Ludwig Tiecks ‘Der gestiefelte Kater’ als Modell intertextuell gelenkter Kommunikation


Seminararbeit, 1998

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Definition des Begriffs ‘Intertextualität’

3. Ein Kommunikationsmodell dramatischer Texte.

Das Spiel im Spiel als sekundäres

Kommunikationssystem

4. Intertextualität auf der Ebene N1 (fN1)

5. Intertextualität auf der Ebene N1 (fN3, fN4)

5.1. Das systemtheoretische Kommunikationsmodell

5.2. Objektinkohärenz

5.3. Die Kollektivität der Produktion und Rezeption

5.4. Rezipientenmodell und Produzentenmodell

5.5. Die Dynamik des Produzentenmodells

5.6. Die partielle Textverarbeitungsstrategie

6. Intertextualität auf der Ebene N3

7. Zusammenfassung

Verwendete Literatur

Anmerkungen

1. Einleitung

Nicht nur die konkreten Bezüge auf Vertreter des vorromantischen Theaters (besonders Iffland und Böttiger) rücken Ludwig Tiecks Theaterstück Der gestiefelte Kater in den Blickpunkt intertextueller Forschung. Die durch die romantische Poetik erstrebte und im gestiefelten Kater realisierte Vereinigung von Epik und Dramatik, sowie besonders das Hauptthema des Stücks, das Scheitern der theatralischen Kommunikation machen Tiecks Lustspiel zum Gegenstand einer rezeptionsorientierten, intertextuellen Analyse. Als ein Hauptgrund für das Scheitern der theatralischen Kommunikation erscheinen die zahlreichen dem Text des fiktiven Theaterstücks immanenten, intertextuellen Referenzen, sowie die von den Zuschauern im Rezeptionsprozeß an das Stück herangeführten, intertextuell gelenkten Interpretationsversuche. Das fiktive Stück wird nicht, wie es der fiktive Autor am Ende fordert[i], für sich wahrgenommen, sondern löst bei seinen Zuschauern verschiedenartige intertextuelle Bezüge aus, die die Rezeption steuern und - im Sinne des fiktiven Autors - verfälschen. Die mehrfach von den fiktiven Zuschauern formulierten Motive der ‘Tollheit’[ii]und ‘Verrücktheit’[iii], die das fiktive Stück hervorruft, scheinen das Resultat eben dieser mißlingenden Versuche einer intertextuell gelenkten Textinterpretation zu sein. Das fiktive Stück entspricht nicht den Erwartungen der theatralischen Gattungen, in deren Rahmen seine Zuschauer es zu verstehen versuchen, sämtliche gattungsgebundenen Handlungs-vorhersagen und Wertungsversuche schlagen fehl: das fiktive Stück erscheint seinen Zuschauern als inkohärent.

Insofern können wir Tiecks gestiefelten Kater als Modell künstlerischer/ literarischer/ theatralischer Kommunikation betrachten. Im folgenden soll gezeigt werden, welchen Beitrag das Phänomen der Intertextualität am dargestellten Kommunika-tionsprozeß hat.

2. Definition des Begriffs ‘Intertextualität’

Die Polyvalenz des Begriffs ‘Intertextualität’, die Ergebnis einer langjährigen Diskussion ist, zwingt uns zu einer einleitenden Definition des Begriffs. Die Unterschiede zwischen den vorhandenen Modellen und damit verbundenen Taxonomien lassen sich auf zwei Achsen festlegen, die die text-theoretischen Implikationen der jeweiligen Modelle darstellen:

1) weiter Textbegriff vs. enger Textbegriff

Die Frage nach der Textualität steckt das Aufgabengebiet der Untersuchung intertextueller Relationen ab. Welche Erscheinungen, auf die Texte Bezug nehmen können, sind Texte, d.h. kommen als zu untersuchende Referenztexte in Frage. Eine extreme Ausweitung des Textbegriffs (Holthuis spricht in diesem Zusammenhang von einem ‘total entgrenzten Textbegriff’[iv]) begegnet uns in den Arbeiten Julia Kristevas. Ihre Konzeption eines ‘transsemiotischen Universums’[v]erweitert den Textbegriff auf sämtliche historio-kulturellen Erscheinungen.

Demgegenüber steht ein enger Textbegriff, der den Begriff Text auf sprachliche Erscheinungsformen einschränkt. Die auf diesen Textbegriff aufbauenden intertextuellen Modelle beschränken sich auf den intrasemiotischen Rahmen, als Referenztexte kommen nur dominant verbale Objekte in Betracht.

2) textorientierter vs. rezeptionsorientierter Ansatz

Die Wahl eines dieser Ansätze entscheidet über die Methode intertextueller Untersuchungen. Zum einen kann Intertextualität als textimmanentes Phänomen untersucht werden, zum anderen kann der Schwerpunkt auf dem Prozeß der intertextuell gelenkten Rezeption liegen. Julia Kristeva vertritt in diesem Zusammenhang eine rezeptionsorientierte Herangehensweise. Intertextualität bedeutet bei ihr eine unendliche Reihe von Transformationen und Permuationen, denen der Text im Verlauf seiner (intertextuellen) Rezeption ausgesetzt wird. Diese Vorstellung mündet in das ‘Postulat des sich selbst reproduzierenden offenen Textes’[vi].

An der Vorstellung von Texten als sinnkonsistenten Einheiten, hält die textorientierte Forschungsrichtung fest. Sie betrachtet Intertextualität als textimmanentes Phänomen und untersucht intertextuelle Referenzen - ähnlich wie Tropen - als Deviationen auf der Textoberfläche.

Von einer Festlegung des Begriffs Intertextualität auf diesen beiden Achsen hängt es ab, ob wir Intertextualität als allgemeine, oder als spezielle Eigenschaft von Texten betrachten. Kristeva faßt diesen Unterschied mit den Kategorien ‘extensive’ und ‘intensive Intertextualität’vii.

Im folgenden werden wir den Intertextualitätsbegriff gemäß der Definition Susanne Holthuis gebrauchen. Sie verwendet einen restriktiven Textbegriff, indem sie sich an Petöfis Definition von Texten als ‘dominant verbalen relationalen semiotischen Objekten’[viii]anlehnt. Im Zentrum der Untersuchung stehen somit intrasemiotische Referenzen, die wir von Referenzen auf außersprachliche Objekte (also auch auf Objekte nicht-sprachlicher semiotischer Systeme) unterscheiden wollen.

Im Bezug auf die Methode zur Untersuchung intertextueller Referenzen versucht Holthuis eine Synthese der oben beschriebenen Ansätze, indem sie die Untersuchung von textimmanenten Intertextualitätssignalen (der ‘intertextuellen Disposition’[ix]des Textes) in den kommunikativen Rahmen einer ‘intertextuell gelenkten Textverarbeitung’[x]einbettet:

‘Auf Grundlage dieser Konzeption ist Intertextualität zu bestimmen als Ergebnis komplexer bedeutungskonstitutiver Prozesse, als Wechselspiel zwischen den im Text angelegten Intertextualitätssignalen [...] und dem Netzwerk komplexer intertextuell geleiteter Textverarbeitungsstrategien, die abhängig von entsprechenden Interpretationshypothesen und -zielsetzungen des Rezipienten sowie spezifischen inter-textuellen Wissensbeständen, aktiviert werden können.’[xi]

Im Zusammenhang mit dem Hauptthema des Gestiefelten Katers, dem Scheitern der theatralischen Kommunikation, wird vor allem der kommunikative Rahmen für unsere Untersuchung von Bedeutung sein: Warum scheitert die Kommunikation und welche Rolle spielt hierbei die Verarbeitung intertextueller Signale? Herangezogen werden soll hierbei das systemtheoretische Modell von Rickheit und Strohner[xii]sowie Schade, Langer, Rutz und Sichelschmidt[xiii].

Zuvor jedoch soll versucht werden, ein Modell theatralischer Kommunikation zu entwerfen, das die spezielle Situation des ‘Theaters im Theater’ berücksichtigt und anhand dessen wir die intertextuellen Referenzen im gestiefelten Kater auf den einzelnen Ebenen der theatralischen Kommunikation festmachen und voneinander unterscheiden können.

3. Ein Kommunikationsmodell dramatischer Texte. Das Spiel im Spielals sekundäres Kommunikationssystem

Manfred Pfisterxivunterscheidet bei seinem Vergleich der Kommunikationsmodelle narrativer und dramatischer Texte vier ‘einander übergeordnete semiotische Niveaus’[xv]:

N1: das innere Kommunikationssystem zwischen den fiktiven Figuren(S/E1 ? S/E1)

N2: das vermittelnde Kommunikationssystem zwischen fiktivem Erzähler und fiktivem Hörer (S2 ??E2)

N3: das idealisierte äußere Kommunikationssystem zwischen idealem Autor und idealem Rezipienten (S3 ??E3)

N4: das reale äußere Kommunikationssystem zwischen empirischem Autor und empirischem Rezipienten (S4 ? E4)

Das dramatische Kommunikationsmodell zeichnet sich im Gegensatz zum narrativen durch den Ausfall des vermittelnden Kommunikationssystems aus. In der graphischen Darstellung Pfisters stellt sich dies folgendermaßen darxvi:

Abb. 1:

Die dargestellten Ebenen sind selbstverständlich ebenfalls bei einer Aufführung des gestiefelten Katers zu unterscheiden. Die besondere Situation des Theaters im Theater, die ‘Einbettung einer sekundären Funktionsebene in einer primäre’xviibedeutet für unser Kommunikationsmodell jedoch eine zusätzliche Unterteilung der Ebene N1. Auf dieser Ebene wird die dramatische Kommunikation selbst zum Thema gemacht. Die dramatischen Figuren im gestiefelten Kater sind ihrerseits Teilnehmer einer (fiktiven) dramatischen Kommunikation, und so den von uns unterschiedenen (fiktiven) Kommunikationssystemen zuzuordnen:

??fN1: die Figuren des Spiels im Spiel (fE/S1)

Hinze, Gottlieb, Der König etc.

??fN3, fN4: Die Produktionsfunktionen des Spiels im Spiel(S4, S3) Der Dichter, Der Souffleur, der Maschinist, die aus ihren Rollen heraustretenden Schauspieler (z.B. der Hanswurst zu Beginn des dritten Aktes), sowie die Zuschauer des Spiels im Spiel (E4, E3) Fischer, Müller, Bötticher etc.

Die dargestellte Doppelung des Kommunikationsmodells können wir graphisch folgendermaßen darstellen:

Abb.2:

Eine solche Darstellung erlaubt es, die Formen des Theaters im Theater genauer zu unterscheiden, je nachdem, auf welche Ebene der (fiktiven) dramatischen Kommunikation sich das Augenmerk des Zuschauers E3 richtet.

Liegt der Fokus auf der Ebene fN1, so wird das Spiel im Spiel unvermittelt, quasi herausgelöst aus der fiktiven Kommunikationssituation, wahrgenommen. Im Extremfall stellt sich das Spiel im Spiel dem Zuschauer als autonomes Theaterstück dar (so zum Beispiel in Shakespeares The Taming of the Shrew).

Im entgegengesetzten Fall richtet sich das Augenmerk des Zuschauers auf die Ebene fN4, das Spiel im Spiel wird nur im Bezug auf die fiktiven Produktionsfunktionen und Zuschauer wahrgenommen. Wichtig ist nicht das Stück selbst, sondern nur die Rückschlüsse auf seine Produzenten, sowie die bei den Zuschauern ausgelösten Reaktionen (dieser Position nähert sich das Königsspiel im Hamlet).

Im gestiefelten Kater oszilliert der Fokus zwischen den einzelnen (fiktiven) Kommunikationssystemen, zwischen dem Aufführungstext des Spiels im Spiel und dem Produktions- sowie Rezeptionsprozeß. Mittel der Fokusverlagerung sind neben den das Stück kommentierenden Dialogen zwischen den Zuschauern die konventionalisierten Hörersignale (Einstellungsbekundungen) ‘Klatschen’, ‘Bravorufen’, ‘Da Capo’, ‘Pochen’ und ‘Zischen’. Der ideale Rezipient von Tiecks gestiefeltem Kater begreift den Produktions- und Rezeptionsprozeß in ihrem Zusammenspiel, eben dies macht die spezielle Doppelstruktur des Stücks aus, die die Darstellung theatralischer Kommunikation ermöglicht.

In den folgenden Kapiteln werden wir versuchen, die inter-textuellen Bezüge den von uns unterschiedenen Ebenen zuzuordnen. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Ebene der dargestellten theatralischen Kommunikation, die das Thema des Stücks ausmacht. Die weiteren Ebenen werden lediglich kurz skizziert, wobei Möglichkeiten einer eingehenderen Analyse angedeutet werden sollen.

4. Intertextualität auf der Ebene N1 (fN1)

Dies ist die Ebene des Aufführungstextes des Spiels im Spiel. Die grundlegende Form der Intertextualität, die zu untersuchen wäre, ist das mit der Textsortenproblematik verbundene Phänomen der Adaption, auf das bereits der Untertitel Kindermärchen in drei Akten verweist. Der Prä-Text, der als Mitglied der Textsorte Märchen mit dem Medium der schriftlichen bzw. mündlichen Überlieferung verbunden ist, wird aus seiner ursprünglichen Kommunikationsform herausgelöst, und an die Erfordernisse einer neuen Kommunikationsform Theaterstück angepaßt. Bereits mit diesem Wechsel der Kommunikationsform scheint eine höhere Anforderung an den Rezipienten verbunden zu sein, die mit zum Scheitern der theatralischen Kommunikation auf der Ebene fN3/fN4 beiträgt. Der oben erwähnte Ausfall des vermittelnden Kommunikationssystems und die damit verbundene ‘Absolutheit dramatischer Texte’[xviii], sowie die Plurimedialität der theatralischen Kommunikation, ihr höherer Grad an Konkretisierung, scheinen die Rezeption märchentypischer, phantastischer Elemente zu erschweren. Bereits mit der Wahl der Kommunikationsform Theaterstück werden Erwartungshaltungen der Rezipienten an den zu übermittelnden Text geweckt, denen die Merkmale des Prä-Textes, als Mitglied der Textsorte Märchen zuwiderlaufen. Dies veranschaulichen die Kommentare der Zuschauer, die das Stück aufgrund der Situationalität der Kommunikation mit Hilfe unterschiedlicher theatralischer Gattungen (‘Oper’, ‘Familiengemälde’, ‘Revolutionsstück’[xix]etc.) zu begreifen versuchen.

[...]


[i] Tieck, Ludwig: Der gestiefelte Kater. Kindermärchen in drei Akten. Mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge. Stuttgart 1984 [im folgenden dGK]. S. 61 f.

[ii] dGK S. 12, 23, 26

[iii] dGK S. 43, 50, 61

[iv]Holthuis, S.: Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorienterten Konzeption. Tübingen 1993. S. 14

[v] ibd. S. 14

[vi] ibd. S. 16

[vii] ibd. S. 43

[viii] ibd. S. 30

[ix] ibd. S. 32

[x] ibd. S. 32

[xi] ibd. S. 32

[xii] Rickheit, G./ Strohner, H.: Grundlagen der kognitiven Sprachverarbeitung. Tübingen und Basel 1993

[xiii] Schade, U./ Langer, H./ Rutz, H./ Sichelschmidt, L.: Kohärenz als Prozeß. In: Rickeit, G. (Hrsg.): Kohärenzprozesse. Modellierung von Sprachverarbeitung in Texten und Diskursen. Opladen 1991

[xiv] Pfister, M.: Das Drama. Theorie und Analyse. München 1997

[xv] ibd. S. 20 ff.

[xvi] ibd. S. 21

[xvii] ibd. S. 299

[xviii] ibd. S. 22

[xix]dGK S. 6 f.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Ludwig Tiecks ‘Der gestiefelte Kater’ als Modell intertextuell gelenkter Kommunikation
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,3
Autor
Jahr
1998
Seiten
23
Katalognummer
V264681
ISBN (eBook)
9783656543800
ISBN (Buch)
9783656544333
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ludwig, tiecks, kater’, modell, kommunikation
Arbeit zitieren
Heinz Rosenau (Autor:in), 1998, Ludwig Tiecks ‘Der gestiefelte Kater’ als Modell intertextuell gelenkter Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264681

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