Resilienzforschung - Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen


Hausarbeit, 1999

14 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.2 Definitionen

2. Der kindliche Entwicklungsprozeß
2.1 Modell der Persönlichkeitsentwicklung
2.2 Die soziokulturellen Faktoren
2.2.1 Der Kulturkreis
2.2.2 Die weitere Umwelt
2.2.3 Die engere Umwelt
2.3 Die innerseelischen dynamischen Faktoren
2.3.1 Die bewußte Selbststeuerung
2.3.2 Die unbewußten dynamischen Prozesse

3. Risikofaktoren der kindlichen Entwicklung

4.3 Schutzfaktoren der kindlichen Entwicklung
4.1 Die Unverwundbaren

5. Förderungen und Prävention

6. Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, warum manche Kinder obwohl sie hoher psychischer und oftmals auch physischer Belastung im Kindesalter ausgesetzt sind, sich zu "gesunden" Erwachsenen entwickeln.

Daraus ergibt sich auch die Frage, warum andere Kinder, mit ähnlicher Problematik, Entwicklungsstörungen aufweisen, die im späteren Leben dauerhafte Schäden verursachen. Die Resilienzforschung trägt den Erkenntnissen Rechnung, "daß Kinder nicht passive Sozialisationsobjekte sind, sondern in der Gestaltung ihrer Entwicklung aktiv und gegenüber Belastungen sehr unterschiedlich und flexibel agieren können". Erforscht werden protektive Faktoren, die Risiken vermindern helfen. Solche relativen Widerstandskräfte gegenüber Risikofaktoren, die über die Zeit und verschiedene Situationen hinweg variieren können, können sowohl in konstitutionellen und erworbenen Persönlichkeitsmerkmalen als auch in der Umwelt liegen. (vgl. Lösel &Bender 1994)

Der Schwerpunkt hierbei liegt in der Betrachtung der Wechselwirkungen von Risiko- und Schutzfaktoren in der kindlichen Entwicklung.

Vor allem der Blick auf das Kind in der Beziehung zu seiner Betreuungsumwelt, sowie die Interaktion des Kindes mit seinem Selbst sind zu betrachten. Interessant ist besonders die Entwicklung und die Kompetenzen der "Unbesiegten" bzw. der "Unverwundbaren" zu analysieren.

Bei der Frage nach der Vorhersagbarkeit von Entwicklung und Fehlentwicklung bei Kindern, spielen die Risiko- und Schutzfaktoren, welche den Kindern zur Verfügung stehen, eine entscheidende Rolle.

"In ihrem programmatischen Artikel schlagen Stroufe & Rutter (1984) vor, die Bestimmung von Risikofaktoren oder Belastungen und die Bewältigung bzw. Nichtbewältigung von altersbezogenen Entwicklungsaufgaben zum zentralen Prädiktor späterer (Fehl-) Entwicklungen zu machen."_

D.h. anhand der Bewältigung bzw. Nichtbewältigung von bestimmten Entwicklungsaufgaben, werden Entwicklungsstörungen gemessen. Hier bei ist darauf hinzuweisen, dass die Messung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben oftmals den Schwerpunkt auf die kognitiven Kompetenzen legt, wobei die sozialen Fähigkeiten nicht berücksichtigt werden. Vor allem Schuleignungstests wird dies vorgeworfen.

Ebenso kann es in sozialökonomischen Übergängen zu zeitweisen Verhaltensstörungen kommen, wie z.B. bei "Reifungskrisen", bei denen die Entwicklung nicht kontinuierlich verläuft, sondern in Schüben.

Die Entwicklungsschritte führen zu einer zeitweisen Destabilisierung.

Auch gibt es im Kindesalter verschiedene "Vulnerabilitätszonen"(kritische Zeiträume), wie z.B. im Alter von 3 Jahren , 5/6 Jahren, 9/10 Jahren 12/13 Jahren und 19/22 Jahren, die zu zeitweisen Verhaltensstörungen führen können.

1.2 Definitionen

(1) Definition von Resilienz:

Überwiegend wird hierunter die "Abwesenheit von Störungen, Fehlanpassungen oder Krankheiten verstanden" (vgl. Kongreßbericht DGPs 1996) . Zum Teil wird sich aber auch auf positive Kriterien der sozialen Kompetenz bezogen.

(2) Definition von Risikofaktoren:

Als Risikofaktoren bezeichnet man Merkmale, die in hoher Wechselwirkung mit den vorhandenen Verhaltensproblemen stehen.

Bei einzelnen kritischen Lebensereignissen sind die Zusammenhänge jedoch gering, vielmehr eine Vielzahl von Stressoren sind bedeutsam.

(3) Definition von Schutzfaktoren

"Von einem protektivem Faktor wird gesprochen, wenn er die ansonsten bestehende Wahrscheinlichkeit eines pathologischen Zustands oder anderer Adaptionsprobleme erniedrigt. (...) Nach Rutter (1985) sollte ein Faktor aber nur dann als protektiv bezeichnet werden, wenn er pathogene Wirkung vorhandener Risiken vermindert, also den Zusammenhang zwischen Risikofaktor und Störung moderiert."1

2. Der kindliche Entwicklungsprozess

"Entwicklung fassen wir heute als einen komplexen, fortschreitenden Prozeß von Wechselwirkungen zwischen der strukturellen Reifung (Altersreife), den individuellgenetischen Anlagen ( körperlicher Gestalt, Intelligenz, Musikalität etc.), den Umwelteinflüssen und schließlich der Art und Intensität der individuellen Selbststeuerung auf."2

2.1 Modell der Persönlichkeitsentwicklung

Das folgende Modell will veranschaulichen, welche Faktoren die Entwicklung des Kindes und die Entstehung der Persönlichkeit beeinflussen. (vgl.Schenk-Danzinger 1966, 43)

a. Genetische Faktoren:

-strukturelle Reifung zum Menschen

Vererbung

-individuell-genetische Anlagen

b. Soziokulturelle Faktoren

- Kulturkreis

- weitere Umwelt (Volk, Stadt oder Land, Sozialschicht, Berufsgruppe der Eltern etc.) Lernangebote

- engere Umwelt (Familie, Schule, engerer

- Freundeskreis)

c. Innerseelische dynamische Faktoren

- bewußte Selbststeuerung (Arbeitshaltungen, Motivationen, Lebensziele, Lebenspläne, Selbsterziehung, Streben nach Selbstverwirklichung)

- unbewußte dynamische Prozesse (Entstehung Selbststeuernde von Leitbildern und Leitlinien im Sinne Faktoren ADLERS1929 und die Bewältigung des Trieblebens in der Auseinandersetzung mit Ich und Über-Ich sowie die Ausbildung von Abwehrmechanismen im Sinne FREUDS1935

(vgl. Schenk-Danzinger, 1996)

Wichtig bei diesem Modell ist zu erwähnen, dass alle Faktoren integriert sind und in wechselseitiger Abhängigkeit stehen. Ebenso kann im individuellem Leben ein Faktor eine höheren Wirkungskraft haben als andere Faktoren.

2.2 Die soziokulturellen Faktoren

2.2.1 Der Kulturkreis

Die soziokulturellen Faktoren betrachtet Schenk-Danzinger wie drei konzentrierte Kreise.

Dabei bildet der Kulturkreis den weitesten. Er wird überwiegend von der Religion bestimmt. Wir befinden uns im christlich-abendländlichen Kulturkreis, wo das römische Recht und die zehn Gebote die Grundlage des öffentlichen und individuellen Rechtsbewußtsein bilden.

2.2.2 Die weitere Umwelt

Den nächsten Kreis bildet die Volks- und Gruppenzugehörigkeit. Dazu zählen Traditionen, Werthierarchien in der Religionsgemeinschaft, die Statussymbole der Sozialschicht und Berufsgruppe, der unsere Eltern angehören, sie werden zunächst fraglos und unbewußt übernommen.

Ebenso wirken auch gültige Verhaltensmuster, Vorurteile, gültige Meinungen etc. auf unsere individuelle Entwicklung ein, die auch in der weiteren Zukunft wirksam sein können. Es zeigt sich bspw., dass Begabte aus einer soziokulturellen tieferen Schicht, oftmals weniger gefördert werden, weil Bildung in ihrer Sozialschicht kein Sozialprestige hat.

2.2.3 Die engere Umwelt

Hier bildet sich der engste der drei Kreise. Er beinhaltet die Familie, den Freundeskreis und die Schule. Neben den offen Werten innerhalb einer Gesellschaft, bildet die Familie ihre eigenen Wertvorstellungen.

Besondere Bedeutung für die gesamte Entwicklung wird hier vor allem in

- der Art der emotionalen Zuwendung zum Kind,
- der Art der Konfrontierung des Kindes mit Wertmaßstäben , sowie
- die Art der Lernmöglichkeiten gesehen.

Es ist es erwiesen, dass eine positive emotionale Zuwendung der Eltern im Kind Vertrauen und Geborgenheit hervorrufen, negative und ambivalente emotionale Zuwendungen hingegen eine kräfteverzehrende und entwicklungshemmende Konfliktsituation entstehen lassen. Die Familie ist auch der erste Ort, wo das Kind zum ersten Mal mit Wertmaßstäben in Berührung komm, wie brav -schlimm, gut -böse, richtig - falsch. Das Kind erfährt hierdurch erste Orientierungen in sozialen Bezügen und schafft Voraussetzungen für die weiteren Regeln und Normen, die ihm in seinem weiteren Lebensverlauf begegnen (Schule, Freundeskreis, Beruf).

Unter den Lernmöglichkeiten innerhalb der Familie, versteht man die Uneingeschränktheit des Kindes, bei bspw. motorischen Übungen (Greifen, Laufen), die in Heimen durch Verwahrlosung behindert werden können.

Wichtig ist hier, dass dem Kind Lernimpulse gegeben werden, in Form von Beschäftigungsmaterial, sprachlicher Zuwendung, Beobachtungs- und Erlebnismöglichkeiten. Das Fehlen solcher Lernimpulse kann dazu führen, dass ein durchschnittlicher Entwicklungsstand nicht erreicht wird.

Einen sehr großen Einfluß neben der Familie bildet die Schule. So zeigt sich bspw., dass Jugendliche die auf eine höhere Schule gehen und der unteren Sozialschicht angehören, sich in ihrem Verhalten den Schülern anpassen und sich von den Jugendlichen aus ihrer Schicht, die eine Ausbildung machen, entfernen.

Im zunehmenden Jugendalter rückt die Familie mehr in den Hintergrund und der Freundeskreis wird zum wichtigen Einflußfaktor für Werte und Normen. (vgl. Schenk-Danzinger 1996, 45)

2.3 Die innerseelischen dynamischenFaktoren

2.3.1 Die bewußte Selbststeuerung

Eine sehr hohe Bedeutung für die Entwicklung und Bildung der Persönlichkeit hat die aktive Selbststeuerung des Individuums (vgl. Schenk-Danzinger 1996,46). Spätestens im 2. und 3. Lebensjahr macht sich das selbststeuernde Ich, durch erste Willenskundgebungen, bemerkbar. Die meiste Bedeutung finden die selbststeuernden Tendenzen jedoch spätestens in der Pubertät, wo die ersten Lebensziele, Pläne und zukunftsorientierten Tendenzen zu erkennen sind.

Die Selbststeuerung wird nach Dynamik und Richtung unterschieden.

Die Dynamik wird durch die Vitalstärke, die auch als angeborene, überdauernde Charakterkonstante angesehen wird, bestimmt.

Das vitalstarke Kind versucht Probleme zu überwinden und beteiligt sich aktiv an der Wahrnehmung und Nutzung gegebener Lernmöglichkeiten.

Das vitalschwache Kind hingegen weicht Schwierigkeiten aus und es bedarf einer deutlichen Konfrontation von Anregung, die es von selbst oft nicht wahr nimmt.

"Die Richtung der selbststeuernden Tendenzen hat CH. BÜHLER (1958) im Zusammenhang mit ihrer Lebenspsychologie beschrieben. Sie unterscheidet

1. die Tendenz zur Bedürfnisbefriedigung,
2. die Tendenz zur Selbstbeschränkung in Anpassung an die Umwelt,
3. die Tendenz zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung."3

Die 1. und 3. Tendenz wird durch Funktionsübungen, Neugierdeverhalten und innerhalb des Spiels in der frühen Kindheit entwickelt. Die 2. und 4. Tendenz entwickelt sich im Alter von 4 bis 5 Jahren im Zusammenhang mit der ersten Gewissensbildung und Wertinteriorisation.

2.3.2 Die unbewußten dynamischen Prozesse

Hierunter versteht man alle Einflüsse, die man aufnimmt aber nicht bewußt verarbeitet. A. ADLER (1929) spricht, laut Schenk-Danzinger, hier von "Leitlinien" und "Leitbildern", sie entstehen durch Erfahrungen, die, ohne dass wir es merken, zur Entwicklung von bestimmten Lebensgrundsätzen und konstanten Haltungen beitragen.

"Ein liebloses erzogenes Kind z.B. wird ängstlich. Der Grundsatz, nach dem es sich verhält - ohne dass es ihn formulieren könnte-, ist der: "Ich bin schlecht. Niemand hat mich lieb. Alle müssen mich verachten." Diese Leitlinie wird allerdings eher von vital schwächeren Kindern geformt. Ein vitalstarkes Kind unter dem Einfluß einer lieblosen Erziehung wird feindselig. Sein Lebensmotto lautet: "Die Welt ist schlecht, ich muß sie bekämpfen." (LÜCKERT 1964). Es gibt auch positiv geprägte Leitlinien. Ein Kind das vorwiegend Freundlichkeit und Liebe erfahren hat, wird die Leitlinie entwickeln: "Die Welt ist gut. Alle haben mich lieb. Ich komme am besten weiter, wenn ich selbst freundlich und zutraulich bin." "4

3. Risikofaktoren der kindlichen Entwicklung

Bei der Risikoforschung läßt sich der Schwerpunkt mit folgenden Begriffspaaren ausdrücken;

Belastung - Bewältigung (coping) Risiko- und Schutzfaktoren (protective factors) Vulnerabilität - Widerstandskraft (resilience)

Der Bewältigung von Belastungen wird bei der Entwicklungspsychologie der frühen Kindheit jedoch nicht sehr viel Beachtung geschenkt (vgl. Michaela Ulich, 1988). Die Mehrzahl der Untersuchungen bezieht sich vielmehr auf die Entwicklungsphase im Jugendalter und umfaßt Präadoleszenz und Adoleszenz.

"Ein erster und gewichtiger Schritt in der Differenzierung von Risiko- und Schutzfaktoren war die Überwindung der Mutterdeprivationstheorie, eines der prominentesten und populärsten Beispiele für ein deterministisches und monokausales Entwicklungskonzept."5 Es stellte sich heraus, dass die Trennung von der Mutter bei vielen Kindern keine dauerhaften Probleme verursachten, ebenso die auftretenden Probleme von Kind zu Kind beträchtlich variierten und die Mutterdeprivation nur einen Teil der aufgetreten Probleme erklärten. Durch diese Widerlegung ergab sich die Notwendigkeit, entwicklungsbedeutsame Risiko- und Schutzfaktoren immer stärker zu differenzieren.

"Maßgeblich für die Überwindung bzw. Differenzierung der Deprivationstheorie waren die Arbeiten von Michael Rutter (1981) einige Ergebnisse zum Thema Risiko- und Schutzfaktoren zusammengefaßt."6

- Hauptrisiken für die kindliche Entwicklung sind: chronische Disharmonie in der Familie, niedriger sozioökonomischer Status, große Familie und sehr wenig Wohnraum, Kriminalität eines Elternteils, psychische Störung der Mutter, Kontakte mit Einrichtungen der sozialen Kontrolle.
- Entscheidend ist die Wechselwirkung und die kumulative Wirkung verschiedener Stressoren. Ein Risikofaktor erhöht noch nicht die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Entwicklungsstörungen, während bereits zwei Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit um das vierfache erhöhen.
- Erfahrungen haben auf allen Altersstufen Auswirkungen und nicht nur in der frühen Kindheit; frühkindliche Belastungen oder Störungen können durch spätere positive Erfahrungen ausgeglichen und korrigiert werden.
- Das Kind beeinflußt aufgrund von bestimmten Eigenschaften und Temperamentsmerkmalen seine Umwelt und die Stressoren. So können z.B. temperamentsmäßig "einfache" und sozial responsive Kinder eher Familienstreitigkeiten aus dem Weg gehen und sind robuster; Kinder männlichen Geschlechts sind verwundbarer gegenüber physischen und psychosozialen Belastungen.
- Eine positive Qualität der Schule als soziale Institution ist ein entwicklungsfördernder Faktor, der z.B. ein ungünstige Familienklima ausgleichen kann

Für Rutter hat eine gute Beziehung zu einer primären Betreungsperson in der frühen Kindheit auf jeden Fall einen sehr hohen Stellenwert, jedoch geht es ihm nicht um eine unbedingte Mutter-Kind-Beziehung.

Es geht ihm im wesentlichen um eine gute Beziehung , welche einen von vielen wichtigen Faktoren in der Entwicklung des Kindes bildet. D.h. es können nur dann Aussagen über mögliche Entwicklung oder Fehlentwicklung gemacht werden, wenn man alle einzelnen Faktoren und ihre Wechselwirkungen berücksichtigt hat.

4. Schutzfaktoren der kindlichen Entwicklung

Es stellt sich nun die Frage, warum manche Kinder mit außerordentlichen Belastungen fertig werden?

Was die Voraussetzungen dafür waren, dass sie sich zu gesunden, kompetenten Erwachsenen entwickeln konnten?

Bei verschiedenen Untersuchungsstudien stellte sich heraus, dass bestimmte Schutzfaktoren eine Bewältigung von Belastungen unterstützen.

Viele dieser Schutzfaktoren finden sich in der Betreuungswelt der Kinder.

"So wird z.B. die Anwesenheit weiterer Personen im Haushalt als Schutzfaktor und der ununterbrochene Mutter-Kind-Kontakt, bei dem die Mutter keinerlei Entlastung bei der Kinderbetreuung hat, als Risikofaktor bestimmt."7

Auch die Bedeutung der Großeltern, Geschwister und Freunde spielt für die Überwindung von Belastungen, die durch Armut, Zerstörung der Familie oder psychische Probleme der Eltern entstehen, eine große Rolle. (vgl. Michaela Ulich 1988)

Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt in der Person des Kindes, wo nach Alter und Geschlecht differenzierte Schutzfaktoren bestimmt werden. Ein positives Selbstkonzept, Sinn für Zusammenhänge und hohe Kontrollerwartung, sind wichtiger Bestandteile effektiver Bewältigung.

4.1 Die Unverwundbaren

Die in den letzten Jahren neu etablierte Forschungsrichtung "Developmental Psychopathology", übersetzt etwa "Entwicklungspsychologie psychischer Störungen", will man versuchen einzelne Störungen nicht mehr "eindimensional" auf einzelne Einflußfaktoren zurückzuführen und den Zusammenhang zwischen Verhaltensstörungen und Umwelteinflüssen zu suchen. Vielmehr wird nach Risikofaktoren gesucht, denen der einzelne in seiner individuellen Lebenssituation ausgesetzt ist. (vgl. Schenk-Danzinger 1996, 315) Anhand vieler Untersuchungen, kann man heute sagen, dass Kinder, die einem psychosozialen Risikofaktor ausgesetzt sind, nicht unbedingt eine schlechtere Entwicklung haben, als Kinder die mit keinen Risikofaktoren in ihrer Kindheit konfrontiert werden. Das Kind entwickelt in solchen Lebenssituationen Bewältigungsstrategien, die ihm helfen, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden.

"Erst ab 4 Belastungsfaktoren (etwa: Armut, zerstörte Familie, psychotisches Verhalten der Mutter, Beengtheit der Wohnverhältnisse) werden Entwicklungs- und Verhaltensstörungen als fast unvermeidlich angesehen."8

Bei einer Längsschnittstudie, mit 698 Kindern, die auf der Insel Kavai im Hawaii-Archipel lebten, die von der Geburt bis zum 20 . Lebensjahr durchgeführt wurde, ergaben sich interessante Ergebnisse.

Eine Vielzahl der Kinder waren über 2 Jahre mehreren Risikofaktoren ausgesetzt. Auch hier machten sich unterschiedliche Entwicklungen deutlich.

Der Vergleich zwischen den Kindern, die sich trotz der vorhandenen Risikofaktoren "normal" entwickelten, und den Kindern bei denen es Auffälligkeiten gab, zeigte, dass es 2 "äußere" Schutzfaktoren gab: eine gute Mutter-Kind-Beziehung oder eine gute, emotionale Beziehung zu einer anderen Bezugsperson im Haushalt, wie bspw. Geschwister oder Großeltern, oder zu Freunden.

_ Hier bestätigt sich auch die Ansicht von RUTTER, der auch die Beziehung zu einer

primären Betreuungsperson für sehr wichtig befindet. _

" An inneren Schutzfaktoren, die im Kind selbst gegeben waren, fand man:

- die Fähigkeit, in der Umwelt positive Reaktionen hervorzurufen;
- die Fähigkeit, altersentsprechende Entwicklungsaufgaben zu bewältigen; die "unverwundbaren" Kinder hatten alle gute Schulleistungen;
- gute sprachliche Kommunikationsfähigkeit;- gute Beziehung zu Gleichaltrigen;
- ein positives Selbstkonzept _ SCHMALOHR (1986) nennt es "Gespür für die eigene Kraft";
- hohe Kontrollerwartung; die Kinder hatten offenbar nicht das Gefühl, dass niemand an ihnen interessiert war und sie tun und lassen konnten, was sie wollten;
- physische Robustheit."9

Dabei ist anzumerken, dass die Schlußfolgerung , dies könnte an einer höheren Intelligenz liegen, falsch ist. Untersuchungen haben ergeben, dass sich die IQs von "Unverwundbaren" und "Verwundbaren" nicht auffällig unterscheiden.

Aus den gewonnenen Ergebnisse, über die "Unverwundbaren" darf nun nicht der Fehler resultieren, die Situation als eine gewisse "natürliche Auslese" zu betrachten, nach dem Motto "die Starken gewinnen, die Schwachen verlieren".

Vielmehr sind sie eine wichtige Information über den Verlauf von "normaler" und "nichtnormaler" Entwicklung und sollten dabei helfen vorhandene Risikofaktoren zu vermindern und Schutzfaktoren zu verstärken und aufzubauen.

M.Ulich sieht vor allem in den Kenntnissen über die Schutzfaktoren eine erheblichen Fortschritt. "Die Fortführung der hier beschriebenen Forschungsbemühungen ermöglicht die Erstellung von Entwicklungsprofilen, die Vulnerabilität und Widerstandskraft differenzieren können, nach Alter, Geschlecht, Kohortenzugehörigkeit, sozioökonomischer Status, Familiensituation, u. v. m. Diese Differenzierungen versetzen uns prinzipiell in die Lage, für die Beratung, Förderung und Prävention zielgruppenorientierte Konzepte und Strategien zu entwickeln."10

Lösel & Bender führen vor allem folgende protektive Faktoren auf:

- Temperamentsmerkmale:

Resiliente Kinder weisen häufig ein starkes Temperament auf, welches dazu verhilft, die negativen Auswirkungen von Risikofaktoren zu verringern.

Dies zeichnet sich in gutem Anpassungsvermögen an Veränderungen, geringe Irritierbarkeit und überwiegende positive Stimmungslage aus.

-kognitive und soziale Kompetenzen:

Resilente Kinder weisen mehr Empathie, emotionale Ausdrucksfähigkeit und bessere Fähigkeiten zur Konfliktlösung. Dazu gehören auch positive Schulleistungen, die wohl die Wirkung als Selbstbestätigung haben und zur Kompensation der negativen Erfahrungen beitragen.

- Selbstbezogene Kognitionen und Emotionen:

Bei den Kindern ist ein höheres Selbstvertrauen vorhanden, ein "positiveres Selbstwertgefühl sowie stärkere Überzeugungen, daß sie selbst wirksam sind und nicht hilflos."9.1

- Emotional sichere Bindung an eine Bezugsperson:

Wie auch schon Rutter, wird auch hier die Bindung zu einer Bezugsperson in den Vordergrund gestellt. Vor allem das Fehlen einer Bezugsperson, wird als ein sehr erheblicher Risikofaktor betrachtet.

Eine stabile, intakte, liebe- und vertrauensvolle Beziehung hingegen, ist in der Lage einen wichtigen Schutzfaktor zu bilden, wenn nicht sogar den Wichtigsten. Zu dieser Bindung gehört aber auch eine Ablösung im heranwachsenden Alter, d.h. der heranwachsende Jugendliche muß auch die Möglichkeit haben, sich von seiner Beziehungsperson zu lösen, um seinen eigenen Lebensweg zu beschreiten. Geschieht dies nicht, so kann es zu einer emotionalen Abhängigkeit kommen.

- Merkmale des Erziehungsklima

Bei diesem Punkt wurde nachgewiesen, daß kompetente Jungen aus einer Unterschichtsfamilie mit anhäufenden Belastungen, ein Elternhaus vorzuweisen hatten, dass z.B. anregender, emotional wärmer und besser organisiert als bei psychisch Auffälligen war. Auch wurde in diesen Familien häufiger etwas gemeinsam unternommen, der Umgang miteinander war herzlicher, ebenso mußten sich die Kinder aber auch an feste Regeln halten (vgl. Kongreßbericht DGPs 1996)

- Soziale Unterstützung in und außerhalb der Familie

Hierzu zählt die Nutzung sozialer Unterstützung, wie durch Familienmitglieder, Verwandte, Lehrer, Pfarrer, Freunde usw.

Sie tragen zur direkten Problemreduzierung bei und fördern gleichzeitig in eine gesunde Entwicklung.

Die soziale Unterstützung kann sich aber auch zum Risikofaktoren entwickeln.

Bei Jugendlichen bspw. kann der Einfluß von antisozialen Freunden, zu abweichendem Verhalten, wie Kriminalität, Drogenmißbrauch etc. führen.

Auch zu viel Unterstützung kann schlimmstenfalls zur Unselbstständigkeit oder Abhängigkeit führen, z.B. der Einfluß von Sekten.

- Erleben von Sinn und Struktur im Leben:

Hierunter werden ethische und religiöse Wertorientierungen verstanden. Sie geben nicht nur eine "sinnstiftende Bedeutung, sondern auch Bestätigung in Gemeinschaften, die wiederum soziale Unterstützung und Struktur geben."

Auch hier kann es bei extremer Verinnerlichung schnell zu einer Abhängigkeit kommen.

5. Förderung und Prävention in der kindlichen Entwicklung

Die Stabilität der Auffälligkeiten in der Verhaltensentwicklung ist sehr hoch:

2/3 aller Dreijährigen, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen, sind auch mit zwölf Jahren noch auffällig. (vgl. Deutsche Liga für das Kind 1999)

Dieser Entwicklung sollte, durch die gewonnenen Kenntnisse, präventiv Einhalt geboten werden.

Folgendes wären bspw. wichtige Schritte zur Prävention:

_ Bestehende Unterstützungsmöglichkeiten für Familie mit Kindern, vor allem für solche mit zahlreichen Risikofaktoren, dürfen nicht gekürzt, sondern müssen im Gegenteil ausgebaut werden.
_ Es muß ein hohes Angebot für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern gegeben werden
_ Entwicklung neuer Modelle zum Schutz und zur Förderung stabiler Eltern-Kind- Beziehungen

(vgl. Deutsche Liga für das Kind, 1999)

6. Literaturverzeichnis

1. Feinbier, R.J. (1981). Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern im Grundschschulalterim Bild der Klientel einer Erziehungsberatungsstelle. Kirchzarten-Freiburg: Burg Verlag
2. Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit e.V. (1999). Deutsche Liga für das Kind. Chancen und Notwendigkeiten früher Prävention. München ( Text aus dem Internet)
3. Klaus, F. (1981). Langfristige Veränderungen von Risikofaktoren der Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Freiburg (Breisgau): Hochschulverlag
4. Lösel, F. & Bender, D. (1996). Kongreßbericht DGPs 1996. Risiko- und Schutzfaktoren in der Entwicklungspsychopathologie: zur Kontroverse um patho- versus salutogenetische Modelle. Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Psychologie
5. Ulich, M. (1988). Risiko- und Schutzfaktoren in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 20, 146 -166
6. Schenk-Danzinger, L. (1996). Entwicklungspsychologie. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag

1 Kongreßbericht DGPs 1996, 4

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Resilienzforschung - Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen
Veranstaltung
Verhaltensstörungen im Kindesalter - Betrachtungsperspektiven und Behandlungsmöglichkeiten
Autor
Jahr
1999
Seiten
14
Katalognummer
V98139
ISBN (eBook)
9783638965903
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit habe ich zwar mal geschrieben, aber nie abgegeben... sie soll auch lediglich als Anregung dienen !
Schlagworte
Resilienzforschung, Risiko-, Schutzfaktoren, Kindern, Jugendlichen, Verhaltensstörungen, Kindesalter, Betrachtungsperspektiven, Behandlungsmöglichkeiten
Arbeit zitieren
Eva Nelles (Autor:in), 1999, Resilienzforschung - Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98139

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