Kinder- und Jugendhilfe (KJHG). Geschichte und Aufbau des SGB VIII

Anschließendes Schwerpunktthema: Das Wächteramt des Staates


Referat (Ausarbeitung), 2006

44 Seiten, Note: 13


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Schaubildverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Kinder! – Zukunft?
1.2 Worum geht es bei der Kinder- und Jugendhilfe?

2 Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe
2.1 Die vorindustrielle Zeit und erste Schritte
2.2 Hamburg kann sich sehen lassen

3 Das Achte Buch des Sozialgesetzbuches – SGB VIII –
3.1 Der Ursprung und seine Entwicklung
3.2 Die Änderungen des SGB VIII seit seiner Entstehung
3.3 KICK – Das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz
3.4 Die Grundlage der Jugendhilfe
3.4.1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe; §
3.4.2 Allgemeine Grundlagen; §§ 2 -
3.5 Die Tätigkeitsfelder der Jugendhilfe
3.5.1 Leistungen der Jugendhilfe; §§ 11 -
3.5.2 Andere Aufgaben der Jugendhilfe; §§ 42 -
3.6 Die Einzelaspekte des Kinder- und Jugendhilferechts
3.6.1 Schutz von Sozialdaten; §§ 61 -
3.6.2 übrige Vorschriften; §§ 69 -

4 Das Wächteramt des Staates - § 8a
4.1 Die Ableitung aus dem Grundgesetz
4.2 Die Untermauerung in der Kinder- und Jugendhilfe
4.3 Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
4.3.1 Der Aufbau einer Hilfebeziehung
4.3.2 Der Schutzauftrag bei Trägern von Einrichtungen und Diensten
4.3.3 Die Anrufung des Familiengerichtes
4.3.4 Krisenintervention: Inobhutnahme Minderjähriger
4.3.5 Das Einschalten anderer Institutionen
4.4 Die Jugendministerkonferenz 2006 in Hamburg
4.4.1 TOP 8a) Familien stärken – Kinder schützen
4.4.2 TOP 8b) Erweiterung des Kinderschutzauftrags im Gesetz

5 Schlussbetrachtung

6 Diskussion: Frühwarnsystem gegen Kindesmisshandlung

I. Quellenverzeichnis

II. Schaubilder

III. Tabellen

Schaubildverzeichnis

Schaubild 1: Formen der Hilfen nach dem KJHG

Schaubild 2: Findel- und Waisenhaus um 300 n. Chr.

Schaubild 3: Der zentrale Standort des SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe innerhalb des Bundesrechts

Schaubild 4: Jugendhilfe im Kräftespiel

Schaubild 5: Kernpunkte des Sozialdatenschutzes in der Kinder- und Jugendhilfe

Schaubild 6: Umgang mit gewichtigen Anhaltspunkten auf eine Kindswohlgefährdung - im JA - Ablaufdiagramm eines idealtypischen Vorgehens

Schaubild 7: Umgang mit (möglicherweise) gewichtigen Anhaltspunkten auf eine Kindswohlgefährdung - bei Leistungserbringern - Ablaufdiagramm eines idealtypischen Vorgehens

Schaubild 8: Eingriffe in das natürliche Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern

Schaubild 9: Verpflichtung zur und Entscheidung über Inobhutnahme Minderjähriger

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Hilfen in Belastungs- und Krisensituationen; Anspruchsgrundlagen von Eltern, Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen

Tabelle 2: Leistungen gem. §§ 11 – 41 KJHG

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Kinder! – Zukunft?

„Kinder sind die Zukunft unseres Landes. Mit Kindern entscheidet sich die Frage nach Innovation, nach Arbeitsplätzen und Arbeitskräften und damit nach Wirtschaftswachstum und sozialem Zusammenhalt in Deutschland.“[1]

Für Kinder wird viel getan: Das Übereinkommen der UN-Kinderrechtskonvention über die Rechte des Kindes ist am 20.11.1989 verabschiedet worden. In Deutschland trat es am 05.04.1992 in Kraft.[2] Die Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, das Aufwachsen aller Menschen unter 18 Jahren zu fördern, zu schützen und eine bessere Zukunft für sie zu schaffen. Vier Haupt-Interessensbereiche werden geschützt: 1) Alle Kinder sollen gesund aufwachsen. 2) Alle Kinder sollen lernen können. 3) Alle Kinder sollen vor Missbrauch, Gewalt und Ausbeutung geschützt werden. 4) Bekämpfung von HIV / AIDS.[3] Die Bundesstiftung ‚Mutter und Kind’, familienfreundliche Wohnprojekte, Ausbau der Kinderbetreuung und die Entwicklung von Strategien für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf[4], sind einige der Maßnahmen, bei denen Kinder und Jugendliche in der Zukunftsplanung eine Hauptrolle spielen. Es scheint, als sei die Bundesrepublik Deutschland ein überaus kinderfreundliches Land, in welchem sich Kinder und Jugendliche wohl fühlen und sicher sein können. Diese Auffassung könnte einem Irrtum unterliegen:

Gewalt an Kindern ist an der Tagesordnung. Eine internationale UNICEF-Studie zur Kindstötung in den OECD-Ländern hat herausgestellt, dass in den Industrieländern jährlich 3.500 Kinder an Misshandlungen sterben. Wöchentlich verzeichnet Deutschland mindestens zwei Todesfälle. Armut, Stress und Isolation der Eltern, dieses verstärkt durch Alkohol- und Drogenmissbrauch, sind sehr häufig die Ursachen für Kindesmisshandlungen. Meistens vollzieht sich Kindesmisshandlung im Verborgenen. Die Öffentlichkeit erfährt zu spät davon, meist erst aufgrund des sich anschließenden Todes. In einem Zeitraum von fünf Jahren entfielen in Deutschland 523 Todesfälle auf Kinder, 148 davon erlebten ihren ersten Geburtstag nicht mehr. Diese Zahlen sind im Verhältnis zu den 70er Jahren vergleichsweise niedrig, dafür ist die Zahl der nicht-tödlichen Misshandlungen angestiegen.[5]

Bevölkerungswissenschaftler und Demographen haben errechnet, dass in Deutschland jede Frau durchschnittlich 1,36 Kinder bekommt, so wenig wie seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr. Deutschland hat pro 1000 Einwohner die weltweit niedrigste Geburtenrate. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sterbequote die Zahl der Neugeborenen übersteigt.[6]

Solange es Menschen gibt, werden Kinder gefährdet und misshandelt. Im schlimmsten Falle wird ihnen das Leben, und damit das höchste existierende Grundrecht, genommen. Kinder bedürfen des kontinuierlichen Schutzes der Erwachsenen. Das KJHG ist ein wichtiger Pfeiler für den Weg in ein unbeschwertes Aufwachsen unserer Kinder.

1.2 Worum geht es bei der Kinder- und Jugendhilfe?

Bei der Jugendhilfe geht es in erster Linie um die allgemeinerzieherische Aufgabe der Förderung von Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen und um die Ausbildung ihrer Fähigkeiten. Dafür werden einerseits pädagogisch unterstützende, familienergänzende Angebote, z.B. in Kindergärten, eingesetzt. Andererseits wird die Verringerung von sozialen Ungleichheiten und Benachteiligungen durch gezielte Maßnahmen und das Beheben von Entwicklungsdefiziten durch z.B. Spiel- und Lernhilfen in Gebieten sozialer Brennpunkte gefördert.

Der zweite Ansatz der Jugendhilfe ist die pädagogische und wirtschaftliche direkte Leistung. Das geschieht bei Erkennen von akuten individuellen Schwierigkeiten junger Menschen und ihren Familien. Verhaltensauffälligkeiten durch zerbrochene Familien, Scheidungen, Jugendkriminalität sind einige der Indizien zum Hilfeansatz.[7][8]

Der dritte Aspekt der Jugendhilfe ist die unmittelbare Einflussnahme der anwaltschaftlichen Jugendhilfe auf die Politik. Möglichkeiten dafür finden sich in Bereichen von öffentlichen Fachdiskussionen, Einmischung in andere Ressorts, wie z.B. Stadtplanung, oder auch durch die Beeinflussung der Gestaltung von Sozialpolitik im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren.

2 Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe

2.1 Die vorindustrielle Zeit und erste Schritte

Die Kinderfürsorge beginnt ihre Arbeit im späten Mittelalter. Kirchliche Stiftungen richteten seit dem 13. Jahrhundert in den Städten Findel- und Waisenhäuser[10] ein. Vorher übernahmen allgemeine Fürsorgeeinrichtungen und Hospitäler die Aufnahme elternloser Kinder. Die beiden noch heute bestehenden Grundformen der Ersatzerziehung – Familienpflege und Anstaltserziehung – hatten schon damals Bestand. Elternlose Säuglinge und Kleinkinder wurden von Ammen aufgezogen und im Alter von 5 Jahren in den Anstalten aufgenommen. Hier hatten sie Haus- und Heimarbeiten zu verrichten. Auch für das Hospital oder die Stiftung betteln zu gehen, gehörte zu ihren Aufgaben. Entlassen wurden sie, sobald sie letzteres selbstständig konnten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei der Arbeit der Findel- und Waisenhäuser ging es lediglich um die Versorgung, nicht aber um ein Erziehungsziel oder eine Berufsausbildung. U.a. aufgrund der Teuerungs- und Hungerkrisen sowie der Auswirkungen des dreißigjährigen Krieges wurde den Armenhäusern ihre Grundlage mithilfe von Armenpolizei, Bettelverboten und Bettlerjagden entzogen. Es erfolgten Strafverschärfungen für das Aussetzen von Kindern und Versuche von Geburtenkontrollen durch Heiratsverbote. Die Zahl der unterversorgten Kinder wurde durch derartige Maßnahmen nicht gesenkt.[9]

2.2 Hamburg kann sich sehen lassen

Einer privat initiierten Waisenpflege und Fürsorge ist zu verdanken, dass bereits am 24.09.1604 die Urkunde zur Gründung des ersten Hamburger Waisenhauses unterzeichnet worden ist. An der katholischen Kirche „Santa Maria tom Schaare“ am südlichen Ausgang des Rödingsmarktes ist die private Stiftung zweier holländischer Emigranten gegründet worden. Diese wandelte sich später zum Hamburger Waisenhaus. Bereits zur Gründungszeit war die Einrichtung pädagogisch geprägt. Die Pflege und Versorgung der Kinder war ein selbstverständlicher Grundsatz der Waisenhausarbeit. Daneben widmete man sich vor allem der Erziehung der Kinder. Kinder- und Jugendhilfe wurde schon damals verstärkt im familiären Kontext gesehen. Eine organisierte Familienpflege gehörte ebenfalls zu deren wesentlichen Aufgaben. Die „Babyklappe“ ist keine neue Hamburger Erfindung: Schon im Jahre 1709 wurde deren Vorläufer, der „Drehkasten“ oder „Torno“ aktiv. Nach schon einem Jahr konnten 360 Kinder in das Waisenhaus aufgenommen werden. Ab 1865 wurde das Waisenhaus ausschließlich durch öffentliche Mittel finanziert und entwickelte sich zum Träger der öffentlichen Jugendhilfe.[11]

Die Gründung des Waisenhauses ebnete einen bereits 400 Jahre andauernden Weg von der Waisenpflege und Fürsorge für hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche hin zur sozialstaatlich getragenen öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. Die öffentliche Fürsorge wurde nunmehr nach und nach ausgebaut: 1606 wurde der Pesthof als erstes Allgemeines Krankenhaus errichtet. 1616 erfolgte die Gründung des Werk- und Zuchthauses zur Unterbringung sozial schwacher und gefährdeter Menschen und zur erzieherischen Betreuung der durch sie mitgebrachten Kinder. Ende des 18. Jahrhunderts entstand ein neues größeres Kinderheim an der Admiralitätsstraße. Wenige Jahre später wurde der erste staatliche Zuschuss für diese Einrichtung gewährt. Der Durchbruch sozialstaatlichen Denkens war vollzogen. Zu dieser Zeit entstanden die ersten Kindergärten in Hamburg, die so genannten „Warteschulen“. Die Kinder mussten ihr neues Zuhause an der Admiralitätsstraße zweimal verlassen; zum ersten Mal während der Franzosenzeit[12], und zum zweiten Male nach dem Großen Brand von 1842. Letztendlich wurde ihr neues Zuhause in der Averhoffstraße begründet. Dieses geschah infolge des Einzuges der städtischen Verwaltung in das Haus der Admiralitätsstraße. 1907 fand der wohl bedeutendste Umbruch der Jugendhilfe-Geschichte statt: die Zentralisierung sämtlicher Jugendhilfeaufgaben beim Waisenhauskollegium, welches sich ab 1910 „Behörde für öffentliche Jugendfürsorge“ nannte. Später wurde daraus die „Jugendbehörde“. Inzwischen findet sie sich innerhalb eines Amtes einer Dachbehörde wieder: Zuerst in der Bildungsbehörde, dann in der BSF und einstweilen als bezirkliches Jugendamt.[13]

3 Das Achte Buch des Sozialgesetzbuches – SGB VIII –[14]

3.1 Der Ursprung und seine Entwicklung

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist ein Artikelgesetz.[15] Seinen Ursprung findet es im RJWG von 1922. Das JWG löste dieses 1961 ab[16], welches am 03.10.1990 in den alten und am 01.01.1991 in den neuen Bundesländern durch das KJHG ersetzt wurde. Vorbeugung, Hilfestellung und Schutz von Kindern und Jugendlichen ist das Ziel des SGB VIII. Zugrunde liegt diesem Gesetz ein neues Verständnis von Kinder- und Jugendhilfe. Die Förderung der Entwicklung junger Menschen und die Integration in die Gesellschaft durch allgemeine Förderungsangebote und Leistungen in unterschiedlichen Lebenssituationen stehen dabei im Vordergrund. Das besondere Merkmal des SGB VIII gegenüber dem JWG ist ein Abbau repressiver Maßnahmen sowie eine Ausweitung der Förderungsangebote und präventiven Leistungen. Das Ordnungs- und Eingriffsrecht weicht einer ausgeprägten Dienstleistungsorientierung. Die hoheitlichen und repressiven Eingriffe in die Belange und Entscheidungsfreiheiten von Eltern und Kindern spielen nun eine deutlich geringere Rolle. Fortan erlebten die Betroffenen eine Stärkung von Angebot und Leistung der Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe durch z.B. Jugendsozialarbeit, und aufgrund von Hilfen zur Erziehung und ihrer Beteiligungsrechte durch z.B. Datenschutz, Wunsch- und Wahlrecht.[17]

3.2 Die Änderungen des SGB VIII seit seiner Entstehung

1992 entstand die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz durch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz. Die Ausweisung der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Minderjährige als Leistungen der Jugendhilfe erfolgte 1993. Seit 1994 haben die Vorschriften des SGB VIII Vorrang gegenüber anderen Datenschutzbestimmungen. 1996 wurde der Anstieg der Leistungsentgelte in Heimen und teilstationären Einrichtungen begrenzt. Die gesetzliche Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder ist 1998 abgeschafft worden. Sie wurde durch eine Beistandschaft für Kinder von allein sorgeberechtigten Eltern abgelöst. Auch das Kindschaftsreformgesetz und das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhalts minderjähriger Kinder erhielten 1998 ihre Gültigkeit. Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung trat im Jahre 2000 in Kraft. 2001 wurde das SGB IX, welches die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen regelt, gegründet.[18]

3.3 KICK – Das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz

Die fachpolitische Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe steht im Mittelpunkt dieses Gesetzes. Die Kommunen bzw. in den Stadtstaaten die Bezirke sollen durch Verwaltungsvereinfachung bei der Kostenheranziehung in den Jugendämtern und eine leistungsgerechte Beteiligung von Eltern mit höheren Einkommen an den Kosten der Jugendhilfeleistungen finanziell entlastet werden.[19]

Dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) hat der Bundesrat einstimmig am 08.07.05 zugestimmt. Diese Änderungen zielen hauptsächlich auf die Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen bei Gefahren für ihr Wohl, die Stärkung der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes, eine Verbesserung der Kinder- und Jugendhilfestatistik, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch stärkere Realisierung des Nachrangs, die Verwaltungsvereinfachung durch Neuregelung der Kostenheranziehung sowie die Weiterentwicklung der Regelungen zum Sozialdatenschutz und ihre Anpassung an das europäische Recht. Auch wird die Verbesserung der Kinderbetreuung hierdurch unterstützt.[20]

3.4 Die Grundlage der Jugendhilfe

Die Allgemeinen Vorschriften gelten für das gesamte SGB VIII. Alle hierin befindlichen Bestimmungen sind sozusagen ‚vor die Klammer gezogen’.[21]

3.4.1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe; § 1

Die Grundstruktur dieser Vorschrift entspricht der des JWG und gilt unverändert seit Inkrafttreten des SGB VIII. Der Wortlaut lässt eine Wandlung vom ordnungs- und eingriffsrechtlich geprägten Gesetzeswerk des JWG zum Sozialleistungsgesetz erkennen.[22] Das „Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe“ ist das zentrale Gebot überhaupt: Dessen Ziel ist die Förderung der Entwicklung und Erziehung junger Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten.[23] Dieses Recht wird durch Abs. 1 normiert. Das aus Art. 6 II GG abgeleitete Erziehungsrecht der Eltern und das ‚Wächteramt des Staates’[24] werden durch Abs. 2 untermauert. Auch wird der verfassungsrechtliche Erziehungsvorrang der Eltern reguliert. Programmatische Mittel, welche dazu dienen, das in Abs. I formulierte Ziel zu erreichen, werden in Abs. III benannt. Das geschieht unter beispielhafter Aufführung von Grundzielen der Jugendhilfe. Im Vordergrund stehen dabei die Aufgaben der Förderung und Unterstützung des Wohls junger Menschen. Im Vergleich dazu war das JWG auf die Eingriffsbefugnisse des Staates ausgelegt.[25]

3.4.2 Allgemeine Grundlagen; §§ 2 - 10

Die „Aufgaben der Jugendhilfe“ verschaffen einen Überblick über deren vielgestaltigen Inhalte. Die Vorschriften über die freie und öffentliche Jugendhilfe sowie die Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe regeln das Verhältnis von freien und öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Dabei wird besondere Rücksicht auf die Vielfalt der Träger und das Subsidiaritätsprinzip[26] genommen. Mit besonderem Blick auf die Adressaten der Leistungen wird das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten festgesetzt. Dieselbe hohe Wichtigkeit haben die Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen. Grundrichtung der Erziehung und Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen sind besonders wichtige Regelungen des ersten Kapitels. Abschließend werden der Geltungsbereich und der Adressatenkreis festgelegt.[27]

3.5 Die Tätigkeitsfelder der Jugendhilfe

3.5.1 Leistungen der Jugendhilfe ; §§ 11 - 41

Der erste große Aufgabenblock der Kinder- und Jugendhilfe betrifft die Normierung der Leistungen im Einzelnen. Das sind Sozialleistungen im Sinne der §§ 1 ff. SGB I[31]. Dieses enthält materiellrechtliche Bestimmungen, welche für alle Sozialleistungsbereiche einheitlich gelten. Schmidt und Schmidt-Severin weisen auf die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen zwei Leistungsarten hin: Danach existiert einerseits ein individueller Rechtsanspruch der Berechtigten und andererseits die Verpflichtung der Bereitstellung von Leistungen durch den örtlichen Träger. Diesem ist bei der Ausgestaltung allerdings ein Ermessensspielraum zuerkannt worden.[28][29] [30]

In diesem besonders wichtigen Kapitel des SGB VIII werden die Jugendarbeit, die Jugendverbände, die Jugendsozialarbeit sowie der erzieherische Kinder- und Jugendschutz ausgerichtet. Dabei handelt es sich um Rahmenbestimmungen. Inhalt und Umfang sind dem Landesrecht vorbehalten. Ebenso gehören die Förderung der Erziehung in der Familie, die Tageseinrichtungen für Kinder und die Tagespflege zu den Leistungen der Jugendhilfe. Hinsichtlich Inhalt und Umfang der Leistungen gilt der Landesrechtsvorbehalt. Mit den Hilfen zur Erziehung, auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus, schließt dieser wichtige Teil des zweiten Kapitels ab.[32]

3.5.2 Andere Aufgaben der Jugendhilfe; §§ 42 - 60

Der zweite große Aufgabenblock der Kinder- und Jugendhilfe betrifft die administrativen Aufgaben des Trägers. Dabei geht es um die Zusammenarbeit mit Gerichten und anderen Stellen. Die Regelungen betreffend vorläufiger Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, auch in Familienpflege und in Einrichtungen, sind primär zu betrachten.[33]

Die „Anderen Aufgaben“ der Jugendhilfe sind im Wesentlichen eingreifende Tätigkeiten. Sie sind aufgrund des staatlichen Wächteramtes zu erfüllen:[34]

- Inobhutnahme Minderjähriger
- Erteilung, Widerruf und Zurücknahme der Pflegeerlaubnis
- Heimaufsicht
- Zusammenarbeit mit Familien-, Vormundschafts- und Jugendgerichten
- Adoptionsvermittlung
- Beratung und Unterstützung bei Vaterschaftsfeststellungen und Unterhaltsansprüchen nichtehelicher Kinder
- Beratung und Unterstützung von ehrenamtlichen Vormündern und Pflegern
- Übernahme und Führung von Beistandschaften, Pflegschaften, Vormundschaften
- Erteilung der Erlaubnis zur Führung sog. Vereins-Vormundschaften und Vereins-Pflegschaften durch freie Träger der Jugendhilfe
- Beurkundung und Beglaubigung bestimmter familienrechtlicher Angelegenheiten
- Aufnahme vollstreckbarer Urkunden bezüglich bestimmter Unterhaltsansprüche

3.6 Die Einzelaspekte des Kinder- und Jugendhilferechts

3.6.1 Schutz von Sozialdaten; §§ 61 - 68

Wie bei allen behördlich bekannten Personendaten sind auch die persönlichen Daten der Beteiligten in der Kinder- und Jugendhilfe zu schützen. Bei der Datenerhebung sind die folgenden drei Grundsätze zu berücksichtigen: Erforderlichkeitsgrundsatz, Transparenzgebot und Zweckbindungsprinzip. Sozialdaten dürfen nur zu dem Zweck genutzt oder an andere Stellen übermittelt werden, zu dem sie erhoben worden sind. Für die weitergehende Nutzung ist das Einverständnis des Betroffenen erforderlich. Das gilt sogar für andere Stellen desselben Trägers und für Gerichte. Im Strafverfahren steht nur dem Sozialarbeiter der Schwangerschafts- oder Drogenberatungsstelle ein Zeugnisverweigerungsrecht zu.[36] [35]

Das zentrale Prinzip des Sozialdatenschutzrechtes stellt die Zweckbindung dar: Festlegung von Verarbeitungsziel und Begrenzung des Verarbeitungsumfangs. Personenbezogene Daten dürfen nur beim Betroffenen erhoben werden und nur soweit ihre Kenntnis zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe erforderlich ist. Über die Rechtsgrundlage der Erhebung und über den Verwendungszweck ist der Betreffende aufzuklären.[37]

[...]


[1] BMFSFJ, Kindergerechte Welt

[2] BMFSFJ, UN-Kinderrechtskonvention

[3] BMFSFJ, Kinder-Ministerium

[4] BMFSFJ, Startseite

[5] UNICEF

[6] ZDF

[7] Jordan, S. 12

[8] Formen der Hilfen nach dem KJHG, siehe Schaubild 1

[9] Jordan S. 18 f.

[10] Findel- und Waisenhauses um 300 n. Chr., siehe Schaubild 2

[11] BSF, Pressestelle

[12] 1806 - 1814: Hamburg stand unter französischer Besatzung.

[13] Staatsarchiv Hamburg

[14] Der zentrale Standort des SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe innerhalb des Bundesrechts, siehe Schaubild 3

[15] Münder, Einl., Rn 45

[16] Münder, Einl. Rn 40

[17] Schmidt u. Schmidt-Severin S. 10

[18] Schmidt u. Schmidt-Severin, S. 11

[19] BMFSFJ, KICK

[20] Schmidt u. Schmidt-Severin, S. 11 f.

[21] Wabnitz, S. 87

[22] Jung, § 1 Rn. 1, Rechtsentwicklung

[23] Wabnitz, S. 87

[24] ‚staatliches Wächteramt’: siehe Kap. 4

[25] Jung, § 1 Rn. 2, Allgemeines

[26] Ordnungsprinzip in Staat und Gesellschaft, das besagt, dass der Staat im Verhältnis zur Gesellschaft Hilfe zur Selbsthilfe als Ergänzung der Eigenverantwortung anbieten soll (1961 im Bundessozialhilfegesetz verankert), www.wissen.de

[27] Wabnitz, a.a.O. Rn.23

[28] Jugendhilfe im Kräftespiel, siehe Schaubild 4

[29] Hilfen in Belastungs- und Krisensituationen, Anspruchsgrundlagen von Eltern, Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen, siehe Tabelle 1

[30] Leistungen gem. §§ 11 – 41 der KJH, siehe Tabelle 2

[31] Schmidt u. Schmidt-Severin, S. 13

[32] Wabnitz, S. 87

[33] Wabnitz a.a.O. Rn 32

[34] Schmidt- u. Schmidt-Severin, S. 110 f.

[35] Kernpunkte des Sozialdatenschutzes in der Jugendhilfe, siehe Schaubild 5

[36] Schmidt u. Schmidt-Severin, S. 121 ff.

[37] Münder, Vorkap 4 Rn 9, Zweckbindung als zentrales Prinzip

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Kinder- und Jugendhilfe (KJHG). Geschichte und Aufbau des SGB VIII
Untertitel
Anschließendes Schwerpunktthema: Das Wächteramt des Staates
Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Note
13
Autor
Jahr
2006
Seiten
44
Katalognummer
V73728
ISBN (eBook)
9783638741484
ISBN (Buch)
9783638794589
Dateigröße
699 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinder-, Jugendhilfe, Geschichte, Aufbau, VIII
Arbeit zitieren
Isabel Ohnesorge (Autor:in), 2006, Kinder- und Jugendhilfe (KJHG). Geschichte und Aufbau des SGB VIII, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73728

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