Intermedialität - Umgestaltung der narrativen Strukturen in Tarkowskijs filmischer Adaptation des Romans "Solaris" von Stanislaw Lem


Bachelorarbeit, 2006

43 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Analyse der filmischen und literarischen Narrativik
2.1 Die Ebene der Erzählung
2.1.1 Figurenkonstellationen: Kelvin, seine Familie und das Ozean
2.1.2 Veränderungen in der Handlung am Beispiel von Prolog und Epilog
2.2 Die Ebene des Erzählens
2.2.1 Erzählperspektive im Roman und Film-Kamera als Erzählinstanz
2.2.2 Zeitgestaltung: Ordnung, Dauer und Frequenz
2.3 Montage im Roman und Film
2.3.1 Rhythmische Beziehungen der Montage. Beispielszene: Bertons Fahrt durch den Tunnel
2.3.2 Räumliche Beziehungen der Montage Beispielszene: Traumsequenz
2.3.3 Zeitliche Beziehungen der Montage. Beispielszene: Betrachtung der Gemälde Breughels und Schwerelosigkeitsszene

3. Andere filmspezifische Techniken: Ebene des Tons, Lichts und der Farbgestaltung

4. Resumeè

5. Bibliographie

1. Einleitung

Es wird endlich Zeit, Literatur und Film voneinander abzukoppeln.[1]

Literatur und Film, zwei verschiedene Medien, die eine ähnliche Funktion haben: den Menschen als Leser oder Zuschauer auf einer Gefühls- und Ge-dankenebene zu berühren. Die Vermittlung der Inhalte durch beide Medien folgt aber auf eine unterschiedliche Weise: Literatur vermittelt durch Worte, der Film dagegen durch Bilder, Töne und Sprache. Was passiert aber mit Inhalt und Rezeption, wenn das Medium wechselt? Welche Unterschiede gibt es bei der Literaturverfilmung, wenn man den Film mit der literarischen Vorlage vergleicht? Inwieweit wird der literarische Stoff verändert und welche Fak-toren haben Einfluss darauf?

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel den Medienwechsel am Beispiel von Tarkowskijs Film Soljaris und Lems Roman Solaris zu untersuchen, mit besonderer Berücksichtigung der narrativen Struktur.

Die Analyse der narrativen Struktur erfolgt auf drei Ebenen: die Ebene der Erzählung, des Erzählens und der Montage. Am Beispiel von ausgewählten Szenen werden die Unterschiede zwischen dem Roman und dem Film auf der Handlungs-, Figuren-, Zeit-, und Raumebene deutlich gemacht. Im letzten Kapitel werden die filmspezifischen Techniken wie Ton, Musik, Licht und Farbgestaltung charakterisiert. Zu beantworten bleiben die Fragen: inwieweit beeinflussen die Veränderungen in der filmischen Transformation im Vergleich zum literarischen Ausgangstext die Interpretation des Romans? Wie wird der wissenschaftliche Diskurs im Film umgesetzt? Welche Rolle spielen die zusätzlichen Figuren? Welche Erzählinstanz gibt es in dem Film? Was bedeutet die Montage und Begrifft der Zeit für Tarkowskij?

Bevor ich auf diese Fragen genauer eingehe, möchte ich ein paar Worte zu den theoretischen Ansätzen über Intermedialität zwischen Literatur und Film sagen. Intermedialitätsforschung untersucht die Beziehungen zwischen den Medien.

Es gibt viele theoretische Auffassungen zu diesem Thema, hier möchte ich

mich aber auf die Konzeption von Irina Rajewsky konzentrieren.

Irina Rajewski erläutert den Begriff der Intermedialität, indem sie drei Phäno-menbereiche abgrenzt. Als erstes erwähnt sie das Phänomen der Medienkom-bination, d.h. aus mindestens zwei Einzelmedien entsteht ein Gesamtprodukt, das intermedial ist. Ein Beispiel dafür ist eine Multimedia-Show, das Variete oder ein Photoroman.

Das zweite Phänomen ist der Medienwechsel, also die Medientransformation. Dazu gehören vor allem die Literaturverfilmungen. Als drittes Phänomen führt sie die intermedialen Bezüge ein. Damit ist gemeint, dass sich innerhalb eines Mediums Bezüge auf ein weiteres Medium finden lassen.

Die Qualität des Intermedialen betrifft in diesem Fall ein Verfahren der Bedeutungskonstitution , nämlich den (fakultativen) Bezug, den ein mediales Produkt zu einem Produkt eines anderen Mediums oder zum anderen Medium qua System herstellen kann.[…] Dies führt dazu, dass das kontaktgebende Medienprodukt oder mediale System in seiner Differenz und/oder Äquivalenz >mitrezipiert< wird.[2]

Für folgende Analyse sind vor allem das zweite Phänomen, der Medienwechsel und das dritte Phänomen, die intermedialen Bezüge relevant, auf die ich zuerst eingehen möchte. Bei diesem Phänomen geht es vor allem um „Möglichkeiten und Funktionen intermedialer Verfahren der Bedeutungskonstitution“. Man be-schäftigt sich mit der Frage, „wie sich mit Hilfe der dem kontaktnehmenden Medium eigenen Mittel Bezüge zu einem anderen Medium herstellen lassen“[3]. Es geht hier vor allem darum, wie z.B. in einem literarischen Text Elemente eines anderen Mediums, wie Film, Musik oder Malerei aufgenommen werden.

Sowohl in dem Roman als auch im Film lassen sich intermediale Einzel-referenzen unterscheiden. Im Roman ist die Intermedialität auditiv vertreten und verbal markiert. Die für die Handlung wichtigen Informationen werden über ein Tonbandgerät übertragen. Dadurch dass Harey das Tonbandgerät findet und die Kassette abhört, erfährt sie die ganze Wahrheit und will sich umbringen.

A że nie chciałeś nic mówić , wstałam w nocy i puściłam ten magnetofon. […] Wtedy zrozumiałam wszystko, chociaż prawdę mówiąc, dalej nic nie rozumiem. […] Ale i tak usłyszałem dosyć, żeby się dowiedzieć, że nie jestem człowiekem, tylko instrumentem. (SI, S. 164)

Aber weil du nichts sagen wolltest, stand ich in der Nacht auf und ließ dieses Tonband laufen. […] Da verstand ich schon alles, wenn ich auch, um die Wahrheit zu sagen, noch immer nichts verstehe. […] Aber auch so habe ich genug gehört, um zu erfahren, dass ich kein Mensch bin, sondern ein Instrument. (SII, S. 193)

Die intermedialen Bezüge im Film wirken auf den Zuschauer vor allem auf der visuellen Ebene. Es werden Medien der Photographie, der Malerei und der Musik markiert. Das Foto hat in dem Film eine Funktion der Erinnerung und Erkenntnis. Zum ersten mal erscheint das Foto, als Kelvin Abschied von der Erde nimmt: es ist ein schwarz-weißes Bild seiner Mutter. Auf der Station erkennt sich Harey auf der Fotografie, die Kelvin mitgebracht hat. In der zweiundzwanzigsten Sequenz betrachten Harey und Kris ein Gemälde Breu-ghels. Die langsame Kamerafahrt und Detailaufnahmen, ähnlich einer intere-ssanten Überblendungstechnik, unterstützen den nostalgischen Charakter des Filmes. Ein Bezug auf die Malerei wird auch in der letzten Sequenz deutlich. Die Szene vor dem Haus und der vor seinem Vater kniende Kris erinnern an Rembrands Gemälde Der verlorene Sohn. Tarkowskij macht auch Gebrauch aus der Film im Film-Technik. In der zweiten Sequenz zeigt Berton das alte Videomaterial, das die Ereignisse seiner Solaris-Expedition dokumentiert. Diese Technik ermöglicht dem Regisseur die Dialogisierung eines Teiles von Solaristik - Geschichte, die im Roman beschrieben wird. Der Zuschauer erfährt bereits am Anfang von den Eigenschaften des solaristischen Ozeans. Die ganze Sequenz wird in schwarz-weiß gedreht. In der vierten Sequenz erscheint wieder ein TV-Bericht über die Solaristik. Es werden die Wissenschaftler vorgestellt, die noch auf der Station geblieben sind. In der elften Sequenz sieht Kelvin eine Videoaufzeichnung von Gibarian. Er erfährt dadurch von den rätselhaften Ereignissen auf der Station. In der zwanzigsten Sequenz zeigt Kelvin Harey eine Videoaufzeichnung aus seiner Kindheit. Es ist wieder ein Film im Film, diesmal aber in Farbe gedreht. So wie die Fotografie, ist auch dieser Film eine Erinnerung an das irdische Leben. Alle Informationen, die durch verschiedene Medien übertragen werden, sind für die Handlung von Bedeutung.

In den folgenden Kapiteln wird das Phänomen des Medienwechsels zwischen dem Roman und der Verfilmung untersucht, als „Transformation eines medien-spezifisch fixierten Produkts in ein anderes, konventionell als distinkt wahr-genommenes Medium“, wobei „letzteres materiell präsent ist“.[4]

2. Analyse der filmischen und literarischen Narrativik.

Meine Entscheidung, Stanisław Lems Roman zu verfilmen, bedeutet übrigens nicht, dass ich etwa eine Vorliebe für dieses literarische Genre hätte. Wichtig ist viel mehr, dass Lem in Solaris ein mir nahes Thema behandelt hat. Es geht um den Konflikt zwischen Selbstüberwindung, gefestigter Überzeugung und sittlicher Wandlungsfähigkeit einerseits, mit den Bedingtheiten des eigenen Schicksals andererseits. Der geistige Horizont des Romans hat nichts mehr mit der Gattung Sciencefiction gemein. Solaris nur wegen des Genres zu schätzen, würde dem Gehalt nicht gerecht.[5]

Obwohl Tarkowskijs Soljaris als sein erster Sciencefiction-Film gilt, hat er nicht viel gemeinsam mit den westlichen Sciencefiction-Filmen, mit ihren phantastischen Weltentwürfen und ihren neuesten, technischen Ausstattungs-elementen. Tarkowskij verzichtete bewusst auf den Sciencefiction Diskurs, d.h. auf effektvolle Trickaufnahmen und spezielle technische Effekte. Er wollte seinen Film so drehen, „dass beim Zuschauer jeder Eindruck technischer Exotik vermieden wird“[6]. Für ihn war viel wichtiger, sich dem Thema des Prozesses der Selbsterforschung des Menschen und der Grenzen des men-schlichen Daseins zu widmen.

Tarkowskij versteht das Kino als spirituelles Heilmittel für seine Zuschauer. In seinem programmatischen Buch Die versiegelte Zeit schreibt er:

„ Meisterwerke entstehen aus dem Bemühen, ethische Ideale zum Ausdruck zu bringen“[7]. Seine Filme sind auf einer Metaebene direkt und unmittelbar an den Zuschauer gerichtet.

Adressat ist stets sehr direkt der Rezipient. Auf ihn hin ist die Mitteilung konzipiert. […] Immer wieder und häufiger als durch das Wort, suchen die Filmfiguren durch Gesten und Blicke den Kontakt zum Publikum. Der Betrachter wird einbezogen in das Filmgeschehen.[8]

Ein Beispiel dafür ist die Traumsequenz in Soljaris. Die Kamera zeigt erstmal Harey, die am Bett von Kris sitzt. Sie beugt sich über ihn und schaut plötzlich erschrocken hoch in die Kamera. Man hat den Eindruck, als möchte sie dem Zuschauer ins Gesicht blicken. Ein anderes Beispiel ist die Verwendung der Rückenfigur – der Rezipient wird aufgefordert mit den Augen der Figur ins Bild zu schauen. Tarkowskij versteht den Regisseur als einen Künstler, der „die Frage nach dem Spezifischen der Filmkunst auf seine eigene Weise aufwerfen, beantworten und begreifen kann“.[9] Seine Verfilmung ist keine werktreue Kopie des Romans, sondern eine eigene Interpretation des Regisseurs.

Die entscheidenden Veränderungen lassen sich bereits im Prolog feststellen. Im Roman spielt die ganze Handlung auf der Raumstation, im Film hingegen beginnt die Geschichte schon auf der Erde, wo die ganze Familie Kelvins in die Geschichte einbezogen wird. Tarkowskij präsentiert ein idyllisches Bild der Heimat und des väterlichen Zuhauses. Das Holzhaus fungiert hier als ein Sinnbild für russische Heimat, Geborgenheit und Kindheit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1

Das Motiv des Vaterhauses kehrt auch in seinem nächsten Film, Der Spiegel, wieder. Der Begriff der Familie und der Heimat war für Tarkowskij aus persönlichen Gründen sehr wichtig. Sein Vater, Dichter und Übersetzer, Arsenij Tarkowskij ging als Freiwilliger in den Krieg und hat seine Frau mit zwei kleinen Kindern allein gelassen. Nach dem Krieg, von dem er als Krüppel zurückgekehrt ist, verließ er endgültig seine Familie. Alle diese Erlebnisse aus der Kindheit werden in Tarkowskijs Filmen verarbeitet, vor allem in Der Spiegel, in dem er auch die Gedichte seines Vaters zitieren lässt. Es gibt für Kelvin kein Elternhaus, da Vater und Mutter nie zusammen auftreten.

Die Mutter ist wahrscheinlich gestorben, es gibt nur ein Foto von ihr, das eine überraschende Ähnlichkeit mit Harey darstellt. Wegen dieser Änderung an der Handlung der Geschichte gab es während der Drehbucharbeiten heftige Aus-einandersetzungen zwischen dem Regisseur und Stanisław Lem. Lem war damit nicht einverstanden, dass Tarkowskij die familiären Verhältnisse Kelvins und seine Familienmitglieder einbezieht. Seiner Meinung nach reduzierte das Drehbuch „das Problem erkenntnistheoretischer und ethischer Widersprüche auf ein familiäres Melodram“.[10] In der ersten Drehbuchversion gab es sogar noch eine wichtige Figur – Maria – Kelvins Ehefrau, doch wegen Lems Einspruch, hat der Regisseur auf diese Version verzichtet. Maja Turowskaja schreibt:

Die Begegnung mit Harey auf der Raumstation brachte Chris Selbsterkenntnis und Katharsis. Er verhalf ihr dazu, allmählich zum Menschen zu werden, indem er mit ihr die Stationen ihrer irdischen Existenz nochmals durchlebte. Als er zum Schluss wieder auf die Erde zu Maria zurückkehrte, hatte er die Schuld gesühnt.[11]

Was Lem noch bei der Verfilmung sehr gestört hat, ist die Reduzierung „der ganzen Sphäre der kognitiven und epistemologischen Erwägungen und Pro-bleme“, die für ihn „äußerst wichtig war“ und „die wieder mit der solarischen Literatur und dem Wesen der Solarforschung selbst eng verbunden war“. Genauso sind „die Schicksale der Menschen auf dieser Station, die wir im Film nur in Bruchstücken kennen lernen, [...] im Buch keine existenzielle Anekdote, sondern stellen die große Frage nach der Position des Menschen im Kosmos.“[12]

2.1 Die Ebene der Erzählung.

2.1.1 Figurenkonstellationen: Kelvin, seine Familie und der Ozean.

Die Figuren als Handlungsträger stehen in einem engen Bezug zu dem Paradigma des erzählten Geschehens. In der Literaturverfilmung unterliegen die Figuren, genauso wie die Räume dem Transformationsprozess: „Die Charaktereigenschaften der handelnden Personen, die der Schriftsteller mit ein paar Worten klarstellen kann, müssen im Film entweder durch das Aussehen des Darstellers oder aber durch Handlung deutlich gemacht werden“[13].

Die Figuren zeigen die Ereignisse der Geschichte im Film und haben verschie-dene narrative Funktionen auf der jeweiligen Ebene der Erzählung: als Prota-gonisten auf der Ebene der story oder als focalizer, durch deren Augen der Zuschauer die Ereignisse sehen und miterleben kann. Sie können auch als die Identifikationsfiguren für den Zuschauer fungieren.[14]

Für Tarkowskij ist die Auswahl der Schauspieler für die Filmrollen sehr wichtig. Es ist die Aufgabe des Regisseurs, die Rolle des Schauspielers so zu strukturieren, dass er vor der Kamera „authentisch und unmittelbar“ wirkt.[15]

Durch Hinzufügung der Handlungselemente in Soljaris hat sich auch die Figurenkonstellation geändert. Bereits im Prolog erscheinen fünf neue Figuren: Kelvins Vater und seine Tante, Berton, so wie ein Kinderpaar (der Junge ist anscheinend Bertons Sohn, das kleine Mädchen gehört offensichtlich zu Kelvins Familie).

In der sechsundzwanzigsten Sequenz, in der Kelvin von seiner Mutter träumt, kommt noch eine Figur hinzu, seine verstorbene Mutter.

Auffallend ist die Ähnlichkeit der Mutter und der Geliebten, die in dem Film Der Spiegel wieder vorkommt, wo beide Rollen durch dieselbe Schauspielerin besetzt sind. Bereits am Anfang des Filmes ist das Bild der Mutter zu sehen. Ihr Bild bestimmt auch Kelvins Träume. In der sechsundzwanzigsten Sequenz sehen wir die Mutter und Harey abwechselnd, das Bild der beiden Figuren vermischt sich. Schließlich bleibt nur das Bild der Mutter, die Kelvin, wie einen kleinen Jungen wäscht. Ein charakteristisches Merkmal, das beide Figuren verbindet ist die Pelerine.

Beide Pelerinen haben die gleiche Struktur, unterscheiden sich jedoch farblich. Als im Traum die Mutter Hareys Umhang anzieht, verschwindet Harey und das Bild wird schwarz-weiß. Die Mutter als Erinnerung kommt auch in dem irdischen Film vor, den Kelvin Harey auf der Station zeigt. Die autobiographischen Motive, die sich in fast allen Filmen Tarkowskijs finden lassen, spielen auch in Soljaris eine große Rolle.

Eine zentrale Figur des Prologs ist der Vater. Er symbolisiert im Film die Heimat und Geborgenheit. Bei Lem wird die Vaterfigur nur angedeutet: Kelvin erinnert sich an den Solarisforscher Giese und vergleicht ihn mit seinem Vater:

(twarz) […] tak podobna, nie rysami, lecz rzetelną staroświecką rozwagą do twarzy mego ojca, i w końcu nie wiedziałem, który z nich patrzy na mnie. Obaj nie mieli grobu, rzecz w naszych czasach tak częsta i zwykła, że nie budząca żadnych szczególnych wzruszeń (SI, S. 185)

(Gieses Haupt) […] war [...] dem Gesicht meines Vaters so ähnlich, und zuletzt wusste ich nicht, welcher von beiden mich ansah. Beide hatten kein Grab, wie dies heutzutage viel zu häufig und gewöhnlich ist, um noch besondere Gemütsbewegungen wachzurufen. (SII, S.216)

Im Film ist der Vater ein „weiser Alter“. Seine Aussage: „Ich mag die Neue-rungen nicht“ erinnert an Gieses Charakter. Im Epilog wird das Bild des Ozeans durch das Bild des Vaters verdrängt, was Einfluss auf die Interpretation des Filmschlusses im Vergleich zum Roman hat. Im Roman bleibt Kris auf der Station, für ihn ist es wichtig, dass man weiter versucht, mit dem Ozean in Kontakt zu treten. Der filmische Kris wählt einen anderen Weg: der Vater und die Liebe zu ihm (wenn auch nur in Gedanken) ist wichtiger als die Kon-taktaufnahme mit dem fremden Planeten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2

Kris Kelvin

Die Hauptfigur im Roman ist Kris Kelvin. Von seiner Sicht wird die Ge-schichte erzählt und die Forschung auf dem Planeten Solaris vorgestellt. Als Psychologe wird er auf den Planeten geschickt. Auf der Station versucht er einerseits umsichtig zu sein, sich zu beherrschen und die Geschehnisse zu kontrollieren, andererseits ist er sich aber dessen bewusst, dass er eigentlich machtlos ist. Hareys Erscheinung ruft in ihm auch die Schuldgefühle hervor.

Während der Roman sich nur auf Kelvins Geschichte auf der Station konzentriert, wird im Film noch sein familiäres Leben auf der Erde dargestellt. Dadurch lernt der Zuschauer im Film zwei Gesichter Kelvins kennen: in der ersten Sequenz erscheint er als ein melancholischer, nachdenklicher Mensch, der die Natur und den Sommerregen genießt. Weiter, im Prolog, im Gespräch mit Berton verwandelt er sich in einen gefühlslosen Wissenschaftler, dessen Ansichten denen des Physiker Sartorius sehr ähnlich sind. Später, auf der Station entwickelt er sich durch die Erkenntnis der Liebe wieder zu einem gefühlvollen Menschen.

Es gibt im Roman wenige Informationen, die Kelvins Aussehen beschreiben. Ein charakteristisches Kleidungsstück, das auch von Tarkowskij übernommen wurde, ist das Netzhemd, das Kelvin auf der Station trägt.

Auffällig im Film sind die dunklen, grauen und blauen Farben von Kelvins Kleidung. Im Prolog trägt er die ganze Zeit eine schwarze Lederjacke, auch bei der Ankunft auf der Station. Zu Snauts Geburtstag in der Bibliothek zieht er sich festlich an. Die Farbe des Anzugs ist jedoch auch schwarz.

[...]


[1] Andrej Tarkowskij : Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films, Leipzig und Weimar: Gustav Kiepenheuer Verlag 1989, S. 16.

[2] Irina O. Rajewsky: Intermedialität, Tübingen-Basel: Francke 2002, S. 17.

[3] Ebd., S. 25.

[4] Rajewsky: Intermedialität, S. 201.

[5] Maja Turowskaja u. Felicitas Allardt-Nostitz: Andrej Tarkowskij. Film al Poesie -Poesie als Film, Bonn: Keil Verlag 1981, S. 58.

[6] Ebd. S.58.

[7] Tarkowskij: Die versiegelte Zeit, S. 29.

[8] Eva M.J. Schmid: Erinnerungen und Fragen, in: Andrej Tarkowskij. Reihe Film 39, München-Wien: Carl Hanser 1987, S. 62.

[9] Tarkowskij: Die versiegelte Zeit, S. 67.

[10] Klaus Kreimeier: „Kommentierte Filomgraphie. Soljaris“, in: Andrej Tarkowskij. Reihe Film 39, hg. v. Peter W. Jansen,Wolfram Schütte, München Wien: Carl Hanser Verlag 1987, S.116.

[11] Turowskaja: Andrej Tarkowskij, S. 58.

[12] Stanisław Lem u. Stanisław Bereś.: Lem über Lem. Gespräche, übers. v. Edda Werfel, Hilde Nürenberger, Frankfurt am Main: Insel Verlag 1986, S. 146-147.

[13] Alfred Estermann: Die Verfilmung literarischer Werke, Bonn: H. Bouvier u. Co. 1965, S. 400.

[14] Manuela Bach: Dead Men- Dead Narrators: Überlegungen zu Erzählern und Subjektivität im Film, in: W. Grünzweig, A. Solbach (Hgb.): Grenzüberschreitungen: Narratologie im Kontext. Transcending Boundaries. Narratology im Kontext, Tübingen Gunter Narr 1999, S. 244.

[15] Tarkowskij: Die versiegelte Zeit, S. 160.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Intermedialität - Umgestaltung der narrativen Strukturen in Tarkowskijs filmischer Adaptation des Romans "Solaris" von Stanislaw Lem
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
43
Katalognummer
V56853
ISBN (eBook)
9783638514354
ISBN (Buch)
9783656803133
Dateigröße
1094 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Intermedialität, Umgestaltung, Strukturen, Tarkowskijs, Adaptation, Romans, Solaris, Stanislaw, Tarkowskji
Arbeit zitieren
B.A. Sylwia Zduniak (Autor:in), 2006, Intermedialität - Umgestaltung der narrativen Strukturen in Tarkowskijs filmischer Adaptation des Romans "Solaris" von Stanislaw Lem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56853

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