Die Novelle im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert

Ausarbeitung zur mündlichen Examensprüfung germanistische Literaturwissenschaft


Zusammenfassung, 2012

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Die Novelle im ausgehenden 18. Jh. und im 19. Jh.

Primärliteratur:

Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795) Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili (1807)

Heinrich von Kleist: Die Marquise von O… (1808) Adalbert Stifter: Brigitta (1847)

Theodor Storm: Immensee (1849) Paul Heyse: L’ rrabbiata (1853)

Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe (1856) Gottfried Keller: Die drei gerechten Kammmacher (1856) Theodor Storm: Auf dem Staatshof (1859)

Theodor Storm: Pole Poppenspäler (1874)

Gerhart Hauptmann: Bahnwärter Thiel (1888)

Thomas Mann: Der kleine Herr Friedemann (1897) Sekundärliteratur:

Freund, Winfried: Novelle. Reclam

- Begriff, Bedeutung, Herkunft

- Anfänge der literarischen Novelle liegen in den anonym verfassten Biographien der altprovenzalischen Troubadoure aus dem 13. Jh.; diese zusammengestellten Biographien erzählen Neues, Außergewöhnliches, Geschichten von nicht alltägl. Liebeserfüllungen u. tragischen Verwicklungen (Neu war zur Zeit ihrer Verbreitung das Bekenntnis zum persönl. Schicksal, zum Erleben des Einzelnen)
- Aus diesen Troubadour-Biographien entwickelte sich in der ital. Frührenaissance die Novelle, begleitet aus dem ital. Wort NOVELLA für Neuigkeit
- Als Urbild des Genres gilt im Besonderen Giovanni Boccaccios Novellenzyklus „Decamerone“; im Einflussbereich des Decamerone entstanden in Italien und Spanien (Cervantes) zahlreiche Novellendichtungen
- Prosanovelle avancierte in der frühen Neuzeit bereits zur populären Erzählform
- Aber nicht so in Deutschland
- Begriff bürgerte sich in Dtl. erst spät ein -> Wieland verwendet den Begriff erstmals 1764 in seinem „Don Sylvio von Rosalva“: werden neben Persischen Erzählungen u. Feenmärchen auch Novellen als kürzere Erzählformen genannt
- Goethe hat den Begriff in seinen „Unterhaltungen deutscher usgewanderten“ (1795) nicht verwendet, auch wenn dieser Novellenband von Boccaccios Decamerone angeregt worden war
- In der Goethezeit konkurrieren Bezeichnungen wie „Historie/ Geschichte/ Erzählung“ mit dem Novellenbegriff

- Novellentheorie

- Seit Wieland wurde die Adaption der Novelle in Dtl. mit Versuchen begleitet, sie theoretisch zu erfassen u. die Besonderheiten novellistischen Erzählens zu bestimmen
- Wieland hebt v.a. die Kürze hervor u. verweist auf die „Simplicität des Plans“ im Vgl. zum Roman
- Er grenzt sie vom Märchen ab, da sich das Erzählte auf die Wirklichkeit des Menschen bezieht
- Goethe beschreibt die zentrale Struktur der Novelle als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit -> er betont damit die Dominanz des Ereignishaften u. bezieht das Außergewöhnliche des Erzählens mit ein; auch er grenzt sie vom Roman ab: in der Novelle dominiert das Ereignis im Gegensatz zum Roman, in dem die Personen u. die Möglichkeiten personaler Einflussnahme auf die Geschehnisse im Vordergrund steht; im Roman finden sich mehrere Handlungsstränge bzw. es wird am Ausschnitt das Ganze/ die Welt gezeigt; die Novelle hingegen zeigt nur einen Ausschnitt u. nicht die ganze Welt, daher ist sie konzentriertes, dichtes Erzählen
- Bei Wieland und Goethe wird das thematische nicht näher bestimmt (Novelle beschäftigt sich nicht hauptsächlich mit der Liebe im Unterschied zu Boccaccios Decamerone)
- Diese eher am Strukturellen orientierte Theoriebildung setzt sich in der Romantik fort
- In der Romantik erscheint die Novelle als Ausdrucksform der Verbindung von Subjektivem u. Objektivem, von Individuellem u. Sozialen; erzählenswert ist dabei das, was im täglichen Leben Gültigkeit besitzt  Zudem wird auf die Ähnlichkeit zum Drama hingewiesen, denn wie das Drama geht es auch in der Novelle um ein zentrales Ereignis, das sich in der Handlung zu einem Konflikt entwickelt und damit einen Wendepunkt hervorruft

-> bspw. geht die Novelle „L’ rrabiata“ im ufbau von dramatischen Verfahren aus: der Anteil an wörtlicher Rede ist sehr hoch, über die die Charakterisierung der Figuren erfolgt und Hintergrundwissen zu ihrer jeweiligen Lebensgeschichte gegeben ist; Beschreibungen der Situation, des Ortes erfolgen nur in kurzen Erzählerpassagen

- Tieck hat besonders die Auffassung vom Wendepunkt vertieft u. ihn als das eigentliche Strukturprinzip der Novelle herausgestellt: so müsse ein best. einzelner Vorfall im Mittelpunkt stehen, d.h. ein Einzelschicksal wird gezeigt, zudem muss sie einen sonderbaren Wendpunkt aufweisen, der das Schicksal verdeutlicht

-> d.h. das Erzählte hat einen Neuheitswert u. ist realistisch, es ist etwas Wunderbares u. stellt damit etwas Unvereinbares dar (der Moral o. des Staates nicht gemäß) und das Handeln der Personen wird durch ein äußeres, nicht steuerbares Element gestört (Wendepunkt)

- Generell wird die Novelle als das literarische Medium angesehen, dass dem Besonderen einen Platz im Allgemeinen zuweist, also ein Einzelschicksal im Ganzen verortet
- Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein zentrales Thema der Novelle der Mensch in der Krise -> Novelle wird zur literarischen Aussageweise des problematischen Verhältnisses zw. dem Individuum u. den gesell. sowie geschichtl. Bedingungen; das Krisenhafte u. Problematische wird am Einzelnen verdeutlicht
- So zeigt nach Heyse die Novelle ein bedeutsames Menschenschicksal, einen seelischen oder sittlichen Konflikt; das Spannungsprofil ist dabei für die Novelle charakteristisch -> er bezeichnet dies auch als SILHOUTTE; die Motive müssen sich durch ihre Konfliktträchtigkeit auszeichnen, die sinnbildlich in einem Zeichen Gestalt gewinnt (Heyse nennt dieses Zeichen „Falken“ -> lehnt sich dabei an eine Novelle des Decamerone an)
- Darin stimmt auch Storm mit Heyse überein; er bezeichnet die Novelle, in der ein Konflikt im Mittelpunkt zu stehen hat, von dem aus sich das Ganze organisiert, als die „Schwester des Dramas“

Novellentechnik (allg. Strukturmerkmale)

=> es gibt keine allg.-gültige Def. der Gattung Novelle, da schließlich keine Gattung ein vorgegebenes, ewiges

und unveränderliches Wesen haben; jede Gattung kann sich in sich selbst verändern und weiter entwickeln => allg. gilt, dass die meisten Novellen bestimmte Merkmale und Verfahrensweisen verarbeiten, aber es gilt auch, dass das Auftreten dieser Merkmale nicht unbedingt novellistisches Erzählen ausmacht => es gibt einige Strukturmerkmale , die die Novelle im besonderen Maße aufweist:

- Rahmenerzählung ist prototypisch: sie bildet eine fiktive Erzählsituation aus, in der ein Erzähler im Binnenteil seine Geschichten präsentiert; sie ist an eine fiktive Hörerschaft gerichtet, die zugleich Adressat u. Maßstab ; Niveau u. Anspruch der Gesell., in deren Rahmen die Geschichten erzählt werden, sind verpflichtend für Erzähler -> der Rahmen unterstreicht besonders das integrative Moment des novellistischen Erzählens, d.h. das Eingebundensein des Ind. U. des Subjekts ins Kollektiv u. ins Objektive;

Man unterscheidet zw. gerahmter Einzelerzählung u. zyklischem Rahmen

1) Es handelt sich häufig um eine Manuskriptfunktion, um einen Brief, ein Tagebuch o. andere Aufzeichnungen, die dem Leser wegen ihres interessanten Inhalts im Binnenteil zugänglich gemacht werden -> Erzählen erhält dadurch den Anschein des Authentischen; Leser wird zum Zeugen einer spannenden Enthüllung/ einer bisher verborgenen Geschichte mit dem Reiz des Neuen

2) Zyklische Rahmen verknüpft Erzählungen unterschiedl. Inhalts in oft abwechslungsreicher Stilvariation zu einer Einheit; motiviert wird das Erzählen durch eine geschichtl. o. gesell. erzwungene Situation, die es möglichst kurzweilig u. unterhaltsam zu überbrücken gilt -> bei Goethe sind es Flüchtlinge, die vor den frz. Revolutionstruppen Zuflucht auf ihren rechtsrheinischen Besitzungen gesucht haben

- Seit Goethe hat man Novelle mit dem Begriff der (unerhörten) Begebenheit verknüpft; zudem wird auch von Ereignis gesprochen -> es wird damit auf wirklich Vorgefallenes, auf zu einer best. Zeit, an einem best. Ort einmalig Geschehenes; die Novelle ist vorrangig mit dem Realen befasst bzw. mit etwas, das realistisch ist u. damit möglich sein könnte (im Unterschied zum Märchen, das vorrangig Wunderbares/ Phantastisches beinhaltet); Ereignis und Begebenheit stehen dabei in Opposition zur Tat, d.h. zu dem, was vom handelnden Menschen ausgeht u. bewirkt wird -> die Tat/ das Handeln der Protagonisten hat keinen Einfluss auf das Geschehen, vielmehr zwingt das best. (schicksalhafte) Ereignis die Protagonisten zum anderen Handeln (bei Storm: Auf dem Staatshof); UNERHÖRT kann allgemeiner das Außergewöhnliche u. Außerordentliche meinen, das sowohl tragisch als auch utopisch zu verstehen ist (mögliche Wendung ins Katastrophale o. Wunderbare) -> so nimmt in Kellers Romeo u. Julia auf dem Dorfe die Liebe von Vrenchen u. Sali im Freitod ihre schlimmstmögliche Wendung
- Gestaltungsansprüche von Konzentration u. Objektivierung legen eine symbolisch dichte Darstellungsweise nahe; so forderte Heyse von jeder Novelle einen Falken, d.h. ein best. Motiv, das an Gelenkstellen der Handlung immer wieder aufgenommen wird u. in dem sich der zentrale Konflikt spiegelt -> demnach hat Falke strukturierende sowie interpretierende Bedeutung -> er offenbart in sinnlicher Erscheinung den wesenhaften Sinn u. objektiviert das subjektiv sich Ereignende zu allg. Bedeutung; synonym zum Falken werden auch die Bezeichnungen Leitmotiv u. Dingsymbol verwendet (bei Romeo u. Julia auf dem Dorfe: Blitzlicht (Wende), Lerche =Dingsymbol (die sie sehen, als sie im Korn sind -> verweis auf tragischen Ausgang: bei Shakespeare heißt es „Es war die Nachtigall u. nicht die Lerche“ um Trennung hinaus zu zögern); L‘ rrabbiata: der Biss in die Hand -> Laurella wird gezwungen Farbe zu bekennen; Wendepunkt: Laurella kehrt zu Antonino zurück -> zeigt ihren wahren herzlichen Charakter)
- Begriff des Wendepunkts als Merkmal der novellistischen Handlungsstruktur (von Schlegel geprägt, der diesen Begriff parallel zum Begriff der dramatischen Peripetie entwickelte); damit ist der Punkt bezeichnet, von dem aus sich die Handlung zum Guten oder Schlimmen wenden kann; dies wird aber nicht durch den Menschen, sondern durch das Geschehen selbst (allerdings heißt das nicht, dass der Einzelne schuldlos an dem plötzlich über ihn hereinbrechenden Verhängnis ist) =>bei Romeo u. Julia: erster Wendepunkt: nach der Versteigerung des Ackers, entwickelt sich Hass bei den scheinbar ehemals guten Freunden -> ihre charakterliche Veränderung zeigt sich im Verhalten gegenüber den Kindern, die nicht mehr zusammen sein können -> Vrenchen wird geohrfeigt ohne Grund  Silhouette verstanden als Fabel

Novellenmärchen - Märchennovellen

- In der Romantik entstanden Mischformen, in denen sich die Öffnung der endlichen Welt zum Unendlichen artikulierte -> der Punkt, an dem die Verwicklungen in der Wirklichkeit, nach Auflösung drängend, eine andere Richtung nahmen, markierte häufig den Umschlag in s Utopische und Wunderbare
- Novelle u. Märchen sind vor allem unterschieden nach den Welten, in denen sie spielen -> Novelle bindet den Menschen an die realen Bedingungen seines Daseins; Märchen befreit den Menschen vom Druck des bloß Wirklichen
- Findet der Einzelne in der Novelle gelegentlich sein Glück, dann geschieht es durch eine positive realistische Wende (z.B. in Storms Pole Poppenspäler durch die glückliche Wiederbegegnung der Liebenden)
- Im Märchen entspringt das Glück prinzipiell aus dem Wunderbaren; im Märchen ist das Wunderbare das eigentlich Wirkliche; in der Novelle schließt die Wirklichkeit das Wunderbare aus
- Wo sich beide Stile mischen, entsteht eine Spannung zw. Wirklichkeit u. Möglichkeit
- Eine Reihe von romantischen Novellen zeigt die Tendenz, sich nach der Erfahrung verengter Wirklichkeit der gesell.-geschichtlichen Realität ins Weite u. Utopische zu öffnen
- Das Novellenmärchen mit seiner utopischen Öffnung im Finale entspricht dem romantischen Streben nach Ausweitung des bloß Endlichen ins Unendliche, wo alle Verwicklungen u. Konflikte lösbar scheinen
- Aber mit dem Verlassen der realen Welt u. dem Aufbruch ins Wunderbare werden auch die Grenzen novellistischen Erzählens überschritten

Novelle - Roman - Kurzgeschichte

- Nach ihrer Länge steht die Novelle zw. Roman und Kurzgeschichte
- Dem Alter nach ist sie die älteste und die Kurzgeschichte die jüngste unter den drei Erzählformen
- Roman (und Erzählung als kleiner Roman begriffen) betont die Person als handlungsauslösendes Subjekt u. das als erreichbar vorgestellte Handlungsziel
- Kurzgeschichte konzentriert sich auf das Handlungsresultat, das in einer scharf umrissenen Situation erkennbar u. oft von verschiedenen Seiten beleuchtet wird
- Die polare Ergänzung von handlungsauslösendem Subjekt u. dem Ziel als Objekt des Handelns machen eine Verknüpfung von Roman u. Kurzgeschichte leicht mögl.
- Demgegenüber schließt die Novelle eine solche Vereinnahmung aus, da in ihr weder das
handlungsauslösende Subjekt noch das Handlungsziel, sondern die Handlung selbst den Erzählkern bildet
- Nicht die Person, sondern der Prozess selbst bestimmt novellistisches Erzählen
- Ziel des Erzählens wird weniger durch persönliche Initiative herbeigeführt, sondern es ereignet sich vielmehr zufällig
- Im Roman u. in Kurzgeschichte ist den Menschen die Chance zu selbstbestimmendem Handeln eingeräumt
- In der Novelle wird der Mensch fremdbestimmten Handlungsprozessen ausgesetzt, deren auslösende Kraft u. Ziele im Dunkeln zu liegen scheinen

Die Novelle der Klassik

- Erst am Ende des 18. Jh. setzte in Dtl. das Bemühen um eine adäquate Adaption der romanischen Novelle ein
- Die Gattung Novelle wurde zwar zum als Ausdruck des erstarkten bürgerweltlichen Selbstbewusstseins herangezogen, doch sie nahm neben dem Roman nur eine Randstellung ein
- Boccaccios Decamerone galt als Musternovelle
- Goethes „Unterhaltungen deutscher usgewanderten“ knüpft an Boccaccios Decamerone an
- Profil der klass. Novelle ist v.a. geprägt durch einen humanen Optimismus -> dem Menschen wird aufgrund seiner ihm innewohnenden Kräfte zugetraut, moralisch richtig zu handeln
- Bei Goethe tritt jedoch auch die Gewissheit darüber hervor, dass auch durch sittliches Handeln nicht alles beeinflussbar ist und letztendlich bleiben das Phantastische wie Schicksalhafte als unbewältigte Bedrohungen menschlichen Daseins bestehen
- Klass. Novelle zeigt die Tendenz, die unerhörte Begebenheit bis zu dem Punkt zu führen, wo sich die Konflikte u. Krisen auflösen in einer jederzeit möglichen Harmonie -> bei Goethe ist die Harmonie gebunden an die menschl. Fähigkeit der Erkenntnisgewinnung sowie zu einer Einsicht zu gelangen
- Kleist: mit seinen Novellen setzt die Geschichte der modernen dt. Novelle ein; Thema ist die Gefährdung u. Zerstörung der bestehenden Gesell. und des Menschen; Menschlichkeit u. ordnendes, moralisches Handeln u. alle idealistischen Werte sind beschränkt auf wenige Ausnahmefälle u. erweisen sich aufs Ganze gesehen als einflusslos
- Kleists Novellen entwerfen in historischen Spiegelungen u. Verfremdungen das Bild der von Grund auf erschütterten traditionellen Welt, in der sich menschl. wie gesell. Abgründe zu öffnen beginnen
- Humanität entfaltet sich ausschließlich in der Isolation von einer heillosen Welt; Krisen erscheinen oft nur abwendbar durch zufällige Fügungen o. Interventionen übermenschl. Mächte  Die moralisch skeptische Haltung bestimmt die Novellistik Kleists

Novelle der Romantik

- Eigentlich steht die novellistische Bindung an die Endlichkeit u. Begrenztheit des Daseins dem romantischen Streben nach unendlicher Entgrenzung entgegen
- Das expansive Daseinskonzept der Romantiker führte zu einer Ausweitung nach innen wie nach außen (Vertiefung in geistig-seelische Erfahrungsbereiche sowie zu einer Überhöhung der bloßen Alltagsexistenz
- Bewusstes und Unbewusstes, Phantasie u. Phantastik fügten sich in der Novelle zu einer Dialektik von Begrenzung und Entgrenzung, von der Erfahrung des Wunderbaren und Grauenvollen; beides aber, Wirklichkeit des Schreckens wie die Möglichkeit der Erlösung, gehören zum Dasein des Menschen u. machen seine Ganzheit aus
- Novelle leuchtet tief in die psych. Verfassungen u. Abgründe, sie zeigt die Nachtseiten des Einzelnen sowie seine Höhenflüge
- In der Romantik gewinnen die phantastische Novelle u. die Märchennovelle, die Novelle extremer persönl. Entwürfe u. radikaler tragischer Prozesse Gestalt

Die Novelle der Restaurationszeit

- Das Wunderbare, die geistigen Aufbrüche ins Märchen, treten zurück
- Die Sehnsucht nach dem Unbedingten wird verabschiedet u. es wird versucht, sich im Beengten des Einzeldaseins sowie sich in den begrenzten Lebensräumen einzurichten
- Das Glück, wenn es eins gibt, liegt im Subjekt wie in der Annahme der objektiven Lebensbedingungen, in der Geborgenheit in engen Grenzen u. in einer Natur, deren idyllische Schönheit man zu entdecken beginnt
- Novelle wird zum Medium der Daseinsvergewisserung, des Bekenntnisses zum subjektiv und objektiv Gegebenen
- Sie stellt den Versuch dar, auszuloten, was dem Menschen an Lebenschancen geblieben ist, nachdem die revolutionären Aufbrüche gescheitert waren
- Gestalt gewinnen geschichtl. Wie gegenwärtige Lebensformen, mit dem Blick auf Möglichkeiten des Daseins in einer eng gewordenen Welt, in der die Entsagung die menschl. Erfahrung dominiert, in der der entsagende Mensch lernt, sein Glück mit dem zu identifizieren, was ihm geblieben ist
- Adalbert Stifter: reagiert auf die kollektive Geschichtsenttäuschung seiner Epoche mit der ästhetischen Beschwörung idyllischer Fiktionen
- In seinen Darbietungen entstehen Bilder harmonischer Natur- u. Gesellschaftszustände, Miniaturen des Friedens u. des Selbstgenügens
- Brigitta: das Geschehen wird in Distanzierung von einem Erzähler dargeboten, der den ungarischen Major auf dessen Einladung auf seinem Gut besucht (lebt in völliger Abgeschiedenheit -> Steppe, wo er sein Glück/ Ruhepol gefunden hat), Steppenlandschaft stellt letztendlich einen nach außen abgeschlossenen Lebenskreis dar; Erzähler erfährt dort die Lebensgeschichte der Nachbarin Brigitta; am Ende erfährt er, dass Major u. Brigitta die gescheiterten Eheleute sind; gescheitert war die Ehe an der Untreue Murais, da er der Schönheit einer anderen Frau nicht widerstehen konnte, wodurch er aber Brigitta zu tiefst verletzt hat; erst nachdem Murai den gemeinsamen Sohn vor den Wölfen rettet und ihn bei sich zu Hause pflegt, finden die Eheleute wieder zu einander
- Erotische Leidenschaft wird als zerstörerisch empfunden, zudem tritt das Motiv der Faszination durch die äußere Schönheit hinzu, die aber nur begehrlich macht und nicht gut; Brigitta ist die äußerlich reizlose Frau, deren schöne Augen aber auf ein reiches und schönes Seelenleben hinweisen -> wahre Schönheit kann nur von Innen erwachen; erst die innerliche Schönheit, zu der der Major erst im Alter gelangt, überwindet alle Veräußerlichung und Leidenschaft; Ende: Erzähler verlässt den Lebenskreis eines unangefochtenen Glücks, das in seiner Unwirklichkeit räumlich u. zeitlich der Welt entrückt scheint
- Wendepunkt: ab der Wolfsjagt treibt die Handlung schnell voran, bis dahin bestimmt die Novelle episches Erzählen; die Rettung des Sohnes markiert den Wendpunkt

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Novelle im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert
Untertitel
Ausarbeitung zur mündlichen Examensprüfung germanistische Literaturwissenschaft
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Germanistik)
Veranstaltung
mündliche Prüfung 1. Staatsexamen
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V303595
ISBN (eBook)
9783668036345
ISBN (Buch)
9783668036352
Dateigröße
992 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Merkmale Novelle, Novelle, Geschichte Novelle, Novelle 19. Jahrhundert, Novelle Goethe, Novelle Thomas Mann, Novelle Stifter, Novelle Storm, Novelle Keller, Novelle Hauptmann, Novelle Kleist, Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, Immensee, Brigitta, L'arrabbiata, Das Erdbeben in Chili, Die Marquise von O..., Romeo und Julia auf dem Dorfe, Die drei gerechten Kammmacher, Auf dem Staatshof, Pole Poppenspäler, Bahnwärter Thiel, Der kleine Herr Friedemann
Arbeit zitieren
Milena Gutsch (Autor:in), 2012, Die Novelle im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303595

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