Offene Unterrichtsformen. Ein Weg zu mehr Schülerorientierung im Musikunterricht


Masterarbeit, 2015

72 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Was ist Schülerorientierung?
a. Allgemeine Definition
b. Bedeutung im Musikunterricht
c. Abgrenzung zu anderen Konzepten
i. Handlungsorientierung
ii. Konstruktivismus

III. Offener Unterricht
a. Ziele und Merkmale
b. Methodische Formen offenen Unterrichts
i. Stationenlernen
ii. Wochenplanarbeit
iii. Projektarbeit
c. Erfahrungen und Effektivität von offenen Unterrichtsformen
d. Offene Unterrichtsformen und Schülerorientierung

IV. Analyse von Materialien für den Musikunterricht
a. Kriterien zur Analyse
b. Stationenlernen: Strawinsky (Lugertverlag)
c. Stationenlernen: Minimal Music (Lugertverlag)
d. Vergleich der Materialien
e. Zusammenfassung

V. Fazit

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In den letzten Jahren bis Jahrzehnten ist sowohl von Schülern und Schülerinnen (SuS) als auch von verschiedenen Pädagogen der Wunsch nach einer Neuorientierung des schulischen Unterrichts geäußert geworden. Unterricht soll nicht mehr, wie viele Jahre lang üblich, frontal von der Lehrperson gesteuert und bestimmt werden, sondern auch die Interessen und Neigungen der SuS viel gezielter aufnehmen. Die SuS sollen dabei aber nicht übergangen werden, sondern selber mit in den Prozess der Entwicklung des Unterrichtsgeschehens oder sogar der Auswahl des Unterrichtsgegenstandes mit einbezogen werden. Der Unterricht soll an den SuS orientiert werden.

Dieser Wunsch nach Schülerorientierung gehört zu einem der vielen Konzepte, die in den letzten Jahren entwickelt oder aufgegriffen wurden, um schlechten PISAErgebnissen entgegenzuwirken und den SuS mehr Spaß und Motivation für Schule zu ermöglichen. Jedoch kann bis heute kein methodisches Unterrichtsvorgehen genannt werden, dass optimal ist, einen schülerorientierten Unterricht durchzuführen.

Eine Möglichkeit jedoch wären die offenen Unterrichtsformen.

Offene Unterrichtsformen begannen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entwickeln und wurden seitdem vermehrt eingesetzt, sowie auch immer neue Ansätze ins Unterrichtsgeschehen eingebracht. Außerdem wurden sie weiterentwickelt und angepasst, sodass es heutzutage eine Vielzahl an verschiedenen Methoden gibt, die in offenen Unterrichtsformen einsetzbar sind. Jedoch ist dabei auch zu erkennen, dass diese verschiedenen Formen von offenem Unterricht unterschiedliche Beliebtheit und Effektivität für Lernerfolge aufweisen.

Was bedeutet dies nun für den Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen?

Natürliche ist der Musikunterricht eines der Fächer, das mit einem besonders weit gefächerten und sich differenzierenden Schülerinteresse auseinandersetzen muss. Auch die Fähigkeiten und das Vorwissen der Schüler und Schülerinnen unterscheiden sich sehr stark. Somit ist der Musikunterricht nach den heutigen Ansichten in einem besonderen Maße in der Pflicht ebenfalls einen schülerorientierten Unterricht möglich zu machen.

Welchen Beitrag offene Unterrichtsformen hier leisten können, möchte ich in dieser Arbeit beleuchten.

Die Anzahl an bestehenden Materialien für offene Unterrichtsformen ist für den Musikunterricht im Gegensatz zu allen anderen Fächern äußerst gering. Entwickelt wurde jedoch eine Reihe Stationenlernens vom Lugertverlag, die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt und analysiert werden soll. Somit wird schwerpunktmäßig die offene Unterrichtsform des Stationenlernens betrachtet. Aus dieser Reihe werden zwei Lernzirkel zu unterschiedlichen Themen analysiert und verglichen und schließlich auch daraufhin betrachtet, in wie weit sie den betrachteten Konzepten der Schülerorientierung und dem offenen Unterricht nachkommen. Je nach Gestaltung der begutachteten Materialien werden eventuell Verbesserungsvorschläge gemacht werden müssen. Diese Vorlagen werden dann schließlich dazu genutzt eine hypothetische Folgerung zu entwickeln, in wie weit eine Schülerorientierung durch offene Unterrichtsformen im Musikunterricht ermöglicht wird.

Kann Musikunterricht also trotz der vielen verschiedenen Interessen schülerorientiert sein? Und ist dies durch einen offenen Unterricht möglich oder würden sich andere Unterrichtskonzepte dafür besser anbieten?

Abschließend hoffe ich, dass diese Arbeit Ergebnisse liefern kann, inwiefern offene Unterrichtsformen im Musikunterricht eingesetzt werden können und welches sinnvolle Vorgehen und Materialien hierbei beachtet werden sollten. Außerdem soll reflektiert werden, ob diese offenen Unterrichtsformen auch dazu nutzen dienen die Schülerorientierung des Unterrichts zu verstärken.

II. Was ist Schülerorientierung?

Der Großteil der deutschen Lehrer fragt sich wohl, wie guter Unterricht aussehen und welchem der vielen Konzepte man für den eigenen Unterricht folgen sollte. Diese Frage stellen sich natürlich - oder sogar insbesondere - auch die Musiklehrer, denn das Fach Musik musste in letzten Jahren auf Grund des Drucks durch das schlechte Abschneiden bei den PISA-Studien und die Umstellung auf das G8-System immer weiter zurückstecken. Trotzdem braucht Musik kein Schulfach sein, das nebenbei nur zur Entspannung der Schüler läuft, sondern kann seine Vielfältigkeit und Flexibilität ausnutzen, um den Schülern Kompetenzen und Inhalte zu vermitteln, die in anderen Fächern eventuell zu kurz kommen könnten.

Unterrichtskonzepte liefern nach Hilbert Meyer[1] eine Gesamtorientierung zum methodischen Handeln in einem Schulfach, in einer Schulstufe oder einer Schulform. Sie befassen sich zwar auch immer mit inhalts- und zielbezogenen Aspekten, jedoch überwiegt zumeist der Methodenaspekt und könnten daher auch Methodenkonzept genannt werden, was jedoch unüblich ist. Unterrichtskonzepte sind daher Gesamtorientierungen methodischen Handelns, in die Unterrichtsprinzipien, allgemein- und fachdidaktische Theorien, Rahmenbedingungen sowie Rollenerwartungen an Lehrperson und SuS integriert werden. Unterrichtskonzepte sind aber immer normativ, denn sie beschreiben die Vorstellung eines guten Unterrichts.

Und eine Form von Unterricht könnte daher das Konzept der Schülerorientierung sein. Rudolf-Dieter Kraemer[2] legt jedoch dar, dass es schwierig sei den Begriff der Schülerorientierung explizit zu definieren. Trotzdem ist dieses Konzept klar darauf ausgelegt, die Bedürfnisse und die Individualität der SuS zu berücksichtigen und will somit jedem Einzelnen gerecht werden. Die Lehrperson hat damit die Aufgabe die Selbstständigkeit der SuS zu fördern, um persönliche Stärken und individuelle Lernerfahrungen nutzbar machen zu können. In erster Linie verfolgt schülerorientierter Unterricht also das Ziel von Eigenverantwortung und Eigentätigkeit der SuS. Gleichzeitig verändert sich dadurch aber auch das Verhältnis von Lehrperson und SuS, denn die Lehrperson ist nicht mehr einfach der Vorgesetzte und Wissensvermittler, sondern steht als Partner zur Seite. Ebenso erhalten die SuS dadurchVerantwortung in der Organisation des Lernprozesses.

Ein konkreter Einblick in das Konzept der Schülerorientierung wird im Folgenden ermöglicht.

a. Allgemeine Definition

Entstanden ist das Konzept des schülerorientierten Unterrichts in den 1970er-Jahren als eine Gegenbewegung zum lernzielorientierten Unterricht, der allein die Inhalte des Unterrichts in den Mittelpunkt stellt. Grundlegend verweist Schülerorientierung zurück auf die Reformpädagogik.

Auch die Pädagogen Ulrich Günther, Thomas Ott und Fred Ritzel[3] beschäftigten sich mit dem Konzept der Schülerorientierung und definierten und prägten dieses bereits in den 1980er-Jahren. Sie sehen Schülerorientierung als einen Kontrast zu üblichen Formen wie der Lernzielorientierung, der Orientierung am Bildungsgut oder anderen überpointierten Orientierungen, die den Blick auf die SuS verlieren. Die höchste Bedeutung liegt für die Autoren darin, dass die SuS zum Subjekt des Lernprozesses gemacht werden. Trotzdem gibt es auch bei diesem Konzept einige Grenzen, denn man darf den SuS, auch trotz der Orientierung allein an ihren Interessen, keine unabdingbar wichtigen Fähigkeiten und Kenntnisse vorenthalten und nicht in dem Glauben lassen, dass ihre persönlichen Ansprüche jederzeit ohne Probleme durchsetzbar sind. Generell ist zu bedenken, dass keine Unterrichtsstunde, die tatsächlich schülerorientiert aufgebaut ist, wiederholbar ist, denn sie werden immer gemeinsam mit den SuS geplant, die jeweils individuelle Vorstellungen und Wünsche haben.

Ein Grundproblem, dass Günther, Ott und Ritzel in der Schule finden, ist, dass viele Lerngegenstände und Unterrichtsthemen schon allein deshalb für SuS negativ besetzt sind, weil diese überhaupt in der Schule behandelt werden. Daher ist das Mitbestimmungsangebot, das das Konzept der Schülerorientierung bietet, ein Schritt, um die Motivation der SuS für Schule und Lernen zu steigern und ihnen eine positive Einstellung zu diesen Standpunkten zu ermöglichen. So ist es das Hauptziel der schülerorientierten Didaktik Lernen für alle SuS bedeutsam zu machen und Unterrichtsthemen auch wirklich zu Themen für die SuS zu machen. Dies soll erlangt werden, indem die offiziellen Lehrziele, die in den Lehrplänen verankert sind, mit den Handlungszielen sowohl von Lehrpersonen als auch von SuS, verbunden werden. Wichtig ist dabei aber nicht allein den Unterricht effektiver zu machen, sondern eine Reihe weiterer Merkmale für schülerorientierten Unterricht nachzukommen.

Eines dieser Merkmale ist laut Günther, Ott und Ritzel die Mitwirkung der SuS im Unterricht. Es geht nämlich nicht allein darum eine Mitwirkung zuzulassen, falls sie sich ergibt, sondern diese wirklich zu fordern, sodass die Mitbestimmung der SuS zu einem Teil der Unterrichtsstunde selbst wird. Ebenso wichtig ist es, dass die Lehrperson nicht hypothetisch mit den verschiedensten Voraussetzungen der SuS umgeht, sondern, dass diese selber die Möglichkeit haben über Lebenswelt, Erfahrungen und Interessen zu berichten. Dies führt schließlich dazu, dass „Unterrichtsentscheidungen und die Art des Zugangs zu den Inhalten“[4] nicht willkürlich von der Lehrperson getroffen werden, sondern elementar durch die SuS selbst geprägt werden. Auch der Unterrichtsgegenstand sollte in der Hand der SuS liegen und nicht allein dem Willen der Lehrperson folgen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Sache oder das Problem, das behandelt wird, irgendwie in Beziehung mit den SuS gesetzt werden kann und ihnen bei ihrem Lernweg hilft. Anders gesagt, sollte der Unterrichtsgegenstand für die SuS auch als relevant empfunden werden. Daher ist auch hier die Einbeziehung des bereits im zweiten Merkmal angesprochenen Lebensweltbezuges für die SuS entscheidend. Als viertes Merkmal werden die drei Aspekte unterrichtlicher Kommunikation genannt. Es handelt sich dabei um den thematischen, den personalen und den sozialen Aspekt, die im schülerorientierten Unterricht miteinander in Beziehung gesetzt werden. Der thematische Aspekt ist als die Kommunikation über die Dinge, die im Unterricht behandelt werden, zu definieren. Gleichzeitig wird aber mit der Einbeziehung persönlicher Wünsche, Erlebnisse und Probleme auch die personale Ebene berücksichtigt und eine Form von „Metaunterricht“[5] abgehalten. Als letztes ist der soziale Aspekt zu beachten, der den Blick auf die soziale Gruppe und den individuellen Schüler zentriert und nicht einfach von einem abstrakten Adressaten spricht. Diese drei aufgezeigten Aspekte müssen in einer ausgewogenen Balance gehalten werden, damit ein schülerorientierter Unterricht tatsächlich funktionieren kann. Des Weiteren sollte die Kommunikation im Unterricht überdacht werden. Es soll dabei grundsätzlich eine Gleichberechtigung zwischen Lehrperson und SuS sowie unter den SuS selbst herrschen. Außerdem sollen die typischen schulischen Kommunikationsrituale, wie beispielsweise das Frage-Antwort-Schema, überwunden werden und stattdessen die SuS zu mehr Initiative auf emotionaler und intellektueller Ebene angeregt werden. Ein weiteres Merkmal von schülerorientierten Unterricht ist Spontanität,

Eigeninitiative und Selbsttätigkeit. Außerdem wird Binnendifferenzierung gefordert, was bedeutet, dass nicht alle das Gleiche erarbeiten sollen, sondern sich gegenseitig Ergebnisse präsentieren. Als letztes Merkmal wird genannt, dass der schülerorientierte Unterricht sich am ehesten durch projektartige, handlungs- und ergebnisorientierte Unterrichtsformen umsetzen lässt.

Durch eine solche Form von Unterricht wie dem schülerorientierten Unterricht verändern sich natürlich auch die Anforderungen an die Lehrperson. Auf den ersten Blick scheint die schülerorientierte Unterrichtsform die Arbeit der Lehrpersonen zu erleichtern und zu vermindern. Die Realität ist jedoch völlig anders, denn es ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema oder Unterrichtsgegenstand notwendig, um auf jede Situation, die im Unterricht eintreten könnte, vorbereitet zu sein. Diese Pluralität von unterschiedlichen Unterrichtssituationen fordert gleichzeitig ein Vorhandensein von vielen Materialien, die spontan eingesetzt werden können. Somit ist die Unterrichtsvorbereitung für die Lehrperson nicht weniger, sonder eher dominierender, da Materialien und Unterrichtsgeschehnisse schon zu Beginn einer Reihe komplett geplant und bedacht werden müssen und nicht wie bei anderen Unterrichtskonzepten aufeinander aufbauend sind. Zusätzlich erhält die Lehrperson in Schulklassen, die noch nie schülerorientiert gearbeitet haben, die Aufgabe die SuS anzuregen und eine Motivation zu wecken sich mit ihren Interessen bezüglich eines Themas auseinanderzusetzen. Dies ist wichtig und arbeitsintensiv, weil bei der Einführung des Konzepts die meisten SuS noch Probleme haben ihre Interessen konkret zu artikulieren, meist sind diese noch „uneinheitlich, widersprüchlich oder diffus-artikuliert“[6]. An dieser Stelle erhält die Lehrperson die Aufgabe als Experte vor den SuS zu stehen und ihnen Angebote zu machen, die anregend sind und motivieren. Gleichzeitig benötigen die SuS zuerst auch häufig grundlegendes Wissen, um sich mit einer Thematik beschäftigen zu können. Hierbei ist es wichtig, dass die Lehrperson zwar anregt, aber nicht den Unterricht auf bestimmte Aspekte hin fokussiert, sondern offen lässt für die dann eintretenden Schülerinteressen. Die schwierigste Aufgabe für die Lehrperson wird es aber wohl sein, zwischen subjektiven und objektiven Interessen zu unterscheiden und zu vermitteln, denn es müssen die aktuellen Interessen und Bedürfnisse mit denen abgewogen werden, die relevant sein können für das zukünftige Leben, dabei aber für die SuS noch nicht bewusst sind. Falls dies nicht gemacht wird, könnte es zu einer ständigen Reproduktion von aktuellen Schülerinteressen kommen oder aber die Lehrperson entscheidet, was für die SuS relevant und interessant sein könnte und folgt damit wieder einer zu starken Lehrerzentrierung. Das Konzept der Schülerorientierung ist für Lehrpersonen anstrengend, da es Einsatz- und Reaktionsbereitschaft, Präsenz und Sensibilität fordert. Außerdem lässt es wenig Raum für einen routinierten Unterricht. Daher sagen viele Lehrpersonen, wie bei Günther, Ott und Ritzel zu lesen ist, dass sie zwar immer wieder den Ansatz der Schülerorientierung wählen würden, aber sich selbst diese Form des Unterrichts nicht ständig zumuten können. Die Problematik dabei ist auch, dass das deutsche Schulsystem an vielen Stellen nicht auf das Konzept ausgelegt ist. So ist man ständig fachlich und zeitlich gebunden und kann diese Grenzen auch nicht umgehen. Trotzdem ist zu sehen, dass Unterricht, der Schülerinteressen und deren Motivation aufgreift, wirklich gelingen kann und für alle Seiten Vorteile bietet. Zum einen kann die Lehrperson entlastet werden, indem die SuS Verantwortung für den Unterrichtsverlauf übernehmen, weil sie selbstständig arbeiten und planen. Und natürlich auch auf Seiten der SuS, weil ihnen Lernen und Schule so mehr Spaß machen kann.

b. Bedeutung im Musikunterricht

Auch im Musikunterricht sollen die SuS das Recht erhalten interessengeleitet und selbstverantwortlich zu lernen und zwar ohne unnötige Fremdbestimmung durch eine Lehrperson. Doch hat der Musikunterricht an dieser Stelle mit einer besonderen Problematik zu kämpfen, denn Musikunterricht ist der Unterricht in dem die SuS die wohl meisten individuellen und differenzierenden Erfahrungen sowie Motivationen mitbringen. Kein anderer Gegenstandsbereich muss mit so einer Pluralität von Interessen und Vorwissen umgehen und diese im Sinne des schülerorientierten Unterrichtskonzeptes auch aufgreifen, vertiefen und weiterführen. Dabei ist immer zu bedenken, dass sowohl die SuS als auch die Musik selber bereits von der Gesellschaft determiniert wurde und das nicht nur für sich allein, sondern auch im gegenseitigen Bezug. Klarer ausgedrückt: Die SuS haben häufig bereits Erfahrungen gesammelt mit bestimmten Genres oder Musikstücken und wurde durch diese und den Umgang der Umwelt mit ihnen geprägt. Aber Musikunterricht hat auch die Chance Freiräume zu nutzen, wie es bei vielen anderen Fächern nicht ist. Freiraum im Musikunterricht ist es situationsbezogene Entscheidungen zu treffen und dies vor allem unter dem Dach der Schülerorientierung. Denn schülerorientiert zu arbeiten heißt nicht nur den Wünschen und Interessen der SuS zu folgen, sondern auch, dass die Lehrperson die Chance hat auch etwas von seinen SuS zu lernen, beispielsweise neue Musikrichtungen oder -stücke.

Auch Peter W. Schatt sieht SuS als „etwas Besonderes“[7] an, wenn sie in den Mittelpunkt eines Unterrichtskonzeptes gerückt werden. Er versucht zu erklären, welche Bedeutung das Konzept der Schülerorientierung im Musikunterricht erlangt und wie man mit ihm umgehen kann. Schatt stellt den Ansatz Karl Heinrich Ehrenforths vor, der besagt, dass die SuS dort abgeholt werden müssen, wo sie nach Hörerwartungen und Hörfertigkeiten vermutet werden. Auf diese Fähigkeiten muss der Musikunterricht schließlich aufbauen. Schatt selbst stellt aber deutlich klar, dass bei diesem Ansatz die Zentrierung noch zu stark auf den Erfahrungen und den Vermutungen der Lehrperson bezogen ist und macht deutlich, dass es im schülerorientierten Musikunterricht wichtig ist, dass die SuS selbst ihre Interessen artikulieren, sodass diese Interessen schließlich gemeinsam von SuS und Lehrperson im Rahmen des Unterrichts aufgegriffen und aufgearbeitet werden können.

Aufgrund der konsequenten Subjektorientierung des schülerorientierten Konzeptes bleibt die Auswahl der Unterrichtsinhalte und -ziele schließlich immer in der Hand der Lerngruppe und entsteht durch reflektierte Diskussionen und Erfahrungsäußerungen sowohl von Seiten der Lehrperson als auch von SuS. Daher ergeben sich keine konkreten inhaltlichen Vorgaben, was aber in der derzeitigen Schulsituation mit dem vorhandenen Kernlehrplänen konkurriert. Abhilfe ist jedoch dadurch geschaffen, dass viele von diesen nach Kompetenzstandards, die erreicht werden sollen, aufgebaut sind. Für die Lehrperson würde dies schließlich bedeuten, dass die Interessen der SuS so in den Unterricht eingebettet werden müssen, dass trotz dieser Orientierung vorgeschriebene Kompetenzen erlangt werden.

c. Abgrenzung zu anderen Konzepten

Das schülerorientierte Unterrichtskonzept ist wie angedeutet natürlich nicht das einzige Konzept, das im schulischen Unterricht aufgegriffen und eingesetzt wird. Jedoch ist es in Schule und Bildung so, dass gestritten wird, „wie gute Lehre beschaffen sei und wie Lernprozesse dementsprechend zu gestalten seien.“[8] Das führt natürlich auch zu einer ständigen Diskussion darüber, welches nun das richtige Konzept für den Unterricht sei und gleichzeitige auch im Laufe der Jahre zu einer ständigen Neuentwicklung und formung verschiedenster Konzepte. Daher wird im Folgenden das Konzept der Schülerorientierung von zwei weiteren Unterrichtskonzepten, dem Konstruktivismus und dem handlungsorientierten Unterricht, abgegrenzt. Dabei wird auffallen, dass zwar einige Überschneidungen und Ähnlichkeiten existieren, aber auch, dass andere relevante Aspekte das jeweilige Konzept strikt definieren können.

i. Konstruktivismus

Der Konstruktivismus ist eine Erkenntnistheorie, die Lernen als eine eigenständige Konstruktionsleistung des Lernenden auffasst, womit Lernen keine Folge aus dem Lehren ist. Stattdessen steht das Individuum im Mittelpunkt und ist entscheidend für den Lernerfolg. Und genau bei diesen Individuen, die die Subjekte im Lernkontext sind, setzt der Konstruktivismus entscheidend an. Denn aus konstruktivistischer Sicht existiert alle Wissen nur in den Köpfen der Menschen, sodass „das denkende Subjekt sein Wissen nur auf Grundlage eigener Erfahrungen konstruieren kann.“[9] Somit erzeugen die Erfahrungen, die von einem Subjekt gemacht werden, auch seine Vorstellung der Welt, was zugleich auch bedeutet, dass es keine identischen Vorstellungen von Welt und Umwelt bei verschiedenen Individuen geben kann. Dies liegt daran, dass das Gehirn aus neurologischer Sicht völlig unspezifische Reize von außen erhält und diese erst bei der Wahrnehmung als Information Bedeutung erlangen. Dabei kann nie eindeutig klar werden, wie die Realität tatsächlich beschaffen ist, denn die Vorstellung ist immer abhängig von der Wahrnehmung und der Verarbeitung dieser Reize. Das hat somit zur Folge, dass der Konstruktivismus davon ausgeht, dass die Richtigkeit der Wahrnehmung und des Wissens nicht zu kontrollieren und zu überprüfen ist.

Der Konstruktivismus kann nicht als ein feststehendes Konstrukt angesehen werden, jedoch sind einige Grundannahmen zu finden, die in jeder Theorie aufgegriffen werden und von Werner Jank und Hilbert Meyer zusammengefasst werden.[10] Als erstes wird davon ausgegangen, dass jedes Lebewesen ein geschlossenes System ist und somit ein Austausch des Wissens zwischen Umgebung und Lebewesen nicht möglich ist. Jedes Gehirn bewertet die neuronalen Signale also nach eigenen Kriterien. Als zweites wird angenommen, dass Wissen und Erkenntnisse nicht durch die Wahrnehmung selbst aufgebaut werden, sondern durch das eigene Handeln, das daraus hervor geht. Weiter wird angeführt, dass lebende Systeme selbstorganisierend sind und sich deshalb auch nur auf ihre eigenen Zustände beziehen können. Diese innere Struktur bestimmt schließlich was und wie jemand wahrnimmt. Im Konstruktivismus folgt das Subjekt dem Prinzip der Funktionalität. Das bedeutet, dass nur solche Verhaltensweisen gewählt werden, die das Überleben des Individuums sichern. Ideen, Konzepte und Theorien erscheinen dann als funktional, wenn sie nicht im Widerspruch zur Wahrnehmung der Welt stehen. Als letzte Grundannahme wird aufgeführt, dass wissenschaftliches Wissen ebenfalls konstruiert ist und somit keinen Unterschied zu alltäglichen Erfahrungen aufzeigt. Der einzige Unterschied, der bei diesen beiden Wissensformen zu finden ist, ist der unterschiedliche Zusammenhang den sie im Handeln ausmachen.

Für die konstruktivistische Didaktik hat das zur Folge, dass grundlegend erst einmal die Annahme herrscht, dass über die Welt keine sicheren Aussagen getroffen werden können und all diese Konstrukte auch nicht von außen deteminiert werden können. Das hat für die Schule folgende Bedeutung: Lehrpersonen können SuS auf keine Weise beeinflussen. Dies liefert natürliche nach dem klassischen Verständnis von Schulleben mit Lehren und Lernen erst einmal große Probleme für den Unterricht, doch weißt der Konstruktivismus auch einige Stärken für die Schule auf. Zum Beispiel ist die Wahrnehmung einer Klasse als eine heterogene Gruppe viel einleuchtender und zeigt Chancen zu Vielfalt und individueller Entwicklung auf. Ebenso eng verbunden ist damit der Wunsch nach einer Differenzierung und individuellen Förderung. Durch den Kontruktivismus erklärt sich auch eine Schwerpunksetzung auf eine Eigenverantwortung der SuS für ihr eigenes Handeln, denn dieses kann nur durch ihre eigene Wahrnehmung beeinflusst werden. Außerdem wird in der konstruktivistischen Didaktik die Rolle der Lehrperson neu definiert, denn die Lehrperson ist nicht der Vermittler des Wissens, sondern ein Gestalter der Lernumgebung und Berater für die SuS.

Diese Stärken des Konstruktivismus lassen sich besonders im offenen Unterricht wiederfinden, wie im weiteren Verlauf noch zu erkennen sein wird. Aber auch Parallelen zum Konzept der Schülerorientierung sind hier zu finden. So zum Beispiel bei der konkreten Fokussierung auf das Individuum, also die SuS. Ebenso wird aber auch die Rolle der Lehrperson in beiden Konzepten ähnlich angesehen, denn es geht nicht darum festes Wissen zu vermitteln, sondern den SuS die Möglichkeit zu bieten, selbst Wissen zu erlangen. Eine starke Unterscheidung der beiden Konzepte ist jedoch in der Bedeutung der Umwelt bzw. Lebenswelt der SuS zu sehen, denn im Konstruktivismus wird davon ausgegangen, dass diese für jedes Subjekt individuell ist. Bei der Schülerorientierung wird dies jedoch anders gesehen, denn es herrscht der Wunsch, dass ein lebensweltlicher Bezug im Unterricht hergestellt wird, was nicht möglich wäre, wenn davon ausgegangen wird, dass diese Welt nur individuell aufgefasst werden kann, denn die Unterrichtsinhalte sollten für alle SuS eine möglichst ähnliche Bedeutung haben.

ii. Handlungsorientierter Unterricht

„Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtsprozesses leiten, so daß Kopfund Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können.“[11]

Diese Form von Unterricht möchte also materielle Handlungen in den Mittelpunkt stellen und Handlungsprodukte mit einem Gebrauchswert entstehen lassen. Die Formulierung handlungsorientierter Unterricht ist dabei auch nicht völlig willkürlich gewählt, denn es geht bei diesem Konzept nicht darum nur noch handelnd zu lernen und sondern stellt klar, dass „nicht alles über Tätigkeiten gelernt werden kann.“[12] Dabei ist es eine wichtige Aufgabe von Schule, dass Wissen lehrgangsmäßig vermittelt wird.

Grundlegend für die Zielsetzung des handlungsorientierten Unterrichts ist zuerst einmal der Wunsch der Aufhebung der Trennung von Schule und Leben. Das bedeutet, dass gewünscht wird die thematische Trennung von Schule und dem praktischen Leben aufzugeben und diese zu verbinden. Dies kann geschehen, indem der handlungsorientierte Unterricht durch eine aktive Auseinandersetzung und einen aktiven Umgang mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit Erfahrungs- und Handlungsspielräume schafft. Daher handelt es sich beim handelnden, schüleraktiven Umgang mit den Themen um das zentrale methodische Element. Wie bereits gesagt, sollen also Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden und damit die Selbsttätigkeit der SuS erhöht werden. Dabei wird aber auch als wichtig erachtet, dass die Lehrperson und die SuS häufiger als üblich gemeinsam etwas tun, also eine praktische Arbeit vollziehen. Für diese Form von Unterricht ist besonders das Merkmal der Aktivierung der Sinne entscheidend, denn die SuS sollen mit allen Sinnen begreifen und lernen, damit für die verschiedenen Lerntypen gleiche Möglichkeiten für die Aneignung von Wissen herrscht. Hier wird somit auch äquivalent von einem ganzheitlichen Lernangebot gesprochen. Der Unterricht soll außerdem zu einem Ergebnis führen, das man anfassen, vorführen oder weiterarbeiten kann. Daher auch das häufig zu findende Merkmal der Produktorientierung. Dieses Produkt soll für die SuS auf jeden Fall einen Gebrauchswert haben. Diesem Wunsch schließt sich auch Rudolph-Dieter Kraemer an und fordert, „dass Lernen über die Inanspruchnahme aller Sinne erfolgen soll und die Eigentätigkeit des Schülers wichtige Voraussetzung für effektives Lernen ist.“[13] Ein solches Vorgehen sorgt dafür, dass zum einen sehr viel schneller gelernt wird, zum anderen aber die SuS auch viel offener und gespannter sind und somit schließlich auch die Motivation für den Unterricht steigt. Um dies weiter zu unterstützen läuft der handlungsorientierte Unterricht zumeist in kooperativen Handlungsformen ab. Das bedeutet, dass nicht die Einzelarbeit zentraler Bestandteil des Unterrichts ist, sondern Partner- oder Gruppenarbeiten oder aber auch Klassengespräche, die alle mit einbeziehen sollen. Lernen ergibt sich daher durch Zusammenarbeit, durch Rücksichtnahme bzw. Durchsetzung, Konfliktlösung und Kommunikation. Es wird nämlich voneinander und miteinander gelernt und nicht die Interaktion vom Lehrerpult gesteuert. Der Prozess des Zusammenarbeitens ist damit genauso wichtig wie die Herstellung eines Produkts.

Parallelen zwischen dem handlungsorientierten und dem schülerorientierten Unterricht sind in der Forderung des Lebensweltbezugs zu finden. Beide Konzepte sind darauf ausgelegt, dass Unterrichtsthema und -gegenstand etwas ist, mit dem die SuS umgehen wollen und für sie von Nutzen ist. Jedoch wird der zentrale Punkt der Schülerorientierung, die Einbeziehung der Schülerinteressen und die Mitgestaltung des Unterrichts durch die SuS, im handlungsorientiertem Unterricht nicht aufgegriffen. Hier folgt die inhaltliche Ausprägung noch stark der Lehrerzentrierung. Trotzdem werden sowohl im handlungsorientierten, als auch im schülerorientierten Unterricht die Kooperation zwischen der Lehrperson und den SuS gefordert. Dies verläuft zwar auf unterschiedlich intensiven Ebenen, trotzdem ist ein Bruch der ursprünglich strikten Trennung von dominanter Lehrperson und zu gehorchenden SuS zu sehen.

III. Offener Unterricht

„In einer ersten Annäherung könnte man Offenen Unterricht als das Arrangieren von Lernwegen bezeichnen, welche die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler berücksichtigen und möglichst jede und jeden zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand anregen.“[14]

In Bezug auf Norbert Edel[15] zeigt sich, dass offener Unterricht von mehreren Seiten zu betrachten ist: Es geht dabei um die SuS, um den Lerngegenstand und um den Weg wie die SuS diesen erschließen. Was den offenen Unterricht jedoch grundlegend von anderen Unterrichtskonzepten zu unterscheiden scheint, ist, dass jeder der SuS einen eigenen Weg finden soll diesen angesprochenen Unterrichtsgegenstand zu erschließen und durch und mit ihm zu lernen. Es sollen individuelle Lernwege ermöglicht werden und somit die SuS sich nicht dem Unterricht anpassen, sondern der Unterricht ihnen.

Doch dieser Wunsch nach einer Veränderung des Unterrichtsgeschehens zu einem offenen Unterricht entstand nicht völlig unbegründet.

Die Wurzeln des offenen Unterrichts liegen in der Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts und wurden besonders durch Pädagogen wie Maria Montessori oder Célestin Freinet beeinflusst. Ursprünglich ins Leben gerufen wurde die Idee der Reformpädagogik aber bereits im 18. Jahrhundert zur Zeit der Aufklärung von Jean Jacques Rousseau, der die Natur zum Zentralbegriff machte und das Natürliche auch zu dem machte, was „das von der Vernunft Geforderte sein“[16] sollte. Dabei ist dieser Naturbegriff von Rousseau nicht einfach konkret zu fassen, meint aber wohl „im Grund das Echte, das Lebensunmittelbare, Wurzelstarke, Einfach-Wahre, Ungekünstelte“[17]. Für seine Pädagogik bedeutet dies, dass alle Anweisungen für seine natürliche Erziehung „der allgemeinen Natur des Menschen entnommen werden“[18] sollen. Das bedeutet also, dass das ursprünglich Menschliche allem anderen übergeordnet werden soll. Und so wird auch erstmals der Blick auf die einzelnen Lebensabschnitte eines Menschen gelegt, sodass es zu einer Unterscheidung von Kind und Erwachsenen und den jeweiligen Ansprüchen und Bedürfnissen kommt. Auch fordert Rousseau mit seiner Pädagogik die freie Entfaltung der individuellen, aber positiven Anlagen des Menschen und die Verhinderung von störenden Einflüssen, sodass die entscheidende Erziehung eines Menschen durch die eigenen Erfahrungen ermöglicht wird. Bei Rousseau ist damit der Grundsatz der Selbsttätigkeit geschaffen. Nachdem dieser Ansatz im 19. Jahrhundert verloren ging, kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneut zu einer pädagogischen Reformbewegung, die sich gegen die Prinzipien des 19. Jahrhunderts auflehnte und daher „die Auslieferung des jungen Menschen an die objektiven Mächte der Erwachsenenwelt“[19] und den autoritären Unterrichts- und Erziehungsstil verurteilte und dagegen vorgehen wollte. Somit werden nach und nach - die Zeit des NS-Regimes unterbricht diese Vorgänge - wieder die Prinzipien der Reformpädagogik aufgenommen. Grundlegenden Aufschwung erhält die Form des offenen Unterrichts, die sich wie bereits angedeutet an dieser Pädagogik orientiert, schließlich durch die Bildungsreform der siebziger Jahre, da diese „die Forderung nach einem ‚offenen Curriculum‘“[20] formulierte. Dieser Wunsch schien sich durch die verschiedenen offenen Unterrichtsformen gut umsetzen zu lassen und so wurde dieses Konzept zuerst in den Grundschulen und schließlich auch an weiterführenden Schulen etabliert. Trotz allem existiert bei vielen Lehrpersonen eine Abwehrhaltung gegenüber dieser Unterrichtsform, wobei es viele gute Gründe gibt eine Öffnung von Unterricht zu vollziehen.

So sieht es auch die Grundschulpädagogin Irmintraut Hegele, denn sie behauptet:

„In einer Welt, die den Kindern immer weniger Möglichkeiten bietet, eigenständig Erfahrungen zu sammeln, kommt der Schule eine sehr viel größere Aufgabe und Verantwortung zu als bisher. Sie muss den Kindern einen Lern- und Lebensraum bieten, in dem sie sich entfalten und über Inhalte, Ziele und Methoden ihrer Lernprozesse so weit wie möglich selbst entscheiden können.“[21]

Somit ist die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen dafür verantwortlich, dass in der Schule mehr eigenständige und individuelle Arbeit gefördert werden soll. Auch Norbert Edel sieht die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als einen Grund für den Einsatz von offenen Unterrichtsformen in den Schulen. Gleichzeitig damit verbunden ist laut ihm auch ein insgesamt verändertes Verständnis von Schule, das sich diesen veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen und ausgleichen soll. Edel nennt insbesondere „gewandelte Beziehungsstrukturen in der Familie, verändertes Erziehungsverhalten, Mediatisierung, anderes Spiel- und Freizeitverhalten, Konsumorientierung.“[22]

Diese Ausgangslage, die durch die Gesellschaft geprägt wurde, ist von enormer Bedeutung für Schule und Bildung, denn es existieren Defizite, die auch im schulischen Zusammenhang nicht zu ignorieren sind. So können beispielsweise einige Sozialfähigkeiten der SuS nicht mehr voraus gesetzt werden. Dies liegt größtenteils an den stark veränderten Familienbildern und einer Zunahme von Beziehungsmangel und -verlust. Außerdem kommt es durch die extreme Mediatisierung zum Verlust von direkten Erfahrungen und Kinder und Jugendliche sind ständig starken Reizen und Spannungen ausgesetzt. Für eine verstärkte Heterogenität der Schülergruppen kommt es zusätzlich dadurch, dass die SuS unterschiedlich stark von diesen Veränderungen betroffen sind und somit auch unterschiedliche Voraussetzungen vorliegen an die Schule anknüpfen muss. Schule muss und will diese Defizite berücksichtigen, aber ihnen auch gegensteuern. Offener Unterricht soll daher eine Möglichkeit sein diesen Wunsch umzusetzen und den SuS neue Ansatzpunkte zu vermitteln.

Norbert Edel sieht eine weitere Begründung für den offenen Unterricht aber auch in der Schule selber, denn er ist der Meinung, dass traditionelle Unterrichtsformen, die rein lehrerzentriert ausgerichtet sind, nicht die Möglichkeiten bieten, um auf die bereits angesprochenen Veränderungen und Defizite einzuwirken, die in der heutigen Gesellschaft vorhanden sind und im offenen Unterricht versucht ausgeglichen zu werden. In diesem Zusammenhang wird „oft angeführt, dass im lehrerzentrierten Unterricht auf den einzelnen Lernenden mit seinen jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnissen nicht angemessen eingegangen werden könne, Kompetenzen des selbstständigen Wissenserwerbs nicht gefördert werden könnten und die Ausrichtung auf die Lehrperson soziales Lernen und die Entwicklung von Teamfähigkeit verhindere […]“[23]. Lehrerzentrierung ermöglicht demnach nicht das, was durch offenen Unterricht erreicht werden soll, nämlich das eigenverantwortliche Lernen der SuS. Trotzdem spricht sich Edel nicht völlig vom lehrerzentrierten Unterricht los.

[...]


[1] vgl. Meyer, Hilbert (1987): UnterrichtMethoden I: Theorieband. 6. Auflage. Berlin, Cornelsen Verlag. S. 208

[2] vgl. Kraemer, Rudolf-Dieter (2004): Musikpädagogik - eine Einführung in das Studium. Augsburg, Wißner. S. 211-213

[3] vgl. Günther, Ulrich; Ott, Thomas; Ritzel, Fred (1983): Musikunterricht 5-11. Basel [u.a.], Beltz. S. 30-54

[4] Günther, Ulrich; Ott, Thomas; Ritzel, Fred (1983): Musikunterricht 5-11. Basel [u.a.], Beltz. S. 37

[5] Günther, Ulrich; Ott, Thomas; Ritzel, Fred (1983): Musikunterricht 5-11. Basel [u.a.], Beltz. S. 37

[6] Günther, Ulrich; Ott, Thomas; Ritzel, Fred (1983): Musikunterricht 5-11. Basel [u.a.], Beltz. S. 39

[7] Schatt, Peter W. (2007): Einführung in die Musikpädagogik. Darmstadt, WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft). S. 74

[8] Lehner, Martin (2009): Allgemeine Didaktik. Bern [u.a.], Haupt. S. 46

[9] Jank, Werner; Meyer, Hilbert (2002): Didaktische Modelle. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 287

[10] vgl. Jank, Werner; Meyer, Hilbert (2002): Didaktische Modelle. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 289-293

[11] Meyer, Hilbert (1987): UnterrichtsMethoden I: Theorieband. 6. Auflage. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 214

[12] Kraemer, Rudoph-Dieter: Musikpädagogik - eine Einführung ins Studium, S. 205

[13] Kraemer, Rudolf-Dieter (2004): Musikpädagogik - eine Einführung in das Studium. Augsburg, Wißner. S. 204

[14] Edel, Norbert (2004): Offener Unterricht. In: Bovet, Gislinde; Huwendiek, Volker (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrerberuf. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 104

[15] vgl. Edel, Norbert (2004): Offener Unterricht. In: Bovet, Gislinde; Huwendiek, Volker (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrerberuf. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 104-122

[16] Reble, Albert (2002): Geschichte der Pädagogik. 20. Auflage. Stuttgart, Klett-Cotta. S. 152

[17] Reble, Albert (2002): Geschichte der Pädagogik. 20. Auflage. Stuttgart, Klett-Cotta. S. 154

[18] Reble, Albert (2002): Geschichte der Pädagogik. 20. Auflage. Stuttgart, Klett-Cotta. S. 155

[19] Reble, Albert (2002): Geschichte der Pädagogik. 20. Auflage. Stuttgart, Klett-Cotta. S. 283

[20] Edel, Norbert (2004): Offener Unterricht. In: Bovet, Gislinde; Huwendiek, Volker (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrerberuf. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 104

[21] Hegele, Irmintraut (1997) (Hrsg.): Lernziel: Offener Unterricht. Unterrichtsbeispiele aus der Grundschule. Basel [u.a.], Beltz. S. 7

[22] Edel, Norbert (2004): Offener Unterricht. In: Bovet, Gislinde; Huwendiek, Volker (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrerberuf. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 105

[23] Edel, Norbert (2004): Offener Unterricht. In: Bovet, Gislinde; Huwendiek, Volker (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrerberuf. Berlin, Cornelson Scriptor. S. 105

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Offene Unterrichtsformen. Ein Weg zu mehr Schülerorientierung im Musikunterricht
Hochschule
Universität Münster  (Musikpädagogik und Musikwissenschaft)
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
72
Katalognummer
V300915
ISBN (eBook)
9783656970903
ISBN (Buch)
9783656970910
Dateigröße
1124 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
offene, unterrichtsformen, schülerorientierung, musikunterricht
Arbeit zitieren
Maike Hüweler (Autor:in), 2015, Offene Unterrichtsformen. Ein Weg zu mehr Schülerorientierung im Musikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300915

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