Ereignisdeutung durch Zeitverdichtung in Medien

Diskussion einer medientheoretischen These


Seminararbeit, 2002

22 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Einleitung

In dieser Arbeit will ich eine These aus dem Paper zur Vorlesung „Das medientheoretische Trivium“ genauer beleuchten. Bei dieser These handelt es sich um die Feststellung:

„Nachdem die Auswahl der typischen Momentaufnahmen oder Einzelszenen nach den Schemata des Berichterstatters erfolgt, ergibt sich durch die Zeitverdichtung zwangsläufig auch eine Einschränkung der Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten, die Ereignissen innewohnen.“[1]

Dem kann ich eigentlich nur beipflichten, denn bei der Produktion von Medien werden Inhalte von den Produzenten zu den Rezipienten vermittelt; und bei jeglicher Art von kommunikativer Weitergabe von Informationen, werden die Informationen verändert oder zumindest durch die Weitervermittlung „gefärbt“.

Die Zeitverdichtung spielt bei der Weitervermittlung von Ereignissen eine ganz zentrale Rolle. Denn ein Ereignis kann von einer Einzelperson oder auch von mehreren Personen die es erleben, nicht in all seinen Facetten wahrgenommen werden. Der Reporter, der vor Ort ist, um ein Ereignis wahrzunehmen und es anschließend weiterzuvermitteln, kann immer nur den Teil des Ereignisses vermitteln, den er von seinem Standpunkt aus wahrnimmt. Grundsätzlich ist es eher selten, dass ein einzelner Reporter ein Ereignis in voller Länge miterlebt, beispielsweise bei Katastrophen oder anderen plötzlichen Ereignissen, über die häufig berichtet wird. Hier muss sich ein Reporterteam auf Berichte von Augenzeugen verlassen. Bereits diese Berichte arbeiten zeitverdichtend, denn natürlich arbeitet auch Kommunikation von nur einem Mensch zum anderen mit Zeitverdichtung.

Erlebt jemand etwas, beschreibt er einem zweiten das Erlebnis nicht in voller Länge und mit allen Einzelheiten, sondern er hebt nur das heraus, was ihm wichtig erscheint. Eine interessante Tatsache, die man an sich selbst beobachten kann, ist, dass man schon hier je nach dem Gegenüber selektierend verfährt. Man teilt vielleicht seinem Partner andere Elemente desselben Ereignisses mit, als seiner Mutter oder einem flüchtigen Bekannten. Automatisch wird der Inhalt auf den Rezipienten abgestimmt, ohne eigentlich etwas daran zu verändern, sondern lediglich durch die Auswahl „passender Szenen“.

Solch eine Auswahl geschieht bei der Weiterleitung von Nachrichten ständig. Der Augenzeuge schildert das, was er für relevant hält bzw. von dem er glaubt dass es der Reporter für relevant hält. Das Reporterteam wählt wiederum die Informationen aus verschiedenen Augenzeugenberichten und eigenen Erlebnissen aus, die es als weiterleitungswürdig erachtet. Diese Informationen werden dann häufig mittels Nachrichtenagenturen an viele verschiedene Medien weitergeleitet. Hier wird die Information dann weiterverarbeitet. Je nach verfügbarem/r Raum (Zeitung), Zeit (Radio, Fernsehen), Blattlinie, Sendungskonzept aber auch nach persönlichen Intentionen und Schemata werden Informationen ausgewählt. Jedes Medium hat seine ihm eigenen Beschränkungen und verlangt bei der Weitervermittlung von Informationen nach bestimmten Vorgehensweisen. Zusätzlich ist jede Zeitung, jeder Sender auf ein bestimmtes Publikum, eine bestimmte Zielgruppe hin ausgerichtet, und versucht die vermuteten Bedürfnisse dieser Zielgruppe zu befriedigen. Zeitverdichtung und Informationsselektion passieren also in jedem Medium, und müssen in jedem Medium passieren. Denn auch in der Textlinguistik heißt es: „Ein Text sollte so implizit wie möglich und so explizit wie nötig sein“. Würde bei einer kommunikativen Weiterleitung eines Ereignisses jede Facette des Ereignisses genauestens erklärt werden, so wäre dies schlichtweg langweilig. Doch heute wünscht sich die Zielgruppe der Massenmedien immer schnellere und leichter verständliche Information. Oder wie es der Linguist Ulrich Schmitz ausdrückt:

„Massenmediale Informationen und insbesondere Nachrichten versuchen, den Lauf der Dinge möglichst zeitgleich zu protokollieren und für den Tag festzuhalten. So tragen sie zur weiteren Beschleunigung bei. Denn wo schnelle Information technisch möglich ist, wird sie auch sozial erwartet.“ [2]

Dieser Trend zu immer kürzeren Nachrichten, „newsflashs“ und ähnlichem ist meiner Ansicht nach eindeutig negativ zu beurteilen. Denn diese kurzen Ausschnitte aus einem Ereignis machen es für den Produzenten notwendig immer stärker zu selektieren und für den Rezipienten unmöglich größere Zusammenhänge die zu einem Ereignis führen, zu begreifen. Denn ein solches Nachrichtenformat lässt keinen Raum für Erklärungen oder das Berichten von mit dem Ereignis zusammenhängenden Ereignissen. Das ist natürlich nicht nur bei den Fernsehnachrichten der Fall, sondern auch bei Zeitungen, in denen häufig nur noch die Überschriften, und vielleicht der einleitende Kurztext gelesen werden. Auch bei Radiosendungen geht der Trend immer mehr zu kurzen Nachrichten (mehr Musik). Hier sei angemerkt, dass ich keineswegs die „bösen Medien“ beschuldigen will, durch ihre starke Informationsselektion die Meinung der Massen zu manipulieren. Denn erstens ist die Auswahl der Information, die Journalisten treffen im Normalfall keine manipulative, sondern viel eher eine intentionale. Es muss im Hinblick auf das Sendeformat und das Zielpublikum eine Auswahl getroffen werden. Es liegt am Rezipienten selbst, wie intensiv er sich mit einem Ereignis auseinandersetzen möchte. Will er nur eine kurze Grundinformation, kann er natürlich nur die oben erwähnten Formate nutzen, doch er muss sich dabei darüber im Klaren sein, ein nur sehr lückenhaftes Bild des Ereignisses zu bekommen. Will er sich näher mit dem Inhalt auseinandersetzen gibt es viele Möglichkeiten eine genauere und längere Beschreibung eines Ereignisses zu erhalten (nicht zuletzt das Internet). Ereignisdeutung ist also grundsätzlich nicht nur Sache des Produzenten, sondern auch des Rezipienten. Dieser pickt aus einer Überfülle von Informationen, der er jeden Tag ausgesetzt ist, auch immer nur die für ihn jeweils relevanten heraus. So geschieht vom Augenzeugen bis zum Rezipienten eine Art „Stille Post“. Informationen werden über eine ganze Kette von Instanzen weitergeleitet.

In meiner Arbeit habe ich mich hauptsächlich mit Fernsehnachrichten beschäftigt, da diese u.a. meiner Meinung nach am deutlichsten Ereignisse weiterleiten und deuten.

Interessant wäre es natürlich auch, die Mechanismen in einer live – Übertragung, z.B. eines Fußballspiels zu beobachten. Denn obwohl hier scheinbar keine Zeitverdichtung passiert, kann man sie doch, zumindest in kleinem Rahmen, finden. Denn erstens kann ein einzelner Mensch wie schon erwähnt, ein Ereignis nicht mit allen seinen Facetten erleben, bzw. wiedergeben. Bei einer Fußballübertragung wird dies durch den Kommentar verdeutlicht. Der Kommentator erklärt möglichst zeitgleich zum Geschehen das, was passiert, bzw. was er persönlich wahrnimmt. Zusätzlich dazu flicht er Erklärungen zu vergangenen Spielen und Ergebnissen der spielenden Mannschaft ein. Auch Zukunftsprognosen dürfen meist nicht fehlen. Zeitverdichtung arbeitet also überall.

Bei Zeitungsartikeln sind die dazugehörigen Bilder nicht zu unterschätzen, denn sie werden anders und schneller wahrgenommen als der Text. Und auch Bilder wirken stark zeitverdichtend, denn ein Bild sagt zwar sprichwörtlich mehr als tausend Worte, im Grunde aber oft viel weniger. Denn bei modernen Zeitungsnachrichten hat das Bild die Funktion das Geschriebene zu unterstützen oder zu ergänzen. Oft ist es natürlich nur reine Dekoration. All diese Bilder sind textabhängig, und ohne diesen meist nicht zur Gänze verständlich.

Meine praktische Analyse beschränkt sich also auf Nachrichten. Und zwar auf Fernsehnachrichten. Mit diesen Analysen will ich feststellen, ob Zeitverdichtung tatsächlich einen so starken Einfluss auf die Deutung eines Ereignisses hat. Natürlich ist eine solche Analyse immer problematisch, da wir Ereignisse, die in den Nachrichten vermittelt werden, für gewöhnlich nicht persönlich miterleben. Somit blieb mir nur der Vergleich von verschiedenen Fernsehsendungen, die über das gleiche Ereignis berichten. Dadurch hoffe ich herausfinden zu können, inwiefern Ereignisse durch unterschiedliche Informationsselektion unterschiedlich gedeutet werden. Vor allem auch, wie ein kurzer Bericht im Gegensatz zu einem längeren Bericht wahrgenommen wird, und welche Unterschiede sich allein durch das Weglassen verschiedener Informationen ergeben.

Analyse

Bei meiner Analyse ging ich so vor, dass ich die verschiedenen Nachrichtensendungen eines Tages auf Video aufnahm, in der Hoffnung, das prinzipiell die gleichen Ereignisse behandelt werden würden. Ich versuchte generell Nachrichtensendungen aufzuzeichnen, die zwar im Prinzip alle ein ähnliches Format hatten (Abendnachrichten), die sich aber trotzdem, vor allem in der Länge unterschieden. Denn dadurch wollte ich versuchen herauszufinden inwieweit die Länge einer Nachricht nun tatsächlich relevant ist, wenn es darum geht ein möglichst „objektives“ Bild eines Ereignisses zu zeigen. Ich zeichnete also die Abendnachrichten des 1.Mai 02 auf, und zwar auf den Sendern: Kabel1, VOX, SAT1, ZDF,ORF, Pro7, RTLII und arte. Beim Ansehen musste ich als erstes feststellen, dass die Nachrichten auf Kabel1, SAT1 und Pro7 offensichtlich von derselben Nachrichtenagentur gestaltet wurden, denn es gab sehr starke Ähnlichkeiten, vor allem bei Pro7 und Kabel1, weshalb ich die Pro7 Nachrichten nicht extra analysierte. Während der Analyse kristallisierten sich einige interessante Ergebnisse heraus. Zum einen gab es im Allgemeinen eine sehr große Ähnlichkeit der verschiedenen Berichte. Es wurden immer wieder dieselben Bilder und auch Kommentare verwendet. Aber bei genauerem Hinsehen ergaben sich auch Unterschiede. Schon allein die Länge, die der Bericht über ein Ereignis hat, misst dem Ereignis eine bestimmte Relevanz zu. Zeitverdichtende Elemente waren in allen Nachrichten klarerweise das Herauspicken verschiedener Einzelereignisse und Einzelbilder. Wenn es beispielsweise um Ausschreitungen oder Krawalle ging, wurden meist Steine werfende Demonstranten, laufende Polizisten, verletzte Personen oder ein brennender Haufen Müll auf einer Straße gezeigt. Dies sind aber nur die Bilder, die der jeweilige Kameramann festhalten konnte, alles andere, z.B. wie es zu den Verletzten kam, oder wie die Polizei von den Ausschreitungen erfuhr, muss sich der Rezipient selbst denken. Das ist nur natürlich, denn man kann nicht jede Einzelheit explizit mitteilen. Zeitverdichtung geschah aber auch immer wieder durch Kommentare, die zurückgreifen auf Ereignisse, die schon vorher passierten, und solche die nachher passieren könnten oder passieren werden. Dadurch werden Ereignisse in einen bestimmten Rahmen gestellt, in Zusammenhang gebracht. Doch diese Art der Zeitverdichtung war eigentlich bei allen Sendern sehr ähnlich. Anders das Herauspicken verschiedener Bilder, denn bei genauem Hinsehen fielen hier Unterschiede auf. Diese Unterschiede möchte ich nun genauer darlegen, und zwar anhand eines Beispiels. Bei den Nachrichten an diesem 1.Mai fielen mir die Berichte zu einer Gewerkschaftsversammlung in Leipzig auf, an der auch der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder teilnahm.

[...]


[1] Bernhard Pelzl: Das medientheoretische Trivium: Ästhetik – Semiotik – Rhetorik. Ein Kompendium. Paper zur Vorlesung WS 2001/02 SS 2002

[2] http://www.linse.uni-essen.de/papers/monument.htm

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Ereignisdeutung durch Zeitverdichtung in Medien
Untertitel
Diskussion einer medientheoretischen These
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V40645
ISBN (eBook)
9783638391160
ISBN (Buch)
9783638692489
Dateigröße
603 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ereignisdeutung, Zeitverdichtung, Medien
Arbeit zitieren
Magdalena Mayer (Autor:in), 2002, Ereignisdeutung durch Zeitverdichtung in Medien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40645

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