Die verbale Präfigierung im Frühneuhochdeutschen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

23 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zur Einführung

2. Die Präfixverben im Frühneuhochdeutschen
2.1 Diachrone und synchrone Grundlagen der Präfixe
2.2 Analyse des Bestands an Präfixverben
2.2.1 Methodische Vorgehensweise
2.2.2 Detaillierte Untersuchung und Klassifizierung der Präfixe
2.2.2.1 be -
2.2.2.2 ent -
2.2.2.3 er -
2.2.2.4 ge -
2.2.2.5 mis -/ miß -
2.2.2.6 ver-
2.2.2.7 zer-
2.2.3 Die Idiomatisierung der Präfixverben
2.2.4 Kontrastierung von Lexemen mit gleichen Basen und verschiedenen Präfixen
2.3 Die Verwendung der fnhd. Präfixe im Neuhochdeutschen

3. Schlussbemerkung

4. Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur

1. Zur Einführung

Die Sprachstufe des Frühneuhochdeutschen ist vielen unbekannt, obwohl sie sehr wichtig für die Entwicklung des modernen Hochdeutsch war. Sie erstreckte sich von ca. 1350 bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Dabei war das Deutsche vielen Veränderungen unterworfen. Die Elemente aus dem Mittelalter formten sich langsam zu den Worten und Strukturen, die heute noch gebraucht werden.

Bei der Lektüre des Textes „Des böhmischen Herrn Leo’s von Rožmital Ritter-, Hof- und Pilger- Reise durch die Abendlande 1465 – 1467“[1] zeigt sich, dass die Erzählung für den heutigen Leser ohne Probleme zu verstehen ist, auch wenn noch einige Lexeme des Mittelhochdeutschen vorkommen. Dieses kostbare Schriftstück spiegelt auf eine sehr interessante Weise den Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen wieder. Es lassen sich daraus die entscheidenden linguistischen Vorgänge im Bereich der Syntax, Morphologie und Wortbildung ableiten.

Da mein Interessensschwerpunkt im Bereich der Wortbildung liegt, entschloss ich mich, einen Teilbereich dieser komplexen Thematik zu untersuchen. Meine Wahl fiel auf die produktivste Art der verbalen Wortbildung, die Präfigierung.

Um zunächst einen Überblick über den Typus „Präfix“ zu erhalten, soll die diachrone Entwicklung der Vorsilben kurz dargelegt werden. Anschließend werden die einzelnen Präfixe genauer erläutert und in semantisch-syntaktische Klassen eingeteilt.

In der zweiten Hälfte der Arbeit erfolgt eine Untersuchung der jeweiligen Präfixverben daraufhin, inwieweit diese Lexeme als idiomatisiert bezeichnet werden können. Daraufhin sollen gleiche Simplexstämme, an die verschiedene Präfixe angehängt wurden, miteinander verglichen und die Beziehung der Präfixe untereinander analysiert werden. Zum Abschluss soll die Weiterführung des frühneuhochdeutschen Präfixsystems im modernen Hochdeutsch aufgezeigt werden.

2. Die Präfixverben im Frühneuhochdeutschen

2.1 Diachrone und synchrone Grundlagen der Präfixe

Einen ersten Hinweis auf die Funktion der Präfixe in der Wortbildung bekommt man durch die Wortbedeutung selbst. Präfix stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „vorne anheften“. Wenn man es genauer formuliert, sind Präfixe gebundene Einheiten, die stets vorne, an eine Basis, angehängt werden. Damit gehören sie neben den Suffixen zu den Wortbildungsmorphemen, deren Aufgabe die explizite Derivation ist. Die Präfixe können sich mit Nomina, Adjektiven und Verben verbinden.[2]

Die in der deutschen Sprache vorhandenen Präfixe entsprechen dabei teilweise den lateinisch-griechischen Vorsilben wie con-, dis-, peri-, pro- und anti-. Die heute gebundenen Präfixe waren im Althochdeutschen noch eigenständige Präpositionen, wie z.B. bi, ur und ar. In der weiteren Entwicklung des Deutschen werden die verbalen Präfixkomposita jedoch zunehmend ableitend[3], sodass das frühe Althochdeutsch bereits Präfixe in ihrer jetzigen Form verwendet. In der mittelhochdeutschen Zeit werden die Präfixe vor allem dadurch gestärkt, dass „die Ableitungssuffixe an Deutlichkeit der Form und Funktion verloren und in tonschwacher Position zu –en neutralisiert wurden“[4]. Daraus resultiert ein Anstieg der Vorsilben im Bezug auf ihre Häufigkeit und vor allem auf ihre Funktionswichtigkeit. Nach dem Beginn dieser Verschiebung im Mittelhochdeutschen ergibt sich die Entwicklung einer laut Johannes Erben „auffälligen, geradezu wortartcharakteristischen Fülle von Präfixen und präfixartig gebrauchten Morphemen“[5], die typisch für das Neuhochdeutsche ist.

Diese allgemeine diachronische Betrachtung der Präfixe soll nun auf eine spezielle Wortart, die der Verben, übertragen werden. Nachdem im Althochdeutschen noch eher von Präfixkomposita gesprochen werden muss, entstehen im Mittelhochdeutschen bereits sehr viele neue Verben durch Präfigierung. Sehr produktiv verhalten sich dabei die Vorsilben be -, ent -, er -, ge - und ver -, deren Hauptaufgabe zunächst die Differenzierung der Verbbedeutungen ist. Später dienen sie der desubstantivischen Ableitung. Auf Grund ihrer vielfältigen Reihenbildung kommt es jedoch zu einer Überproduktion von semantisch gleichen Verben. Diese wurden im Frühneuhochdeutschen wieder verworfen, da sie im Sinne der Sprachökonomie überflüssig waren. Stattdessen bildete sich im Laufe dieser Sprachstufe eine Fülle von Präfixen, die zum großen Teil dem heutigen System an semantischen Funktionsgruppen entspricht.[6]

Auch die besonderen Eigenschaften der Präfixe haben sich seit mittelhochdeutscher Zeit kaum mehr verändert. Sie haben wie die Grundmorpheme eine lexikalisch-begriffliche Bedeutung, die jedoch oftmals stark kategorial erscheint und damit nicht mehr nahe an der Ursprungsbedeutung der früheren ungebundenen Morpheme liegt. Durch den hohen Allgemeinheitsgrad der Vorsilben können sie die verschiedensten Basiswörter in eine andere Wortart transponieren. Allerdings sind die Kombinationsmöglichkeiten beschränkt, denn die Präfixe können nicht beliebig mit allen Wortarten verbunden werden. Dies ist auch dadurch bedingt, dass sie selbst nicht basisfähig sind. Sehr charakteristisch ist hingegen für sie, dass sie, wie bereits angesprochen, reihenbildend sind und so das wiederholte Vorkommen bestimmter Präfixe in den gleichen Wortbildungsmodellen zu beobachten ist. Diesen Konstruktionen kann jedoch mit Hilfe der Präfixe eine sehr unterschiedliche Bedeutung gegeben werden.

Die wichtigste Funktion in der Wortbildung übernehmen die Präfixe durch ihre Modifikation der Basisverben. Syntaktisch wird dabei die Valenz eines Verbs geändert, was meistens bedeutet, dass sich die Art der Ergänzungen ändert, die dem Grundverb zugeordnet sind. Eher selten wird die Anzahl der Ergänzungen verringert oder erhöht. Im semantischen Bereich werden den Verben neue lokale oder temporale Bezüge zugeordnet oder aktionale Veränderungen vorgenommen. Das heißt, der Handlungsverlauf erfährt eine Abstufung. Die semantische und syntaktische Modifikation schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus. In vielen Fällen sind Veränderungen in beiden Kategorien festzustellen. Des Weiteren dienen die Präfixe zur Intensivierung der Grundverbhandlung und modifizieren somit die Aussage des jeweiligen Wortes. In diesem Fall sind die Präfixbildungen eigentlich überflüssig und weglassbar. Das Basisverb alleine würde auch genügen.

Im folgenden Abschnitt sollen die theoretischen Ansätze der Präfixbildungen nun anhand konkreter Wortschöpfungen aus dem Frühneuhochdeutschen verifiziert und analysiert werden.

2.2 Analyse des Bestands an Präfixverben

2.2.1 Methodische Vorgehensweise

Die Untersuchung der verbalen Präfixbildungen im Frühneuhochdeutschen soll auf den Text „Des böhmischen Herrn Leo’s von Rožmital Ritter-, Hof- und Pilger- Reise durch die Abendlande 1465 – 1467“[7] beschränkt werden. Alle folgenden Beispiele sind dieser Grundlage entnommen und werden nach ihrem Kontext in dieser Erzählung kategorisiert. Im Text wurden mit Hilfe des Indexes rund 276 präfigierte Verbableitungen belegt, die die Basis für die Berechnung der Produktivität bilden. Dabei werden nur Verben mit gebundenen Präfixen in diese Arbeit aufgenommen.

Die Verben werden in der deutschen Sprachwissenschaft nach ihrer Bezeichnungsfunktion, d.h. ihrer Verbindung mit dem inner- oder außersprachlichen Kontext, in verschiedene Klassen eingeteilt. Die besondere Eigenschaft wortgebildeter Verben liegt darin, dass auch die Bestandteile zueinander in einem Zusammenhang stehen. Dieses spezifische semantisch-syntaktische Verhältnis der beiden Komponenten kann allerdings nur aus der Bezeichnungsfunktion des Lexems abgeleitet werden. Dazu muss neben Allerweltswissen auch das Wissen über den Gebrauch des jeweiligen Wortes angewandt werden, da man nur so zu der Bedeutung gelangen kann, die in dem individuellen Fall zutrifft. Mechthild Habermann bezeichnet die semantisch-syntaktische Beziehung zwischen den einzelnen Wortgliedern und dem Wortbildungsprodukt als „Wortbildungsbedeutung“.[8] Dieser Begriff soll übernommen werden, wenn von der Bezeichnungsfunktion eines präfigierten Verbs gesprochen wird.

Da oftmals ein großer Unterschied zwischen Lexem – und Wortbildungsbedeutung besteht, werden die Bedeutungsstrukturen zwischen Kompositionsgliedern und dem Wortbildungsprodukt durch Paraphrasierungen zu erklären versucht. Diese Paraphrasen drücken sowohl modifizierende als auch transponierende Veränderungen des Basislexems aus, die durch die Ableitung entstehen.

Der Bestand an Präfixverben kann in verschiedene semantische und bzw. oder syntaktische Klassen eingeordnet werden. Hierbei wird davon ausgegangen, dass jedes Präfix eine gemeinsame sehr allgemeine Bedeutung hat. Dadurch wird die Erstellung von semantischen Untergruppen nötig. Diese basieren auf der Betrachtung der lexikalischen Kerne und des Kontexts, in dem das komplexe Lexem auftritt.

Ausgehend von diesen Überlegungen sollen die frühneuhochdeutschen Präfixe in die passenden Klassen eingeordnet werden.[9] Falls einige Verben auf Grund ihrer starken Idiomatisierung keine erkennbare Wortbildungsbedeutung mehr haben, werden sie in eine eigene Gruppe eingestuft und nehmen eine Sonderstellung ein, da die Eigenschaft „idiomatisiert“ keine selbstständige Klasse stellt. Wichtig dabei ist, dass die einzelnen Verben oftmals in verschiedene Funktionsgruppen eingeordnet werden könnten, wenn man sie vom Kontext losgelöst betrachtet. Da aber diese Arbeit auf dem Text basieren soll, werden die Derivate auf ihren Zusammenhang hin geprüft und in die dazu gehörigen Klassen eingestuft.

Im Anschluss daran soll ausgehend von der Hauptbedeutung der Lexeme überlegt werden, welche Bedeutung des jeweiligen Präfixes den semantischen Kern bildet und welche weiter entfernt davon sind. Daraufhin werden die präfigierten den unpräfigierten Verben mit dem gleichen Basisverb gegenübergestellt und verglichen.

2.2.2 Detaillierte Untersuchung und Klassifizierung der Präfixe

2.2.2.1 be-

Das frühneuhochdeutsche Präfix be - ist auf das ahd. („um, herum“) zurückzuführen und hatte zunächst eine sinnlich-lokale Bedeutung. Später enthielt es einen Hinweis einer vielseitigen Einwirkung auf einen Gegenstand. Aus der lokalen Bedeutung ergibt sich häufig ein transitiver Gebrauch. Im Frühneuhochdeutschen erfüllt be - sowohl die Aufgabe einer syntaktischen Modifikation von Verben als auch die der Transposition von Substantiven und Adjektiven zu Verben. Die verbalen Basen sind vornehmlich Simplizia oder Suffixderivate. Die Vorsilbe be - ist sehr produktiv, denn im Text sind 88 Belege zu finden.[10]

[...]


[1] Quelle: Des böhmischen Herrn Leo’s von Rožmital Ritter-, Hof- und Pilger- Reise durch die Abendlande 1465 – 1467. Beschrieben von zweien seiner Begleiter. Hg. von Johann Andreas Schmeller. Stuttgart 1844

[2] Die Untersuchung der Verben basiert auf der Grundlage des Textes: Des böhmischen Herrn Leo’s von Rožmital Ritter-, Hof- und Pilger- Reise durch die Abendlande 1465 – 1467. Beschrieben von zweien seiner Begleiter. Alle Beispiele wurden dieser Vorlage entnommen.

[3] Vgl. Henzen, Walter: Deutsche Wortbildung. 3. Auflage. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1965, S. 103

[4] Vgl. Erben, Johannes: Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 2. Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1983, S. 119

[5] Ebd.

[6] Ein genauer Vergleich der frühneuhochdeutschen mit den modernen Präfixbildungen ist unter 2.3 zu finden.

[7] Die Quelle ist im Literaturverzeichnis zu finden. Weiterhin ist anzumerken, dass die Schreibweise der Wörter aus der Editionsausgabe von J.A. Schmeller und nicht aus dem Originaltext übernommen wurde.

[8] Vgl. Habermann, Mechthild: Verbale Wortbildung um 1500. Berlin/New York: Walter de Gruyter Verlag 1994, S. 46

[9] Die Einteilung und Bezeichnung der Klassen orientiert sich an der Kategorisierung von Mechthild Habermann und Ingeburg Kühnhold. ® Die genaue Literaturangabe ist im Literaturverzeichnis zu finden.

[10] Ein Diagramm über die Produktivität jedes Präfixes im Vergleich zu allen Präfixverben ist unter Punkt 3. zu finden.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die verbale Präfigierung im Frühneuhochdeutschen
Hochschule
Universität Passau
Note
1,0
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V73396
ISBN (eBook)
9783638739269
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Präfigierung, Frühneuhochdeutschen
Arbeit zitieren
Anonym, 2006, Die verbale Präfigierung im Frühneuhochdeutschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73396

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