Friedrich Schillers "Kabale und Liebe". Eine Kritik an zeitgenössischen politischen Zuständen


Hausarbeit, 2014

33 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Der Einfluss der philosophischen Epoche der Aufklärung auf den europäischen Absolutismus des 18. Jahrhunderts: Eine Hinführung zur historischen Lebenswelt Schillers

2 Schillers Drama und seine historischen Umstände: Einige Vorbemerkungen
2.1 Eine Kurzzusammenfassung des Inhalts in Kabale und Liebe
2.2 Die ständische Verfassung Württembergs zum Amtsantritt Carl Eugens

3 Schillers adelige Figuren in Kabale und Liebe als Personifizierungen der Kritik an höfischen Lebensformen: Die in der höfischen Welt verkehrenden dramatis personae und ihre Laster
3.1 Der Fürst
3.2 Präsident von Walter
3.3 Ferdinand von Walter
3.4 Johanna von Norfolk als Lady Milford
3.5 Hofmarschall von Kalb

4 Schillers Spitzen in Kabale und Liebe als Kritik an zeitgenössischen politischen Skandalen
4.1 Vergnügungssucht
4.2 Mätressen-Haltung
4.3 Verschwendungssucht und Korruption
4.4 Soldatenhandel
4.5 Willkürjustiz
4.6 Lady Milford und Elisabeth von Hohenheim als Personifizierungen der guten Mätresse

5 Kritik am höfischen Absolutismus und an Carl Eugen in Kabale und Liebe: Ein Fazit zur Abrechnung Schillers mit seiner historischen Lebenswelt

6 Literaturverzeichnis zur Hausarbeit: „Schillers Kritik an zeitgenössischen politischen Zuständen in seinem bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe“

1 Der Einfluss der philosophischen Epoche der Aufklärung auf den europäischen Absolutismus des 18. Jahrhunderts: Eine Hinführung zur historischen Lebenswelt Schillers

In der politischen Landschaft Kerneuropas deutete sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts eine Epochenzäsur an, die in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung der Zäsur am Ende des Mittelalters gleichkam: Der höfische Absolutismus, die Herrschaftsform zahlreicher europäischer Mächte seit dem Übergang zur frühen Neuzeit, entwickelte sich unter dem Einfluss der Aufklärung zum Auslaufmodell. Unter dem Einfluss von Korrespondenzen zu den europaweit berühmten Philosophen Montesquieu und Voltaire wandelten sich die Zarin Katharina II. von Russland (ab etwa 1730) und der preußische König Friedrich II. (ab etwa 1740) zu selbsterklärten „aufgeklärten Absolutisten“. Eine neue Regierungsform war begründet, die den in seinem Territorium von jeglicher weltlicher und geistlicher Macht unbeschränkt herrschenden Monarchen moralisch in den Dienst seines Landes stellte, ihn zum obersten Untertan erklärte. Eine Generation später erklärte sich Joseph II. von Österreich als glühender Anhänger Friedrichs. In besagten Staaten waren tiefgreifende strukturelle Umwälzungen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Teilhabe und der Rechtsverfassungen die Folge: Jedes Individuum wurde vor dem Gesetz gleich gestellt, die Folter wurde abgeschafft, in manchen Staaten wurden Religions- und Meinungsfreiheit bei einer Abschaffung der Zensur gewährt. Auch die Einführung der Schulpflicht in vielen deutschen Ländern fiel in diese Zeit der Aufklärung, die mit den bedeutenden Daten der französischen Revolution 1789 bzw. 1792 ihren Höhepunkt und mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches 1805 und damit der Auflösung der alten ständischen Strukturen auf Reichsebene ihr Ende fand. Trotz des verstärkten Einflusses der philosophischen Strömung auf die Realpolitik in den deutschen Landen um 1750 regierten vor allem in den Mittel- und Kleinstaaten noch bis zum Ende des Jahrhunderts zahlreiche höfische Absolutisten. Einer von ihnen war Carl Eugen, geboren 1728, Herzog von Württemberg von 1737 (ab 1744 mündiger Alleinherrscher) bis zu seinem Tode 1793. Sein Regierungsantritt fiel mit dem Höhepunkt des prunkliebenden Barockabsolutismus‘ in Europa zusammen, und Eugen vertrat diese Auffassung vom Staatswesen bis zu seinem Tode – sehr zum Leidwesen seiner Landeskinder, die er über Jahrzehnte hinweg für die Aufrechterhaltung seiner kostspieligen Hofhaltung, die über Jahre hinweg zu der teuersten Europas zählte, schröpfte. Erst, als ihn der Römische Kaiser Joseph II. im Jahre 1770 persönlich von Wien aus in die Schranken wies, flaute Eugens Schuldenpolitik auf ein erträgliches Maß ab. Bis dahin und auch danach sprachen sich trotz Gewaltandrohungen zahlreiche Intellektuelle Württembergs offen gegen Eugens Lebenswandel aus. Einer von ihnen war Friedrich Schiller, seines Zeichens 1773-1780 Medizinstudent an der herzoglichen Militärschule und anschließend Regimentsarzt in Stuttgart. Aufgrund seines ersten dichterischen Werkes, dem Schauspiel „Die Räuber“, welches 1782 im badischen Mannheim uraufgeführt wurde und in dem Schiller offen die Freiheit des Individuums als höchstes Gut propagierte, sah sich der Dichter gezwungen, noch im selben Jahr an die Stätte seiner Uraufführung zu fliehen. Literarisch nahm Schiller Rache an seinem ehemaligen Landesherrn: Das ebenfalls 1782 begonnene und 1784 als drittes Schillerdrama in Frankfurt am Main uraufgeführte bürgerliche Trauerspiel „Luise Millerin: Kabale und Liebe“ liest sich als eine schonungslose Abrechnung mit der Ständegesellschaft und absolutistischen Herrschaftsformen im Allgemeinen. Denn die Kritik, die Schiller im Stück übt, ist anonymisiert. Keine historische Person wird mit Namen genannt. Die angeprangerten Missetaten (Verschwendung, Polygamie, Korruption, Willkürjustiz und Soldatenhandel) waren in beliebiger Kombination in beinahe jedem höfisch-absolutistisch regierten deutschen Kleinstaat an der Tagesordnung. Dennoch lassen sich, bei genauem Vergleich ausgewählter Textstellen mit den historischen Vorgängen in Württemberg, gezielte unterschwellige Spitzen gegen Carl Eugen persönlich erkennen.1

Die Arbeit hat zum Ziel, die Anklagen Schillers gegen seinen Landesherrn, die in Kabale und Liebe zum Ausdruck kommen, offenzulegen. Wie lauten die Anklagepunkte Schillers gegen das Gebaren höfisch-absolutistischer Herrscher? In welchen Ausschweifungen Carl Eugens finden sie ihre Entsprechung? Trifft manche Kritik Schillers möglicherweise andere Fürsten Deutschlands härter als den württembergischen? Beim Überblick über die historische Fachliteratur fällt auf, dass das Thema „Württemberg im Spätabsolutismus“ in letzter Zeit etwas aus dem Blickpunkt gerückt ist. Aktuelle Werke zur Zeit Carl Eugens existieren wenige. Die bedeutendste aktuelle Abhandlung über den Fürsten ist Jürgen Walters Biografie von 2009. An aktuellen Schriften, die im speziellen Eugens Bauten, Feste und Reisen behandeln, liegen Wolfgang Uhligs Dokumentation der Italienreisen von 2005, Annegret Kotzureks Dissertation über die Innenausstattung der herzoglichen Schlösser von 2001 und Ute Bergers Abhandlung über das Festwesen am württembergischen Hof von 1997 vor.2

Nach einer Einführung in den Inhalt des Stückes (Abschnitt 2.1) wie in die württembergische Staatsverfassung (2.2) wird in Punkt 3 Person für Person untersucht, welche moralischen Verfehlungen die Charaktere Schillers als Abbilder klassischer Absolutisten begehen. Anschließend folgt in Abschnitt 4 der Abgleich jener Eigenschaften und Handlungen mit den Umständen an Carl Eugens Hof in den Jahren 1744 bis 1782, bis zur Flucht Schiller aus Stuttgart.

2 Schillers Drama und seine historischen Umstände: Einige Vorbemerkungen

2.1 Eine Kurzzusammenfassung des Inhalts in Kabale und Liebe

Luise Millerin, von Schiller als bürgerliches Trauerspiel deklariert, war sein drittes Drama. Noch vor der Uraufführung am 13.04.1784 in Frankfurt am Main wurde es auf Rat des Schauspielers Wilhelm Iffland in Kabale und Liebe umbenannt. Das Trauerspiel spielt in der nicht näher genannten Hauptstadt eines nicht näher genannten deutschen Kleinfürstentums und handelt von der leidenschaftlichen Liebe der Luise Miller, einer jugendlichen Bürgerlichen und Tochter des Stadtmusikanten, zu Ferdinand, einem jungen erwachsenen Adelsspross, Major der Elitekavallerie und Sohn des obersten Ministers des Landesfürsten. Obwohl Ferdinand die Avancen Luises aufrichtig erwidert, versagen aufgrund ausgeprägter Standesdünkel beide Väter ihren Kindern die Heirat. Um das heimliche Liebespaar zu entzweien, veranlasst der Ministerpräsident und Vater Ferdinands mehrere Intrigen: Zunächst versucht er, seinen Sohn Ferdinand mit Lady Milford, der Mätresse des Fürsten, zu verheiraten, um das Ansehen seiner Familie bei Hofe zu mehren. Milford will sich durch Ferdinand den Avancen des tyrannischen Herzogs entziehen und kann auch aus Prestigegründen nicht auf die öffentlich verkündete Vermählung verzichten, doch Ferdinand schlägt diese blindlings aus. Unter der Androhung, er werde die schmutzigen Machenschaften anzeigen, mit denen sein Vater zum Präsidenten aufgestiegen ist, sagt er sich vom Befehl des Vaters los und erwägt eine Flucht mit Luise ins Ausland – ähnlich, wie auch Schiller sich der persönlichen Einengung durch die ständische Ordnung entzogen hat. Während Milford versucht, der Luise ihren Ferdinand abspenstig zu machen, wagt auch der Präsident einen zweiten Anschlag, dieses Mal auf Luise: Willkürlich lässt er deren Eltern gefangen nehmen und das Bürgermädchen erpressen. Will sie ihre Eltern wiedersehen, muss sie einen Liebesbrief an den Hofmarschall von Kalb verfassen. Dieser wird Ferdinand zugespielt. Rasend vor Eifersucht vergiftet er daraufhin Luise. Wie diese ihm im Sterben die Intrige beichtet, nimmt auch Ferdinand Gift.

Das Stück ist der literarischen Epoche des Sturm und Drang zuzurechnen, deren Eigenheiten sich vor allem im unkontrolliert aufbrausenden, leidenschaftlichen, aber vollkommen weltfremden Ferdinand personifizieren. Wie ein klassisches Drama befolgt es die aristotelische Einheit von Ort und Zeit: Lediglich innerhalb der Mauern der Hauptstadt spielend, beginnt es des Morgens und endet in der Nacht, erstreckt sich also über die Dauer eines ganzen Tages.

2.2 Die ständische Verfassung Württembergs zum Amtsantritt Carl Eugens

Wenn Württemberg im Vergleich zu den größeren deutschen Territorien auch vergleichsweise spät mit der Einrichtung von Ständevertretungen begann, existierte die Institution „Landtag“ dort seit 1457. Sowohl im Stuttgarter Landesteil wie auch im Uracher fanden in diesem Jahr erste Ständevertretungen statt, die ihre Grafen in Vormundschaftsfragen und Kriegsdrohungen berieten. Adelige, geistliche und bürgerliche Vertreter trafen sich dort zu Beratungen. Rechtsbefugnisse über die Beratungstätigkeit hinaus besaßen diese Gremien allerdings nicht. Außerdem konnten sie nur zusammentreten, wenn die Landesherren einen Landtag einberiefen.

Verfassungsähnliche Kompetenzen erhielt der Württemberger Landtag im Jahre 1514, nach Vereinigung der beiden Landesteile und deren Erhebung zum Herzogtum. Als in Folge von Überschuldung der Herzog Ulrich massive Steuererhöhungen anordnete, brachen in weiten Landesteilen Unruhen unter der Bauernschaft aus. Der Interessenkonflikt wurde am 08.07.1514 im Tübinger Vertrag beigelegt. Die Stände verpflichteten sich hierin, die knappe Million Gulden Schulden des Herzogs zu tragen, wohingegen der Herzog die Pflicht übernahm, bei allen künftigen Steuererhebungen den Landtag um Genehmigung zu bitten. Das Steuerbewilligungsrecht ging also auf die Landstände über. Zugleich setzten diese im Vertrag das Kriegsbewilligungsrecht, die Einrichtung einer ordentlichen Gerichtsbarkeit in Strafsachen und das Recht auf Freizügigkeit durch. Darüber hinaus wurde auch jeglicher Verkauf von Land und Leuten an fremde Mächte von der Zustimmung der Stände abhängig gemacht. Das Recht der Beratung des Landesherrn durch den Landtag wurde schriftlich fixiert.

Obwohl bereits seine Vorgänger Eberhard Ludwig und Karl Alexander des Öfteren versucht hatten, die Landstände in oben genannten Punkten zu übergehen, diese somit zu entmachten und ein absolutistisches Regime zu errichten, galt der Tübinger Vertrag in dieser Form noch bis in die Zeit Carl Eugens hinein. Als höfischen Absolutismus können wir in diesem speziellen Fall also die Entmachtung der Landschaft zwecks Alleinherrschaft durch die Umgehung des Tübinger Vertrages definieren, wobei diese sich in zwei Regierungsumbildungen manifestierten: 1755 entließ Eugen seinen Geheimratspräsidenten Friedrich August von Hardenberg, der den Geheimrat in den Jahren zuvor auf eine pro-landschaftliche Linie eingeschworen hatte. Im Jahr 1758 folgte dann die komplette Übergehung des immer noch der Landschaft geneigten Geheimrates durch die Etablierung dreier Staats- und Kabinettsminister, deren Vorsitzender Graf Montmartin, ein erklärter Gegner der Landschaft, wurde. Zwar handelte es sich beim Tübinger Vertrag nicht um eine Verfassung im modernen Sinne (eine solche erhielt das nunmehr zum Königreich erhöhte Württemberg erst 1819), doch grenzte dieser Staatsvertrag den Aktionsradius des Monarchen zugunsten der Rechte der Landstände deutlich ein. Den unten angegebenen Autoren gelten die im Tübinger Vertrag manifestierten Regeln als erste rudimentäre Aufzeichnung von Menschen- und Bürgerrechten in Württemberg. Jeder Herzog musste bei seiner Vereidigung auf den Tübinger Vertrag schwören.

Während der Adel im Zuge der Reformation aus den württembergischen Landständen ausschied, vermischten sich die beiden verbliebenen Stände Bürgertum und Klerus nach und nach zu einer Schicht, der württembergischen Ehrbarkeit. Unter Carl Eugen umfasste das Gremium der Landstände 14 kirchliche Abgeordnete, in der Mehrzahl Prälaten von Klöstern, deren Grundbesitz sich auf württembergischem Territorium befand, sowie 69 weltliche Abgeordnete, in der Mehrzahl Beamten als Vertreter der einzelnen Oberämter.

Württemberg besaß und behielt damit auch unter Carl Eugen eine streng hierarchische Feudalgesellschaft, fest eingebettet in die Strukturen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, welches zwar die Souveränität der Landesfürsten achtete, jedoch bei Beschwerden der Landstände gegen ihre Landesherren, die sich über Reichsrecht hinwegsetzten, mittels Kontrollkommissaren oder gar militärischen Zwangsmaßnahmen (sogenannte „Reichsexekution“) die Geltung des Reichsrechts durchzusetzte.3

3 Schillers adelige Figuren in Kabale und Liebe als Personifizierungen der Kritik an höfischen Lebensformen: Die in der höfischen Welt verkehrenden dramatis personae und ihre Laster

3.1 Der Fürst

Das Staatsoberhaupt des nicht näher bezeichneten deutschen Landes, in dem Schiller die Handlung seines Dramas spielen lässt, ist der Herzog. In seiner für einen Landesherrn niedrigen adeligen Stellung manifestiert sich die Tatsache, dass das Drama in einem Kleinfürstentum spielt. Bezeichnenderweise ist der Landesfürst nicht im Verzeichnis der auftretenden Person vermerkt und tritt überhaupt nicht auf. Auch sein Name scheint nicht erwähnenswert, um seine Herrschaft zu legitimieren, was grob den absolutistischen Charakter seiner Herrschaft und die nach der Ansicht des Fürsten nicht zu hinterfragende feudale Ordnung umreißt, deren oberste Instanz er repräsentiert. Die Herrschaft des Herzogs ist die eines Absolutisten par excellence, der mit grenzenloser Machtfülle regiert. Lady Milford merkt an, er „lässt die Quellen seines Landes in stolzen Bögen gen Himmel springen, oder das Mark seiner Untertanen in einem Feuerwerk hinwegpuffen“. Zwei Merkmale höfisch-absolutistischer Herrschaft sind in diesem Satz angelegt: Die absolute Verfügungsgewalt des Monarchen über Leib und Leben der Untertanen sowie der Hang, durch Prunksucht einen prächtigen Hof zu halten, der im internationalen Wettstreit als Aushängeschild fungierte.

Indem sich der Landesfürst in allen Aufgaben der Alltagspolitik durch seinen Ministerpräsidenten von Walter, den er mit allen herzoglichen Machtbefugnissen ausgestattet hat, vertreten lässt, entzieht er sich der lästigen Pflicht zu regieren. Das Wohlergehen seiner Untertanen scheint ihm gleichgültig. Den im Stück auftretenden Vertretern der Bürgerschaft entziehen sich seine Entscheidungen und seine Lebenswelt. So lebt er zurückgezogen in einem für die Personen des Stücks unzugänglichen Teil der Residenz, dessen Ausstattung sich nicht erschließt. Als in Szene II.2 zur Sprache kommt, wie siebentausend junge Erwachsene gegen ihren Willen als Soldaten zwangsverpflichtet und auf britischer Seite in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg geschickt werden, ist unklar, von wem die Order stammt. Da sich die Gesellschaft des Herzogs jedoch just in dem Augenblick, als es auf dem Paradeplatz durch besorgte Eltern und sich dem Befehl des Obersten widersetzenden Rekruten zu einem Tumult kommt, der vom Obersten mit Waffengewalt niedergestreckt wird, auf einem Jagdausflug befindet, scheint der Soldatenverkauf vom Herzog organisiert.4 Nur durch den Charme seiner Favoritin Milford bewegt, lässt sich der Herzog immer wieder dazu animieren, korrigierend in den Fortgang der Politik einzugreifen; meist, um als Gerichtsherr auf Geheiß der Lady zuvor verhängte Leibes- und Lebensstrafen abzumildern.5

Quellen, die Einblick in die privaten Handlungen des Fürsten geben, sind die Lady und der Hofmarschall von Kalb. Milford berichtet, der Herzog verbringe seine Zeit mit französischen und italienischen Mätressen. Als die Lady an seinen Hof gekommen sei, habe der Herzog durch seine willkürliche Wahl der Mätressen Ehen zerstört und blutjunge Mädchen durch Misshandlungen getötet. Darüber hinaus fröne er der Jagd. Kalb berichtet von einer Schlittenausfahrt, von einer Opernaufführung und einem Feuerwerk. Dass Kalb einiges an Zeit aufbringen muss, um die Küchenbestellungen aufzugeben, zeugt von einem Herzog, der den Genuss exotischer Speisen liebt – was die Lady bestätigt: „Er setzt den Saft von zwei Indien auf die Tafel.“6 Wie sich der Herzog kleidet, berichtet Kalb: Er trage „einen Merde d’Oye-Biber“ – also ein Kleid aus Biberpelz, das die Farbe von Gänsekot trägt. Die aufwendige Mode des Herzogs spiegelt dessen Prunksucht, scheint aber aufgrund ihrer abstoßend wirkenden Farbe nicht kleidsam. Wie sich der Herzog geriert, wie er parliert, ist aufgrund seiner Abwesenheit unklar. Nur die Erzählung der Milford von dem Tag, an dem die beiden sich kennen lernten, berichtet vom Schauspiel eines vorgeblich vor schwärmerischer Liebe auf die Knie fallenden, nach dem Urteil der Lady jedoch eigensüchtigen, herzlosen, wollüstigen „Tiger[s]“, der ihre Jugend und ihre Not auszunutzen verstand, um sich ein Lustobjekt zu verschaffen. Jedoch skizziert die Lady ein unvollständiges und parteiisches Bild vom Herzog.7

Viele Fragen zu Charakter und Tagesablauf des Herzogs bleiben offen. Die Person des Fürsten bleibt eine leere Hülle, deren unmittelbare Präsenz in der Dramaturgie nicht vonnöten ist. Sein Name markiert einen Platzhalter, der es dem Leser bzw. Zuschauer überlässt, ihn auf einen beliebigen absolutistischen Landesherrn zu projizieren. Sehr wohl aber kommt dieser seelenlosen Hülle inhaltlicher Einfluss zu: Die Extravaganz sowie die Vergnügungssucht des Herzogs sind stilbildend für die Hofhaltung. Die Distanz, die der Herzog zum Volk pflegt, provoziert in ihrer Nachahmung durch die Angehörigen des Hofes die herablassende Arroganz der Adelsvertreter gegenüber dem Bürgertum, der der einfache Bürger wie im Falle Miller mit Argwohn, Vorurteilen und Ablehnung begegnet. So ist das Verhalten des Herzogs Motor einer gegenseitigen Abschottung der Stände, einer Institutionalisierung von Dünkeln und Standesschranken. So wie der Herzog die Liebe im Titel des Stücks beeinflusst, ist er auch Triebfeder der Kabale: Sein Plan, die in innere Emigration gegangene Mätresse durch eine Heirat mit einem heimischen Adelsspross an seinen Hof zu binden, ist Mitauslöser der Hofkabale, mit der Ferdinand zur Heirat der Lady gezwungen werden soll.

3.2 Präsident von Walter

Präsident von Walter, dessen Vorname ebenfalls nicht genannt wird, ist als Ministerpräsident des Fürsten dessen Stellvertreter und damit der zweitmächtigste Mann im Herzogtum. Walter entpuppt als eiskalter Machtmensch. Bereits die Tatsache, dass er erst durch den Mord an seinem Vorgänger sowie durch „falsche[…] Briefe und Quittungen“ zum Präsidenten aufgestiegen ist8, verdeutlicht, wie Walter zum Erhalt und zur Festigung seiner Macht zu Verbrechen fähig ist. Der Befriedigung seiner Machtbestrebungen ordnet er alles unter, seine Mitmenschen sind ihm Mittel zum Zweck, er berechnet sie wie Schachfiguren. Ferdinand gegenüber betont er, dass „die Gewalt so viel wert ist“.9

Sogar seinen eigenen Sohn opfert er seinem Karrieredenken, indem er ihn als Ehemann für die Mätresse des Herzogs anbietet, um dem Landesvater einen Gefallen zu erweisen und seine Gunst bei ihm zu mehren. Indem Walter die Liebschaften des Herzogs fördert, untergräbt er zugleich dessen politisches Engagement, wodurch ihm selbst weit reichende Befugnisse zufallen. Faktisch wird das Land von Walter regiert. Dass sein Sohn sich gegen eine Hochzeit aus Opportunität sträubt, lehnt Walter nicht nur entschieden ab, ihm erschließt sich nicht einmal die moralische Kategorie „Liebe“, mit der Ferdinand argumentiert. Werte und Gefühle besitzen für den Machtmenschen keinerlei Bedeutung. Ihm gegenüber in solchen Kategorien zu argumentieren, verachtet er als „Tollheit“ oder „Zumutung“.10 Die herzensgute Luise einzuordnen, fällt ihm aufgrund fehlender moralischer Kriterien schwer, sodass er zum Schluss kommt, bei ihr muss es sich wohl um eine kommerziell kalkulierende „Hure“ handeln.11 Indem er Ferdinand mit dem Zweck, seine wahren Beweggründe für seinen Verzicht auf die Lady zu erfahren, probeweise auch die Gräfin von Ostheim als Gemahlin anbietet, beweist sich der Präsident als vom gleichen Geist der Promiskuität beseelt wir der Herzog: Eine Ehe muss dem Machtkalkül dienen, sexuelle Befriedigung ist anderweitig zu suchen.12

Zwar mag der Präsident nicht in der Lage sein, Emotionen als Beweggründe für Handeln zu verstehen, doch dumm ist Walter keinesfalls. Das Ränkespiel bei Hofe versteht er nur zu gut. Umgangsformen, Menschenkenntnis, rasche Auffassungsgabe, Risikobewusstsein und die Fähigkeit, einnehmend zu wirken und zu manipulieren, gehen damit einher. So versteht er den Hofmarschall sowohl für die erste, vom Herzog und der Lady eingefädelte und von Walter unterstützte Kabale – die Verkündigung der Hochzeit Ferdinands mit der Lady – und im späteren Verlauf auch für die von ihm selbst ersonnene zweite Intrige – die, die seinem Sohn die Tochter Millers abspenstig machen soll – als Strohmann einzusetzen.

Gegen seine Widersacher geht der Präsident unerbittlich vor: In einem Akt der Willkürjustiz überfällt er mit Gerichtsdienern das Haus der Millers. Als Musikus Miller dagegen protestiert, lässt Walter Vater wie Mutter ohne Anklage oder Prozess auf unbestimmte Zeit festnehmen. Nur die Drohung des Sohnes, die skrupellosen Machenschaften seines Vaters aufzudecken, verhindert die Abführung der beiden.13 Mit Zynismus und Verachtung begegnet Walter allen, die seine Vorstellungen von Realpolitik nicht teilen und denen, die für das Erreichen seiner Ziele keine Rolle spielen.

[...]


1 Zur Biografie Schillers siehe Oellers, Norbert: Johann Friedrich von Schiller. In: NDB 22 (2005). S. 759-763. Zur politischen Großwetterlage des 18. Jahrhunderts siehe Duchhardt, Heinz: Barock und Aufklärung. (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 11, hg. Lothar Gall). München 42007. S. 1-24, 116-167, 194-198 sowie Baumgart, Peter: Absolutismus ein Mythos? Aufgeklärter Absolutismus ein Widerspruch? Reflexionen zu einem kontroversen Thema gegenwärtiger Frühneuzeitforschung. In: Zeitschrift für historische Forschung 27 (2000). S. 573-589.

2 Walter, Jürgen: Carl Eugen von Württemberg. Mühlacker ²2009; Uhlig, Wolfgang: Die großen Italienreisen Herzog Carl Eugens von Württemberg. Stuttgart 2005; Kotzurek, Annegret: Von den Zimmern bey Hof. Funktion, Disposition, Gestaltung und Ausstattung der herzoglich-württembergischen Schlösser zur Regierungszeit Carl Eugens. Dissertation Stuttgart 2001; Berger, Ute Christine: Die Feste des Herzogs Carl Eugen von Württemberg. Tübingen 1997.

3 Wunder, Bernd: Kleine Geschichte des Herzogtums Württemberg. Leinfelden-Echterdingen 2009. S. 58-60, 161-174; Berger, Ute Christine: Die Feste des Herzogs Carl Eugen von Württemberg. Tübingen 1997. S. 24 sowie Weller, Karl und Arnold: Württembergische Geschichte im südwestdeutschen Raum. Stuttgart 91981. S. 92, 97, 225f. Zu den Regierungsumbildungen siehe Walter, Jürgen: Carl Eugen von Württemberg. Mühlacker ²2009. S. 107f., 128f.

4 Szenen II, 1f. Das Zitat entstammt der Szene II, 1.

5 Szene II, 3.

6 Die Aussagen der Lady finden sich in Szene II,3, die Berichte Kalbs in den Szenen I, 7, II,1 sowie III,2.

7 Szene II, 3.

8 Szene III,2.

9 Szene I,7.

10 Erstes Zitat: Szene I,7. Zweites Zitat: Szene II,6.

11 Szene II,7.

12 Szene I,7.

13 Szene II,7.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Friedrich Schillers "Kabale und Liebe". Eine Kritik an zeitgenössischen politischen Zuständen
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Literaturwissenschaft: Abteilung für Neuere Deutsche Literatur I)
Veranstaltung
Hauptseminar „Schiller-Inszenierungen“
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
33
Katalognummer
V296231
ISBN (eBook)
9783656941958
ISBN (Buch)
9783656941965
Dateigröße
921 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anmerkungen der Dozentin zur Hausarbeit "Die umfangreiche Arbeit ist sprachlich sicher verfasst und durchgehend interessant zu lesen. Die Qualifikation als Historiker setzt Büchele souverän ein, um die Situation im Württemberg des 18. Jahrhunderts darzulegen. Die Verbindungen, die er zwischen dem Drama und seinem historischen Kontext aufzeigt, sind allesamt plausibel und aufschlussreich. […] Inwiefern seine Arbeit historisch Neues liefert, bleibt im Dunkeln. […] Insgesamt aber handelt es sich um eine konsequent durchgeführte, sehr informative Studie."
Schlagworte
Schiller, Kabale, Liebe, Trauerspiel, Barock, Absolutismus, Luise, Miller, Württemberg, Carl Eugen, Soldatenhandel, Mätresse, Verschwendung, Korruption, Drama, Stuttgart
Arbeit zitieren
Torsten Büchele (Autor:in), 2014, Friedrich Schillers "Kabale und Liebe". Eine Kritik an zeitgenössischen politischen Zuständen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/296231

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Friedrich Schillers "Kabale und Liebe". Eine Kritik an zeitgenössischen politischen Zuständen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden