Wer kritisiert, wird bestraft - Zum Einfluss von Anzeigenkunden auf die Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ökonomie der Medien
2.1. Die Verbundproduktion - von Lesern und Anzeigenkunden
2.2. Kosten- und Erlösstruktur der Presse
2.3. Die These der „Primärorientierung amAnzeigenmarkt“
2.4. Wandel im Journalismus
2.5. Steigender Einfluss der Public Relations

3. Formen der Einflussnahme
3.1. Vorbeugende Maßnahmen
3.2. Rücksicht auf den Inserenten
3.3. InnovationAdvertorial

4. Schranken
4.1. Gesetze
4.2. Kodizes der Standesorganisationen
4.2.1. Pressekodex
4.2.2. Selbstkontrolle der PR- und Werbeindustrie
4.2.3. Kritik
4.3. Redaktionsinterne Kodizes
4.3.1. Überblick
4.3.2. Kritik
4.4. Schranken durch Selbstbeobachtung

5. Fazit undAusblick

6. Grafikverzeichnis

7. Abkürzungsverzeichnis

8. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„6 Flaschen Bier + 1 Tüte Erdnuß-Flips + 1 Deutschland-Fahne nur 99 Cent!“. Dieses WM-Highlight versprach am 7.6.2006 nicht die Beilage des lokalen Lebensmitteldis- counters, sondern der Aufmacher der „Bild“-Zeitung. Eine leicht bekleidete Fußballgöt- tin schwenkte dazu die Deutschlandfahne, zwanzig Zeilen Text und ein weiterer Artikel im Innenteil erläuterten den Weg zum Fan-Paket. Der führte in den nächsten Lidl-Super- markt, wo es im Tausch gegen 99 Cent und die Coupon-Ecke aus der „Bild“ die Fanaus- stattung gab. Der Fußballfan dankt, der medienkritische Leser dagegen grübelt: Ver- drängen Bier und Knabbereien politische und wirtschaftliche Themen von der Agenda. Sogar Problembär Bruno schaffte es an diesem Tage nicht auf den Titel des Boulevard- blattes. Und fehlt dem Aufmacher nicht der Zusatz „Anzeige“, denn diese Kennzeich- nung ist für schwer erkennbare werbliche Darstellungen vorgeschrieben, um Schleich- werbung zu verhindern. „Die Tageszeitung“ fragte am Folgetag Branchenexperten und erhielt unterschiedliche Antworten: Der Springer-Verlag sah seine Berichterstattung in Einklang mit geltendem Recht und eigenen Richtlinien. Der Geschäftsführer des Zen- tralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) dagegen erkannte in dem Titel ein Verkaufsangebot, das dem durchschnittlichen Leser nicht sofort ersichtlich ist. Der Ver- treter des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen stufte den Fall als unlautere Wer- bung ein (vgl. o.V. 2006). Der Fall landete beim Deutschen Presserat, der zwar zwei Ta- ge später drei Pressemedien öffentlich wegen Schleichwerbung rügte, jedoch nicht die „Bild“ wegen deren Titelgeschichte (vgl. Presserat 2006a). Am 21.7.2006 berichtete die Presseabteilung des Springer-Verlags von der Einstellung des Verfahrens; der Presserat hatte die Aktion als eine zulässige Aktion des Eigenmarketings interpretiert (vgl. Sprin- ger 2006).

Der vorliegende Fall scheint damit geklärt, offen aber bleibt das Verhältnis von Anzeigenkunden und Pressemedien sowie der Einfluss der Werbenden auf die Inhalte. Eine wichtige Frage, denn der Käufer einer Zeitung oder Zeitschrift setzt vor allem eines voraus: Eine Berichterstattung, die keinesfalls ungenannt den Interessen Dritter Rechnung trägt, sondern sachgerecht erfolgt.1

Doch abwegig ist dieser Gedanke nicht, denn Zeitungen und Zeitschriften sind keineswegs die unabhängigen Organe, als die sie sich selber gerne präsentieren. Neben dem Leser müssen diese Medien einen zweiten Kundenkreis zufrieden stellen, die An- zeigenkunden. Da diese einen größeren Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Mediums als die Leser ausüben, liegt der Verdacht nahe, dass der Inhalt stellenweise zuerst dem Interesse des Anzeigenkunden und dann dem des Lesers entspricht. Dieser Verdacht ist nicht neu und die Wirklichkeit hat ihn schon vielfach bestätigt. Größeres öffentliches Interesse erregte vor einem Jahr ein Fall, an dem wiederum der Lebensmit- teldiscounter Lidl beteiligt war, über den die „Badischen Neuesten Nachrichten“ einen kritischen Bericht veröffentlicht hatten. Das Unternehmen, ein wichtiger Anzeigenkun- de für die Zeitung, beschwerte sich, wenige Tage später wurde der Redakteurin gekün- digt - offiziell wegen journalistischer Fehler. Einen Zusammenhang zwischen Bericht, Beschwerde und Kündigung wurde öffentlich vermutet, aber nicht bewiesen (vgl. Wil- ton 2005:44).2 Eine prägnante Zusammenfassung solcher Vorgänge fand Werner Funk 2001, zu diesem Zeitpunkt Herausgeber der Wirtschaftszeitschrift „Capital“: „Wer kriti- siert, wird bestraft“.4

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen Anzei- genkunden, Zeitungen und Zeitschriften sowie dem Leser. Sie zeigt die Verflechtungen zwischen Medien und Wirtschaft, die zu einer Aufweichung der journalistischen Ziele aus wirtschaftlichen Motiven führen können und immer wieder führen. Dazu sondiert zuerst eine Zusammenfassung der wirtschaftlichen Situation der Printmedien deren Marktlage. Daraufhin bereitet eine Betrachtung der Motive für eine Einflussnahme auf die Berichterstattung die Grundlage für die Erörterung der verschiedenen Einflussfor- men, die Anzeigenkunden bei Printmedien suchen und die ihnen einzelne Medien offe- rieren. Da der Medienmarkt ein besonderer ist - wie noch zu zeigen sein wird - unter- liegt er speziellen Schutzmaßnahmen von verschiedenen Seiten. Diese Schranken und deren Effizienz sind Inhalt des letzten Kapitels.

Der tatsächliche Einfluss von Anzeigenkunden auf die Berichterstattung ist nur schwer nachweisbar. Denn würde man ihn mit viel Chuzpe von Chefredakteuren, Pub- lic-Relations-Verantwortlichen und Media-Planern direkt erfragen, wäre die Antwort vermutlich eindeutig: Es gibt keine Verbindung. Es bedarf also subtilerer Erhebungsme- thoden, etwa der Befragung von angestellten Journalisten (Baerns/Feldschow 2004, Bentele/Seidenglanz 2004, Gerhard/Kepplinger/Maurer 2005, Maser 2006, Weber 2000), dem Interview mit Verantwortlichen in der werbenden Industrie (Maser 2006) oder einer Untersuchung der Rezipientenwahrnehmung (Burkhart/Kratky/Stalzer 2004). Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen werden im Laufe dieser Arbeit dargestellt und mit Einzelfallmeldungen über die Verbindung von Anzeigen schaltender Wirtschaft und Medium in Verbindung gesetzt.

2. Ökonomie der Medien

2.1. Die Verbundproduktion - von Lesern und Anzeigenkunden

Das Dilemma der Presse entsteht durch die Verbundproduktion und der Finanzierung auf zwei Märkten. Ein Presseprodukt muss für beide Märkte attraktiv sein und jeweils dessen spezifische Erwartungen erfüllen (vgl. Wirtz 2003:27). Der Leser tritt als Nachfrager auf dem ersten Markt auf. Er erwartet Informationen, Bildung oder Unterhaltung. Der Werbekunde dagegen, als Repräsentant des zweiten Marktes, sucht die Aufmerksamkeit des Lesers und erwartet eine möglichst hohe Verbreitungswahrscheinlichkeit seiner Botschaft (vgl. Heinrich 2001:129).

Die Präsenz eines Produktes auf beiden Märkten führt zu einer Zweiteilung des Inhalts. Im redaktionellen Teil publiziert ein Printmedium Informationen von öffentli- chem Interesse, Anzeigen dienen dagegen der Veröffentlichung von Partikularinteres- sen. Beide Bereiche sind, den Vorgaben des Gesetzgebers und diverser Branchenver- bände folgend, strikt voneinander zu trennen (vgl. Kap. 4). Die Trennung basiert auf den unterschiedlichen Funktionen dieser beiden Bereiche. Der redaktionelle Teil erfüllt eine gesellschaftspolitische Funktion, die sich aus der verfassungsrechtlich festgestellten öf- fentlichen Aufgabe der Presse ableitet (vgl. Löffler/Ricker 1994:12ff). Demgegenüber erfüllt der Anzeigenteil primär eine Funktion als Werbeträger, der jedoch, durch den teilweise vorhandenen Informationscharakter der Werbung, ebenfalls zur öffentlichen Aufgabe der Presse zählt (vgl. ebd.:341ff), in erster Linie jedoch Partikularinteressen bedient. Die Verbundproduktion gelingt, weil der Rezipient neben dem redaktionellen auch dem werblichen Teil des Mediums seine Aufmerksamkeit schenkt. Besonders aus- geprägt ist dieses Verhalten bei Lesern von Tageszeitungen (vgl. BDZV 2005c, Pieler 2000:347).

Die Folge ist ein Qualitätswettbewerb zwischen Rezipienten- und Werbemarkt, in dem der Leser doppelt benachteiligt ist. Erstens erhält er ein Produkt mit mangelnder Qualitätstransparenz. „Journalisten produzieren ein sogenanntes Geschmacksgut, ein Gut, dessen Qualität nur individuell und subjektiv erfaßt werden kann“ (Heinrich 1996:167). Zweitens sind die Vermarktungsmöglichkeiten für das öffentliche Gut In- formation nur mangelhaft, Eigentumsrechte sind nur schwer durchsetzbar. „Damit ist der ökonomische Anreiz, qualitativ hochwertige Informationen zu produzieren, gering im Verhältnis zum Anreiz, Informationen in großer Menge zu produzieren“ (ebd.:170). Beide Probleme treten auf dem Werbemarkt in dieser Form nicht auf. Es ist dieser Dualismus von öffentlicher Aufgabe und privatwirtschaftlicher Orga- nisation, der Siegfried Weischenberg (1998:171) von der „eingebauten Schizophrenie“ unseres Mediensystems sprechen lässt. Auf dem Rezipientenmarkt erfüllt die Presse ihre öffentliche Aufgabe. Entscheidend dabei ist die publizistische Qualität mit Merkmalen wie Aktualität, sachlicher Richtigkeit, Meinungsvielfalt, Relevanz oder kommunikati- vem Erfolg (vgl. Mast 2004:161). Auf dem Anzeigenmarkt dagegen ist die ökonomi- sche Qualität entscheidend. Gut ist dabei, was den individuellen Anforderungen des Nachfragers entspricht (vgl. Pieler 2000:349f). Ein Anzeigenkunde sucht ein passendes Werbeumfeld. Die unterschiedliche Zielsetzung kann zu Konflikten führen, denn ein Medium mit kritischer Berichterstattung ist keine gute Plattform für die Verbreitung von Werbebotschaften. Der eingangs zitierte Konflikt zwischen dem Lebensmitteldiscounter und den „Badischen Neuesten Nachrichten“ ist dafür ein gutes Beispiel.

2.2. Kosten- und Erlösstruktur der Presse

„The readers Pennies bring the advertisers Dollars“, so erklärte Emil Dovifat (1927:47) die Kosten- und Erlösstruktur der Verlage bereits vor 80 Jahren. Viele „Pennies“ aus dem Straßen-, Abonnement- oder Sonderverkauf ergeben in der Summe nicht nur Dol- lars für den Verlag, sondern sind ein gewichtiges Argument - in Form der Reichweite - gegenüber den Anzeigenkunden, wenn es um die Höhe der Werbekosten geht. Dabei ist die Reichweite auf dem Rezipientenmarkt allerdings nur eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für den Verkauf auf dem Werbemarkt (vgl. Heinrich 1996:174). Im direkten Vergleich ergeben die Erlöse aus Werbung tatsächlich die Dol- lars und haben einen größeren Anteil am Gesamtgewinn. Bei Zeitungen stammten 2005 53% der Erlöse aus dem Anzeigengeschäft, nur 47% aus dem Vertrieb (BDZV 2006). Die Erlösstruktur bei Zeitschriften scheint auf den ersten Blick ähnlich (Heinrich 2001:314), bedarf jedoch einer differenzierten Betrachtung, da dieser Sektor erhebliche Schwankungen aufweist. Anhaltspunkte können die veröffentlichten Zahlen der drei größten deutschen Verlage der Publikumspresse4 für das Jahr 2005 liefern (vgl. Grafik 1), nach denen die Anzeigenkunden rund ein bis drei Fünftel zum Erlös beitrugen.

Grafik 1: Einnahmeverteilung bei der Publikumspresse im 1. Quartal 2006.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufschlussreich ist eine Gegenüberstellung der Kosten und Erlöse für die Produk- tion eines Presseproduktes. Beim direkten Vergleich entfallen 62% der Produktionskos- ten auf den redaktionellen Teil einer Zeitung, die Ausgaben für Werbung betragen 38%

Grafik 2: Kosten- u. Erlösstruktur bei Abonnementzeitung in Westdeutschland 2004.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(BDZV 2005a)5. Demnach verursacht die Produktion von Inhalten für den Lesermarkt

höhere Kosten, der Adressat dieser Inhalte, der Leser, trägt zu den Erlösen aber in den meisten Fällen in geringerem Umfang bei als die Anzeigenkunden.

2.3. Die These der „Primärorientierung am Anzeigenmarkt“

Als Folge dieses Ungleichgewichts ist in der Forschung die Theorie von der „Primärori- entierung am Anzeigenmarkt“ (vgl. Pieler 2000:351) entstanden. Demnach orientieren sich Verlage primär an den Qualitätsnormen des Werbemarktes und erst sekundär an denen des Rezipientenmarktes. Als Belege werden die Strukturen des deutschen Pres- semarktes angeführt: Höhere Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft, die zu einer vers- tärkten Sensibilisierung gegenüber den Anzeigenkunden führen sowie günstigere Struk- turen im Anzeigenmarkt mit transparenten Qualitätsstandards und einer großen Rivalität um Anzeigenkunden (vgl. ebd.:351f). Jürgen Heinrich veranlasste das bereits vor zehn Jahren zu der Feststellung, dass „Medienformate immer genauer an die Wünsche der werbetreibenden Industrie angepasst werden“ (Heinrich 1996:181), was „tendenziell […] zu einem werblich determinierten Billigjournalismus führt“ (ebd.:165). Zudem können Anzeigenkunden ihre Interessen gegenüber den Verlagen durch Einflussgruppen vertreten, während Rezipienten nicht über eine solche Möglichkeit der kollektiven Arti- kulation verfügen.

Neben den beschriebenen Besonderheiten unterstützen weitere Daten die These von der Primärorientierung am Anzeigenmarkt: Die Einnahmen aus dem Anzeigenge- schäft sind bei Tageszeitungen in den letzten Jahren drastisch geschrumpft, der Wettbe- werb um die Anzeigenkunden nimmt dagegen zu. Nachdem die Werbeaufwendungen im Jahr 2000 ihren Höhepunkt mit ca. 6,5 Mrd. Euro erreichten, vermeldete die Branche 2004 nur noch 4,5 Mrd. Euro - ein Rückgang um rund ein Drittel (BDZV 2005b). Eine detaillierte Betrachtung der Erlösstruktur verdeutlicht den Wandel: Während die Ein- nahmen aus Anzeigen und Fremdbeilagen 1997 noch 62% betrugen, sanken diese Erlö- se 2005 auf 53% (BDZV 1998, 2006). Dazu kommt ein schwindender Anteil der Tages- zeitungen am gesamten Werbemarkt. Wurden 1994 noch über 30% aller Werbeaufwen- dungen in Tageszeitungen investiert, sank dieser Anteil bis 2002 auf 25% ab (BVDZ 2003). Auch bei den Publikumszeitschriften lässt sich diese Entwicklung beobachten, wenn auch in einem deutlich geringeren Umfang: Die Werbeeinnahmen dieser Branche sinken leicht (BVDZ 2005b), der Anteil am gesamten Werbemarkt bleibt konstant (BVDZ 2003).

2.4. Wandel im Journalismus

Die Folge des rückgängigen Anzeigengeschäfts und des verschärften Wettbewerbs in der Branche sind Rationalisierungsmaßnahmen und „eine zunehmende Umstellung des gesamten Mediensystems unter eine wirtschaftliche Betrachtungsweise“ (Meier/Jarren 2001:152). Eine Folge ist das Konzept des integrierten Medienmarketings, bei dem das Presseprodukt durch die verschiedenen Abteilungen des Verlages gemeinsam erstellt wird. „Marketingexperten, Designer, Formatspezialisten und Hausjuristen gewinnen allmählich immer mehr Macht über die Inhalte - auf Kosten der Journalisten“, be- schreibt Siegfried Weischenberg (1995:342) diese Entwicklung.

Die Bestätigung dieser Vermutung aus der Praxis liefert im Jahr 2000 eine Befra- gung von 522 Journalisten in Österreich6: Zwei Drittel der Befragten berichen über ge- legentliche Interessenkonflikte zwischen der Anzeigenabteilung und der Redaktion, et- wa wenn es um die kritische Berichterstattung über Großinserenten geht, 15% nehmen solche Konflikte sogar regelmäßig war (Weber 2000:147). Einen steigenden Einfluss der Anzeigen- und Werbekunden im Zeitraum von 1995 bis 2000 konstatieren sogar vier Fünftel aller Befragten (ebd.:150). Für mehr als die Hälfte der befragten Chefredakteure üben potenzielle oder faktische Werbekunden einen durchschnittlichen bis sehr starken Faktor auf die journalistische Arbeit auf, bei Ressortleitern und Redakteuren fällt dieser Wert dagegen geringer aus (ebd.:145).

Auch neuere Studien bestätigen diese Entwicklung. Fast vier Fünftel von 260 be- fragten Journalisten bei regionalen Abonnementzeitungen beobachtet, dass im redaktio- nellen Teil ihres Mediums Rücksicht auf die Interessen von Inserenten genommen wird. Die Hälfte der Befragten bemerkt zudem eine Verstärkung dieser Entwicklung (vgl. Gerhardt/Kepplinger/Maurer 2005:40). Auch die Studie „Zukunft des Journalismus“ von 20067 bestätigt diesen Trend. In seltener Übereinstimmung prognostizieren die 3743 befragten Journalisten ein weiteres Verschwimmen der Grenzen zwischen redakti- onellen Inhalten und Werbung in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Steigen wird dage- gen der Einfluss von wirtschaftlichen und politischen Interessen auf den Journalismus (vgl. Schild 2006:26).

Die Rationalisierungsmaßnahmen der letzten Jahre in der Brache haben zum Ab- bau von Redakteursstellen geführt. Die Zahl der hauptberuflich tätigen Journalisten ist in den letzten dreizehn Jahren gesunken (Weischenberg/Malik 2006:11), ebenso die An- zahl hauptberuflicher Journalisten pro Redaktion (ebd.:13). Vor allem kleinere Tages- und Wochenzeitungen haben Personal abgebaut, im Schnitt um rund acht Prozent; Pub- likumszeitschriften verkleinerten die Redaktion sogar um durchschnittlich 20% (ebd.:13). Viele ehemals fest angestellte Journalisten erfüllen nun als Freiberufler die Wünsche der geschrumpften Redaktion. Allerdings beliefern die selbstständigen Kolle- gen in den wenigsten Fällen nur eine Redaktion, sondern verkaufen ihr spezialisiertes Wissen an verschiedene Kunden. Darunter sind neben Presseorganen aber auch Kunden aus der werbetreibenden Industrie, für die sie Aufgaben im Bereich der Public Relations übernehmen (vgl. Weber 2000:156). Leider liefert die aktuelle Journalistenbefragung von Weischenberg und Malik (2006) zum Umfang dieser Doppeltätigkeit keine empiri- schen Daten. Denn die Vermengung von Journalismus und PR in der Person des freien Journalisten bietet den Unternehmen einen neuen Weg, ihre Interessen in den Presseor- ganen zu platzieren. Für die Medien hat das Outsourcing schwer wiegende Folgen, denn ihnen entgleitet damit die Qualitätskontrolle über den Inhalt und seine Produktionsme- thoden (vgl. Heinrich 1996:177).

2.5. Steigender Einfluss der Public Relations

Der Abbau von Redakteursstellen führt auch zu einer Mehrbelastung der noch verblie- benen Journalisten, denn die Anzahl der zu füllenden Seiten bleibt weit gehend kon- stant. Daraus folgt, dass weniger Arbeitszeit für Recherche und Qualitätssicherung zur Verfügung steht. Das Ergebnis ist ein steigender Einfluss der Public Relations (PR), der auch an den Mitarbeiterzahlen der beiden Branchen abzulesen ist. Während die Zahl der hauptberuflichen Journalisten sinkt, nimmt die Zahl der PR-Tätigen zu; Schätzungen gehen heute von 30.000 bis 50.000 PR-Mitarbeitern aus - Tendenz steigend (vgl. Schnedler 2006:16). Da darf es nicht verwundern, wenn viele Journalisten einer Ar- beitserleichterung wie der Pressemitteilung keineswegs ablehnend gegenüberstehen, sondern sie dankbar aufgreifen. Die Folge: Eine steigende Zahl von redaktionellen Bei- trägen, deren Inhalt sich auf die unveränderte Wiedergabe oder die Paraphrasierung von Pressemitteilungen beschränkt.

[...]


1Sachgerecht meint in diesem Zusammenhang eine Information, die „den Lesern […] hilft, sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden, d.h. Ihnen die Möglichkeit gibt, sich sowohl in den eigenen An- gelegenheiten als auch in Fragen von allgemeiner Bedeutung auf rationale Weise eine eigene Meinung zu bilden und die erforderlichen Entscheidungen auf einer rationalen Grundlage zu treffen“ (Branahl 1997:71).

2Die Kündigung wurde kurze Zeit später wieder zurückgenommen.

3Claudia Mast zitiert in ihrem Beitrag für die Zeitschrift „Wirtschaftsjournalist“ den Herausgeber der „Capital“ bei seiner Rede auf den Münchener Medientagen mit diesem Zitat (Mast 2001:20).

4Unter dem Begriff Publikumspresse summiert der Autor der Übersicht redaktionell gestaltete Kaufperiodika, konzipiert für den deutschen Markt, die mit mindestens vier Ausgaben pro Jahr erscheinen. Datengrundlage sind die Kennzahlen der IVW, die einer Überarbeitung unterzogen wurden. Reine Übersetzungen aus anderen Sprachen oder Periodika ohne journalistische Struktur oder Titel der Fach-, Kunden oder tagesaktuellen Wochenpresse finden keine Berück- sichtigung (vgl. Vogel 2006:380).

5Dieser Vergleich basiert auf Datenmaterial des BDZV, das fünf Kostengruppen auflistet: Herstellung: 28,2%, Redaktion: 25,1%, Vertrieb: 22,9%, Anzeigen: 15,7%, Verwaltung: 8,1% (BDZV 2005). Um eine bessere Vergleichbarkeit des Datenmaterials zu erreichen, wurde die Darstellung auf die Kosten für Redaktion und Anzeigen beschränkt.

6Befragt wurden Journalisten in verschiedenen Medientypen (Tageszeitung, Illustrierte/Maga- zin, Zeitschriften, Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk und privater Rundfunk).

7Grundlage der Ergebnisse ist eine vorläufige Auswertung der Studie.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Wer kritisiert, wird bestraft - Zum Einfluss von Anzeigenkunden auf die Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
International vergleichende Journalismusforschung
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
30
Katalognummer
V62637
ISBN (eBook)
9783638558457
ISBN (Buch)
9783640371877
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einfluss, Anzeigenkunden, Inhalte, Zeitungen, Zeitschriften, International, Journalismusforschung, Werbung, Trennungsgebot, Unabhängigkeit, Presserat
Arbeit zitieren
Michael Ludwig (Autor:in), 2006, Wer kritisiert, wird bestraft - Zum Einfluss von Anzeigenkunden auf die Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62637

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