Bürgerschaftliches Engagement im europäischen Vergleich


Studienarbeit, 2005

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Entstehung und Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements
2.1 Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement im europäischen Kontext
2.2 Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements im gesellschaftlichen Wandel
2.3 Engagierte gestern und heute

3 Ordnungsmodelle
3.1 Das etatistische Ordnungsmodell
3.2 Das sozialdemokratische Ordnungsmodell
3.3 Das korporatistische Ordnungsmodell
3.4 Das liberale Ordnungsmodell

4 Großbritannien
4.1 Staatliche Voraussetzungen
4.1.1 Bürgerschaftliches Engagement als mitgestaltendes Element des Sozialstaats
4.1.2 Staatliche Oberhand in Fragen der Engagementförderung
4.2 Aktuelle Projekte
4.2.1 „Make a difference“ auf vielen Ebenen
4.2.2 Der Warner Report
4.2.3 Millennium Volunteers

5 Niederlande
5.1 Staatliche Voraussetzungen
5.1.1 Traditionslinien des bürgerschaftlichen Engagements
5.1.2 „Ride the trend“ auf allen Ebenen
5.2 Aktuelle Projekte
5.2.1 Das Programm der sozialen Aktivierung
5.2.2 Spezialisierte Maßnahmen in der Freiwilligenarbeit
5.2.3 Veränderte Strukturen

6 Deutschland
6.1 Staatliche Voraussetzungen
6.1.1 Mehr als Ehrenamt
6.1.2 Förderung durch den Staat
6.2 Aktuelle Projekte
6.2.1 Enquete-Kommission
6.2.2 Aktion Tagewerk
6.2.3 Förderung von Engagement

7 Europäische Perspektiven

1 Einführung

Im Folgenden werde ich nach einem allgemeinen Blick auf die Geschichte des bürgerschaftlichen Engagements und dir Ordnungsmodelle nach Anheier/Toepler die Freiwilligenarbeit in drei europäischen Ländern – nämlich in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland – genauer betrachten. Am Ende arbeite die erfolgreichen Ansätze heraus und welche davon in Europa weiter entwickelt werden.

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier gleich gesagt, dass ich im folgenden Text den Begriff des Bürgers – wie den des Menschen – immer auch in der weiblichen Form denke und meine, aber nicht schreibe.

2 Entstehung und Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements

2.1 Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement im europäischen Kontext

Bei dem deutschen Begriff des Ehrenamtes, der in den anderen Ländern völlig unbekannt ist und auch schlecht zu übersetzen, handelt es sich um einen geschichtlich geprägten Begriff. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Preußen „die Entstehung von Kommunen als selbstverwaltete lokale Gemeinwesen“ (EK 2002: 32) gefördert und im Rahmen dieser Selbstverwaltung wurden die Bürger ehrenamtlich für ihre Gemeinde tätig. Diese Tätigkeiten gereichten den Ehrenamtlichen zur Ehre, sie waren gesellschaftlich anerkannt und aufgrund ihrer festgelegten Verantwortlichkeit auch amtlich.

Im Laufe der Zeit bürgerte sich der Begriff des Ehrenamts für viele unentgeltliche Tätigkeiten im Gemeinwesen, in Vereinen und Organisationen ein, auch wenn nicht alle diese Tätigkeiten den Merkmalen der Ehre und des Amtes entsprachen – wie etwa die Trainertätigkeit im Verein.

Um aber auch eine internationale Vergleichbarkeit zu erreichen und alle Formen der Mitwirkung am Gemeinwesen, auch etwa Spenden, Mitwirkung in Selbsthilfegruppen, in Umweltorganisationen und ähnliches, zu erfassen, wurde der Begriff des Engagements eingeführt.

Bürgerschaftliches Engagement im Speziellen beinhaltet auch noch die gesellschaftstheoretische Ebene. Im Zentrum steht der Bürger, also das Mitglied eines Gemeinwesens.

„Bürgergesellschaft ist die Vision einer politischen Gemeinschaft, in der nicht allein oder vorrangig der Staat und seine Institutionen für die Zukunft der politischen Gemeinschaft Verantwortung tragen. Bürgergesellschaft heißt, sich von der Vorstellung der Allzuständigkeit des Staates zu verabschieden, zuzulassen und zu fordern, dass (...) Bürger in größerem Maße für die Geschicke des Gemeinwesens Sorge tragen. Bürgergesellschaft ist eine Gesellschaft selbstbewusster und selbstverantwortliche Bürger, eine Gesellschaft der Selbstermächtigung und Selbstorganisation“ (EK 2002: 33).

Der Begriff Bürgerschaftliches Engagement ist also ein Kunstbegriff, bei dem schwerpunktmäßig herausgestellt werden soll, dass es sich um freiwillige, unentgeltliche und gemeinschaftsbezogene Tätigkeiten handelt, also nicht um Arbeit oder auch nicht um rein individuelle Freizeitaktivitäten.

2.2 Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements im gesellschaftlichen Wandel

Das Engagement der Bürger hat auch immer etwas mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun. Das Ehrenamt als solches war im 19. Jahrhundert noch politisch besetzt, später wurde dies auch auf Vereine, Kirchen und soziale Dienste ausgeweitet. Heute ist es jede Form der unentgeltlichen Tätigkeit für da Gemeinwesen, die vom einzelnen freiwillig geleistet wird.

Neben den Einsparungen für den Staatshaushalt verfolgt jede Regierung und jede Zeit auch ihre eigenen Ideologien im Zusammenhang mit dem bürgerschaftlichen Engagement. So ist es etwa in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wichtig, den Menschen sinnvolle Beschäftigungen anbieten zu können und damit auch den Verbleib in der Gesellschaft zu sichern. Dazu können bürgerschaftliche Engagements beitragen, wenn sie auf die individuellen Bedürfnisse passen. So kann das Bürgerengagement in seiner heutigen Form verstanden werden als „der soziale Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält“ (EK 2002: 59).

2.3 Engagierte gestern und heute

Gerade im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements finden sich die verschiedensten Aktivitäten, wie die Bestandsaufnahme der Enquete Kommission des Bundestages zeigt. Neben politischem und sozialem Engagement findet sich Engagement in Vereinen, Verbänden, Kirchen, Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement in und von Unternehmen. Es gibt nicht nur die Möglichkeit der eben aufgezeigten Zeitspenden, sondern auch Formen der monetären Unterstützung, die zum bürgerschaftlichen Engagement gezählt werden.

Diese unterschiedlichen Formen von Engagement zeigen, dass es die unterschiedlichsten Motive für Bürgerengagement gibt.

Selbsthilfegruppen sind getragen von einem gemeinsamen Problem, während Engagement von Unternehmen auch im Sinne der Unternehmenskultur gesehen werden muss. (Vgl. ebd.: 26 ff.).

Im Vorwort zum Bericht der Enquete Kommission spricht Dr. Michael Bürsch im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements von einem „Strukturwandel in den Motiven der engagierten (...) Bürger“ (ebd.: 2). Im Gegensatz zu langfristigen Engagements der Vergangenheit, die aus einer Verbundenheit zur Organisation (wie etwa der Kirche) oder der Liebe zu diesem Verein bestehen blieben, „engagieren sich heute immer mehr Menschen eher spontan und projektförmig“ (ebd..: 2).

3 Ordnungsmodelle

In Anlehnung an die drei Wohlfahrtsstaatmodelle von Gösta Esping-Andersen[1] haben Lester Salamon und Helmut K. Anheier in ihrem Social Origins Ansatz vier Regimetypen im Hinblick auf den Nonprofit-Sektor vorgeschlagen. Unterschieden werden diese Ordnungsmodelle „mit Hilfe von zwei zentralen Variablen: einerseits die Höhe der staatlichen Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt als Indikator für die Rolle des Staates in der Gesellschaft; und anderseits die wirtschaftlich-monetäre Größe des Nonprofit-Sektors“ (Anheier/Toepler 2003: 33).

3.1 Das etatistische Ordnungsmodell

Das etatistische Ordnungsmodell finden wir in Europa nicht, obwohl Italien tendenziell etatistische Strukturen zeigt. Es handelt sich bei diesem Modell um eine staatlich dominierte Sozialpolitik, wie sie zum Beispiel in Japan oder in einigen Entwicklungsländern praktiziert wird (vgl. Anheier/Toepler 2002: 36). Kennzeichnend sind neben niedrigen Sozialleistungen des Staates ein geringes Spendenaufkommen und die Tatsache, dass bürgerschaftliches Engagement kaum vorkommt.

Der Staat übt in etatistischen Ländern „die Macht im eigenen Namen oder für bestimmte gesellschaftliche Gruppen aus, typischerweise für Wirtschaftseliten“ (ebd..: 36). Arbeiter und Intellektuelle organisieren sich kaum in Gruppen, religiöse Gemeinschaften und andere zivilgesellschaftliche Institutionen sind machtlos und die Menschen sehr autoritätshörig.

Da man in Zusammenhang mit dem etatistischen Ordnungsmodell nicht von einem Wohlfahrtsstaat sprechen kann, findet sich hier kein Bezug zu Gösta Esping-Andersens Modell.

Es bleibt festzuhalten, dass es in Ländern mit etatistischem Ordnungsmodell keine gleichmäßige Entwicklung gibt, auch wenn ein leichter Aufwärtstrend zu verzeichnen ist. In Japan helfen zum Beispiel neue Gesetze, die Einstellung zum Dritten Sektor zu verändern. Es wird etwas mehr Geld für diesen verwendet, die japanische Regierung „übt aber weiterhin eine relativ starke Kontrolle über die Zielsetzung und das Finanzgebaren von gemeinnützigen Organisationen aus“ (ebd.: 51), was sich auch wieder negativ auswirken kann.

3.2 Das sozialdemokratische Ordnungsmodell

Im Social Origins Ansatz versteht man unter dem sozialdemokratischen Modell ein staatlich finanziertes Wohlfahrtssystem, das sich durch starkes bürgerschaftliches Engagement auszeichnet. Es steht also genau im Gegensatz zum etatistischen System. Sowohl der Staat als auch die Bürger selbst engagieren sich für die sozialen Belange. Während soziale Dienstleistungen vorrangig staatlich finanziert und organisiert sind, sind Non-Profit Unternehmen Mittel, um „politische, soziale und kulturelle Interessen zum Ausdruck zu bringen“ (Anheier/Toepler.: 34).

Zu diesem sozialdemokratischen Modell – der Begriff entspricht dem von Gösta Esping-Andersen in seinem Modell der drei Wohlfahrtsstaatwelten – gehören die skandinavischen Länder, nämlich Schweden, Norwegen und Finnland.

Veränderungen sind in sozialdemokratischen Regimes momentan nicht zu erwarten, denn die die Bedingungen in diesen Ländern sind „sowohl im Bereich Ehrenamtlichkeit als auch in zivilgesellschaftlichen Aspekten“ (ebd.: 50) sehr stabil.

3.3 Das korporatistische Ordnungsmodell

Als korporatistisches Ordnungsmodell bezeichnen Lester Salamon und Helmut K. Anheier „ein weitgehend staatlich finanziertes Wohlfahrtsmodell, in dem (...) Nonprofit-Gruppierungen nach und nach eine große Rolle zu spielen begannen“ (Anheier/Toepler 2002: 35). Dieses Muster trifft zum Beispiel auf Frankreich, Österreich die Niederlande und auch Deutschland zu. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht so ausgeprägt wie in sozialdemokratischen oder auch liberalen Staaten.

Im Modell von Esping-Andersen entspricht diesem Modell das konservative Wohlfahrtsmodell, in dem es ein hohes Maß an sozialer Sicherung für Lohnarbeiter gibt, die Umverteilung der Mittel von den Reichen zu den Armen aber gering ist (vgl. Hiß/Jahn).

Helmut K. Anheier und Stefan Toepler stellen fest: „Korporatistische Länder zeichnen sich durch eine hohe Entwicklung der Dienstleistungsfunktion des Dritten Sektors aus, verbunden mit einer wenig ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Orientierung“ (Anheier/Toepler 2002: 50). Hier gibt es nun verstärkt Initiativen, die Stellung des bürgerschaftlichen Engagements neu zu definieren und sich den Herausforderungen einer veränderten Gesellschaft zu stellen. Staatliche Reformen und ein neues Bewusstsein sollen helfen, den Dritten Sektor zu stärken und zu mehr Engagement der Bürger in ihrer Zivilgesellschaft führen. (Vgl. ebd.: 50)

[...]


[1] Gösta Esping-Andersen unterteilte die Staaten in drei Wohlfahrtsmodelle, deren Unterscheidung im Grad ihrer Dekommodifizierung liegt. Dekommodifizierung bedeutet, wie wenig notwendig es für den einzelnen Bürger zum Überleben ist, seine Arbeitskraft am Markt zu verkaufen.
In Großbritannien – wie in den USA – herrscht das angelsächsische Modell, das sich durch einen niedrigen Grad an Dekommodifizierung auszeichnet, denn dort gibt es nur geringe soziale Ansprüche an den Staat.
Deutschland, die Niederlande und Frankreich entsprechen dem konservativen Wohlfahrtsstaat nach Esping-Andersen, der Dekommodifizierungsgrad ist mittel, die sozialen Ansprüche an den Arbeitsmarkt gekoppelt.
In den skandinavischen Ländern schließlich finden wir das sozialdemokratische Modell, welches durch einen hohen Grad der Dekommodifizierung gekennzeichnet ist. Die sozialen Bürgerrechte sind besonders ausgeprägt und eine Gleichheit der Bürger auf höchstem Niveau wird angestrebt (Vgl. Hiss/Jahn 2003).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Bürgerschaftliches Engagement im europäischen Vergleich
Hochschule
Hochschule München
Veranstaltung
Theorien, Werte, Normen und Geschichte der Sozialen Arbeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V49382
ISBN (eBook)
9783638458542
ISBN (Buch)
9783638764513
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bürgerschaftliches, Engagement, Vergleich, Theorien, Werte, Normen, Geschichte, Sozialen, Arbeit
Arbeit zitieren
Ulrike Tremmel (Autor:in), 2005, Bürgerschaftliches Engagement im europäischen Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49382

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