Kleidung und adliges Selbstverständnis - Zur Kleidermotivik im Nibelungenlied


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

23 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Das höfische Zeremoniell

2. Teure Stoffe aus dem Orient – Kleidung als Statussymbol

3. Die Wechselbeziehung zwischen Inner- und Äußerlichkeit – Kleidung im Dienst der Personenbeschreibung

4. Das Motiv des Kleiderlohns

5. Erzählen mit der Kleidung

Nachwort

Einleitung

War zu Zeiten Karls des Großen prächtige Kleidung noch eher ein Hinweis auf Eitelkeit und die Seidenkleidung ein Privileg der Priester, so war im späten Mittelalter „das adlige Hofpublikum an der Absicherung seiner Kleidervorrechte interessiert“[1], denn im 12./13. Jahrhundert sind teure Kleider ein Anzeichen für Stolz und Würde der ritterlichen Hofgesellschaft geworden.[2] In der zeitgenössischen höfischen Dichtung findet dies seinen Einschlag dergestalt, dass viele Verse dafür aufgewendet werden, den Luxus der gebrauchten Materialien hervorzuheben und teure Importwaren in den Mittelpunkt zu rücken, welche die adligen Protagonisten am Leibe tragen. Schon die Fülle von Gewandbeschreibungen in der höfischen Literatur lässt erahnen, welche besondere Bedeutung die Kleidung für den mittelalterlichen Menschen besaß. Helden und Heldinnen der höfischen Romane werden in kostbaren Gewändern dargestellt, wobei bis ins Detail die einzelnen Stücke sowie auch Schmuck, Haartracht und sonstiger Putz geschildert werden. Die Dichter jener Zeit ließen vor den Augen ihres Publikums die höfische Pracht einer Ideal- und Wunschwelt lebendig werden.[3]

Seit Veldeke seine Dido in ihrem Jagdkostüm[4] zu einer höfisch-modischen Edeldame stilisierte[5], gehörten längere, idealisierte Gewanddeskriptionen zu den konstitutiven Elementen der mittelhochdeutschen höfische Epik.[6]

Auch im Nibelungenlied wird eine – teilweise äußerst differenzierte – Fachterminilogie der Textil- und Kostümkunde gebraucht und zwar so sehr, dass Heusler spöttisch äußert, es sähe bei der Brünhildenwerbung „eine zeitlang so [aus], als sei der Zweck der Freierfahrt die Schaustellung der schneeweißen, kleegrünen, rabenschwarzen Seidenkleider mit Fischotterbesatz und Edelsteinen in arabischem Gold“.[7] Er übersah dabei nicht nur die Bedeutung der Kleiderpracht für die höfische Gesellschaft, sondern auch die Tatsache, dass der Dichter des Nibelungenliedes Stoffe und Kleider nicht nur fade aufzählt, sondern sie zu wichtigen Requisiten macht und in den Dienst der Handlung stellt. Wie dies geschieht, soll den Mittelpunkt dieser Arbeit bilden. Ebenso, inwiefern Personen durch Kleidung ihren Stand markieren und im Text Aussehen und Inneres von Figuren in Kongruenz stehen. Es soll bewiesen werden, dass der Dichter bestimmte Stoffe und Aufmachungen nutzt, um mit ihnen die Geschichte voranzutreiben, um so zu zeigen, dass Kleidung im Nibelungenlied eine weit größere Bedeutung trägt, als lediglich „zur Schau gestellt“ zu werden.

1. Das höfische Zeremoniell

Großen Einfluss auf die höfische Epoche hatten die Kreuzzüge, zu denen Papst Urban 1095 erstmals aufrief. In der Fremde lernten die Ritter andere Länder, Sitten und auch Trachten kennen und sahen, dass die Kleidung hoch stehender Personen ungeheuer kostspielig war – eine Tatsache, die durchaus ihren Eindruck hinterließ und das Interesse der Ritter an solchen Prachtgewändern weckte. Militärischer und gesellschaftlicher Aufstieg, kombiniert mit den Möglichkeiten zur persönlichen Bereicherung, die derartige Kriegszüge boten, führten dazu, dass der neue Wohlstand auch in der Gewandung sichtbar wurde: „Das Bestreben wuchs, sich äußerlich deutlicher als bisher von den ärmeren Leuten und unfreien Bauern abzuheben.“[8] Die von den Zügen mitgebrachten wertvollen Materialien fanden Einzug in jene neuen Prachtgewänder, die in der höfischen Literatur vorgestellt werden.

Das Nibelungenlied gehört zu eben jener höfischen Literatur und schildert uns eine spezifisch adlige Kultur der Zeit um 1200. Es ist bekannt, dass der Text sich aus vielen verschiedenen Stoffkreisen zusammensetzt und noch dazu aus mehreren Schichten besteht. So finden sich neben historisch belegbaren Figuren wie Etzel/Attila, dem König der Hunnen, und Dietrich von Bern Motive aus der Spielmannsdichtung und auch etliche märchenhafte Elemente wie der Zwerg Alberich, der von Siegfried erschlagene Lindwurm, die erbeutete Tarnkappe und einige mehr.[9]

Höfische Züge erhält der Text durch die Darstellung einer höfisch-ritterlichen Feudalkultur, in der Turniere und Jagden abgehalten, Feste gefeiert werden – all dies nach strengem höfischen Zeremoniell, bei welchem gerade die Kleidung eine zentrale Rolle spielt.[10] Wie wichtig diese Gesellschaftskultur (inklusive der Kleidung) in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft zur Selbstdarstellung und Kommunikation waren, zeigt sich auch eben durch ihre literarische Fixierung und dem dort eingeräumten, breiten Raum.[11]

Die höfische Kultur hat eine materielle, eine gesellschaftliche und eine ideelle Dimension[12], die in ihrer Darstellung stark ineinander greifen. Die Kleider bilden einen Teil der Sachkultur, d. h. der materiellen Dimension und sollen hier gesondert behandelt werden – soweit dies möglich ist.

2. Teure Stoffe aus dem Orient – Kleidung als Statussymbol

Schreibt Bumke zwar „Kleidung war zu allen Zeiten ein Standesattribut“[13], so spielt der Prunk der Kleider in der Welt des Nibelungenliedes doch eine besonders große Rolle. Heusler erregte sich gar über den „nichtheldischen Geist“[14], den die für ihn übertriebenen Stoff- und Gewandbeschreibungen ausstrahlen. Doch haben die Kleiderdarstellungen diverse Funktionen im mittelalterlichen Text, angefangen mit der Statusdeklaration. Der Dichter des Nibelungenliedes nutzt die Darstellung kostbarer Stoffe und luxuriöser Schnitte zweifelsohne dazu, die ständische Überlegenheit seiner Figuren zu betonen. Der Status von Siegfried, Kriemhild, Gunter und den anderen wird durch die Zurschaustellung ihres Reichtums und ihrer Schönheit gefestigt. Heinzle sieht deshalb die „ausführlichen Kleiderdarstellungen zu den Standards der höfischen Literatur“ gehörig.[15]

Doch während die Männer, dem sozialen und geschlechtsspezifischen Rollenverhalten der höfischen Gesellschaft folgend, noch die Möglichkeit haben, sich in Turnier und Kampf durch Tapferkeit auszuzeichnen und die Forderung des Umfeldes nach Kraft und Mut zu erfüllen, ist die Gewandung deshalb für sie nicht als alleiniger Statusschauplatz vorhanden. Die Dame dagegen muss es als hauptsächliche Pflicht ansehen, den sozialen Erwartungen nach Schönheit und Prunk zu entsprechen und so die eigene Stellung und auch die ihres Mannes zu festigen. Denn „sein Prestige ist untrennbar mit dem ihren verbunden“[16] und umgekehrt. Unter diesem Gesichtspunkt wird deutlich, wie wichtig das Statusbekenntnis durch Gewandung im Streit der Königinnen vor dem Münster ist. Der Status, die Ebenbürtigkeit bzw. die Rangfolge am Hofe, über die sich Kriemhild und Brünhild uneins sind, bietet den Anlass zum Zwist.

Kriemhild macht deutlich, dass sie am Burgundenhofe eindeutig den höheren Rang bekleidet und nutzt hierzu ihre eigene und die Gewandung ihrer weiblichen Gefolgschaft. So heißt es bei 831 bis 833,3:

Nu kléidet iuch, mîne meide“, sprach Sîfrides wîp.

„ez muoz âne schande belîben hie mîn lîp.

ir sult wol lâzen schouwen, und habt ir rîche wât.

si mac sîn gerne lougen, des Prünhilt verjehen hât.“

[...]


[1] Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 2002, S. 173

[2] Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen [u.a.] 2006, S. 6

[3] Lehmann-Langholz, Ulrike: Kleiderkritik in mittelalterlicher Dichtung. Der Arme Hartmann, Heinrich 'von Melk', Neidhart, Wernher der Gartenaere und ein Ausblick auf die Stellungnahmen spätmittelalterlicher Dichter. Frankfurt am Main [u.a.] 1985, S. 10

[4] Heinrich von Veldeke: Eneide 1687-1741

[5] Raudszus, Gabriele: Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters. Hildesheim [u.a.] 1985, S. 63

[6] Brüggen, Elke: Kleidung und adliges Selbstverständnis. Literarische Interessenbildung am Beispiel der Kleidermotivik in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Heinzle, Joachim: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposium 1991. Stuttgart, Weimar 1993, S. 200

[7] Heusler, Andreas: Nibelungensage und Nibelungenlied. Die Stoffgeschichte des deutschen Heldenepos. Dortmund 1965, S. 59

[8] Lehmann-Langholz, S. 23

[9] Raudszus, S. 52

[10] Raudszus, S. 52

[11] Raudszus, S. 53

[12] Heinzle, Joachim: Die Nibelungen. Lied und Sage. Darmstadt 2005, S. 80

[13] Bumke, S. 172

[14] Heusler, S. 59

[15] Heinzle, S. 80

[16] Raudszus, S. 58

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Kleidung und adliges Selbstverständnis - Zur Kleidermotivik im Nibelungenlied
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Heldenepisches Erzählen im Nibelungenlied
Note
1,2
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V83451
ISBN (eBook)
9783638899833
ISBN (Buch)
9783638912082
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kleidung, Selbstverständnis, Kleidermotivik, Nibelungenlied, Heldenepisches, Erzählen, Nibelungenlied
Arbeit zitieren
Andy Schalm (Autor:in), 2007, Kleidung und adliges Selbstverständnis - Zur Kleidermotivik im Nibelungenlied, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83451

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