Heinrich Heine - Leben und Werk in Opposition, dargestellt am Beispiel seiner Lyrik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

24 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einordnung, Zeitumstände und biographische Aspekte Heines

3. Primat der Kunst

4. „Die Tendenz“

5. „Doktrin“
5.1 Saint-Simonismus

6. „Die schlesischen Weber“

7. „Enfant perdu“

8. Abschlussbetrachtung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Denkt man an Heinrich Heine, so verbindet man mit ihm und seinem Werk in erster Linie eine profunde Gesellschafts- und Obrigkeitskritik. Er gilt noch heute zunächst als unbequemer Unruhestifter in einer epochalen Phase des Wandels, wenn nicht gar eines Umbruchs - ein Mahner und Prophet der Zeitumstände, deren Umschwung sich nicht nur in der „allgemeinen“ Geschichte widerspiegelt, sondern auch in einer veränderten Literatur. Sicherlich sind seine unpolitischen Gedichte wie „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“, „Leise zieht durch mein Gemüt“ oder das Liebesgedicht „Du bist wie eine Blume“ nicht mehr aus Lyrikanthologien wegzudenken, aber zeigt sich darin der „ganze“ Heine? Ist diese Art der Gedichte typisch für seine Intentionen, für die er im lebenslangen Kampf eintrat und schwerste Nachteile in Kauf nahm? Repräsentativ steht hier Heines Aussage über sein Bild, das er für die Nachwelt aufrecht erhalten wollte: „Ich hab nie großen Wert gelegt auf Dichter-Ruhm und ob man meine Lieder preist oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt ihr mir auf den Sarg legen, denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit !“[1] Dieses „Testament“ sollte nicht überbewertet werden, denn Heine wusste genau, dass diese Verengung seines Werkes diametral gegen seine brillante Universalität stehen würde. Dennoch lag für ihn die Priorität darin, seine Feder in den Dienst einer neuen Gesellschaftsordnung zu stellen.

Heine wurde in Deutschland zur „Wunde Heine“, eben gerade durch sein ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimat und seine beißende Beschreibung der deutschen Mentalität und der damaligen Zustände. Unzählige Kommentatoren verunglimpften den „vaterlandslosen Gesellen“ in einer Zeit der konservativen Restauration; schließlich wurde er totgeschwiegen und seine prophetischen Worte: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“[2] sollte grausame Realität werden . Demokraten dagegen, wie Heinrich Mann oder Theodor Heuss versuchten, sein Politikverständnis zu legitimieren und ihn als leuchtendes Vorbild zu exponieren, ein Unterfangen, das nur langsam Erfolg versprach. Für viele gilt er bis heute als überschätztes Ärgernis – von der Umstrittenheit seiner Person zeugt in unserer Zeit der unrühmliche, jahrelange Streit über die Namensgebung der Düsseldorfer Universität.

Heines lyrische Leistungen sind auf dem Gebiet des Hinterfragens von Gegebenheiten und Transformationen nachhaltiger als die seiner dichtenden Zeitgenossen. Er wirkte und wirkt auf viele Autoren, darunter Brecht, Tucholsky, Kästner oder Enzensberger. Dagegen sind Namen wie Herwegh, Freiligrath oder selbst Börne in der allgemeinen „Erinnerungskultur“ der deutschen Gesellschaft beinahe vergessen, obwohl jene vor Jahrhunderten noch einflussreiche Größen darstellten. Warum aber wurden Heines politische Gedichte bis in die heutige Zeit tradiert? Nicht nur in der Schule oder in germanistischen Seminaren, auch in öffentlichen Debatten taucht der Name Heine immer wieder auf. Diese vitale Beachtung wird wahrlich nur den wenigsten deutschen Dichtern zuteil. Wodurch ist Heine noch heute aktuell, was zeichnete seine „Rolle in Opposition“ aus, mit welchen kritischen Gedichten erntete er seinen Ruhm. Um diese Frage zu erörtern, widme ich mich repräsentativen Gedichten. Ich werde die Gedichte „Die Tendenz, „Doktrin“, „Die schlesischen Weber“ und „Enfant perdu“ näher erläutern. Um die Gedichte in einen Gesamtkontext zu integrieren und ihr Verständnis zu erleichtern, widme ich mich knapp der Biographie Heines, wobei die Stationen, die mit seiner politischen Lyrik korrelieren, besonderes Gewicht erhalten. Ebenso wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich Heine von seinen oppositionellen Dichterkollegen unterscheidet.

2. Einordnung, Zeitumstände und biographische Aspekte Heines

Heine wusste, dass durch den Tod Goethes das „Ende der Kunstperiode“ erreicht war.[3] Literaturgeschichtlich steht er zwischen den Romantikern und Realisten, wobei er sich von den zeitgenössischen Autoren des Vormärz abgrenzen muss. Er steht an einer Zeitenwende: „Um meine Wiege spielten die letzten Mondlichter des achtzehnten und das erste Morgenrot des neunzehnten Jahrhunderts“.[4] Er wuchs im Geist der Romantik auf und reformierte sie, da jene durch Überfrachtungen, Banalitäten, Wiederholungen und Provinzialität in eine literarische Sackgasse gelangt war. „Trotz meiner exterminatorischen Feldzüge gegen die Romantik, blieb ich doch selbst immer ein Romantiker, und ich war es in einem höhern Grade, als ich selbst ahnte. Nachdem ich dem Sinne für romantische Poesie in Deutschland die tödlichsten Schläge beigebracht, beschlich mich selbst wieder eine unendliche Sehnsucht nach der blauen Blume der Romantik, und ich ergriff die bezauberte Laute und sang ein Lied, worin ich mich allen holdseligen Übertreibungen, aller Mondscheintrunkenheit, allem blühenden Nachtigallen-Wahnsinn der einst so geliebten Weise hingab. Ich weiß, es war „das letzte freie Waldlied der Romantik“, und ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward.[5] Erst Heine ebnete den Weg für die Schule der ernstzunehmenden modernen Poesie, die nicht mehr objektiv, episch und naiv, sondern subjektiv, lyrisch und reflektierend ist.[6] Zu diesem Stil gehörte in entscheidendem Maße die kunstvoll kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt. In Heines Person und Werk spiegelte sich die Zerrissenheit der Welt. Er erlebte das Absterben der Stände und die Geburt der Klassen. Heines Biographie wird v.a. durch folgende Umstände geprägt, die maßgeblichen Einfluss auf seine politische Dichtung ausübten.

Obwohl er nach der französischen Revolution geboren wurde, waren deren Impulse für ihn stets virulent. Die Forderung nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ wirkte noch lange nach und war Vorbild für sämtliche Oppositionsbewegungen in Europa, mit denen Heine sich größtenteils identifizierte. Napoleons Besatzung, die französische Herrschaft in Düsseldorf erlebte er unmittelbar. Für Harry Heine, der als Jude aufwuchs, bedeutete der „Code Napoleon“ eine Emanzipation in bürgerrechtlicher Hinsicht. Man darf nicht unterschätzen, wie sehr seine Huldigung Napoleons, den er als Kind in Düsseldorf persönlich sah, von dieser Tatsache abhing. Für seine politische Lyrik war die jüdische Herkunft ebenfalls konstituierend: „Dass ich aber einst die Waffen ergriff, dazu war ich gezwungen durch fremden Hohn, durch frechen Geburtsdünkel – in meiner Wiege lag schon die Marschroute für das ganze Leben“.[7]

Heine besuchte 1827 London, die Hauptstadt eines wahren „Empires“, damals die größte Metropole der Welt, die in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht führend war und als Ort des klassischen Parlamentarismus galt.[8] Er verbrachte vier Monate in London. Konfrontiert mit der Großindustrie, dem internationalen Handel und den Auswüchsen der Industrialisierung, also dem Massenelend, das durch die frühkapitalistische Entwicklung evoziert worden war, stellte die Reise für ihn, der aus dem provinziellen Düsseldorf stammte, insgesamt eine Enttäuschung dar. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, literarisch die schon anachronistische, vorbürgerlich-ständische Enge Deutschlands dem progressiven England entgegenzustellen.

Nach der Niederlage Napoleons und dem beginnenden Zeitalter der Metternichschen Restauration waren die deutschen Verhältnisse für Heine bedrückend geworden. Freiheitliche Tendenzen, wie der Ruf nach Demokratie oder Pressefreiheit, eine Reform des Wahlrechts usw. wurden mit allen Mitteln der Suprematie unterdrückt. Im Jahre 1819 - als Heine zu studieren begann - berief der österreichische Fürst von Metternich in seiner Funktion als Staatskanzler in Karlsbad eine Ministerkonferenz der größeren deutschen Teilstaaten ein, um den „demagogischen Umtrieben“ ein Ende zu bereiten. Anlass hierzu war die Ermordung August von Kotzebues durch einen Burschenschafter. Die Karlsbader Beschlüsse leiteten eine fast 30 Jahre dauernde Hetze gegen Demokraten und Liberale ein. Die Universitäten und Schulen wurden streng überwacht, die Burschenschaften gar verboten. Eine Kommission zur Untersuchung hochverräterischer Umtriebe wurde eingesetzt und die Zensurbestimmungen drastisch verschärft.

Die „drei glorreichen Tage“ im Juli 1830, als die aufständischen Pariser die Dynastie der Bourbonen ohne viel Blutvergießen vom Throne fegten, veränderten schlagartig die Atmosphäre in Europa. Der Bürgerkönig „Louis Philippe“ war für viele eine Galionsfigur der Hoffnung auf bessere, gerechtere Zeiten. Heine wusste, dass die soziale Frage zukünftig im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stünde und die Besitzlosen eigene Forderungen erheben würden. Der Wunsch Heines, dass die Bewegung auf andere Länder übergreifen könnte erfüllte sich nur teilweise. Im Gefolge der Julirevolution lösten die Belgier die auf dem Wiener Kongress beschlossene Zwangsehe mit den Niederlanden und das polnische Volk unternahm einen Aufstand gegen Russland. In Preußen und Österreich blieb es allerdings weitgehend ruhig. Die unveränderten Verhältnisse in seiner Heimat waren schließlich für eine Zäsur in Heines Lebenslauf verantwortlich: 1831, ein Jahr nach der Revolution in Frankreich, brach er nach Paris auf, wo inzwischen mehrere Emigranten, unter ihnen vornehmlich Künstler und Journalisten, der erdrückenden Enge Deutschlands entflohen und Zuflucht suchten, um dort ungehindert für ein liberales Deutschland einzustehen. Erst nach dem Bundestagsbeschluss[9] von 1835 gegen das „Junge Deutschland“ wurde Paris für Heine zum dauerhaften Exil. So wie er in Deutschland für die französische Revolution, die „französischen Zustände“ und die französische Kunst schwärmte, so rühmte er in Frankreich die deutsche romantische Schule, erläuterte deutsche Geschichte, Philosophie, Religion und Literatur. Er war somit ein Vermittler zwischen den Kulturen – ein Weltbürger, der sein Heimatland trotzdem liebte.

1848 kulminierten die demokratischen Bestrebungen in Deutschland zu einer Revolution. Heine nahm lebhaft an den Ereignissen teil; der Verlauf der Ereignisse missfiel ihm aber sehr. Das aufkommende preußische Nationalbewusstsein, die Auseinandersetzung mit den preußischen Monarchen und die Kritik an der Rolle der Kirche bestimmten seine Dichtungen fortan noch häufiger. Drei Jahre nach der als gescheitert anzusehenden deutschen Revolution sprach er sein politisches Glaubensbekenntnis aus: „Ich verharrte bei denselben demokratischen Prinzipien, denen meine früheste Jugend huldigte und für die ich seitdem immer flammender erglühte.“[10] Diese Bemühungen unterschieden sich jedoch wesentlich von der „Plebiscita der Tagestribunen“.[11]

3. Primat der Kunst

Heine war ein politischer Dichter, nicht ein dichtender Politiker. Er war ein engagierter Literat, aber von direkter Tendenzdichtung wollte er nichts wissen, da er keine künstlerischen Zugeständnisse machen wollte. Er verspottete sie, weil er sie für zwecklos hielt. „Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe und gar das Leben selbst der Zweck des Lebens ist“.[12] Er verweigerte seiner Dichtung die Orientierung an der Kurzfristigkeit und den Zeitgeschmack, für ihn blieb der Stil ausschlaggebend. Er wehrte sich gegen „gereimte Zeitungsartikel“.[13] Er verweigerte sich dem Nützlichkeitsdenken des freien Bürgertums, das die freie Poesie einem Nutzen unterwerfen wollte. Für ihn galt: „Der echte Demokrat schreibt, wie das Volk, herzlich schlicht und schlecht“.[14] Seine Dichtung sollte zum Weiterdenken animieren, er hat ein universales Weltbild, für ihn sind die Parolen seiner Kollegen häufig zu engstirnig und kurzsichtig. Niemals würde er sich als Karrengaul für die Belange irgendeiner Partei einspannen lassen. Er engagiert sich vehement, ist aber nicht ideologisch festgelegt. Aus der Retrospektive erläutert er das Verhalten seiner Kollegen während des sogenannten Vormärz:

Damals blühte die sogenannte politische Dichtkunst. Die Opposition verkaufte ihr Leder und ward Poesie. Die Musen bekamen die strenge Weisung, sich hinfür nicht mehr müßig und leichtfertig herumzutreiben, sondern in vaterländischen Dienst zu treten, etwa als Marketenderinnen der Freiheit oder als Wäscherinnen der christlich-germanischen Nationalität. Es erhub sich im deutschen Bardenhain ganz besonders jener vage, unfruchtbare Pathos, jener nutzlose Enthusiasmusdunst, der sich mit Todesverachtung in einen Ozean von Allgemeinheiten stürzte und mich immer an den amerikanischen Matrosen erinnerte, welcher für den General Jackson so überschwänglich begeistert war, dass er einst von der Spitze eines Mastbaums ins Meer hinabsprang, indem er ausrief: „Ich sterbe für den General Jackson!“ Ja, obgleich wir Deutschen noch keine Flotte besaßen, so hatten wir doch schon so viele Matrosen, die für den General Jackson starben, in Versen und in Prosa“.[15]

[...]


[1] Briegleb, 2,382

[2] Zit. nach: Höhn, Handbuch, S. 8

[3] Windfuhr, Heine, S. 129

[4] Briegleb, 6,1, 645

[5] Briegleb, 6,1, 447

[6] Große, S. 20

[7] Zit. nach: Hauschild / Werner, S. 12

[8] Grab, S. 23

[9] abgedruckt in: Hauschild / Werner, S. 86

[10] Zit. n.: Grab, S. 12

[11] Briegleb, 4, 495

[12] Zit. n.: Große, S. 17

[13] Briegleb, 5, 438

[14] Zit. n. Große, S. 16

[15] Briegleb, 4, 494

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Heinrich Heine - Leben und Werk in Opposition, dargestellt am Beispiel seiner Lyrik
Note
1,3
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V19624
ISBN (eBook)
9783638237000
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Universitäre Hauptseminararbeit.
Schlagworte
Heinrich, Heine, Leben, Werk, Opposition, Beispiel, Lyrik
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