Flucht und Migration im zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheater

'SOS – For Human Rights' (Grips Theater Berlin) und 'Herzrasen – Zeit der Wunde(r)' (Alarm Theater Bielefeld)


Bachelorarbeit, 2015

63 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

Erster Teil: Entwicklung und aktuelle Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland
2 Was ist Kinder- und Jugendtheater?
3 Entwicklung des deutschen Kinder- und Jugendtheaters 1968 bis heute
3.1 Entwicklungen des Kinder- und Jugendtheaters 1968
3.1.1 Spielformen der emanzipatorischen bzw. neorealistischen Theater
3.1.2 Emanzipatorische bzw. neorealistische Theater
3.2 Nach der „Aufbruchphase 1968“
3.2.1 Theaterpädagogik
3.3 Zeitgenössisches Kinder- und Jugendtheater
3.3.1 Kinder- und Jugendtheater von Freien Theatern

Zweiter Teil: „Flucht und Migration “ im Kinder- und Jugendtheater - Praxisbeispiele
4 Interkulturalität und die Künste
4.1 Begriffsbestimmung: Migration
4.1.1 Gründe für Migration
4.1.2 Flüchtlinge
4.1.3 Migrationsproblematiken
4.2 Begriffsbestimmung: Interkulturalität
4.2.1 Interkulturelles Theater
4.3 Theaterarbeit unter dem Aspekt „Flucht und Migration“
4.3.1 Produktionsformen
4.4 Authentizität und Autobiografie als Inszenierungsformen
4.4.1 Potential von Selbstdarstellung im Theater für junge Flüchtlinge
5 Alarm Theater Bielefeld - „Herzrasen - Zeit der Wunde(r)“
5.1 Das Profil und die Arbeitsweise des Alarm Theaters
5.2 Die Produktion „Herzrasen“ - Voraussetzungen, Intentionen und Wirkungen
6 Grips Theater Berlin - „SOS - For Human Rights“
6.1 Das Profil und die Arbeitsweisen des Grips Theaters Berlin
6.2 Die Produktion „SOS - For Human Rights“ - Voraussetzungen, Intentionen und Wirkungen
7 Vergleich und Potential der Theaterprojekte zum Thema Flucht und Migration im zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheater
8 Fazit
9 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Auf Not basierende Lebensumstände materieller Art wie Arbeitslosigkeit oder Amiut, aber auch Hoffnungslosigkeit und soziale Not wie Diskriminierung bis hin zu Bedrohungen des eigenen Lebens durch Kriege und politische Verfolgung, stellen Faktoren dar, die eine Flucht in ein anderes Land in Gang setzen.[1] Europa hat für Schutzsuchende eine große An­ziehungskraft, da es als eine Union des Friedens gilt.

„Mitte 2014 wurden weltweit 51,3 Mio. Menschen auf der Flucht gezählt - das ist die höchste Weltflüchtlingszahl seit dem zweiten Weltkrieg“[2] berichtet die Menschenrechtsor­ganisation PRO ASYL. Demnach steigen auch die Flüchtlingszahlen in Deutschland und immer mehr Menschen beantragen Asyl. Von Januar bis April 2015 sind bereits 100.755 Erstanträge auf Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingegangen.[3] Die meisten Flüchtlinge stammen aus dem Kosovo, aus Syrien oder Albanien.[4] Unter den Schutzsuchenden befinden sich auch viele Kinder und Jugendliche - unbegleitete minder­jährige Flüchtlinge (umF) - die ohne ihre Familie an den Grenzgebieten der EU ankom­men. Flüchtlinge[5] und vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge[6] durchlaufen einen schwierigen Prozess bei der Ankunft in Deutschland. Zahlreiche Hürden der Integration müssen überwunden werden. Somit es ist wichtig, diesen jungen Menschen ein Gefühl des Willkommenseins zu geben, sie aufzufangen und in ihren Zielen und Träumen zu unterstüt­zen.

Viele Projekte für Flüchtlingskinder sind in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten in Deutschland entstanden. Die Integrationsbereitschaft ist auf allen Seiten da.

Wie sieht dies im Bereich der Kultur aus? Wie reagiert die Theaterszene in Deutschland?

Nimmt sich das Kinder- und Jugendtheater Flüchtlingskindem und ihren Erlebnissen an? Und wenn, in welcher Weise und mit welcher Intention?

Die Theater sind es doch gerade, die sich als Spiegel der Gesellschaft sehen und als ein Ort gelten, an dem die Gesellschaft und ihre Belange diskutiert werden. Gleichzeitig bietet das Schauspiel enormes Potential, um sich auszudrücken und ein Gemeinschaftsgefühl zu erle­ben.

Die Aktualität der Flüchtlingsströme ist uns allen bekannt. Fast jeden Tag erscheinen neue Berichte über Flüchtlingszahlen, gesetzliche Regelungen und vielfältige Diskriminierungen der Betroffenen. Aus diesem Grund empfinde ich es als wichtig, sich die Thematik von Flucht und Migration einmal unter anderen Gesichtspunkten anzuschauen. Nur wenige Menschen wissen, wie sich die Theater und überwiegend die Freien Theater in Deutsch­land Flüchtlingen annehmen und sich für sie stark machen. Die Erforschung des heutigen Kinder- und Jugendtheaters bezogen auf Migrationsprojekte, kulturellen Austausch und theaterpolitischen Konzepten steht noch am Anfang. Dennoch oder gerade aus diesem Grund erfolgt in der vorliegenden Arbeit eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Theaterarbeiten zum Thema Flucht und Migration. Wegbereiter sind dabei die Freien Thea­ter sowie die Kinder- und Jugendtheater, weshalb im Folgenden der Schwerpunkt und Fo­kus auf ihren Arbeiten liegt. Daher wird zunächst eine Definition und Eingrenzung von Kinder- und Jugendtheater folgen. Um zu verstehen, mit welchen Methoden und Darstel- lungsfomien die heutigen Kinder- und Jugendtheater arbeiten, wird im ersten Teil die his­torische Entwicklung dieser Sparte dargestellt. Dabei wird ein detaillierter Blick auf die Theaterzeit um und nach 1968 geworfen, da sich dort eine Wende zu realitätsbezogenen In­szenierungen verorten lässt sowie die Wurzeln der heutigen Freien Theaterszene und ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegen.

Darauf aufbauend, wird im zweiten Teil dieser Arbeit das theatralische und künstlerische Potential von und mit Interkulturalität sowie Migration und Flucht verdeutlicht. Autobio­grafie und Authentizität als Darstellungsformen werden dabei hervorgehoben und die da­mit zustande konmienden Erfahrungs- und Lernprozesse für junge Flüchtlinge erläutert. Es schließen sich zwei Praxisbeispiele von Theaterprojekte der Freien Kinder- und Jugend­theater an, die den Aspekt von Migration und Flucht thematisieren. Zum einen wird die In­szenierung „SOS - For Human Rights“ des Grips Theaters Berlin sowie auf der anderen Seite die neueste Produktion des Alarm Theaters Bielefeld „Herzrasen - Zeit der Wunde(r)“ vorgestellt. Wie die beiden Freien Theater mit dem Thema Flucht und Migrati- on umgehen, welche Schwerpunkte sie setzen, aus welcher Intention heraus sie arbeiten, was die Inszenierungen bewirken und bei allen Beteiligten auslösen, wird genauer durch­leuchtet. Im Anschluss erfolgt ein Projektvergleich hinsichtlich der Ziele und Wirkungs­weisen. Ein Fazit und ein kurzer Ausblick auf die zeitgenössische Kinder- und Jugendthea­terarbeit zum Thema Flucht und Migration beschließt die Arbeit.

Erster Teil: Entwicklung und aktuelle Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland

2 Was ist Kinder- und Jugendtheater?

Die beiden Theaterfomien „Kindertheater“ und „Jugendtheater“ werden seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert als ein gekoppelter Begriff gebraucht und unter dem Ausdruck „Kinder- und Jugendtheater“ zusammengefasst.[7] Dieser Ausdruck basiert auf der Tatsache, dass beide Theaterfomien vielschichtige Gemeinsamkeiten teilen. Die größte Gemeinsam­keit liegt darin, dass sie sich als ein Theatergenre für junge Menschen definiert. Demnach versteht sich Kinder- und Jugendtheater als eine Spielstätte, die sich an Kinder und/oder Jugendliche richtet. Ein weiterer Gmnd für die gekoppelte Begriffsbestimmung liegt darin, dass die Übergänge vom Kindes- in das Jugendalter sehr beweglich sind. Jeder Mensch, Autorin, Theoretikerin und/oder Theatemiacherln stellt eine andere Klassifizierung auf und handhabt die jeweiligen Alters- und Entwicklungsstufen anders, sodass eine klare Ein­grenzung bzw. Abgrenzung in Kindheit und Jugendphase schwierig ist. Diese nicht defi­nierbare Grenze kommt den Theatern allerdings entgegen, da sie durchweg versuchen eine breite Zielgruppe zu erreichen.[8]

Das zeitgenössische Kinder- und Jugendtheater hat sich an den städtischen Bühnen als auch in der Freien Theaterszene etabliert und ist in zwei wesentliche methodische Formen aufzufinden: in ein Theater für Kinder- und/oder Jugendliche und einem Spiel mit Kinder­und/oder Jugendlichen.

Ersteres bedeutet, dass sich ein professionelles erwachsenes Theaterensemble absichtlich und speziell an Kinder oder Jugendliche wendet und vor ihnen ein Schauspiel auffährt. Da­bei sind die Theaterauffiihrungen an das kindliche bzw. jugendliche Niveau angepasst, so- dass die Thematik, Spiel- und Erzählweisen, Dramaturgien, Stoffe und Darstellungsfor­men, der Aufführungsort sowie die Aufführungszeit für das junge Publikum angemessen ist.[9] Einher geht damit, dass sich die Theatermacherlnnen vom „normalen“ Theater mit sei­nem erwachsenen Publikum distanzieren. Kinder und Jugendliche stehen ein anderes Pu­blikum als Erwachsene dar - ihr Verhalten und ihre Wahrnehmung ist noch nicht (gesell­schaftlich) geformt, sie reagieren impulsiv, beurteilen nach ihrem kindlichen bzw. jugendli­chen Entwicklungsstand. Dies bringt hervor, dass die Wirkenden in dieser Forni des Kin­der- und Jugendtheater den vorherrschenden Altersunterschied zwischen erwachsenen Schauspielem/-innen und dem jungen Publikum in ihrem Theaterschaffen und -spielen be­rücksichtigen müssen, um die Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Aus diesem Grund sind gezielte Theaterproduktionen für junge Zuschauerinnen notwendig.

Zum anderen wird unter Kinder- und Jugendtheater das Theaterspielen von Kindern oder Jugendlichen bezeichnet. In dieser Definition sind die Kinder und/oder Jugendlichen Teil der Theateraufführung, sind selber Akteure und werden als Laiendarstellerinnen begriffen. Dieses Theater kann sowohl im schulischen Rahmen stattfinden, als auch an Theaterhäu- sem oder in Theaterpädagogischen Zentren. So wird innerhalb dieses Kontextes das Thea­ter zu einem Ort, an dem Kinder und Jugendliche sich eigenständig, öffentlich und künstle­risch äußern können.

Es wird ersichtlich, dass unterschieden werden muss zwischen Theater für Kinder oder Ju­gendliche, bei dem ein Erwachsenenensemble für diesen Personenkreis Theater spielt - Vorführ-Theater[10] - und zwischen dem Mitspiel- bzw. Mitmach-Theater[11], bei dem die Kin­der und Jugendlichen ein aktiver Teil der Produktion sind.

Dennoch kann diese methodische Trennung nicht als absolut gehen, da die Formen sich hin und wieder gegenseitig beeinflussen und in Kohärenz stehen. Dies gilt vor allem auf der Ebene der inhaltlichen Schwerpunktsetzung sowie auf der ästhetischen Vermittlung.[12] Ebenso kommt beiden Definitionen von Kinder- und Jugendtheater und der dazugehörigen Form von Theaterspielen eine pädagogische Rolle bzw. Orientierung zu: Durch das Spie­len für sich selber oder durch das Rezipieren von Gespieltem wird dem Kind oder dem Ju- gendlichen die Gelegenheit geboten „[...] spielend zu lemen, sein Bewußtsein [sic] zu ver­ändern, neue Möglichkeiten des Erfahrens und Handelns durchzu,spielen’“[13].

So eröffnet sich in der jungen Theatersparte eine essentielle Aufgabenstellung für die Theaterpädagogik[14] und Dramaturgie. Denn Kinder- und Jugendtheater soll nicht Schule, Erziehung, Bildung oder Therapie sein, wie Hartwig Stmckmeyer in seiner Rede auf der „Internationalen Tagung der ASSITEJ e.v.“ in Bremen bereits 1989 äußert, sondern er fahrt vielmehr fort, dass es sich bei dieser Sparte um einen verbildlichten Spiegel handeln soll, in den man hineinschauen muss, um das Heute und Morgen zu erkennen sowie die Möglichkeit zu erhalten Grenzen zu überschreiten und dabei nahezu alles erfahren und er­leben zu können.[15]

Daraus folgte น. a., dass es sich die gegenwärtige Theaterpädagogik zur Aufgabe gemacht hat, den Fokus auf die künstlerischen Ereignisse des Theaters der Kinder und Jugendlichen zu legen und daraufhin den pädagogisch gerahmten Gestaltungsprozess in der Theaterar­beit mit den Kindern und Jugendlichen in den Hintergmnd zu verschieben.[16] Die Unterteilung bzw. Klassifizierung von Kinder- und Jugendtheater und der damit ein­hergehenden theaterpädagogischen Ausrichtung unterliegt einem epochalen Wandel sowie einer langen historischen Entwicklung.

Diese Entwicklung, die für die Entstehung des gegenwärtigen Kinder- und Jugendtheaters sowie für das vorliegenden Verständnis verantwortlich ist, wird im Folgenden dieser Arbeit dargelegt. Die Betrachtung der Gmndlinien, die Entwicklung der Kinder- und Jugendthea­tergeschichte seit 1968, ist zum Verständnis der zeitgenössischen Theatersparte relevant und lässt verständlich werden, weshalb es unterschiedlich Theater für Kinder und Jugendli­che gibt, worauf ihre Schwerpunktsetzung und Themenorientierung basiert.

Anzumerken ist, dass im weiteren Verlauf dieser Arbeit durchgängig das Kinder- und Ju­gendtheater als ein zusammenhängender Begriff verwendet wird. Zum einen, weil das Kin­dertheater und das Jugendtheater vergleichbare Entwicklungen durchlebt haben und sich zum anderen, eben nicht eindeutige Altersabgrenzungen und -bestimmungen festlegen las- sen. Ausgenommen sind hiervon Zitate. Ebenso werden die Stellen, wo sich die Entwick­lungen des Kinder- und Jugendtheaters unterscheiden, explizit gekennzeichnet bzw. es wird nur von Kindertheater oder Jugendtheater gesprochen.

3 Entwicklung des deutschen Kinder- und Jugendtheaters 1968 bis heute

Die Theaterzeit von 1945-1968 hielt kaum Inszenierungen fìir Kinder und Jugendliche be­reit, da sich in dieser Zeit das Theater als eine Einrichtung fur ein gebildetes Publikum ver­stand. Folglich konnten nur die Spielplan bestimmenden Märcheninszenierungen auch für Kinder und Jugendliche besucht werden, die sich dann als die berühmten „Weihnachtsmär­chen“ an den städtischen Theatern in Deutschland etablierten und noch bis heute Bestand haben. Erst gegen Mitte der 60er Jahre veränderten sich die Strukturen und Denkweisen in den Theatern. Des Weiteren rückten die Freien Theatergruppen in den Mittelpunkt des In­teresses und wurden Wegweisend. Da eine ausführliche Betrachtung der Kinder- und Ju­gendtheaterentwicklung seit 1945 Thema einer eigenständigen Abhandlung wäre, wird in dieser Arbeit nur die Kinder- und Jugendtheaterbewegung ab 1968 betrachtet. In diesem Zusammenhang hatte das sowjetische Kindertheater[17] [18] von Asja Lacis, welches sich bereits ab 1918 als eigenständige Theaterform mit fester Spielstätte und dazugehörigem Theate­rensemble entwickelt hatte, in Deutschland Vorbildcharakter.

3.1 Entwicklungen des Kinder- und Jugendtheaters 1968

Mitte der 60er Jahre entstand eine Umbruchphase innerhalb der gesellschaftlichen Lebens­verhältnisse ebenso wie in der Theaterszene für Kinder und Jugendliche, für die die Wirt­schaftskrise 1966/1967 als ein essentieller Auslösefaktor angesehen werden kann. Als Fol­ge der veränderten Wirtschaftsprozesse und geringerer finanzieller Ressourcen der Men­schen war eine Verringerung der Besucherzahlen in den Stadt- und Staatstheatem eingetre­ten. An mancher Stelle wird hier von einer zweiten Theaterkrise[18] gesprochen. Eine Sorge um die Verkümmerung von Phantasie, Erlebnis- und Vorstellungskraft sowie der allgemei­nen Eliminierung von Bühnenkunst kam auf. Überlegungen, wie man diesem entgegenwir­ken könne, wurden angestellt. Akribisch agierte in dieser Situation der Deutsche Bühnen­verein[19] und entdeckte in diesem Zuge das Kinder- und Jugendtheater wieder. Die Mitglie- derlnnen dieses Vereins veranlassten die Theaterleitungen dazu, mindestens jeweils zwei Aufführungen pro Spielzeit für Kinder und Jugendliche in ihre Spielpläne aufzunehmen, damit der Besucher-Nachwuchs gefördert und seine Leidenschaft zur Theaterkunst ausge­baut wird.[19] [20] Weiterhin sollten die Theater verstärkt Werbung machen, in Kontakt treten mit Eltern, Schülerinnen und Hochschulen sowie zu öffentlichen Proben und Diskussionsrun­den aufrufen. Die Menschen sollten so früh wie möglich mit der Bühnenkunst in Berüh­rung kommen.[21]

บท! der Etablierung des Kinder- und Jugendtheaters Nachdruck zu verleihen, gründete sich 1966 in Deutschland der noch heute bestehende Verein ASSITEJ[22]. Die ASSITEJ hat es sich zur Aufgabe gemacht, innerhalb Deutschlands sowie auf internationaler Ebene, die politi­sche, pädagogische und ästhetische Entwicklung der Theater für Kinder und Jugendliche zu fördern[23]

Einen weiteren Anstoß in der Kinder- und Jugendtheaterbewegung verschaffte Melchior Schedler, indem er die These des Kindertheaterkritiker Manfred Jahnke zur „Abschaffung der Weihnachtsmärchen“[24] aufgriff und den Theatern empfahl, neue Schwerpunkte für ihre Inszenierungen zu wählen. Er ging davon aus, dass das junge Publikum erst wirklich die deutschen Bühnen besucht und lieben lernt, wenn eine inhaltliche Neuorientierung gestal­tet wird: Pädagogisierung auf der einen Seite, realistische Stoffe als Grundlage auf der an­deren Seite.[25]

Im pädagogischen Sinne sollten die Kinder und Jugendlichen in ihrer individuellen emotio­nalen und sozialen Entwicklung gefördert und gleichzeitig auf die gesellschaftlichen Be­dingtheit, in und mit der sie leben, aufmerksam gemacht werden, um so auf langfristiger Ebene bei den jungen Publikum die Fähigkeit und den Willen zu sozialem Engagement zu schaffen.[26]

Des Weiteren setzte ein Zugehen auf das Publikum ein: Das Kinder- und Jugendtheater stellte ab ทนท eine Art „Kommunikationszentrum“[27] dar. Kommunikations- und Diskussi­onsprozesse wurden eingeleitet, durch die die Beteiligte erweiterte Einsichten und Erkennt­nisse erhalten sollten.

Dieses บท!denken Mitte der 60er Jahre bis zu den 68em, war ebenfalls umrahmt von ge­sellschaftlichen und politischen Bewegungen. Es entstanden gesellschaftskritische Theori­en sowie Aktionsformen der studentischen „Neuen Linken“, die die vorherrschenden auto­ritären Gesellschaftsmuster verachteten und Kinder und Jugendliche vor „Verblendung“ bewahren wollten. Vielmehr war ihnen daran gelegen, bei den jungen Menschen den Blick für „[...] selbstkritische[n] und gesellschaftsverändemde[ท] Reflexion [...]“[28] [29] frei zu ma­chen. Damit brachten sie die traditionelle Kinderkultur zum Einsturz. Eine Hinwendung zu tiefgreifenderen Themen für die Bühnenkunst vollzog sich und ein politisches Theater für Kinder und Jugendliche setzte sich durch. Maßgeblich waren Inszenierungen von sozialen Problemen der Zeit mit einer realistischen Darstellungsform, die die junge Generation an­sprachen und ihre Lebenswelt aufgriff.

Waren von 1945-1968 die städtischen und staatlichen Bühnen für die Kinder- und Jugend­stücke „bestimmend“, wurden sie seit den 68em von den Freien Theatergruppen abgelöst und man kann auch sagen, überholt. Denn Wegbereiter für das beschriebene generelle Um­denken bzw. die Hinwendung zu pädagogischen Maßnahmen und einer realitätsbezogenen Darstellung, waren insbesondere die Freien Theatergruppen, die immer mehr zustande ka­men und unter diesem Leitgedanken ihr Theaterschaffen verfolgten. Sie kehrten damit den Städtischen-, Staats- und Landestheatem den Rücken zu, die weiterhin am konservativen Modell von Unterdrückung und Autorität festhielten.

Die Freien Gruppen stellten so eine institutionelle Alternative zu den öffentlichen Bühnen dar und hatten ein ganz anderes ästhetisches Selbstverständnis:

„[...] Freie Gruppen unterscheiden sich [...] durch den prinzipiell entschiedenen Vorsatz, ftir je­dermann verständlich zu sein, Exempel, spielerisch Modell zu liefern, die gerade auch der

Volksschüler und Fabrikleiter auf die eignen Probleme anwenden könne I... I'[727]

Mit dieser Äußerung zeigt sich auch, dass es den revolutionären Theatemiacherlnnen daran gelegen war, die Unterdrückten und Schwachen, wozu auch Kinder und Jugendliche zähl­ten, aufzufangen und durch ihr Schauspiel aufzurütteln.

Damit etablierten sich in der Freien Kinder- und Jugendtheaterszene realitätsbezogene emanzipatorische Strukturen und ein grundsätzliches Konzept des „Theater als Lemort“[30] entstand. Die freien Theatemiacherlnnen konzipierten Stücke, die sich an der Realität der Kinder und Jugendlichen orientierte, ihre Probleme und Konflikte thematisierten und gleichzeitig darauf pochten, das Selbstbewusstsein zu stärken. Diese Grundsätze bauten sich durch den Neorealismus auf, der es möglich machte, Erfahrungen aus der Realität auf­zugreifen, die sowohl positiv als auch negativ geartet sein konnten.

„Das Theater als Stätte der Einübung in eine basisdemokratische Lebens forni“[31] zu nutzen, war bereits der Gedanke von Walter Benjamin in den zwanziger Jahren während der prole­tarischen Kindertheaterzeit und eingebettet in seine Konzeption der proletarischen Kinder- und Jugenderziehung. Für ihn war keine perfekte Theateraufführung wichtig, sondern das Geschehen vor und während der Stückentwicklung. Er wollte gesellschaftspolitische Auf­klärung durch kindliche Eigenproduktivität und Kreativität schaffen und nicht durch beleh­rendes Schauspiel. Dieser Gedanke wurde ทนท am Ende der 60er Jahre wieder aufgegriffen und diente als Leitgedanke für die Kinder- und Jugendtheater. Die Schauspielerinnen lie­ßen damit den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit sich selbst in spielerischen Aus- dmcksfomien zu verwirklichen, damit sie kein Gefühl der Belehrung erführen und gleich­zeitig ihre alltäglichen Konflikte besser verstehen und auf der Bühne vermitteln konnten. Parallel kam am Ende der 60er Jahre auch Bertolt Brecht ins Spiel der Kinder- und Jugend­theater. Seinen hervorgebrachten Theorien zum Theatergeschehen sowie seine Darstel­lungselementen erlangten einen Platz in den neuen Theaterstücken. Seine Realismustheorie basiert auf der Annahme, dass man „[...] die traditionellen Sehgewohnheiten des Publi­kums aufzubrechen“[32] versuchen müsse. So schreibt Brecht selbst: „Die Realität muß [sic] kritisiert werden, indem sie gestaltet wird, sie muß [sic] realistisch kritisiert werden.“[33] Er möchte also eine Distanz zwischen Kunst und Wirklichkeit schaffen, sodass der Gesell­schaft, dem Publikum, nicht einfach nur die gegenwärtige Wirklichkeit auf der Bühne prä­sentiert wird, sondern vielmehr möchte Brecht die Realität gestalten, sie durchschaubar machen und durch sie die Gesellschaft zum Handeln anregen. Brecht prägte damit den Be­griff des „epischen Theaters“[34], bei dem die Theaterstücke einen erzählenden Charakter er­hielten, Lieder oder Songs als Effekt in das Szenario eingebaut wurden und/oder Verfrem­dungseffekte für normale Vorgänge vorgenommen wurden.

Diese Prinzipien Übernahmen folglich die neuen Kinder- und Jugendtheater der 70er, aller­dings bedienten sie sich dabei nicht gezielt an den Brechtschen Forme lementen, ließen aber Strukturen wiedererkennen. Gehofft wurde, dass sich durch die Neugestaltung Verän­derungen in der Alltagswelt und beim Publikum einstellen, insbesondere beim jüngeren Publikum. Vorreiter mit Stücken, bei denen vor allem Kinder für das Leben lernen sollten und damit in den Mittelpunkt rückten, war, das Berliner „ Grips Theater “[35]. Sie vertraten die radikale Forderung von Antiautorität und den Gedanken einer emanzipatorischer Er­ziehung, die in dieser Zeit Hand in Hand gingen und die gesellschaftlichen traditionellen Muster überschatteten. Diese Entwicklung wird daher auch als Übergang in die neorealis­tische, sozialkritische und emanzipatorische[36] Kinder- und Jugendtheaterzeit beschrieben, für die die Studentenbewegung der 68er ausschlaggebend war.[37] Mit diesem Ausgangs­punkt erschienen an den Theatern unterschiedliche Spielformen, die sich durch die Weise, wie an das Publikum herangetreten und mit ihm agiert wurde, differenzierten.

3.1.1 Spielformen der emanzipatorischen bzw. neorealistischen Theater

Die Neuorientierung der Theatermacherlnnen mit der Auffassung des „Lemtheaters“, bil­dete sich in den Jahren nach 1986. Dabei entstanden durch die Freien Gruppen drei Thea­terformen, durch die Theatergruppen und Theater in „Sparten“ gegliedert werden konnten. Fomial lassen sich das „Mitspiel-“, „Mitmach-“, und „ Vorspiel-“Theater als Fomien mit neorealistischem Ansatz unterscheiden.[38] Allen gemeinsam war die pädagogische Absicht, die Emanzipation von Kinder und Jugendlichen zu stärken. Ebenso korrespondierten die drei Formen des Kinder- und Jugendtheaters miteinander, wodurch die Beteiligten etwas voneinander sowie von den verwandten Arbeiten lernten.[39]

Die beiden Formen, die sich als erstes herauskristallisierten, waren das Mitspiel- und Mit­machtheater. Beide nahmen die Idee von Spiel- und Interaktionspädagogik auf, die sich bei Theoretikern und Pädagogen bewährt hatte, um น. a. Kinder- und Jugendliche da zu errei­chen, wo man etwas bewirken wollte. Diese beiden Formen klingen ähnlich, weisen aber differente Spielaspekte auf und grenzen sich voneinander ab.

Beim Mitmach-Theater nahmen die jungen Akteure Statistenrollen ein und/ oder äußerten sich in einzelnen Handlungen des Stücks. Die Äußerungen der Kinder oder Jugendlichen waren allerdings in keinster Weise relevant: sie bestimmten nicht den Verlauf der Handlung und beeinflussten ebenfalls nicht das Geschehen.[39] Anders war dies beim Mitspieltheater; denn hier waren die Kinder und/oder Jugendlichen maßgeblich für die Gestaltung des Stückes und für das Voranschreiten der Handlung verantwortlich.[40] Ihre Teilhabe an den Prozessen war wichtig, sie wurden ernst genommen und gänzlich miteinbezogen. In diesen Stücken wurde die Realität für die Kinder und Jugendlichen erkenntlich, und es wurden mögliche Maßnahmen, um die Lebenswelt zu verändern, durchgespielt.

Dem Vorspieltheater wurde erst durch die Erfindung und Einführung des Mitspieltheaters ein eigenständiger Platz in den Darstellungsformen eingeräumt. Dies lag an der Tatsache, dass zuvor jedes Theater eine Form von Vorspieltheater war. Allerdings erhielt das Vor­spieltheater durch die Einbeziehung von Kindern und/oder Jugendlichen in das Schauspiel und dem Entstehen von Mitwirkungsformen, eine neue Definition und etablierte sich als eigene Form. So waren es ทนท ausschließlich Erwachsene, die im Vorspieltheater agierten und für Kinder sowie Jugendliche ein professionelles Theaterstück aufführten. Damit ist das Vorspieltheater zu einem kindertheaterspezifischen Begriff geworden, da Mitspielfor­men für ein erwachsenes Publikum kaum existieren.[41]

Seither besteht eine Vielfalt an Formen des Vorspieltheaters, die sowohl traditionelle als auch neuartige Elemente in ihre Inszenierungen einfließen lassen. Beispielhaft können hier Märcheninszenierungen, Clownstheater oder realistische und wirklichkeitsnahe Kinder- und Jugendtheaterstücke genannt werden.

Daraus ergibt sich, dass sich das Vorspieltheater als einzige Form in der neorealistischen Zeit einen festen Platz sichern konnte. Die Begründung dafür ist, dass das Mitspiel- und Mitmachtheater als nur vage praktikabel erschien. Bei den Mitspiel- und Mitmachstücken sammelten ausschließlich die Beteiligten Erfahrung, kamen aber auch an ihre Grenzen, da die Übertragung von Spielaspekten auf die Realität für die jungen Schauspielerinnen schwierig war.[42] Ebenso konnte keine Effizienz durch das Rollenspiel, bei dem Techniken zur Weltveränderung und -bewältigung eingeübt wurden, festgestellt werden.[43] Damit musste das Mitspiel-Theater gänzlich „abdanken“ und auch das Mitmach-Theater blieb nur bruchstückhaft erhalten.

Die Theatermacherlnnen entwickelten fortan Stücke mir Vorführcharakter und mit rotem Faden, setzten den Schwerpunkt auf eine individuelle Emanzipation und sprachen Alltags- probleme sowie -konflikte direkt an.[44]

Das neorealistische Kinder- und Jugendtheater mit Vorführcharakter verfolgte so das päd­agogisch-didaktische Ziel der Zeit, bei dem ,,[d]er Transfer von der Bühne in die Welt der jungen Leute im Zuschauerraum [war] stets angestrebt [war, S.H.].“[45] Die Vermittlung von Lösungsmöglichkeiten, um die gesellschaftliche Realität zu verändern, wurde so an das junge Publikum herangetragen. Im Mittelpunkt und unabdingbar war der Kontakt zu den Zuschauerinnen und galt im Vorführtheater als grundsätzlich. Ein außer Acht lassen der Rezipienten würde nicht den gewünschten Effekt erzielen, Authentizität und Glaubwürdig­keit nicht zustande kommen lassen. Und eben genau dies war es, was den neuen Realismus auszeichnete.

Auf dieser Basis bauten die Theater ihre Produktionen auf und etablierten sich als emanzi- patorische Theater. In unterschiedlicher Intensität und Ausprägung wiesen die Theaterpro­duktionen gemeinsame Strukturen und Inhalte auf. Die für den Neorealismus entstandenen Grundzüge konnten sich bis in die 80er Jahre durchsetzen und auch noch heute bedienen sich viele Freie Gruppen der Elemente des Mitmach- und Vörführ-Theaters.

3.1.2 Emanzipatorische bzw. neorealistische Theater

Ein Theater, das in der Phase des Neorealismus für Aufsehen sorgte und sich in Richtung Vorführ-Theater veränderte, war das das Grips Theater Berlin. Das Freie Theater war in diesem Bereich und für andere Theater wegweisend und Inspiration zugleich.

Die Theatemiacherinnen gingen einer neuen Theaterpraxis nach, da sie ihre Theaterstücke selber schrieben. Das Übernehmen von bereits geschriebenen Stücken und insbesondere von Märcheninszenierungen wurde von den neuen Theatergruppen gänzlich abgelehnt.

Das Grips Theater war das erste bundesdeutsche Theater, das seine Stücke „von unten“, also aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen schrieb und in diesem Zusammenhang ihre Alltagswelt mit aufnahm und problematisierte.[46] Mut zur Eigeninitiative wurde dem jungen Publikum vermittelt, und gleichzeitig rief das Grips Theater zur „Aufmüpfigkeit“, zu Verständnis und Einsicht auf.[47] Das Grundkonzept bestand also darin, Parteilichkeit und die Forderung nach sozialistischem Realismus aus der Sicht von unten darzustellen.[48] [49] Das Theater sowie sein Name symbolisieren das Programm: ,„Grips ist Vernunft mit Witz; Denken, das Spaß macht“[450].

Mit dieser Ausrichtung entstanden in den ersten Jahren der 70er viele weitere Kinder- und Jugendtheaterstätten, darunter น. a. das „Bime-Kindertheater“ in West-Berlin, das „Wie- dus-Kindertheater“ in Rotterdam oder die Münchener Theaterwerkstatt „eyes & ears“. Die Freien Gruppen arbeiteten in erster Linie mit den Formen von Mitspiel- und Mitmach­stücken. Das Grips Theater hingegen entschloss sich schon frühzeitig für ein konsequentes Vorführtheater, was Volker Ludwig damit verteidigt, dass ,,[v]or mehr als 100 Zuschauern [ist] anderes weder praktikabel noch sinnvoll“[50] ist. Das Ensemble unterstütze allerdings ein Mitspieltheater, welches sich dann als jüngere Schwester und unter dem Namen „Rote Grütze“ selbstständig machte. Das Grips Theater und „Rote Grütze“ waren „einander zeit­lebens innigst zugetan“[51] und standen keineswegs in Opposition. Somit sahen beide zwi­schen Mitmach- oder Vorspiel-Theater keine Alternative, sondern verstanden beide Formen als ein unterschiedliches Mittel, für den selben verfolgten und zu erreichenden Zweck.[52] Diese Handhabung und Kulturform war allerdings einigen konservativen Personen und Gruppen ein Ärgernis. Es bestand die Angst, dass durch die neue Art des Kinder- und Ju­gendtheaters etwas an die Öffentlichkeit kommt, was besser im Verborgenen bleiben soll­te.[53] Angriffe zur Verhinderung von Aufführungen begleiteten die gesamten 15 Jahre der neorealistischen Kinder- und Jugendtheater und wurde bezeichnend für die Form und den Kampf um den Fortbestand dieser Szene.[54]

Der „Neorealismus“ ist zum Schlüsselbegriff für das Kinder- und Jugendtheater der 70er Jahre geworden und gleichzeitig stehen das Grips Theater sowie die Gruppe „Rote Grütze“ das Synonym für das neue emanzipatorische Theater für und mit jungen Menschen dar.

3.2 Nach der „Aufbruchphase 1968“

Der Wertewechsel, das บท!denken, die „Aufbruch“-Stimmung und damit der enorme Fort­schritt des Kinder- und Jugendtheaters am Anfang der siebziger Jahre, hatte bereits 1975 seinen Höhepunkt erreicht. Es folgte eine Phase des Reflektierens, des Differenzierens und des Institutionalisierens. In dieser Zeit und mit Beginn der 80er Jahre, bauten sich die Theaterformen aus, wurden geformt und das Genre generell professioneller. Es entstand „[...] eine reiche Szene aus freien Gruppen, eigenständigen Kinder- und Jugendtheateren­sembles, Privattheatem und den 'Weihnachtsmärchen'-Produktionen an den Stadttheatem [...]“[55]. Eine gegenseitige Ergänzung sowie eine große Vielfalt und ein Nebeneinander von traditionellen und experimentellen Theatern kam zu Stande.

Diese Entwicklungen hatte zur Konsequenz, dass die Spielpläne der Theater ein breit gefä­chertes Repertoire an Inszenierungen bereithielten, sodass neben realen Stücken mit sozia­len und gegenwärtigen Problemen, phantastische Plots und surreale Thematiken standen.[56] Diese Vielfältigkeit, die sich sowohl an den Theaterformen als auch in den Spielplänen zeigte, hat sich bis in die heutige Zeit durchgesetzt und kann als ein Merkmal des heutigen Kinder- und Jugendtheaters angesehen werden.

Die Trendwende verlief auch dahin, dass vom Theater mit „pädagogischem Zeigefinger“ und vom naiven-antiautoritären Spiel abgesehen wurde und der Spaß sowie lustvolle Vor­führungen in den Vordergrund rückten.[57] Ein vergnügliches Lerntheater, das Komik und Ernsthaftigkeit miteinander kombinierte, dominierte ทนท die Theaterszene seit den 80em.

[...]


[1] Vgl. Nuscheler, Franz (2000): Ursachen und Dimensionen, in: Woge e. V. Institut ftir Soziale Arbeit e.v. (Hg.): Handbuch der Sozialen Arbeit mit Kinderflüchtlingen. 2. bearbeitete und ergänzte Auflage, Münster, s. 132.

[2] Förderverein PRO ASYL e.v. (2014): Themen. Zahlen und Fakten 2014, URL: http://www.proasyl.de/de/themen/zahlen-imd-fakten/ (Stand: 02.06.2015).

[3] Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2015): Aktuelle Zahlen zu Asyl, Ausgabe: April 2015, URL: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/statistik-anlage- teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf? blob=publicationFile (Stand: 02.06.2015), s. 4.

[4] Vgl. ebd., s. 5.

[5] Der Begriff wird im Folgenden dieser Arbeit noch genauer definiert. Grundsätzlich orientiert sich aber die Begrifflichkeit „Flüchtling" am Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention. Allen Flüchtlingen gemeinsam ist, dass sie ihre Heimatländer verlassen haben, um Krieg, Gewalt, existenziellen Nöten, Diskriminierung oder einem Leben ohne Perspektive zu entfliehen.

[6] Die Begrifflichkeit „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling" steht in Erweiterung zur Definition „Flüchtling" und wird im Folgenden Staatenlose unter 18 Jähriger Menschen bezeichnen, die ohne Begleitung einer Bezugsperson nach Deutschland gekommen sind und Schutz sowie eine Lebensperspektive suchen, über den rechtlichen Stahls dieser Personen sagt das noch nichts aus. [Vgl. Weeber, Vera Maria/ Gögercin, Süleyman (2014): Traumatisierte minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe. Ein interkulturell- und ressourcenorientiertes Handlungsmodell, Herbolzheim, s. 28.]

[7] Vgl. Taube, Gerd (2012): Kinder- und Jugendtheater heute. Eine Einführung, in: Deutscher Bühnenverein. Bundesverband der Theater und Orchester (Hg.): Kinder- und Jugendtheater im Wandel, Ausschuss für Künstlerische Fragen. Referate, Heft 4, Köln, s. 11.

[8] Vgl. Dringenberg, Rainer/ Krause, Siegfried (Hgg.) (1983): Jugendtheater - Theater für alle, Braunschweig, s. 24.

[9] Vgl. Lang, Thomas (2003): Kinder- und Jugendtheater, in: Koch, Gerd (Hg.): Wörterbuch der Theaterpädagogik, Berlin, s. 156.

[10] Schneider, Wolfgang (1984): Kindertheater nach 1968, Köln, s. 8.

[11] Ebd., s 8.

Die Begriffe „Vorftihr-“, „Mitmach-“ und „Mitspiel-Theater“ werden in dieser Arbeit noch genauer ori äutcrt

[12] Vgl. Dringenberg, R./Krause, s. (Hgg.) (1983): Jugendtheater - Theater ftiralle, s. 24.

[13] Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1986, s. 8.

[14] Der Begriff Theaterpädagogik tritt im Laufe der Arbeit des öfteren auf und wird fragmentarisch erörtert. Eine genaue Definition und Erläuterung ihrer Methodik wäre sicherlich sinnvoll, würde jedoch den Rahmen der Arbeit überschreiten. Grundsätzlich wird in der vorliegenden Arbeit Theaterpädagogik als die pädagogische Tätigkeit verstanden, die sich sowohl mit den Vermittlungsübungen zwischen Theater und Schule, als auch mit dem theaterpädagogischen Prozess der praktischen Theaterarbeit in Laienspielgruppen bzw. Workshops im Kinder- und Jugendtheaterbereich befasst.

[15] Vgl. Stmckmeyer, Hartwig (1990): Tagungseröffnung, in: Richard, Jörg (Hg.): Theaterpädagogik und Dramaüirgie im Kinder- und Jugendtheater, Frankfurt, s. 7.

[16] Vgl. Taube, G. (2012): Kinder- und Jugendtheater heute. Eine Einführung, a.a.o., s. 12.

[17] A. Lacis wollte in der Zeit der Revolution die verwahrlosten Kinder durch die Kraft des Theaterspielens ästhetisch und moralisch formen. [Vgl. Müller, Gerd (1983): Theorien und Modell reinen Kinder- und Jugendtheaters, in: Oberfeld, c./ Kauffinann, H.(Hgg.): Kinder- und Jugendtheater: Werkstattberichte, Frankfurt a. M./ Bern, s. 18.]

[18] Die erste Theaterkrise wird um 1950 manifestiert, verursacht durch die Währungsreform 1948.

[19] Ein seit 1846 gegründeter Verein aus Theaterintendanten und -direktorén, die sich für die (Arbeits-)Verhältnisse an den deutschen Stadt- und Staatstheatem einsetzen und gegen Missstände kämpfen - sie unterstützen, pflegen und fördern die Theater- und Orchesterlandschaft mit ihren kulturellen Angeboten. [Vgl. Schwab, Lothar/Weber, Richard (Hgg.) (1991): Theaterlexikon. Kompaktwissen für Schüler und junge Erwachsene, 2., durchge. Auflag, Frankfurt a. M., s. 87.]

[20] Vgl. Behr, Michael (1985): Kinder im Theater. Pädagogisches Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, Frankfurt a.M., s. 22.

[21] Vgl. ebd., s. 22.

[22] Association Internationale du Théâtre pour l'Enfance et la Jeunesse.

[23] Vgl. Schwab, LJ Weber, R. (Hgg.) (1991): Theaterlexikon. Kompaktwissen ñir Schiiler und junge Erwachsene, 2., durchge. Auflag, Frankfort a. M., s. 28.

[24] Die Kritik am Weihnachtsmärchen entstand mit dem Aufkommen reformpädagogischer Bewegungen im 20. Jahrhunderts, die damit das „Jahrhundert des Kindes“ schufen und das Theater an ein mittelständiges Publikum richteten. [Vgl. Jahnke, Manfred (2001): Nur Märchen zur Zeit der Weihnacht. Kindertheaterdramaturgie damals und heute, in: Jahnke, M. (Hg.): Kinder- und Jugendtheater in der Kritik. Gesammelte Rezensionen, Porträts und Essays, Frankfurt, s. 20.]

[25] Vgl. Behr, M. (1985): Kinder im Theater. Pädagogisches Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, s. 23.

[26] Vgl. ebd., s. 23.

[27] Doderer, Klaus/Uhlig, Kerstin (1995): Geschichte des Kinder- und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970. Konzepte, Entwicklung, Materialien, Frankfurt a.M. et af, s. 105.

[28] Vgl. Doderer, K./Uhlig, K. (1995): Geschichte des Kinder- und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970, a.a.o., s. 112.

[29] Schmidt, Dietmar (1975): Theater außerhalb der Institutionen, in: DIE DEUTSCHE BÜHNE. Das Magazin ftir alle Sparten, Nr. 6, Darmstadt, s. 5.

[30] Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1968, s. 11.

[31] Doderer, K./Uhlig, K. (1995): Geschichte des Kinder und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970, a.a.o., s. 105.

[32] Behr, M. (1985): Kinder im Theater. Pädagogisches Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, s. 24.

[33] Brecht, Bertolt (1967): Gesammelte Werke, Bd. 19, Schriften zur Literatur und Kunst, Frankfort a. Μ., s. 446.

[34] „Es wird von Brecht als das Theater des wissenschaftlichen Zeitalters verstanden, das eine Bewußtwerdung [sic] gesellschaftlicher Vorgänge im Publikum anstrebt.“ [Schwab, LJ Weber, R. (Hgg.) (1992): Theaterlexikon, 2., durchges. Aufl., Frankfurt a. M., s. 54.] Eine nähere Ausführung des Begriffs ist für den Verlauf der Arbeit nicht relevant und würde den Rahmen dieser Bachelorarbeit überschreiten, sodass an dieser Stelle keine weiter Definition folgt.

[35] Auf diese wegweisende Freie Theatergruppe und ihre Inszenierungen wird im Verlauf dieser Arbeit noch näher eingegangen.

[36] Eine genaue Ausführung von neorealistischen bzw. emanzipatorischen Kinder- und Jugendtheatem wird noch folgen.

[37] Vgl. Doderer, K./Uhlig, K. (1995): Geschichte des Kinder und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970, a.a.o., s. 30.

[38] Vgl. Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1968, s. 8.

[39] Vgl. ebd., S. 99.

[40] Vgf Behr, M. (1985): Kinder im Theater, s. 27.

[41] Vgl. ebd., s. 27.

[42] Vgl. ebd., s. 29.

[43] Vgl. Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1968, s. 99.

[44] Vgl. ebd., s. 99.

[45] Vgl. ebd., s. 100.

[46] Ebd., s. 100.

[47] Vgl. Doderer, К/ Uhlig, K. (1995): Geschichte des Kinder und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970, a.a.o., s. 274.

[48] Vgl. ebd., s. 274.

[49] Vgl. Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1968, s. 60.

[50] Doderer, к./ Uhlig, к. (1995): Geschichte des Kinder und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970, a.a.o., s. 274.

[51] Kolneder, Wolfgang/Ludwig, Volker/Wagenbach, Klaus (Hgg.) (1979): Das GRIPS Theater. Geschichte und Geschichten, Erfahrungen und Gespräche aus einem Berliner Kinder- und Jugendtheater, Berlin, s. 17.

[52] Ludwig, Volker (1994): GRIPS - Erinnerungen und Anekdoten, in: Kolneder, w/ Fischer-Feld, s.: Das Grips-Theater-Buch.Geschichten, Berlin, s. 59.

[53] Vgl. Fischer, Gerhard (2002): GRIPS. Geschichten eines populären Theaters (1966-2000), München, s.80.

[54] Vgl. Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1968, s. 103.

[55] Vgl. ebd., s. 102.

[56] Jahnke, Manfred (1983): Aufbruch, Kontroversen, Widersprüche. Zur Entwicklung des Kinder- und Jugendtheater in der Bundesrepublik Deutschland seit 1967, in: Linke, Manfred (Hg.): Theater 1967­1982, Bd. 2, Schriftreihe des Zentrums Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstitutes e V, Berlin, s. 48f.

[57] Vgl. Doderer, K./Uhlig, K. (1995): Geschichte des Kinder und Jugendtheaters zwischen 1945 und 1970,

[58] Vgl. Schneider, w. (1984): Kindertheater nach 1986, s. 103

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Flucht und Migration im zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheater
Untertitel
'SOS – For Human Rights' (Grips Theater Berlin) und 'Herzrasen – Zeit der Wunde(r)' (Alarm Theater Bielefeld)
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
63
Katalognummer
V352820
ISBN (eBook)
9783668389700
ISBN (Buch)
9783668389717
Dateigröße
737 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migration, Flucht, Theater, freie Thaterszene, Flüchtlinge, Interkulturelles Theater, Theaterprojekte, Praxisbesispiele, Kindertheater, Jugendtheater, Zeitgenössisch
Arbeit zitieren
Sophia Hübner (Autor:in), 2015, Flucht und Migration im zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/352820

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