"Feindbild Jude". Die Entwicklungslinien des Feindbildes und seiner Funktionen von der Gründung des Christentums bis zum Dritten Reich


Hausarbeit, 2008

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition und Funktion von Feindbildern
2.1 Stereotype, Vorurteile und Feindbilder – Eine Begriffsbestimmung
2.2 Funktionen von Feindbildern
2.2.1 Funktion für das Individuum
2.2.2 Funktion für die Gesellschaft einschließlich Politik

3. Das `Feindbild Jude`
3.1 Entwicklung des Feindbildes
3.1.1 Christentum
3.1.2 Mittelalter
3.1.3 Moderne
3.1.4 Deutscher Nationalismus
3.1.5 Kaiserreich bis Weimarer Republik

4. Das `Feindbild Jude` zur Zeit des Nationalsozialismus
4.1 Ursachen des Erfolges des Nationalsozialismus
4.2 Merkmale und Funktionen des Feindbildes
4.2.1 Funktion für das Individuum
4.2.2 Funktion für die Gesellschaft einschließlich Politik

5. Resümee

6. Literatur

Abstract

This treatise is about the `Feindbild Jude`. I will explain the development and the function of this bundle of negative prejudice from the times of the origin of the Christianity until the power of the National Socialists. I will try to show the complex motivation of the anti- Semites during the different times and circumstances. I think this is very important to understand the incredible fact of the holocaust and help us to see the danger of negative prejudices and their instrumentalization, not only against Jewish people, for the future.

1.Einleitung

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit Entstehung, der Modifikation und Funktion des `Feindbild Jude` beschäftigen.

Zu Beginn werde ich eine allgemeine Einführung in den theoretischen Teil geben. Die Definition der Begriffe Stereotyp, Vorurteil und Feindbild soll als Basis für diese Arbeit dienen. Im Anschluss an die Begriffsbestimmung folgt eine allgemeine Ausführung zur Funktion von Feindbildern. Dies ist für die später folgenden Ausführungen von hoher Bedeutung. Nachdem ich den theoretischen Teil beendet habe, werde ich mich der historischen Ausführung zuwenden. Die Entwicklungslinien des Antijudaismus werden beginnend mit dem Christentum dargestellt. Diese stark mit historischen Ereignissen verbundene Darstellung wird keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, vielmehr dient sie dazu die Vielschichtigkeit und Unregelmäßigkeit des Antisemitismus in seinen Ursachen und Funktionen aufzuzeigen. Mit der Teilung der antisemitischen Bewegung in die religiöse und moderne, beabsichtige ich, die vielschichtigen Motivationen der judenfeindlichen Handlungen ein wenig differenzierter aufzeigen zu können. Die Skizzierung der historischen Umstände der jeweiligen Epochen wird dies unterstützen. Mit dem dritten und letzten Teil werde ich mich der Epoche des Nationalsozialismus ein wenig genauer zuwenden. Diese Schwerpunktsetzung basiert vor allem auf dem zu dieser Zeit erreichten Höchstmaß an Verbrechen gegen die `europäischen Juden`. Ich werde versuchen auf der Basis der Beschreibung des politischen Systems und den Ursachen seines Erfolges, die damaligen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände bildhaft werden zu lassen um eine Vorstellung davon zu gewinnen, in welcher Art von Gesellschaft und Politik das nationalsozialistische `Feindbild Jude` eingebettet war. Abschließend werde ich mich den Funktionen des Feindbildes speziell zu dieser Zeit zuwenden und diese erörtern.

Ich hoffe durch diese Arbeit der Vorstellung von einem sich kontinuierlich entwickelnden und durch die Zeiten ewig gleich motivierten Antisemitismus an Hand der Skizzierung der Abhängigkeit des `Feindbild Jude` von den historischen Umständen entgegenwirken zu können und somit eine erweiterte und differenziertere Sicht auf diese Feindschaft zu ermöglichen. Des weiteren denke ich, dass eine Analyse der Funktionsweise von Feindbildern auch für die Gegenwart und Zukunft hilfreich sein kann. Feindbilder wirken unbestritten auf den politischen Alltag und das Wissen um ihr Wesen und ihre Funktion kann eine objektivere und reflexivere Wahrnehmung der Umstände, die uns umgeben, ermöglichen.

2.Definition und Funktion von Feindbildern

2.1 Stereotype, Vorurteile und Feindbilder – Eine Begriffsbestimmung

Bei dem folgenden Versuch einer Begriffsbestimmung beziehe ich mich ausschließlich auf die Anwendung der genannten Begriffe auf Menschen und Menschengruppen; Gegenstände, Tiere etc. klammere ich auf Grund nebensächlicher Relevanz aus der Betrachtung aus.

Der Mensch braucht, um die vielen Erscheinungen in seiner Umwelt verarbeiten zu können, Kategorien und Begriffe. Abzugrenzen von dieser Tatsache jedoch, ist die Stereotypisierung. Stereotype können in ihrer Funktion nicht darauf reduziert werden, dass sich durch sie mittels Verallgemeinerung die Umwelt ordnen und effizienter erfassen lässt. Zwar haben Stereotype eine Orientierungsfunktion in der sozialen Umwelt und erleichtern das Einordnen von Menschen in bestimmte Gruppen, dies erklärt jedoch nicht ihre Hartnäckigkeit. Der Unterschied zwischen einer Kategorisierung und dem Stereotyp ist folglich, dass erstere durch Erfahrungen modifizierbar ist, letztere in der Regel nicht.[1]

Wenden wir uns nun den Vorurteilen zu, kommen Ostermann und Nicklas zu folgendem Schluss:

„Vorurteile haben die Struktur von Stereotypen – also von stark vereinfachten, generalisierten, klischeehaften Vorstellungen.“[2] Sie sind negative Urteile, welche jedoch nicht mit der Realität übereinstimmen und durch Erfahrungen schwer revidierbar oder modifizierbar sind. Sie stellen keine Verallgemeinerung empirischer Daten dar, eher sind sie Komplexe von Vorstellungen, welche durch die Überlieferung im Alltag hergestellt und verfestigt werden. „Es sind primär Kontakte mit Vorurteilen und nicht Kontakte mit Gegenständen der Vorurteile, die sie wecken und ihnen eine Richtung geben.“[3] Somit basieren Vorurteile in der Regel nicht auf einer Erfahrung sondern auf dem Kontakt mit Vorurteilen.[4] Sie werden erlernt.[5] Vorurteile haben Einfluss auf die Wahrnehmung und Interpretation der Umwelt. Beide Begriffe, Stereotyp und auch Vorurteil müssen immer im gesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet werden[6], da sie ein Spiegel der Werte und Normen sind, welche in unserem Bewusstsein existieren.[7] Dies wird vor allem daran deutlich, dass der Mensch bei der Definition seiner Identität dazu neigt, negativ empfundene Eigenschaften, Fremdgruppen zuzuschreiben.

Wenden wir uns dem Begriff des Feindbildes zu, wird festgestellt, dass dieses eine besondere Ausprägung des Vorurteils ist.[8] Es handelt sich hierbei um eine Bündelung negativer Vorurteile, welche eine differenzierte Beurteilung der mit dem Etikett `Feind´ versehenden Gruppe unmöglich macht.[9] Ich werde im folgenden nun die einzelnen Merkmale von Feindbildern kurz skizzieren.[10] „Charakteristisch für Feindbilder ist [...] ihre Tendenz zum Totalitären [...], weil sie die Welt auf eine einzige, antagonistische Formel von Gut und Böse zu reduzieren sucht.“[11] Die Welt wird in Feind und Freund eingeteilt. Einher mit diesem Merkmal geht, dass Feindbilder die Heterogenität der Fremdgruppe verschleiern und somit dazu beitragen, dass der Feind als homogene, mächtige und gefährliche Gruppe empfunden wird. Je geschlossener und zentralisierter der Feind nun erscheint, desto größer wirkt er und die von ihm ausgehende Bedrohung. Das führt zur Intensivierung und Stabilisierung des Feindbildes.[12] Ein weiteres Merkmal ist, dass Feindbilder sich in der überwiegenden Mehrheit der Fälle auf wirkliche, die Mehrheitsgesellschaft betreffende, Probleme beziehen, sie jedoch falsch oder verzerrt mit der Realität verknüpfen. Sie sind an die Realität gebunden und können nicht frei erfunden und instrumentalisiert werden.[13] Oft basieren sie auf einem tatsächlich bestehenden Konfliktpotential zweier Gegner, welches durch Verzerrung, oft erreicht durch politische Propaganda, potenziert wird[14] oder knüpfen an bestehende Vorurteile oder Stereotype an.[15] Des weiteren spiegeln Feindbilder mehr die Situation der Mehrheitsgesellschaft wieder, ihre Ängste aber auch ihr Verständnis von sich selbst, als die Situation des Feindes.[16] Zu diesem Punkt werde ich im nächsten Abschnitt bei den Funktionen der Vorurteile noch näher eingehen.

Zur Wirkung von Feindbildern kann man kurzgefasst sagen, dass sie zu selektiver Wahrnehmung, sprich Informationsverlust, Informationsfilterung und Informationsverzerrung führen, da Menschen die sie nutzten in den Kategorien Feind-Freund gefangen sind.[17] „Feindbilder sind Zerrbilder.“[18] Sie beeinflussen die Wahrnehmung. Da es im Alltag zu keiner Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit und der Wahrnehmung der Wirklichkeit kommt, wird das Wahrgenommene als das Wirkliche empfunden. Die Tatsache, das Wahrnehmung durch individuelle und soziale Erfahrung und auch durch Vorurteile und Stereotype gefärbt ist, wird außer Acht gelassen. Somit ist die Wahrnehmung einer Situation oft mehr von der Interpretation der Situation, welche durch Feindbilder geprägt sein kann, bestimmt als von der Realität.[19]

2.2 Funktionen von Feindbildern

Im folgenden möchte ich nun die Funktionen von Feindbildern auf der individuellen wie auch auf der sozialen Ebene darstellen. Ich werde mich auf die Funktion von Feindbildern konzentrieren obwohl viele der Funktionen auf Grund der Verwobenheiten der Begrifflichkeiten mit jenen der Vorurteile und Stereotypen ähnlich oder sogar identisch sind.

2.2.1 Funktion für das Individuum

Die Tatsache, dass Feindbilder nur schwer revidierbar sind, deutet darauf hin, dass sie im Menschen eine bestimmte Funktion erfüllen.[20]

Als erste Funktion von Feindbildern auf der individuellen Ebene kann die Schaffung vereinfachter Sinnstrukturen genannt werden. Dies ermöglicht dem Individuum die komplexen und meist undurchschaubaren Zusammenhänge in der Politik zu beurteilen. Dies wiederum bedeutet eine Entlastung für das Individuum, da die fehlende Möglichkeit zur objektiven Beurteilung politischer Geschehnisse und Konstellationen Unsicherheit und damit eine psychische Belastung bedeutet. Feindbilder sind somit ein Mittel zu Reduktion sozialer Komplexität. Auch auf der emotionalen Ebene bieten Feindbilder Entlastung, sie bilden Orientierungspunkte. Gegenüber einem Feind, einem stigmatisierten Objekt, kann das Individuum mittels Feindbild einen klaren emotionalen Standpunkt beziehen, Zweifel und damit Unsicherheit werden überflüssig.[21] „Die Wirksamkeit von Feindbildern und anderer stereotypischen Vorstellungssystemen als Orientierungsrahmen für eigenes Denken und Handeln ist in Krisenzeiten und allgemein in Stresssituationen besonders hoch einzuschätzen.“[22] Dies begründet sich durch die erhöhte Unsicherheit in Zeiten politischer aber auch wirtschaftlicher und sozialer Instabilität und die damit einhergehenden Gefühle von Gefahr und Angst.[23]

Eine weitere Funktion von Feindbildern stellt die Identitätsfindung und Identitätsstabilisierung dar. Da sich ein wichtiger Teil der Persönlichkeit aus der Abgrenzung von Anderen ergibt, sorgt diese dafür, dass das Individuum sich seiner eigenen Merkmale und Eigenschaften stärker bewusst wird. Durch die Abwertung des Anderen erfolgt automatisch eine Aufwertung des Selbstbildes und damit der eigenen Person.[24] Alle als negativ empfundenen Eigenschaften werden der Fremdgruppe zugeschrieben, was automatisch auch zur Entlastung des Individuums führt.[25] Eine weitere Aufwertung des Selbst erfolgt durch die Übernahme gesellschaftlich akzeptierter Stereotype und somit durch die Anerkennung als Mitglied der Gesellschaft durch die Gruppe. Das Individuum wird somit persönlich durch sich selbst und sozial durch die Gruppe mittels Feindbildern aufgewertet. Für niedere soziale Schichten bedeutet die Übernahme von Feindbildern höherer Schichten eine Identifikation mit derselbigen und eine Aufwertung der eigenen Position durch Abwertung der Fremdgruppe.

Die dritte Funktion auf der individuellen Ebene ist die Aggressionskanalisierung. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Ursachen und Gründe der Aggressionen analysieren, da dies vermutlich eine weitere Arbeit füllen könnte. Wichtig erscheint mir, dass jedes Individuum nach einem Objekt sucht, gegen die es seine Aggressionen ohne Sanktionen richten kann. Feindbilder bieten hierfür ein bewährtes und wirksames Mittel. Da der Feind sich außerhalb des Erreichbaren befindet, erfüllen Drohungen und symbolische Vernichtung die gleiche Funktion wie physische Gewalt. Außenpolitische Feinde sind somit relativ risikofreie Objekte für Aggressionsabfuhr, da erstens keine Sanktionierung und persönlicher Schaden droht und zweitens direkte Maßnahmen der Vergeltung auf Grund der Entfernung unwahrscheinlich sind. Sanktionierungen auf der innenpolitische Ebene sind nicht zu befürchten, da die Aggression gegenüber Feinden oft als `nationale Gesinnung´ gesellschaftlich anerkannt ist.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Feindbilder weniger ein Resultat von Überlegungen rationaler Art sind, vielmehr haben sie ihren Ursprung u. a. in denen hier dargestellten individuellen psychischen Bedürfnissen.[26]

2.2.2 Funktion für die Gesellschaft einschließlich Politik

Neben der individuellen Ebene erfüllen Feindbilder auch auf der sozialen Ebene einige Funktionen. Die erste, welche ich kurz darstellen möchte, ist die der Bildung und Erhaltung des Gruppenzusammenhanges. Im Angesicht einer Bedrohung durch ein äußere Gruppe entstehen Angst und Bedrohungsgefühle. In dieser Situation gewinnt die eigene Gruppe an Bedeutung, da sie Schutz vor der Gefahr bedeutet. In diesem Zusammenhang tritt die Heterogenität der eigenen Gruppe angesichts der Gefahr in den Hintergrund. Dies bedeutet die Entstehung von Solidarität und Zusammenhalt von vorher unstimmigen Gruppenmitgliedern innerhalb der eigenen Gruppe. Durch die Reduzierung der inneren Konflikte, sprich durch erhöhte Homogenität, wird die Gruppe nach außen handlungsfähiger.[27] In diesem Zusammenhang wird das Lager der Feinde und das Lager der Freunde zu einem Feind und einem Freund, dies erspart die Reflexion der verschiedenen sozialen Beziehungen und führt zur Konzentration der Bevölkerung auf eine Fremdgruppe und den Kampf gegen sie. Adolf Hitler sagte in diesem Zusammenhang:[28] „ Es gehört zu Genialität eines großen Führers, selbst auseinander liegende Gegner immer als nur zu einer Kategorie gehörend erscheinen zu lassen, weil die Erkenntnis verschiedener Feinde bei schwächlichen und unsicheren Charakteren nur zu leicht zum Anfang des Zweifels am eigenen Rechte führt.“[29]

Die zweite Funktion bezüglich der sozialen Ebene ist die Aggressionskanalisierung. Für die Gesellschaft hat diese eine andere Funktion als für das Individuum. Aggressionspotential, welches innerhalb der Gruppe z.B. durch Interessenkonflikte entsteht, könnte bei ungehemmter Entladung die Stabilität und Funktionstüchtigkeit der Gruppe gefährden. Somit wäre die Machtposition und Handlungsfähigkeit nach außen gefährdet. Feindbilder leiten die im Inneren der Gruppe entstandene Aggressivität nach Außen um.

An dieser Stelle möchte ich eine kurzen Exkurs auf die politische Ebene unternehmen, da mir dies für spätere Ausführungen wichtig erscheint. Vier Funktionen möchte ich kurz skizzieren.

Die erste ist die Herstellung der Bereitschaft der Bevölkerung zum Krieg. Da eine kriegerische Auseinandersetzung Belastung und Verluste für die Bevölkerung bedeutet, muss die politische Elite die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Krieges überzeugen. Hierzu sind Feindbilder ein geeignetes Mittel. Der Bevölkerung kann z.B. mittels Propaganda die bevorstehende Aggression ausländischer Feinde suggeriert werden um somit einen Präventivkrieg als unausweichlich darzustellen. Feindbilder dienen auch dazu, bei Soldaten in Zeiten der Kriegsvorbereitung durch Herabsetzung der Fremdgruppe Tötungshemmungen abzubauen und den Durchhaltewillen zu stärken.

Eine zweite politische Funktion haben Feindbilder bei der Aufrüstung inne. Erhöhte Ausgaben zu Rüstungszwecken erfordern eine höhere Steuerlast für die Bürger und müssen deshalb gerechtfertigt werden. Die Existenz eines übermächtigen Feindes liefert die Begründung für militärische Ausgaben und Aufrüstung.

Die vorletzte Funktion auf der politischen Ebene ist die Systemstabilisierung. Der gemeinsame Feind hat die Funktion durch Abwertung des Anderen das nationale Selbstwertgefühl zu festigen und gleichzeitig im Angesicht eines übermächtigen Feindes die Akzeptanz für das politische System und die politische Führung zu erhöhen. Feindbilder nehmen somit eine wichtige Rolle in der Stabilisierung bestehender Verhältnisse ein.[30] „Feindbilder lenken die Bevölkerung von internen Schwierigkeiten ab, bagatellisieren soziale Ungleichheiten und verdrängen systemimmanente Widersprüche.“[31] In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass Feindbilder durch ihre homogenisierende Wirkung zum Erhalt oder zur Bildung des innergesellschaftlichen Wertekonsens beitragen.

Die vierte und letzte Funktion ist die Verleumdung innenpolitischer Gegner. In Krisenzeiten wird ihnen auf Grund abweichender Meinungen und Unruhestiftung im Inneren oft eine Verbindung zu den Feinden nachgesagt und damit ihr Stellung in der Politik und ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung geschwächt. Ihnen wird oft vorgeworfen die Kraft der eigenen Gruppe durch abweichende Denk- und Handlungsweisen zu schwächen.

Die Hartnäckigkeit des stereotypen Vorstellungssystems Feind-Freund beruht neben der notwendigen Erfüllung von Funktionen auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene vor allem darauf, dass das Denken und Handel im Feind-Freund-Schema durch die feste Kategorisierung eine objektive Wahrnehmung der Wirklichkeit unmöglich macht, differenzierte Schlussfolgerungen sind nicht möglich.[32] Die selektive Wahrnehmung des Feindes führt dazu, dass der Feindbildträger keinen Informationen ausgesetzt wird, die eine Gefahr für sein etabliertes Schema, seine etablierte Denkart darstellen. Dies ist vor allem wichtig, wenn man erneut darauf hinweist, dass der Feind eigene Identität stiftet und deshalb die Modifizierung des Feindes gleichzeitig eine Veränderung der eigenen Identität darstellen würde. Dies begründet auch warum Feindbilder oft zur Vermeidung des Kontaktes und des Informationsaustausches mit dem Feind führen, was einer Modifizierung des Stereotypen entgegenwirkt.[33]

3. Das `Feindbild Jude`

Als Bemerkung zu den im Folgenden verwendeten Begrifflichkeiten möchte ich festhalten, dass ich die Begriffe Antisemitismus, Judenfeindschaft und Antijudaismus synonym verwenden werden. Ich werde keine epochalen und inhaltlichen Unterscheidungen vornehmen.

Im zweiten Teil der Arbeit möchte ich klären, warum `der Jude` Opfer der Feindbildpropaganda im Dritten Reich wurde. Hierzu werde ich den religiös motivierten Antisemitismus vom modernen Antisemitismus unterscheiden. Ich werde den Begriff `modernen Antisemitismus` in Bezug auf die veränderte Rolle der Juden, verursacht durch die Umbrüche auf der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebene während der Moderne, verwenden. Im ersten Teil wage ich den Versuch die Ursachen und Gründe für antisemitische Einstellungen und Handlungen vor dem Hintergrund der christlichen Tradition zu erklären. Damit möchte ich das Fundament legen ohne jenes eine Erklärung der weiteren Entwicklung des Antisemitismus undenkbar wäre. Den Verstrickungen des Judentums mit dem Islam werde ich, auf Grund fehlender Anknüpfungspunkte zum Thema, nicht folgen können. Aufbauend auf dem Zusammenhang mit der christlichen Tradition, beabsichtige ich, dem Antisemitismus bis zur Zeit des Dritten Reiches zu folgen und im Zuge dessen Art und Funktion der Judenfeindschaft aufzuzeigen.

[...]


[1] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 18 f.

[2] Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 17

[3] Flohr; 1991; S.81

[4] Vgl. Flohr; 1991; S. 81

[5] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 24

[6] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 15 ff.

[7] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 32

[8] Vgl. Bernhardt; 1994; S. 13

[9] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 45

[10] Vgl. Bernhardt; 1994; S. 13

[11] Bernhardt; 1994; S. 13

[12] Vgl. Flohr; 1991; S. 72 f.

[13] Vgl. Bernhardt; 1994; S. 13 ff.

[14] Vgl. Flohr; 1991; S. 34 ff.

[15] Vgl. Jesse; 2005; S. 7/ 19

[16] Vgl. Bernhardt; 1994; S. 13 ff.

[17] Vgl. Jesse; 2005; S. 15/ 18 ff.

[18] Jesse; 2005; S. 7

[19] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 34 ff.

[20] vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 19

[21] Vgl. Flohr; 1991; S. 114 ff.

[22] Flohr; 1991; S.117

[23] Vgl. Berhardt; 1994; S. 14

[24] Vgl. Flohr; 1991; S. 118 ff.

[25] Vgl. Jesse; 2005; S. 15

[26] Vgl. Flohr; 1991; S. 118 ff.

[27] Vgl. Flohr; 1991; S. 122 ff.

[28] Vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 48

[29] Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 48 f.

[30] Vgl. Flohr; 1991; S. 125 ff./ Eckhard; 2005; S. 14

[31] Flohr; 1991; S. 132

[32] vgl. Flohr; 1991; S. 132 f./vgl. Ostermann/ Nicklas; 1984; S. 46

[33] vgl. Flohr; 1991; S. 30 f.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
"Feindbild Jude". Die Entwicklungslinien des Feindbildes und seiner Funktionen von der Gründung des Christentums bis zum Dritten Reich
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
29
Katalognummer
V350631
ISBN (eBook)
9783668371910
ISBN (Buch)
9783668371927
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
feindbild, jude, entwicklungslinien, feindbildes, funktionen, gründung, christentums, dritten, reich
Arbeit zitieren
Sarah Heine (Autor:in), 2008, "Feindbild Jude". Die Entwicklungslinien des Feindbildes und seiner Funktionen von der Gründung des Christentums bis zum Dritten Reich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350631

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