Idealtypen der Organisationsberatung


Seminararbeit, 2001

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Zwei Grundansätze der Beratungsmöglichkeit
2.1 Mechanistisches Weltbild
2.2 Systemisches Weltbild

3 Vier Idealtypen der Organisationsberatung
3.1 Gutachterliche Beratungstätigkeit
3.1.1 Grundlagen der gutachterlichen Beratungstätigkeit
3.1.2 Kritikpunkte an der gutachterlichen Beratungstätigkeit
3.2 Expertenberatung
3.2.1 Grundlagen der Expertenberatung
3.2.2 Kritikpunkte an der Expertenberatung
3.3 Organisationsentwicklung
3.3 .1 Grundlagen der Organisationsentwicklung
3.3.2 Kritikpunkte an der Organisationsentwicklung
3.4 Systemischer Beratungsansatz
3.4.1 Grundlagen des systemischen Beratungsansatzes
3.4.2 Kritikpunkte am systemischen Beratungsansatz
3.5 Zukunftsperspektiven in der Beratungstheorie

4 Interkulturelle Grenzen der Organisationsberatung
4.1 Managementkonzepte und ihre implizierten Grundwerte
4.2 Dimensionen von Kultur und ihre Auswirkungen
4.3 Probleme der interkulturellen Anwendung
4.3.1 Allgemeine Anwendungsprobleme
4.3.2 Ansatzspezifische Anwendungsprobleme
4.4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Mängel aufdecken ist nicht genug;

ja man hat Unrecht, solches zu tun,

wenn man nicht zugleich das Mittel

zu dem besseren Zustande weiß.“

(J. W. von Goethe)[1]

Dies ist das Motto, unter dem die Unternehmensberatung ‚agamus‘ arbeitet. Der interessierte Besucher der firmeneigenen Homepage erfährt:

Agamus – `laßt uns handeln‘ ist unser Name und unser Programm zugleich. Wir betrachten Analyse, Konzeption und Umsetzung als eine Einheit und orientieren uns an dem Zweck des Unternehmens, den Zielen, den Geschäftsprozessen und den Mitarbeitern. Verantwortungs-volle Beratung heißt für uns, die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, daß der definierte, neue Zustand auch gelebt wird.“[2]

‚Liebevolle Rundumbetreuung‘ offeriert also ‚agamus‘ seinen Kunden. Ähnlich freundliche Versprechen findet man auch auf den Seiten der ‚Boston Consulting Group‘[3] und diverser anderer Anbieter auf dem boomenden Markt der Organisations- und Unternehmensberatung. Doch was genau steckt hinter diesen Ankündigungen? Mit welchen theoretischen Konzepten arbeiten die verschiedenen großen und kleinen Beraterfirmen? Auf welchen Annahmen basieren die Konzepte, und lassen sie sich vor allem problemlos auf unterschiedliche Situationen und Auftraggeber übertragen? Welche Grenzen sind beispielsweise gesetzt, will man die Konzepte zur Organisationsberatung in Entwicklungsländern mit zum Teil völlig anderen Kulturstandards verwenden?

Um diesen Fragen nachzugehen, sollen im Folgenden mit ‚mechanischem‘ und ‚systemischen Weltbild‘ zuerst zwei grundsätzliche Rahmen der Organisationsberatung vorgestellt werden. In diesen Rahmen können im Anschluß mit ‚Gutachter-‘ und ‚Expertenberatung‘, ‚Organisationsentwicklung‘ und ‚systemischer Beratung‘ vier idealtypische Hauptmodelle der Organisationsberatung eingeordnet und genauer vorgestellt werden. Um eine gute Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Ansätze zu gewährleisten, werden jeweils ähnliche Gesichtspunkte untersucht, bevor mögliche Probleme innerhalb dieser Modelle diskutiert werden. Nach einem kurzen Ausblick zur Zukunft der Beratungskonzepte sollen im Anschluß verschiedene Dimensionen von Kultur und potentielle interkulturelle Grenzen vorgestellt und diskutiert werden, inwiefern westlich dominierte Beratungskonzepte auch in nicht-westlichen Kulturen Anwendung finden können.

2 Zwei Grundansätze der Beratungsmöglichkeiten

Der aktuelle Beratungsmarkt scheint ohne Übertreibung hunderte von verschiedenen Konzepten und Vorgehensweisen anzubieten. Beinahe jede Firma betont, wie einmalig und zielführend gerade ihr Ansatz ist, und auch die gängige Literatur bietet statt einer sinnvollen Standardisierung eher „das Tohuwabohu der Beratungsansätze“.[4] Fast all diese Ansätze lassen sich jedoch nach ihren zentralen Annahmen und Glaubenssätzen grob einordnen in zwei Weltbilder, die hauptsächlich durch philosophisch-physikalische Theorien bestimmt sind und zur Standardisierung der verwirrenden Vielfalt dienen können.

2.1 Mechanistisches Weltbild

Das mechanistische Weltbild beruht hauptsächlich auf der Cartesianischen Philosophie und Newtonscher Physik. Es löste im 17. Jahrhundert eine durch Gott erklärte Weltordnung ab und wurde zur Wirklichkeitsvorstellung der Neuzeit.

Dank physikalischen Erkenntnisfortschrittes nahm man an, das gesamte Universums sei ein mechanisches System, das sich mit den Regeln klassischer Mechanik erklären ließe. Der französische Mathematiker Laplace dachte die Newtonschen Bewegungsregeln konsequent weiter und entwickelte die Vorstellung einer allwissenden Intelligenz, des sogenannten „Laplaceschen Dämon“, der in der Lage sei, alles (und damit auch die Zukunft und die Auswirkungen bestimmter Handlungen) voraus zu bestimmen. Rationale Logik, lineare Kausalität, Prognostizierbarkeit und Berechenbarkeit wurden ebenso postuliert wie ein Menschenbild, in dem das Individuum ein souveränes Subjekt sei und kraft logisch-analytischen Verstandes die Welt zerlegen und erklären kann. Auch der Mensch selbst wird als mechanisch – und damit komplett erklärbar – angesehen.

Auf Organisationsberatung angewandt bedeutet dies, dass der Berater mittels strenger Deduktion alle Phänomene innerhalb der Organisation erklären zu können glaubt. Organisationen werden betrachtet als durch ihre Umwelt fremdbestimmte Systeme, die technisch-rationalen Bauprinzipien folgen. Hat man diese Baupläne einmal verstanden, so versteht man auch die Funktionsweise und kann von außen eingreifen.

Beratung ist hier rein inhaltsorientiert und managementähnlich. Die Berateraufgabe wird gesehen in der internen Optimierung, und diese Optimierung versucht der Berater. Die Möglichkeit der externen Einflußnahme und die Berechenbarkeit der Auswirkungen bestimmter Veränderungen werden schlicht unterstellt, „...eine naive Position“[5], wie Wimmer konstatiert.

2.2 Systemisches Weltbild

Er zählt zu den profiliertesten Vertretern einer systemischen Theorie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Chilenen Manturana und Varela zuerst in der Biologie entwickelte und später auch in der Psychologie angewandt wurde. In die Sozialwissenschaften im Allgemeinen fand sie hauptsächlich durch Niklas Luhmann Eingang, und seit Anfang der 80er Jahre - aufgrund angenommener geringer Praxisrelevanz klassischer Konzepte - wurde sie auch auf die Organisationsberatung übertragen.

Den Ausgangspunkt bildet auch hier die Physik, die durch ihre Fortschritte das alte mechanische Weltbild verdrängte. Poincaré stellte fest, dass sich in Systemen jeglicher Art Störungen innerhalb kurzer Zeit potentieren können, und Heisenberg fand heraus, dass exakte Messungen von Startwerten aus physikalischen Gründen nicht möglich sind[6]. Folglich können selbst bei genauer Kenntnis der Regeln, nach denen Prozesse ablaufen, die Ergebnisse und Endwerte nicht detailliert vorhergesagt werden.

Die Illusion vollständigen Wissens um Gegenwart und Zukunft brach damit zusammen, Nicht-Berechenbarkeit, Nicht-Vorhersehbarkeit und Nicht-Linearität der Wirklichkeit wurden zum neuen Paradigma.

Angewandt auf die Sozialwissenschaften mußte ein völlig neues Modell von Organisationen und ihrer Funktionsweise entwickelt werden, wobei sich vor allem Luhmann und Wilke verdient machten. Auch soziale Systeme galten nun als von außen weder berechen- noch dirigierbar sind, da im Inneren Prozesse ablaufen, die kaum erkannt werden können. Um erfolgreich beraten zu können, muss der Berater um die Intransparenz, die Irrationalität und die Selbstorganisiertheit der Systeme wissen und nicht länger inhaltsorientiert (wie bei den klassischen Beratungskonzepten), sondern prozessorientiert arbeiten.

3 Vier Idealtypen der Beratungsansätze

Nahezu alle Anbieter von Organisationsberatung lassen sich relativ leicht in dieses grobe Raster einordnen. Aber wovon genau ist eigentlich die Rede, wenn das Schlagwort „Organisationsberatung“ fällt? Eine allgemein anerkannte Definition existiert bis dato nicht; nahezu jeder kann sich Berater nennen, und in den letzten 15 Jahren wuchs die Zahl der Beratungsfirmen beinahe exponentiell. Eine relativ weit gefasste Definition bietet Howaldt mit der Umschreibung, "... daß es sich bei Unternehmens- bzw. Organisationsberatung um eine vertraglich geregelte Dienstleistungserstellung von externen Beratern bzw. Beratungsorganisationen für Unternehmen oder Organisationen handelt, die eine spezifische Form der Interaktion zwischen Beratern und Klienten voraussetzt.“[7] Diese Definition soll im Folgenden zugrunde gelegt werden, da sie Raum läßt für zahlreiche Formen von Beratungs- und Klientensystemen.

Alle nachfolgend vorgestellten Beratungsansätze sind Modelle und damit idealisiert, passen aber in diesen Rahmen. Gegenstand der Untersuchung bei den vier Theorien sollen jeweils das Organisationsverständnis, das Selbstverständnis der Berater, das Ziel der Beratung und der Weg zu diesem Ziel sein. Um diese Punkte heraus zu arbeiten, werde ich mich – wenn nicht anders erwähnt – auf einen Einführungstext von Gerd Walger[8] beziehen. Es wird sich schnell zeigen, dass die theoretische Fundierung von Ansatz zu Ansatz steigt und ihre höchste Komplexität bei der systemischen Beratung erreicht. Deshalb wird die Beschreibung der komplexeren Modelle zwangsläufig mehr Raum einnehmen.

3.1 Gutachterliche Beratungstätigkeit

Die gutachterliche Beratungstätigkeit läßt sich in aller Eindeutigkeit den mechanistischen Konzepten zuordnen und wird allgemein als die klassische Form von Unternehmensberatung bezeichnet. Schon `Pioniere der Beratung` wie Frederick Taylor und seine Mitarbeiter bedienten sich ähnlicher Methoden.

Ausgangspunkt ist die Unternehmensleitung, die sich ein bestimmtes Ziel gesetzt hat, beispielsweise die Reorganisation eines Geschäftsbereiches, und in internen Arbeitsgruppen mehrere zielführende Konzepte erarbeitet und gegenüber stellt. Schnell stellt sich allerdings die Frage, ob diese Konzepte wirklich optimal sind. Man zieht die Möglichkeit in Betracht, eventuell Alternativen übersehen oder Vor- und Nachteile nicht neutral bewertet zu haben. Die Geschäftsleitung konstatiert, dass sie nur über begrenztes Wissen aus bestimmter Perspektive verfügt und bittet deshalb einen Gutachter als fachliche externe Kraft hinzu. Dessen Aufgabe besteht darin, fehlende Informationen zu beschaffen sowie die gegebenen Konzepte mit theoretischem und empirischem Wissen zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ergebnis dieser Arbeit ist ein Gutachten, das zur Entscheidungsvorbereitung für die Unternehmensleitung dient, dessen Umsetzung der Berater aber nicht mehr begleitet.

3.1.1 Grundlagen der gutachterlichen Beratungstätigkeit

Vertreter dieser typisch mechanistischen Richtung betrachten Organisationen als Mittel zur Erreichung bestimmter, vorher fixierter Ziele und als offene Systeme, bei denen Intervention möglich ist. Grundlegend bei diesem Konzept ist die Annahme eines „Wissensgefälles“[9] zwischen Berater und Klient und damit ein Experte-Laie-Verhältnis, das von beiden Seiten vorausgesetzt wird. Der externe Berater sieht sich selbst als neutralen Sachverständigen, als Gutachter, beurteilt vorgegebene Sachverhalte mittels seines Fachwissens und dient damit dem Hauptziel der Beratung - der Vorbereitung einer Entscheidung durch die Unternehmensleitung, die ein bestimmtes Ziel erreichen möchte. An der Umsetzung der Entscheidung und damit an der eigentlichen Lösung des Problems ist er nicht beteiligt.

3.1.2 Kritikpunkte an der gutachterlichen Beratung

Bereits bei dieser kurzen Beschreibung offenbaren sich die typischen Probleme der Gutachtertätigkeit. „Welche Informationen hat der Gutachter über das Unternehmen? ... Sind nicht gerade die, denen er Informationen liefern soll, seine ersten Informanten?“[10] Der Berater erhält seine Kenntnisse über die Organisation primär von deren leitenden Mitgliedern und wird unter Umständen – bewußt oder unbewußt - nur selektiv informiert. Eine objektive Problembewertung ist so schwierig. Statt dessen nennt der Klient ein Problem, bietet Lösungsvorschläge und erwartet eine Bewertung; beraten wird ausschließ-lich über Wege, nicht über die Ziele selbst. Der Gutachter ist quasi zur Bewertung aufgrund betrieblicher Vorgaben gezwungen und kann keine eigene Fragen stellen, die ihm aufgrund seiner externen Position unter Umständen leichter auffallen. Das größte Manko dieses Ansatzes wird allgemein aber darin gesehen, dass der Berater zu sehr außen stehen bleibt. Er erstellt sein Gutachten und konstatiert einen Veränderungsbedarf, zieht sich danach aber ohne Verantwortung für die Umsetzung - die eigentliche Problemlösungsphase – zurück.

3.2 Expertenberatung

Diesen Schwachstellen versucht die Expertenberatung – die heute verbreitetste Form der Unternehmensberatung, deren Grundsätzen Anbieter wie McKinsey folgen – zu begegnen, indem sie mit tiefer involvierten Beraterstäben arbeitet und „ ... auf der gemeinsamen Problemlösung durch Experten und Führungskräfte des Unternehmens...“[11] basiert.

[...]


[1] Zitiert nach: http://www.agamus.de/beratungsansatz.htm, 20.09.2001.

[2] Ebd., 20.09.2001.

[3] Vgl. http://www.bcg.de/bcg/mission/impact.asp, wo – weniger philosophisch als bei Goethe, aber mit dem gleichen Grundtenor - verkündet wird: „Ein Problem nur zu erkennen ist nicht dasselbe wie es auch zu lösen. Aus neuen Ideen und Strategien lassen sich nur dann Vorteile gewinnen, wenn sie in der Praxis wirksam werden.“

[4] So betitelt Susanne Mingers ein Kapitel, auf das ich mich im Folgenden – wenn nicht explizit anders angegeben - beziehen werde. Vgl. Susanne Mingers, Das Tohuwabohu der Beratungsansätze, in: Susanne Mingers, Systemische Organisationsberatung. Eine Konfrontation von Theorie und Praxis, Frankfurt 1996, S. 18-23.

[5] Siehe Rudolf Wimmer, Organisationsberatung – Eine Wachstumsbranche ohne professionelles Selbstverständnis, in: M. Hofmann (Hg.), Theorie und Praxis der Unternehmensberatung: Bestandsaufnahme und Entwicklungsperspektiven, Heidelberg 1991, S. 45-136, S. 65.

[6] Begründet wird dies damit, dass die zu messenden Elektronen immer gleichzeitig Teilchen und Welle sind und sich damit auch perfekten Messgeräten entziehen. Die Startwerte in Systemen lassen sich also nicht exakt ermitteln.

[7] Siehe Jürgen Howaldt, Industriesoziologie und Organisationsberatung: Einführung von Gruppenarbeit in der Automobil- und Chemieindustrie: Zwei Beispiele, Dortmund 1996, S. 49.

[8] Vgl. Gerd Walger, Idealtypen der Unternehmensberatung, in: Gerd Walger (Hg.), Formen der Unternehmensberatung: systemische Unternehmensberatung, Organisationsentwicklung, Expertenberatung und gutachterliche Beratungstätigkeit in Theorie und Praxis, Köln 1995, S. 1-18.

[9] Diesen Begriff verwendet Howaldt, um den Informationsvorsprung des Beraters und damit seine übergeordnete Rolle zu kennzeichnen. Siehe Jürgen Howaldt, 1996, a.a.O., S. 50.

[10] Siehe Gerd Walger, 1995, a.a.O., S. 4.

[11] Siehe Gerd Walger, 1995, a.a.O., S. 5.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Idealtypen der Organisationsberatung
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Sozialwissenschaftliche Konzepte der Organisationsberatung
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
23
Katalognummer
V38537
ISBN (eBook)
9783638375634
ISBN (Buch)
9783638654463
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Idealtypen, Organisationsberatung, Sozialwissenschaftliche, Konzepte, Organisationsberatung
Arbeit zitieren
Simone Prühl (Autor:in), 2001, Idealtypen der Organisationsberatung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38537

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