Eigenschaften der gesprochenen Sprache Deutsch und ihre Auswirkungen auf die Untersuchungen zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Eigenschaften der gesprochenen Sprache
2.1 Prozesshaftigkeit der gesprochenen Sprache
2.2 Multimodalität der Verständigung
2.3 Interaktivität der gesprochenen Sprache

3 Auswirkungen der Eigenschaften auf die Untersuchung zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch
3.1 Auswirkungen der Prozesshaftigkeit auf die Untersuchung zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch
3.2 Auswirkungen der Multimodalität auf die Untersuchung zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch
3.3 Auswirkungen der Interaktivität auf die Untersuchung zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch

4 Zwei zu empfehlende Grammatikmodelle

5 Zusammenfassung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit erkundet die drei prototypischen Eigenschaften der gesprochenen Sprache, nämlich ihre Prozesshaftigkeit, ihre Multimodalität und ihre Interaktivität. Als Grundlage dienen die Theorien von Reinhard Fiehler, Birgit Barden, Mechthild Elstermann sowie Barbara Kraft. Um diese Eigenschaften zu verstehen, werden im Folgenden konkrete Beispiele dargestellt, um zu zeigen, wie sich diese Eigenschaften gestalten. Im Zuge dessen werden außerdem weitere Eigenschaften der gesprochenen Sprache verallgemeinert dargestellt. Diese tragen aber ebenfalls bei zum Verstehen der drei oben genannten Eigenschaften.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Auswirkungen der Eigenschaften der gesprochenen Sprache auf die Untersuchungen zu ihrer Grammatik. Zu diesem Zweck ist Reinhard Fiehlers Konzept der funktionalen Einheit zur Beschreibung der Grammatik sowie eine Grammatik im Rahmen der interaktionalen Linguistik zu empfehlen. Welches Grammatikmodell ist geeigneter, um die gesprochene Sprache Deutsch zu beschreiben? Oder gibt es noch andere Möglichkeiten, um für die Untersuchung gesprochener Sprache weitere Perspektiven zu eröffnen? In diesem Beitrag werde ich versuchen, diese und ähnliche Fragen zu beantworten.

2 Die Eigenschaften der gesprochenen Sprache

Betrachten wir die Grammatikschreibungen und -theorien des 20. Jahrhunderts, so zeigt sich, dass diese grundlegende Unterscheidungen vorgenommen haben, darunter Noam Chomsky’s Kompetenz und Performanz sowie langue und parole von Ferdinand de Saussure. Sie sind heute noch Grundlagen für viele normative und universalistische Grammatiken. Aber sie sind doch „still“ (Ortner/Sitta 2003: 29) und werden als „fertig vorliegende Produkte“ (Fiehler 2006: 32) angesehen.

Konrad Ehlich kommentiert sie, indem er sagt, „dass Sprache etwas sei, das, was substanzialisiert werden kann als ein Mechanismus oder eine Maschine, deren Sitz im Kopf ist.“ (Ehlich 2006: 15) Es scheint, dass Sprache also in ein Vakuum eingesetzt sei. Die Untersuchungen der gesprochenen Sprache sowie die Untersuchungen der Alltagssprache werden also sozusagen aufgrund der Schriftfixierung eingeschränkt.

Ab ca. 1970 begannen die Linguisten, sich der gesprochenen Sprache zuzuwenden.

Dabei zeigte sich, dass die gesprochene Sprache oftmals viel komplizierter ist als ihre Verschriftlichung, wie folgendes Beispiel veranschaulicht:[1]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In Zeile 06/07 wird der mögliche Fragesatz bis du eigendlich in willemshaven in MEER gegangen formuliert, der semantisch, syntaktisch und prosodisch beendet sein könnte. Doch nach 0.58 Sekunden Pause verlängert die Sprecherin den Fragesatz mit der Präpositionalphrase zum baden, weil niemand beantwortet hat, dass sie den Turn zu einem Abschluss bringt. Meistens wird die Verlängerung als einfache syntaktisch und prosodisch kohäsive Verlängerung des vorherigen möglichen Fragesatzes angesehen. Aber in diesem Beispiel endet die Verlängerung zum baden fast so hoch wie das vorherige Wort gegangen, und sie endet auch mit nahezu der gleichen Tonhöhe wie gegangen. Konkret gesagt: Es handelt sich tatsächlich um eine Verlängerung und nicht um eine eigenständige prosodische Einheit (vgl. Selting 2007: 105f).

Mit diesem Beispiel kommen wir zu der Konsequenz, dass wir die Grammatik der gesprochenen Sprache nicht einfach nach Regeln der Grammatik der geschriebenen Sprache analysieren können.

Nach Selting/Couper-Kuhlen sollten nicht nur Prosodie und Syntax, sondern darüber hinaus auch Phonetik, Phonologie, Morphologie, Lexik, Semantik und Pragmatik untersucht werden. Und auch die Strukturen innerhalb dieser Bereiche und das Wechselspiel zwischen ihnen können alle im Hinblick darauf untersucht werden (vgl. Selting/Couper-Kuhlen 2000: 77f).

Eine weitere Konsequenz dieses Beispiels ist, dass sich der Gesprächsbeteiligte hier einen Teil ergänzen (zum Baden) muss, um die erfolgreiche Verständigung möglich zu machen. Ähnlich diesem Fall gibt es noch andere Erscheinungen wie: Korrektur von Fehlern, Prozess der Bearbeitung von Wortfindungsschwierigkeiten, Reformulierungen, Abbrüche etc.

Allerdings ist die gesprochene Sprache nicht immer so komplex wie in obigem Beispiel gezeigt hat. Manchmal gestaltet sie sich viel einfacher als die geschriebene Sprache.

Beispielsweise benutzt man im Gespräch häufiger die Personalpronomen „Ich“ und „Du“. Weil das Gespräch eine face-to-face Interaktion ist, können so Missverständnisse zwischen den Gesprächspartnern vermindert werden. In der geschriebenen Sprache werden stattdessen mehr Nomen benutzt als Personalpronomen.

Benutzt man in der gesprochenen Sprache in langen Phrasen häufig nur ein „es“ oder „deins“, „meins“ usw., wird „es“ sehr oft als Subjekt weggelassen, beispielsweise „macht nichts“.

Formulierungen in Umgangssprache wie „usw.“, „und so“, „also“, „hmm“ kommen häufig vor, genau wie „ich meine, ...“, „du weißt, ...“.

Da die Gesprächsteilnehmer der gesprochenen Sprache mehr Emotionen beifügen können, treten Wörter, die Höflichkeit ausdrücken sollen, auch sehr oft in den Vordergrund, beispielsweise „Danke“, „Entschuldigung“, „Können Sie ...“.

Dass die gesprochene Sprache manchmal den Eindruck erweckt, einfach und selbstverständlich im Vergleich zur geschriebenen Sprache zu sein, ist vielleicht einer der Gründe dafür, weshalb die Untersuchungen zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch im Gegensatz zu den Untersuchungen zur Grammatik der geschriebenen Sprache in vergleichsweise geringer Anzahl vorliegen.

Bis jetzt sind die meisten Untersuchungen zu gesprochenen Sprachen in Überblickswerken zusammengefasst worden (vgl. Deppermann 2006: 44).

Doch verbirgt sich in der Vereinfachung auch Komplexität:

Die Konversationsanalytiker setzen bei ihren Untersuchungen das „Wie“ des lokalen[2] Verhaltens in den Vordergrund. Die Betonung liegt dabei auf dem, was man tatsächlich vorfindet; man verzichtet auf Analysen, die auf einem einzigen Text beruhen; es geht um die systematischen Eigenschaften der sequentiellen Organisation eines Gesprächs (die zu untersuchenden Gespräche werden sehr detailliert transkribiert) sowie darum, Möglichkeiten zu entdecken.

Auch die Gruppe der Diskursanalytiker versucht, linguistische Erkenntnisse über die satzinterne Strukturierung in die Diskursstruktur zu integrieren.

Interaktionale Sprachwissenschaftler wie Selting und Couper-Kuhlen versuchen auf der Grundlage interaktionistischer und ethnomethodologischer Theorien und konversationsanalytischer Methodologie sowie der empirischen Analyse der Sprachverwendung in natürlichen Interaktionen linguistische Kategorien und Strukturen als Ressource zur Herstellung von Aktivitäten und zur Organisation von Gesprächen neu zu definieren und zu beschreiben.

Ford, Fox und Thompson verwenden das Konzept von „discourse-functional linguistics“ (Ford/Fox/Thompson 2002), um Turns und Sequenzen usw. in der gesprochenen Sprache zu untersuchen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ungeachtet dessen, ob die gesprochene Sprache kompliziert oder sehr einfach ist, haben alle erwähnten Ansätze mit den Eigenschaften der gesprochenen Sprache zu tun. Daraus ergibt sich die Frage, welche konkreten Eigenschaften die gesprochene Sprache eigentlich hat? Und welche Auswirkungen haben diese Eigenschaften auf die Untersuchung zur Grammatik der gesprochenen Sprache?

2.1 Prozesshaftigkeit der gesprochenen Sprache

Nach Fiehler erfolgt zum Beispiel die mündliche Verständigung, „indem zeitlich nacheinander bedeutungstragende Einheiten (auf verschiedenen Ebenen) produziert und in eben dieser zeitlichen Abfolge rezipiert werden.“ (Fiehler et al. 2004: 85) Solche Einheiten beinhalten zum Beispiel die inneren Gegebenheiten wie Gedanken, Wissen, Annahmen, Bewertungen, Einstellungen, Wünsche und Gefühle etc.

Auer entwickelte des Weiteren ein Konzept als Merkmal von „ on-line-Emergenz “ (Auer 2000). Das heißt, dass die Sprache zeitlich produziert wird von den betroffenen Personen. Anders gesagt, mit der Entwicklung der Linguistik sieht man sie nicht nur als still, fixiert und fertig vorliegendes Produkt, sondern eher als sich verwandelndes und interaktives: „Kommunikation ist ein Prozess in der Zeit.“ (Fiehler et al. 2004: 85)

Diese Eigenschaft der Prozesshaftigkeit der gesprochenen Sprache betrifft, so lässt sich annehmen, alle gesprochenen Sprachen der Welt.

Hierzu folgendes Beispiel:

[...]


[1] Diese Transkription ist Selting 2007: 105 entnommen.

[2] Unter bestimmten Kontexten, in einem bestimmten Zeit- und Ortsraum, mit bestimmten Gesprächspartnern.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Eigenschaften der gesprochenen Sprache Deutsch und ihre Auswirkungen auf die Untersuchungen zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch
Hochschule
Universität Bayreuth
Veranstaltung
Interkulturelle Germanistik
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
23
Katalognummer
V230591
ISBN (eBook)
9783656464655
ISBN (Buch)
9783656467335
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eigenschaften, sprache, deutsch, auswirkungen, untersuchungen, grammatik
Arbeit zitieren
Lei Zhang (Autor:in), 2013, Eigenschaften der gesprochenen Sprache Deutsch und ihre Auswirkungen auf die Untersuchungen zur Grammatik der gesprochenen Sprache Deutsch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230591

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