Die Rational Choice-Theorie und Intersubjektivität

Eine Analyse des Geltungsbereichs der rationalen Wahl als soziologische Erklärung


Seminararbeit, 2005

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Aufbau und Funktionsweise der Rational Choice- Theorie
2.1 Skizze aus einem Forschungsprozess
2.2 Das Spezifische der Handlungswahl

3. Intersubjektivität und Rational Choice- Theorie
3.1 Das Verhältnis von Subjektivität und der Entstehung von Handlungen
3.2 Alltagshandlungen
3.3 Die „Satisficing“- Erweiterung
3.4 Intersubjektivität und Rationalität
3.5 Strategisches Handeln
3.6 Exkurs: Handlungswahl am Beispiel „Bauernfamilien an der Rentabilitätsgrenze“

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die unbestreitbaren Schwierigkeiten, die sich bei der Konstruktion eines allgemein gültigen Erklärungsansatzes zu kollektiven Phänomenen ergeben, sind hinreichend bekannt. Esser (1999) weist darauf hin, dass soziologische Erklärungen theoretische Modelle sind, die abstrakt und daher stark vereinfacht die Strukturen der Realität beschreiben, aber nicht unmittelbar abbilden sollen (Ebd., S. 21). Jede größere Realitätsnähe zieht immer eine höhere Komplexität nach sich, was das Modell letztendlich unübersichtlich macht. Beispielsweise erfordert die Erweitung des Ansatzes der rationalen Wahl um affektuelles, traditionelles und wertrationales Handeln erstens die Einrichtung und zweitens die Differenzierung zwischen den verschiedenen Typen und bewirkt eine Aufblähung des analytischen Apparates zur Datenbereinigung um ein vielfaches.

Andererseits stellt sich die Frage, wie viel Abstraktion sinnvolle Erklärungen zulassen. Die Entwicklung der ursprünglich ökonomischen Theorie der rationalen Wahl und deren Adaption durch die Sozialwissenschaften haben gezeigt, dass die Reduktion menschlichen Verhaltens auf rein egoistische, der monetären Bereicherung und/oder dem Ausbau persönlicher Machtbefugnisse dienende Handlungsmotivationen dem Anspruch nicht genügt, ein einfaches, universell anwendbares und gleichzeitig mit ausreichendem Erklärungspotenzial ausgestattetes Modell zu sein.

Wie gezeigt werden soll, ist es unter stetiger Einflussnahme der Kritik zu einem umfangreichen, mit vielen Erklärungssträngen ausgestattetem Modell angewachsen. Es soll hierbei speziell um die Bedeutung von Intersubjektivität bei der rationalen Wahl gehen, den Einfluss des Kollektivs auf das Individuum und dessen Relevanz für die Rational Choice- Theorie. Gerade dem Erläuterungspotenzial zu gesellschaftlichen Phänomenen einer Theorie auf Grundlage des methodologischen Individualismus ist eine Überprüfung aus Sicht intersubjektiver Beeinflussungsvarianten eben auf das Individuum geschuldet.

Dabei spielen der interdependierende Charakter zwischen gesellschaftlicher und individueller Bewusstseinsbildung und die interferenten Faktoren individueller Persönlichkeitsentwicklung eine entscheidende Rolle. Diese sollen beleuchtet und ggf. kontrastierend in Beziehung zur Theorie der rationalen Wahl gesetzt werden.

2. Aufbau und Funktionsweise der Rational Choice- Theorie

2.1 Skizze aus einem Forschungsprozess

Die Theorie der rationalen Wahl (Rational Choice- Theorie) wird momentan von den meisten Sozialwissenschaftlern als der fruchtbarste Ansatz für die Erklärung sozialer Prozesse angesehen. Sie stellt eine Vereinigung aus verschiedenen Axiomen der Mikroökonomie und der Spieltheorie dar. Im Gegensatz zu anderen modernen Handlungstheorien (vgl. Wiesenthal 1987, S. 435) wird davon ausgegangen, dass soziale Phänomene durch das Handeln individueller Akteure erklärt werden können. Im Sinne des methodologischen Individualismus lässt sich nicht das individuelle Verhalten durch makrosoziologische Gesetze erklären, sondern vielmehr umgekehrt, Handlungskategorien, wie Alternativenwahl und Intentionalität des einzelnen Akteurs, gelten als Ausgangspunkt zur Erklärung kollektiven Verhaltens. Individuelles Verhalten, so die Annahme, wird dabei durch ein Nutzenmaximierungskalkül motiviert. In einem ersten groben Umriss soll nun das Verfahren nachgezeichnet werden, mit welchem Erklärungsmodelle in der Sozialforschung nach der Rational Choice- Theorie erarbeitet werden. Dieser wird allerdings vorerst einen Übersichtscharakter nicht übersteigen.

Das Modell besteht also aus mindestens zwei Ebenen, der Makroebene, d.s. kollektive Phänomene oder kollektives Verhalten, und der Mikroebene, welche sich auf die Individuen eines sozialen Systems bezieht. Drei Grund schritte benötigt die strukturell- individualistische Erklärung (vgl. Abraham 2001, S.2): Erstens stellen so genannte Brückenannahmen „einen Zusammenhang zwischen der individuellen Handlungssituation und der Ausgangssituation auf der Makroebene“ (Ebd.) her. Sie dienen der Beschreibung von Handlungsspielräumen und Handlungszielen, indem sie den konkreten Handlungsrahmen offen legen (juridische Bedingungen, sozialer Kontext, institutioneller Rahmen bzw. Regeln usw.) und somit Handlungszwänge und Handlungsmöglichkeiten bestimmen.

Zweitens müssen Annahmen über den Modus der individuellen Entscheidungen getroffen werden, d.h. durch die Grundannahme, dass Menschen Ziel gerichtet agieren, ist es ebenso nötig, eine Annahme über die Art und Weise ihrer Entscheidungsfindung zu treffen, wie die individuellen Handlungsfolgen zu kennen. Es wird mit anderen Worten angenommen, dass die Akteure „versuchen, mit ihnen geeignet erscheinenden und für sie verfügbaren Mitteln auf Grundlage ihrer jeweiligen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände ihre persönlichen Ziele zu erreichen“ (Abraham 2001, S.3). Unterstellt wird, dass die Akteure gemäß ihren Präferenzen bei ihren Handlungsentwürfen Nutzen maximierend kalkulieren, was einen gewissen Grad an Information über die gegenwärtige Situation, Handlungsalternativen und deren zukünftige Handlungskonsequenzen voraussetzt. Des Weiteren lassen sich die Präferenzinhalte[1] nach dem Ausmaß des Eigeninteresses differenzieren, welches aber nicht ausschließlich auf die Vermehrung materieller Dinge ausgerichtet sein muss (im Ggs. zur Ökonomik), sondern alle individuellen Neigungen umfasst, wie beispielsweise altruistisches Handeln. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass alle Akteure in diesem Rahmen allein eigeninteressiert handeln.

Drittens muss nun geklärt werden, wie aus Individualhandlungen Kollektivphänomene entstehen. Da Handlungen durchaus auch unintendierte Folgen haben können, bleibt zu berücksichtigen, „dass derartige Transformationsregeln häufig komplexer sind als die einfache Summe individueller Handlungsergebnisse“ (Ebd., S.4), kollektive Ergebnisse entstehen erst durch eine bestimmte Kombination einzelner Handlungen.

2.2 Das Spezifische der Handlungswahl

Um wählen zu können, muss der Akteur folgende zwei Bedingungen erfüllen: er muss frei und selbständig sein. Dabei wird unterstellt, dass er Neigungen hat, denen er bei seiner Handlungsauswahl folgt. So lässt sich sein Wille, vor die Entscheidung gestellt, die eine von mehreren Möglichkeiten zu bevorzugen, als Präferenz bezeichnen. In der Theorie wird angenommen, diese Präferenzen seien stabil, widerspruchsfrei (transitiv) und dem Akteur bewusst.

Es besteht Einigkeit darüber, dass die in der Theorie der rationalen Wahl getroffene Annahme zutrifft, der Prozess der Handlungswahl verlaufe in drei Schritten: der Kognition der Situation, der Evaluation der Handlungskonsequenzen und der Selektion einer bestimmten Handlung aus einem Bündel an Alternativen (vgl. Esser 1990, S. 232).

Kognition bezeichnet den Prozess der Vergegenwärtigung der speziellen Situation durch den Akteur und die genaue Positionierung seiner selbst in ihr. Maßgeblich ist nun der individuelle Erfahrungsschatz des Akteurs im Umgang mit diesen Situationen. In dieser Phase werden bereits vergangene Situationslösungen erinnert und mit der aktuellen Anforderung assoziiert. Dabei geschieht eine Bewertung ob der Anwendbarkeit bereits bewährter Handlungsalternativen (Rezeptwissen; vgl. Pkt. 3). Findet sich schon hier die optimal erscheinende Alternative oder besitzen alle Alternativen den gleichen Wert, wird danach gehandelt. Das spart Zeit und Energie (Kosten).

Bei der Evaluation werden die möglichen Handlungskonsequenzen mit Fokus auf die individuellen Präferenzen und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens geprüft. Dabei muss unterschieden werden, ob die Handlungsfolgen mit Sicherheit, unter Risiko oder nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten. Überdies weist Esser (1990) darauf hin, dass die Gewichtung von Gewinn-/ Verlustaussichten verschiedene Grade an Aufmerksamkeit auf Alternativen erweckt, so steigert beispielsweise die Erwartung eines geringen Gewinns die Aufmerksamkeit auf eine neue Handlungsalternative nur kaum (Ebd., S.237). Demzufolge werden eher bewährte Strategien angewandt als neue konzipiert. Das Modell sieht vor, dass der Akteur eine Art Kosten- Nutzen- Kalkulation durchführt[2], deren Ergebnis dann zur Selektion führt.

Für diese gilt, laut Theorie, „das Kriterium der Maximierung der subjektiven Nutzenerwartung“ (Ebd., S. 233), welches besagt, dass die Entscheidung für diejenige Handlung ausfallen wird, die nach der Kalkulation den maximalen Nutzen unter minimal- nötigem Kostenaufwand verspricht. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass Rationalität sich nicht auf das Handlungsziel gemäß der Präferenzen des Individuums bezieht, sondern auf die Mittel, die zur Erreichung des Ziels vom Akteur benutzt werden (vgl. Etzrodt 2003, S. 15).

Zu Recht besteht der Einwand, dass eine solche rationale Kalkulation nur unter der Bedingung einer umfassenden Informiertheit möglich sei. Da aber weder mit Sicherheit zukünftig eintretende Handlungsfolgen zu kennen sind, noch die dafür notwendige kognitive Leistungsfähigkeit einem Menschen zur Verfügung steht, wird von der so genannten bounded rationality ausgegangen.

[...]


[1] Die Präferenzrelation und deren Berechnung in traditioneller und moderner Ökonomik und SEU- Theorie zeigt Etzrodt (2003), S. 30ff.

[2] In der Literatur findet sich die Bezeichnung SEU- Werte: „subjektive expected utility“. Vgl. Esser (1990), S.233.

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Details

Titel
Die Rational Choice-Theorie und Intersubjektivität
Untertitel
Eine Analyse des Geltungsbereichs der rationalen Wahl als soziologische Erklärung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Soziologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V72689
ISBN (eBook)
9783638719056
ISBN (Buch)
9783638768856
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rational, Choice-Theorie, Intersubjektivität
Arbeit zitieren
Magister Artium Matthias Alff (Autor:in), 2005, Die Rational Choice-Theorie und Intersubjektivität , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72689

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