Der Irak-Krieg im Fernsehen: Eine Analyse der Fernsehberichterstattung des III. Irak-Krieges in Bild, Ton und Sprache


Magisterarbeit, 2006

113 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Darstellungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. EINLEITUNG
1.1. Fragestellung
1.2. Vorgehensweise

2. DIE REALITÄT DER MASSENMEDIEN
2.1. Vorbemerkung
2.2. System und Umwelt
2.3. Das System der Massenmedien
2.4. Die Nachricht im System der Massenmedien
2.4.1. Die Struktur von Nachrichten
2.4.2. The unmarked space
2.4.3. Die Narrationstheorie in den Nachrichten
2.5. Realität im System der Massenmedien

3. UNTERSUCHUNGEN ZUR FRAGESTELLUNG
3.1. Vorbemerkung
3.2. Betrachteter Zeitraum
3.3. Art der Betrachtung
3.4. Gliederungskonzept

4. DER III. IRAK-KRIEG BEI ARD tagesschau & RTL Aktuell
4.1. Vorbemerkung
4.2. ARD tagesschau
4.2.1. Die Präsentation des Irak-Kriegs bei ARD tagesschau
4.3. Bilder des ‚echten’ Krieges?
4.4. Töne des Krieges
4.5. Worte des Krieges
4.5.1. Bilder & Worte
4.6. RTL Aktuell
4.6.1. Die Präsentation des Irak-Kriegs bei RTL Aktuell
4.7. Bilder des ‚echten’ Krieges?
4.8. Töne des Krieges
4.9. Worte des Krieges
4.9.1. Bilder & Worte

5. Gegenüberstellung von ARD tagesschau & RTL A ktuell
5.1. Vorbemerkung
5.2. Übereinstimmungen
5.2.1. Angriff auf Journalistenhotel
5.2.2. Gefangene US-Soldaten
5.2.3. Der Fall Bagdads
5.3. Unterschiede
5.3.1. Die
5.3.2 ‚Saving Private Lynch’
5.3.3. Der Fall Ali Abbas

6. ZUSAMMENFASSUNG
6.1. Vorbemerkung
6.2. Resultate
6.3. Konstruktion von Realität bei ARD tagesschau & RTL Aktuell ?
6.4. Perspektiven
6.5. Fazit

7. QUELLENVERZEICHNIS
7.1. Primäre Quellen
7.2. Sekundär-Quellen & Links

8. ANHANGVERZEICHNIS
8.1. Anhang A: Die Realität der Massenmedien
8.2. Anhang B: Bilder & Tabellen bei ARD tagesschau
8.3. Anhang C: Bilder & Tabellen bei RTL Aktuell
8.4. Anhang D: Bilder bei ARD tagesschau & RTL Aktuell
8.5. Anhang E: Tabellen bei ARD tagesschau & RTL Aktuell

Darstellungsverzeichnis

Darst. 1: Unterbrochene Interaktion durch Zwischenschaltung von Massenmedien

Darst. 2: Sender–Empfänger Interaktion

Darst.3: Eröffnungsbild der ARD tageschau

Darst. 4: Nachtbild vom Angriff auf den Irak

Darst. 5: Eröffnungsbild von RTL Aktuell

Darst. 6: Sendezeit von RTL Aktuell vom 20.03.-26.03.2003 (in Minuten)

Darst. 7: Iraker beim Händeschütteln mit alliiertem Soldat

Darst. 8: Fall der Saddam Statue am 09.04.2003

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. EINLEITUNG

"Das ist kein Reality-TV. Das ist Realität im Fernsehen. Das ist Fernsehen, das die Welt zeigt, wie sie wirklich ist."

- Chris Cramer, Chef von CNN International[1]

Chris Cramer sieht die Berichterstattung des III. Irak-Krieges[2] als Demonstration der neuen Möglichkeiten des Fernsehens reale Geschehnisse in „Echtzeit“ wiederzugeben um so dem Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, er könne das Kriegsgeschehen im Irak nicht nur live beobachten, sondern auch die wirkliche Welt und folglich den echten Krieg „miterleben“. Zugleich reflektiert sein Statement das grundlegende Paradoxon von Fernsehen und Realität. Denn das, „[w]as wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien”[3]. Wie soll es also möglich sein, dass das Fernsehen, das ansich eine Realität konstruiert, nun eine wirkliche Welt in die Welt transportiert ohne sie zu konstruieren?

Das Paradoxon des Fernsehens besteht darin, dass reale Geschehnisse reflektiert werden, diese aber durch die Selektion von Informationen und Bildern eine bestimmte Perspektive auf die Welt erzeugen. Als die Amerikaner am 09. April 2003 Bagdad eroberten und als Beweis für die Einnahme der Stadt die Fernsehnachrichten den Fall der Saddam Statue übermittelten, wurde eine Gruppe euphorisch schreiender Iraker auf dem Paradise Platz im Zentrum Bagdads gezeigt, die den Fall der Saddam Statue als Befreiung bejubelten. Bilder des Kampfes um Bagdad wurden allerdings nicht übermittelt, da der Eindruck vermittelt werden sollte, dass die Iraker auf ihre Befreiung durch die USA widerstandslos gewartet hätten. Während die Nachrichten kolportierten, dass tausende Iraker die US-Soldaten erfreut willkommen hießen und bei dem Sturz der Saddam Statue amerikanische Hilfe in Anspruch nahmen, waren de facto nur einige hundert Menschen auf dem Platz zu sehen, von denen nicht klar war, ob sie Saddam-Anhänger waren oder nicht.

Diese Frage war für die Medien jedoch irrelevant, da es um die Übermittlung eines positiven Images für die USA ging. Aufgrund dessen wurde nur ein bestimmter Blickwinkel auf den Einmarsch der Amerikaner an den Zuschauer weitergegeben, denn „TV loves a good topple. [..] Whether the Berlin Wall or a political statue, these historic crumbles are among the most memorable television images of our age.“[4]

Wenn also nun davon ausgegangen wird, dass es dem Fernsehen nicht möglich ist, die Welt zu zeigen, "wie sie wirklich ist", müssen auch die Ereignisse des III. Irak-Krieges im Jahr 2003 durch das Massenmedium Fernsehen auf eine spezifische Weise konstruiert worden sein. Es ist nun die Frage zu stellen, auf welche Weise vor allem das Massenmedium Fernsehen die Geschehnisse des III. Irak-Krieges konstruiertt um überhaupt über den Krieg berichten zu können.

1.1. Fragestellung

Der Ansatz, dass die Massenmedien eine eigene Realität konstruieren, wurde vor allem von Niklas Luhmanns Theorie über die Realität der Massenmedien[5] etabliert. Luhmanns Theorie geht davon aus, dass die Massenmedien in einem eigenen System operativ arbeiten und durch diese Operationen ein spezifisches System/Umwelt-Verhältis aufbauen, in dem Realität konstruiert wird. Die zentrale Frage, die im Laufe dieser Arbeit gestellt wird, reflektiert demnach das grundsätzliche Problem, dass Luhmann in der Fernsehberichterstattung erkennt:

- Wie soll eine Unterscheidung zwischen der “wirklichen Welt” und “Reality-TV[6] aussehen, wenn dass, was gezeigt wird, einerseits die wirkliche Welt präsentiert, andererseits aber eine Realität konstruiert wird, von der der Zuschauer sein Wissen über die Welt bezieht?

Einerseits ist der Krieg als solcher ein reales Ereignis, andererseits wird durch die Übermittlung der Information über den Krieg ein spezifisches Bild des Krieges transportiert, dass nicht zwingend den realen Geschehnissen entsprechen muss. Im Laufe dieser Arbeit soll untersucht werden, auf welche Weise die Ereignisse des III. Irak-Krieges präsentiert werden und ob es möglich ist, Indikatoren für eine Konstruktion von Realität innerhalb der Präsentation des Irak-Kriegs zu finden. Demnach können die folgenden Fragen nicht ausser Acht gelassen werden: 1.) Ist ein Konstruktion von Realität durch den Vergleich von Nachrichtensendungen feststellbar? 2.) Welche Informationen wurden bei welchem Sender übermittelt und welche Wirkung sollte mit der Übermittlung der Information erzielt werden?

1.2. Vorgehensweise

Zur Beantwortung der oben gestellten Fragen soll nun wie folgt vorgegangen werden: Im ersten Teil dieser Arbeit wird die Theorie Luhmanns in bezug auf die Realität der Massenmedien vorgestellt. Zusätzlich wird die Narrationstheorie[7] von Knut Hickethier in die Arbeit einbezogen, da sie einen Zugang zur Nachrichtenanalyse vereinfacht und mit wesentlichen Bestandteilen von Luhmanns Theorie kongruiert.

Im nächsten Schritt wird die These Luhmanns auf die Präsentation des III. Irak-Krieges bei der ARD tagesschau und RTL Aktuell im Zeitraum der aktiven Kriegshandlungen vom 20.März bis 01.Mai 2003 angewandt. Zusätzlich kommen die Texte von Knut Hickethier innerhalb der Gegenüberstellung von der ARD tagesschau und RTL Aktuell zum Tragen. Die zentrale Fragestellung bei der Analyse der Nachrichtensendungen konzentriert sich auf die folgenden Aspekte:

- Auf welche Weise divergieren oder konvergieren die Sendungen der ARD tagesschau und RTL Aktuell in Bild, Ton und Sprache?
- Wie wird Information vergeben?
- Gibt es unterschiedliche Schwerpunkte bei der Informationsvergabe bei der ARD tagesschau und bei RTL Aktuell ?

Durch eine Gegenüberstellung der Haupt-Nachrichtensendungen von der ARD tagesschau und RTL Aktuell soll am Ende der Arbeit festgestellt werden, inwieweit die Geschehnisse des Krieges bei den jeweiligen Sendern präsentiert werden. Durch die Anwendung von der These Luhmanns soll am Ende der Analyse deutlich werden, ob die ARD tagesschau und RTL Aktuell jeweils eine eigene Realität des Krieg beschreiben oder ob sie tatsächlich im Stande sind „die Welt zu zeigen, wie sie wirklich ist.“[8]

2. DIE REALITÄT DER MASSENMEDIEN

In einem Interview[9] vom 09. Oktober 1997 wird Niklas Luhmann gefragt, ob er es nicht "schrecklich" fände, dass es -seiner Theorie zufolge- unmöglich sei, die Welt zu erfahren, wie sie wirklich ist, sondern das der Mensch durch die Massenmedien immer nur mit der Konstruktion von Realität konfrontiert sei. Luhmann widerspricht dieser Auffassung, denn obwohl die Massenmedien seiner Meinung nach eine eigene Realität konstituieren, sorgt selbst die bewusste Wahrnehmung der Konstruktion nicht für eine Abwendung von den Massenmedien, denn sie bieten die einzige Möglichkeit, die Welt, die nicht im direkten Umfeld liegt, wahrzunehmen.

Dennoch liefert die Theorie Luhmanns über die Realität der Massenmedien in bezug auf die Geschehnisse des III. Irak-Krieges interessante Ansätze, die es zu beachten gilt. Im Folgenden werden die einzelnen Aspekte der Theorie genauer beleuchtet. Im nächsten Schritt wird dann der Versuch unternommen, die Theorie Luhmanns auf die Nachrichtensendungen von der ARD tagesschau und RTL Aktuell anzuwenden.

2.1. Vorbemerkung

Bevor die eigentliche Theorie über die Konstruktion der Realität der Massenmedien vorgestellt werden kann, werden zunächst die Begriffe von System und Umwelt erläutert. Der Bezug zu Luhmanns operativem Konstruktivismus wird hergestellt, um die Basis-Begriffe für die Anwendung in der Theorie über die Massenmedien und die Konstruktion von Realität zu schaffen. Durch die Zuordnung der Begriffe von System und Umwelt ist es dann möglich, die Perspektive auf die zentralen Aspekte der Theorie über die Realität der Massenmedien zu richten.

2.2. System und Umwelt

Das System ‚Mensch’ erkennt und bezeichnet sich durch die eigene Beobachtung als Individuum, wodurch es möglich wird, sich von seiner Umwelt abzugrenzen.[10] Daraus ergibt sich, dass die Beobachtung des eigenen Systems zugleich eine Erkenntnis über das Bestehen des eigenen Systems und seiner Umwelt beinhaltet. Luhmann zufolge sind die Begriffe von Erkenntnis und Beobachtung nicht trennbar, da Erkenntnis erst durch Beobachtung möglich ist, Beobachtung aber gleichzeitig Erkenntnis voraussetzt. Infolgedessen führt das System - in diesem Fall das Individuum- eine Unterscheidung zwischen sich und seiner Umwelt durch. Durch die durchgeführte Unterscheidung, die durch die Erkenntnis bzw. durch das Beobachten hervorgerufen wird, differenziert sich das System nicht nur von seiner Umwelt, sondern es finden auch systeminterne Unterscheidungen statt, die wiederum für Veränderungen im System selbst sorgen.

Die Begriffe von System und Umwelt lassen sich jedoch nicht nur auf das oben genannte Beispiel anwenden, denn „[w]endet man eine Unterscheidung System/Umwelt an, befaßt die Weiterarbeit sich mit einer Klärung der Frage, was das ins Auge gefaßte System ist, von dem aus anderes als Umwelt behandelt werden kann.“[11] Luhmanns Erkenntnistheorie setzt voraus, dass das System sich als System erkennt, denn erst durch die Erkenntnis des eigenen Systems ist eine Beobachtung möglich, die es dem System erlaubt sich selbst zu definieren und von anderen zu differenzieren. Erkenntnis ist demnach gleichzeichtiges Beobachten, denn erst wenn eine Unterscheidung zwischen System und Umwelt durchgeführt - also etwas anderes beschrieben und bezeichnet wird - im Unterschied zum System selbst, wird Umwelt erkannt und beobachtet. Gleichzeitig identifiziert sich das System durch den operativen Vorgang des Beobachtens und Erkennens selbst. Hierbei muss es sich jedoch um ein kognitives System, wie zum Beispiel den Menschen, handeln.

Nach Luhmann führt der Prozeß des Beobachtens führt zu einer Konstruktion von Realität, da Realität in der Umwelt, wie im System selbst erst durch die Beobachtung und Erkenntnis entsteht. Realität wird durch Bezeichnnungen, Beschreibungen und vor allem durch Unterscheidungen produziert. Das bedeutet, dass bereits die Unterscheidung zwischen System und Umwelt innerhalb des Systems eine weitere Unterscheidung hervorruft. Folglich kann aber Realität lediglich durch das System beschrieben werden.

2.3. System der Massenmedien

Wenn die Begriffe von System und Umwelt sich durch Erkennen und Beobachten definieren, sich aber vor allem durch den Prozess des Erkennens und Beobachtens überhaupt erst System und Umwelt bilden, muss nun das System der Massenmedien genauer untersucht werden, um feststellen zu können, ob und wie das System der Massenmedien nach Luhmann definiert ist und inwieweit Realität im System der Massenmedien konstruiert wird. Durch die Klärung auf welche Weise das System der Massenmedien funktioniert und welche Art von Umwelt es produziert, ist es dann möglich, die Definition von Luhmanns operativer Erkenntnistheorie in Zusammenhang mit dem Massenmedium Fernsehen zu stellen.

Luhmann definiert „mit dem Begriff der Massenmedien [..] im folgenden alle Einrichtungen der Gesellschaft […], die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen.“[12] Massenmedien[13] werden hierbei als „Träger von Kommunikation“ betrachtet, wobei das Medium durch seine eigenen Operationen eine Form bildet, die wiederum Kommunikation ermöglicht. Voraussetzung für die Massenmedien ist jedoch, dass eine Interaktion wie bei einer direkten Kommunikation zwischen Sender und Empfänger nicht stattfinden kann, denn durch die Zwischenschaltung von Technik wird ein direkter Austausch von Informationen verhindert, da der Sender sendet und der Empfänger empfängt.[14]

Darst.1: Unterbrochene Interaktion durch Zwischenschaltung von Massenmedien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Anders als bei einer direkten Kommunikation zweier Personen, in denen die Positionen von Sender (Sprecher) und Empfänger (Zuhörer) wechselseitig sind, bleiben die Positionen von Sender und Empfänger in den Massenmedien unverändert. Das heißt, während der Sprecher (Sender) „nur“ Informationen an den Zuhörer (Empfänger) übermittelt, hat der Empfänger bei der direkten Kommunikation die Möglichkeit, in die Position des Senders zu wechseln, so dass Informationen an den Sender zurückgesendet werden und dieser in die Position des Empfängers wechselt.

Darst. 2: Sender – Empänger Interaktion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

Wird nun Technik „zwischengeschaltet“, wird eine unbestimmte Anzahl von Empfängern adressiert, die durch ihr „Einschaltinteresse“ bereit sind die Informationen des Senders zu empfangen. Der Empfänger ist auf die Sendebereitschaft des Senders angewiesen, da er keinen Einfluss darauf hat, was der Sender übermittelt. Aufgrund dessen findet eine Standardisierung der Informationsübermittlung statt. Der Sender kann vermuten, was den Empfänger interessiert. Um das Interesse des Empfängers aber aufrecht zu erhalten muss zugleich eine Unterscheidung von anderen Sendern stattfinden.

Das System kann sowohl sich selbst als auch seine Umwelt beobachten kann, wodurch eine Differenz zur Umwelt aufgebaut wird. Auf diese Weise kann das System „über etwas anderes oder über sich selbst“[15] kommunzieren. Somit handelt es sich um ein System, dass zwischen sich (Selbstreferenz) und anderen (Fremdreferenz) unterscheidet.[16]

Die oben genannten Aspekte, dass

- keine Interaktion zwischen Sender und Empfänger stattfindet,
- der Sender sich standardisiert,
- vom Einschaltinteresse agbängig ist,
- und über Selbst- und Fremdreferenz verfügt,

treffen in ihrer Definition vor allem auf das Massenmedium Fernsehen zu. Das Fernsehen sendet ein bestimmtes Programm, dass für den jeweiligen Sender einer gewissen Struktur entspricht. Es unterscheidet sich mit seinem Programm aber von anderen Sendern (Standardisierung). Der Sender richtet sein Programm an eine unbestimmte Zahl an Empfänger und ist darauf angewiesen, dass der Zuschauer das gesendete Programm einschaltet (Einschaltinteresse). Der Zuschauer hat keine Möglichkeit direkt auf das Programm des jeweiligen Senders Einfluss zu nehmen (keine Interaktion).

Durch Selbst- und Fremdreferenz entsteht nach Luhmann eine Realitätsverdoppelung, die im System der Massenmedien stattfindet. Denn dadurch, dass über etwas oder über sich selbst kommuniziert wird, werden verschiedene Positionen des Beobachtens eingenommen, die eine unterschiedliche Realität reflektieren. Durch die Beobachtungen, die das System innerhalb wie ausserhalb macht, muss schließlich die Frage gestellt werden, was für die Massenmedien der Realität entspricht oder durch was sie für andere eine Realität erscheinen läßt[17]. Inwieweit produzieren oder konstruieren die Massenmedien nun Realität, wenn davon ausgegangen wird, dass das System der Massenmedien für sich eine Realität entwickelt, die Realität aber durch die Massenmedien für andere anders erscheint?

Es muss festgehalten werden, dass Luhmann den Verdacht der Manipulation in den Massenmedien kategorisch ausschließt, da er ihn für nicht nachweisbar hält. Nicht jede Information kann auf ihre Richtigkeit überprüft werden, dennoch schließt Luhmann einen wichtigen Faktor in seiner Untersuchung hier aus, in dem er sich auf seine Basis-Theorie konzentriert, in der die Massenmedien eine andere Realität konstruieren müssen, weil sie sich selber nicht als Realität präsentieren können.

Wenn die Massenmedien eine spezifische, visuelle Wahrnehmung der Welt konstruieren, ist es nun notwendig genauer darauf einzugehen auf welche Weise Luhmann die Massenmedien definiert und welche Struktur und Funktion ihnen zukommen. Das Massenmedium Fernsehen erlangt hierbei besondere Aufmerksamkeit, da es durch die Übermittlung der Bilder nicht nur bestimmte Informationen visuell transportiert, sondern auch einen spezifischen Eindruck hinterlässt wie die Welt zu sein hat. Das System legt fest, was gewusst werden soll und was nicht. Spezifische Themen erfüllen eine bestimmte Funktion innerhalb des Systems. Aufgrund dessen ,."[..] kann [man] aber noch in einem zweiten Sinne von der Realität der Massenmedien sprechen, nämlich im Sinne dessen, was für sie oder durch sie für andere als Realität erscheint. [...] Die Massenmedien erzeugen eine transzendentale Illusion."[18]

2.4. Die Nachricht im System der Massenmedien

Nachrichten erfüllen im System der Massenmedien eine bestimmte Aufgabe, denn sie müssen Informationen innerhalb einer festgelegten Struktur vermitteln. Die Struktur der Nachricht wird durch das Massenmedium Fernsehen festgelegt, so dass sie zum einen eine bestimmte Funktion innerhalb des Programms erfüllen, andererseits aber ein Bild von der Welt vermitteln müssen, wie sie zum aktuellen Zeitpunkt der Nachrichtenübermittlung erscheint.

Wenn also durch die Nachrichtenübermittlung bereits davon ausgegangen wird, dass es immer etwas gibt, worüber es sich zu berichten lohnt, andererseits aber die Nachrichten im System der Massenmedien durch die Beobachtung von sich selbst und von den Geschehnissen eine Realität konstruieren, muss vorausgesetzt werden, dass die Geschehnisse des Irak-Krieges in den Nachrichten als ein Ereignis dienen, um beim Zuschauer dauerhaftes Interesse zu wecken.

"Im Fernsehen bildete sich nicht [sic!] das militärische Geschehen nicht ab, das Fernsehen konstruierte sich entlang der Vorgaben der Kriegsparteien einen eigenen Krieg."[19]

Inwieweit trägt die Nachrichtenstruktur also dazu bei, dass ein bestimmtes Bild von Realität konstruiert wird, wenn davon auszugehen ist, dass die Nachrichten das Bild der Welt beeinflussen?

2.4.1. Die Struktur von Nachrichten

Nachrichten übermitteln, wie bereits erwähnt, Informationen, die dem Zuschauer deutlich machen sollen, was – wann - wo im Laufe des Tages geschehen ist. Gleichzeitig verfolgen Nachrichten das Ziel, dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, er sei in das Geschehen involviert. Dieser Vorgang hat eine wechselseitige Wirkung: Während der Zuschauer glaubt, sich über das Tagesgeschehen zu informieren, indem er die Nachrichtensendung einschaltet, legt das Fernsehen fest, welche Nachrichten von belang sind und welche nicht.

Im folgenden wird nun untersucht, welche Merkmale die Nachricht im System der Massenmedien bei Luhmann erfüllen müssen:

1. Nachrichten müssen regelmäßig neue Informationen liefern
2. Nachrichten über Konflikte werden bevorzugt behandelt
3. Nachrichten referieren über Quantitäten
4. Nachrichten stellen einen lokalen Bezug her
5. Nachrichten decken Normverstöße auf
6. Nachrichten sind aktuell
7. Nachrichten operieren selektiv

Die Untersuchung der Struktur der Nachricht wird bei der Analyse der Nachrichtensendungen von der ARD tagesschau und RTL Aktuell in Bild, Ton und Sprache zum Tragen kommen, um feststellen zu können, welche Schwerpunkte die Nachrichtensendungen haben und auf welche Weise sie divergieren bzw. konvergieren. Im Folgenden werden nun die einzelnen Aspekte der Nachricht diskutiert. Der Aspekt, dass Nachrichten selektiv operieren, wird allerdings gesondert behandelt, da es sich hierbei um einen wichtigen Gesichtspunkt in bezug auf die Kriegsberichterstattung handelt.

1. Nachrichten müssen regelmäßig neue Informationen liefern

Das System der Massenmedien setzt durch regelmäßige Übermittlung von Nachrichtensendungen voraus, dass es immer etwas gibt, worüber berichtet werden kann. Allerdings können Informationen nicht wiederholt werden, da sonst das Einschaltinteresse des Zuschauers sinkt und der Sender sein Publikum verlieren könnte. Aufgrund dessen müssen Nachrichten immer neue Informationen liefern, die zudem einen Überraschungswert beinhalten. Das heisst, das über etwas oder jemanden berichtet wird, von dem der Zuschauer noch nichts wusste. Auf diese Weise senkt sich "[j]eden Morgen und jeden Abend […] unausweichlich das Netz der Nachrichten auf die Erde nieder und legt fest, was gewesen ist und was man zu gegenwärtigen hat."[20] Neue Informationen können allerdings nur in einem vertrauten Kontext (wie zum Beispiel Erdbeben, Unfälle, etc.) übermittelt werden, der dem Zuschauer bekannt ist, da sonst die Nachricht ansich ihren Wert verliert.

2. Nachrichten über Konflikte werden bevorzugt behandelt

Die Präsentation von Konflikten innerhalb der Nachrichten liefert den Vorteil, dass Informationen über den Konflikt immer neu sind und je nach Entwicklung des Konfliktes Überraschungen wahrscheinlich werden. Der Konflikt ansich kann dauerhaft bestehen und liefert deshalb einen Kontext, in dem die neuen Informationen präsentiert werden können. Der Konflikt liefert noch keine Lösung, es besteht die Möglichkeit Partei zu beziehen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das Paradoxon des Konfliktes innerhalb der Nachrichten besteht zudem darin, dass Konflikte zwar neue Informationen liefern, zusätzlich aber erwartet werden, da […] Nachrichten als Mitteilungen des Unerwarteten, Außergewöhnlichen, ja Katastrophischen in den Fernsehprogrammen über regelmäßige Sendeplätze verfügen, […]."[21]

3. Nachrichten referieren über Quantitäten

Indem Nachrichten einen Vergleichswert schaffen, können sie den Wert einer Information steigern. Selbst wenn der Zuschauer die genauen Zahlen nicht kennt, kann er so eine Relation zu den Ereignissen aufbauen. Wenn beispielsweise darüber berichtet wird, dass im Jahr 2006 mehr Soldaten bei Anschlägen im Irak starben als im Jahr 2005, kann der Zuschauer sich durch den lediglichen Vergleich ein Bild von der Quantität der Verluste machen ohne genaue Zahlen kennen zu müssen.

4. Nachrichten stellen einen lokalen Bezug her

Durch die Bezeichnung, welche Ereignisse wo stattfinden, stellen Nachrichten einen Bezug zum Umfeld her. Lokale Bezüge involvieren so den Zuschauer, wenn Geschehnisse in der direkten Umgebung stattfinden. Wenn allerdings erneut Selbstmordanschläge im Irak stattfinden, kann die Relation hergestellt werden, dass solch ein Geschehen im eigenen Land eher unwahrscheinlich ist.

5. Nachrichten decken Normverstöße auf

Normverstöße reflektieren Verfehlungen gegen die jeweilige gesellschaftliche Form. Wenn die Nachrichten über Normverstöße berichten, wird zugleich eine Wertung durch die Massenmedien vorgenommen da ein Fehler, der bereits gegen die gesellschaftlichen Normen begangen wurde, präsentiert wird. Im Zuge dessen findet meistens eine moralische Bewertung statt. Das bedeutet, dass der Zuschauer sich explizit eine Meinung darüber bildet, dass es falsch ist, wenn US-Soldaten Plünderer zwingen, sich nackt auszuziehen, um diese dann durch die Strassen von Bagdad laufen zu lassen.

6. Nachrichten sind aktuell

Nachrichten müssen aktuell sein, obwohl sie schon geschehen sind, muss ein prinzipielles Interesse an der Sache vorliegen, so dass über ein Thema (wiederholt) berichtet wird. Themenbereiche können so neu produziert werden und zum Thema für den Zuschauer gemacht werden, oder sie werden durch neue Geschehnisse erneut aufgearbeitet. "Das System produziert dann erneut Informationen aus Informationen, indem es Berichtkontexte erzeugt, in denen längst abgelegte, vergessene Neuigkeiten wieder an Informationswert gewinnen."[22]

7. Nachrichten operieren selektiv

Nachrichten sind durch ihren beschränkten Zeitrahmen gezwungen, bestimmte Informationen zu selektieren und zu entscheiden, welche Information für die Nachrichtensendung relevant ist oder nicht. Der Aspekt der Selektion hängt in der Theorie von Luhmann eng mit der Konstruktion von Realität zusammen. Aufgrund dessen wird dieser Aspekt im folgenden Kapitel ausführlicher diskutiert.

2.4.2. The Unmarked Space

"Weil die Medien bestimmen, welche Themen auf die Agenda gesetzt werden, geben Sie ein bestimmtes Bild von Welt, das durch die Produktion von Erzählungen geprägt ist."[23]

Es stellt sich die Frage, warum bestimmte Informationen für die Nachrichtenübermittlung besonders relevant erscheinen, andere aber nicht. Denn durch die Selektion einer Information, wird nicht nur die Perspektive auf ein Geschehen vorgegeben, sondern zusätzlich ein anderer Blickwinkel ausgeschlossen. Luhmann bezeichnet die Selektion von Information und Nicht-Information als unmarked space und sieht gerade durch die Selektion von Informationen seine Theorie der Konstruktion der Realität bestätigt, da es zum einen beweist, dass es nicht möglich ist, alle Informationen wiederzugeben und zum anderen durch die Selektion - und den unmarked space - ein Teil der Information bewusst von den Massenmedien ausgeblendet wird.

The unmarked space’ entsteht demnach automatisch, sobald über einen Gegenstand oder Geschehnis berichtet wird, wobei kein direkter Zusammenhang zwischen den Geschehnissen bestehen muss.

„Die eigentliche Frage des Konstruktivismus ist ja letztlich nicht so eine punktuelle, stimmt es oder stimmt es nicht, so eine Frage, wo wollen wir etwas unterscheiden, was ist eigentlich der Kontext, in dem irgendetwas profiliert wird. Und da glaube ich…, ist., wenn es um Rassenunruhen geht, völlig klar: Man könnte in Los Angeles ja ganz andere Sachen sehen als Rassenunruhen und könnte technische Wunderleistungen oder […] die Verkehrsströme oder das Klima […] beobachten, und die Hintergrundthese ist, daß also alles, was wir beobachten, bezeichnen, beschreiben, immer über Unterscheidung läuft. Es gibt immer eine Seite, die nicht berichtet wird. [Herv. durch Verf.]“[24]

Es wäre möglich, zu argumentieren, dass die Selektion die wichtigsten Ereignisse des Tages ‚markiert’, so dass ein Bericht über die Verkehrsströme in Los Angeles kaum vergleichbar mit Rassenunruhen ist, die zum gleichen Zeitpunkt stattfinden. Dennoch eröffnet die Markierung von spezifischen Ereignissen durch die Massenmedien, dass es einen weiteren Bereich gibt, über den nicht berichtet wird.

Da das System der Massenmedien sowohl sich selbst als auch seine Umwelt beobachtet, erfolgt die Konstruktion von Realität nicht willkürlich. Da keine „Punkt-für-Punkt-Korrespondenz zwischen Information und Sachverhalt, zwischen der operativen und der repräsentierten Realität“[25] möglich ist, legt das System sich selbst Beschränkungen auf, worüber berichtet wird und worüber nicht. Aufgrund dessen muss die Auswahl an Informationen bestimmte Kriterien erfüllen. Umso mehr die Informationen den Beschränkungen in den Nachrichtenstrukturen entsprechen, umso höher wird ihr Informationswert. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Selektion von Information und Nicht-Information die Realitätskonstruktion unterstützt, da eine bestimmte Perspektive von Ereignissen wiedergegeben wird. Daher steigt der Informationswert einer Nachricht automatisch, wenn

- eine Information aktuell/ neu ist,
- ein Konflikt behandelt wird,
- ein lokaler Bezug hergestellt
- und einNormverstoß offengelegt wird.

Nachrichten werden jeden Tag erwartet. Neben der Regelmäßigkeit der Nachrichten entsteht eine Routine, wie die ankommenden Informationen im System verarbeitet werden. Neben dem Einpassen der Informationen in Rubriken (z. B. Sportnachrichten, Wetter & Aktuelles) spielen Zeit und Raum, die für die Nachrichtensendung ansich programmiert sind, eine auschlaggebende Rolle. Auf diesem Wege führt das System eine Unterscheidung zwischen Informationswerten der Nachrichten an sich durch und deren Anwendbarkeit innerhalb des vorgegebenen Rahmens.

Auf diese Weise erfolgt eine Produktion von Tagesnachrichten, die einen narrativen Kontext haben können, in denen Informationen aufgegriffen, verarbeitet wiedergegeben werden. Eine bereits gesendete Information kann durch neue Informationen angefüllt oder korrigiert werden. Wenn sich herausstellt, dass eine bereits gesendete Information fehlerhaft übermittelt wurde und diese korrigiert werden muss, gewinnt die ältere Information erneut an Wert. Ist es nicht möglich, Informationen zu expandieren, verlieren sie an Wert. Sie werden eventuell noch als Platzhalter in der Nachrichtensendung verwendet, bis sie schließlich im Laufe der Zeit gelöscht werden. Das bedeutet, dass ein Thema an Tag X noch relevant erscheint, an Tag Y aber bereits nicht mehr in den Top-Themen der Nachrichtensendung zu finden ist und schließlich an Tag Z zu einer Nicht-Information wird. Folglich wird sie aus den Nachrichten ausgeschlossen. Die Wiederholung und Redundanz von Informationen gibt vor, was für den Zuschauer von Belang sein soll und was wieder vergessen werden darf.

Die Selektion der Nachrichten erweckt beim Zuschauer den Eindruck, dass alle wichtigen Informationen übermittelt wurden Der Zuschauer glaubt, darüber informiert zu sein, was in der Welt geschieht. Dennoch konstruiert das System der Massenmedien Realität, da es nur einen bestimmten Blickwinkel auf die Geschehnisse der Welt erlaubt. Die Beobachtung der Welt durch eine selektive Perspektive konstituieren die Massenmedien ein Bild, dass erst durch die Auswahl von bestimmten Informationen entsteht. Demnach ist festzustellen, dass "Nachrichten [..], auch wenn sie den Anspruch erheben, Realität 'unverstellt' abzubilden, nie die Realität selbst"[26] sind.

2.4.3. Die Narrationstheorie in den Nachrichten

Bezüglich der Nachrichtenstruktur werden nun zusätzlich Aspekte von Knut Hickethiers Narrationstheorie hinzugezogen, um die Funktion der Nachricht innerhalb des Systems der Massenmedien zu verdeutlichen. Wie auch Niklas Luhmann repräsentieren für Hickethier Nachrichten einen Inszenierungsrahmen, in denen Nachrichten immer nur Darstellung, nie aber Realität selbst sein können.[27] Die folgenden Merkmale der Struktur der Nachrichtensendung liefern somit die Basis für eine Konstruktion von Realität:

1. Nachrichten werden erzählt
2. Nachrichten folgen einem Erzählfluss
3. Bilder sind nicht von Sprache zu trennen
4. Nachrichten vermitteln den Eindruck von Aktualität
5. Nachrichten werden seriell produziert

1. Nachrichten werden erzählt

Die Struktur der Nachricht gleicht einer Erzählung. Demnach fungiert der Sprecher als Erzähler, während die Nachricht ansich eine Erzählung reflektiert. Durch die Betrachtung der Nachricht als Erzählung können Nachrichten mit narrativen und dramaturgischen Kontexten assoziiert werden. Wichtig hierbei ist, dass die Nachricht als audiovisuelle Erzählung erkannt werden muss, da immer ein Zusammenhang zwischen Wort und Bild bei der Nachrichtenübermittlung besteht. Innerhalb der Erzählung werden offene und geschlossene Nachrichten wiedergegeben, die das Tagesgeschehen zusammenfassen. Der Erzähler bringt eine Erzählung entweder zum Abschluss (geschlossene Erzählung) oder hält sich die Möglichkeit offen, eine Erzählung zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufzugreifen (offene Erzählung), um sie weiter fortzusetzen. Konflikte werden demnach meist als offene Nachrichten wiedergegeben, da das inhaltliche und zeitliche Ende des Konfliktes unbekannt ist.

2. Nachrichten folgen einem Erzählfluss

Sobald neue Informationen zu einer offenen Erzählung hinzukommen steigt ihr Informationswert, so dass alte Erzählstränge neu aufgegriffen werden (Rewriting),so dass der Erzäher (Personalisierung) die Erzählung mit ihren neuen Wendungen und Ereignissen weiterführen kann (Dramatisierung). Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass das Berichtete auch wichtig sein muss. Automatisch entsteht so ein ‚unmarked space’ - eine Seite, über die nicht berichtet wird.

3. Bilder sind nicht von Sprache zu trennen:

Sprache und Bilder sind innerhalb der Nachrichtenstruktur nicht trennbar. Bilderzählungen werden niemals ohne Kommentar gesendet. Die Versprachlichung der Bilder soll somit nicht nur Information übermitteln, der Erzähler gibt durch die Kommentierung der Bilder gleichzeitig eine bestimmte Perspektive auf das Geschehen wieder. Das Paradoxon der Wort-Bild Verflechtung besteht darin, dass keine Übereinstimmung zwischen Bild und Wort möglich ist, da „das Wort anders vermitteln [kann] als das Bild, beide werden jeweils eingesetzt, um spezifische Informationen zu einer Darstellung beizusteuern.“[28]

4. Nachrichten vermitteln den Eindruck von Aktualität:

Obwohl Nachrichten bereits geschehen sind müssen sie den Eindruck vermitteln, als seien sie ‚neu’, um den Charakter von Aktualität zu wahren. Nachrichten müssen demnach immer neu sein, „[h]äufig ist jedoch auch zu beobachten, daß bei einzelnen Meldungen in den Nachrichten nicht erkennbar ist, was denn das Neue der Meldung ausmacht. Kriegskorrespondenten, die per Liveschaltung vermelden, im Augenblick sei es bei ihnen ganz ruhig.“[29] Trotzdem sichern sich Nachrichten ihren Anspruch auf Aktualität durch Liveschaltungen. Durch die Übertragung der Ereignisse in Realzeit soll der Eindruck des Ungestellten, des Spontanen kolportiert werden.

5. Nachrichten werden seriell produziert

Nachrichten werden täglich erwartet und können durch ‚Langzeiterzählungen’ aufeinander aufbauen. Dies sichert Kontinuität in den Nachrichten, liefert aber auch die Möglicheit, dass, wenn es nichts Neues gibt, eine Erzählung fortgesetzt wird ohne das es Neuigkeiten gibt.

2.5. Realität im System der Massenmedien

"[…] so arbeitet auch das System der Massenmedien in der Annahme, dass die eigenen Kommunikationen in der nächsten Stunde oder am nächsten Tag fortgesetzt werden. Jede Sendung verspricht eine weitere Sendung. Nie geht es dabei um die Repräsentation der Welt, wie sie im Augenblick ist."[30]

Für Luhmann wird die Konstruktion von Realität vor allem durch die folgenden Aspekte deutlich. Das System beobachtet sich selbst und seine Umwelt, es kann daher zwischen sich und anderen unterscheiden. Dadurch, dass das System selbst- und fremdreferentiell operieren kann, bezeichnet und unterscheidet sich das System nicht nur von seiner Umwelt - es beobachtet zudem eine Realität die für das System existiert und eine Realität, die durch das System für andere als Realität erscheint. Das System produziert Realität aber nicht im Allgemeinen und Absoluten, denn durch die Unterscheidung von System und Umwelt wird eine Grenze zwischen System und Umwelt geschaffen, die anerkennt, dass es ausserhalb des Systems eine Realität geben muss. Das System negiert also die Existenz von Realität nicht; sie bleibt aber unerreichbar, da das System nicht über seine Grenzen hinaus operieren kann.

Durch die Selektion von Information und Nicht-Information entsteht ein ‚unmarked space’; während über eine Seite berichtet wird, wird eine andere augeblendet. Luhmann sieht gerade durch die Selektion von Information und Nicht-Information die Konstruktion von Realität bestätigt, da spezifische Aspekte bewusst ausgeblendet, andere hingegen kolportiert werden.

Hierbei geht es Luhmann lediglich um die Feststellung, ob und wie Realität innerhalb der Massenmedien konstruiert wird. Der Aspekt der Manipulation wird bei Luhmann wie auch innerhalb dieser Arbeit ausgeklammert, da die nötigen Mittel, um Beweise zu finden ob und wie die Medien manipuliert haben sollen, nicht vorhanden sind.

Abschliessend wird festgestellt, ob Luhmanns Theorie über die Konstruktion von Realität innerhalb der Massenmedien durch die Analyse der Nachrichtensendungen ARD tagesschau und RTL Aktuell belegt oder widerlegt werden kann. Mit Hilfe der Theorie Luhmanns soll festgestellt werden, ob ARD und RTL verschiedene Realitäten von dem Verlauf des Krieges wiedergeben. Denn nach Luhmanns Auffassung hat "[e]s […] wenig Sinn zu fragen, ob und wie Massenmedien eine vorhandene Realität verzerrt wiedergeben; sie erzeugen eine Beschreibung der Realität, eine Weltkonstruktion, und das ist die Realität, an der die Gesellschaft sich orientiert."[31]

3. Untersuchungen zur Fragestellung

„Fernsehjournalismus bedeutet seinem Wesen nach, daß man es mit Bildern, Worten und Menschen zu tun hat. Was wir hier leisten, ist wirklich sehr wichtig für alle, die etwas über den Krieg wissen und verstehen wollen, was vor sich geht.“

– Chris Cramer, Chef von CNN International[32]

Niklas Luhmann würde mit Chris Cramer in dem Punkt übereinstimmen, dass „man es mit Bildern, Worten und Menschen zu tun hat“, wenn es um die Übermittlung von Nachrichten geht. Dennoch würde womöglich ein direkter Widerspruch folgen, wenn es um Cramers Auffassung über das Verstehen-Wollen des Krieges ginge. Denn nach Luhmanns These trägt das Massenmedium Fernsehen nicht dazu bei, dass verstanden wird, was tatsächlich passiert, da eine Darstellung der ‚wirklichen Welt’ durch die Medien gar nicht möglich ist. Cramers Statement muss demnach in Frage gestellt werden, da ein Verständnis des Krieges nach Luhmann de facto ausgeschlossen ist, da der Zuschauer den Krieg über das Fernsehen - und demnach nur eine Konstruktion des Krieges - verfolgt.

3.1. Vorbemerkung

Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit werden nun die Nachrichtensendungen der ARD tagesschau und RTL Aktuell genauer untersucht, um feststellen zu können, wie der III. Irak-Krieg innerhalb beider Sender präsentiert wird. Die Analyse der Nachrichtensendungen wird auf der These von Luhmann basieren, dass das Fernsehen bzw. Nachrichten eine eigene Realität innerhalb der Massenmedien konstruiert. Im Laufe dieser Arbeit wird auf die Theorie Luhmanns zurückgegriffen, um so einen Zusammenhang zwischen der These von Luhmann und der Präsentation des Irak-Krieges bei ARD tagesschau und RTL Aktuell herstellen zu können.

3.2. Betrachteter Zeitraum

Da der Irak-Krieg bereits vor Ausbruch der Kampfhandlungen in den Medien diskutiert wurde und auch über das Ende der aktiven Kriegsphase hinweg noch als Thema in den Medien anwesend war, ergibt sich für die Analyse der Fernsehberichterstattung eine Zeitspanne, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem sprengen würde. Aufgrund dessen konzentriert sich die Analyse der Fernsehnachrichten von ARD tagesschau und RTL Aktuell auf die aktive Phase der Kriegshandlungen vom 20. März bis 01. Mai 2003. Die Entscheidung, lediglich die Berichterstattung der aktiven Kriegsphase miteinander zu vergleichen, dient vor allem dazu eine vergleichbare Basis zwischen den Nachrichtensendungen herzustellen. Auf diese Weise soll deutlich werden, inwieweit die Präsentation des Irak-Krieges bei ARD tagesschau und bei RTL Aktuell eine Konstruktion des Krieges reflektieren oder nicht.

3.3. Art der Betrachtung

Innerhalb der Analyse werden die wesentlichen Aspekte der Nachrichtensendungen untersucht, um feststellen zu können, inwieweit die Präsentation des Irak-Krieges bei der ARD tagesschau und bei RTL Aktuell divergieren oder konvergieren. Die jeweiligen Sendungen werden in Bild, Ton und Sprache analysiert, um festzustellen, ob und wie Informationen bei ARD tagesschau und bei RTL Aktuell vergeben werden.

Vorab werden erneut die zentralen Fragen wiederholt, mit denen sich die Analyse der ARD tagesschau und RTL Aktuell auseinandersetzt:

- Auf welche Weise divergieren oder konvergieren die Sendungen der ARD tagesschau und RTL Aktuell in Bild, Ton und Sprache?
- Wie wird Information vergeben?
- Gibt es unterschiedliche Schwerpunkte bei der Informationsvergabe bei ARD tagesschau und RTL Aktuell ?[33]

3.4. Gliederungskonzept

Die Analyse der Nachrichtensendungen von ARD tagesschau und RTL Aktuell wird innerhalb der oben genannten Fragestellung in verschiedene Punkte aufgeteilt, so dass es am Ende möglich sein wird, die beiden Nachrichtensendungen gegenüberzustellen. Die Analyse der Sendungen bezieht sich auf die zentralen Aspekte der These Luhmanns, wobei auch die Narrationstheorie von Hickethier innerhalb der Nachrichtenstruktur berücksichtigt wird.

Im ersten Schritt wird die Aufmerksamkeit auf die Präsentation des Irak-Kriegs in der ARD tagesschau gerichtet sein. Hierbei liegt der Fokus zunächst auf der Nachrichtenstruktur der ARD tagesschau. Im nächsten Schritt konzentriert sich die Untersuchung im Einzelnen auf die Vermittlung von Information durch Bilder, Ton und Sprache bei der Präsentation des Irak-Krieges bei der ARD tagesschau. Die gleiche Untersuchungsmethode wird dann auf die Nachrichtensendung bei RTL Aktuell angewandt.

Nachdem beide Nachrichtensendungen im Einzelnen analysiert wurden, werden die Sendungen der ARD tagesschau und RTL Aktuell mit Hilfe von ausgewählten Fallbeispielen gegenübergestellt, um feststellen zu können, in welchen Punkten die jeweiligen Nachrichtensendungen in der Präsentation des Krieges miteinander konvergieren oder divergieren.

Durch die Gegenüberstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Nachrichtensendungen bei ARD und RTL stellt sich erneut die Frage, inwieweit es möglich ist, eine Konstruktion von Wirklichkeit innerhalb der Informationsübermittlung nach der These Luhmanns feststellen zu können. Es wird zudem auch zu klären sein, ob sich die Konstruktion von Realität gerade in den Gemeinsamkeiten oder in erst den Unterschieden der beiden Nachrichtensendungen widerspiegelt.

4. DER III. IRAK- KRIEG BEI ARD tagesschau & RTL Aktuell

„Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für die Terroristen.“

- George W. Bush[34]

Die Weigerung Deutschlands sich am Irak-Krieg zu beteiligen hat sich nicht nur auf politischer Ebene widergespiegelt, sondern auch in den Medien. Die Spiegelung der politischen Meinung in den Medien, dass es falsch sei, einen Krieg gegen den Irak zu unterstützen, erklärt Gerhard Paul[35] in seinem Buch „Der Bilderkrieg“ damit, dass das Massenmedium Fernsehen als Spiegel der politischen Situation im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext fungiert. Auf plakativer Ebene hat sich die Bundesregierung mit der Entscheidung gegen eine Beteiligung am Krieg „für die Terroristen und gegen die USA“[36] entschieden. Fraglich ist nun, ob das deutsche Fernsehen tatsächlich so deutlich Stellung gegen die USA und für den Irak bezogen hat.

Es bleibt zu bemerken, dass die Analyse der Nachrichtensendungen grundsätzlich den bezug zur politischen Lage meidet, da die Betrachtung der Medien im Zusammenhang mit der Politik einen eigenen Themenbereich eröffnet, der innerhalb dieser Arbeit nicht diskutiert werden soll. Bei wesentlichen Aspekten kann es dennoch vorkommen, dass ein Zusammenhang zwischen der Präsentation des Krieges in den Medien und politischen Vorgängen hergestellt wird.

4.1. Vorbemerkung

Mit Hilfe von der These Luhmanns, dass Massenmedien immer nur Realität konstruieren, wird durch die Gegenüberstellung von ARD tagesschau und RTL Aktuell zudem deutlich, ob und wie die einzelnen Nachrichtensendungen Stellung beziehen und ob durch die Nachrichtenvermittlung ein jeweils positives oder negatives Bild der jeweiligen Kriegsparteien aufgebaut wird. Dieser Aspekt kann nicht ausser Acht gelassen werden, da dies innerhalb der angewendeten Theorie ein signifikanter Aspekt der Konstruktion von Realität sein kann.

Erst durch spezifische Narrationstechniken, durch die Entscheidung welcher Aspekt des Kriegsgeschehens beleuchtet wird und welcher nicht, werden Sympathien und Antipathien aufgebaut, die zu der Wahrnehmung des Krieges beitragen. Dieser Meinung schließt sich auch Gerhard Paul durch seine Feststellung an, dass "[d]as erste Opfer des Krieges [..] längst nicht mehr, wie es ein viel zitierter Satz besagt, die Wahrheit [ist]. Das erste Opfer ist vielmehr die menschliche Fähigkeit, die Realität in Kriegszeiten wahrzunehmen."[37] Die Meinung Pauls kann zudem durch Luhmanns Auffassung, dass die Zwischenschaltung von Technik[38], eine Veränderung der Realität hervorruft, untermauert.

Im Laufe der Untersuchungen wird nun darauf eingegangen, auf welche Weise die ARD tagesschau und RTL Aktuell den Krieg wiedergeben. Durch die Analyse soll es am Ende möglich sein, festzustellen, ob eine Konstruktion des Krieges, und demnach, wie Luhmann in seiner Theorie über die Realität der Massenmedien behauptet, eine Konstruktion von Realität feststellbar ist.

4.2. ARD tagesschau

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Darst. 3: Eröffnungsbild der ARD tagesschau[39]

Die ARD tagesschau beginnt täglich um 20.00 Uhr und dauert ca. 15 Minuten. Alle Themenbereiche der Sendung werden vom Sprecher an- und abmoderiert. Die Informationsvergabe bei der ARD tagesschau erfolgt, unabhängig vom Themenbereich, nach dem folgenden Prinzip:

1. Der Sprecher kündigt ein Thema an. Die Sendung ist nach dem Prinzip der Aktualität gestaffelt. Das bedeutet, dass die erste Information, die vergeben wird, automatisch den höchsten Informationswert hat, während der Informationswert der folgenden Nachrichten geringer wird.
2. Informationen werden durch Bildberichte, die zum aktuellen Geschehen bezug nehmen, unterstützt.
3. Die jeweiligen Bildberichte werden aus dem OFF kommentiert.
4. Bei Informationen mit hohem Informationswert gibt ein Korrespondent seine Meinung im Anschluss an den Bildbericht ab.
5. Der Sprecher kündigt ein neues Thema an; neue Informationen werden erneut durch einen Bildbericht unterstützt.
6. Weniger wichtige Informationen werden innerhalb von Kurznachrichten und ohne Bildberichte durch den Sprecher präsentiert.
7. Zum Schluss der Sendung präsentiert der Sprecher die neuesten Nachrichten aus dem Bereich Sport, die erneut nach Aktualität gestaffelt sind. Abschließend wird das zu erwartende Wetter für die nächsten Tage präsentiert.

4.2.1. Die Präsentation des Irak-Krieges bei ARD tagesschau

Als am 20. März 2003 um 03.30 Uhr (MEZ) der Irak-Krieg beginnt, unterbricht die ARD ihr Nachtprogramm und berichtet als einer der ersten, deutschen Sender ab 03.41 Uhr über die Angriffe auf den Irak. Obwohl der Krieg bereits vor dem direkten Angriff auf den Irak absehbar war, demonstriert die Unterbrechung des Programms die Signifikanz des Konfliktes. Die reguläre ARD tagesschau, die um 20.15 Uhr beginnt, eröffnet ihr Programm mit der Übermittlung von Nachtbildern, die Explosionen in der irakischen Hauptstadt zeigen. Mit der Präsentation der Bilder aus dem Kriegsgebiet direkt zu Beginn der Sendung soll deutlich werden, dass der Ausbruch des Krieges „die Nachricht des Tages“ ist. Es bleibt zu bemerken, dass die ARD tagesschau in der Zeit der Kriegsdauer insgesamt nur viermal mit der direkten Übermittlung von Kriegsbildern beginnt. Dennoch ist die Entwicklung des Krieges das Hauptthema, so dass von 42 Sendungen, die während der aktiven Kriegsphase ausgestrahlt werden, insgesamt 29 Sendungen mit der Berichterstattung über die Ereignisse im Irak beginnen.

Der Beginn des Irak-Kriegs beinhaltet für das Fernsehen einen hohen Informationswert, so dass gerade zu Beginn des Konfliktes der Themenbereich über 90 Prozent der Sendezeit der ARD tagesschau einnimmt.[40] Die reguläre Sendezeit wird allerdings beibehalten. Insgesamt verweist die ARD tagesschau 12 Mal auf Sondersendungen, die im Anschluss an die Sendung folgen, um weitere Informationen über den Konflikt zu liefern. Bereits vor Kriegsbeginn wurden Korrespondenten in den Irak und Nachbarländer entsendet, um Live-Schaltungen möglich zu machen. Als die USA schließlich den Irak angriffen, findet eine Vielzahl von Live-Schaltungen zu den jeweiligen Korrespondenten statt, so dass der Eindruck des Dabei-Seins suggeriert werden kann.

Interessant hierbei ist, dass bei der ersten Schaltung zum in Bagdad stationierten Korrespondenten Stephan Kloss weder Live-Bilder aus Bagdad, noch der Korrespondent selber zu sehen sind. Lediglich durch ein Splitscreen, in dem ein Bild von Stephan Kloss und die Karte vom Irak eingeblendet wird, soll deutlich werden, von welcher Position der Korrespondent aus berichtet.[41] Zusätzlich berichtet Kloss über das aktuelle Geschehen, dennoch scheint es Kloss nicht möglich konkrete Aussagen bezüglich der Ereignisse zu machen, da zum gegebenen Zeitpunkt keine Raketenentwarnung vorliegt, er aber „sehen konnte, wie mehrere Gebäude lichterloh brannten.“[42] Auch Angaben über Verletzte und Tote waren nicht möglich, da keine entsprechenden Informationen vorhanden sind.

Wenn die erste Berichterstattung über den Irak-Krieg nun unter dem Aspekt von der Struktur der Nachrichten im System der Massenmedien betrachtet wird, wird folgendes deutlich: Die ARD tagesschau referiert über den Ausbruch eines Konflikts, indem die neuesten Informationen über die Ereignisse im Irak übermittelt werden. Durch das Hinzuschalten von Korrespondenten soll einerseits ein lokaler Bezug hergestellt, aber auch Aktualität gesichert werden. Deutlich erkennbar wird jedoch die Schwierigkeit über aktuelles Geschehen zu referieren, wenn es keine berichtenswerten Informationen gibt. So berichtet der Korrespondent Kloss über Raketenwarnungen, die momentan ‚nicht’ vorliegen und Verletzte und Tote, die ‚noch nicht’ entdeckt wurden, die es aber sicherlich aufgrund der Angriffe geben muss. Aufgrund der mangelnden Informationslage werden so Nicht-Informationen zu Informationen kolportiert, während Vermutungen über Tote und Verletzte als Tatsachen präsentiert werden.

Dennoch wird deutlich, dass die ARD tagesschau auf den Beginn des Krieges vorbereitet ist, da Korrespondenten im Kriegsgebiet anwesend sind, vorbereitete Sondersendungen im Anschluss folgen und Bildmaterial bereits vorselektiert wurde. Es ist nun die Frage zu stellen, ob die erste Sendung vom 20. März 2003 bereits aufweist, aus welcher Perspektive die ARD tagesschau die Geschehnisse des Irak-Krieges wiedergibt. Bemerkenswert ist, dass innerhalb der ersten Sendung neben den Bildern vom Beginn des Krieges die Situation der irakischen Bevölkerung hervorgehoben wird. Während Bilder von verletzten Kindern in einem Bagdader Krankenhaus gezeigt werden, findet kein Kommentar statt, ob es auch auf amerikanischer Seite Verluste gegeben hat. Denn, obwohl die Sendung mit dem Ausschnitt beginnt, wie die USA den Irak bombardieren, liegt der Schwerpunkt der Sendung nicht auf den Strategien des US-Militärs, sondern auf den Verlusten unter der irakischen Bevölkerung, die es zu befürchten gilt.

Mit der Präsentation der Situation der Zivilisten im Kriegsgebiet wird bereits eine narrative Struktur aufgebaut, da sich die ARD tagesschau im gesamten Verlauf der Präsentation des Irak-Krieges immer wieder auf die Verluste innerhalb der irakischen Bevölkerung bezieht. Auf diese Weise baut die ARD tagesschau einen Gegenpol zu den zu Beginn präsentierten Nachtbildern auf, die keine Rückschlüsse auf die Folgen der Bombenangriffe zulassen. Zusätzlich wird aber deutlich, dass die Konzentration auf die irakische Bevölkerung darauf abzielt, einen bestimmten Blickwinkel auf die Geschehnisse im Irak hervorzuheben und zu manifestieren.

4.3. Bilder des „echten Krieges“?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Darst. 4: Nachtbild vom Angriff auf den Irak[43]

“Erst in den Köpfen der Betrachter fügten sich die verschiedenen Perspektiven zu einem Bild des Irak-Krieges zusammen, ohne das sich die Betrachter dieser Synthese bewusst waren.“[44]

Als George W. Bush am 20. März 2003 den Angriff auf den Irak verkündet, wird nicht nur ein neuer Kontext innerhalb der Nachrichtenübermittlung eröffnet, es wird zudem deutlich, dass die Auffassung, wie Kriege auszusehen haben in den USA, Europa und der arabischen Welt, variieren. Während die USA es vermeiden, innerhalb der Nachrichtenübermittlung tote oder verletzte US-Soldaten zu präsentieren, konzentriert sich der arabische Sender Al Jazeera auf die Berichterstattung über verletzte und tote Zivilisten. Sicherlich kann argumentertiert werden, dass die USA den Irak angriffen, während der Irak sich verteidigen musste. Es ist also zu erwarten gewesen, dass der Irak sich als Opfer präsentiert, während die USA ihre Vision vom ‚erfolgreichen Befreier’ weiter propagieren.

Dennoch muss berücksichtigt werden, dass Nachrichtensendungen einem spezifischen Prinzip folgen und Ereignisse in einen bestimmten thematischen (gesellschaftlichen) Kontext eingebunden werden müssen, damit sie übermittelt werden können. Als die ARD tagesschau die ersten Bilder des Krieges übermittelt und dabei Live-Bilder zeigt, die an sich nur eine Nachtsicht präsentieren, stellt sich die Frage wie die ARD tagesschau vom Beginn des Krieges berichtet. Denn vermittelten die Bilder des Angriffs der USA auf den Irak tatsächlich den Eindruck, dass ein Krieg begonnen hat? Die gezeigten Bilder lassen keinen lokalen Bezug zu, da es sich lediglich um Aufnahmen aus großer Distanz handelt, die „hier und da“ eine Explosion zeigen.[45] Die Auswirkungen des Krieges bleiben wortwörtlich im Dunkeln.

[...]


[1] Hanfeld, Michael: Das ist echter, purer Journalismus. Der Entwurf eines Fernsehens, das Geschichte macht: Chris Cramer, Chef von CNN International, über seine Reporter im Krieg. In: FAZ, 24.03.2003, Nr. 70, S. 46.

[2] Die Bezeichnungen des letzten Irak-Krieges im Jahr 2003 variiert stark in den Medien. Um den Term: III.Irak-Krieg eindeutig bezeichnen zu können, wurde die folgende Definierung durchgeführt:

I. Irak-Krieg: 1980-1988 Irakisch-Iranischer Krieg (I. Golfkrieg),
II. Irak-Krieg: 1990-91 Irakisch-Kuwaitischer Krieg (II.Golfkrieg)
III. Irak-Krieg: 20.03.-01.05.2003 Irakisch-Amerikanischer Krieg (III. Golfkrieg)

[3] Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996. S.9.

[4] Ostrow, Joanne: Lasting Images. Tumbling statue immediately burns into memory. In: Denver Post, 10.04.2003, S. A-05.

[5] Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996.

[6] Vgl. Zitat: Chris Cramer. S.1.

[7] Hickethier, Knut: Denn wie man sich bettet, so liegt man. Strategien der Fernsehberichterstattung. http://www.mediaculture-online.de/ fileadmin/ bibliothek/ hickethier_strategien/hickethier_strategien.pdf. Abgerufen am 28. Jan. 2006.

[8] Vgl. Zitat Chris Cramer, S.1.

[9] Interview Radio Bremen: „Niklas Luhmann im Gespräch: Die Realität der Massenmedien“ http://www.radiobremen.de/online/luhmann/realitaet_der_massenmedien.pdf. Radio Bremen 1997, Sendung vom 09.10.1997. Abgerufen am: 24. April 2006.

[10] Siehe Anhang A; Bild 1: System und Umwelt. S.68.

[11] Reese-Schäfer, Walter: Luhmann zur Einführung. 1992. S.28.

[12] Ebd. Luhmann, Niklas. Die Realtiät der Massenmedien. S.10.

[13] Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass die Analyse des III. Irak-Krieges sich auf das Massenmedium Fernsehen bezieht- und andere Verbreitungsmedien, wie zum Beispiel Zeitung, Radio und Internet bei dem Gebrauch des Begriffs ausgeklammert sind.

[14] Ebd. Luhmann, Niklas. Die Realtiät der Massenmedien. S.11.

[15] Ebd.: Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. S. 15.

[16] Ebd.: Siehe Anhang A; Bild 2. S.69.

[17] Siehe Anhang: Bild 2; Selbstreferenz und Fremdreferenz im System der Massenmedien, S.69.

[18] Ebd.: Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. S.14.

[19] Ebd. Hickethier, Knut: Denn wie man sich bettet, so liegt man. Strategien der Fernsehberichterstattung. S.7.

[20] Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997.S.1097.

[21] Hickethier, Knut: Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. http://www.mediaculture-onlne.de/ fileadmin/ bibliothek/ hickethier _fernsehnachrichten/hickethier_fernsehnachrichten.pdf. Abgerufen am 29. Jan. 2006.S.2.

[22] Ebd.: Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. S.73.

[23] Ebd. Hickethier, Knut: Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. S.12.

[24] Ebd. Interview Radio Bremen: „Niklas Luhmann im Gespräch: Die Realität der Massenmedien"

[25] Ebd. Reese-Schäfer, Walter: Luhmann zur Einführung. S.43.

[26] Ebd. Hickethier, Knut: Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. S.4.

[27] Ebd. Hickethier, Knut: Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. S.26.

[28] Ebd. Hickethier, Knut: Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. S.20.

[29] Ebd. Hickethier, Knut: Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. S.13.

[30] Ebd.: Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. S.26.

[31] Ebd.: Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. S.1102.

[32] Ebd.: Hanfeld, Michael: Das ist echter, purer Journalismus.

[33] Vgl. S.3.

[34] Zitat von George W. Bush, oft gebraucht im Zusammenhang mit dem „neuen Krieg gegen den Terrorismus“ nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11.09.2001.

[35] Paul, Gerhard: Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der >Operation Irakische Freiheit<. Göttingen: Wallstein Verlag, 2005.

[36] Vgl. Zitat George W. Bush.

[37] Ebd. Paul, Gerhard: Der Bilderkrieg. S.47.

[38] Die Zwischenschaltung von Technik bezieht sich hier explizit auf das Massenmedium Fernsehen.

[39] Quelle: www.tagesschau.de/archiv ; Sendungsarchiv vom 20.03.2003.

[40] Siehe Anhang B; Tabelle 1: Prozentualer Anteil des Themas Irak Krieg bei ARD tagesschau, S.69.

[41] Siehe Anhang B; Bild 3:Kommentar Stephan Kloss, (ARD Korrespondent in Bagdad) am 20.03.2003, S.70.

[42] Zitat von Stefan Kloss, ARD Korrespondent in Bagdad am 20.03.2003.

[43] Quelle: www.tagesschau.de/archiv, Sendungsarchiv vom 20.03.2003.

[44] Ebd. Paul, Gerhard: Der Bilderkrieg. S.69.

[45] Siehe Anhang B; Bild 4 & 5. Nachtbild-Aufnahmen, S.70.

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Der Irak-Krieg im Fernsehen: Eine Analyse der Fernsehberichterstattung des III. Irak-Krieges in Bild, Ton und Sprache
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Theater-, Film-, und Fernsehwissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
113
Katalognummer
V58263
ISBN (eBook)
9783638525084
Dateigröße
1240 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
42 seitiger Anhang! 42 seitiger Anhang!
Schlagworte
Irak-Krieg, Fernsehen, Eine, Analyse, Fernsehberichterstattung, Irak-Krieges, Bild, Sprache
Arbeit zitieren
Nicole Knuppertz (Autor:in), 2006, Der Irak-Krieg im Fernsehen: Eine Analyse der Fernsehberichterstattung des III. Irak-Krieges in Bild, Ton und Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58263

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