demzufolge war die Kindersterblichkeit in Deutschland und Österreich um die Hälfte höher als in Frankreich und England.

Wien hatte eine der höchsten Rate an verlassenen Kindern. Die Hälfte aller neugeborenen Babies wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von ihren Müttern ausgesetzt und verlassen.

Ausländische Besucher deutscher Familien berichteten, dass es außerordentlich selten vorkam, dass eine deutsche Dame ihr eigenes Kind stillt. Stillen wurde um so seltener praktizierte tiefer man in den Süden kam.

Eine Mutter, die aus Norddeutschland kam, wo Brust-Stillen noch verbreiteter war, und die in den Süden umgezogen war, wurde als schweinisch und eklig von dörflichen bayrischen Frauen beschimpft, und ihr Ehemann weigerte sich, mit ihr am Tisch zu essen, wenn sie nicht diese widerliche Gewohnheit aufgeben würde.

Damals konnte nur selten ein Kind gefunden werden, dass ausreichend Brust-gestillt worden war.

Es war überall üblich, den Kindern den Mund mit Zulp zu stopfen, einem kleinen Leinenbeutel, der mit Brot und oft mit Alkohol oder Mohnsamen gefüllt war. Die Mütter gaben an, dass sie ihre Figur nicht ruinieren wollten und Brust-Stillen war ihnen zu schmutzig.

Besucher aus dem Ausland notierten oft, dass zentraleuropäische Mütter ihren Kindern weniger Aufmerksamkeit schenkten als ihren Kühen.

Die Geschichte der Kindesmisshandlung begann sehr früh, tatsächlich bereits während der Schwangerschaft als Fötus im Mutterleib, da Mütter üblicherweise täglich Alkohol konsumierten und da die Väter routinemäßig ihre schwangeren Frauen schlugen.

Gleich nach der Geburt wurde das Neugeborene in ellenlange Bandagen fest eingewickelt, sogenannte Wickelkinder, von den Füßen bis zum Hals , als ob sie wie ägyptische Mumien einbalsamiert werden sollten.

Da diese Bandagen selten gewechselt wurden, verblieb das Kind in seinem eigenen Urin und Kot. Das Resultat war, dass Babys stinkende, eklige Dinger waren, und, da die Köpfe der armen Babys nie gewaschen wurden, mit von Schmutz verkrusteter Rinde bedeckten Schädeln, wie ein übel riechender Käse.

Die Mütter hatten soviel Angst vor ihren Babys, dass sie sie nicht nur festbanden, sondern oft in einer Krippe in einem verdunkelten Raum einsperrten, um das Böse fernzuhalten.

Das Resultat war, dass Kinder mit Läusen und anderem Ungeziefer bedeckt waren, die durch den Kotgeruch angelockt wurden, aber sie konnten sich nicht rühren, um sie zu vertreiben, wie es nicht gewickelte Kinder hätten tun können.

Die Eltern nannten ihre Kinder regelmäßig "Läuse" und "nutzlose Esser", weil sie noch keinen Beitrag zum Unterhalt der Familie leisten konnten, solange sie zu klein waren. Der elterliche Hass auf die eigenen Kinder war so groß, dass sie kaum ein Stückchen Brot essen konnten, ohne Vaters Kommentar zu hören, sie verdienten es gar nicht, weil sie noch kein eigenes Einkommen hätten.

Die Angst, dass das Kind zu einem Tyrannen über die Mutter werden könnte, war so allgemein, dass ein jedes Weinen eines Kindes nur als forderndes Geschrei wahrgenommen wurde. Die Mutter sollte hart und unnachgiebig bleiben, wenn ihr Baby weinte, niemals mit ihm sprechen oder Schlaflieder singen, noch es auf den Arm nehmen. Nach einigen Nächten würde das Kind verstehen, dass sein Geschrei zu nichts führe und es würde verstummen (Vgl. Kapitel 2; vgl. MONTAGU 1971).

Experimente haben nachgewiesen, dass Tiere wie z.B. Ratten oder Affen, die in ihren frühen Jahren festgebunden, vernachlässigt und nie berührt wurden, erhebliche gesundheitliche und soziale Störungen aufweisen (HARLOW und HARLOW 1964, 1971).

Weil das kleine Kind einen notorischen Gestank verbreitete, hingen die Mütter ihre gewickelten Babys oft in einer Tasche an eine Mauer oder an den Ast eines Baumes, während sie anderen Tätigkeiten nachgingen.

Da die Pädophobie, die krankhafte Furcht vor dem Kind, der Mütter auch noch nach der Kleinkindzeit ihrer Kinder fortbestand, gab es viele andere Restriktionen, die verhindern sollten, dass das Kind ein fordernder Tyrann werden könnte. Es gab enge Korsette mit stählernem Rücken und stählernem Kragen, mit langen Ledergürteln um den Körper, um das Kind in aufrechter Haltung zu fesseln oder des Nachts vom Masturbieren abzuhalten. Es gab sogar kleine Käfig-artige Anti-Masturbations- Vorrichtungen für den Unterleib des Kindes.

Routinemäßig wurden schmerzhafte Einläufe verpasst in einem täglichen Ritual. Diese tatsächlich sexuell getönten Übergriffe begannen schon im Alter von sechs Monaten, bevor die willentliche Kontrolle des Afterschließmuskels, des Sphincter, dem Kind möglich ist.

Oft wurde das Kind mit Lederbändem festgebunden und erhielt von der Mutter oder Amme mehrmalige Einläufe als Bestrafung fur sein Bettnässen und Einkoten.

In vielen Städten gab es spezielle Sanitäts-Läden, zu denen die Kinder regelmäßig gebracht wurden, um die passende Größe des Einlaufgerätes herauszufinden.

Die Beschäftigung der Deutschen mit ihren Ausscheidungen war so weit verbeitet, dass Alan DUNDES ein ganzes Buch darüber verfasste: "Life is Like a Chicken Coop Ladder...short and shitty".

Da die "wahre Natur" des Kindes als sündig angesehen wurde, musste sein freier Wille gebrochen werden. Und Schläge waren das Hauptmittel, um dies zu erreichen.

Eine intensive Studie deutscher Autobiographien von Aurel ENDE erhielt den Titel " Schläge und Vernachlässigung". Es gab keinen einzigen guten Aspekt zu berichten über die universale deutsche Praxis, Kinder durch Schläge zum Gehorsam zu erziehen.

Das Verprügeln musste früh beginnen, noch in der Kleinkindzeit, und ständig wiederholt werden, bis das Kind verstummt oder ohnmächtig wird. Damit würde man für immer Meister über das Kind. Von nun an würde ein bloßer Blick, ein einziges Wort, eine einmalige drohende Geste genügen, um das Kind zu beherrschen.

Über deutsche Eltern wurde oft berichtet, dass sie in eine rechthaberische Wut während des Schlagens ihrer Kinder gerieten, dass sie ihnen Gehorsam einhämmerten, bis die Kinder oft ohnmächtig wurden.

Schulen waren Prügel-Fabriken. In der Schule wurden die Kinder geschlagen, bis die Haut qualmte. Adolf HITLERs Vater schlug ihn in seiner Kindheit regelmäßig bis zur Bewusstlosigkeit (Vgl. STIERLIN 1975).

Kinder mussten regelmäßig gewaltsam zur Schule gezerrt werden. Viele Schüler und Schülerinnen schrien und wehrten sich, weil sie soviel Angst vor den täglichen Schlägen in der Schule hatten. Selbstmorde von Kindern waren häufig als Reaktion auf die ständigen Körperstrafen. Selbstmorde von Kindern waren in Deutschland mehr als drei Mal höher als in anderen europäischen Ländern.

Oft wurden die Kinder kalten Wasserbädern unterzogen, um sie abzuhärten oder zu bestrafen. Andere Bestrafungsmethoden ergänzten die Schläge. Kinder wurden auf rotglühende Eisenöfen gesetzt, die ganze Nacht lang an Bettpfosten festgebunden, sie wurden gezwungen, ihren eigenen Kot zu essen, wenn sie eingekotet hatten usw. (Vgl. SCHATZMANN 1975).

Deutsche gaben zu, dass Kinderfeindlichkeit allgemein üblich war. Kindern wurde oft Angst eingejagt, indem man ihnen drohte, dass Geister oder andere schreckliche Monster sie wegholen würden , wenn sie nicht gehorsam wären.

Eltern verkleideten sich in Schrecken einflößende Kostüme, den sogenannten Knecht Ruprecht, malten sich die Gesichter schwarz und gaben vor, Bote Gottes zu sein, der unartige Kinder für ihre Sünden bestrafen würde.

PETSCHAUER berichtet in seiner Biographie, dass er sich erinnerte, wie er als Kind von einem haarigen Monster verfolgt wurde, wie er sich unter dem Tisch versteckte, wie Knecht Ruprecht nach ihm griff, um ihn in seinem Korb zu entführen. Solche Angst einflößenden Rituale waren besonders in Deutschland und Österreich verbreitet. Die Eltern lachten darüber nur, ohne Verständnis oder Mitleid für die verängstigten Kinder.

Forschungsarbeiten über Autobiographien am Ende des 19. Jahrhunderts zeigen den brutalen Kontrast zwischen den Erfahrungen der Kinder der Arbeiterklasse in Zentral- Europa und der vorherrschenden idealen Sicht von Kindheit in anderen Nationen.

Besuchern aus Amerika taten die kleinen Kinder in Deutschland leid: sie mussten so hart arbeiten und ihnen fehlte Lebensfreude, Fröhlichkeit und kindliche Verspieltheit. Amerikanische Kinder waren schwieriger zu bändigen, aber sie erinnerten sich später einer glücklichen Kindheit.

Um nicht "nutzlose Esser" zu bleiben, wurden deutsche Kinder oft sehr früh in andere Familien geschickt, um dort als Diener oder Lehrlinge zu arbeiten. Sie sollten zu harter Arbeitsamkeit gedrillt werden, um ihnen die Eitelkeit auszutreiben oder nur, um sie los zu werden.

Das Erstgeborene wurde oft an Verwandte weggeben, andere zu jedem, der sie aufnehmen wollte. Wenn die Eltern später kamen, um ihre Kinder heimzuholen, erkannten die Kinder in der Regel ihre Eltern nicht mehr wieder.

Knechte, Diener, Hausmädchen und Lehrlinge wurden regelmäßig geschlagen und misshandelt, oft auch sexuell missbraucht, Jungen genauso wie Mädchen. Tatsächlich war der sexuelle Missbrauch in Schulen durch Lehrer und ältere Schüler sehr häufig.

Offensichtlich brachte auch die spätere Kindheit und das Jugendalter keine Erleichterung von den ständigen Misshandlungen in Deutschland und Österreich.

Obwohl eine Minderheit der Bevölkerung neuartige, kinderfreundliche Wege in der Kindererziehung und im Zusammenleben versuchte, und obwohl dieser Bereich der Erziehungs- und Lebensreform, der reformpädagogischen Bewegungen (Vgl. KERSCHER 2011) eine einmalige Zunahme an Anhängern fand im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten und Jahrhunderten, so blieb doch die Majorität, die überwiegende Mehrzahl der Familien in ihren Erziehungspraktiken kinderfeindlich - eine nachhinkende Psycho-Klasse. OGBURN beschrieb die Ungleichzeitigkeit zwischen modernen und tradierten Einstellungen, das Zurückbleiben auf früheren sozialen Entwickungsstufen als Cultural Lag.

Der soziale und ökonomische Fortschritt am Ende des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts bereitete den rückständigen Klassen Gefühle von Krise, Verzweiflung und Untergang.

Angst vor dem Materialismus, vor Degeneration, vor Sozialismus, vor der Frauenemanzipation, vor dem Tanzboden und vor sexueller Freizügigkeit breitete sich aus.

All dieser Fortschritt, wie neue Freiheiten, neue Rechte, neue Vergnügen, erweckte die Furcht, dafür bestraft zu werden, wie ihre Eltern sie während ihrer Inividuationsbestrebungen in der Kindheit bestraft hatten.

Die verinnerlichte Stimme der strafenden Eltern in ihren Köpfen schien ihnen aus dem Ausland zu kommen, und deutsche Politiker und Militärführer waren plötzlich davon überzeugt, dass Russland sie bald in der Zukunft angreifen würde, so dass ein Präventivkrieg unvermeidbar wurde, und zwar je eher, desto besser. Sie wählten Adolf HITLER und seine National Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die NSDAP.

1.3 Antisemitismus und Anti-Intellektualismus

Der Auslöser für den Holcaust war DeMAUSE (2005) zufolge der Sprung in die Moderne durch die Demokratisierung Deutschlands und Österreichs seit den Zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts (Vgl. HEINSOHN 1995; vgl. BAUMANN 1991; vgl. HILBERG 1985).

Die neuen Psychoklassen begannen mit allen Arten von neuen Freiheiten zu experimentieren, etwas, was jede Regel verletzte, die die meisten Leute als Kinder erlernen mussten.

Weimars Politiker gehorchten nicht, sie stritten miteinander herum.

Weimars Neue Emanzipierte Frauen waren auch nicht mehr passiv.

Sie stritten frech, gingen zur Wahl wie vormals nur die Männer und forderten Zugang zu Universitäts-Bildung, Geburten-Kontrolle und sogar Zulassung zu bisher nur Männern vorbehaltenen Berufen.

Arbeiter begannen Gewerkschaften zu gründen, junge Leute begannen Jazz-Musik zu lieben, einige Eltern begannen sogar das Ende der Prügelstrafe in Schulen zu fordern.

Es wurden sehr viele Filme gedreht, in denen starke Frauen spielten, sodass diese Filme „Gefährliche Damen Kinostücke“ genannt wurden.

Offensichtlich „unterminierte die Demokratie die Deutsche Rasse“ (Vgl. MOSSE, G.: Rassismus.1978), indem sie jedwede Freiheiten tolerierte, die allen Tugenden widersprach, die autoritäre Eltern seit Jahrhunderten in ihre Kinder hinein geprügelt hatten.

Demokratie wurde als ein Untier mit tausend Köpfen bezeichnet, dass alles zerstört, was es nicht schlucken kann.

Die Weimarer Kultur mag außerordentliche Kreativität und Experimentierfreude produziert haben, aber sie schuf auch Ängste, Befürchtungen und die Entstehung einer Endzeit-Stimmung.

Am Ende der Zwanziger Jahre entstanden spontan so viele reaktionäre, anti­demokratische, rückwärts-gewandte Parteien, dass Weimar „eine Republik ohne Republikaner“ genannt wurde.

Die Bevölkerung rief nach einer „Emanzipation von der Emanzipation“ und „einer Restauration autoritärer Regeln“.

Wenn die verinnerlichten autoritären Eltern tief im Unterbewusstsein Dich für Deine neue Unabhängigkeit hassen, dann verschmilzt Du mit ihnen, um ihre Anerkennung nicht zu verlieren. Man bestraft Sündenböcke, die man anklagen kann, stinkende Schieter-Babies voller giftiger Fäuse zu sein.

Was nötig schien, das war ein „nationaler Einlauf“, eine Säuberung, die die Menschen „reinigen“ würde von deren Unabhängigkeitsstreben, so wie die Mütter ihnen als Kinder reinigende Einläufe verabreicht hatten.

Noch bevor die Juden als die hauptsächlichen Sündenböcke auserkoren wurden, die als unrein und krank erklärt wurden, gab es in der Weimarer Zeit mächtige Rassen­Hygiene-Bewegungen, die die Angst vor Ansteckungen durch andere schürten.

Ärzte begannen spontan für die Euthanasie „der Untüchtigen und Behinderten, die eine Bürde für die Gesunden seien“ einzutreten (Vgl. Kapitel 3.3 ). Diese Menschen waren „nutzlose Esser“ - ein Begriff, der allen Kindern bekannt war aus der Zeit ihrer Kindheit. Denn deren Eltern hatten sie oft derart angeklagt und beschimpft, „nutzlose Esser“ zu sein, die noch kein eigenes Geld verdienen.

Diese „Läuse“, Kranke, Behinderte, Straffällige, Arme, Zigeuner, Homosexuelle, später auch Kommunisten und am meisten die Juden schienen verantwortlich für die Verbreitung von Typhus, Syphilis und anderen Infektionskrankheiten. Man sagte, Hygiene - Maßnahmen seien nötig, sogenanntes „Haus-Reinemachen“, um die „schmutzigen Läuse“ los zu werden, die das nationale Blut verunreinigten.

Symbolisch wurden mit Läusen bedeckte Schiet-Babies als Ursache aller Arten von Krankheiten gesehen.

Es wurden Blutproben von Hunderten und Tausenden von Kindern in Deutschland und Österreich genommen, um die Reinheit ihres Blutes zu analysieren.

Mehrere tausend hilfloser kranker Kinder wurden nicht mehr ernährt und man ließ sie sich zu Tode hungern. Hier sieht DeMAUSE den Zusammenhangmit mit den Erfahrungen der Erwachsenen in früher Kindheit mit Hunger und Hilflosigkeit in bandagenartigen Windeln.

Fragebögen, die in den Zwanziger Jahren verteilt wurden, in denen gefragt wurde, ob Kinder in staatlicher Heimerziehung und Behindertenanstalten schmerzlos getötet werden dürften, wurden zurückgegeben, in denen 73 Prozent der Eltern Behinderter eine Erlösung bejahten.

Es war offensichtlich, dass es unerwünschte schlechte Babies gab, lange Zeit bevor der Holocaust begann. Ärzte gründeten medizinische Kommitees, um „unerwünschte Kinder, die spät in der Reinlichkeitsdressur waren”, schmerzlos einzuschläfern. Euthanasie war das Zauberwort, der “schöne Tod”.

Mehr als 70.000 dieser „nutzlosen Esser“ wurden in den ersten Gaskammern und Öfen der Krematorien zwischen 1939 und 1941 umgebracht, noch bevor die ersten Juden in die Gaskammern geschickt wurden.

Die Ärzte belegten die Morde mit Begriffen wie „Desinfektion“, „Reinigung“ und „Therapie“. Viele betroffene Eltern schrieben tatsächlich offizielle Ersuche, dass ihre behinderten Kinder zu Tode gebracht werden sollten.

Je mehr ein Gefühl der panischen Angst in Deutschland und Österreich zunahm, etwas, was Erich FROMM „Die Furcht vor der Freiheit“ (1941) nannte, desto mehr uferten phopische Gruppenfantasien aus.

Weil sie als Kleinkinder in ihren Windel-Wickel-Bandagen immer von realen Läusen belästigt worden waren, schien es nun im Erwachsenenalter, als ob giftige politische Läuse überall in Europa auftauchten, um zu versuchen, jedermann mit ihrer Unreinheit zu „bolschewieren“.

Die Juden waren willkommene Sündenböcke, sie wurden „Schmutzige Läuse“ genannt, die versuchten, „das reinrassige Blut der Deutschen“ zu infizieren, und die deswegen ausgerottet werden sollten, um „den deutschen Blutstrom rein zu halten“.

Juden wurden bezeichnet als „Exkremente...Schmutz...Epedemien hervorrufende Bazillen“, „ewige Blutsauger“, „Keimträger“ und „infektiöse Bakterien“. Daher wurden sie umzingelt und in Konzentrationslager eingeliefert, in denen ihnen gesagt wurde: „Ihr werdet von Läusen aufgefressen, ihr werdet in Eurem eigenen Kot verrotten“ und „weil ihr schmutzig seid, müsst ihr sterben“. Es waren die gleichen Worte, mit denen deutschen und österreichischen Babies von ihren Eltern Angst gemacht worden war.

Deutschland wählte einen Führer, HITLER, der sich selbst oft als einen „Scheißkerl“ bezeichnete. HITLER war stets sehr besorgt um seinen Kot und prüfte seine Fäkalien oft, nahm häufig Einläufe und litt aus klinischer Sicht an Phobien, krankhaften Ängsten. Er ließ sich regelmäßig mit Blutegeln behandeln, um das Gift in seinen Adern loszuwerden, von dem er glaubte, sie seien die Ursache seiner Syphillis (Vgl. STIERLIN 1975).

HITLER hielt Reden, in denen er den Juden vorwarf, reines Blut zu vergiften und den Völkern das Blut auszusaugen. Er befahl die Auslöschung der „Blut-Vergifter der Welt“ in dem schlimmsten Vökermord, den die Menschheitje erlebt hat.

Da die jüdischen Mütter in den allermeisten Fällen Brust-stillten und da die jüdischen Kinder weit weniger autoritär erzogen wurden als ihre Nachbarn, waren die Juden weitaus intelligenter und liberaler als der Rest der christlichen Deutschen.

Zum Beispiel bestand die Mehrheit der Wiener Sozial-Demokraten aus Juden.

Sie mussten ausgerottet werden, um die Nation zu reinigen, wie GOEBBELS es ausdrückte: „ Die Juden sind wie die Läuse der zivilisierten Menschheit“.

HIMMLER verglich die tiefere Ursache für den Holocaust mit Kindheitspflege: „Antisemitismus ist exakt das gleiche wie eine Entlausung. Die Entfernung der Läuse ist keine ideologische Frage, sondern eine Frage der Hygiene.“

Rassische Äußerungen wiederholten diese phobische Gruppen-Fantasie: “ Es ist allgemein bekannt, dass Typhus und andere Infektionskrankheiten von der Jüdischen Bevölkerung verbreitet werden”, und die Elimination der Juden begann durch einen Gesundheitsbeauftragten, den Sanitätsoberführer Dr. KROLL. Juden, sagte HITLER, wären “Parasiten am Körper anderer Leute” und müssten ausgerottet werden. Das nationalsozialistische Deutschland sollte, so sagte er, “wie PASTEUR” werden, indem es den “Bazillus, der der Grund unzähliger Krankheiten sei” beseitige.

Das Erste, was den Juden angetan wurde, war, sie zu Schieter-Babies zu machen, indem sie in Ghettos zusammengedrängt wurden, die so überbevölkert waren, dass Läuse und Typhus sich ausbreiteten. Es wurden Ausstellungen veranstaltet, in denen Juden mit Typhusträgern und Läusebefall gleichgesetzt wurden. Juden wurden als giftige, primäre Träger von Läusen bezeichnet. Man hörte einen kleinen Jungen, der schreiend auf Läuse in einem Schaukasten zeigte und ausrief: “ Jüdische Armee, Jüdische Armee!”

Juden wurden dann in Todes-Lager verschleppt, wo man Sie mit den Worten begrüßte: “ Ihr werdet alle von Läusen aufgefressen, ihr werdet in Eurer eigenen Scheiße verrotten, ihr alle müsst sterben.” Die Ärzte in Ausschwitz nannten das Vernichtungslager “anus mundi” ( After der Welt), in dem sie die routinemäßig verabreichten Einläufe in der Kindheit wiederholten.

Da Juden als “Exkremente... Dreck...Epidemien erzeugende Bazillen” bezeichnet wurden, verdienten sie beseitigt zu werden, um den Nationalkörper zu säubern.

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Ende der Leseprobe aus 239 Seiten

Details

Titel
Kulturell und Intellektuell
Untertitel
Perspektiven postmoderner Pädagogik
Autor
Jahr
2012
Seiten
239
Katalognummer
V191011
ISBN (eBook)
9783656156925
ISBN (Buch)
9783656157007
Dateigröße
1175 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jüdische Intelligenz, Kulturschaffen der Juden, Jüdische Wissenschaftler, Negative Kindererziehung, Antisemitismus, Anti-Intellektualismus, Massenpsychologie des Faschismus, Psychoanalyse des Urvertrauens, Bindungsforschung, Brust-Stillen und Salutogenese, Gewalt in der Erziehung, Multiple Intelligenzen, Hochbegabte, Indigo-Kinder, Behinderten-Pädagogik; Interkulturelle Bildung, Kontinuum-Konzept; Positives Denken, Sexual-Pädagogik, Kunsterziehung, Kreativitätsförderung, Musikerziehung, Musikpädagogik, Internet-Pädagogik, Medien-Pädagogik, Postmoderne Bildung
Arbeit zitieren
Professor Dr. phil. Karl-Heinz Ignatz Kerscher (Autor:in), 2012, Kulturell und Intellektuell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191011

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Titel: Kulturell und Intellektuell



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