Kritik am Minnesang in des Strickers "Die Minnesänger"


Seminararbeit, 2012

24 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die unbewachte Gattin
2.1. Die umgekehrte Minnesituation
2.2. Die Rede des Verführers
2.3. Der ratgebende Erzähler

3. Der Höfling
3.1. Wirklichkeit und Fiktion
3.2. Pfeffer als Katalysator für Sünden

4. Schlussbetrachtung

5. Literatur

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den beiden Reden Die unbewachte Gattin sowie Der Höfling des mittelhochdeutschen Dichters Der Stricker, über dessen Person spärlich Quellen vorhanden sind. Ob dies tatsächlich sein wahrer oder ein Künstlername war, lässt sich nicht herausfinden. Höchstwahrscheinlich stammte er aus dem südlichen Rheinfranken oder dem östlichen Franken, und lebte in Österreich als Fahrender niederer Herkunft, der eine hohe Bildung genossen hatte, da er über rhetorische, juristische, theologische und Französischkenntnisse verfügte, und sowohl kreativ als auch innovativ Werke verschiedener Gattungen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfasste.1 Unter anderem ist sein Pfaffe Amis für die Entwicklung des Schwanks von Bedeutung, und damit ein literarischer Vorgänger des Till Eulenspiegel.

In seinen beiden Reden Die unbewachte Gattin und Der Höfling kritisiert der Erzähler den Missbrauch von Minnesang, nämlich die triebhafte Verführung der Hofdamen durch die Minnesänger. In Unterschied zu einer mære ist bei einer Rede der Erzähler die Hauptfigur, welcher in die Erzählung eingreift, kommentiert und tadelt oder lobt, sodass es sich um eine auktoriale Erzählperspektive handelt. Die beiden Reden sind unterhaltend, parodierend, belehrend und regen den Leser zum Nachdenken an. Die Überlieferung und die gleiche Thematik beider Texte gibt keine Antwort darauf, ob es sich um zwei getrennte Abhandlungen oder eine zweigeteilte handelt. Der erste Herausgeber veröffentlichte sie unter einem einzigen Titel, sodass beide zusammen als Die Minnesinger bezeichnet werden. In der Forschung wurden sie beide zusammen analysiert.2

Die wichtigsten Forschungsbeiträge über Die Minnesinger sind wie folgt:

1) Böhm, Sabine: Der Stricker. Ein Dichterprofil anhand seines seines Gesamtwerkes, Frankfurt a.M./ Berlin u.a. 1995 (Europäische Hochschulschriften 1: Deutsche Sprache und Literatur 1530).
2) Kraft, Karl-Friedrich: Die Minnesänger des Strickers. Minnesang beim Wort genommen, in: Ebenbauer, Alfred (Hg.): Philologische Untersuchungen gewidmet Elfriede Stutz zum 65. Geburtstag, Wien 1984 (Philologica Germanica 7).
3) Ragotzky, Hedda: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, Tübingen 1981 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 1).
4) Schneider, Guido: er nam den spiegel in die hant, als în sîn wîsheit lêrte, Essen 1992 (Item Mediävistische Studien 1).

Während laut Böhm der Stricker systematisch das Modell des Hohen Sangs demontiert, sodass keine Fortführung von Minnesang möglich wäre, spricht Hedda Ragotzky von einer Erneuerungsabsicht des Strickers, den Minnesang revolutionieren zu wollen. Schneider zeigt gesellschaftliche Probleme auf, die mit dem Minnesang mit einher gehen, und bemerkt, dass der Stricker kritisiert, dass die Ideale des Minnesangs mit dem Praktizieren desselben in Widerspruch geraten können.

Kraft führt eine genaue Textanalyse durch und hat äusserst spannende Beobachtungen angestellt. Seines Erachtens war es Absicht des Strickers einen intellektuellen Scherz zu produzieren, der Probleme aufzeigen soll, die sich ergeben, wenn die Realität die Fiktion (oder auch die Fiktion die Realität) durchbricht.

Ein ergiebiges Sammelband zur Hohen Minne haben Müller/ Hundsnurscher/ Sommer herausgegeben: Müller, Ulrich/ Hundsnurscher, Franz/ Sommer, Cornelius (Hg.): Minne ist ein swaerez spil, Göppingen 1986 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 440).

Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, an beiden Reden Textanalysen und darauf aufbauend Interpretationsversuche durchzuführen, um festzustellen, in welcher Form die Kritik am Minnesang ausgeübt wird. Ist der Minnesang generell zu verurteilen, ist die Idee des Minnesangs Utopie, oder wird im Text nur der Missbrauch des Minnesangs angeprangert?

Angemerkt sei, dass die Figur des an den Hof kommenden Fremden in beiden Reden nirgends als Minnesänger, sondern nur als Gast benannt wird. In meiner Arbeit wurde auch die Bezeichnung Minnesänger für den Gast verwendet, jedoch sei zu bedenken, dass diese Bezeichnung in Die Minnesänger nicht erwähnt wird, auch wenn sich aus der Logik erschliessen muss, dass es sich um einen Minnesänger handelt.

Als Primärliteratur wurde die Reclam-Ausgabe verwendet: Der Stricker: Erzählungen, Fabeln, Reden, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Otfried Ehrismann, Stuttgart 2011. Die Arbeit ist aufgeteilt wie folgt:

Im zweiten Kapitel wird auf Die unbewachte Gattin eingegangen, es werden der Prolog, die Rede des Minnesängers sowie die Ratschläge des Erzählers, wie man Anstand und Ehre wahren und die Verführung der Ehegattin verhindern kann, herangezogen.

Im dritten Kapitel wird Der Höfling besprochen, wie dort Minnesang weiterer Kritik unterworfen, und die Parodie noch satirischer fortgesetzt wird.

2. Die unbewachte Gattin

2.1. Die umgekehrte Minnesituation

Der Beginn von Die unbewachte Gattin ist eine Schilderung der Minnesituation, allerdings nicht aus dem Blickwinkel des Minnesängers aus, welcher eine verheiratete Dame umwirbt, sondern aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers, welcher mit dem Ehegatten sympathisiert, sowie das Werben des Minnesängers verhindern möchte, und dadurch zur Instanz der huote zu zählen ist. Die Bezeichnung huote steht für diejenigen „Funktionen, die die Einhaltung der gesellschaftlichen Norm überwachen.“3 Obgleich huote im Minnesang höfischer Zeit nur in abstrakter Form beschrieben und „weitgehend frei von personaler Konkretisierung“ bleibt, wird hier der Ehegatte explizit zum merchære erklärt.4 Die Ausgangslage wird hierbei nicht von dem durch Affekte geleiteten Minnesänger beschrieben, sondern von einem Erzähler, der sowohl zeitlich („hie vor“) distanziert ist, als auch aus objektiver Perspektive die Rechtslage schildert. „Der Stricker konkretisiert die in der Lyrik latent angelegte Konfliktsituation zwischen Sänger, Dame und Ehemann durch die Ausgestaltung des Ehemanns, der jetzt im Gegensatz zum Sänger das herceleit (v. 224)5 hat.“6

Hie vor, dô man die huote schalt und des sumlich wirt sêre engalt, daz er lie sîne hûsfrouwen die geste gerne schouwen, dô si ir triuwe übersach und ir reht und ir ê zebrach - daz hiez hôhgemuotiu minne. hete sumelich wirt die sinne, daz erz mit huote understuont, als noch die wîsen gern tuont, den begunde man dô schelten und liez in des engelten, daz er was ein merkære. daz er toup und blint wære, des wünschete man im lange mit rede und mit gesange. (V. 1 - 16)7

Mit dieser Darstellung wird die Minnesituation umgekehrt, das dargestellte Problem ist nicht die Schwierigkeit der Minneerfüllung, sondern ein Rechtsproblem. Denn der Gast, welcher die Ehegattin umwirbt, bricht nicht nur das von Gott aufgestellte Ehegebot der triuwe, sondern verstösst auch gegen das Gastrecht.8

Sabine Böhm äussert, dass die parodistische Kritik an den höfischen Minnekult einzigartig sei. „Unerlaubte Heimlichkeiten, Treue- und Ehebruch und damit Gefährdung des Seelenheils sind die offensichtlichsten Folgen, die der Stricker anführt.“9 Weiters fällt Böhm auf, dass der Stricker für die „schnelle, schmeichelnde Verführung der Ehefrau“ einen Ausdruck kreiert, die hôhgemuotiu minne (Vgl. V. 6)10. Die Kombination beider Wörter komme im Minnesang nicht vor und wäre eine ironische Zusammensetzung der Bezeichnungen hohe minne und hohem muot.11 Die Hohe Minne wäre also in Verbindung mit Hochmut gesetzt. Selbstverständlich geht aus diesem Wort nicht hervor, ob gemeint ist, dass laut auktorialem Erzähler die Hohe Minne stets mit Hochmut in Verbindung zu setzen sei, dass das Ideal der Hohen Minne hochmütig sei, weil man sich erdreiste beinahe gottgleich zu handeln (und dadurch einen Schritt Richtung Hoffart mache), indem man eine Frau idealisiere und denke, man könne ohne Sünde dies praktizieren; oder aber die Kombination beider Wörter beziehe sich als Begrifflichkeit nur auf jenen Sachverhalt der Hohe Minne, die von den Minnesängern zur Befriedigung ihrer Triebe und Sinne missbraucht würde. Allerdings wäre dies dann in sensu keine Hohe Minne und daher ironisch zu verstehen. Guido Schneider bemerkt zur Kritik des Strickers am Minnesang:

„Im Bild einer derart belasteten Realität wird das in den Liedern der Hohen Minne ständig evozierte ethische Telos als fadenscheinige Lüge angeprangert, die sich in der retrospektiven Schau der Geschehnisse im Befund gänzlich anderer als der lyrisch vorgegaukelten Faktizitäten der schönen Sängerworte nunmehr weder kaschieren noch weiterhin beschönigen lässt.“12

Dass die Kritik eine absolute ist, ist verneinbar, vor allem wegen der höchst parodistischen Note der beiden Reden. Unbestreitbar wird sie kritisiert, und pervertiert erscheint an dieser Stelle die Minne: Der Sachverhalt ist umgekehrt zur klassischen Ausgangslage einer Minnesituation. Der Stricker beschreibt folglich, wie es töricht gewesen sei, als Gastgeber Minnesänger mit ihrer Ehegattin unbeaufsichtigt und alleine liessen:

dô sî alsô tôren suohten,

die des an die vrouwen geruohten, daz si ir triuwe verkurn

und gotes hulde verlurn,

dô quam manic gast an die stat,

dâ in ein wirt zu hûse bat

und in ze der frouwen sitzen hiez

und in kurzwîle haben liez. (V. 17 - 24)13

Auffallend ist hierbei die Schuldzuweisung an den Ehegatten, welcher ebenso Mitschuld an der Untreue trägt wie die Ehegattin, weil er sie mit dem Gast alleine lässt. In dieser umgekehrten Minnesituation ist nun der Ehemann nicht mehr der merkaere, welcher negativ dargestellt wird, da er die Liebenden in ihrem Minneprozess behindert14, sondern er wird Repräsentant des Rechts und damit auch der Stellvertreter Gottes. Der Minnesänger hingegen missbraucht sein Gastrecht um die Ehegattin durch Reden zu verführen. Bereits der Beginn der Rede zeigt die Perversion, indem der Minnesänger die Tugenden anspricht, aber damit eigentlich genau das Gegenteil, die Trieb- und Sinnbefriedigung meint. Bevor die Rede des Minnesängers beginnt, schildert der auktoriale Erzähler die Minnesituation in den Verszeilen 1 bis 43 im Präteritum. Nun erfolgt ein Erzählperspektivenwechsel ins Präsens und der Minnesänger hält eine direkte Rede. Dadurch erhalten die Ausführungen des Minnesängers eine dramatische Note. Kraft meint, die Rede würde mit einem epischen Präteritum beginnen und würde dann nach der direkten Rede ins grammatikalische Präsens wechseln.15

2.2. Die Rede des Verführers

vrouwe, mir ist daz ungemach, daz ir unz her an dise zît der vröuden vil gesûmet sît, der ir wol wert wæret. Ihr habet mich vil beswæret, daz iuwer tugent dâ von zergânt, daz si der minne niht enhânt, diu billich sweimen solde in vröuden, swâ si wolde. (V. 44 - 52)16

Die Bezeichnung der „minne diu billich sweimen solde“ ist wohl eine Anspielung auf den vorher erwähnten Begriff hôhgemuotiu minne. Denn wer schwebt, kann einerseits hoch empor schweben, hoch zum Hochmut sozusagen, und andererseits hat jemand der schwebt keinen Boden unter den Füssen. Und wer hoch aufsteigt, kann auch hoch fallen; wer keinen Boden unter den Füssen hat, kann stürzen. Auffallend ist ebenfalls die doppelte Bedeutung von billich: Es kann sowohl gemäss bedeuten, als auch billig. Der Redner meint damit die erste Bedeutung, um die Frau zu verführen, doch tatsächlich ist die zweite Bedeutung für die Intention seiner Rede die passendere. Mit anderen Worten, der Redner inszeniert theatralisch Hohe Minne und äussert, er wolle die Tugenden der Frau fördern, doch seine wahrhaftige Absicht ist die einer ʻbilligen Anmacheʼ. In weiterer Folge lästert der Minnesänger über den abwesenden Ehegatten (V. 53 - 59) und lobt die hôhe tougen minne.

sô liep, sô edel, sô guot, sô diu hôhe tougen minne. daz ist sô grôze kraft inne, daz sî durch di sinne strîchet und diu tugent alle rîchet. (V. 62 - 66)17

Der Minnesänger erscheint als diabolischer Verführer, seine Rede erinnert an den biblischen Sündenfall. Als Adam abwesend war, verführte die Schlange Eva mit Worten; ebenso ist nun der Ehegatte abwesend und der Gast bietet der Frau die Frucht an, welche „sô liep, sô edel, sô guot“ sei.

[...]


1 Vgl. Verfasserlexikon, Sp. 417-449.

2 Vgl. Stricker, S. 255.

3 Ragotzky, S. 39.

4 Vgl. Kraft, S. 232.

5 Dies wäre die Verszeile 224 für die Minnesänger, nähme man beide Reden zusammen und liesse die Verszeilen `weiterlaufen`. Es wäre die Verszeile 2 in Der Höfling, nummiere man beide Reden separat voneinander, wie dies in der von mir verwendeten Reclamausgabe vorgenommen wurde.

6 Böhm, S. 108.

7 Stricker, S. 164

8 Im alten Testament war das Gastrecht eines der heiligsten überhaupt. Man denke nur an die Erzählung über Sodom und Gomorrha, als von Gott gesandte Engel in die beiden Städte kommen und Lot, der Neffe Abrahams, der einzige ist, welcher ihm Gastfreundschaft erweist, und dieses ihm sogar heiliger ist, als die Jungfräulichkeit seiner Töchter, welche er den Sodomitern anbietet, weil diese mit seinen Gästen verkehren wollen.

9 Böhm, S. 107.

10 Vgl. Stricker, S. 164.

11 Vgl. Böhm, S. 108.

12 Schneider, S. 237.

13 Stricker, S. 164.

14 Vgl. Boll, Katharina, S. 179 f.

15 Vgl. Kraft, S. 239.

16 Stricker, S. 166.

17 Ebd. S. 166.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Kritik am Minnesang in des Strickers "Die Minnesänger"
Hochschule
Universität Zürich  (Deutsches Seminar)
Veranstaltung
Modul 514 Der Stricker – Seminar
Note
2,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V273935
ISBN (eBook)
9783656663652
ISBN (Buch)
9783656663621
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Der Stricker, Die Minnesänger, Minnesang
Arbeit zitieren
Marko Stevic (Autor:in), 2012, Kritik am Minnesang in des Strickers "Die Minnesänger", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273935

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