Die Geschichte der Kindheit - im Besonderen dargestellt anhand von Kleidung und Mode


Diplomarbeit, 2002

94 Seiten, Note: Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Entwicklung und Verlauf des Phänomens Kindheit
1.1 Die Zeit vor der Entdeckung der Kindheit
1.1.1 Die Antike
1.1.2 Das Mittelalter
1.2 Die Entdeckung der Idee der Kindheit
1.3 Der Bedeutungswandel des Phänomens Kindheit
1.3.1 Allgemeine Entwicklung
1.3.2 Die rechtliche Stellung des Kindes im Wandel der Zeit
1.4 Das Verschwinden der Kindheit
1.4.1 Gründe
1.4.2 Verlauf
1.5 Wie sieht die Situation heute aus?

2. Kostümgeschichte der Kindermode
2.1 Die Zeit vor der französischen Revolution.
2.1.1 Die aristokratische Kinderkleidung
2.1.2 Die ländliche Kinderkleidung
2.2 Französische Revolution bis 1815
2.2.1 Die aristokratische Kindermode
2.2.2 Die bürgerliche Kindermode
2.2.3 Die ländliche Kindermode
2.3 Biedermeierkinder
2.3.1 Die bürgerliche Kindermode
2.3.2 Die Kleidung der Arbeiterkinder
2.4 Nachmärz
2.4.1 Die bürgerliche Kindermode
2.4.2 Die Kleidung der Arbeiterkinder
2.5 Kinderkleidung im Kaiserreich
2.5.1 Die Kleidung der Herrschaftskinder
2.5.2 Die Kleidung der Arbeiterkinder
2.6 Reformkleidung und Wandervogelkluft
2.6.1 Der Reformgedanke in der Kinderkleidung
2.6.2 Die Wandervogelkluft
2.7 Kindermode in den 20ern
2.7.1 Die städtisch-bürgerliche Kinderkleidung
2.7.2 Die Kleidung der Arbeiterkinder
2.8 Die Zeit des Nationalsozialismus
2.8.1 Die Uniformen der Jungen
2.8.1.1 Das deutsche Jungvolk
2.8.1.2 Die Hitlerjugend
2.8.2 Die Uniformen der Mädchen
2.8.2.1 Die Jungmädel
2.8.2.2 Bund deutscher Mädel
2.9 Vom zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart.
2.9.1 Interview mit Frau Marianne Giretzlehner
2.9.2 Interview mit Frau Gudrun Hirz
2.9.3 Interview mit Frau Gudrun Hirz und ihrer Tochter Astrid

3. Die symbolische Bedeutung der beiden typischen Kinderfarben
3.1 Rosa für die Mädchen
3.2 Blau für die Buben.
3.3 Die Umkehrung der Farbbedeutung

4. Befragung
4.1 Fragebögen
4.2 Thesen hinter der Befragung
4.2.1 Wichtigkeit der Mode
4.2.2 Mode und Qualität
4.2.3 Wer hilft beim Aussuchen der Kleidung?
4.2.4 Die Farbigkeit
4.3 Auswertung der Befragung
4.3.1 Wichtigkeit der Mode
4.3.2 Mode und Qualität
4.3.3 Wer hilft beim Aussuchen der Kleidung?
4.3.4 Die Farbigkeit

5. Didaktische Überlegungen
5.1 Zusammenhang mit dem Lehrplan
5.2 Wie sind andere Personen an das Thema
Mode im Unterricht herangegangen?
5.2.1 Traute El-Gebali-Rüter
5.2.1 Doris Schmidt
5.2.3 Bärbel Kursawe
5.3 Meine eigenen Überlegungen
5.3.1 Eine Unterrichtssequenz für die 1./2. Klasse
5.3.2 Eine Unterrichtssequenz für die 3./4. Klasse
5.3.3 Weiterführendes zum Thema

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der ausführliche Titel macht schon deutlich worum es in der vorliegenden Arbeit geht. Da ich in meiner späteren Tätigkeit als Lehrerin viel mit Kindern zu tun haben werde, habe ich mir folgende Fragen gestellt:

„Was ist eigentlich Kindheit? Wo kommt sie her? Hat es sie schon immer gegeben? Gibt es sie im Moment und wie sieht sie gerade aus?“ Das waren nicht die einzigen Fragen, denn je mehr ich mich mit der Literatur auseinandersetzte, desto mehr fragen traten auf. In erster Linie hielt ich mich an Phillippe Ariés und Neil Postman um diese Fragen zu klären.

Doch damit war ja noch lange nicht alles geklärt.

„Wie sah die Kleidung der Kinder früher aus? War die Kleidung früher für alle gleich, oder nicht? Wann kam es zu Veränderungen und zu welchen?“ Auf diese Fragen holte ich mit die Antworten vor allem von Ingeborg Weber-Kellermann aus ihren beiden Büchern: Die Kindheit und Der Kinder neue Kleider.

„Wenn man Rosa hört, denkt man kleine Mädchen. Und wenn man Blau hört, denkt man an kleine Buben. Warum? War das schon immer so? Wer legt so etwas fest?“ Auf diese Fragen hab ich Antworten in Eva Hellers Buch gefunden.

„Wie kleiden sich Kinder und Jugendliche heute? Gibt es noch eine spezielle Kindermode, oder nicht mehr? Bestimmt die allgemeine Mode ihre Kleidung?“ Diesen Fragen wollte ich mit Hilfe eines Fragebogens für Kinder und Jugendliche auf den Grund gehen, die ich in Mondsee, Radstadt und der Stadt Salzburg durchführen durfte. Hier an dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen LehrerInnen und Kindergärtnerinnen bedanken, die mich dabei unterstützt haben. Danke!

Natürlich stellt sich dann auch solche Frage: „Was kann ich mit meinen Erkenntnissen nun direkt für die Schule anfangen? Welche didaktischen Konsequenzen entstehen? Welche Themen sollen unbedingt mit den Schülern besprochen und bearbeitet werden?“ Dazu habe ich mich zuerst an didaktischen Modellen in der Literatur orientiert und dann selbst zwei Konzepte entwickelt, die aber für die Umsetzung im Unterricht noch intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema erfordern würden, da sie stark von den jeweiligen Gruppen und von der Lehrperson abhängig sind.

Die Arbeit gliedert sich also nach meiner Fragestellung genau in diese fünf Teile:

- Kindheit
- Kinderkleidung im Wandel der Zeit
- typische Kinderfarben und deren Bedeutung
- Auswertung der Fragebögen zum Thema Mode, Kleidung und Farbe
- Didaktische Überlegungen

Ich hoffe, dass ich mit der vorliegenden Arbeit alle Fragen, die ich mir selbst gestellt habe, geklärt, und auch für die Leser verständlich gemacht habe.

1. Entwicklung und Verlauf des Phänomens Kindheit

„[...] hat sich die Kindheit als soziale Struktur und als psychologisches Bedingungsgefüge im 16. Jahrhundert herausgebildet und bis in unsere Zeit weiterentwickelt.“ ( Postman 1983: 8 )

Aber wie und wann hat diese Entwicklung begonnen? Wie war ihr Verlauf? Und welche Gründe gibt es überhaupt dafür?

Auf all diese Fragen werde ich im folgenden Kapitel genau eingehen.

1.1 Die Zeit vor der Entdeckung der Kindheit

1.1.1 Die Antike

Wenn man auf die Kunstwerke dieser Zeit sieht, so wird man kein einziges Kind finden, denn die alten Griechen widmeten der Kindheit kaum Aufmerksamkeit. Zwar wurde sie als Zeitabschnitt auf dem Weg zum Erwachsenen festgehalten, aber für etwas Besonderes wurde sie nicht gehalten. Kinder wurden vermutlich früh wie Erwachsene behandelt oder hatten gar keine Rechte, wie die ungestrafte Kindestötung in dieser Zeit beweist. Es wurde also wenig darauf geachtet, was Kindheit in unserem heutigen Sinn ausmacht. Mit der Ausnahme, dass die Griechen der Erziehung besonderes Augenmerk schenkten, was noch heute durch die zahlreiche Literatur zu diesem Thema belegt.

Es besteht kein Zweifel, dass die Griechen die Idee der Schule erfunden haben. Ihr Wort für Schule bedeutet zugleich Muße und spiegelt so die typisch athenische Überzeugung wider, dass ein zivilisierter Mensch, der Muße hat, seine Zeit ganz natürlich mit Denken und Lernen zubringen wird.

( Postman 1983: 17 )

Und man weiß ja, dass die Griechen eine Vielfalt von Schulen gründeten und darin ihre unterschiedlichsten Erziehungsmodelle ausprobierten. Was wiederum beweist, dass den Erwachsenen eine gewisse Besonderheit der Kindheit bewusst war.

Die Römer übernahmen die schulische Erziehung der Griechen und entwickelten sogar eine noch gezieltere Vorstellung von Kindheit im allgemeinen, was sich darin zeigt, dass in der römischen Kunst auch Kinder dargestellt werden.

Aber was machte den konkreten Unterschied zwischen griechischer und römischer Kindheit aus?

Die Römer hatten erkannt, welche wichtige Voraussetzung es für Kindheit gab: nämlich die Entwicklung von Schamgefühl. Sie erkannten, dass es Geheimnisse, vor allem sexueller Natur geben musste, um überhaupt Kinder von Erwachsenen unterscheiden zu können. Dem Gesetz nach brauchen Kinder Schutz und Pflege, schulische Erziehung und Freiheit vor den Geheimnissen der Erwachsenen. Doch es waren zu wenige, die das erkannten, und mit dem Untergang des römischen Reiches starb auch die römische Vorstellung von Kindheit. ( vgl. Postman 1983: 13 ff )

1.1.2 Das Mittelalter

Warum kam es beim Übergang von der Antike in des „finstere Mittelalter“ zu diesem Verlust? Dafür gibt es nach Postman 3 Gründe:

- Die soziale Literalität, also die Fähigkeit der breiten Bevölkerungsmasse zu lesen und zu schreiben, verschwindet.
- Die Erziehung verschwindet.
- Das Schamgefühl verschwindet.

Als Folge der eben genannten drei Gründe verschwindet die Kindheit, weil die Grundvoraussetzungen für Kindheit nicht mehr gegeben sind.

Auf die einzelnen Punkte soll hier noch näher eingegangen werden:

Warum verschwand die soziale Literalität?

1. Die Kalligraphie wurde zum größten Hindernis. Die Schrift wurde so ausgeschmückt und verziert, dass viele Menschen die Buchstaben dahinter einfach nicht mehr erkennen konnten. Es verschwand also nicht das Alphabet oder das Erkennen des Alphabets, sondern die Fähigkeit dieses geschmückte Alphabet zu deuten.
2. Es gab kaum Papier, also konnte auch kaum jemand seine Lese- und Schreibfähigkeiten üben und festigen, was zu einem weiteren Verfall der sozialen Literalität führte. Es war einfach zu teuer und zu aufwendig Papier selbst herzustellen.
3. Ein Grund, der vielleicht nicht gern gehört wird, bleibt noch. Die Kirche dürfte auch Interesse daran gehabt haben, dass die soziale Literalität verschwindet, da sich eine ungebildete Bevölkerung leichter kontrollieren lässt als eine belesene und damit gebildete.

Wie konnte die Erziehung verschwinden?

Da es keine geordnete Ausbildung der Kinder gab, gab es auch keine Kindheit. Es gab zwar Schulen, aber in denen waren nicht ausschließlich Kinder sondern auch Erwachsene und Jugendliche und es gab keinen durchgängigen Lehrstoff, so wie wir ihn heute kennen, sondern es waren einzelne Einheiten, die willkürlich aneinandergereiht wurden. Weiters wurde ständig alles wiederholt, weil andauernd neue Schüler hinzukamen, die das „alte“ noch nicht kannten. Es bestand keinerlei Zwang, egal ob für Kinder oder Erwachsene, in die Schule zu gehen. Wer also meinte, dass er genug lesen und schreiben gelernt hätte, verschwand aus der Schule einfach wieder, so wie er irgendwann eingestiegen war, wenn überhaupt. Daraus lässt sich schließen, dass es wegen der fehlenden Vorstellung von Kindheit nicht dazu kam, Kinder als etwas Besonderes zu behandeln und sie deshalb in einer Schule zusammen zu fassen und zu erziehen.

Wer also die Schule verließ suchte sich eine Arbeit, egal ob er erst sieben oder schon 25 war. Es gab keine Trennung nach dem Alter. Wer ohne Mutter leben konnte, suchte sich Arbeit und war selbstständig wie ein Erwachsener. Diese Kinder umgaben sich den ganzen Tag mit Erwachsenen, während der Arbeit, des Essens und natürlich auch während der geringen Freizeit, die mit Spielen zugebracht wurde. Aber keine typischen Kinderspiele, wie man vermuten möchte, sondern mit Karten- oder Glücksspielen, wie eben Erwachsene.

„Die mittelalterliche Erziehung hatte die paideia der Alten vergessen und wusste noch nichts von der Erziehung der Modernen. Dies ist das wesentliche Faktum: Sie hatten keine Vorstellung von Erziehung.“ ( Ariés 1984: 559 )

Wie kam es zum Verschwinden des Schamgefühls?

Aus genau den gerade genannten Gründen. Die Kinder vermischten sich zu sehr mit den Erwachsenen, als dass es möglich gewesen wäre, vor ihnen Geheimnisse zu haben. Kinder wurden kaum als Kinder gesehen, und so bestand keine Notwendigkeit irgendwelche Themen zu tabuisieren, wenn Kinder anwesend waren. Die Idee des Schamgefühls beruht aber auf der Tatsache, dass es Geheimnisse gibt. Dass es einen deutlichen Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern gibt, der sich vor allem im Wissen um die Geheimnisse der Erwachsenen zeigt. Dies zeigt sich besonders deutlich darin, dass es keinerlei Tabus in sexueller Hinsicht gab. Kinder durften alles hören und sehen, ohne dass sich jemand etwas dabei gedacht hätte. „Diese Sitte, mit dem Geschlechtsteil des Kindes zu spielen, gehörte zu einer weit verbreiteten Tradition,...“ ( Ariés 1984: 179 ) Heut stehen auf solche „Traditionen“ Gefängnisstrafen.

Ein weiterer Punkt, der uns heute zum Schamgefühl zugehörig scheint, liegt darin, Manieren und Verhaltensvorschriften nach und nach zu lernen und sich auch daran zu halten. Solch eine Notwendigkeit sah man in der damaligen Zeit nicht.

Zu den genannten drei Gründen für das Fehlen von Kindheit kommen noch weitere, aber unbedeutendere Gründe hinzu, wie die harten Lebensumstände, die es nicht zuließen sich als Eltern allzu sehr um die Kinder zu kümmern und die hohe Kindersterblichkeitsrate. Die Eltern erwarteten von den Kindern, dass sie nicht lange auf dieser Welt bleiben würden, also schenkten sie ihnen von vorneherein keine so große Aufmerksamkeit, um keine zu intensive Bindung einzugehen. Es kam vielmehr darauf an viele Kinder zu bekommen, damit wenigstens ein paar überlebten.

( vgl. Postman 1983: 27 )

1.2 Die Entdeckung der Idee der Kindheit

Es lässt sich nun kaum bestreiten, dass eine Idee wie die der Kindheit nur dann entstehen kann, wenn es die Erwachsenen wollen. Was wiederum einen Wandel in ihrer Welt voraussetzt. Nämlich den, dass sich Erwachsene wieder deutlich von den Kindern unterscheiden, sie sich neu definieren. Aber wie?

Eine große Erfindung des 15. Jahrhunderts machte dies notwendig: die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern. Die Druckerpresse schuf eine neue Symbolwelt und damit einen völlig neuen Unterschied, nämlich zwischen denen, die lesen konnten und denen, die es nicht konnten. Die „Lesenden“ wurden die Erwachsenen und die Ausgeschlossenen aus deren Welt wurden die Kinder.

Im folgenden Kapitel möchte ich nun genauer auf diese Entwicklung eingehen.

Die Druckerpresse steigerte das Streben nach Ruhm und individueller Leistung ungemein. Erstmals konnte man etwas Gesagtes für die Nachwelt auf immer festhalten, indem man die Worte auf Papier bannte. Erst weit nach ihrer Erfindung entdeckte man die revolutionäre Kraft, die sie innehatte, wie sie zum Beispiel Luther sich zu Nutze machte. Infolge des veränderten Strebens nach Ruhm veränderte sich die gesamte Denkweise der Menschen; es kam zum Individualismus. Die Menschen begannen sich selbst und andere als wichtig und wertvoll zu erleben, da jeder einzelne etwas leistete. Mit dem Lesen kam es zu einer deutlichen „Wissenskluft“, wie Postman sie bezeichnet, die jene die lesen können von denen trennt die nicht lesen können. Wer liest, kann andere Welten erleben und abstrakte Denkweisen nachvollziehen, was sein eigenes Denken nachhaltig verändert. Doch lesen muss jeder für sich selbst, das gesprochene Wort verliert an Bedeutung.

„Lesen ist ein antisozialer Akt.“ ( Postman 1983: 38 ) Darin zeigt sich der deutliche Unterschied zwischen dem Mittelalter und der neuen Zeit. Früher zählte nur das gesprochene Wort und reden konnte schließlich jeder, auch die Kinder. Es wurde viel erzählt und es saß nicht jeder in seiner Ecke und las. Dadurch fiel es so leicht sich untereinander zu mischen. Doch seit es Bücher gab und somit auch Verträge, Dokumente und andere wichtige Schriftstücke, hoben sich die Erwachsenen wieder von den Kindern ab. Denn ein Kind musste erst lesen lernen um ein Erwachsener zu werden! Kinder wurden nicht mehr einfach von selbst erwachsen, sondern mussten etwas dafür tun, nämlich in die Schule gehen, um lesen und schreiben zu lernen. Erst wer das konnte, galt als vollwertiger Erwachsener. Damit ihnen die Entwicklung gelingen mochte, brauchten sie Erziehung, „und damit wurde aus der Kindheit eine Institution.“ ( Postman 1983: 48 )

Innerhalb der Gesellschaft kam es nach und nach zu einem bewusst-werden der Kindheit, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass 1544 erstmals ein englischsprachiges Buch über Kinderheilkunde veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zum Mittelalter, in dem doch ein eher distanziertes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern herrschte, da sie sich nicht zu sehr an ihre Kinder binden wollten, galt die Kindersterblichkeit nicht mehr einfach so hinzunehmen. Eltern wollten etwas dafür tun, dass ihre kranken Kinder wieder gesund wurden. Das Leben eines Kindes wurde nach und nach höher eingeschätzt.

Als der Buchdruck seine Anfangszeit, etwa die ersten 50 Jahre, hinter sich hatte, wurde die Idee der Kindheit zu einem neuen „Kind dieser Zeit“. Ihre Entwicklung dauerte um einiges länger, etwa zweihundert Jahre. Nach dem 16. und 17. Jahrhundert war der Begriff der Kindheit in der Gesellschaft soweit verankert, dass sie schon zur „natürlichen Ordnung der Dinge“ gehörte. Kinder wurden von den Erwachsenen abgesondert, um Lesen und Schreiben zu erlernen und dabei auch ihre restliche Erziehung zu erhalten. „Indem wir Menschen voneinander absondern, schaffen wir Kategorien von Menschen, und die Kinder sind ein historisches Beispiel für eine solche Kategorie.“ ( Postman 1983: 49 ) Diese neue „Kategorie“ von Menschen zeichnete sich dadurch aus, dass sie alle Lesen und Schreiben erlernen mussten. Sie sollte ebenfalls weitere Ausbildung erhalten, die sie auf ein Leben in einer Kultur vorbereiten sollte, die abhängig vom gedruckten Wort ist.

Im Mittelalter war das Bildungsniveau im Süden Europas höher als im Norden. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte sich das genau umgekehrt, und das Bildungsniveau wurde im Norden höher als im Süden. Das heißt, dass sich auch die Idee der Kindheit dementsprechend unterschiedlich entwickelte.

Warum kam es zu dieser Entwicklung?

An diesem Punkt möchte ich noch einmal kurz auf die Erfindung der Druckerpresse zurückkommen. Die Katholiken hatten sich schnell vom Buchdruck abgewandt und volkssprachliche Bibeln sogar verboten, um ihre Bilderverehrung fortzusetzen und die prunkvollen Kirchen und Gottesdienste weiter auszuschmücken. Das unterstützte natürlich nicht das Lesen und die Bildung, sondern hielt die Menschen eher auf dem geistigen Niveau des Mittelalters. Wohingegen die Protestanten einen schmuckloseren Gottesdienst bevorzugten, und ihre Anhänger zum Lesen ermutigten. Der protestantische Glaube spielte sich auf einer abstrakteren Ebene ab, die das Lesen der Bibel fast voraussetzte.

Im Süden waren die Katholiken und im Norden die Protestanten. Die einen hassten den Buchdruck und die anderen nutzen ihn zu ihren Gunsten. Daraus erklärt sich das Bildungsgefälle von Norden nach Süden. „Wo die Lese- und Schreibfähigkeit allgemein hoch im Kurs stand, gab es Schulen, und wo es Schulen gab, da entfaltete sich die Vorstellung von Kindheit sehr rasch.“ ( Postman 1983: 51)

Als Beispiel möchte ich nun gern die Entwicklung der Kindheit beziehungsweise der Schule in England kurz beschreiben.

Bereits während der Regierungszeit Heinrich VIII gab es Forderungen nach einer allgemein zugänglichen Schulbildung, welche sehr rasch umgesetzt wurde. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts entwickelten sich in England drei Arten von Schulen:

1. Elementarschulen

In ihnen wurde Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt. Gerade so viel, wie man für den täglichen Gebrauch für notwendig erachtete.

2. freie Schulen

Hier ging man schon einen Schritt weiter und lehrte die Schüler Mathematik, englischen Aufsatz und Rhetorik.

3. Grammar Schools

In diesen Schulen wurden englische Grammatik und die klassischen Sprachen gelehrt, um die Schüler auf die Universitäten vorzubereiten.

Im England dieser Zeit waren die Schulen auch den Mädchen geöffnet. Obwohl Schulbildung in erster Linie den reicheren Bürgern zugute kam, konnten auch einige ärmere Mädchen damals schon lesen lernen.

Aus dieser doch aufwendigen und lang andauernden Schulbildung entwickelte sich ein Wandel in der gesellschaftlichen Stellung des Kindes. Die Schule sollte Erwachsene „machen“, das heißt, dass Kinder, im Gegensatz zum Mittelalter, nun nicht mehr als „kleine Erwachsene“ angesehen, sondern als etwas ganz eigenes und besonderes wahrgenommen wurden. Was sich zum Beispiel auch in der Namensgebung widerspiegelte. War es doch im Mittelalter noch üblich all seinen Kindern den gleichen Namen zu geben und sie nur durch Beifügungen, zum Beispiel der Reihenfolge ihrer Geburt nach, zu unterscheiden, so bekam im 17. Jahrhundert jedes Kind seinen eigenen unter Geschwistern unverwechselbaren Namen. Meist handelte es sich dabei um die Namen lieber Verwandter oder das Kind erhielt einen Namen, der in starker Verbindung zu dem stand, was die Eltern sich von diesem Kind erwarteten.

Im 16. und 17. Jahrhundert bestimmte also der Schulbesuch die Kindheit. Die Organisation der Schule sah schon früh eine Einteilung nach Altersklassen vor, was aber zu Anfang nicht gelang, denn die Klassen wurden nach Lesefähigkeit eingeteilt. Erst nach und nach vollzog sich diese Entwicklung hin zu den Altersklassen.

Wie Ariés feststellt, zeugt die Aufgliederung der Schulklasse in eine Hierarchie der Lesekompetenz davon, „dass man sich der Sonderstellung der Kindheit und Jugend bewusst geworden ist und sich der Auffassung nicht länger verschließt, dass es innerhalb dieser Kindheit oder auch dieser Jugend wieder bestimmte Kategorien gibt.“ ( Ariés 1984: 283 ) Es wird hier an ein Grundprinzip der sozialen Wahrnehmung angeknüpft, nämlich dem, dass es unvermeidlich ist, an einer Gruppe, die nur nach einem Merkmal eingeteilt wird, auch andere Merkmale zu sehen. Kinder sind demnach mehr als nur eine Gruppe kleinerer Menschen, denen das Lesen und Schreiben beigebracht werden muss. Mit der Sichtbarwerdung der unterschiedlichen Stufen der Kindheit gegen Ende des 16. Jahrhunderts entsteht auch erstmals ein Unterschied zwischen Erwachsenen- und Kinderkleidung.

Die Zusammenfassung der Kinder in Altersgruppen ließ weiters eine eigene Kindersprache entstehen. So etwas gab es zu Zeiten des Mittelalters nicht, da Kinder sowieso ständig mit Erwachsenen beisammen waren. In der Schule waren nun Kinder ungefähr gleichen Alters untereinander und sie entwickelten eine eigene Sprache.

Als weiteres Anzeichen für die Anerkennung der Kindheit lässt sich darin anführen, dass ab 1744 eine eigene Kinderliteratur entstand. Es wurde also nicht mehr nur über Kinder, sondern auch für Kinder geschrieben.

Du Boulay war der Meinung, dass Kindheit eine reine Idee des Bürgertums war, weil sich darin eine Möglichkeit bot die Kinder als eine Art „Statussymbol“ zu verwerten. Es ging darum, wer die besseren Kleider, die bessere Schulbildung, die besseren Bücher oder die besseren Spiele vorweisen konnte. Seiner Meinung nach konnte sich Kindheit nur in Zusammenhang mit Geld entwickeln. Ich denke, auch wenn es so war, bei vielen „Erfindungen“ ging es zunächst um etwas anderes als am Ende herauskam. Egal aus welchen Gründen es zum Phänomen der Kindheit kam, seien wir einfach froh darum.

Parallel zur Kindheit entwickelte sich auch die moderne Familie in engem Zusammenhang mit der Erfindung und Ausweitung der Schulerziehung. Denn im Gegensatz zum Mittelalter, als die Kinder schon früh die Familie verließen und in ein Lehrverhältnis eintraten, fand die Erziehung nun in der Nähe der Eltern statt. Die Eltern waren nun länger für ihre Kinder verantwortlich als früher und es handelte sich auch um eine größere Verantwortung, die dem gewachsenen Bedürfnis nach Sittenstrenge entsprach. Da dank des Buchdrucks alle Themen jedermann zugänglich waren, sahen sich die Eltern verantwortlich dafür, dass ihre Kinder „gute“ Kinder wurden und nicht die falschen Bücher lasen. Die Eltern übernahmen neue erzieherische und auch religiöse Funktionen, indem sie sich auch selbst bildeten und ihren Kindern diese Bildung weitergaben beziehungsweise ihnen gewisse Dinge vorenthielten. Die Familie hat sich in dieser Zeit als Erziehungsinstitution herausgebildet. Dadurch wurde das Band zwischen Eltern und Kindern stärker, die Familie wuchs näher zusammen, einfach deswegen, weil sie viel mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Bei den Eltern entstand auch das Bedürfnis ihre Kinder mehr zu überwachen, sie stets in der Nähe zu haben, was dazu führte, dass die Eltern immer mehr Schulen forderten, damit ihre Kinder beim Besuch einer Schule nicht so weit von den Eltern entfernt leben müssen. Natürlich muss man bedenken, dass Bildung nicht gleich jedermann zur Verfügung stand. Die Kinder von Handwerksleuten und die Mädchen wurden noch bis Ende des 18. beziehungsweise bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im althergebrachten Lehrverhältnis außerhalb der Familie erzogen. ( vgl. Ariés 1984: 509 ff )

All diese Entwicklungen waren äußere Anzeichen für die Herausbildung einer neuen Kategorie von Individuen – Menschen, die sich anders ausdrückten als die Erwachsenen, die ihre Zeit anders verbrachten, sich anders kleideten, anders lernten und letztlich auch anders dachten. Der alledem zugrunde liegende strukturelle Wandel bestand darin, dass die Erwachsenen mit dem Buchdruck und seiner Dienerin, der Schule, in eine Position gerieten, aus der heraus sie die symbolische Umwelt der Kinder in einem bisher ungekanntem Maß kontrollieren konnten, so dass sie die Bedingungen, unter denen das Kind zum Erwachsenen wurde, gestalten konnten und dies auch tun mussten.

( Postman 1983: 57 )

Die Idee der Kindheit war nun soweit verbreitet und gefestigt, dass sie keinesfalls mehr weggedacht werden könnte. Wie sah nun nach diesem Anfang aber die weitere Entwicklung der Kindheit aus?

Darauf möchte ich im nächsten Teilkapitel näher eingehen.

1.3 Der Bedeutungswandel des Phänomens Kindheit

1.3.1 Allgemeine Entwicklung

Die beiden wichtigen Faktoren, die zur Entstehung der Kindheit geführt haben, nämlich Gutenbergs Buchdruck und die Schule, habe ich bereits ausreichend erörtert. Aber wie ist nun die Kindheit von ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert an weiter verlaufen?

„Jede Nation, die diese Idee zu begreifen und der eigenen Kultur einzuverleiben versuchte, hat ihr ein spezifisches, der jeweiligen wirtschaftlichen, religiösen und intellektuellen Konstellation entsprechendes Gepräge gegeben.“

( Postman 1983: 65 ) Je nachdem, in welcher Zeit und in welchem Land man die Kindheit betrachtet, erscheint sie in einem anderen Bild. Einmal wird sie in ihrer Entwicklung bereichert, dann wieder vernachlässigt oder sie verarmt innerhalb einer Gesellschaft fast völlig. Aber verschwinden konnte sie nicht mehr, auch wenn es teilweise recht knapp geworden war, wie zum Beispiel zur Zeit der Industrialisierung in England im 18. Jahrhundert. Zu dieser Zeit entdeckte man die Kinder als billige Arbeitskräfte, die damals sehr dringend gebraucht wurden. Schnell waren die Schulen und Ausbildungsforderungen wieder vergessen, denn der Staat brauchte die Arbeitskräfte. Doch das Bürgertum und die Oberklasse erhielten und förderten die Idee der Kindheit, sodass sie nicht verschwinden konnte. Außerdem war die Idee der Kindheit im 17. Jahrhundert bereits über den Ärmelkanal nach Europa gekommen, von wo aus sie im 19. Jahrhundert ins industrialisierte England zurückkehrte. Sie überschritt alle nationalen Grenzen und entwickelte sich teilweise unabhängig aber beständig. Ab 1840 breiteten sich die Elementarschulen in England so rasch aus, dass schon gegen Ende des 19. Jahrhundert das Analphabetentum sowohl bei Männern als auch bei Frauen fast ausgelöscht war.

So wie die Industrialisierung in England der Feind der Kindheit war, so waren es die Jesuiten in Frankreich. Sie wollten die soziale Literalität stoppen. Doch weder das eine noch das andere konnte die Kindheit aufhalten. Das Bildungsniveau in Frankreich war schon Mitte des 19. Jahrhunderts gleich hoch wie in England.

Europa wurde in dieser Zeit von einer starken Tendenz zu einer humaneren Auffassung von Kindheit ergriffen, weil Staat und Verwaltung sich plötzlich für das Wohlergehen der Kinder verantwortlich fühlten. Warum aber war das notwendig? DeMause vermutet, dass vielen Erwachsenen das Einfühlungsvermögen für ihre Kinder damals einfach fehlte oder nicht ausreichend ausgeprägt war. Weiters liegt die Vermutung nahe, dass auch die ökonomische Misere diese Gefühle zusätzlich einschränkte. Manche Eltern haben ihre Kinder aus Geldmangel einfach verkauft oder zur Arbeit vermietet. ( vgl. Postman 1983: 65 ff )

1808 schrieb der Wiener Joseph Richter ein Theaterstück für Kinder mit dem Titel: „Denn: Kinder sollen Kinder seyn“. Darin schilderte er, wie Kinder, die sich wie Erwachsene benahmen, in teilweise sehr gefährliche Situationen gerieten. Damit wollte er meiner Meinung nach zum Ausdruck bringen, dass Kinder im Gegensatz zum früher verbreiteten Glauben anders sind als Erwachsene und deshalb auch anders behandelt werden müssen. Dass sie mehr Schutz und Pflege brauchen und eben einfach Kinder sein dürfen. Denn ein Kind ist kein kleiner Erwachsener, sondern eine eigene Persönlichkeit, die ihren Charakter erst formen muss.

Durch Schule und Elternhaus wurde das Kind immer mehr aus der Erwachsenenwelt entfernt und die Dauer der Kindheit verlängerte sich zunehmend.

(vgl. Reingard Witzmann, Ausstellungskatalog: 12 f )

In dieser Zeit der Aufklärung entfaltete sich die Idee der Kindheit auch deshalb so gut, weil Europa insgesamt von einem Reform- und Bildungsbewusstsein erfasst worden war. Was sich zurückführen lässt auf Goethe, Kant, Locke, Rousseau und die vielen anderen wichtigen Persönlichkeiten dieser Zeit. Zum Beispiel Lockes 1693 veröffentlichte „Gedanken über Erziehung“ oder Rousseaus Schriften, die im wesentlichen zwei Punkte hervorbrachten. Nämlich, dass das Kind an sich wertvoll und dem Naturzustand am nächsten ist, und dieser erhalten werden sollte. Er hob die besonderen kindlichen Charakterzüge wie Spontaneität, Neugier, Freude und andere hervor und betonte ihre Wichtigkeit. Während nur ungefähr 100 Jahre zuvor versucht wurde genau diese Eigenschaften zu unterdrücken.

Als die Idee der Kindheit ins 20. Jahrhundert, und somit auch in die Neue Welt nach Amerika kam, setzte sie sich nach Postman vor allem aus zwei Komponenten zusammen:

1. die protestantische Anschauung nach Locke

Nach ihr sei das Kind ein ungeformtes Geschöpf, das erst durch Bildung, Verstand, Selbstbeherrschung und Schamgefühl zum zivilisierten Erwachsenen gemacht werden müsste.

2. die romantische Anschauung nach Rousseau

Sie sah nicht das ungeformtes Geschöpf „Kind“, sondern den deformierten Erwachsenen. Das Kind sei von Natur aus aufrichtig, neugierig und spontan und erst die Bildung würde dieses natürliche Verhalten abtöten.

Die protestantische Komponente dominierte die westliche Anschauung der Erziehung im 19. Jahrhundert deutlich, wobei aber die romantische Komponente nie ganz vergessen wurde.

Erst nach und nach keimte der Wunsch die beiden Vorstellungen miteinander zu verbinden und sie zu vereinbaren. Zwei Werke möchte ich an dieser Stelle anführen, aber nicht näher darauf eingehen. Erstens Freuds „Traumdeutung“ und zweitens John Deweys „The School and Society“. Daraus ergab sich das Grundmuster der Kindheit wie wir es bis heute noch kennen:

Der Schuljunge beziehungsweise das Schulmädchen, dessen Individualität durch Pflege und Erziehung entstehen soll. Gleichzeitig wird ihre Selbstbeherrschung, die Fähigkeit Befriedigung aufzuschieben und die Entwicklung des logischen Denkens von den Erwachsenen gesteuert und überwacht. Doch all das nur unter Berücksichtigung der kindlichen eigenen Entwicklungsregeln, die den Charme, die Neugier und Ausgelassenheit eines Kindes nicht abtöten, sondern erhalten sollen.

( vgl. Postman 1983: 69 ff )

Wenn in diesen Tagen der Staat Österreich die UNO-Konvention über „die Rechte des Kindes“ anerkennt, so wird symbolisch eine neue Dimension in der Geschichte des Kindes eingeleitet: Die Emanzipation des Kindes als Partner der Erwachsenen innerhalb der modernen Leistungsgesellschaft.

( Reingard Witzmann, Ausstellungskatalog: 13 )

Mir ist bewusst, dass zwischen dem oberen Text und diesem Zitat eine ziemlich Kluft liegt, doch hat sich dazwischen nichts besonderes ereignet, als die Verlagerung des Gewichts von der protestantischen zu romantischen Seite und umgekehrt. Das Zitat habe ich gewählt, weil es einen doch sehr engen Bezug zu unserer Gegenwart hat, von dem manche doch behaupten, dass es gar keine Kindheit mehr gibt. Doch darauf möchte ich erst später eingehen.

1.3.2 Die rechtliche Stellung des Kindes im Wandel der Zeit

Irmgard Helperstorfer hat die rechtliche Stellung des Kindes wie folgt dargestellt:

In der Rechtssprache bezeichnet das Wort „Kind“ entweder ein Abstammungsverhältnis ohne Rücksicht auf das Alter oder den ersten Lebensabschnitt des Menschen, die Kindheit. Seit dem 19. Jahrhundert ist der altersspezifische Kindesbegriff auf dem Vormarsch, was unter anderem auch den Begriff der „Kleinfamilie“ prägte.

Die Zeit vor dem Erlass des ABGB

In dieser Zeit war die Stellung des Kindes von zwei Faktoren beeinflusst. Und zwar von der Familienverfassung und den politischen Strukturen im Land.

Die germanische Zeit bis zum Mittelalter

Das Kind unterstand dem alleinigen Willen des Vaters. Er konnte entscheiden über:

- Aussetzung
- Tötung
- Ehebewilligungen
- Zwangs-Verheiratungen
- Verkauf der Kinder ( und der Frau )

Allerdings musste er auch für Delikte der Kinder haften. Während die ehelichen Kinder wenigstens vermögensfähig waren, hatten die unehelichen Kinder gar keine Rechte. Für das Vermögen der Kinder war der Vater als Verwalter eingesetzt, er durfte sich aber nicht auf Kosten der Kinder bereichern.

Hoch- und Spätmittelalter

Erstmals wurde elterliche statt väterlicher Gewalt eingesetzt und zum Schutz des Kindes wurde das Aussetzungsrecht abgeschafft.

Frühe Neuzeit

Der väterlichen ( elterlichen ) Autorität wurde nun auch elterliche Pflichten gegenübergestellt. Das Kind konnte, wenn es das für wirklich erforderlich hielt, die Obrigkeit anrufen, die für die Überwachung der elterlichen Pflichten zuständig war. Der Staat griff also schützend und reglementierend in die elterliche Erziehung ein.

Aufklärung

Sie erhob ihre individualistischen Postulate gegenüber der Familie und Gesellschaft, aber auch gegenüber der Kinder. Während dieser Zeit kam es zu einer weitgehend veränderten Rechtsstellung des Kindes.

Die Stellung des Kindes im Familienrecht 1811

Innerhalb des Familienrechts unterschieden sich zwei Gruppen von Kindern ganz deutlich: die ehelichen und die unehelichen.

das eheliche Kind

Das ABGB 1811 hielt fest, dass die Eltern mithilfe der Hausmacht das Kind um seiner selbst willen erziehen sollen. Das Kind hat demnach einen Anspruch auf Erziehung, der folgendes beinhaltet. Anspruch auf:

- Fürsorge und Erziehung
- anständigen Unterhalt
- Entwicklung der geistigen und körperlichen Kräfte
- religiösen Unterricht
- eine Berufsausbildung

All diese Pflichten müssen die Eltern bis zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes erfüllen. Das Kind hatte den Namen und das Wappen des Vaters zu erhalten und damit seine gesellschaftliche Stellung.

Falls die Eltern diesen Pflichten nicht nachkamen, hatte das Kind die Möglichkeit dem Vater die Gewalt über es selbst aberkennen zu lassen. Was aber auch schon das einzige Mittel war, um sich selbst in irgendeiner Weise zu schützen. Das Kind „stellte im Wesentlichen ein Objekt elterlicher Verfügung und nur in geringem Maß ein selbsthandelndes Subjekt dar.“ ( Irmgard Helperstorfer, Ausstellungskatalog: 15 )

das uneheliche Kind

Dank dem Einfluss von katholischen Sittenvorstellungen ist es von allen Rechten der Familie ausgeschlossen. Es wird lange dauern, bis diese Diskriminierung in späterer Zeit aufgehoben wird.

Änderungen des Kindrechts im Rahmen der Teilnovellen 1914 – 1916

Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer ausgedehnten „Kinderschutzdiskussion“. Infolge dieser kam es zu einer Reform, die sich vor allem nach drei Grundideen richtete:

1. Ausbau der öffentlichen Kontrolle

Die Rechte der Eltern sollten zugunsten der Kinder etwas zurückgenommen werden und so dem Staat eine bessere Kontrolle gewähren.

2. Ausbau der Rechte unehelicher Kinder

Die Benachteiligung der unehelichen gegenüber den ehelichen Kindern schien nicht länger gerechtfertigt zu sein und wollte nicht länger hingenommen werden.

3. Schaffung neuer Behörden

Die bürokratischen Einrichtungen wurden zum Schutz des Kindes erweitert, um Gerichte durch bessere Information zu unterstützen und mögliche Vormünder auf ihre Tauglichkeit zu prüfen.

Die Entwicklung des Kindrechtes zwischen 1918 und 1938

In den ersten Monaten nach Kriegsende wurden viele Gesetze erlassen, die auch die Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen beeinflusste. Zum Beispiel wurde im Dezember 1918 das Wahlalter auf die Vollendung des 20. Lebensjahres gesenkt, was zur Folge hatte, dass auch das Volljährigkeitsalter gesenkt wurde.

Drei Gruppen von Kindern und Jugendlichen schienen besonders schutzbedürftig:

- die in den Arbeitsprozess eingegliederten
- die sich in fremder Pflege befindlichen
- die unehelichen

Das Kinderarbeitsgesetz von 1918 beschränkte nicht nur die zumutbare Arbeit von fremden Kindern, sondern erstmals auch die der eigenen.

Die Ziehkinderordnung verlangte eine Bewilligung von all jenen, die ein Ziehkind aufnehmen wollten.

Die rechtliche Stellung des Kindes in der zweiten Republik

Die Stellung des unehelichen Kindes

Die Unehelichkeit ist ein Mangel an Familienhaftigkeit und stellt eine Verminderung der Lebenschancen dar. Die Abschaffung dieser Diskriminierung war immer schon ein großes sozialdemokratisches Anliegen, das in der Regierungserklärung von 1970 schon angekündigt wurde. Die Reform des Unehelichenrechts vollzog sich dann schlussendlich 1977, wonach das Unterhaltsrecht für eheliche wie uneheliche Kinder folgendermaßen lautete: „anteilige Verpflichtungen der Eltern, zum Unterhalt des Kindes beizutragen; wer den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag.“ ( Irmgard Helperstorfer, Ausstellungskatalog: 17 )

Das Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und den ehelichen Kindern

Zwischen 1811 und 1976 haben sich im ABGB nur wenig Änderungen vollzogen. Aus der Sicht des Kindes war das Rechtsverhältnis ein reines Gewaltverhältnis. Es gab eine strenge Aufteilung in mütterliche und väterliche Pflichten und Aufgaben. Obwohl die Mutter demnach die Person war, die am meisten mit dem Kind zu tun hatte, hatte sie nur eine sehr schwache Rechtsposition gegenüber ihrem Kind, was zur Folge hatte, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine starke Forderung nach männlicher und weiblicher Gleichstellung entstand.

[...]

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
Die Geschichte der Kindheit - im Besonderen dargestellt anhand von Kleidung und Mode
Hochschule
Pädagogische Hochschule Salzburg
Note
Gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
94
Katalognummer
V9015
ISBN (eBook)
9783638158312
Dateigröße
1134 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Kindheit, Besonderen, Kleidung, Mode
Arbeit zitieren
Jutta Werner (Autor:in), 2002, Die Geschichte der Kindheit - im Besonderen dargestellt anhand von Kleidung und Mode, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9015

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