Behauptung und Bedeutungsschwund. Der niedere deutsche Adel im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.


Seminararbeit, 2005

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Adelsstand vor 1800 im Vergleich zum 19. Jahrhundert

3. „Obenbleiben“ – Strategien und Faktoren
3.1. Das symbolische Kapital
3.2. Das soziale Kapital
3.3. Die Erzeugung von Adeligkeit

4. Der Bedeutungsverlust am Ende des 19. Jahrhunderts und nach der Zäsur von

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Welche Gruppe könnte geeigneter sein als der Adel, Mechanismen von sozialer Inklusion und Exklusion, von Selbst- und Fremdpositionierung im sozialen Raum, der Produktion und Reproduktion von Kapital [...] oder die Kontinuität und den Wandel von Lebenswelten am konkreten historischen Beispiel zu studieren ?“[1]

Das Gebiet der Adelsforschung zum 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich in jüngster Zeit von einer terra incognita[2] zu einem Feld, das gegenwärtig Schritt für Schritt erschlossen wird.

Im europäischen Vergleich zeigt sich der deutsche Adel auffallend vielfältig und differenziert.[3] Anknüpfend an das Zitat Eckart Conzes sollen nun sozialgeschichtliche Aspekte der Sozialformation des niederen[4] deutschen Adels in den Blick genommen werden.

Tiefgreifende Veränderungen im Zuge der Pluralisierung der Gesellschaft nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches im beginnenden 19. Jahrhundert brachten die fortschreitende Nivellierung des Adels als Stand. Trotz dieser Einschränkung seiner Rechte und bisherigen Privilegien gelang es dem Adel mindestens bis 1918, seine gesellschaftlich und politisch führende Rolle weiterhin zu behaupten.[5]

Ausgehend von den Kennzeichen des Adels als Stand vor 1800 im Vergleich zu den Änderungen des 19. Jahrhunderts sollen infolgedessen die Strategien und Faktoren skizziert werden, die jenes „Obenbleiben“[6] ermöglichten und bedingten, wobei zwischen Taktiken innerhalb des Adels, die explizit die Kohäsionskraft der Gruppe stärken sollten, und dem Wesen sowie den Inhalten des sozialen und symbolischen Kapitals, die beide zudem legitimierend wirken mussten, unterschieden wird.

Gleichwohl der Generierung von Adeligkeit - bezogen auf den gesamten deutschen Adel - durchaus eine gemeinsame Technik zugrunde lag, waren jene kulturelle Inhalte keineswegs überregional stets in gleicher Form zu finden. Adeligkeit und deren Entstehung kann ausschließlich regional betrachtet werden[7], weshalb sich diese Arbeit verstärkt sächsischen Beispielen bedient.

Trotz aller Erfolge im Beharren auf einer gesellschaftlichen Führungsebene sind jedoch ebenfalls Niederlagen des Adels im Zuge der Moderne zu verzeichnen.[8] Die Gründe für diesen Bedeutungsschwund bilden den vierten Teil dieser Arbeit.

Als Basis der Bearbeitung der genannten Einzelthemen dienen zum einen eine aktuelle Publikationen zum sächsischen Adel[9], drei Sammelbände, die jeweils verschiedene Beiträge zu dem Gebiet des Europäischen Adels vereinen[10], und letztlich diversere, eher allgemein gehaltene Überblicksdarstellungen[11].

2. Der Adelsstand vor 1800 im Vergleich zum 19. Jahrhundert

Der Adelsstand vereinte in seiner Funktion als Herrschaftsschicht in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft eine Vielzahl von Merkmalen, die seine Zugehörigkeit zur Führungselite kennzeichneten. Demnach ist der Adel vor 1800 eine ständische Gruppierung mit Sonderrechten und bestimmten Privilegien, die eine scharfe Trennung von den übrigen Ständen erreichten.[12]

Der niedere Adel war im Vergleich zum Hochadel zahlenmäßig außerordentlich groß und besaß, wenn die Familie über Grundbesitz verfügte, ständische Mitherrschaftsrechte. Zu ihm zählten „jede anerkannte Adelsfamilie jenseits des Hochadels“[13]. In der Kerngruppe, dem landsässigen Adel mit mehr oder weniger stark ausgeprägten landständischen Rechten, vereinten sich der ältere Adel, dessen familiäre Stammbäume meist bis auf den mittelalterlichen Ministerialadel zurückgeführt werden konnten, und der sogenannte Briefadel, dessen Mitglieder durch Nobilitierung aus dem Bürgertum aufgestiegen waren.

Da das Einkommen aus dem Grundbesitz meistens nicht für die Sicherstellung eines standesgemäßen Lebens ausreichend war, sahen sich viele Mitglieder des niederen Adels

gezwungen, sich in den Dienst eines Landesherren zu stellen.[14]

Die persönlichen Vorrechte der Mitglieder des Adels betrafen den besonderen Gerichtsstand, bestimmte Vorrechte im Kriminalprozess und das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Weiterhin besaß er das Recht auf Siegelmäßigkeit, Nachlassinventur und auf die Errichtung von Fideikommissen. Ebenso hatte der Adel in der Regel des Recht zur Ausübung der Niedergerichtsbarkeit und oftmals auch der Hochgerichtsbarkeit inne. So wie die unbeschränkte Lehensfähigkeit gehörten auch zahlreiche Vorrechte bezüglich der Jagd-, des Zoll-, Maut- und Steuerwesens ebenso zu den adeligen Privilegien. Hinzu kamen noch gewisse, Kleidung und Titulatur betreffende Ehrenvorrechte.[15]

Die Umbrüche zu Beginn des 19. Jahrhunderts konfrontierten den Adel mit völlig neuen Gegebenheiten. Die Französische Revolution, die Auflösung der katholisch-adeligen Reichskirche sowie die mit dem Ende des Alten Reiches erfolgten Mediatisierungen in den Jahren 1803 / 1806 führten zu großen Veränderungen in der eingangs beschriebenen Situation adeliger Privilegien und sonstiger Standesrechte.[16]

Erfolgte beispielsweise die Angleichung des nobilitierten Adels an die alten adeligen Familien in der frühen Neuzeit aufgrund der geringen Menge noch recht problemlos, so wurde ab 1815 „die Lage dramatisch“[17]: alle sechsunddreißig Fürsten des Deutschen Bundes verfügten nun über das Recht zur Verleihung des Adelstitels.[18] Die daraus resultierende große „Nobilitierungswelle“[19] führte zu voluminösen Protesten, da „eine Abwertung des Adelsprädikats drohte“[20].

Die Verluste an Landbesitz – ein wesentlicher Faktor zur Behauptung in der modernen Welt – konnten nur durch hartnäckige Verteidigungsstrategien in Grenzen gehalten werden.[21]

Appropriationsvorteile, die zum Beispiel den Zugang zu bestimmten Ämtern schon durch das Geburtsrecht sicherten, konnten ausschließlich mit hohen Anpassungsleistungen verteidigt werden, denn „[s]tändische Qualitäten begründeten nun keine Ansprüche mehr“[22].

Ebenso wie die Hoheitsrechte über gewisse Sachen und Personen durch die Privatisierung des Eigentums verschwanden, erodierte im 19. Jahrhundert die Legitimation des Adels durch Gottesgnadentum und konnte trotz aller Versuche nicht aufrecht erhalten werden.[23]

Der niedere Adel verlor im Gegensatz zum hohen, regierenden Adel seine Vorzugsstellung wesentlich schneller. Nach 1848 besaß er nur noch sehr wenige Privilegien und Herrschaftsrechte.[24]

[...]


[1] Vgl. Conze, Eckart: Deutscher Adel im 20. Jahrhundert. Forschungsperspektiven eines zeithistorischen Feldes. In: Deutscher Adel im 19. und 20 (wie Anmerkung 10), S. 20-21.

[2] Noch 1990 konnte Hans-Ulrich Wehler die Forschungslage mit diesem Begriff umschreiben, vgl. Europäischer Adel 1750-1950 (wie Anmerkung 10), S. 11.

[3] Vgl. Conze, Eckart/Wienfort, Monika: Einleitung. Themen und Perspektiven historischer Adelsforschung zum 19. und 20. Jahrhundert. In: Adel und Moderne (wie Anmerkung 10), S. 1.

[4] Die explizite Fokussierung allein auf den niederen deutschen Adel konnte in der vorliegenden Arbeit aufgrund fehlender, wissenschaftlicher Einzeldarstellungen zu diesem Thema nicht aufrecht erhalten werden. Einzelne, eher zusammenfassende Kapitel müssen deshalb auf vermischten, nicht klar abgrenzbaren Darstellungen und Inhalten basieren, denn bis dato fehlt nämlich noch eine systematische, wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser breit gefächerten Heterogenität, vgl. Marburg, Silke: Hochadelige Binnenkommunikation als Voraussetzung für die Generierung von Hochadeligkeit. Das Beispiel König Johanns von Sachsen (1801-1873). In: Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert (wie Anmerkung 10), S. 301. Die Beschränkung auf den niederen Adel ist aber notwendig, da der Hochadel trotz vieler Bezüge von dieser Gruppe abzugrenzen und eher einer eigenständigen Betrachtung wert ist, vgl. Conze, Deutscher Adel (wie Anmerkung 1), S. 19, Anm. 8.

[5] Vgl. Conze, Deutscher Adel, S. 21.

[6] Dieser Begriff wurde entnommen aus: Braun, Rudolf: Konzeptionelle Bemerkungen zum Obenbleiben: Adel im 19. Jahrhundert. In: Europäischer Adel 1750-1950 (wie Anmerkung 10), S. 87-95.

[7] Vgl. Marburg, Silke/Matzerath, Josef: Vom Stand zur Erinnerungsgruppe. Zur Adelsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Der Schritt in die Moderne (wie Anmerkung 9), S. 9-10. Im 19. Jahrhundert muss aufgrund großer Unregelmäßigkeiten im Entwicklungsstand der einzelnen Territorien von regional unterschiedlichen Adelstraditionen ausgegangen werden, vgl. Reif, Adel (wie Anmerkung 11), S. 1.

[8] Vgl. Conze, Adelsforschung (wie Anmerkung 3), S. 1.

[9] Marburg, Silke/Matzerath, Josef (Hgg.): Der Schritt in die Moderne. Sächsischer Adel zwischen 1763 und 1918. Köln, Weimar, Wien 2001.

[10] Wehler, Hans-Ulrich (Hg.): Europäischer Adel 1750-1950. Göttingen 1990 (= GG Sonderheft 13). Conze, Eckart/Wienfort, Monika (Hgg.): Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2004. Schulz, Günther/Denzel, Markus A. (Hgg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert. St. Katharinen 2004.

[11] Saint-Martin, Monique de: Der Adel. Soziologie eines Standes. Konstanz 2003 (= édition discours, Bd.8). Conze, Eckart: Von deutschem Adel. Die Grafen Bernstorff im 20. Jahrhundert. München 2000. Endres, Rudolf: Adel in der frühen Neuzeit. München 1993 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd.18). Reif, Heinz: Adel im 19. und 20. Jahrhundert. München 1999 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd.55).

[12] Vgl. Braun, Obenbleiben (wie Anmerkung 6), S. 88.

[13] Zitiert nach: Reif, Adel, S. 3.

[14] Vgl. Reif, Adel, S. 3.

[15] Endres, frühe Neuzeit, S. 3-4.

[16] Vgl. Reif, Adel, S. 40.

[17] Zitiert nach: Reif, Adel, S. 5.

[18] Ebd.

[19] Ebd., S. 34

[20] Ebd.

[21] Ebd., S. 9-11.

[22] Ebd., S. 16.

[23] Vgl. Braun, Obenbleiben, S. 88.

[24] Vgl. Reif, Adel, S. 3.\

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Behauptung und Bedeutungsschwund. Der niedere deutsche Adel im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Geschichte)
Veranstaltung
Zeitzeugen sächsischer Geschichte - Sommersemester 2004
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V38846
ISBN (eBook)
9783638377980
ISBN (Buch)
9783638790376
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Behauptung, Bedeutungsschwund, Adel, Beginn, Jahrhunderts, Zeitzeugen, Geschichte, Sommersemester
Arbeit zitieren
Henriette Kunz (Autor:in), 2005, Behauptung und Bedeutungsschwund. Der niedere deutsche Adel im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38846

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