Betriebliches Gesundheitsmanagement im Krankenhaus. Herausforderungen und Chancen

Wirtschaftliche und personelle Ressourcen, demografische Entwicklungen


Hausarbeit, 2013

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Ausgangssituation/ Problembetrachtung
1.1 Wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser seit der Umstellung auf die Fallpauschalenvergütung (DRG)
1.2 Arbeitsfähigkeitsbetrachtung auf der Basis von Krankheitsdaten
1.3 Arbeitsfähigkeit auf der Basis des Work Ability Index (WAI)

2. Personalstruktur und Beschäftigungsentwicklung im Krankenhaus unter Berücksichtigung des Demografischen Wandels
2.1 Beschäftigtenstruktur im Krankenhaus unter Berücksichtigung der Altersverteilung
2.2 Auswirkung des Fachkräftemangels auf die Beschäftigtenstruktur

3. Berufsgruppenspezifische Besonderheiten im Krankenhaus
3.1 Ärztlicher Dienst
3.2 Pflegedienst

4. Begriffsdefinitionen und systematische Einordnung
4.1. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)
4.2. Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)
4.3 Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

5. Stand der Umsetzung eines ganzheitlichen Betrieblichen Gesundheitsmanagement in deutschen Krankenhäusern

6. Pathogenetische und salutogenetische Orientierung für ein wirksames BGM im Krankenhaus

7. Kosten-/ Nutzen Aspekte von BGM

8. Schlussfolgerung für die Praxis: Handlungs- und Interventionsansätze

9. Schlussfolgerung für die Forschung

Literaturverzeichnis

Vorwort

Krankenhäuser und andere Betriebe der Gesundheitswirtschaft sind in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels nur dann dauerhaft wettbewerbs- und leistungsfähig, wenn sie ihre Dienstleistung, also die „Gesundheitsförderung und -Wiederherstellung der Gesundheit“ Patienten und Mitarbeitern gleichermaßen zuführen.

Wir werden älter. Der Anteil der über 80jährigen an der Gesamtbevölkerung wird sich gemäß der Gesundheitsberichterstattung des Bundes von 5,38 % (2011) auf 12,1% im Jahr 2050 erhöhen. Die Arbeitsbelastungssituation in deutschen Krankenhäusern ist heute bereits durch hohe Arbeitsdichte, ungünstige Arbeitszeiten, einem Mangel an gesundheitsgeneigten Ausweicharbeitsplätzen und wenig Geld im System gekennzeichnet. Der demografische Wandel führt dazu, dass die Anzahl der schwerpflegebedürftigen Menschen steigt und gleichzeitig altersbedingte Leistungseinschränkungen der Beschäftigten zunehmen.

Nach einer im Mai 2013 veröffentlichten Studie der „berufundfamilie gGmbH“ einer Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, gaben 94 Prozent von 150 befragten Krankenhäusern an, dass sie in den kommenden fünf Jahren gravierende Engpässe bei der Besetzung von Arztstellen erwarten (berufundfamilie 2013). Für die Krankenpflege und andere Berufsgruppen im Krankenhaus sieht die Einschätzung ähnlich düster aus. Heute schon haben viele Kliniken Probleme täglich den Facharztstandard sowie die rund-um-die-Uhr Pflege der Patienten sicher zu stellen.

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) im Krankenhaus versteht sich als ein Organisationsentwicklungsprozess und bedeutet die ganzheitliche Integration der Gesundheitsförderung in alle Prozesse und Strukturen. Ziel ist die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern und damit die Voraussetzungen für eine optimale Arbeitsfähigkeit herzustellen. Den heutigen Anforderungen an einen wirtschaftlichen Ressourceneinsatz im Krankenhaus wird ein professionelles Betriebliches Gesundheitsmanagement durch bedarfsgerechte, effiziente Maßnahmen gerecht. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus, der Wert des BGM als Standortfaktor auf dem umkämpften Fachkräftemarkt im Gesundheitswesen.

Der Erfolg eines BGM ist messbar. Untersuchungen ergaben, dass sich bei Mitarbeitern, die an Programmen zur Gesundheitsförderung teilnehmen, die krankheitsbedingten Fehlzeiten um 12 bis 36 Prozent verringern. Experten haben für allgemeine sowie krankheitsspezifische Interventionen Kosten-Nutzen-Verhältnisse von 1:2,5 bis 1:10,1 ermittelt (Sockoll I. et al. 2008). Unter der Voraussetzung, dass die BGM- Maßnahmen strukturiert, auf das jeweilige Unternehmen mit seinen Bedürfnissen zugeschnitten und fachkundig erfolgen, sind positive Auswirkungen auf die Produktivität und die Arbeitsfähigkeit zu verzeichnen. Angesichts des gesetzlich festgelegten Facharztstandards und der Erfordernisse einer rund-um-die-Uhr Patientenversorgung sind Arbeitsfähigkeit und eine qualitativ wie quantitativ auskömmliche Besetzung im Krankenhaus existentiell.

1. Ausgangssituation/ Problembetrachtung

In der Gesundheitsbranche werden sieben verschiedene Schwerpunkteinrichtungen unterschieden: Gesundheitsschutz, ambulante Einrichtungen, stationäre und teilstationäre Einrichtungen, Rettungsdienste, Verwaltung und sonstige Einrichtungen. Vom Fachkräftemangel und den Auswirkungen der alternden Bevölkerung sind alle Institutionen der Gesundheitswirtschaft in besonderem Maße betroffen. Das Arbeitsumfeld in Arztpraxen, Apotheken oder sonstigen ambulanten und teilstationären Einrichtungen unterscheidet sich jedoch gravierendend von dem der Kliniken. Mit dieser Hausarbeit werde ich mich ausschließlich dem Beschäftigungsfeld der stationären Einrichtungen, also der Kliniken widmen.

Ziel dieser Arbeit ist es, den aktuellen Stand zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement in Krankenhäusern darzulegen und zwar bezogen auf wissenschaftliche Erkenntnisse einerseits und deren Umsetzung in der Praxis andererseits. Dabei gehe ich auf die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen ein und beschreibe die wirtschaftliche Situation, sowie die Auswirkungen des demografischen Wandels im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Es werden daraus Handlungsfelder für das BGM in den Kliniken abgeleitet und dabei auf die Hindernisse einer erfolgreichen Implementierung eingegangen.

Anhand der beiden zahlenmäßig im Krankenhaus am stärksten vertretenen Berufsgruppen, nämlich der Pflege und dem Ärztlichen Dienst, beschreibe ich die besonderen Beanspruchungs- und Belastungssituationen. Daraus erschließt sich der Kosten-/ Nutzen Aspekt eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Abschluss und Ausblick dieser Arbeit sind die Schlussfolgerungen für die Forschung sowie Interventionsansätze für die Praktiker in den Kliniken. Im Rahmen einer folgenden Projektarbeit gehe ich auf Kennzahlen für das Betriebliche Gesundheitsmanagement mit Schwerpunkt auf krankenhausspezifische Kennzahlen ein.

Als Autorin mit langjähriger Verantwortung als Personalleiterin in Kliniken werde ich an einigen Stellen eigene berufliche Erfahrungen einfließen lassen und diese entsprechend kenntlich machen.

1.1 Wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser seit der Umstellung auf die Fallpauschalenvergütung (DRG)

Seit der Umstellung der Krankenhausfinanzierung von der „Liegetagevergütung“ auf die „Fallpauschalenvergütung (DRG) und gedeckelten Krankenhausbudgets ab dem Jahr 1996 haben sich die Fallzahlen erhöht und die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus dramatisch verkürzt. Während Patienten im Jahr 1991 noch im Schnitt 14 Tage im Krankenhaus verbrachten, sind es 20 Jahre später nur noch 7,7 Tage. Das Statistische Bundesamt hat im Februar 2013 die Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern 2011 veröffentlicht. Danach wurden im Jahr 2011 18,8 Millionen Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern behandelt. Nach Angabe des statistischen Bundesamtes erhöht sich die durchschnittliche Fallschwere pro Patient kontinuierlich (Statistisches Bundesamt, Hrsg. 2012).

Neben der Steigerung der Arbeitsdichte hat sich die Wettbewerbssituation der Kliniken verschärft. Es kam zu Fusionen, Klinikschließungen und Privatisierungen kommunaler Krankenhäuser. Tarifabschlüsse und Energiekostensteigerungen konnten nicht ausreichend gegenfinanziert werden. Viele Kliniken weisen einen erheblichen baulichen Investitionsstau auf. Gemäß einer Studie des Rheinisch-Westfälische Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (RWI, 2012) sind ca. 40% der Krankenhäuser derzeit nicht voll investitionsfähig. Dies wäre vielerorts eine Voraussetzung, um Effizienzsteigerungen und Personalentlastungen herzustellen.

„Die Gesamtkosten der Krankenhäuser sind im Jahr 2011 um 4,4 % auf 81,8 Mrd. Euro angestiegen. Der Kostenanstieg setzt sich zusammen aus einem Anstieg der Personalkosten um 4,3 % auf 49,5 Mrd. Euro und der Sachkosten um 4,4 % auf 31,7 Mrd. Euro. Auf den stationären Bereich (bereinigt um Ambulanz, Forschung und Lehre sowie sonstige Abzüge) entfielen 72,6 Mrd. Euro (+4,3 %). Ein überdurchschnittlicher Kostenanstieg ergibt sich für den Ärztlichen Dienst (+6,0 %), den Funktionsdienst (+5,2 %) sowie für Lebensmittel (+5,1%), den Medizinischen Bedarf (+5,0%), den Wirtschaftsbedarf (+5,1 %), Aufwendungen für nicht beim Krankenhaus angestelltes nichtärztliches Personal (+11,5%), Aufwendungen für nicht beim Krankenhaus angestellte Ärzte und Ärztinnen (+17,1%), sowie Aufwendungen für ausgelagerte Leistungen (+14,8%)….Die Kosten je Behandlungsfall betrugen 3.960 Euro im Bundesdurchschnitt, was einer Steigerung gegenüber 2010 um 2,5 % entspricht.“ (DKG, 2012)

Diese Zahlen zeigen, welche Zusatzkosten heute schon angesichts des Fachkräftemangels auf dem ärztlichen und pflegerischen Arbeitsmarkt für externe Zeitarbeitnehmer und Honorarärzte entstehen. Mit 825.654 Vollkräften konnte die Personalbesetzung im Krankenhaus um 9.396 Vollkräfte gegenüber dem Vorjahr gesteigert werden; im ärztlichen Dienst ist eine Zunahme auf 138.955 Vollkräfte (Zunahme um 4.108) und für den Pflegedienst auf 310.817 Vollkräfte (Zunahme um 4.604) zu verzeichnen. Dies entspricht jedoch nicht dem tatsächlichen Arbeitskräftebedarf, der notwendig ist, um die Leistungssteigerungen sowie den Personalmehrbedarf, welcher durch die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes1 entstanden ist, auszugleichen.

Im Rahmen einer Sachverständigenanalyse im Auftrag des Bundestages berichtet das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (RWI, 2012), dass die Anzahl der Krankenhäuser, die eine erhöhte Insolvenzgefahr aufweisen, leicht zurückgegangen ist. Es handelt sich aber immer noch um 10 Prozent aller deutschen Krankenhäuser. „Die Zahl der Krankenhäuser mit einem Jahresüberschuss belief sich 2010 auf 68%, solche mit einem ausgeglichenem Ergebnis auf 18% und Häuser mit einem Jahresverlust auf nur noch 14%. Die Erlöse aus den Fallpauschalen (DRG-Erlöse), die den größten Teil der Krankenhauseinnahme ausmachen, liegen nach Angabe des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2010 leicht unter den Kosten (Statistisches Bundesamt, 2012). Die Defizite aus der stationären Krankenhausversorgung sowie Investitionskosten, die nicht durch Fördermittel der Länder gedeckt sind, müssen also durch ambulante Einnahmen, sogenannte IGEL-Leistungen und private Krankenhausleistungen (Privatliquidationen, Hotelleistungen) kompensiert werden. Nach Auffassung der RWI wäre für das Jahr 2012 ein zusätzlicher Finanzbedarf der deutschen Krankenhäuser in Höhe von 330 Mill. € notwendig, um die existentielle Lage vieler Kliniken zu mildern.

1.2 Arbeitsfähigkeitsbetrachtung auf der Basis von Krankheitsdaten

Mitarbeiter erleben das Krankenhaus als Arbeitsort zunehmend weniger gesundheitsgeneigt. Dazu kommt der Stress, der dadurch entsteht, dass sich ihre Ansprüche an eine gute Pflege und Medizin nicht immer erfüllen lassen, häufig zu wenig Zeit für Patienten bleibt und der Kompensationsdruck in den ausgedünnten und gesundheitlich angeschlagenen Teams zu hoch ist. Welche Auswirkungen das ständige Einspringen, überlange Arbeitszeiten, wenig Teilhabemöglichkeit am sozialen Leben aufgrund des Schichtdienstes und die Belastungen der Wochenenddienste auf die individuelle Gesundheit der Mitarbeiter hat, ist am überproportional hohen Krankenstand der Gesundheitsbranche abzulesen. Während jeder Beschäftigte in Deutschland 2010 gemäß dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse statistisch gesehen 12,3 Tage krankgeschrieben war, fielen Beschäftigte in der Krankenpflege und Geburtshilfe mit durchschnittlich 17,5 Tagen und einer AU-Quote von 9,2 % deutlich höher aus. Bei den Versicherten der Techniker Krankenkasse stehen die Mitglieder die in der Branche Gesundheitswesen ohne fachspezifische Ausbildung arbeiten mit durchschnittlich 19,6 Tagen an 4. Stelle der Top 100 Berufe mit den höchsten krankheitsbedingten Ausfallzeiten (Techniker Krankenkasse 2013)

Auch aus dem Fehlzeitenreport der AOK geht hervor, dass die nicht examinierten Pflegehelfer mit einem Krankenstand von 6,8% im Jahr 2010 die höchste Fehlzeitenquote in der Branche „Dienstleistungen“ aufweisen. (AOK 2013)

In den Gesundheitsberichten der Krankenkassen sind die verschiedenen Fachpflegegruppen nicht nach Einsatzbereich im Krankenhaus sondern nach Ausbildungsstand gruppiert. Überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten weisen meiner Erfahrung nach insbesondere Mitarbeiter des Wirtschafts- und Versorgungsdienstes sowie im Pflegebereich die Gruppe der Krankenpflegehelfer auf. Bei den examinierten Krankenpflegekräften nimmt der Krankenstand in den oberen Altersgruppen ab 50 Jahren besonders zu.

„…Auf Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, auf psychische Erkrankungen sowie auf Erkrankungen des Atmungssystems entfallen 2012 mehr als die Hälfte aller Krankheitstage (52,1 Prozent): Im Jahr 2012 hatten Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems einen Anteil von 23,2 Prozent am Krankenstand. Mit 325,9 AU-Tagen je 100 Versicherte lag diese Krankheitsart – wie schon in den Vorjahren – beim Tagevolumen an der Spitze. Hinsichtlich der Erkrankungshäufigkeit lagen Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems mit 17,4 Erkrankungsfällen pro 100 Versicherte an zweiter Stelle. Der Krankenstand wegen Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr (2011: 320,7 AU-Tage pro 100 Versicherte) gestiegen. In der Hauptgruppe der Muskel-Skelett-Erkrankungen stellen die Rückenerkrankungen den größten Teilkomplex dar.“ (DAK Gesundheitsreport 2013, Druckfassung 15.2.2013; S. 16)

Meine Erfahrung ist, dass die Gruppe der OP-Pflegekräfte sowie die der Zentralsterilisationen durch besonders hohe Krankenstände hervorstechen. Dies mag an den besonderen Flexibilitätserfordernissen, hohem Stress und ungünstigen Arbeitszeiten sowie räumlich problematischen Arbeitsbedingungen liegen.

Abschließend soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Fehlzeitenquote nur bedingte als Indikator für die Gesundheitssituation, geschweige denn für die konstitutionelle Leistungsfähigkeit der Beschäftigten herangezogen werden kann. Zur Analyse der Gesundheits- und Belastungssituation in Krankenhäusern eignen sich Instrumente wie COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire“, vergl. Bartholomeyczik, 2008, zit. n. Jansen M. 2011) oder SALSA („Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse“, vergl. Lasshofer, 2006, zit. n. Jansen M. 2011). COPSOQ ist auch deshalb als Instrument für Arbeitgeber interessant, weil hier ein differenzierter Branchenbenchmark möglich ist.

In der Fehlzeitenforschung wird zwischen Absentismus „Fernbleiben von der Arbeit“ (Badura, 2010) und Präsentismus unterschieden. Aronsson et al. (2000, S. 503 zit. n. Jansen M. 2011) definiert Präsentismus als ein Konzept, welches das Verhalten von Menschen beschreibt, trotz Beschwerden oder eines schlechten Gesundheitszustandes auch dann zur Arbeit zu erscheinen, wenn man eigentlich zu Hause bleiben sollte.

Damit wird deutlich, dass Gesundheit und Krankheit objektiv und subjektiv fließende Prozesse innerhalb zweier Pole sind. Antonovski (1997) spricht von einem Gesundheits-/ Krankheitskontinuum. Es wird angenommen, dass die Kosten des Präsentismus deutlich über den Kosten des Absentismus liegen. Präsentismusstudien aus Skandinavien gehen allgemein von einem Verhältnis 1:3 aus (Aronsson et.al., 2000, zit. n. Jansen M. 2011). Die mitarbeiterbezogenen Präsentismuskosten, nämlich die gesundheitlichen Folgen für die Arbeitnehmer wurden mit der „Whitehall II-Studie“ (Kivimäki et. Al., 2005, zit. n. Jansen M. 2011) belegt. Demnach gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Gesundheitszustand, Anzahl von Präsentismusepisoden und Prävalenz von ernsthaften koronaren Erkrankungen/ Maokardinfarkten.

1.3 Arbeitsfähigkeit auf der Basis des Work Ability Index (WAI)

Bezugnehmend auf die Definition der individuellen Arbeitsfähigkeit oder human resources von Illmarinen (Illmarinen J., Tempel J., 2003) verstehen wir darunter die geistigen, körperlichen und sozialen Voraussetzungen des Beschäftigten sowie seine fachliche Kompetenz. Wobei auch Faktoren wie Erziehung, Ausbildung und Arbeitserfahrungen eine Rolle spielen. Zu diesen individuellen Ressourcen kommen die des sozialen und beruflichen Umfeldes als organisationale Ressourcen. Darauf aufbauend wurde von Tuomi et al. (1998 zit. nach Badura B., Walter U. 2010) in den achtziger Jahren der Arbeitsfähigkeitsindex (work ability index, WAI) entwickelt. Hierbei handelt es sich um einen Fragebogen Instrument, welches mit den Fragen und einer Krankheit lässt sich die oben genannten Aspekte der Arbeitsfähigkeit erhebt. Die Skala reicht von einem WAI-Wert von 7 (völlige Arbeitsunfähigkeit) bis 49 (optimale Arbeitsfähigkeit), diese lassen sich wiederum vier Klassen der Arbeitsfähigkeit zuordnen.

Im Rahmen der europäischen NEXT-Studie (Hasselhorn HM., Müller BH, 2005) wurde der WAI zur Messung und zum Vergleich der Arbeitsfähigkeit deutscher mit europäischen Pflegekräften erhoben. In sämtlichen Altersgruppen war die Arbeitsfähigkeit bei den polnischen, französischen und den deutschen Teilnehmern am niedrigsten. Besonders stark fiel der WAI ab dem 50. Lebensjahr ab und korrelierte mit dem Wunsch, den Pflegeberuf zu verlassen.

Die Autoren der Studie formulieren einen klaren Handlungsbedarf für deutsche Krankenhäuser zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsplatzattraktivität des Pflegeberufes, insbesondere vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels und der strukturellen Veränderungen im deutschen Gesundheitsmarkt.[i] (Hasselhorn HM., Müller BH, 2005)

2. Personalstruktur und Beschäftigungsentwicklung im Krankenhaus unter Berücksichtigung des Demografischen Wandels

Die Personalkosten machen im Krankenhaus ca. zwei Drittel der Gesamtkosten aus. Es handelt sich also um einen sehr personalintensiven Wirtschaftszweig mit ausgeprägtem Dienstleistungscharakter. Auf Basis der Daten der Krankenhausstatistik des statistischen Bundesamtes über die Personalstruktur sowie aus dem aktuellen Bericht der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKI 2012) abgeleitet, lässt sich zusammenfassen:

In den Krankenhäusern (ohne Vorsorge und Rehabilitationseinrichtungen) waren im Jahr 2011 ca. 1,1 Millionen Personen beschäftigt. Die Personalstruktur sah wie folgt aus:

Pflegedienst: 38%

Ärztliches Personal: 17%

Medizinisch-Technischer Dienst: 16%

Funktionsdienst: 12%

Die übrigen Beschäftigten (17%) kommen aus den Berufsgruppen Verwaltungsdienst, Wirtschafts- und Versorgungsdienst, Technischer Dienst und andere Gruppen wie etwa aus der Berufsausbildung oder dem Krankenhaussozialdienst (Statistisches Bundesamt 2012).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Personal in Krankenhäusern, ohne Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen; umgerechnet in Vollzeitkräfte. Quelle: Statistisches Bundesamt (2012), Fachserie 12, Reihe 6.1.1.

Ein immer größerer Anteil des Personals arbeitet auf Teilzeitbasis bis hin zum Minijob. Dies gilt insbesondere für die weiblichen Beschäftigten, die im Krankenhaus 81 % des nichtärztlichen Personals und 44 % des ärztlichen Personals stellen.

Im Vergleich dazu beträgt der Frauenanteil in der Gesamtwirtschaft des Jahres 2011 46 %, davon arbeitete fast jede zweite erwerbstätige Frau zwischen 15 und 74 Jahren weniger als 32 Stunden pro Woche. Unter den weiblichen Beschäftigten des ärztlichen Personals arbeiten 30 % auf Teilzeitbasis, bei den männlichen Beschäftigten sind es 9 %.

2.1 Beschäftigtenstruktur im Krankenhaus unter Berücksichtigung der Altersverteilung

Besonders deutlich wird die Auswirkung dieser Beschäftigtenstruktur, wenn man sie im Rahmen einer betrieblichen Altersstrukturanalyse untersucht und gleichzeitig unter dem Fokus der individuellen berufsbiografischen Entwicklung betrachtet. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass viele Beschäftigte heute durch die Pflege der Elterngeneration zwei Phasen der Familienarbeit und damit Doppelbelastung bewältigen.

Die folgende Grafik stellt das Alter und den aktiven bzw. passiven Beschäftigungsstatus der Mitarbeiterschaft einer Klinik der Schwerpunktversorgung mit 1800 Beschäftigten auf Basis der Personalstruktur des Jahres 2010 dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2 Eigene Auswertung; Altersstrukturanalyse auf Basis des Personalbestandes 2010 in einem Klinikum der Schwerpunktversorgung mit N = 1832 Mitarbeitern, Aktiv Beschäftigte =1655, Passive Beschäftigungsverhältnisse = 177

Unter passiven Beschäftigungsverhältnissen sind solche zu verstehen, in denen der Arbeitsvertrag wegen langandauernder Erkrankung, Beurlaubung ohne Vergütung, Erwerbsminderungsrente oder Elternzeit ruht. Die Grafik sagt also etwas über die Verfügbarkeit des Personals aus und weist gleichzeitig auf berufsbiografische Brüche hin. Im mittleren Alter zwischen 28 und 40 Jahren in Form der Familienphase und durchschnittlich ab dem 55. vor dem Hintergrund gesundheitsbedingter Einschränkungen. In dem untersuchten Krankenhaus betrug das Durchschnittsalter im Querschnitt aller Berufsgruppen 41 Jahre und lag im statistischen Mittel der Branche. In einzelnen Abteilungen und Berufsgruppen, wie der Zentralsterilisation, Teilen der Verwaltung oder des Ärztlichen Dienstes waren jedoch Altersstrukturrisiken erkennbar. Selbst in der großen Berufsgruppe Pflege gab es teilweise wenig altersgemischte, nämlich sehr junge oder sehr erfahrene Teams.

Eines dieser erkennbaren Strukturrisiken waren Einschränkungen bei der Teilnahme an den Nachtdiensten wie die folgende Abbildung zeigt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Eigene Auswertung im Rahmen einer Altersstrukturanalyse auf Basis des Personalbestandes 2010 auf einer Station mit N = 26 examinierte Pflegekräfte, davon Teilnahme am Nachtdienst N = 21, Nichtteilnahme am Nachtdienst N = 5

Die eingeschränkte Verteilbarkeit ungünstiger Arbeitszeiten auf das gesamte Team führt zu einer verstärkten Belastung der Mitarbeiter, die am Wechselschichtdienst teilnehmen. Erschwerend ist, dass dies häufig auch diejenigen Mitarbeiter sind, die flexibel Personalengpässe durch kurzfristiges Einspringen oder Mehrarbeit ausgleichen. Darüber hinaus stellten wir fest, dass Schwerbehinderungen mit steigendem Alter zunahmen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 Eigene Auswertung; Zunahme der Anzahl der anerkannten Schwerbehinderungen auf Basis des Personalbestandes 2010 in einem Klinikum der Schwerpunktversorgung mit N = 1832 Mitarbeitern, Schwerbehindert/ Gleichgestellt N = 77

Viele Mitarbeiter dieser Klinik nutzten die Möglichkeit der Altersteilzeit, so dass der durchschnittliche Renteneintritt zum Untersuchungszeitpunkt bei 61 Jahren lag; der durchschnittliche Eintritt in eine Erwerbsminderungsrente war im Alter von 55 Jahren zu verzeichnen.

[...]

1 Die Neuregelungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbzG, § 7) beinhaltet die Anerkennung des Bereitschaftsdienstes als Regelarbeitszeit. Seit dem Ablauf der Übergangsfrist für Krankenhäuser am 31.12.2005 können Bereitschaftsdienste nur noch in Anrechnung auf die gesetzlichen, wöchentlichen Höchstarbeitszeit organisiert werden.

2 www.next-study.net, (n=39.898), examiniertes Pflegepersonal n=26.007, Pflegepersonal in 16 deutschen Krankenhäusern n= 2524

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Betriebliches Gesundheitsmanagement im Krankenhaus. Herausforderungen und Chancen
Untertitel
Wirtschaftliche und personelle Ressourcen, demografische Entwicklungen
Hochschule
Universität Bielefeld  (Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Bielefeld e.V. (ZWW))
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
34
Katalognummer
V277653
ISBN (eBook)
9783656705215
ISBN (Buch)
9783656710394
Dateigröße
839 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Betriebliches Gesundheitsmanagement, Krankenhaus, Betriebliche Gesundheitsförderung, Gesundheitswesen
Arbeit zitieren
Kerstin Reisinger (Autor:in), 2013, Betriebliches Gesundheitsmanagement im Krankenhaus. Herausforderungen und Chancen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277653

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