Arbeitsvertragliche Freistellungsklauseln. Arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen


Diplomarbeit, 2011

77 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers
2.1 Begriff
2.2 Inhalt
2.2.1 Bestehendes Arbeitsverhältnis als Grundvoraussetzung
2.2.2 Allgemeines ideelles Beschäftigungsinteresse
2.2.3 Recht auf faktische und vertragsgemäße Beschäftigung
2.2.4 Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers
2.3 Rechtsgrundlage
2.4 Rechtsnatur
2.5 Grenzen des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs
2.5.1 Schutzwürdige, überwiegende Arbeitgeberinteressen
2.5.2 Die Dispositivität des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs

3 Die Freistellung des Arbeitnehmers
3.1 Begriff
3.1.1 Abgrenzung
3.2 Rechtliche Einordnung
3.3 Ausprägungen einer Freistellung
3.4 Freistellungsgründe

4 Einseitige Freistellung
4.1 Rechtslage beim laufenden Arbeitsverhältnis
4.1.1 Interessenabwägung bei Vorliegen von sachlichen Gründen
4.1.1.1 Schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers
4.1.1.2 Schutzwürdige Interessen des Arbeitnehmers
4.2 Rechtslage beim gekündigten Arbeitsverhältnis
4.3 Kritik an der Interessenabwägung im Einzelfall

5 Individualvertragliche Freistellung

6 Formularmäßige Freistellung
6.1 Rechtslage vor der Schuldrechtsreform
6.2 Rechtslage nach der Schuldrechtsreform
6.2.1 Grundzüge der AGB-Kontrolle
6.2.1.1 Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle auf Arbeitsverträge
6.2.1.2 Prüfungsfolge bei der AGB-Kontrolle
6.3 Zulässigkeit von formularmäßigen Freistellungsklauseln
6.3.1 Rechtslage beim laufenden Arbeitsverhältnis
6.3.1.1 Vorbehaltslose Freistellungsklauseln
6.3.1.2 Akzessorische Freistellungsklauseln
6.3.2 Rechtslage beim gekündigten Arbeitsverhältnis
6.3.3 Freistellung von leitenden Angestellten/Führungskräften
6.4 Die Ausübung einer Freistellungsbefugnis gemäß § 315 I BGB
6.5 Auswirkungen auf Arbeitsverträge vor dem

7 Arbeitsrechtliche Konsequenzen einer Freistellung
7.1 Vergütungspflicht
7.1.1 Fixe Vergütung
7.1.1.1 Einseitig berechtigte Freistellung
7.1.1.2 Einseitig unberechtigte Freistellung
7.1.1.3 Einvernehmliche Freistellung
7.1.2 Leistungs- und erfolgsabhängige Vergütung
7.1.2.1 Einseitig berechtigte Freistellung
7.1.2.2 Einseitig unberechtigte Freistellung
7.1.2.3 Einvernehmliche Freistellung
7.2 Dienstwagen
7.3 Wettbewerbsverbot
7.4 Nebenverdienst
7.5 Urlaub und Ausgleich von Zeitguthaben (Arbeitszeitkonto)
7.6 Musterformulierung zur Freistellungserklärung
7.7 Sonstige vertragliche Nebenpflichten
7.8 Schadensersatz, Schmerzensgeld

8 Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen einer Freistellung
8.1 Versicherungsschutz
8.1.1 Frühere Ansicht der Sozialversicherungsträger
8.1.2 Aktuelle Ansicht der Sozialversicherungsträger
8.2 Melde- und Hinweispflichten
8.3 Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe

9 Ausblick

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Vielfach finden sich in Arbeitsverträgen Freistellungsvereinbarungen, die dem Arbeitgeber das Recht einräumen, den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen. Häufig steht eine Freistellung des Arbeitnehmers auch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang. Nach Ausspruch einer Kündigung – egal von welcher Seite – hat ein Arbeitgeber häufig kein Interesse mehr an einer tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers. Gründe hierfür auf der Arbeitgeberseite sind vielfältig.

Denkbar sind beispielsweise Befürchtungen des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer sich während der Kündigungsfrist nicht mehr mit vollem Einsatz am Arbeitsplatz einbringt. Oder aber, dass der Arbeitnehmer das Betriebsklima negativ beeinflussen könnte. Aber auch Probleme zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder etwa persönliche Differenzen mit Kollegen können ein Freistellungsinteresse des Arbeitgebers begründen. Auch der Verdacht des Geheimnisverrats kann einen Freistellungsgrund darstellen.

Aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG ist die Vertragsfreiheit der Parteien geschützt. Diese Privatautonomie erlaubt es den Parteien, den Inhalt eines Vertrages selbst zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund könnte man meinen, dass nichts gegen eine Freistellungsvereinbarung der Arbeitsvertragsparteien einzuwenden ist. So einfach ist die Beurteilung der Rechtslage indes nicht. Mit Urteil vom 10.11.1955 erkannte das BAGden Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers erstmals allgemein an. Der Arbeitgeber habe den Arbeitnehmer während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz gemäß Art. 1, 2 GG auch tatsächlich zu beschäftigen.[1] Eine Freistellung des Arbeitnehmers ohne dessen Zustimmung sei nur dann unter Fortzahlung der Vergütung vorübergehend möglich, wenn schutzwürdige, überwiegende Interessen des Arbeitgebers vorlägen.[2] In den Entscheidungsgründen führte das Gericht zudem an, dass die Freistellung des Arbeitnehmers auch nach Ausspruch einer Kündigung für den Lauf der Kündigungsfrist in Betracht käme.[3] Hierbei handelte es sich allerdings um eine missverständliche Formulierung, wie das BAG in einem späteren Urteil korrigierend feststellte.[4] Doch dazu später mehr.

Offensichtlich greift eine Suspendierung in den aus dem Grundgesetz abgeleiteten allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ein. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob und unter welchen Prämissen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses von der Arbeit freistellen kann. In diesem Lichte soll mit der vorliegenden Arbeit zunächst das Rechtsinstitut des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs näher beleuchtet und etwaige Grenzen bestimmt werden. Nur dort, wo der allgemeine Beschäftigungsanspruch möglicherweise nicht besteht, kann Raum für eine rechtmäßige Freistellung des Arbeitnehmers sein.

In diesem Kontext werden mit dieser Untersuchung etwaige Freistellungsmöglichkeiten des Arbeitgebers aufgezeigt. Hierbei wird insbesondere zu klären sein, ob und inwieweit der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien steht. Diesbezüglich soll mit der vorliegenden Arbeit auch die spannende Frage beantwortet werden, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen arbeitsvertragliche Freistellungsvereinbarungen zulässig sind und welche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. In diesem Zusammenhang werden neben individualvertraglichen Freistellungsvereinbarungen die in der Praxis weitaus häufiger vorkommenden formularmäßigen Arbeitsvertragsbestimmungen, die AGBentsprechen, auf ihre Wirksamkeit überprüft. Seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002 unterliegen formularmäßige Arbeitsverträge der AGB-Kontrolle, was nicht unproblematisch ist. Diesbezüglich stellt Strehlein dar, dass vorformulierte Arbeitsvertragsklauseln vor dem 01.01.2002 von einer AGB-Kontrolle ausgenommen gewesen seien und stattdessen einer gerichtlichen Wirksamkeitsprüfung gemäß der §§ 134, 138, 242, 315 BGBunterlegen hätten. Nunmehr müssten AGB der gesetzlich normierten Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB standhalten, deren Auswirkungen auf die Zulässigkeit von arbeitsvertraglichen Freistellungsklauseln weitgehend ungeklärt seien.[5]

Darüber hinaus besteht ein weiteres Problem: Die herrschende Meinung lehnt bei AGB die so genannte geltungserhaltende Reduktion einer Klausel ab.[6] Die Folge, so Tödtmann und Kaluza, sei, dass eine unwirksame Klausel komplett wegfalle und durch die gesetzlichen Regelungen ersetzt werde. Diese gesetzlichen Regelungen würden häufig für Arbeitgeber zu einer schlechteren Rechtsposition führen.[7] Es leuchtet ein, dass die bestehende Rechtslage im Hinblick auf AGB seit dem 01.01.2002 nicht ohne Brisanz ist.

Freilich ist die Freistellung des Arbeitnehmers auch aus anderer Sicht nicht ohne Zündstoff. Wie verhält es sich beispielsweise mit der Fortzahlung der Vergütung während der Freistellungszeit? Muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Vergütung weiterhin bezahlen, ohne dass dieser tatsächlich eine Arbeitsleistung erbringt? Was passiert mit den Urlaubsansprüchen des Arbeitnehmers? Darf der Freigestellte während einer Freistellung eine Nebentätigkeit ausüben oder gar einer Konkurrenztätigkeit nachgehen? Besteht Versicherungsschutz in der Sozialversicherung im Falle einer Freistellung? Hat der Arbeitgeber bei einer Freistellung Hinweispflichten gegenüber dem Arbeitnehmer zu erfüllen? Alle diese Fragen skizzieren bereits, mit welchen zahlreichen und gleichsam komplexen Konsequenzen eine Freistellung verbunden ist. Im Rahmen dieser Analyse sollen die arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen beleuchtet werden. Abgestellt wird hierbei insbesondere auf die Folgen einer Freistellung im Zusammenhang mit der Kündigung von Arbeitsverhältnissen.

Vorausgesetzt wird das unstreitig bestehende Arbeitsverhältnis. Dementsprechend beschränkt sich die vorliegende Analyse auf den allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Etwa bestehende Weiterbeschäftigungsansprüche, die in Beziehung mit schwebenden Arbeitsverhältnissen stehen, bleiben außer Betracht. Ein Schwebezustand kann etwa durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber entstehen.[8] Oder aber durch Erhebung einer Befristungskontrollklage zur Überprüfung der Zulässigkeit einer arbeitsvertraglichen Befristung.[9]

2 Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers

Das Dienstvertragsrecht gemäß §§ 611 ff. BGB wurde vom Gesetzgeber bereits im 19. Jahrhundert kodifiziert.[10] Es lässt sich in zwei Ausprägungen kategorisieren, nämlich einerseits in die selbstständigen Dienstverträge und andererseits die unselbstständigen, abhängigen und fremdbestimmten Dienstverhältnisse.[11] Die Arbeitsverträge sind grundsätzlich den unselbstständigen Dienstverträgen zuzuordnen.[12] Demnach sind die Rechtsnormen des Dienstvertragsrechts ebenfalls für Arbeitsverhältnisse einschlägig. Dem Wortlaut des § 611 BGB nach ist dem Dienstvertragsrecht ein Beschäftigungsanspruch nicht bekannt. Betrachtet man die für die Arbeitsvertragsparteien in § 611 I BGB normierten Pflichten, lassen sich lediglich die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers sowie die Vergütungspflicht des Arbeitgebers erblicken. Mit Ausnahme des Beschäftigungsanspruchs von schwerbehinderten Menschen gemäß § 81 IV Nr.1 SGB IXexistiert keine ausdrücklich gesetzlich ausgestaltete Regelung zum Beschäftigungsanspruch.[13]

Dies ist auf die historische Entstehung des Dienstvertragsrechts des BGB zurückzuführen. Zur Zeit der Gesetzeskonzeption im 19. Jahrhundert, so das BAG, war man der Auffassung, dass den Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers keine Abnahmepflicht der angebotenen Leistung getroffen habe. Lediglich hinsichtlich der vereinbarten Vergütung sei der Arbeitgeber Schuldner gewesen. Nach dieser Rechtsauffassung hätte demnach keine Beschäftigungspflicht bestanden. Lediglich bestimmten Berufsgruppen wäre in Ausnahmefällen aufgrund des Vorliegens eines erhöhten Interesses an der Ausübung ihres Berufes ein Beschäftigungsanspruch zuerkannt worden.[14] Dies betraf etwa Künstler und Lehrlinge.[15] Diese Anschauung änderte sich erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949. Maßgeblichen Einfluss auf die Anerkennung eines allgemeinen Beschäftigungsanspruchs hatten die Grundrechte, die sich seit ihrer Geltung auf die Rechtsprechung auswirkten.[16] Durch ein Grundsatzurteil vom 10.11.1955 entschied das BAG, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses grundsätzlich auch zu beschäftigen habe.[17]

Das Gericht vertrat die Auffassung, dass beim Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer über seine Leistung hinaus als ganze Person erfasst werde. Nicht nur durch die Gehaltshöhe erhielte der Arbeitnehmer Anerkennung, sondern vielmehr dadurch, wie er seine Aufgaben erfülle. Insbesondere das gebe dem Arbeitnehmer in der Arbeitswelt seine Würde als Mensch. Mit der Berufsbetätigung hätte der Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, sich fortzubilden und seine Persönlichkeit zu entfalten. Der Arbeitgeber hätte im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz gemäß Art.1, 2 GG alles zu unterlassen, was die Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers beeinträchtigen könne.[18]

Durch die Entscheidung des BAG wurde der Pflichtenkatalog des Arbeitgebers bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis über die bereits gesetzlich normierte Pflicht der Zahlung der Vergütung gemäß § 611 I 2. Hs. BGB hinaus um die Abnahmepflicht der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erweitert. Mit dem Grundsatzurteil vom 10.11.1955 bejahte das BAG erstmals einen aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers, denn der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers auf der einen Seite entspricht der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers auf der anderen Seite[19]. Seit dieser Zeit bejahte das BAG mit großer Übereinstimmung in der Literatur den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers während eines Arbeitsverhältnisses.[20] Einen vorübergehenden Schlusspunkt in der Jurisprudenz stellte im Hinblick auf die Anerkennung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs allerdings ein richtungsweisender Beschluss des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 dar.[21]

Das BAG bestätigte mit seiner Entscheidung nochmals ausdrücklich den allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers und bejahte diesen Anspruch auch im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsanspruch im gekündigten Arbeitsverhältnis.[22] Den Anspruch jedoch leitete der Große Senat nicht mehr unmittelbar aus den Grundrechten sondern aus dem Arbeitsvertragsrecht ab. Doch dazu später bei der Klärung der Rechtsgrundlage des Beschäftigungsanspruchs mehr. Nach diesen Ausführungen kann festgehalten werden, dass der allgemeine Beschäftigungsanspruch von der Rechtsprechung als Rechtsinstitut entwickelt wurde und heute generell anerkannt ist. Zur Beantwortung der Frage, ob und inwieweit der Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers überhaupt mit einer Freistellung rechtmäßig ablehnen kann, ist es unerlässlich, zunächst Begriff, Inhalt, Rechtsgrundlage und Rechtsnatur des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs zu bestimmen. Sodann ist es erforderlich, die etwa bestehenden Grenzen festzulegen, denn nur dort, wo der Beschäftigungsanspruch offensichtlich nicht besteht, kann Raum für eine zulässige Freistellung des Arbeitnehmers sein.

2.1 Begriff

Unter dem Begriff des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs wird das arbeitsvertragliche Recht des Arbeitnehmers verstanden, während eines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber nicht nur bezahlt, sondern tatsächlich auch vertragsgemäß beschäftigt zu werden.[23]

2.2 Inhalt

2.2.1 Bestehendes Arbeitsverhältnis als Grundvoraussetzung

Besteht ein Arbeitsverhältnis, so hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Zeitraumes zwischen Beginn und Ende des Vertragsverhältnisses auch grundsätzlich zu beschäftigen, so entschied das BAG mit Urteil vom 10.11.1955.[24]

Demnach ist zur Begründung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs einerseits die Existenz eines Arbeitsvertrags erforderlich, andererseits kann aus dem Urteil des BAG gefolgert werden, dass dieses Recht nur innerhalb des Zeitraums eines bestehenden Arbeitsverhältnisses beansprucht werden kann. In Abgrenzung zum so genannten Weiterbeschäftigungsanspruch, der sich auf ein streitiges Arbeitsverhältnis bezieht, besteht der allgemeine Beschäftigungsanspruch grundsätzlich, wenn das Arbeitsverhältnis unstreitig besteht.[25]

2.2.2 Allgemeines ideelles Beschäftigungsinteresse

Die Rechtsprechung setzt beim Arbeitnehmer ein allgemeines ideelles Beschäftigungsinteresse voraus, welches letztlich die Causa des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs darstellt.[26] Die Auffassung des BAG, dass der Empfindung nach die Arbeitsleistung weniger eine Bürde, denn Möglichkeit ist, sich selbst zu entfalten und soziale Kontakte zu knüpfen, wird in der Literatur geteilt.[27] Dem Arbeitnehmer werde, so Dörner, ein Beschäftigungsanspruch zuerkannt, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer im Einzelfall tatsächlich an der Arbeitsleistung interessiert sei, diese als Last oder nach seinem Empfinden nicht der Entfaltung seiner Persönlichkeit dienend ansehe. Weiterhin spiele es keine Rolle, ob eine Vor- oder Ausbildung des Arbeitnehmers erforderlich sei, oder ob es sich um eine höher- oder geringwertigere Tätigkeit handele.[28]

2.2.3 Recht auf faktische und vertragsgemäße Beschäftigung

Darüber hinaus ist dem allgemeinen Beschäftigungsanspruch nicht nur das Recht des Arbeitnehmers immanent, bei einem bestehenden Arbeitsvertrag vom Arbeitgeber eine faktische Beschäftigung zu verlangen. Vielmehr kann er vom Arbeitgeber einfordern, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Tätigkeit auszuüben.[29]

Ist ein Arbeitnehmer beispielsweise vertragsgemäß als Fliesenleger beschäftigt, so ist ihm auch ein dieser Funktion entsprechender Aufgabenbereich zuzuordnen. Der Arbeitgeber kann weder eine Tätigkeit anweisen, die sich nicht mit der vertraglichen Vereinbarung deckt, noch ein reines Nichtstun anordnen.[30] Hieraus wird bereits deutlich, dass das dem Arbeitgeber gemäß § 106 S. 1 GewOzustehende Direktionsrecht tangiert wird. Diesbezüglich schränken die Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers das Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers ein.[31]

2.2.4 Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers

Mit der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers verbunden sind jedoch auch Mitwirkungspflichten, die ihn zu einem positiven Tun anhalten. Um dem Arbeitnehmer die Ausübung der vertraglich vereinbarten Tätigkeit zu ermöglichen, hat der Arbeitgeber alle hierfür erforderlichen Handlungen vorzunehmen.[32] Die in der Regel im Arbeitsvertrag nur der Gattung nach bezeichnete Tätigkeit hat der Arbeitgeber etwa durch Weisungen zu konkretisieren.[33] Mithin wandelt sich hinsichtlich der Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs das Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Direktionspflicht.[34]

2.3 Rechtsgrundlage

Mit seinem grundlegenden Urteil vom 10.11.1955 leitete das BAG den Beschäftigungsanspruch unmittelbar aus den Grundrechten ab (Persönlichkeitsschutz gemäß Art. 1, 2 GG).[35] Ursprünglich handelte es sich beim Beschäftigungsanspruch folglich um ein verfassungsgemäßes Recht. Damals war das BAG der Auffassung, dass die Grundrechte auch das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien erfassen und deshalb unmittelbar gelten (Lehre der „unmittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte).[36] Allerdings änderte die Rechtsprechung im Laufe der Zeit ihre Ansicht. Ausschlaggebend hierfür war die sich seit 1955 ändernde Ansicht im Hinblick auf das Verhältnis der Grundrechte und der Arbeitsrechtsordnung aufgrund der Lehre der nur „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte.[37]

Die bis heutige gültige Rechtsauffassung zur Rechtsgrundlage des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs ist einem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 zu entnehmen, mit dem der Richtungswechsel eingeleitet wurde. Wie das BAG darstellt, rühre der Anspruch des Arbeitnehmers, vertragsgemäß beschäftigt zu werden, aus dem Arbeitsvertragsrecht her. Demnach seien die §§ 611, 613 i. V. m.242 BGB als Anspruchsgrundlage einschlägig, wobei § 242 BGB durch die Wertentscheidungen der Art. 1, 2 GG ausgefüllt werde.[38] Der Große Senat leitete folglich den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nicht mehr unmittelbar aus den Grundrechten ab, sondern stellte diesen Anspruch auf eine privatrechtliche Grundlage. Damit vollzog die Rechtsprechung einen Wandel von der Lehre der „unmittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte hin zur Lehre der „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte. Dadurch entfalteten die Grundrechte nunmehr ihre Wirkung indirekt über die Generalklausel des § 242 BGB.

2.4 Rechtsnatur

Fraglich ist, wie die Rechtsnatur der Beschäftigungspflicht beziehungsweise der hiermit korrespondierende Beschäftigungsanspruch[39] zu qualifizieren ist. Wie bereits dargelegt wurde (s. unter 2), existiert mit Ausnahme des Beschäftigungsanspruchs von schwerbehinderten Menschen gemäß § 81 IV Nr. 1 SGB IX keine ausdrücklich gesetzlich ausgestaltete Regelung zum Beschäftigungsanspruch[40].

Aus dem Dienstvertragsrecht gemäß § 611 I BGB ergeben sich als Hauptvertragspflichten für die Arbeitsvertragsparteien lediglich die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers auf der einen Seite und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers auf der anderen Seite.[41]

Der allgemeine Beschäftigungsanspruch wurde im Wege der Rechtsfortbildung von der Rechtsprechung entwickelt. Allerdings hat das BAG zur Frage der Einordnung der Rechtsnatur bisher keine Stellung bezogen. In der Literatur existiert ein Meinungsstreit darüber, ob die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers eine weitere Hauptpflicht des Arbeitsvertrages darstellt oder als vertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 II BGB zu qualifizieren ist. Freilich würde eine umfassende Erörterung dieser Kontroverse aufgrund der Themenstellung dieser Arbeit zu weit führen.

Der Meinungsstreit ist darüber hinaus für die vorliegende Untersuchung nicht essenziell und daher entbehrlich. Die herrschende Meinung in der Literatur vertritt die zutreffende Auffassung, dass die Beschäftigungspflicht eine vertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 II BGB ist.[42] Hiernach entsteht die Beschäftigungspflicht als vertragliche Nebenpflicht allein mit Begründung des Arbeitsvertrages unabhängig von einer ausdrücklichen Vereinbarung im Vertrag. Anerkannt sei heute, dass ähnlich wie bei der Abnahmepflicht des Käufers beim Kaufvertrag oder des Bestellers beim Werkvertrag (§§ 433 II, 640 I S. 1 BGB) auch im Hinblick auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers eine Abnahmepflicht des Arbeitgebers bestehe.[43]

Losgelöst von der Kontroverse um die Rechtsnatur der Beschäftigungspflicht haben die Parteien jedenfalls im Rahmen der Vertragsfreiheit die Möglichkeit, Vereinbarungen autonom zu gestalten. So kann die Beschäftigungspflicht als Hauptleistungspflicht explizit im Arbeits- oder Tarifvertrag vereinbart werden, sie kann sich aber auch etwa stillschweigend oder konkludent durch rechtsgeschäftliche Auslegung ergeben.[44] Solche Vereinbarungen wird man bei Mitgliedern von Berufsgruppen annehmen können, die ein erhöhtes Beschäftigungsinteresse haben, weil sie etwa ständig in Übung bleiben müssen (z. B. Lehrlinge, Künstler) oder gehalten sind, ihre Fähigkeiten zu erhalten und zu erweitern (z. B. Wissenschaftler).[45] Im Unterschied zur Qualifizierung der Beschäftigungspflicht als vertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 II BGB entsteht vorliegend die Beschäftigungspflicht als vertragliche Hauptleistungspflicht nicht allein durch die Begründung des Arbeitsvertrages, sondern darüber hinaus durch die explizite Vereinbarung dieser Pflicht im Vertrag.

2.5 Grenzen des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs

Um beurteilen zu können, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine Freistellung des Arbeitnehmers wirksam ist, ist die Bestimmung etwaiger Grenzen des Beschäftigungsanspruchs erforderlich und unumgänglich. Freilich kann eine Freistellung nur dann zulässig sein, wenn der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nicht besteht.

2.5.1 Schutzwürdige, überwiegende Arbeitgeberinteressen

Wie das BAG festgestellt hat, ist die einseitige Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit durch den Arbeitgeber aufgrund des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs grundsätzlich nicht möglich.[46] Andererseits hat das Gericht klargestellt, dass der Arbeitgeber in Ausnahmefällen zu einer vorübergehenden Freistellung des Arbeitnehmers berechtigt sein kann, wenn schutzwürdige und überwiegende Interessen des Arbeitgebers vorliegen.[47] Insoweit fordert die Rechtsprechung als Voraussetzung für die Freistellung des Arbeitnehmers das Vorliegen eines sachlichen Grundes.[48] Hieraus folgt, dass der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers dann zurücktreten muss, wenn schützenswerte, überwiegende Arbeitgeberinteressen vorliegen.

2.5.2 Die Dispositivität des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs

Aus der Entscheidung des BAG, dass der Arbeitnehmer die vertragsgemäße Beschäftigung vom Arbeitgeber verlangen könne[49], kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass der Arbeitnehmer auf den Beschäftigungsanspruch verzichten kann. Das BAG sieht den Beschäftigungsanspruch als nicht zweiseitig zwingend an, demzufolge kann er dem Arbeitnehmer nicht aufgedrängt werden.[50] Der allgemeine Beschäftigungsanspruch ist folglich grundsätzlich dispositiv.

Er kann von den Arbeitsvertragsparteien abbedungen werden. Allerdings ist die Dispositivität des Beschäftigungsanspruchs hinsichtlich Umfang und Grenzen nicht unumstritten.[51]

Geklärt ist demzufolge, dass der Beschäftigungsanspruch dort seine Grenzen findet, wo einerseits schutzwürdige, überwiegende Arbeitgeberinteressen bestehen oder dieser andererseits aufgrund der Dispositivität von den Arbeitsvertragsparteien wirksam abbedungen wird.

Im Hinblick auf die ausgeloteten Grenzen ist nachfolgend zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine arbeitgeberseitige Freistellung des Arbeitnehmers möglich ist. Diesbezüglich ist es zunächst erforderlich, sich mit der Freistellung an sich auseinanderzusetzen und sodann nachfolgend die einzelnen Freistellungsmöglichkeiten zu beleuchten.

3 Die Freistellung des Arbeitnehmers

3.1 Begriff

Der Begriff der „Freistellung“ ist im Gesetz nicht geregelt[52], synonym wird häufig in diesem Zusammenhang auch die „Suspendierung“ genannt[53]. Verstanden wird unter diesen Begriffen die Befreiung des Arbeitnehmers von der Erbringung der Arbeitspflicht.[54]

3.1.1 Abgrenzung

Der Begriff der Freistellung beziehungsweise der Suspendierung im vorstehenden Sinne umfasst nicht die arbeitgeberseitige Verweigerung der Beschäftigung des Arbeitnehmers bei Aussperrung im Arbeitskampf und bei der Einführung von Kurzarbeit.[55] Eine weitere Abgrenzung ergibt sich daraus, dass diese Arbeit ausschließlich die arbeitgeberseitigen Freistellungsmöglichkeiten untersucht. Insoweit bleiben Freistellungsansprüche des Arbeitnehmers, die sich etwa aus dem Gesetz (z. B. gemäß §§ 616, 629 BGB), einem Tarifvertrag, einer betrieblichen Übung oder aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung usw.ergeben können, unberücksichtigt.

3.2 Rechtliche Einordnung

Eine Freistellung führt zum Ruhen der ein- oder beidseitigen Hauptleistungspflichten des Arbeitsvertrags[56], ohne dass das Arbeitsverhältnis beendet wird[57]. Dementsprechend bestehen bei einer Freistellung die vertraglichen Nebenpflichten fort.[58] Eine Verletzung dieser Pflichten kann zu einem Schadensersatzanspruch oder sogar zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.[59] Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen bei einer Freistellung nicht, da kein anderer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird und insofern keine Versetzung gemäß § 95 III S. 1 BetrVG vorliegt, die nach § 99 BetrVGder Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.[60] Hinsichtlich des Sprecherausschusses gilt das Gleiche, da die Beteiligung der Interessenvertretung der leitenden Angestellten nur bei Vorliegen einer Kündigung gemäß § 31 II SprAuGgreift.[61]

3.3 Ausprägungen einer Freistellung

Eine Freistellung kann als „bezahlte Freistellung“ oder „unbezahlte Freistellung“ erfolgen.[62] Im ersten Fall bleibt die Vergütungspflicht des Arbeitgebers bei einer Freistellung bestehen, im zweiten Fall entfällt die Vergütungspflicht.[63] Weiterhin kann eine Freistellung unterschieden werden in eine „einvernehmliche Freistellung“ und „einseitige Freistellung“.[64] Bei der einvernehmlichen Freistellung einigen sich die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen der Vertragsfreiheit in der Weise, dass der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers vertraglich abbedungen wird, was grundsätzlich aufgrund der Dispositivität des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs möglich ist[65]. Die einvernehmliche Freistellung unterteilt sich nochmals in die individualvertragliche und formularmäßige Freistellung. Diese beiden Varianten werden später noch hinreichend erläutert.

Bei der einseitigen Freistellung erfolgt die Freistellung des Arbeitnehmers ohne dessen Zustimmung, mithin ohne vertragliche Grundlage, durch den Arbeitgeber. Unter welchen Voraussetzungen eine einseitige Freistellung des Arbeitnehmers möglich ist, wird später noch gezeigt werden. Im Zusammenhang mit der einseitigen Freistellung kann eine Freistellung „berechtigt“ oder „unberechtigt“ sein.[66] Wo der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers besteht, kann eine Freistellung des Arbeitgebers nicht berechtigt sein.[67] Umgekehrt ist eine Freistellung nicht unberechtigt, wenn der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nicht besteht.[68]

Schließlich kann eine Freistellung noch in die „widerrufliche Freistellung“ und „unwiderrufliche Freistellung“ unterteilt werden.[69]

Bei der widerruflichen Freistellung behält sich der Arbeitgeber vor, den Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu beschäftigen[70], bei der unwiderruflichen Freistellung ist der Arbeitnehmer bis zum Ende der Freistellung nicht mehr verpflichtet, die Arbeitsleistung zu erbringen.[71] Die unwiderrufliche Freistellung ist eine einseitige Willenserklärung, die vom Arbeitgeber nicht ohne weiteres zurückgenommen werden kann, erforderlich ist vielmehr zur Wiederaufnahme beziehungsweise Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien.[72] Im Zweifel sei, so Kramer, im Wege der Auslegung der Erklärung des Arbeitgebers zu ermitteln, ob eine widerrufliche oder unwiderrufliche Freistellung ausgesprochen worden sei. Stelle der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit der Erklärung frei, dass dieser die Arbeitsleistung nicht mehr zu erbringen brauche, liege in dieser Anordnung mangels weiterer Zusätze nach dem BAG eine widerrufliche Freistellung vor. Sei die Freistellungserklärung hingegen Bestandteil des Kündigungsschreibens, würde aufgrund der Nennung des Kündigungstermins der Freistellungszeitraum zeitlich feststehen, weshalb dann regelmäßig von einer unwiderruflichen Freistellung ausgegangen werde.[73]

3.4 Freistellungsgründe

Arbeitgeberseitige Gründe für eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit sind vielfältig. Zu nennen sind etwa Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern untereinander oder des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber, die Störung des Betriebsfriedens, Auftragsmangel, Absatzstockungen oder die Stilllegung einzelner Betriebsteile.[74] Im Falle der Kündigung des Arbeitsverhältnisses – egal von welcher Seite – kann der Arbeitgeber grundsätzlich das Interesse hegen, den Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist von der Erbringung der Arbeitsleistung zu entbinden, da er diesen im Betrieb nicht mehr sehen will. Zudem befürchten Arbeitgeber oft, dass Arbeitnehmer beim gekündigten Arbeitsverhältnis während der Kündigungsfrist die Arbeitsleistung nicht mehr mit der erforderlichen Motivation erbringen oder beispielsweise die verbleibende Zeit dazu nutzen, den Arbeitgeber bei Kollegen, Kunden, Lieferanten usw. in Misskredit zu bringen. Bei leitenden Angestellten hat der Arbeitgeber häufig ein besonderes Freistellungsinteresse aufgrund der besonderen Stellung dieser Personengruppe und einem Vertrauensverlust bei einer Kündigung.[75] Bei Arbeitnehmern, die Zugang zu sensiblen Unternehmensdaten haben und zu einem Konkurrenzunternehmen abwandern, kann der Arbeitgeber ebenfalls aufgrund der Gefahr des Verrats von Betriebsgeheimnissen ein Freistellungsinteresse hegen.[76] Außerdem denkbare Freistellungsgründe sind ansteckende Krankheiten des Arbeitnehmers oder der Verdacht von Straftaten[77], sowie alle Gründe, die mit einer personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigung im Zusammenhang stehen und darüber hinaus auch alle Gründe, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen würden[78].

Indes rechtfertigt nicht jeder der aufgeführten Gründe generell eine Freistellung des Arbeitnehmers, wie später noch gezeigt wird. Ob ein Freistellungsgrund eine Suspendierung rechtfertigt, hängt darüber hinaus auch von der jeweils gewählten Freistellungsart ab. Die Unterschiede werden bei der Abhandlung der nachfolgenden Freistellungsarten dargestellt.

4 Einseitige Freistellung

4.1 Rechtslage beim laufenden Arbeitsverhältnis

Ohne vertragliche Grundlage ist die einseitige Freistellung des Arbeitnehmers beim laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht möglich.[79] Liegen allerdings ausnahmsweise sachliche Gründe beziehungsweise schutzwürdige, überwiegende Interessen des Arbeitgebers vor, muss der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zurücktreten.[80]

4.1.1 Interessenabwägung bei Vorliegen von sachlichen Gründen

Das Vorliegen von schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers führt jedoch nicht obligatorisch zum Wegfall des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers. Vielmehr ist nach Vorgaben des BAG eine umfassende Interessenabwägung durchzuführen, bei der alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.[81] Schließlich stellt die Freistellung des Arbeitnehmers einen Eingriff in dessen mittelbar aus den Grundrechten abgeleiteten Beschäftigungsanspruch gemäß Art. 1, 2 GG dar.

Allerdings bezieht der Arbeitgeber bei einem ausnahmsweise gerechtfertigten Eingriff in den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers seine Rechtsgrundlage ebenfalls aus einem Grundrecht (geschützte unternehmerische Freiheit gemäß Art. 12 I GG).[82] Diese sich gegenüberstehenden geschützten Grundrechte sind im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung in der Weise auszugleichen, dass beiden Grundrechtspositionen genüge getan wird.[83]

Nachfolgend soll ein kurzer Überblick über die sich gegenüberstehenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien gegeben werden.

4.1.1.1 Schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers

Als schutzwürdige Arbeitgeberinteressen beziehungsweise sachliche Gründe, die die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers im Einzelfall überwiegen können, kommen insbesondere in Betracht:

- bei Wegfall der Vertrauensgrundlage
- bei bestehender Gefahr des Verrats von Betriebsgeheimnissen
- wenn keine Einsatzmöglichkeit besteht
- wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung wirtschaftlich unzumutbar ist

[...]


[1] BAG, Urt. v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, NJW 1954, 359 (360).

[2] BAG, Urt. v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, NJW 1956, 359 (360).

[3] BAG, Urt. v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, NJW 1956, 359 (360).

[4] BAG, Urt. v. 19.08.1976 – 3 AZR 173/75, NJW 1977, 215 (215).

[5] Vgl.Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 3 f.

[6] Vgl. Kropholler, Studienkommentar BGB, § 307 Rn. 3.

[7] Vgl. Tödtmann/Kaluza, DB2011, 114 (114).

[8] Vgl. Küttner/Kania, Personalbuch 2011, Weiterbeschäftigungsanspruch Rn. 1.

[9] Vgl. Küttner/Kania, Personalbuch 2011, Weiterbeschäftigungsanspruch Rn. 1.

[10] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969).

[11] Vgl. Jauernig/Mansel, vor § 611 Rn. 2.

[12] Vgl. Jauernig/Mansel, vor § 611 Rn. 2.

[13] Vgl. Schaub/Koch, Koch, ArbRA-Z, Beschäftigungsanspruch.

[14] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969).

[15] Vgl. Küttner/Kania, Personalbuch 2011, Beschäftigungsanspruch Rn. 1; s. a.zur Historie des Dienstvertragsrechts Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 11; BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969).

[16] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 16.

[17] BAG, Urt.v. 10.11.1955 - 2 AZR 591/54, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2.

[18] BAG, Urt. v. 10.11.1955 - 2 AZR 591/54, NJW 1956, 359 (360).

[19] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 7.

[20] BAG (GS), Beschl.v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969); vgl. Küttner/Kania, Personalbuch 2011, Beschäftigungsanspruch Rn. 2.

[21] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 20.

[22] Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 563.

[23] Vgl. DLWArbR/Dörner, Kapitel 3 Rn. 2676; Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 7.

[24] BAG, Urt. v. 10.11.1955 - 2 AZR 591/54, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2.

[25] Vgl. DHSArbR/Burkhart/Boemke, § 611 BGB Rn. 389.

[26] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 59.

[27] Vgl. Ruhl/Kassebohm, NZA1995, 497 (497) m. w. N.

[28] Vgl. DLWArbR/Dörner, Kapitel 3 Rn. 2678.

[29] Vgl. Löwisch, ArbR, Rn. 871.

[30] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 8 f.

[31] Vgl. Ruhl/Kassebohm, NZA 1995, 497 (500).

[32] Vgl. MünchArbR/Reichold, § 84 Rn. 2.

[33] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 8.

[34] Vgl. ErfK/Preis, § 106 GewO Rn. 8.

[35] BAG, Urt. v. 10.11.1955 - 2 AZR 591/54, NJW 1956, 359 (359).

[36] Vgl. ErfK/Dieterich, § 10 GG Rn. 17.

[37] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 21.

[38] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 - GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969); vgl. Palandt/Weidenkaff, § 611 Rn. 118 f.; DLWArbR/Dörner, Kapitel 3 Rn. 2676.

[39] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 7.

[40] Vgl. Schaub/Koch, Koch, ArbR A-Z, Beschäftigungsanspruch.

[41] Vgl. Jauernig/Mansel, § 611 Rn. 1, 29.

[42] Vgl. jeweils m. w. N. MünchArbR/Reichold, § 84 Rn. 8; DLWArbR/Dörner, Kapitel 3 Rn. 2679; MüKo/Müller-Glöge,

§ 611 Rn. 973; Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 34; s. a. Schaub/Koch, Koch, ArbR A-Z, Beschäftigungsanspruch.

[43] Vgl. MünchArbR/Reichold, § 84 Rn. 8.

[44] Vgl. MünchArbR/Reichold, § 84 Rn. 3.

[45] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 8, 28 f.

[46] BAG, Urt. v. 21.09.1993 – 9 AZR 335/91, NZA 1994, 267 (267).

[47] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2968); BAG, Urt. v. 19.08.1976 – 3 AZR 173/75, NJW 1977, 215 (215); BAG, Urt.v.10.11.1955 – 2 AZR 591/54, APBGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2.

[48] Vgl. Beckmann, NZA 2004, 1131 (1132).

[49] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969).

[50] Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 566.

[51] Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 566.

[52] Vgl. Luckey, NZA 1992, 873 (874).

[53] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 35.

[54] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 1 f.

[55] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 38.

[56] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 4.

[57] Vgl. Luckey, NZA 1992, 873 (874).

[58] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 4.

[59] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 4.

[60] Vgl. Preis/Preis, Freistellung des Arbeitnehmers S. 910.

[61] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 23.

[62] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 3.

[63] Vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch 2011, Freistellung von der Arbeit Rn. 3.

[64] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 39, 41.

[65] Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 566.

[66] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 41, 43.

[67] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 41, 43.

[68] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 41, 43.

[69] Vgl. Fuhlrott/Balupuri-Beckmann, ArbRAktuell2011, 393 (393).

[70] Vgl. Kramer, DB 2008, 2538 (2538 f.).

[71] Vgl. Fuhlrott/Balupuri-Beckmann, ArbRAktuell 2011, 393 (393).

[72] Vgl. Kramer, DB 2008, 2538 (2539).

[73] Vgl. Kramer, DB 2008, 2538 (2539) m. w. N.

[74] Vgl. Luckey, NZA 1992, 873 (873).

[75] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 137.

[76] Vgl. Strehlein, Freistellungsklauseln, S. 103.

[77] Vgl. Preis/Preis, Freistellung des Arbeitnehmers S. 912.

[78] Vgl. Preis/Preis, Freistellung des Arbeitnehmers S. 912.

[79] BAG, Urt. v. 21.09.1993 – 9 AZR 335/91, NZA 1994, 267 (267).

[80] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2968); BAG, Urt. v. 19.08.1976 – 3 AZR 173/75, NJW 1977, 215 (215); BAG, Urt. v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2; vgl. Beckmann, NZA 2004, 1131 (1132).

[81] BAG (GS), Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2969 f.).

[82] Vgl. Ohlendorf/Salamon, NZA 2008, 856 (857).

[83] Vgl. Ohlendorf/Salamon, NZA 2008, 856 (857).

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Arbeitsvertragliche Freistellungsklauseln. Arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen
Hochschule
DIPLOMA Fachhochschule Friedrichshafen
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
77
Katalognummer
V207107
ISBN (eBook)
9783656343295
ISBN (Buch)
9783656343561
Dateigröße
657 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitnehmer, Kündigung, Arbeitsverhältnis, Vergütungspflicht, Arbeitspflicht, Nebenverdienst, Wettbewerbsverbot, Dienstwagen, AGB, Leistungs- und erfolgsabhängige Vergütung, Urlaub, Ausgleich von Zeitguthaben, Sperrzeit, Beschäftigungsanspruch, Suspendierung, Beurlaubung, Einseitige Freistellung, Freistellungsklauseln, Einvernehmliche Freistellung, Individualvertragliche Freistellung, Freistellung Führungskräfte, Freistellung leitende Angestellte, Zulässigkeit Freistellung, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Arbeitsrecht
Arbeit zitieren
Mathias Fievet (Autor:in), 2011, Arbeitsvertragliche Freistellungsklauseln. Arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207107

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