Franz Josef Strauß und die DDR-Kredite. Ein Vergleich mit "Nixon-goes-to-China"


Examensarbeit, 2015

67 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Forschungsstand und Interesse
1.2 Ziele und Aufbau der Arbeit

2 Nixon-goes-to-China
2.1 Erklärung des Nixon-goes-to-China-Phänomens im historischen Kontext
2.2 Das Besondere an Nixons Besuch in China
2.3 Zwischenfazit: Nixon-goes-to-China als Metapher und seine Wirkung bis heute

3 Die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR
3.1 Politische Beziehungen beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg
3.2 Wirtschaftliche Strukturen und Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten bis zu den Milliardenkrediten 1983/1984
3.3 Zwischenfazit

4 Franz Josef Strauß und Alexander Schalck-Golodkowski
4.1 Alexander Schalck-Golodkowski - Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung der DDR
4.2 Die Person Franz Josef Strauß und sein politisches Wirken bis zu den Milliardenkrediten 1983/1984
4.3 Strauß‘ Haltung gegenüber der DDR und dem sozialistischen System im Kontext seiner öffentlichen Wahrnehmung
4.4 Zwischenfazit

5 Franz Josef Strauß und die DDR-Kredite
5.1 Die DDR-Kredite und ihre Auswirkungen
5.2 Reaktionen auf die DDR-Kredite
5.3 Die besondere Rolle des Franz Josef Strauß

6 Konklusion: Strauß-goes-to-DDR?
6.1 Nixon-goes-to-China
6.2 Strauß und die DDR-Kredite
6.3 Strauß-goes-to-DDR?

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die mediale sowie politische Aufmerksamkeit des Sommers 1983 lag auf einer Bürgschaft der noch jungen christlich-liberalen Bundesregierung des 2. Kabinett Helmut Kohls, bestehend aus der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Christlich-Sozialen Union (CSU) sowie der Freien Demokratischen Partei (FDP), für die Deutsche Demokratische Republik (im Folgenden auch als DDR bezeichnet).1 Ein Kredit in Höhe von einer Milliarde D-Mark (Deutsche Mark) wurde der DDR von einem westdeutschen Bankenkonsortium unter Federführung der Bayerischen Landesbank bereitgestellt. Ein solches Handeln einer im Gegensatz zur sozialdemokratischen Regierung der Ära Schmidt konservativ ausgerichteten Regierung, und insbesondere die Initiierung dieses Kredites durch die ideologischen Klassenfeinde Franz Josef Strauß und Alexander Schalck-Golodkowski, sorgten für Aufsehen und Verwunderung in der öffentlichen Wahrnehmung und den Medien. CSU-Vorsitzender Strauß war für sein stark ausgeprägtes antikommunistisches Verhalten bekannt und hatte die Regierung der DDR wenige Monate zuvor noch des Mords an dem westdeutschen Bundesbürger und Handelsreisenden Rudolf Burkert beschuldigt, der in einem Verhör an der innerdeutschen Grenze sein Leben verloren hatte.2 Nun verhandelte eben dieser CSU-Politiker mit Alexander Schalck-Golodkowski, dem Chef des Bereichs Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außenhandel der Deutschen Demokratischen Republik über einen Kredit zwischen der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden auch als BRD bezeichnet) und der DDR und setzte sich speziell für das Zustandekommen dessen ein.3 Durch diesen Kredit über eine Milliarde D-Mark und einem weiteren Kredit über 950 Millionen D-Mark im Jahr 1984, für den die BRD ebenfalls bürgte, musste die DDR - anders als andere osteuropäische Staaten wie Rumänien oder Polen - nicht ihre Zahlungsunfähigkeit erklären und konnte denStaatsbankrott verhindern.4 Mit der Verschlechterung der wirtschaftlichenVerhältnisse in der Sowjetunion und den zeitgleichen Geldflüssen von West- nach Ostdeutschland kam es zu einer deutsch-deutschen Annäherung zu Zeiten des Kalten Kriegs.

1.1 Forschungsstand und Interesse

Die Milliardenkredite, insbesondere der Kredit 1983 mit der damit verbundenen Bürgschaft der BRD für die DDR, sind im Gegensatz zur Deutschen Einheit oder anderen politischen Ereignissen des Kalten Kriegs und der deutsch-deutschen Beziehungen Ende der 1980er Jahre in der Forschung verhältnismäßig selten zum Betrachtungsgegenstand geworden, obwohl durch diese die Zahlungssicherheit der DDR erhalten werden und ein möglicher Staatsbankrott gerade durch Hilfe der BRD abgewendet werden konnte.

Veröffentlichungen, die sich speziell mit dieser Thematik auseinandersetzen, lassen sich nur begrenzt bis gar nicht vorfinden. Im Kontext der Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland oder der Wirtschaftsbilanz der DDR finden die Strauß-Kredite manchmal Erwähnung, es findet jedoch nur eine begrenzte Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten und Umständen der Kreditverhandlungen, den Auswirkungen und der Wahrnehmung der Kreditverträge sowie den politisch-soziologischen Hintergründen statt; so beispielsweise in André Steiners Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR aus dem Jahr (2004) oder Peter Krewes Geschäfte mit dem Klassenfeind. Die DDR im innerdeutschen Handel 1949-1989 von (2008) zu finden.

Ebenfalls ist dieser historisch wichtige Moment der gesamtdeutschen Historie insbesondere zu Jahrestagen Gegenstand von Tageszeitungen, wie dem Handelsblatt (2006) und dem Spiegel (2008), oder wird in Dokumentarfilmen, wie Der Milliarden-Deal von Peter Adler aus 2014, in Erinnerung gerufen.

Eine konkrete Forschungsarbeit und Untersuchungen zu den Hintergründen und Auswirkungen dieser auf den ersten Blick für eine konservative schwarz-gelbe Regierung strittig wirkende Entscheidung, insbesondere zu dem Gelingen dieser, inkludiert mit der Person Franz Josef Strauß, fehlen bisher.

1.2 Ziele und Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit hat sich die folgenden Ziele gesetzt. Sie untersucht einen möglichen Bezug der Kreditbürgschaft der BRD für die DDR im Sommer 1983, insbesondere die Rolle und den besonderen Beitrag der Person Franz Josef Strauß zum amerikanischen Phänomen Nixon-goes-to-China, welches sich auf den Besuch des republikanischen Präsidenten Richard Nixon in China 1972 bezieht.

Ein weiteres Ziel besteht im Aufzeigen der wesentlichen Faktoren und Hintergründe, die eine deutsch-deutsche Annäherung im Kalten Krieg möglich machten. Außerdem sollen die politischen Umstände, die Wahrnehmung und Wirksamkeit sowie die Auswirkungen und Folgen dieses Kredits dargestellt werden, sodass ein kompaktes Gesamtbild gewonnen werden kann. Die Person Franz Josef Strauß steht in dieser Arbeit im Mittelpunkt der Betrachtung, daher muss es ebenfalls das Ziel sein, über die Vorgeschichte und Gegebenheiten der Bundesrepublik Deutschland sowie der Person Strauß in Bezug auf die DDR zu informieren und einen Vergleich zu dem ähnlich suspekt wirkenden Nixon-goes-to- China-Phänomen herzustellen.

Um dies zu gewährleisten, wird nach dieser Einleitung zunächst auf das Phänomen Nixon-goes-to-China eingegangen und die besonderen Eigenschaften werden erklärt und verdeutlicht. Dies beinhaltet die Einführung in die historischen Begebenheiten dieses Phänomens sowie das Offenbaren der Außergewöhnlichkeit des Entstehungsbezugs. Außerdem diegenaue Frage, was explizit das Sprichwort only Nixon could go to Chinaausmacht, welche Wirkung das Nixon-goes-to-China-Phänomen bis heute hat und wie und auf welche Art und Weise es in der heutigen Zeit noch Verwendung findet.

Nachdem dieses Phänomen in seinem Kern beschrieben worden ist, erfolgt zur besseren Kontexteinordung eine Betrachtung der Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Die politischen sowie handels- und wirtschaftspolitischen Verbindungen (beginnend nach der Niederlage des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg bis hin zu den Strauß-Krediten) sollen offengelegt werden. Dies ist nötig, um zu erschließen, in welchem Rahmen die Milliardenkredite zustande gekommen sind und um ebenfalls erkennen zu können, welche politischen Anforderungen, Widrigkeiten und Besonderheiten es zu überwinden galt, ehe es zu den angesprochenen Kreditverträgen kommen konnte.

Im vierten Kapitel werden die Hauptakteure der Milliardenkredite untersuchend vorgestellt: Alexander Schalck-Golodkowski, Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung, aufseiten der DDR und insbesondere die Person und das politische Wirken sowie die öffentliche Aufmerksamkeit Franz Josef Strauß‘, der als bayerischer Ministerpräsident als Initiator der DDR-Kredite auf westdeutscher Seite gilt. Durch sein Verhältnis zur DDR und zum kommunistischen System soll im fünften Kapitel die Entstehung der Milliardenkredite besser beleuchtet werden. Dies beinhaltet die Umstände, als bayerischer Ministerpräsident in der Außenpolitik aktiv werden zu können; außerdem die Verhandlungen mit Alexander Schalck-Golodkowski, die Inhalte der Verträge sowie die Vorbringung und Durchsetzung innerhalb der deutschen Bundesregierung. Dies ist nötig, um zu erschließen, welche Bedeutung sein Mitwirken bei den Milliardenkrediten hatte, die Wirkung und Reaktionen auf die Milliardenkredite zu betrachten und um schließlich einen Vergleich zum Nixon-goes-to-China-Phänomen herzustellen.

Den Schlussteil dieser Arbeit bildet eben diese Konklusion, in welcher die Forschungsfrage erneut aufgegriffen und beantwortet wird.

2 Nixon-goes-to-China

Nachdem in der Einleitung bereits auf das Nixon-goes-to-China-Phänomen Bezug genommen wurde, folgt nun im zweiten Teil dieser Arbeit eine genauere Untersuchung dessen. Unter Berücksichtigung des historischen Kontextes soll der Unterschied zum bis dato außenpolitischen Verhältnis der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zur Volksrepublik China verdeutlicht werden. Dies ist notwendig, um die besonderen Eigenschaften und Wirkungen dieses Phänomens aufzuzeigen und zu erläutern, warum nur Nixon, ein republikanischer Präsident, in dieser Weise handeln konnte. „Only Nixon, a Republican president, could have pulled it off“.5 Dies bildet als Zwischenfazit den Schluss dieses Kapitels.

2.1 Erklärung des Nixon-goes-to-China-Phänomens imhistorischen Kontext

Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs brach im vonseiten der USA gegen Japan unterstützten China ein Bürgerkrieg um die nachfolgende Staatsgewalt aus. Es standen sich die linkspolitisch ausgerichtete kommunistische Partei unter der Führung Mao Tse-tungs (auch Tsetung oder Zedung) und rechtspolitisch ausgerichtete Gruppierungen der zuvor herrschenden Partei Kuomintang unter Tschiang Kai-schek gegenüber.6 Unterstützung erhielten diese Gruppierungen durch die Groß- und Siegermächte des Zweiten Weltkriegs: die USA und die Sowjetunion. Während die USA eher passiven, nicht interventionistischen Einfluss nahmen und eine friedliche Lösung dieses Konflikts forcierten, trieb die Sowjetunion mit ihrer Unterstützung aktiv die Bildung eines kommunistisch-sozialistischen Staats voran.7 Die kommunistischen Gruppierungen unter Mao Tse-tung setzten sich letztlich in diesem chinesischen Bürgerkrieg gegen die rechtspolitisch gesinnten Truppen durchund riefen am 1. Oktober 1949 in Peking die Volksrepublik China aus. Kai-schek und seine Gefolgsleute mussten sich daraufhin auf die Insel und zuvor japanische Kolonie Taiwan zurückziehen und führten dort die Republik China von 1912 fort beziehungsweise gründeten diese auf Taiwan neu. Dies führte zu einer Anlehnung der Volksrepublik China an die ideologisch gleichgesinnte Sowjetunion.8 Die USA avancierten in der folgenden Zeit zum imperialistischen Feindbild, trotz der amerikanischen Unterstützung im Zweiten Weltkrieg und positiver Beziehungen und Bewunderungen zuvor.9

In der Folgezeit entwickelten sich im Zuge des Kalten Kriegs10 keine Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China. Während des Koreakriegs von 1950 bis 1953 standen sich beide Länder sogar als Gegner gegenüber.11 Im Zuge des Tods des sowjetischen Diktators Josef Stalin 1953 hatte Nikita Chruschtschow die Regierung der Sowjetunion übernommen. Es kam zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao Tse- tung und Nikita Chruschtschow in der Gestaltung der Fortführung der sozialistischen-kommunistischen Revolution und dem damit verbundenen Umgang mit den westlichen Systemen.12 Diese Differenzen führten zusammen mit der chinesischen Politik des Großen Sprungs nach vorn zu Abkühlungen im sowjetisch-chinesischen Verhältnis. Beide Nationen suchten daraus resultierend eine Annäherung an die USA.13

Auch die USA strebten im Rahmen der dortigen Regierung unter Richard Nixon, dem 37. Präsidenten der USA, und der als Nixon-Kissinger-Doktrin bezeichneten de-ideologisierten Außenpolitik, welche ebenfalls einenehrenvollen Frieden des Vietnamkriegs beinhaltete,Annäherungsbemühungen und eine Entspannungspolitik zu densozialistischen Staaten an.14 Die gegenseitige Auflockerung deramerikanisch-chinesischen Beziehungen wird auch als Ping-Pong- Diplomatie bezeichnet, welche auf eine als Öffnungsbereitschaft zuverstehende chinesische Einladung an die US-Tischtennisnationalmannschaft zurückgeht.15

Nach einem Erkundungsbesuch des nationalen Sicherheitsberaters und späteren Außenministers der USA Henry Kissinger im Juli 1971, folgte Richard Nixon als erster Präsident der USA einer Einladung der Volksrepublik China im Februar 1972.16 Dieser Besuch endete mit der Unterzeichnung des Shanghai-Kommunique. In diesem erkannten die USA die Volksrepublik China als Vertreter eines einzigen Chinas an und sprachen von der Republik China erstmals als Taiwan, das ein Teil Chinas darstellt. Dieser Konflikt des Vertretungsanspruchs sollte allerdings friedlich durch die Chinesen selbst gelöst werden und die amerikanischen Truppen auf Taiwan wurden abgezogen. Die Taiwan-Frage stellte das Haupthindernis bisheriger chinesich-amerikanischer Beziehungen dar.17 Auf den chinesischen Wunsch, eine gemeinsame Politik gegen die Sowjetunion zu führen, gingen die USA indes nicht ein, sondern einigten sich mit der Volksrepublik China auf eine Antihegemoniestellung im asiatisch- pazifischen Gebiet, die sich indirekt auch gegen eine Hegemonialstellung der Sowjetunion in diesem Gebiet richtete.18

Das Shanghai-Kommunique ermöglichte somit eine Neuorientierung der amerikanischen Außenpolitik und die Aufnahme politischer Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China, welche zudem politische Auswirkungen auf die internationale Beziehungskonstellationen Chinas mit Drittstaaten hatten. Es verbesserte sich resultierend aus diesem Nixon- Schock zum Beispiel auch das chinesisch-japanische Verhältnis.19

2.2 Das Besondere an Nixons Besuch in China

Bis zum Amtseintritt Richard Nixons verfolgten die USA eine Politik der kommunistischen Eindämmung und Isolierung. Diese sollte jedoch durch ein neues Balancesystem der Weltmächte ersetzt werden, indem eine de- ideologische Politik betrieben und das kommunistische Feindbild abgebaut werden sollten.20

Nixon selbst war als Republikaner entschiedener Anti-Kommunist und hatte 1966 noch die Fortsetzung militärischer Interventionen der USA gefordert.21 Doch anders als in den auf Isolation des Kommunismus ausgerichteten Regierungen vor ihm forcierte die Regierung unter Richard Nixon eine Eindämmung dessen ohne Isolation. Die Außenpolitik sollte vom Image der Weltpolizei und von der Fixierung auf den Vietnamkrieg losgelöst werden, um nationale Interessen besser zu vertreten und mehr Handlungsspielraum bei der Gestaltung der US-Außenpolitik zurückzuerlangen.22 Dies nahm zudem verbündete Nationen stärker in die Pflicht, eigenverantwortliche Politik zu betreiben.23

Die Annäherungs- und Entspannungspolitik der Nixon-Kissinger-Doktrin wurde durch innenpolitische Forderungen zusätzlich begünstigt und unterstützt.24 Die amerikanischen Streitkräfte sollten aus Asien abgezogen werden und es gab eine große Zustimmung in der amerikanischen Gesellschaft, die Volksrepublik China anzuerkennen.25

Richard Nixon entwickelte sich in den 1950er Jahren zu einem scharfen Kritiker Pekings.26 In diesem Zusammenhang hielt er sich selbst, gerade aus innenpolitischen Gründen, für das Gelingen einer amerikanischen Annäherungspolitik an die Volksrepublik China für am geeignetsten. Als Anti-Kommunist musste er sich keine Vorwürfe der Beschwichtigung oder der Schwäche machen lassen.27

Ihm kommt ein großer Verdienst zu, die bereits angesprochenen internationalen Bedingungen (insbesondere die Spannungen zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China) seiner eigenen US-Außenpolitik nutzbar gemacht zu haben.28 Diese Verringerung des internationalen Konfrontationspotenzials, ohne einen Systemwandel in der Sowjetunion oder in der Volksrepublik China zur Bedingung für einen Interessensausgleich zu machen, verdeutlicht dies.29 Die Öffnung gegenüber China ist eine der großen diplomatischen Initiativen des 20. Jahrhunderts.30 Sie löste eine „(…) Schockwelle (…) um die halbe Welt [aus]“.31

2.3 Zwischenfazit: Nixon-goes-to-China als Metapher und seine Wirkung bis heute

Der Besuch Richard Nixons in China 1972 gilt bis heute als ein Phänomen und wird als Metapher für ähnliche kontrovers wirkende Entscheidungen verwendet. Es bezeichnet die angeführte historische Gegebenheit und den Entschluss Nixons, als antikommunistischer, republikanischer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika eine Annäherung beziehungsweise diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China aufzunehmen, was den eigentlichen Grundsätzen seiner antikommunistischen und republikanischen Gesinnung widerspricht.

Die Durchsetzung dieser Politik bildet jedoch das Kernstück des Nixon- goes-to-China-Phänomens. So führte Nixon selbst an, aus innenpolitischer Sicht am geeignetsten für die Durchsetzung dieser Politik zu sein. Als Republikaner musste er sich keiner so starken Kritik aussetzen wie beispielsweise ein Demokrat, da die vermeintlichen Gegenspieler dieses Vorhabens die eigenen Parteimitglieder waren.32 Ein demokratischer Präsident hätte wahrscheinlich viel mehr Gegenwehr und Kritik im Zuge seines Vorhabens erhalten, da die Republikaner in dieser Konstellation in der Opposition vertreten und viel schwerer zu überzeugen gewesen wären. Folglich gilt, „[o]nly Nixon, a Republican president, could have pulled it off.“33

Aus dieser Konstellation ergibt sich für die heutige Verwendung dieses Phänomens und die Eigenschaft der Metapher Nixon-goes-to-China eine Verallgemeinerung, die auf ähnlich wirkende Situationen und Handlungen Anwendung findet. Sie beschreibt, dass radikale Politikwechsel gerade durch politische Akteure durchgesetzt werden können, die und deren Anhänger eigentlich zu Gegnern dieses Wechsels zählen. Die politischen Akteure können sich der zumindest zum Teil vorhandenen Unterstützung ihres eigenen politischen Lagers und weniger Vorwürfen der Schwäche sicher sein, als wenn dieser Wechsel auf den Absichten der innenpolitischen Gegner beruht. Ebenfalls findet eine solch politische Entscheidung auch im Lager der gegnerischen Politik in der Regel Bestätigung und Unterstützung. Somit können Durchbrüche in der Politik besser von Akteuren durchgesetzt werden, die ursprünglich am weitesten von diesen entfernt scheinen.34

Als modernes Beispiel dieser Metapher sind die im Rahmen der Agenda 2010 geschaffenen Sozial- und Arbeitsmarktreformen des 2. Kabinetts der Regierung Schröders (2003-2005), bestehend aus der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und den Grünen (Bündnis 90/Die Grünen), in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Auch hier setzen Akteure eine politische Veränderung durch, die durch die ansonsten für Sozialleistungen stehenden Parteien als kontrovers zu sehen ist, da sie eben zu Einschnitten dieser führte. Eine Durchsetzung auf Initiative der CDU hätte wahrscheinlich wiederum zu wesentlich mehr Kritik vonseiten der SPD geführt, als der handelnden Regierung unter Gerhard Schröder geäußert wurde.35

Ein weiteres Beispiel ist die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland im Jahre 2011. Die Initiative und Durchsetzung erfolgte von der als eher konservativ geltenden schwarz-gelben Bundesregierung und lässt sich ebenfalls auf das Nixon-goes-to-China-Phänomen zurückführen und anhand dessen erklären.36

An den aufgeführten Merkmalen des Nixon-goes-to-China-Phänomens und der aufgezeigten Aktualität der Anwendbarkeit dieser, sollen die Milliardenkredite beziehungsweise die Kreditbürgschaft der Bundesrepublik Deutschland für die DDR im Sommer 1983 untersucht werden. Besonderes Augenmerk soll auf der Person Franz Josef Strauß‘ und seinem Handeln im Kontext dieser Bürgschaft liegen.

3 Die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR

Die wesentlichsten Elemente des Nixon-goes-to-China-Phänomens sind mit der Betrachtung des historischen Kontextes, dem Aufzeigen seiner Besonderheit und der Möglichkeit seiner heutigen Anwendbarkeit nun vorgestellt worden. Bevor dieses Muster auf die DDR-Kredite und Franz Josef Strauß übertragen wird, sind Übergangskapitel über die Beziehungen beider deutschen Staaten und die Hauptakteure des Kredits, Alexander Schalck-Golodkowski und insbesondere Franz Josef Strauß sinnvoll, um die Gegebenheiten der Milliardenbürgschaft 1983 und Folgen in 1984 aufzuzeigen.

Zu diesem Zweck wird in diesem Kapitel auf die Beziehungen der DDR und der BRD beziehungsweise der Besatzungszonen, aus denen sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind bis zu den Konstellationen der Kreditbürgschaften, eingegangen. Im ersten Abschnitt sollen die politische Ausgangslage und Entwicklung betrachtet werden, ehe im zweiten Abschnitt auf die wirtschaftlichen Beziehungen beziehungsweise auf den innerdeutschen Handel eingegangen wird.

Die Konzentration auf die wichtigsten Daten und Eckpunkte dieser Beziehungen erfolgt ganz im Sinne der Forschungsfrage, denn einige Ausführungen lassen sich für den Gesamtzusammenhang eines späteren Vergleichs zum Nixon-goes-to-China-Phänomen im Hinterkopf behalten und sollen in einem Zwischenfazit festgehalten werden.

3.1 Politische Beziehungen beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wurde Deutschland durch die alliierten Siegermächte besetzt. Wie von den Siegermächten Großbritannien, USA, Frankreich und der Sowjetunion schon vor Ende des Kriegs beschlossen, wurde Deutschland unter Abtrennung von Ostgebieten und der besonderen Behandlung der Hauptstadt Berlin in vier Besatzungszonen untergliedert und sollte gemeinsam verwaltet werden.37

Die amerikanischen und britischen Besatzungszonen wurden 1947 zur Bizone und 1948 durch Zusammenschluss mit der französischen Besatzungszone zur Trizone zusammengelegt, während sich die unterschiedlichen Interessen der Siegermächte, insbesondere der westlichen Siegermächte und der Sowjetunion, bereits aufzeigten und sich ihr Verhältnis untereinander gegenüber 1945 veränderte.38 Ein vereinigtes Deutschland mit Anlehnung an den Westen beziehungsweise an den Osten wollten sowohl die Trizone als auch die sowjetische Besatzungszone nicht zulassen, was zu einem Festhalten am jeweilig besetzten Gebiet führte. Die Auseinanderentwicklung der Westallierten und der Sowjetunion mündete in der Umsetzung des European Recovery Programs George C. Marshalls (Marshall-Plan) und der damit einhergehenden Währungsreform in der Trizone vom 20. Juni 1948 sowie einer eigenen Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone vom 24. Juni 1948.39 Die Währungsreform der drei westlichen Zonen wurde am 25. Juni 1948 auf den Westteil Berlins ausgeweitet.40

Im Zuge dessen begannen die Sowjets mit der Berlinblockade 1948, die zu weiteren Spannungen zwischen den einstigen Verbündeten führte und erst durch das Jessup-Malik-Abkommen vom 12. Mai 1949 sowie der Bestätigung auf der Pariser Viermächtekonferenz desselben Jahrs beendet wurde.41 Durch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1949 wurde die ideologische Trennung der Westalliierten und Sowjets durch die Teilung Deutschlands manifestiert.42 Jedoch enthielt sowohl das verabschiedete Grundgesetz der BRD einen Artikel bezüglich der Wiedervereinigung als auch die Verfassung der DDR bis zum 7. Oktober 1974 einen Passus über „Deutschland als unteilbare Republik.“43

Durch den Einfluss der unterschiedlichen Systeme der Siegermächte im Kontext des Kalten Kriegs entwickelte sich ebenfalls die politische Integration der beiden Staaten international sowie untereinander unterschiedlich.

Der Einfluss der westlichen Siegermächte insbesondere der USA hatte eine Westintegration der BRD zur Folge. Erster Schritt war der Beitritt zur Organisation für europäische wirtschaftliche Entwicklung (OEEC) im Oktober 1949, in der Mittel zum westeuropäischen Wiederaufbau koordiniert wurden. Ebenso das Petersberger Abkommen vom 22.

[...]


1 Vgl. Schindler, Peter (1999): Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999. Baden-Baden: Nomos, S. 1050 ff.

2 Vgl. Finger, Stephan (2005): Franz Josef Strauß. Ein politisches Leben. München: Olzog Verlag, S. 489 f.

3 Vgl. Handelsblatt (2006): Milliardenkredite - Hilfe für die DDR. Online im WWW unter http://www.handelsblatt.com/archiv/60-jahre-deutsche-wirtschaftsgeschichte- milliardenkredite-hilfe-fuer-die-ddr/v_microsite/2685948.html [abgefragt 17.03.2015].

4 Vgl. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (2013): Von Strauß und Schalck- Golodkowski eingefädelt. Online im WWW unter http://www.bstu.bund.de/DE/Presse/Themen/Hintergrund/20130628- milliardenkredit.html [abgefragt 17.03.2015].

5 Humes, James C./Ryals, Jarvis D. (2009): „Only Nixon“. His trip to china revisited and restudied. Lanham: University Press of America.

6 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (2014): Vor 65 Jahren: Gründung der Volksrepublik China. Online im WWW unter http://www.bpb.de/politik/hintergrund- aktuell/191939/vor-65-jahren-gruendung-der-volksrepublik-china [abgefragt 17.03.2015].

7 Vgl. Hacke, Christian (1984): Von Kennedy bis Reagan. Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik 1960-1984. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 85.

8 Vgl. Hacke, Christian (1983): Die Ära Nixon-Kissinger 1969- 974. Konservative Reform der Weltpolitik. Forschungen und Quellen der Zeitgeschichte, Band 5. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 44 ff.

9 Vgl. Hacke (1984), S.84.

10 Vgl. ISIS Verlag (1996): Großes Lexikon A-Z. Zeitnah und übersichtlich. Chur: ISIS Verlag, S. 443.

11 Vgl. ebd., S. 491.

12 Vgl. Spence, Jonathan D. (1990): The Search for Modern China. London, New York: W. W. Norton & Company, S. 583 ff.

13 Vgl. Wiethoff, Bodo (1977): Grundzüge. Grundzüge der neueren chinesischen Geschichte. Grundzüge, Band 31. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 155 ff.

14 Vgl. Hacke (1983), S. 13.

15 Vgl. Schweigler, Gebhard (1982): Von Kissinger zu Carter. Entspannung im Widerstreit von Innen- u. Außenpolitik 1969-1981. Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Bonn, Band 47. München: Oldenbourg Verlag, S. 88.

16 Vgl. Hacke (1983), S. 52 f.

17 Vgl. ebd., S. 57, 60 ff.

18 Vgl. Hacke (1984), S. 88.

19 Vgl. Hacke (1983), S. 68 ff.

20 Vgl. Hacke (1983), S. 42 f., S. 123.

21 Vgl. Hacke (1984), S. 80.

22 Vgl. Bierling, Stephan (2004): Geschichte der amerikanischen Außenpolitik. Von 1917 bis zur Gegenwart. 2. Auflage. München: Verlag C. H. Beck, S. 145, S. 155.

23 Vgl. Hacke (1983), S. 39, S. 42.

24 Vgl. ebd., S. 41.

25 Vgl. Schweigler (1982), S. 90 f.

26 Vgl. Bierling (2004), S. 155.

27 Vgl. Bierling (2004), S. 157.

28 Vgl. Hacke (1983), S. 13 f., S. 36.

29 Vgl. ebd., S. 38f.

30 Vgl. Bierling (2004), S. 156.

31 Schweigler (1982), S. 90.

32 Vgl. Bierling (2004), S. 157.

33 Humes/Ryals (2009), S. 67.

34 Vgl. Kreitz, Benjamin-Samuel (2013): Innere Sicherheit - Das ideale Wahlkampfthema?: Wie sich die deutschen Parteien aus innenpolitischem Kalkül nach dem 11. September 2001 auf dem Gebiet ... zu profilieren suchten. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, S. 145.

35 Vgl. ebd., S. 145.

36 Vgl. Kreitz (2013), S. 145.

37 Vgl. Rupp, Hans Karl (2009): Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

4. Auflage. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, S. 19 ff., S. 23 ff.

38 Vgl. Kruse, Michael (2005): Politik und deutsch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen von 1945 bis 1989. Schriftenreihe Wirtschaftswissenschaften, Band 23. Berlin: Verlag Dr. Köster, S. 22.

39 Vgl. Fäßler, Peter E. (2006): Durch den >>Eisernen Vorhang<<. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949-1969. Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien, Band 14 (Hrsg. Jenks, Stuart/North, Michael/Walter, Rolf). Köln: Böhlau Verlag, S. 41 ff.

40 Vgl. Kruse (2005), S. 23.

41 Vgl. Kruse (2005), S. 23 ff.

42 Vgl. Hacke, Christian (1993): Weltmacht wider Willen. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt, Berlin: Verlag Ullstein, S. 63.

43 Jesse, Eckhard (1991): Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik. Die beiden deutschen Staaten im Vergleich. Berlin: Colloquium Verlag, S. 369.

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Details

Titel
Franz Josef Strauß und die DDR-Kredite. Ein Vergleich mit "Nixon-goes-to-China"
Hochschule
Universität Siegen
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
67
Katalognummer
V304114
ISBN (eBook)
9783668027664
ISBN (Buch)
9783668027671
Dateigröße
666 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strauß, Franz Josef Strauß, DDR, Kredit, Kredite, 1983, 1984, Schalck-Golodkowski, KoKo, Bereich Kommerzielle Koordinierung, Kohl, Helmut Kohl, März, Wirtschaft, DDR-Wirtschaft, CSU
Arbeit zitieren
Sebastian Behner (Autor:in), 2015, Franz Josef Strauß und die DDR-Kredite. Ein Vergleich mit "Nixon-goes-to-China", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304114

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