Positive und negative Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren


Masterarbeit, 2015

132 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Zusammenfassung

1 Einleitung

2 Methodik

3 Positive Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren
3.1 Extratherapeutische Faktoren
3.2 Die Bedeutung des Placebo-Effekts für die Psychotherapie
3.3 Allgemeine Wirkfaktoren
3.3.1 Allgemeine Wirkprinzipien der Psychotherapie nach Grawe
3.3.2 Das Allgemeine Modell der Psychotherapie von Orlinsky und Kollegen
3.4 Spezifische Wirkfaktoren
3.4.1 Kritik an der Manualisierung
3.4.2 Allgemeine versus spezifische Wirkfaktoren
3.4.3 Der Einfluss spezifischer Interventionen auf spezifische Störungen
3.4.4 Die Wirkfaktoren psychodynamischer Therapien
3.4.5 Die Wirkfaktoren der Verhaltenstherapie
3.4.6 Die Wirkfaktoren der Gruppentherapie
3.5Wirkzusammenhänge spezifischer und allgemeiner Wirkfaktoren
3.6Weitere Wirkungszusammenhänge
3.6.1 Der Therapie-Dosis-Effekt
3.6.2 Die Wirksamkeit von Laienhelfern im Vergleich zu professionellen Therapeuten
3.7 Zusammenfassung

4Negative Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren
4.1Häufigkeiten eines negativen Therapie-Outcomes
4.2Begriffsbestimmungen
4.3Negativeffekte durch Psychotherapie
4.3.1 Unerwünschte Ereignisse und negative Therapieeffekte
4.3.2 Nebenwirkungen, Therapieschäden und Kunstfehlerfolgen
4.3.3 Therapie-Misserfolg
4.4Die Ursachen negativer Therapieeffekte
4.4.1 Passungsprobleme
4.4.2 Risiken und Kontraindikationen
4.4.3 Fehlerhafte Diagnostik und Stigmatisierung
4.4.4 Therapeutenseitige Ursachen
4.4.5 Klientenseitige Ursachen
4.4.6 Schlechte Therapiebeziehung
4.4.7 Behandlungsfehler
4.4.8 Systemfehler
4.5Therapiespezifische Negativwirkungen und deren Ursachen
4.5.1 Negativeffekte psychodynamischer Therapien
4.5.2 Negativeffekte der Verhaltenstherapie
4.5.3 Negativeffekte der Gruppentherapie
4.6Zusammenfassung

5Diskussion der Ergebnisse

Literatur

Zusammenfassung

Die Psychotherapieforschung ist ein relativ junges Forschungsgebiet. Empirische Nachweise über die Wirksamkeit der Psychotherapie gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten. Die hohe Effektivität der Psychotherapie gilt als allgemein bestätigt, dabei sind die Wirkursachen nicht abschließend geklärt. Zudem fehlt es in der Psychotherapie an einer nebenwirkungsorientierten Forschungstradition und Behandlungskultur. So rückten erst in den letzten Jahren vermehrt negative Therapieeffekte in das Bewusstsein von Forschern und Therapeuten. In dieser Übersichtsarbeit wird der aktuelle Forschungsstand zu positiven und negativen Effekten der Psychotherapie und deren Wirkfaktoren dargestellt. Die Grundlage dieser Arbeit war eine umfassende Literaturrecherche. Obwohl sich im Ergebnis ein sehr heterogenes Bild bezüglich der Bedeutung, Klassifikation und Definition der Psychotherapie-Wirfaktoren zeigt,gibt es deutliche Hinweise darauf, dass allgemeine schulenübergreifende Wirkfaktoren und weniger spezifische Wirkfaktoren für den Psychotherapieoutcome bedeutsam sind. Insbesondere Therapeuten-, Klienten- und Beziehungsvariablen sind hinsichtlich negativer und positiver Therapieeffekte als relevant anzusehen. Problematisch erscheint nach wie vor das geringe Forschungsinteresse für negative Therapiewirkungen, welche, wie sich gezeigt hat, regelhaft auftreten und sich teils erheblich für Klienten auswirken können. Wichtig mutet in dem Zusammenhang an, dass qualitätssichernde Faktoren in der Psychotherapie weiter Unterstützung erfahren. Dazu kann z.B. die Implementierung von Rückmeldesystemen genauso beitragen wie die Ausrichtung der Ausbildungsinhalte an aktuellen Forschungserkenntnissen. Speziell auf die Psychotherapieforschung kommt zukünftig die Aufgabe zu, das negative und positive Potential der Psychotherapie in ihren einzelnen Wirkkomponenten zu ergründen und damit die Weiterentwicklung der Psychotherapie voranzutreiben.

Schlüsselwörter: Psychotherapie, Wirkfaktoren, negative Therapieeffekte, Nebenwirkungen

1Einleitung

Der Beginn der Psychotherapieforschung wird auf das Jahr 1916 datiert. Anfänglich brachten die Wissenschaftler einzelne Ergebnisstudien hervor. Einige Jahrzehnte später begannen sich diese zunehmend mehr auf die spezifischen Wirkfaktoren der Psychotherapie zu konzentrieren. Als Zäsur der Psychotherapieforschung gilt das Jahr 1952. Denn durch die Behauptung des britischen Psychologen H. J. Eysenck, dass positive Effekte, die durch Psychotherapie auftreten, nicht mehr sind als Spontanremissionen, wurde die Psychotherapie genötigt ihre Wirksamkeit nachzuweisen. Die abschließende Antwort auf diese Fundamentalkritik erfolgte 1977/1980 durch die ersten Metaanalysen, welche den Psychotherapiewirkungsnachweis erbringen konnten (Caspar & Jacobi, 2007).

Lambert und Ogles (2013) führen in ihrer Übersichtsarbeit eine Vielzahl von Metaanalysen auf, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden. Auch wenn die Ergebnisse die Wirksamkeit der einzelnen Interventionen als gering bis sehr hoch bewerten und damit sehr schwankend sind, haben alle Metaanalysen eines gemeinsam: Sie bestätigen den positiven Effekt von Psychotherapie. In Vergleichen mit unbehandelten Kontrollgruppen finden sich bei Betrachtung verschiedener Störungsbilder mittlere Effektstärken von 0,67 bis 1,1. Mit Effektstärken zwischen 0,42 und 0,58 erzielen psychotherapeutische Verfahren auch im Vergleich zu Placebo-Kontrollgruppen eine deutlich höhere Wirkung.

Bei bestimmten Störungsbildern fallen die Effekte besonders hoch aus. Bei einigen Metaanalysen „erreichen“ Angststörungen Effektstärken von über 1,6 und bei Zwangsstörungen sogar Effektstärken von über 2 (Pfammatter, Junghan & Tschacher, 2016).

Selbst die Kritik (vor allem an älteren Metaanalysen) bezüglich einiger methodischer Mängel und die damit einhergehende Relativierung der hohen Effektstärken können an dem durch die Fachliteratur immer wieder bestätigten Wirksamkeitsnachweis nicht rütteln. So konzentriert sich die Forschung zunehmend auf andere Fragestellungen (Lambert & Ogles, 2013). Die Wirkfaktoren geraten dabei zunehmend in den Fokus der Psychotherapieforschung. Dabei ist immer noch nicht abschließend geklärt, was an Psychotherapie wirkt.

Etwas anders verhält es sich mit den Negativwirkungen der Psychotherapie. Die Erkenntnis, dass gut entwickelte Therapien evtl. auch schaden können, führte in der Pharmakotherapie zu umfangreichen Forschungsarbeiten zum Thema Nebenwirkungen. Aber obwohl bereits seit weit mehr als 100 Jahren eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie praktiziert wird, fehlt in der Psychotherapie eine nebenwirkungsorientierte Forschungstradition und Behandlungskultur (Strauß, Linden, Haupt & Kaczmarek, 2012).

Vor ca. drei Jahren bin ich in der Zeitung „die Zeit“ auf den Artikel „Nebenwirkungen - Beipackzettel für die Psychotherapie“ (Schramm, 2012) gestoßen und wurde zum ersten Mal mit Psychotherapie-Nebenwirkungen konfrontiert. Dieser Artikel war für mich überraschend, da Psychotherapie für mich als sanfte Intervention galt, die im schlimmsten Fall keine Wirkung erzielt. Gerade im Vergleich zu medizinischen Behandlungen, bei denen ja durch chirurgische Eingriffe und der Verabreichung chemischer Substanzen teils massiv auf den menschlichen Organismus eingewirkt wird und aus dem Grund ein Behandlungsschaden eher vorstellbar scheint. Damals beschloss ich, dieses Thema bei passender Gelegenheit weiter zu verfolgen. Mit dieser Master-Thesis bietet sich nun diese Möglichkeit.

Mit dieser Arbeit möchte ich klären, welche Wirkfaktoren positiven und negativen Therapieeffekten zu Grunde liegen. Ich habe diese beiden Themenblöcke voneinander getrennt behandelt. So besteht diese Arbeit aus zwei Hauptteilen. Im ersten Teil soll geklärt werden, was an Psychotherapie wirkt. Hier liegt der Fokus auf die positive Wirkung der Psychotherapie und deren Ursachen. Im zweiten Teil wird das Augenmerk auf alle negativen Aspekte gelegt, die mit Psychotherapie in Verbindung stehen. Anschließend, erfolgt eine Diskussion auf Grundlage der Ergebnisse des ersten und zweiten Teils dieser Arbeit.

Da ich durch meine Literaturrecherche feststellen musste, dass es sehr wenige Übersichtsarbeiten zum Thema Psychotherapie-Negativwirkungen gibt, dringt diese Arbeit in ein relativ neues Forschungsgebiet vor. Auch ist mir keine Publikation aufgefallen, welche positive und negative Psychotherapieeffekte und deren Ursachen im gleichen Umfang gegenüberstellt und behandelt hat.

Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird zum Großteil auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet und überwiegend die kürzere, männliche Schreibweise verwendet.

2Methodik

Die vorliegende Master-Thesis widmet sich dem Thema: „Positive und negative Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren“. Es wurden folgende Forschungsfragen untersucht: Was sind die Wirkfaktoren der Psychotherapie? Welche Wirkfaktoren kommen bei der Psychodynamischen Therapie, der Kognitiv-Behavioralen Therapie und der Gruppentherapie zum Tragen? Wie häufig treten Verschlechterungen auf? Was ist unter negativen Therapiewirkungen zu verstehen? Was sind die Ursachen für negative Therapiewirkungen?

Die Erstellung der Arbeit basiert auf der Methode der Literaturrecherche. In dem Zeitraum von Oktober 2014 bis Juli 2015 wurde in folgenden Datenbanken nach themenrelevanten Publikationen gesucht: PubMed, PsyContent,PSYNDEX, Springerlink und Google Scholar. Zudem wurde in den Bibliotheken der Hochschule Magdeburg-Stendal und der Universitätsbibliothek der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg nach Fachbüchern und Zeitschriftenbeiträgen recherchiert.

Die Literaturrecherche erfolgte durch eine Kombination aus systematischer und unsystematischer Recherche, dabei wurden die nachfolgenden Schlüsselwörter in deutscher und englischer Sprache (in Verbindungmit dem Psychotherapie-Begriff) verwendet: Wirkfaktoren, Nebenwirkungen, negative Therapieeffekte, Placeboeffekte, außer- und extratherapeutische Faktoren , allgemeine Wirkfaktoren, spezifische Wirkfaktoren , Wirkfaktoren der Verhaltenstherapie, Wirkfaktoren der Gruppentherapie, Wirkfaktoren psychoanalytisch begründeter Verfahren, Therapie-Dosis-Effekt, Wirksamkeit von Laienhelfern, unerwünschte Ereignisse, Therapieschäden, Therapie-Misserfolg, Passung, Diagnostik, Stigmatisierung, Therapeutenvariablen, Klientenvariablen, Therapiebeziehung, Behandlungsfehler, Negativeffekte der Gruppentherapie, Negativeffekte der Verhaltenstherapie, Negativeffekte der Psychoanalyse, Negativeffekte psychodynamischer Verfahren, Abbrecher, Kunstfehler, Rückmeldesysteme, Qualitätssicherung, Systemfehler, Äquivalenzparadoxon.

Betrachtet man das Feld der Psychotherapie in seinem ganzen Umfang, findet sich eine schwer überschaubare Anzahl unterschiedlicher Ansätze und „Schulen“. Je nach Ausdifferenzierung, Abstraktionsgrad und Zählung lassen sich zwischen 250 und 400 unterschiedliche psychotherapeutischer Ansätze oder Orientierungen unterscheiden (Lutz, 2010). Dazu gehören unter anderem Verfahren wie Bioenergetik, Transaktionsanalyse, Gestalttherapie, Urschreitherapie, katathymes Bilderleben, Psychodrama und auch verschiedene Körpertherapien (Rief, Exner & Martin, 2006). Wegen der Vielzahl unterschiedlicher psychotherapeutischerAnsätze werde ich in dieser Arbeit Psychotherapie im Allgemeinen betrachten und auf die spezifischen Therapieformen nicht gesondert eingehen. Eine Ausnahme sollen nur die Psychotherapieverfahren bilden, die Teil der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland sind. Zu diesen Verfahren gehören die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie. Außerdem wird auf die Gruppenpsychotherapie eingegangen. Diese Verfahren werden im ersten und im zweiten Teil dieser Arbeit extra behandelt, da diese Therapieformen eine hohe Relevanz für die Patientenversorgung in Deutschland haben, und sich so das Thema dieser Arbeit sinnvoll eingrenzen lässt.

3 Positive Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren

Die Suche nach den psychotherapeutischen Wirkfaktoren war lange Zeit eng verbunden mit einem Schulen-Wettstreit, bei dem sich die psychodynamisch und humanistischen Therapien auf der einen Seite und die verhaltenstherapeutischen und kognitiven Therapien auf der anderen Seite gegenüberstanden (Strauß & Wittmann, 2005). Welche wissenschaftliche Theorie zeigt sich den anderen überlegen? Welche theoriegeleitete Behandlung gilt als besonders wirksam? Eine klare Beantwortung dieser Fragen zugunsten einer bestimmten Therapieschule oder Behandlungstechnik ließe den Schluss zu, was an Psychotherapie wirkt.

Nur hat die Forschung bisher keine Therapieschule favorisieren können. Im Gegenteil sprechen mehrere Studien dafür, dass trotz der unterschiedlichen Behandlungsansätze die Effekte relativ ähnlich sind (Lambert & Ogles, 2013). Dieses Phänomen, in der Fachwelt „Äquivalenzparadoxon“ genannt, oder auch gern mit der Analogie „Verdikt des Dodos“ verdeutlicht, wirft ein Problem auf. Wie kann es sein, das es für Klienten keine nennenswerten Unterschiede im Therapie-Ergebnis gibt, obwohl sie unterschiedliche Therapien durchlaufen haben?

Nach Lambert und Ogles (2013) gelten folgende Punkte als gängigste Erklärungen für das Äquivalenzparadoxon: (1.) Verschiedene Therapien können gleiche Ziele durch unterschiedliche Prozesse erreichen; (2.) verschiedene Ergebnisse können tatsächlich auftreten, diese wurden aber noch nicht entdeckt; (3.) es gibt möglicherweise allgemeine Wirkfaktoren, die in jeder Therapie unabhängig von der Therapieschule Anwendung finden. Für den ersten Punkt gibt es durchaus Argumente, wie eine neuere Studie von Pfammatter et al. (2012) zeigt(siehe 3.5).Um den zweiten Punkt drehen sich kontroverse und heftige Diskussionen, da der aktuelle Forschungsstand keine eindeutige Aussage zulässt. Am deutlichsten wird in der Fachliteratur der dritte Punkt hervorgehoben, da allgemeine Wirkfaktoren in vielen Studien nachgewiesen werden konnten und wie noch zu sehen sein wird, eine sehr entscheidende Rolle für den psychotherapeutischen Outcome bilden. Dennoch ist die Spezifitätsfrage bis heute nicht abschließend diskutiert. Neben der Forschungsfrage: “welcher Patient lässt sich mit welchem Behandlungsmodell (z.B. Psychodynamisch oder kognitiv-verhaltenstherapeutisch) am besten behandeln?“, sind das psychotherapeutische Setting: „besser Einzel- oder Gruppentherapie?“ und in jüngster Zeit die Störungsspezifität: „benötigen spezifische Störungen auch spezifische Interventionen?“, Teil der spezifischen Wirkfaktoren-Forschung (Strauß & Wittmann, 2005).

Doch beschränkt sich die Fachdiskussion betreffend der Zusammensetzung des therapeutischen Outcomes nicht allein auf spezifische und allgemeine Faktoren. Oft und gern werden die varianzaufklärenden Faktoren zitiert, die Lambert (2013) auf Grundlage einer Forschungsliteratursichtung einschätzte. Laut ihm setzt sich der therapeutische Outcome aus: 30% allgemeine bzw. gemeinsame Wirkfaktoren, aus 15% Erwartungs- (bzw. Placebo-) Effekten, aus 40% extratherapeutische Faktoren und aus 15% spezifischen Techniken zusammen.

Dieser Konzeption folgend sollen nun diese Wirkmechanismen näher betrachtet werden, beginnend mit denextratherapeutischen Faktoren und den Placebo-Effekten.

3.1 Extratherapeutische Faktoren

Mit extratherapeutischen Faktoren sind Ereignisse oder Prozesse gemeint, die außerhalb der Behandlungssituation stattfinden und an Veränderungen beim Klienten wesentlich beteiligt sind (Miller, Duncan & Hubble, 2000). Extratherapeutische Faktoren tragen nicht nur laut Lambert (2013) zu einem erheblichen Teil für Veränderungen in der Psychotherapie bei, sondern diese Annahme wird auch von anderen Autoren vertreten (z.B. Rabkin & Struening, 1976; Miller et al., 2000; Schiepe, 2008; Haupt, Linden & Strauß, 2013).

Extratherapeutische Faktoren können sich nach Miller et al. (2000) als zufällige, unvorhergesehene Begebenheit zeigen, die Ereignisse in Gang setzen, die am Ende in der Lösung des Problems gipfeln oder auch in der Stärke und den Ressourcen eines Klienten, sich die Hilfe anderer zu sichern. Die Autoren plädieren dafür, diese Faktoren gezielt für die Therapie nutzbar zu machen. Ein änderungsorientiertes Vorgehen würde dies ermöglichen. Dabei sollten Veränderungen beim Klienten gezielt beobachtet und ausgewertet werden. Der Therapeut sollte darauf vertrauen, dass sich Änderungen einstellen und ein Umfeld schaffen, welches diese Änderungen wahrscheinlicher macht. Eigenkompetenzen des Klienten sollen anerkannt und seine Stärken nutzbar gemacht werden.

Auch nach Grawe (2004) ist für das Therapieergebnis entscheidend, inwieweit es Therapeuten gelingt, eine Lösungs- bzw. Ressourcenperspektive bei Klienten zu aktivieren. Allerdings konnte der Forscher mit seinen Prozess- und Mikroprozessanalysen nachweisen, dass Therapiedialoge in viel höherem Ausmaß als erwartet durch eine Problem- als durch eine Lösungs- bzw. Ressourcenperspektive von Therapeuten bestimmt sind. Ein Widerspruch den auch Miller et al. (2000) erkennen, da sie ihren änderungsorientierten Therapiestil „… im scharfen Kontrast zu einem Großteil der herrschenden psychotherapeutischen Theorien und Verfahrensweisen “ sehen (ebd. S. 57).

Auch Freyberger und Spitzer (2013) weisen darauf hin, dass Ereignisse die außerhalb der Therapie stattfinden, in der therapeutischen Praxis wenig Berücksichtigung finden und fügen hinzu, dass auch die Psychotherapieforschung diesen Wirkfaktor bisher vernachlässigt hat. Das irritiert, wenn man bedenkt, dass extratherapeutische Faktorennach Lambert (2013) den größten Einzelbeitrag zur Veränderungen in der Psychotherapie ausmachen.

3.2 Die Bedeutung des Placebo-Effekts für die Psychotherapie

Die Psychotherapie musste sich lange dem Vorwurf aussetzen, nicht mehr zu sein als ein Placebo-Effekt, was dem engen Verständnis des medizinischen Modells entspricht, bei dem alle Effekte, die nicht in das mechanistische Weltbild passen, als Placebos abgetan werden können. Das führte dazu, dass die Psychotherapieforschung angehalten war, den relativen Nutzen von Psychotherapie im Vergleich zu Placebokontrollen nachzuweisen. Ein Vorhaben, das eindrucksvoll gelang, wie zahlreichen Studien zeigen (Lambert & Ogles, 2013).

„Inert“ oder „nicht-spezifisch“ sind weder Placeboeffekt noch Psychotherapie, denn liegt eine Wirkung vor, ist sie nicht unbeteiligt und wird diese benannt, ist sie nicht unspezifisch. Zudem ist der Placeboeffekt interessant, da er zur Heilung beisteuern und somit auch in der Psychotherapie gezielt genutzt werden kann. So findet sich der Placeboeffekt, z.B. in Form des Wirkfaktors Besserungserwartungen in Konzeptionen allgemeiner Wirkfaktoren wieder (Pfammatter & Tschacher, 2012).

Ein Blick in die Medizingeschichte zeigt, dass über lange Zeit Substanzen verabreicht und Prozeduren durchgeführt wurden, die wir heute als Placebos bezeichnen würden (Metzing-Blau, 2008). Einige Historiker behaupten sogar, dass ein großer Teil der Heilungserfolge in der Geschichte auf Placeboeffekte zurückzuführen sind (Požgain, Požgain & Degmečić, 2014). Schon Platon glaubte, dass Worte heilende Kräfte haben und plädierte dafür „medizinische Lügen“ einzusetzen, wenn sie der Heilung dienen können (Brody & Brody, 2002). Das „Placebo“ hatte als „heilende Kraft des Vorstellungsvermögens“, sei es bewusst oder unbewusst, über Jahrtausende einen festen Platz bei vielen Heilbehandlungen.In den 30ger Jahren des letzten Jahrhunderts, veränderte sich diese Bedeutung, da das Placebo-Phänomen zum ersten Mal gezielt als Kontrollinstrument in Arzneimittelstudien eingesetzt wurde (Jütte, 2011), meist ohne den beobachteten Placeboeffekt näher zu analysieren (ebd.). Seit dem gelten randomisierte und placebokontrollierte Studien als „Goldstandard“, wenn es um den Wirkungsnachweis klinischer Studien geht. Aus therapeutischer Sicht gilt dieses Vorgehen allerdings als nicht ganz unproblematisch, da nach Gabe eines Placebos klinisch bedeutsame Effekte zu beobachteten sind (Schneider, 2005). So richtet sich neuerdings Kritik gegen dieses Forschungsdesign, nicht aus methodischen, sondern aus ethischen Gründen (Požgain et al.,2014).

Aber was wird unter einem Placebo-Effekt nun genau verstanden? Eine übliche Definiton lautet:

A physician gives a patient a pill that, unbeknownst to the patient, is merely a sugar pill. This is the placebo. Presently, the patient’s health improves, apparently because of the belief that the pill was a pharmacological agent, effective for the condition. This is the placebo effect.(Stewart-Williams & Podd, 2004, S.325)

Es gibt zudem eine Reihe weiterer Definitionen die das Phänomen weiter Ausdifferenzieren, wie Tabelle 1 zeigt.Die hier definierten Placebo-Effekte beziehen sich auf medikamentösen Formen, bei denen zwischen oralen und intravenösen Applikationen unterschieden werden kann. Bei der Gabe vonPlacebo-Tabletten spielen u. a. die Farbe und die Größe eine Rolle. Es gibt aber auch andere Formen von Placebos z. B. Scheinakupunkturen oder auch Scheinoperationen.

Tabelle 1

Definition der Placebo-Begriffe (Jütte, 2011, S.216).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Neben der zentralen Rolle, die das Placebo in der klinischen Forschung spielt, wird es auch in der therapeutischen Praxis eingesetzt. So kommt eine neuere Schweizer Studie zu dem Ergebnis, dass 72 % der befragten Schweizer Hausärzte Placebos einsetzen. Diejenigen, die Placebos in ihrer Praxis anwenden, greifen größtenteils auf Pseudo-Placebos (57 %) zurück, eine Minderheit (17 %) verabreicht reine Placebos (Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, 2010).

Auf dem Gebiet der Medizin, gilt der Placebo-Effekt im Bereich der Psychiatrie am besten erforscht. Hier zeigen sich Placebobehandlungen bei Depressionen als besonders wirkungsvoll. Aber auch für die Behandlung von Schizophrenien gibt es einige Studien, welche die Wirksamkeit von Placebos belegen (Požgain et al. 2014). Frauen scheinen dabei anfälliger für Placebo-und Noceboeffekte zu sein (ebd.).

Der Begriff Nocebo wurde das erste Mal in den 60ger Jahren des letzten Jahrhunderts gebraucht, um die schädlichen Effekte des Placeboeffekts zu beschreiben. Nocebophänomene sind deutlich weniger in der Literatur und in wissenschaftlichen Studien vertreten und rücken erst seit wenigen Jahren in den Fokus der klinischen Grundlagenforschung (Bartram, 2013). Ein Extrembeispiel, welches das negative Potential von Noceboantworten veranschaulicht, betrifft den Todesfluch von Voodoopriestern. So zeigt Bartram (2013) wie ein Opfer eines Todesfluches, ohne Nachweis organischer Ursachen einige Tage später aus Angst, Nervosität und anderen negativen Erwartungen verstarb.

Depressive und ängstliche Personen erfahren häufiger Nebenwirkungen von Medikamenten. Außerdem gelten Merkmale wie Neurotizismus, Pessimismus und auch die Typ A Persönlichkeit als besonders anfällig für Nocebo-Effekte (Požgain et al. 2014).

Eine Studie, die in drei amerikanischen Kliniken durchgeführt wurde, unterstreicht die Bedeutung von Nocebo-Effekten. Die Versuchsteilnehmer bekamen Aspirin und wurden unterschiedlich über Nebenwirkungen aufgeklärt. In den ersten beiden Kliniken warnten die Forscher die Teilnehmer über mögliche Magen-Darm-Nebeneffekte, in der anderen Klinik gab es solche Warnungen nicht. Das Ergebnis war, dass in den Kliniken, wo die Warnungen erfolgten, bei deutlich mehr Teilnehmern diese Nebenwirkungen festgestellt wurden (Požgain et al. 2014). Das Aufklären über Nebenwirkungen von Medikamenten oder auch Warnungen auf Zigarettenschachteln erscheinen so betrachtet, nicht ganz unbedenklich zu sein.

Moderne Analyse- und Bildgebungsverfahren ermöglichen den neurobiologischen Nachweis des Placebo-Effektes. Es zeigt sich, dass insbesondere die stammesgeschichtlich alten Areale des zentralen Nervensystems, etwa die limbischen Belohnungsregionen, aktiv sind (Esch, 2015).

Auch zeigt sich, dass die präfrontale Steuerung mit der Placebo-Ansprechrate in Verbindung steht (Požgain, 2014). Auch wenn sich der Placeboeffekt eher universell biologisch lokalisieren lässt, werden die Ursachen bzw. die Auslöser für Placeboeffekte kontrovers diskutiert.

Im Wesentlichen werden zwei Erklärungsansätze akzeptiert, der assoziative (lerntheoretische) und der mentalistische (kognitivistische):

1.Gemäß demassoziativen Ansatzsind Placeboeffekte das Resultat einer meist unbewussten Lernerfahrung. Diese Lernerfahrung besteht in der Konditionierung auf eine bestimmte psychische oder physische Reaktion, die mit der Gabe eines Placebos assoziiert ist. Vor allem die klassische Konditionierung dient für zahlreiche Placeboeffekte (z. B. bei Schmerz, Depression, Parkinson, Immunsystem) als valides und zuverlässiges Erklärungsmodell.
2.Nach demmentalistischen Ansatzist der Placeboeffekt ein Erwartungseffekt. Allgemein geht man dabei von einem positiven linearen Zusammenhang der Höhe der Erwartung und des Effekts aus (Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, 2010).

Diese Ansätze stehen allerdings in keinem Widerspruch zu einander. So stellen Stewart-Williams und Podd (2004) fest: “Our overall conclusion is that expectancy theory provides a partial account of the mediation of placebo effects, and conditioning procedures are one among several factors shaping such effects “ (ebd., S.324).

Wie weit kann dieses Wissen hilfreich für den psychotherapeutischen Prozess sein? Es ergeben sich einige interessante Schlussfolgerungen. In der „Schulmedizin“ tauchen Glaube und Selbstregulation im Gewand des Placeboeffektes wieder auf (Esch, 2015). Auch die Beziehung zwischen Arzt und Patienten erfährt wieder mehr Bedeutung:

The doctor-patient relationship can be therapeutic, anti-therapeutic and neutral and this physician as a placebo or nocebo inductor phenomena is quite controversial and interesting. There are wellknown sayings and metaphors such as „homo homini medicamentum est“, „the doctor as the drug“ and „the doctor as a walking placebo“, but we must not neglect the opposite, toxic effect as well.(Požgain et al.,2014, S.102)

Für die Psychotherapie ist die Bedeutung der Therapeut-Klienten-Beziehung von jeher zentral und findet nun auch durch die Placeboforschung Unterstützung. Allerdings soll durch diese Aussage nicht suggeriert werden, dass Beziehungsvariablen mit Placeboeffekten gleichzusetzen sind. Das mag aus medizinischer Sichtweise zutreffen, aber die Psychologie bedient sich eines andren Dogmas, weshalb der Placebobegriff hier falsch verortet wäre. Allerdings hängen Glaube und Beziehung eng zusammen, weshalb der Beziehungsaspekt wiederum Nahrung erhält.

Außerdem sollte einem Psychotherapeuten bewusst sein, welche Erwartungen er in dem Klienten auslöst. So besteht die Gefahr, dass Diagnosen zu einer Selbsterfüllenden Prophezeiung werden können (Požgain et al.,2014).

Da Noceboeffekte gerade bei Klienten mit psychischen Störungen häufiger zu beobachten sind, ist anzunehmen, dass eine Therapie, welche den Fokus auf negative Lebensereignisse legt und diese immer wieder bearbeitet, die Gefahr einer Therapieschädigung erhöht. Wobei weiter davon auszugehen ist, dass eine ressourcenorientierte Therapie eher Placeboeffekte anregt. Eine klare Zielfestlegung scheint vor diesem Hintergrund wichtig zu sein, da z.B. das konkrete Ziel der Symptombesserung, evtl. Placeboeffekte in Form einer Selbsterfüllende Prophezeiung angeregt.

Auch wenn die Therapiebeziehung durch die Placeboforschung, weiterhin an Bedeutung gewinnt und die Forderung von Metzing-Blau (2008) „ Therapien von der reinen Fixierung auf Objekte zu befreien “ (ebd., S.371)begrüßenswert erscheint, so könnte das „Benutzen von Objekten“ im Gegensatz dazu, für die Psychotherapie hilfreich sein, um Konditionierungen zu nutzen, oder den Glauben an den Heilungserfolg zu bestärken, zum Beispiel durch die Gestaltung des Behandlungssettings (Mobiliar, Farb- und Lichtsituation) oder auch durch die Einflussnahme auf die Wirkung des Therapeuten (z.B. Kleidung) sowie die Art und Weise wie bestimmte Techniken durchgeführt werden. Glücksbringer und vergleichbare Zeichen und Symbole wirken wie positive Konditionierungen und steigern im günstigen Fall die Selbstwirksamkeit (Esch, 2015). Diese würden sich auch zugeschnitten auf den individuellen Fall als Unterstützung nutzen lassen.

Auch scheint es nicht unbedeutend zu sein, ob ein Therapeut an sein Verfahren, seine Techniken sowie allgemein an den Behandlungserfolg glaubt. Ein Klient der einen überzeugten Therapeuten vor sich findet, kann gegebenenfalls ebenfalls leichter an den Erfolg der Therapie glauben, was wiederum Selbstheilungskräfte aktiviert. So zeigt Fiedler (2003) anhand von Studien über Therapieansätze bei dissozialen Persönlichkeiten im Gefängniskontext, dass hohe Erfolgszahlen bei den ansonsten schwierigst zu behandelnden Patienten in erheblichem Maß davon abhängig sind, wie sehr ein Therapie-Optimismus von den Therapeuten in den jeweiligen sozialtherapeutischen Kontexten und Gefängnissen nach innen und außen vertreten wird.

3.3 Allgemeine Wirkfaktoren

Dass allgemeine Wirkfaktoren für den therapeutischen Outcome eine wichtige Rolle spielen und im Vergleich zu spezifischen Wirkfaktoren deutlich entscheidender sind, wird von verschiedenen Autoren betont (z.B. Lambert, 2013; Grawe, 2005).

Dennoch stehen sich nach wie vor das medizinische Therapieverständnis und das kontextuelle Therapieverständnis (Wampold, 2001) scheinbar unvereinbar gegenüber. Ein Disput, der sich unter anderem an der Debatte um die zunehmende Manualisierung der Psychotherapie zeigt.

Aufgrund der Aktualität dieser Diskussionen könnte man annehmen, das die Konzepte allgemeiner und spezifische Wirkfaktoren vor nicht allzu langer Zeit aufeinander trafen. Allerdings sind allgemeine Wirkfaktoren in der Psychotherapieforschung seit Langem ein Thema. So hat der Psychologe Saul Rosenzweig in den 1930er Jahren als Erster darauf hingewiesen, dass in jeder Form von Psychotherapie neben den gezielt angewandten spezifischen Therapietechniken auch implizite identische therapeutische Faktoren wirksam werden (Pfammatter, Junghan & Tschacher, 2012).

Überraschend aber auch problematisch ist außerdem, dass bis heute allgemeine Wirkfaktoren kaum klar definiert wurden. So werden für den Begriff des allgemeinen Wirkfaktors eine Vielzahl weiterer Begriffe verwendet, wie z.B.generischer, universeller oder kommunaler Wirkfaktor. Besonders häufig findet der Ausdruck unspezifischer Wirkfaktor Verwendung, der eine theoretische Unbestimmtheit impliziert und zudem häufig mit Placebowirkungen gleichgesetzt wird (Lambert & Ogles, 2013).

Neben der Begrifflichkeit variiert auch die Breite der psychotherapeutischen Variablen, die als allgemeine Wirkfaktoren bezeichnet werden sehr stark. Darunter können Aspekte der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Psychotherapie, Eigenschaften des Patienten, Handlungen, aber auch Kompetenzen und Haltungen des Therapeuten sowie verschiedene Facetten der Therapiebeziehung zwischen dem Patienten und Therapeuten fallen. Dadurch dass diese unterschiedlichen Modelle mit ihren jeweiligen Wirkfaktoren - Pfammatter et al. (2012) führen 6 Modelle allgemeiner Wirkfaktoren und 4 Modelle auf, die Kategoriensysteme zur theoretischen Einordnung der zahlreichen allgemeinen Wirkfaktoren darstellen - teils unter mannigfachen Blickwinkeln und auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen beschrieben werden, ist ein Vergleich dieser Modelle sehr schwer zu bewerkstelligen.

Allerdings ist es möglich, eine Zusammenfassung der bisher publizierten allgemeinen Wirkfaktoren zu erstellen. So haben Pfammatter und Tschacher (2012) nach einer umfassenden Literaturauswertung 22 allgemeine Wirkfaktoren identifiziert und definiert (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2

In der Literatur beschriebene allgemeine Wirkfaktoren (nach Pfammatter & Tschacher, 2012, S. 71)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch wenn die Zusammenfassung von Pfammatter und Tschacher (2012) eine umfassende Übersicht allgemeiner Wirkfaktoren darstellt, ist zu bedenken, dasseinige dieser Wirkfaktoren theoriegeleitete Annahmen darstellen und ihre empirische Gültigkeit nicht zwangsläufig als bestätigt gelten kann.

Im Folgenden sollen nun zwei Modelle allgemeiner Wirkfaktoren vorgestellt werden, die dadurch bestechen, das sie auf der Grundlage empirischer Forschungsarbeit entstanden sind.

3.3.1 Allgemeine Wirkprinzipien der Psychotherapie nach Grawe

Grawe (2005) entwickelte auf der Grundlage der von Grawe, Donati und Bernauer (1994) durchgeführten Metaanalyse (897 Studien aller als relevanten eingestuften Psychotherapieformen wurden bewertet), das Ziel, dass Therapieschulsystems zu überwinden und zu einer progressiven Weiterentwicklung der Psychotherapie beizutragen, die in einer allgemeinen Psychotherapie münden sollte. Grawe (2005) hebt 5 allgemeine Wirkfaktoren hervor, die er „ [ … ] induktiv aus den tatsächlichen Wirkungen der einzelnen psychotherapeutischen Vorgehensweisen abgeleitet [ ... ] “ hat (ebd., S.7):

1.Die Qualität derTherapiebeziehungträgt laut Grawe signifikant zu einem besseren oder schlechteren Therapieergebnis bei. Die Therapiebeziehung ist laut Grawe wichtig, weil Psychotherapie sich immer in zwischenmenschlichen Beziehungen abspielt, Einfluss durch zwischenmenschliche Geschehen genommen wird und viele psychische Erkrankungen als Beziehungsstörungen aufgefasst werden können (Grawe et al., 1994).
2.UnterRessourcenaktivierungwird die Freilegung des Potentials verstanden, welches der Patient in die Therapie mit einbringt, wie z.B. Fähigkeiten oder Eigenarten, die für die Therapie wertvoll sein können.
3.Diemotivationale Klärungdient dazu, das Bewusstsein des Patienten für die Ursprünge, Hintergründe und aufrechterhaltende Faktoren seines problematischen Erlebens und Verhaltens zu fördern.
4.Durch dieProblemaktualisierungwerden Probleme erfahrbar gemacht. Das geschieht z. B. durch das Aufsuchen realer Situationen in denen diese Probleme auftreten oder durch therapeutische Techniken (Rollenspiele).
5.Unter dem WirkfaktorProblembewältigungist die konkrete Erfahrungsbewältigung spezifischer problematischer Situationen zu verstehen. Typische Verfahren die dabei eingesetzt werden, sind z.B. die Reizkonfrontation bei Agoraphobikern oder Entspannungsverfahren bei Schmerzzuständen (Grawe & Znoj, 2004).

Inkonsistenzerfahrungen sind laut Grawe und Znoj (2004) der Hauptgrund für schlechtes Wohlbefinden und psychische Erkrankungen. Inkonsistenz entsteht, wenn zwischen der Befriedigung der Grundbedürfnisse und der Umwelt ein Konflikt besteht. Ist es nicht möglich den Konflikt zu beheben, dient das Vermeiden als konsistenzsichernde Maßnahme, welche kurzfristig zwar sinnvoll sein kann, aber langfristig negative Folgen mit sich zieht, da sie die Freiheit der Wahl einschränkt und damit die Bedürfnisbefriedigung erschwert. Symptome wiederum dienen dazu, den Spannungszustand auszugleichen den die Inkonsistenz hervorbringt, diese stellen aber wie die Vermeidung keine Dauerlösung dar, da sie selbst zu weiteren Inkonsistenzerfahrungen beitragen. Das Ziel muss also sein, anders zu reagieren.

Grawe et al. (1994) nennt zwei Strategien, die dabei zentral sind: die Klärung des Sachverhaltes (Motivationale Klärung) und die Problembewältigung durch zielgerichtete Handlungen in der problematischen Situation. Auch wenn er der aktiven Hilfe zur Problembewältigung die größere Wichtigkeit zuschreibt, betont er, dass die Therapie sich immer an die individuellen Gegebenheiten des einzelnen Patienten orientieren muss, und das kann auch bedeuten, dass eine Klärung der Situation ausreichend ist, wenn es dem Patienten möglich ist, aufgrund der neu gewonnenen Informationen eigenständig passende Maßnahmen zu ergreifen.

Verhalten lässt sich außerdem laut Grawe et al. (1994) nur dann verändern, wenn es emotional erfahrbar wird (Problemaktualisierung). Um Einfluss auf ein problematisches Denkmuster zu nehmen, ist es nötig, dass sich der Patient in eine bestimmte Situation hineinversetzt oder noch besser, das die Therapie in einem Setting stattfindet, indem das Problem real erfahrbar wird, z.B. generalisierte zwischenmenschliche Schwierigkeiten in einer Gruppentherapie.

Die Bedeutsamkeit dieser Wirkprinzipien kann als bestätigt gelten (Flückiger & Regli, 2007). Zudem konnten Smith und Grawe (2003) bereits erste Erkenntnisse in Bezug auf Interaktionen und Wechselwirkungen der einzelnen Wirkfaktoren zeigen. So zeigte sich, dass die Förderung von Problemaktualisierung nutzbringend für die Therapie ist, wenn gleichzeitig eine Ressourcenaktivierung gelingt (ebd.).

3.3.2Das Allgemeine Modell der Psychotherapie von Orlinsky und Kollegen

Das Allgemeine Modell der Psychotherapie von Orlinsky und Kollegen wurde auf der Basis von früheren Zusammenfassungen von Prozess-Ergebnis-Studien entwickelt (Orlinsky, Ronnestad & Willutzki, 2013) und wird zudem kontinuierlich, auf der Grundlage relevanter Ergebnisse der Prozess-Outcome-Forschung, dem aktuellen Forschungsstand angepasst.

Prozess-Outcome-Studien, die seit ihren Anfängen in den 1950er Jahren auf ein sehr großes Maß angestiegen sind (Orlinsky et al., 2013), gelten als Alternative des störungsspezifischen RCT-Forschungsdesigns, da sie der Komplexität der therapeutischen Beziehung und des kontextuellen Umfeldes besser gerecht werden können (Tschuschke, 2005).

Dadurch, dass das Allgemeine Modell der Psychotherapie sich fortwährend aktualisiert und dabei die Komplexität des therapeutischen Geschehens berücksichtigt, kann es als sehr bedeutsam für die Erfassung allgemeiner Wirkfaktoren gelten.

Das generische Modell der Psychotherapie umfasst insgesamt 6 Prozessfacetten. Diese werden nun im Einzelnen mit den dazugehörigen Wirkfaktoren vorgestellt, deren Evidenz für ein positives Therapie-Outcome laut Orlinsky et al. (2013) nachgewiesen werden konnte:

1.Organisatorischer Aspekt der Therapie: Der Therapeutische Vertragdefiniert den grundlegenden Rahmen in dem Therapie vollzogen wird. Einige Variablen tragen zu einem positiven Therapieergebnis bei, etwa: Übereinstimmung in den Zielen und Klarheit hinsichtlich der Erwartungen, Vorbereitung des Patienten, Mitarbeit des Patienten, Eignung des Patienten für die Behandlungsform und die Kompetenz des Therapeuten.
2.Technischer Aspekt der Therapie: Aktionen in der Therapie. Variablen, die ein positives Therapieergebnis befördern, sind: Fokus auf Lebensprobleme und persönliche Kernbeziehungen des Patienten, Abstimmung der Interventionen auf Probleme und affektiven Reaktionen des Patienten, Konfrontation mit dem Gefühlserleben des Patienten, Kooperation des Patienten und positive affektive Reaktionen des Patienten auf Interventionen.
3.Die therapeutische Beziehungzeigt die stärkste Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Therapieergebnis und Outcome und konnte bei mehr als 1000 Prozess-Outcome-Studien nachgewiesen werden. Neben der therapeutischen Beziehung als Ganzes tragen auch folgende Einzelaspekte zu einem positiven Therapieergebnis bei: Wie weit sich Therapeut und Patient auf ihre Rollen einlassen, ob beide aktiv die Therapie koordinieren und sich aufeinander einlassen und anerkennen.
4.Interpersonaler Aspekt der Therapie: Eigenwahrnehmungbeschreibt den inneren psychischen Zustand der Teilnehmer während der Sitzungen. Starke positive Belege gibt es für den Zusammenhang zwischen Outcome und Offenheit aufseiten des Patienten. Auch die „Echtheit“ des Therapeuten steht im Zusammenhang mit dem Outcome.
5.Veränderung während der Sitzungmeint alle positiven Veränderungen (Einsicht, Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, ect.) und alle negativen Veränderungen (Verwirrung, Angst, usw.) aufseiten des Patienten und des Therapeuten. Es gibt einen konsistenten Zusammenhang zwischen positiven Veränderungen im Patienten während der Sitzungen und einem positiven Outcome.
6.Sequenzielle Muster: Zahlreiche Befunde deuten darauf hin, dass eine längere Behandlungsdauer mit einem besseren Outcome korreliert.

Die einzelnen Wirkvariablen stehen laut Orlinsky et al. (2013) in komplexer Wechselbeziehung zueinander. Beispielsweise wird das Verhalten der Teilnehmer durch ihre Persönlichkeit und ihrer Auffassung bezüglichihrer jeweiligen Rollen als Patient und Therapeut bestimmt. Die Art und Weise, sowie die Stärke der therapeutischen Beziehung zusammen mit anderen Einflussfaktoren (z.B. Persönlichkeitseigenschaften, Lebenssituation, Erfahrung und Wissen) üben Einfluss darüber aus, wie und was der Patient dem Therapeuten erzählt, wie der Therapeut das versteht, für welche Interventionen sich der Therapeut entscheidet und wie der Patient auf diese Interventionen reagiert.

3.4 Spezifische Wirkfaktoren

Methoden- bzw. störungsspezifische Techniken gründen nach Wampold (2001) auf ein Störungsmodell, das von umschriebenen Krankheitsentitäten ausgeht, die wiederum auf bestimmte Krankheitsursachen zurückzuführen sind. Das spezifische oder auch medizinische Therapieverständnis hat nach Wampold (2001) folgende Elemente:

1.eine klinische Störung, ein Problem oder eine Beschwerde,
2.eine psychologische Erklärung der Störung, des Problems oder der Beschwerden,
3.eine Theorie zur therapeutischen Veränderung bzw. den Veränderungsmechanismen,
4.spezifische therapeutische Elemente und Strategien und
5.Annahmen zur Spezifität: Spezifische Effekte sollten deshalb ausgeprägter sein als allgemeine Effekte (ebd., S.13-14).

Dieses Modell impliziert bei Patienten mit bestimmten Störungsdiagnosen die Anwendung spezifisch wirksamer Psychotherapieverfahren, praktisch umgesetzt durch spezifische Techniken, die als „Wirkstoffe“ fungieren.

Typische Beispiele für Techniken sind: Die Durchführung von Exposition in der Verhaltenstherapie, das Deuten von Übertragungen in der psychoanalytischen Psychotherapie, die Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte in der Gesprächstherapie, die Technik des leeren Stuhls in der Gestalttherapie oder der Einsatz paradoxer Interventionen in der systemischen Therapie. Auf diesem Krankheits- und Therapieverständnis gründet die evidenzbasierte Medizin. Entsprechend erheben die Anhänger des spezifischen Wirkungsmodells die Forderung nach empirisch fundierten störungsspezifischen Psychotherapieansätzen und treten für Therapieleitlinien und ihre standardisierte Umsetzung mit Hilfe von Therapiemanualen ein (Pfammatter et al., 2012).

3.4.1 Kritik an der Manualisierung

Gegen die zunehmende Manualisierung werden eine Reihe von Kritikpunkten ins Feld geführt. Als grundlegendes Problem gilt, dass die EBM und die erstellten Leitlinien sich auf RCT-basiertes Forschungswissen stützen. RCTs gelten wegen ihres Forschungsdesigns für die Psychotherapie als unpassend. So sind z.B. Doppelblind-Studien in der Psychotherapie nicht realisierbar. Außerdem wird die fehlende externe Validität kritisiert. Die Randomisierung von Patienten widerspricht außerdem der selbstbestimmten und wichtigen „Passungsfindung“ (siehe 4.4.1 ) und muss streng genommen als unethisch gelten. Experimentalvariablen gelten zudem als nicht trennbar von kontextuellen „Störvariablen“ (siehe Orlinsky et al., 2013; Pfammatter et al., 2012; Tschuschke, 2005).

Kritisiert wird außerdem, dass eine Reduktion der Psychotherapie stattfindet: “Die psychotherapeutische Wirkung soll ausschließlich auf die manualtreue Applikation einer störungsspezifischen Therapie an einem monomorbiden Störungsträger zurückzuführen sein “ (Helle, 2006, S.215). Die Verfechter der manualgetreuen Behandlung übergehen sodie Komplexität des therapeutischen Prozesses inklusive der hohen Komorbiditätsraten. Laut Howard et al. (1996) ist davon auszugehen, dass 56 – 60 % der Psychotherpiepatienten die Kriterien einer komorbiden Störung erfüllen. Durch die Vielzahl kombinatorischer Möglichkeiten ist zudem die Entwicklung spezifischer Therapiemanuale für alle Gruppen von Patienten laut Pfammatter et al. (2012) nicht zu realisieren.

3.4.2 Allgemeine versus spezifische Wirkfaktoren

Bei der Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen wird häufig eine Überlegenheit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methoden festgestellt (Pfammatter et al., 2012). Überhaupt zeigen vor allem frühere Metaanalysen einen kleinen, aber konsistenten Vorteil der kognitiven und behavioralen Methoden gegenüber traditionellen verbalen und beziehungsorientierten Therapien (Lambert & Ogles, 2013).

Allerdings sind Ergebnisse, die sich auf dieses Forschungsthema beziehen, grundsätzlich nicht unwidersprochen und lösen reflexartig immer wieder heftige fachliche Zwiegespräche aus. Dabei richtet sich die Kritik oft gegen die Forschungsmethode,die, wenn sie als fehlerhaft dargestellt werden kann, auch gleich die Ergebnisse mit entwertet. Lambert und Ogles (2013) führen drei methodische Artefakte an,die, wenn sie bei der Auswertung von Metaanalysen berücksichtigt werden, die Vorteile der kognitiven und behavioralen Methoden entweder stark minimieren oder aber ganz auflösen. Dazu gehören: „ [ … ] die Anforderungscharakteristika im Zusammenhang mit spezifischen Messungen (z.B. wenn Verhaltenstherapiestudien Ergebnissmessungen benutzen, die reaktiver auf experimentelle Anforderungen reagieren) , die häufigere Verwendung von Analogdesigns und von leichten Fällen bei bestimmten Behandlungen, sowie die Forscherloyalität zu seiner Psychotherapieschule bzw. seinem Paradigma“ (ebd., S. 283).

Auf der Gegenseite erfolgt ebenfalls Methodenkritik, die aber im Gegensatz dazu, das Dodo-Verdikt in Frage stellt. So wird die geringe Teststärke der meisten Primärstudien kritisiert oder es wird angeführt, dass die metaanalytische Aggregation der Effekte über verschiedene Störungen und Ergebnismaßedie eigentlich bestehenden Wirkunterschiede maskieren. Wie ein Totschlagargument wirkt außerdem die Entgegnung, dass für viele Psychotherapieformen gar keine Wirksamkeitsprüfungen vorliegen und somit nicht behauptet werden kann, dass alle Psychotherapieansätze gleich wirksam sind (Pfammatter et al., 2012).

Auch wenn nicht alle Psychotherapieforscher zwischen den Therapieschulen fehlende Wirksamkeitsunterschiede erkennen, zeigen doch ein Großteil der Studien die eher geringe Rolle spezifischer Wirkmechanismen (Lambert & Ogles, 2013).

3.4.3 Der Einfluss spezifischer Interventionen auf spezifische Störungen

Grawe et al. (1994) konnten in ihrer Metaanalyse zeigen, dass Phobien und Zwangsstörungen durch die Technik der Exposition im hohen Maße behandelt werden können, wenn die Symptomreduktion als alleiniges Erfolgsmaß gilt. Auch Emmelkamp (2013) kommt aufgrund seiner Sichtung von Metaanalysen und Übersichtsartikeln zu dem Schluss, dass es im Allgemeinen eine Übereinstimmung darüber gibt, das In-vivo-Expositionen einen deutlichen Effekt auf die phobische Symptomatik haben. Das vor allem der Einsatz der Exposition am Erfolg der Verhaltenstherapie bei der Behandlung von Phobien zentral ist, wird von verschiedenen Autoren gestützt (Emmelkamp, 2013; Mohr & Schneider, 2015). Diese Tatsache könnte eventuell dafür verantwortlich sein, dass einige Metaanalysen, wie die von Tolin (2010), eine Überlegenheit der Verhaltenstherapie gegenüber anderen Psychotherapieverfahren bei der Behandlung von Phobien erkennen.

3.4.4 Die Wirkfaktoren psychodynamischer Therapien

Die psychoanalytisch begründeten Verfahren finden ihren Ursprung in der von Sigmund Freud vor über 100 Jahren begründeten Psychoanalyse und umfassen eine Vielzahl von Erklärungsmodellen und Behandlungstechniken, welche im Laufe der Zeit weiterentwickelt oder widerlegt worden sind (Grimmer, Merk & Neukorn, 2011).

Außerdem beziehen die psychodynamischen Verfahren ihre theoretische Fundierung aus den gleichen theoretischen Konzepten (Triebtheorie, Ich-Psychologie, Objektbeziehungstheorien, Selbstpsychologie sowie intersubjektive Theorien). Zu den psychoanalytisch begründeten Verfahren zählt die analytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die sich in weitere „Sonderformen“ unterscheidet: Kurztherapie, Fokaltherapie, dynamische Psychotherapie und niederfrequente Therapie. Das Gemeinsame dieser Verfahren ist, dass sie unbewusste seelische Prozesse und Strukturen sowie deren Auswirkungen im Fühlen, Denken und Handeln zum Gegenstand haben und bei allen spielen die Konzepte Übertragung, Gegenübertragung, Abwehr und Widerstand eine zentrale Rolle. Wobei der Umgang mit diesen in der Praxis von Verfahren zu Verfahren unterschiedlich ausfällt. Die Unterschiede von analytischer und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie mit all ihren Sonder- und Anwendungsformen bewegen sich in einem Kontinuum innerhalb der psychoanalytisch begründeten Behandlungstechniken und betreffen z.B. den zeitlichen Aspekt (Behandlungsdauer und Frequenz), den Grad der angestrebten Regression des Patienten, die Betonung und Bearbeitung der Übertragungsbeziehung sowie das Ausmaß supportiv-stützenden Faktoren (Stellungnahme zur Prüfung der Richtlinienverfahren gemäß §§ 13 – 15 der Psychotherapie-Richtlinie für die psychoanalytisch begründeten Verfahren, DGPT).

Die Wahl des Behandlungsverfahrens ist abhängig vom angestrebten Behandlungsziel. Die Psychoanalyse z.B. wird mit drei bis vier Sitzungen pro Woche durchgeführt und dauert in der Regel mehrere Jahre. Diese zeitintensive Behandlung wird im Liegen durchgeführt, was regressive Prozesse und das Durcharbeiten der Übertragungsbeziehung ermöglicht, damit neben der Bearbeitung aktueller Konfliktthemen eine grundlegende psychische Strukturänderung erreicht werden kann. Alles, was der Patient an Themen einbringt, ist willkommen und dient der Analyse (Grimmer et al., 2011). Das Charakteristikum der Fokaltherapie sieht demgegenüber ganz anders aus. Diese spezifische Form einer psychodynamischen Kurzzeittherapie enthält maximal 40 Behandlungseinheiten und fokussiert ausschließlich einen aktuellen Konflikt. Themen, die der Patient einbringt, die aber nicht mit dem Fokalkonflikt zu tun haben, werden vernachlässigt. Regressiven Tendenzen des Patienten werden möglichst entgegengewirkt, aus diesem Grund wird die Behandlung im Sitzen durchgeführt (Streeck, 2005).

Im Folgenden werden Wirkfaktoren und Techniken vorgestellt, die Teil des theoretischen Grundverständnisses psychodynamischer Verfahren sind. Allerdings sind empirische Wirkungsnachweise dieser einzelnen Wirkvariablen bis auf wenige Ausnahmen nicht vorhanden (Mertens, 2004).Trotz dieser Tatsache wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass psychodynamische Verfahren wirkungsvoll sind (Shedler, 2011; Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie, 2004;Hau, 2005). Interessant in dem Zusammenhang ist, dass verschiedene Studien zeigen (Hau et al. 2015; Antal, 2012), dass in der Praxis der psychodynamischen Behandlung nicht streng nach diesen Wirkprinzipien gearbeitet wird, sondern dass Therapeuten flexibel auch Techniken anderer Verfahren nutzen. Dies lässt durchaus Zweifel darüber aufkommen, ob alle Wirkkonstrukte psychodynamischer Verfahren praxisrelevant sind.

Wirkfaktoren und Techniken psychodynamischer Verfahren:

1. Dietherapeutische Beziehungist bei den psychodynamischen Verfahren von zentraler Bedeutung (Faller, 2004) und gilt als bestbestätigter Wirkungsfaktor (Orlinsky et al., 2013). Diese geht aber über die übliche Form einer tragfähigen Arbeitsbeziehung hinaus, da Übertragungs- und Gegenübertragungsaspekte systematisch für die Aufdeckung und Bearbeitung pathogener Beziehungsmuster genutzt werden.
2. AlsDeutungsarbeitwerden die Techniken zusammengefasst, welche Verdrängungen rückgängig und Unbewusstes wieder bewusst machen sollen. Indem der Patient Einsicht in seine Konflikte gewinnt, soll es ihm möglich werden, eine andere Bewältigungsmöglichkeit zu finden als sie zu verdrängen (Grimmer et al., 2011). Die technische Grundregel derfreien Assoziationfür den Patienten (spontane Einfälle in der Behandlung so offen wie möglich mitteilen) sowie aufseiten des Therapeuten die technische Grundhaltung dergleichschwebenden Aufmerksamkeit(Mitteilungen des Patienten möglichst ohne eine Vorauswahl aufnehmen) unterstützen den einsichtsfördernden Prozess. Die Effektivität derDeutungstechnikgilt als empirisch wiederholt bestätigt (Faller, 2004).
3. Die Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Widerstandsanalysenzielen darauf ab, reaktualisierte unbewusste Beziehungsmuster und Konflikte zu bearbeiten. Während sich die Analyse der Übertragung auf die verinnerlichten, pathogenen Beziehungsmuster des Patienten bezieht, werden in der Gegenübertragungsanalyse, die beim Therapeuten ablaufenden, emotionalen Prozesse behandlungstechnisch nutzbar gemacht (Grimmer et al., 2011). Es hat sich herausgestellt, dass mit Übertragungsdeutungen vorsichtig umgegangen werden muss, da ein zu viel sich negativ auf den Therapieoutcome auswirkt (Faller, 2004).
4. Ein weiterer Wirkfaktor istdie Identifizierung des Patienten mit den Funktionen des Analytikers. In den psychoanalytischen Objektbeziehungstheorien der 1960er- und 1970er- Jahre wurde die emotionale Neuerfahrung zum Analytiker zum eigentlichen und wichtigsten Wirkfaktor erklärt. Die Kritik an der Unfruchtbarkeit des therapeutischen Nurwissens liegt der Erkenntnis zugrunde, dass es Klienten gibt, die nicht primär unter verinnerlichten Konflikten sondern unter strukturellen Störungen leiden, die ihre Fähigkeit zur Selbststeuerung beeinträchtigen. Strukturelle Störungen entstehen aus sehr instabilen oder missbräuchlichen und traumatisierenden Beziehungserfahrungen in den ersten Lebensjahren (Grimmer et al., 2011).
5. Das bewusste Herbeiführenregressiver Prozesse- typisch für die Psychoanalyse – soll zu einer Lockerung der Abwehr des Patienten führen, was den bewussten Zugang zu den zugrunde liegenden unbewussten Konfliktkonstellationen sowie deren damit verbundenen Affekte ermöglicht (Lutz et al., 2010).
6. DasDurcharbeitenistein technisches Mittel, mit demdas mehrfache Aufgreifen bzw. Bearbeiten eines Konfliktes zur Integration und dauerhaften psychischen Verankerung des erzielten Fortschritts gemeint ist (Stellungnahme zur Prüfung der Richtlinienverfahren gemäß §§ 13 – 15 der Psychotherapie-Richtlinie für die psychoanalytisch begründeten Verfahren, DGPT).

Trotz dieser klar umrissenen Wirkmechanismen zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass weder diese Wirkfaktoren allein Teil des psychodynamischen Konzeptes sind, noch psychodynamische Praxis allein auf diese Konstrukte aufbaut.

Ein Grundbaustein der Psychoanalyse und damit allgemein der psychodynamischen Verfahren ist die therapeutische Abstinenz oder auch technische Neutralität. Diese Haltung steht konträr zu supportiven Handlungen. Deshalb mutet der 4. Wirkfaktor, Identifizierung des Patienten mit den Funktionen des Analytikers, welcher stark an der Methodik des Modelllernens der Verhaltenstherapie erinnert (siehe 3.4.5), fast schon revolutionär an. Stützende Therapieformen galten in der Psychoanalyse lange Zeit als verpönt, da man annahm, dass sie zu keiner strukturellen Veränderung führen würden (Mertens, 2005). Supportive Techniken, welche typisch für die Verhaltenstherapie sind, finden sich also auch bei psychodynamischen Verfahren wieder. Vor allem sind psychodynamische Therapeuten gezwungen, die technische Neutralität bei schweren Pathologien zugunsten von stützenden Interventionen immer wieder aufzugeben, um beispielsweise Selbstverletzungen vorzubeugen (Hau et al., 2015).

Wie schon erwähnt, umfasst die psychodynamische Therapieform vielfältige Theorien und Konzepte, die Aufgrund präziserer Ausarbeitungen und stetiger Weiterentwicklung entstanden sind. Zunehmend bedient sie sich dabei anderer Disziplinen. Sie bezieht laut Streeck (2005) Annahmen aus der Lerntheorie oder Sozialpsychologie mit ein oder nutzt Konzepte aus der Systemischen Therapie. Umgekehrt nutzt die Verhaltenstherapie Wirkfaktoren, die eigentlich den psychodynamischen Verfahren zugeordnet werden (siehe 3.4.5). Eine Studie von Hau et al. (2015) bei der Wirkfaktoren von psychodynamischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren miteinander verglichen wurden, zeigte das einsichtsorientierte Techniken unabhängig von der Psychotherapiemethode eher in den Anfangs- und Endstunden eingesetzt wurden. Dies könnte darauf hinweisen, dass in der Mitte der Therapien andere Inhalte und Interaktionen zwischen Therapeuten und Patienten von größerer Bedeutung sind. Eine andere Erkenntnis dieser Studie ist überraschender. Nämlich wurden einsichtsorientierte Techniken in den kognitiv-verhaltenstherapeutischenVerfahren häufiger eingesetzt als bei den psychodynamischen Verfahren, abgesehen von der Psychoanalyse, bei der deutlich häufiger einsichtsorientierter vorgegangen wurde (ebd.). Unabhängig von einem „mehr oder weniger“ lässt sich festhalten, dass auch bei diesem wichtigen psychodynamischen Wirkfaktor keine klare Abgrenzung von der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Therapie mehr möglich ist.

Das supportiv und einsichtsorientiert in der Verhaltenstherapie sowie in der psychodynamischen Therapie vorgegangen wird, kann der Tatsache geschuldet sein, dass eine Ausweitung der jeweiligen Erklärungstheorien stattgefunden hat. Aber es könnte auch möglich sein, dass Theorie und Praxis immer schon auseinander klafften. Dadurch, dass die Therapeuten ihr Vorgehen von der jeweiligen Situation und nicht aus einem Schulen-Dogmatismus heraus betrieben, ist erkennbar, wie wichtig intuitives flexibles Handeln für die therapeutische Praxis ist.

Auch wenn es zunehmend mehr Effektivitäts-Studien gibt und diese entweder die verhaltens- oder die psychodynamische Therapie favorisieren, scheinen die Psychotherapieforscher im Allgemeinen nicht mehr am Dodo-Verdikt rütteln zu wollen. Anders verhält es sich z.B. bei der Wirkungsdauer. Shedler (2011), der einige Metaanalysen hinsichtlich der Effektivität psychodynamischer Verfahren miteinander verglich, stellt fest, dass „ [ … ] die Vorteile psychodynamischer Therapie nicht nur andauern, sondern mit der Zeit zunehmen; ein Ergebnis, das jetzt in wenigstens 5 unabhängigen Metaanalysen zu finden ist“ (ebd. S. 269). Den Vorteil der langfristigen Wirkung war in den Metaanalysen vor allem bei den Persönlichkeitsstörungen zu finden. Der Autor erklärt sich das damit, dass speziell Veränderungen der Reflexionsfähigkeit und Bindungsorganisation durch die psychodynamischen Therapien im Vergleich zu Verhaltenstherapien erreicht wurden. Aber auch hier ist fraglich, inwieweit diese Ergebnisse Gewicht haben.

So findet sich im „Lehrbuch der Verhaltenstherapie“ von Margraf & Schneider (2009) eine Effectiveness-Studie aus der Schweiz, nach der der langfristige Behandlungserfolg psychodynamischer Therapien deutlich hinter der der kognitiv-behavioralen-Therapien rangiert (Margraf, 2009b). Der Autor lässt darüber hinaus keinen Zweifel erkennen, das die Verhaltenstherapie in dieser Sache nicht überlegen wäre.

Ein Faktor, welcher ebenfalls für den therapeutischen Outcome wichtig sein könnte, betrifft die unterschiedlichen Klientel, die sich den jeweiligen Therapierichtungen zuordnen lassen. Eine Langzeit-Psychotherapiestudie von Brockmann, Schlüter und Eckert (2001) verglich verhaltenstherapeutische Langzeittherapien (im Durchschnitt 63 Sitzungen) mit psychoanalytischer Langzeittherapie (185 Sitzungen) und wurde in einem naturalistischen Design durchgeführt. Beide Therapieformen zeigten sich gleich effektiv. Interessant waren die Unterschiede bei den Merkmalen der Patienten: Diejenigen, die eine Psychoanalyse begannen, hatten einen höheren Bildungsstand, eine geringere Symptombelastung, nahmen weniger Medikamente und kamen weniger durch ärztliche Überweisung zum Psychotherapeuten als Patienten, die eine Verhaltenstherapie aufnahmen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 132 Seiten

Details

Titel
Positive und negative Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren
Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Stendal  (Humanwissenschaften)
Veranstaltung
Rehabilitationspsychologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
132
Katalognummer
V340611
ISBN (eBook)
9783668307094
ISBN (Buch)
9783668307100
Dateigröße
1488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
positive, psychotherapie-effekte, wirkfaktoren
Arbeit zitieren
Janko Claus (Autor:in), 2015, Positive und negative Psychotherapie-Effekte und deren Wirkfaktoren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340611

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