Soziale Angst


Hausarbeit, 1999

27 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Soziale Angst
1.2 Verlegenheit
1.3 Scham
1.4 Publikumsangst
1.5 Schüchternheit

2. Gemeinsamkeit und Verschiedenheit sozialer Ängste
2.1 Gemeinsamkeit sozialer Ängste
2.2 Verschiedenheit sozialer Ängste

3. Überwindung sozialer Ängstlichkeit

4. Literatur

,,All the world's a stage, and all the men and women merely players.

They have their own exits

and their own entrances;

and one man in his

time plays many parts..."

Shakespeare, As you like it

1. Soziale Angst

Shakespeare war der Meinung, daß die Welt eine Bühne ist und wir, die Menschen, sind die Schauspieler. So ganz unrecht hat er mit Sicherheit nicht. Denken wir doch nur mal an den Begriff des Lampenfiebers.

Wer kennt es nicht, vor einem Referat, einem Bewerbungsgespräch, einer Prüfung oder auch vor einer Rede, nervös und von Selbstzweifeln geplagt zu sein?

Habe ich mich auch gut vorbereitet? Hoffentlich vergesse ich nicht, was ich sagen will! Was die anderen wohl von mir denken?

Fragen über Fragen, für die es eine ganz einfache Erklärung gibt:

bei den genannten Situationen handelt es sich um Situationen, in denen wir ,,Leistungen" erbringen müssen, die mit einer Gefahr verbunden sind. Da aber der soziale Kontext die hervorstechende Eigenschaft ist, reden wir hier von sozialer Angst und nicht von Leistungsangst.

Soziale Angst ist die Besorgnis und Aufgeregtheit angesichts von sozialen Situationen, die als selbstwertbedrohlich erlebt werden.

Man muß mit anderen Menschen interagieren und riskiert damit sein Ansehen. Wenn man sich nämlich lächerlich macht oder sich dumm anstellt, erzielt man nicht den Eindruck, den man gerne auf andere machen will.

Die soziale Ängstlichkeit hängt zwangsläufig eng mit dem allgemeinen und dem sozialen Selbstkonzept zusammen. Wer sich nicht zutraut, andere Menschen zu beeindrucken und zu beeinflussen zu können, hält sich leicht für minderwertig und neigt dazu, soziale Situationen als bedrohlich einzuschätzen.

Eine wesentliche Voraussetzung für soziale Angst ist die ö ffentliche Selbstaufmerksamkeit.

Solange man aufgabenorientiert handelt, gibt es keine Selbstwertbedrohung. Wenn man aber die Aufmerksamkeit auf sich selbst als ein soziales Objekt richtet, sich somit also selbst beobachtet, wird man sich des psychologischen Risikos bewußt, einer Bewertung durch andere ausgesetzt zu sein.

Soziale Angst ist eine Gefühlsreaktion, die bei einer bestehenden oder bevorstehenden interpersonellen Beziehung auftritt.

Eine Person sieht sich einer sozialen Situation ausgesetzt und empfindet eine unangenehme beeinträchtigende Erregung.

Das Individuum schätzt die soziale Situation als bedrohlich ein. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Gefahr, physisch angegriffen oder verletzt zu werden, sondern um die Bedrohung des Selbst.

Die Grundlage für soziale Angst stellt daher die öffentliche Selbstaufmerksamkeit dar.

Um eine soziale Umweltanforderung als bedrohlich einschätzen zu können, muß die Aufmerksamkeit auf öffentliche Aspekte des Selbst gerichtet sein.

Beispiel:

- wir werden von fremden Personen forschend angeguckt;
- wir müssen uns gegenüber einer Autoritätsperson bewähren.

In solchen Situationen neigen wir dazu, uns selbst als ein soziales Objekt zu sehen. Die Selbstbeobachtung, die während des sozialen Handelns abläuft, kann unangenehme Erregung, Erröten, Stottern und unkontrollierte Bewegungen zur Folge haben.

Die Auslösung der sozialen Angst erfolgt durch die Art der sozialen Umgebung und durch das Verhalten der Mitmenschen.

Es spielt eine Rolle wieviele Personen anwesend sind. In einer größeren Gruppe fühlt man sich stärker beobachtet und geprüft, als wenn nur zwei Personen anwesend sind.

Sobald man das Wort ergreift, so fühlt man alle Blicke auf sich gerichtet.

Kennt man jedoch die anderen Personen und ist man es gewohnt, mit ihnen auf informeller Weise umzugehen, so zieht dies normalerweise keine Selbstwertbedrohung mit sich.

Wenn die soziale Situation ausdrücklichen Bewertungscharakter besitzt, so verstärkt dies die öffentliche Selbstaufmerksamkeit und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von sozialer Angst.

Nicht die geforderte Leistung ruft Angst hervor, sondern die Erwartung, in einer leistungsthematischen Situation beobachtet zu werden. Kommentare, die negativ bewertet werden, verstärken die Angst.

Es gibt aber auch das Gegenteil:

bei einer Person, die zu wenig im Mittelpunkt steht, somit auf erwartungswidrige Weise nicht zur Kenntnis genommen wird, entsteht Selbstwertbedrohung. Die Person fühlt sich sozial zurückgesetzt und stellt sich als Interaktionspartner in Frage.

Selbstverständlich gibt es auch individuelle Unterschiede. Die situative Auslösung von sozialer Angst hängt von dem Grad an dispositionaler öffentlicher Selbstaufmerksamkeit ab, der bereits vorliegt.

Personen, die mit einer hohen Tendenz auf sich selbst achten, reagieren in sozialen Situationen häufiger mit sozialer Angst.

Wenn also jemand häufig auf diese Weise reagiert, hat er bereits einen hohen Grad an sozialer Ängstlichkeit erworben.

1.1 Verlegenheit

Buss (1980, 1986) unterteilt soziale Angst in vier Arten:

1. Verlegenheit
2. Scham
3. Publikumsangst
4. Schüchternheit

Diese Emotionen lassen sich nicht mit absoluter Sicherheit diagnostizieren, doch es gibt eine Reihe von Hinweisen, die eine Schlußfolgerung auf die jeweilige Art des Gefühlzustands erlauben (direkte Befragung, Beobachtungen von körperlichen Reaktionen, die sich nicht oder nur kaum unterdrücken lassen).

Das Hauptmerkmal der Schüchternheit ist das Erröten. Außerdem treten albernes Grinsen, ,,verlegenes Lächeln" auf, wobei man sich befangen, tolpatschig oder lächerlich vorkommt.

Die unmittelbaren Ursachen von Verlegenheit sind:

- ungeschicktes oder fehlerhaftes Verhalten
- soziale Hervorgehobenheit
- Verletzung von Privatheit

Kommt man beispielsweise falsch gekleidet zu einer Veranstaltung, vergißt man den Namen des Gesprächspartners oder wird man gehänselt oder ausgelacht, sind dies Anlässe zur Verlegenheit.

Die unmittelbaren Ursachen für Verlegenheit sind situationsbedingt. Es wird weiterhin vermutet, daß auch personale Faktoren eine Rolle spielen.

Eine Disposition der Verlegenheit ist jedoch bisher nicht erforscht.

Alle Menschen mit hoher Selbstaufmerksamkeit sind anfällig für Verlegenheit.

Sie fühlen sich ständig beobachtet und agieren daher immer in dem Bewußtsein, ein soziales Objekt darzustellen.

Ebenfalls gefährdet sind Menschen, denen soziale Kompetenzen fehlen. Wer tatsächlich ungeschickt ist, hat sehr oft die Gelegenheit, verlegen zu werden.

Der Körper des Menschen ist etwas sehr privates. Wenn ein anderer den Körper sieht oder berührt, so werden viele Menschen verlegen. So ergeht es diesen Menschen z.B., wenn sie beim Arzt, am Strand oder in einem Duschraum sind.

Einige Menschen haben ein Problem damit, anderen von ihren Wünschen, Gefühlen, Einstellungen und persönlichen Daten zu berichten.

Wer über eine sehr geringe Bereitschaft zur Selbstenthüllung verfügt, ist besonders anfällig, sich in seiner Privatheit verletzt zu fühlen, auch wenn diese Verletzung nur versehentlich geschieht.

Die Folge: es kommt zur Verlegenheit.

Die Konsequenzen von Verlegenheit können sehr vielfältig sein.

Die Mitmenschen könnten in Gelächter ausbrechen, was den Zustand der Verlegenheit nur noch mehr verstärkt.

Höfliches Ignorieren dagegen, hilft, die Verlegenheit leichter zu überwinden.

Bei der Person selbst liegen die Konsequenzen in der Wahrnehmung von körperlichen Ereignissen.

Man fühlt, daß das Gesicht errötet ist, dadurch bewertet man seinen Zustand, was dazu führt, daß man sich regelrecht ,,hochschaukelt".

Durch das Erröten verliert die Person ihre Selbstakzeptanz. Am liebsten möchte sie die soziale Situation verlassen, also vor ihr fliehen.

Es ist beobachtet worden, daß verlegene Menschen sehr bereitwillig Hilfe anbieten oder sich freiwillig zu etwas verpflichten. Dies tun sie offenbar, um ihren Zustand zu kompensieren.

Verlegenheit ist also mit emotionalen, kognitiven und handlungsbezogenen Konsequenzen verbunden.

Diese Konsequenzen treten normalerweise direkt in der kritischen Situation auf. Es gibt aber auch Erwartungshaltungen in der sozialen Angst.

Jemand, der häufige Verlegenheitssituationen er- und durchlebt hat, nimmt schon bei einer bevorstehenden sozialen Situation mögliche Verlegenheitserlebnisse vorweg und geht daher mit großem Unbehagen an die Situation heran.

Dies kann sogar so weit gehen, daß sich die spezifische Furcht vor dem Erröten (Erythrophobie) manifestiert. Dann handelt es sich jedoch nicht mehr um Verlegenheit, sondern um eine krankhafte Ängstlichkeit gegenüber der eigenen Reaktion in sozialen Situationen.

1.2 Scham

Eine andere Art von sozialer Angst ist die Scham.

Dieses Gefühl ist eng mit Verlegenheit verbunden und läßt sich daher nicht immer eindeutig von ihr abgrenzen.

Verlegenheit erscheint kurzfristig, relativ unbedeutend und frei von moralischen Implikationen.

Scham dagegen ist längerdauernd, gravierender und moralbezogen. Das Gegenteil von Verlegenheit ist Gelassenheit.

Das Gegenteil von Scham ist Stolz.

Die Reaktionsweise ist genau wie bei der Verlegenheit, allerdings errötet man nicht, wenn man sich schämt. Wenn dies trotzdem geschieht, dann liegen beide Emotionen gleichzeitig vor.

Wer sich schämt, der ist sich eines Fehlverhaltens bewußt und empfindet Selbstverachtung und Selbstenttäuschung.

Die Person macht sich Vorwürfe, bereut sein Verhalten und kommt sich wertlos und unwürdig vor.

Am liebsten möchte sie im Erdboden versinken.

Die unmittelbaren Ursachen von Scham liegen bei den meisten Menschen in

- offenkundigen Minderleistungen
- Nichterfüllung sozialer Erwartungen
- unmoralischen Verhalten.

Wenn man sich z.B. vorgenommen hat, in einer Wettbewerbssituation eine bestimmte Leistung zu erbringen, und mißlingt dieser Versuch, dann kann es zur Scham kommen. Meistens erfolgt dies in einem sozialen Kontext.

Schämt man sich auch dann, wenn man alleine ist, kann man von einer hohen öffentlichen Selbstaufmerksamkeit ausgehen, die auch in Verbindung mit einem imaginären Publikum vorhanden sein kann.

Scham ist noch stärker oder häufiger, wenn man aufgrund seiner Minderleistung andere enttäuscht (z.B. Sportverein).

Das Problem der nichterfüllten sozialen Erwartung spielt in viele Bereiche hinein. Hierzu gehören z.B. Feigheit im Kampf, Egoismus, sexuelles Versagen.

Ein Verhalten, das gegen die Normen verstößt, ruft Scham hervor.

Lügen, Betrügen, Stehlen und sozial geächtete sexuelle Handlungen sind moralische Handlungen, die bei Entdeckung Scham hervorrufen.

Dabei macht es allerdings einen Unterschied, ob man das Finanzamt oder seinen besten Freund betrügt.

Die überdauernden Ursachen der Scham können vielfältig sein.

Eine Disposition zur Scham ist nicht bekannt, aber einige Menschen sind anfälliger gegenüber der Scham als andere.

Öffentliche Selbstaufmerksamkeit kann ein Faktor sein, der die Auslösung von Schamgefühlen begünstigt. Wer sich ständig selbst als soziales Objekt beobachtet und überlegt, welchen Eindruck er wohl auf andere macht, wird sich eher schämen als jemand, der nicht so denkt Eine weitere Begünstigung für die Reaktion liegt im Vorhandensein eines Stigmas.

Damit kann ein Körpermerkmal gemeint sein wie z.B. zu große Ohren, Übergewicht oder zu kleine Brüste.

Ein Stigma kann aber auch in der Familie liegen, wenn z.B. der Vater ein bekannter Krimineller oder die Mutter eine Alkoholikerin ist.

Ein Stigma kann aber auch in der Vergangenheit liegen. Wenn man in der Zeit des Nationalsozialismus an Greueltaten beteiligt war und diese nun entdeckt werden.

Scham ist mit einer internalen Attribution des Ereignisses verknüpft. Nur wenn man sich für den Fehler verantwortlich fühlt oder glaubt, daß andere von der eigenen Verantwortlichkeit überzeugt sind, tritt Scham auf.

Die wesentliche Konsequenz der Scham ist ein Verlust der Selbstwertschätzung. Die Person verachtet sich selbst, wird schüchtern, meidet Zeugen des Vorfalls und bemüht sich jede weitere Enthüllung zu verhindern, die den Zustand verschlimmern würde.

Scham kann aber auch positive motivationale Folgen haben. Wenn Schuld- oder Schamgefühl auftritt, wenn jemand seinen Mißerfolg seiner eigenen mangelhaften Anstrengung zuschreibt, so ist dies die beste Voraussetzung für eine Änderung des Verhaltens.

Man strengt sich dann z.B. mehr an, um ein gestelltes Problem zu bewältigen.

Die Begriffe Schuld und Scham werden in der Literatur meist getrennt.

Nach Buss (1980) haben zwar beide Emotionen mit Moral zu tun, doch orientiert sich die Schuld mehr an inneren und die Scham mehr an äußeren Normen. Schuldig fühlt sich jemand, der einen anderen verletzt oder beeinträchtigt hat. Verschämt ist dagegen jemand, der andere enttäuscht hat, indem er z.B. feige war oder verbotene sexuelle Handlungen ausgeführt hat.

Der Hauptunterschied liegt in der Richtung selbstbezogener kognitiver Prozesse. Um sich schuldig zu fühlen, bedarf es der privaten Selbstaufmerksamkeit. Um sich zu schämen, bedarf es der öffentlichen Selbstaufmerksamkeit.

Wenn niemand das Fehlverhalten beobachtet hat, liegt keine Veranlassung für Scham vor.

Somit können unentdeckte Taten Schuldgefühle, nicht aber Schamgefühle hervorrufen.

Das nachfolgende Handeln der Person läuft in beiden Fällen verschieden ab.

Schuld kann man vor sich selbst durch Bestrafung oder Besserung abbauen.

Scham dagegen erfordert öffentliches Handeln, indem man sich vor anderen als kompetent oder moralisch erweist und sich um Wiedergutmachung bemüht.

Bei der Schuld ist das Verhalten einer Autorität, z.B. dem eigenen Gewissen, unterworfen.

Bei der Scham ist das Verhalten einer sozialen Bezugsgruppe unterworfen, der gegenüber man Konformität beweisen muß.

1.3 Publikumsangst

Der typische Auslöser für soziale Angst ist die Hervorhebung einer Person in einem sozialen Kontext, in dem das soziale Handeln dieser Person im Mittelpunkt steht. Die Angst vor einem Publikum ist weit verbreitet und wird somit von den meisten Menschen ab und zu erfahren und als sehr unangenehm erlebt.

Eine Ansprache vor Gästen, ein Referat im Seminar, eine Rechenaufgabe an der Tafel vorzurechnen sowie sportliche oder musische Vorführungen stellen Situationen dar, die mit Publikumsangst verbunden sein können.

Die Reaktionsweise spielt sich auf vier Ebenen ab:

1. Ausdrucksebene blasses Gesicht, unsichere Stimme, verkrampfte Körperhaltung
2. Physiologische Ebene: (wie auch beim Streß) Aktivierung des Sympathikus _ erhöhter Blutdruck, erhöhte Herzfrequenz, Atembeschleunigung, Schweißausbruch;
3. Desorganisiertes Verhalten: stottern, an Unterlagen oder Kleidung ,,herumspielen", vergessen, was man sagen wollte, nervöses Lachen
4. Persönliches Erleben: Emotionalität und Besorgtheit (worry); nervöser Spannungszustand, zugeschnürter Hals; in doppelter Hinsicht besorgt, denn es werden eine Bewertung der Handlungsqualität und mögliche soziale Zurückweisung erwartet

Leistungsangst und soziale Angst wirken hier zusammen.

Ein Mißerfolg ist vor allem deshalb so bedrohlich, weil er öffentlich geschieht.

Das ist in Bewertungssituationen wie Prüfungen, Interviews oder Klassenarbeiten, in denen üblicherweise Leistungsangst auftritt, nicht anders.

Bei der Publikumsangst kommt aber noch die mögliche Bewertung der eigenen Person hinzu, die unabhängig von der Handlungsqualität ist.

Die unmittelbaren Ursachen von Publikumsangst sind

- die soziale Hervorhebung der eigenen Person
- die Neuartigkeit der Perspektive / der Rolle des Handelnden
- die Struktur des Publikums (Größe, Vertrautheit, trifft man die Leute wieder, hat man viel mit ihnen zu tun)

Eine überdauernde Ursache der Publikumsangst kann in der Disposition ,,Publikumsängstlichkeit" gesehen werden.

Menschen lassen sich danach unterscheiden, inwieweit sie vor einem Publikum Ruhe und Gelassenheit bewahren oder Anstrengungssymptome erkennen lassen, sofern es ihnen nicht gelingt, dieser sozialen Situation aus dem Wege zu gehen. Diese Unterscheidung reicht vom Exhibitionismus bis zur totalen Unfähigkeit, öffentlich zu sprechen.

Die Art und Weise, wie eine Person eine derartige Anforderungssituation bewältigt, hängt also nicht nur von situativen, sondern auch von personalen Bestimmungsgrößen ab.

Publikumsangst, Schüchternheit und Verlegenheit hängen derart eng miteinander zusammen, daß sie sich auf einer gemeinsamen Dimension abbilden lassen.

Auch der Zusammenhang von sozialer Ängstlichkeit mit einer anderen Ängstlichkeit kann so hoch sein, daß es sich nicht um getrennte Dimensionen handelt. Schulangst ist z.B. eine Mischung aus Angst vor Leistungsbewertung, Furcht vor Mißerfolg und Angst vor der sozialen Situation, in der dies geschieht. So ist es nicht verwunderlich, daß bei Schulkindern eine Korrelation von r= .74 zwischen Prüfungsängstlichkeit und Publikumsängstlichkeit gefunden wurde (Buss, 1980).

Buss hat 1980 eine Skala entwickelt, die die spezifische Publikumsängstlichkeit bei Studenten erfassen soll:

1. Ich bin ganz gelassen, wenn ich vor einer Gruppe reden soll.***
2. Ich bin ängstlich, wenn ich vor einer Gruppe spreche.
3. Ich bin sehr nervös, während ich etwas vor anderen Leuten tue.
4. Meine Stimme bebt niemals, wenn ich im Seminar etwas vortrage.***
5. Manchmal zittert mein Körper, wenn ich im Seminar zu sprechen anfange.

***umgepolte Items

Diese Skala korrelierte zu r = .34 mit der Selbstwertschätzung, zu r = .48 mit Schüchternheit und zu r = .21 mit öffentlicher Selbstaufmerksamkeit. Private Selbstaufmerksamkeit stand dagegen in keinem Zusammenhang mit Publikumsängstlichkeit. Allgemeine Ängstlichkeit korrelierte zu r = .42.

Buss stützte mit diesen Ergebnissen seine Theorie, bei der es mehrere dispositionale Ursachen der Publikumsangst geben soll.

Er sieht geringe Selbstachtung, Schüchternheit und öffentliche Selbstaufmerksamkeit als Persönlichkeitsmerkmale, die sich auf die Besorgtheit mit der eigenen Person als soziales Objekt richten.

Geringe Selbstachtung, Bewertungsangst und Furchtsamkeit tragen dazu bei, daß eine Besorgtheit mit der Handlungsausführung bzw. Handlungsqualität entsteht.

Auf der Prozeßebene werden drei Zeitintervalle unterschieden, die für die Entstehung von Publikumsangst bedeutsam sind:

1. vor dem Auftritt (114 Herzschläge pro Minute)
2. die ersten beiden Minuten während des Auftritts (124 Herzschläge pro Minute)
3. die restliche Zeit bis zum Ende der Ausführung (114 Herzschläge pro Minute )1

Vor dem Auftritt ist die Person vor allem über das Gelingen der geplanten Handlung, die Konsequenzen eines möglichen Mißerfolgs und die Akzeptanz des Publikums besorgt.

Selbstzweifel treten auf.

Die ersten ein bis zwei Minuten stellen den Höhepunkt der Publikumsangst dar.

Alle Augen sind auf den Handelnden gerichtet und es herrscht eine gespannte und erwartungsvolle Atmosphäre. In diesem Augenblick fühlt sich der Redner sehr verwundbar.

Während des weiteren Verlaufs richtet er seine Aufmerksamkeit weg von der eigenen Person.

Die Sache, über die er redet, steht nun im Mittelpunkt und somit nimmt auch der Grad der Anspannung ab.

Die Behebung der Publikumsangst folgt dieser Phaseneinteilung rückwärts.

Bei mehrmaligen Auftritten gewöhnt man sich zuerst an die allgemeine Situation und verhält sich während des Hauptteils gelassener.

Später kann man sich auch schon während der ersten beiden Minuten auf die zu behandelnde Sache konzentrieren. Der Zustand der öffentlichen Selbstaufmerksamkeit fällt dann weg.

Am schwierigsten ist der Abbau der Bewertungsangst, die in der Vorphase des Auftritts dominiert.

Die meisten Menschen werden weiterhin besorgt sein, wie gut sie in der Öffentlichkeit agieren und Angst vor Mißerfolgen haben.

Nur sehr wenigen wird es vergönnt, mit Zuversicht und Gelassenheit allen sozialen Sprechsituationen entgegenzutreten.

1.4 Schüchternheit

Eine andere Sonderform der sozialen Angst ist Schüchternheit.

Diese erkennt man an einer Beeinträchtigung des Sozialverhaltens wie folgt (Zimbardo, 1977):

- Schüchternheit macht es schwierig, neue Kontakte zu knüpfen und soziale Erfahrungen zu genießen.
- Sie hindert daran, eine Überzeugung auszusprechen und die eigenen Interessen durchzusetzen.
- Sie macht uns nur begrenzt aufnahmefähig gegenüber dem Lob von anderen.
- Sie begünstigt Selbstaufmerksamkeit und eine ständige Voreingenommenheit mit der eigenen Person.
- Sie beeinträchtigt die Kommunikation und führt zur Desorganisation des Verhaltens.
- Sie kann von Ängstlichkeit, Depression und Einsamkeit begleitet werden.

Die schüchterne Reaktionsweise läßt sich auf der Gefühlsebene und auf der Verhaltensebene ablesen.

Charakteristisch für die Schüchternheit ist die relative Abwesenheit eines erwarteten Sozialverhaltens.

Der Schüchterne meidet Blickkontakt, setzt sich in eine Ecke, um nicht in die ,,Schußlinie" zu geraten. Er redet wenig und sehr leise und macht lange Pausen.

Dabei bleibt er ernst und zurückhaltend. Außerdem reduziert der Schüchterne seine Körperbewegungen.

Diese Merkmale treffen auch auf den Höflichen zu, der die Belange seiner Mitmenschen respektiert, feinfühlig auf soziale Hinweise achtet und sich bemüht, sich in die Rolle seines Gesprächspartners hineinzuversetzen.

Was unterscheidet aber Schüchternheit von Höflichkeit?

Es kommt dabei vor allem auf die Absicht an.

Der Höfliche setzt seine sozialen Verhaltensweisen gezielt und bewußt ein, der Schüchterne dagegen kann einfach nicht anders, als er ist.

Außerdem unterscheiden sich beide durch ihre Emotionen.

Der Höfliche bleibt ruhig und gelassen.

Der Schüchterne wird von sozialer Angst regelrecht überflutet und befindet sich im Zustand öffentlicher Selbstaufmerksamkeit. Er ist angespannt, fühlt sich aufgrund der sozialen Anforderungen belastet und kommt sich befangen vor. Damit geht eine Aktivierung des Sympathikus einher.

Ängstliche Erregung ist die eine Komponente der Schüchternheit, während zusätzlich kognitive Aspekte eine Rolle spielen.

Die Person ist besorgt über ihre soziale Kompetenz und hegt Selbstzweifel. Sie nimmt die soziale Situation und die damit verbundene Gefährdung der eigenen Person gedanklich vorweg und fürchtet eine Bedrohung des Selbstwertes.

Die unmittelbaren Ursachen der Schüchternheit liegen in

- der Fremdartigkeit der sozialen Situation und
- der eigenen Hervorhebung.

Wenn man den Arbeitsplatz wechselt, Fremden begegnet oder als Lehrer zum ersten Mal vor einer Klasse steht, tendiert man zur Schüchternheit, auch wenn man häufig versucht sich einzureden, es handle sich um vornehme Zurückhaltung.

Ist die Umgebung sehr formell, hat man es mit sehr angesehenen Leuten oder ausschließlich mit Angehörigen des anderen Geschlechts zu tun, so führt dies noch zu einer Verstärkung.

Aber auch die Art und Weise, wie andere sich verhalten, spielt eine Rolle. Erhält man zuviel oder zuwenig soziale Zuwendung oder dringen die Interaktionspartner zu weit in die Privatsphäre ein, entsteht Schüchternheit. Die Person versucht dann, die Situation zu verlassen oder sie mit möglichst geringer Unbeholfenheit zu überstehen.

1977 hat Zimbardo Studenten befragt, was sie dazu veranlaßt, schüchtern zu sein. Er konnte auf diesem Wege eine Rangordnung von bedrohlichen Situationen ermitteln.

Es handelt sich hier um zwei Items aus dem ,,Stanford Shyness Survey", einem 42- Item-Fragebogen, der bei über 5000 Personen weltweit eingesetzt worden ist. Diese Skala erfaßt nicht die Disposition, sondern vielmehr die Verbreitung von Schüchternheit in der Bevölkerung sowie einige damit zusammenhängende Variablen.

Die Ergebnisse stellten unter anderem heraus, daß sich jeder zweite Amerikaner als schüchtern bezeichnet.

Rangordnung von Ausl ö sesituationen der Sch ü chternheit bei Studierenden (nach Zimbardo, 1977, S.55)

Anteil

Andere Menschen sch ü chterner Studenten

Fremde 70 %

Angehörige des anderen Geschlechts 64 %

Autoritätspersonen (aufgrund ihrer Sachkenntnis) 55 %

Autoritätspersonen (aufgrund ihrer Rolle) 40 %

Verwandte 21 %

Alte Leute 12 %

Freunde 11 %

Kinder 10 %

Eltern 8 %

Situationen

Wenn ich vor einer Gruppe im Mittelpunkt stehe 73 %

Große Gruppen 68 %

Wenn ich einen niedrigen Status einnehme 56 %

Soziale Situationen im allgemeinen 55 %

Neue Situationen im allgemeinen 55 %

Wenn ich mich selbst behaupten muß 54 %

Wenn ich bewertet werde 53 %

Wenn ich in kleinen Gruppen im Mittelpunkt stehe 52 %

Kleingruppen 48 %

Interaktion mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts 48 %

Wenn ich Hilfe benötige und verwundbar bin 48 %

Aufgabenorientierte Kleingruppen 28 %

Interaktion mit einem Partner desselben Geschlechts 14 %

Dispositionale Schüchternheit ist zweifellos ein wesentlicher Faktor, der Schüchternheit auslöst. Es gibt einige Versuche, dieses Persönlichkeitsmerkmal diagnostisch zu erfassen, es spielt jedoch fast immer ein anderes Merkmal mit hinein, wie z.B. Verlegenheit oder allgemeine soziale Ängstlichkeit.

Schüchterne bezeichnen sich selbst normalerweise als introvertiert und zurückhaltend. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie sich solche Aspekte von der eigentlichen Schüchternheit trennen lassen. Es könnte ja sein, daß sie nichts anderes ist als eine geringe Neigung zur Geselligkeit.

Dieser Frage ist Buss (1980) nachgegangen, indem er beide Merkmale mit Hilfe von kurzen Skalen operationalisiert. Die Schüchternheitsskala sollte Beeinträchtigungen, Spannungsgefühle und Befangenheit in sozialen Situationen messen.

Zu diesem Zweck wurden neun Items entwickelt:

1. Ich bin angespannt, wenn ich mit Leuten zusammen bin, die ich nicht gut kenne.
2. Ich fühle mich in sozialen Situationen beeinträchtigt.
3. Im Beisein anderer bin ich etwas unbeholfen.
4. Bei Parties und anderen geselligen Anlässen fühle ich mich oft unbehaglich.
5. Bei der Unterhaltung bin ich besorgt, daß ich etwas Dummes sagen könnte.
6. Wenn ich mit einer Autoritätsperson spreche, bin ich ganz nervös.
7. Ich bin schüchterner gegenüber Angehörigen des anderen Geschlechts.
8. Es bereitet mir Schwierigkeiten, jemanden direkt in die Augen zu blicken.
9. Es macht mir nichts aus, mit Fremden zu sprechen. (-)

Die Geselligkeitsskala ist noch kürzer.

Sie soll das Bedürfnis nach Kontakt mit anderen Menschen erfassen:

1. Ich bin gern mit Menschen zusammen.
2. Ich begrüße die Gelegenheit, mit anderen Leuten zusammenzutreffen.
3. Ich arbeite lieber allein als mit anderen. (-)
4. Ich finde Menschen angenehmer als alles andere.
5. Ich wäre unglücklich, wenn ich daran gehindert würde, viele soziale
6. Kontakte zu knüpfen.

Die Geselligkeitsitems beziehen sich auf das Bedürfnis mit anderen Leuten zusammen zu sein.

Die Schüchternheitsitems beziehen sich dagegen auf Gefühle und Verhaltensweisen während einer sozialen Interaktion.

Dadurch ist eine Vermischung beider Merkmale nicht möglich.

Beide Skalen sind bei fast 1500 Studenten eingesetzt worden. Es ergab eine Interkorrelation von r = -.33.

Das bedeutet, daß Personen mit geringer Geselligkeitstendenz wahrscheinlich auch schüchterner sind.

Allerdings ist der Zusammenhang so schwach, daß man beide Merkmale nicht gleichsetzen kann. Jemand, der schüchtern ist, kann durchaus über ein Geselligkeitsbedürfnis verfügen und jemand, der ein geringes Geselligkeitsbedürfnis besitzt, muß nicht schüchtern sein.

Wie eine Person in einer sozialen Situation wirklich handelt, hängt kaum von ihrem Geselligkeitsbedürfnis ab, wird aber mehr durch ihre Schüchternheit bestimmt. Das Geselligkeitsbedürfnis spielt vermutlich dann eine Rolle, wenn sich jemand entscheiden will, eine soziale Situation aufzusuchen oder lieber nicht.

Schüchternheit ist auch mit Selbstaufmerksamkeit eng verbunden.

Zimbardo (1977) berichtet, daß 85 % aller Schüchternen intensiv mit sich selbst gedanklich beschäftigt sind.

Jemand, der sich selbst als soziales Objekt sieht, wird sich leicht hervorgehoben und beobachtet fühlen. Er entwickelt eine zu strenge Selbstkritik hinsichtlich seines Sozialverhaltens.

Buss hat herausgefunden, daß die Schüchternheitsskala mit öffentlicher

Selbstaufmerksamkeit zu r = .26 korreliert.

Schüchterne Personen neigen also dazu, über eine Disposition zur öffentlichen Selbstaufmerksamkeit zu verfügen.

Aber auch die Selbstwertschätzung hängt damit zusammen. Jemand, der über ein stabiles Selbstkonzept verfügt, wird sich in sozialen Situationen nicht so schnell durch das Verhalten seiner Mitmenschen beeinflussen lassen.

Wird z.B. die zur Begrüßung ausgestreckte Hand ignoriert, so wird es eine Person, die über eine geringe Selbstachtung verfügt, insofern beeinträchtigen, daß ihr Selbstwert noch weiter absinkt.

In der Untersuchung von Buss korrelierte die Schüchternheitsskala mit der Selbstwertskala

zu r = -.51.

Dies ist ein deutlicher Hinweis, daß schüchterne Menschen im Durchschnitt über ein geringes Selbstwertgefühl verfügen.

Nach Zimbardo beruht die Entstehung von Schüchternheit vor allem auf Attributionsvoreingenommenheiten und den kulturellen Werten der heutigen Zeit.

Schüchterne sehen die Ursache für ihr Verhalten bei sich selbst, während andere sie eher in der Situation sehen.

Es gibt viele Gelegenheiten, in denen die soziale Interaktion nicht so verläuft, wie man es sich gewünscht hat. Es kommt nun darauf an, worauf man dieses unbefriedigende Ergebnis zurückführt.

Wenn jemand auf sich selbst aufmerksam ist, wird er dazu neigen, sich für alle möglichen Ergebnisse verantwortlich zu fühlen. Verfügt er über ein schwaches Selbstkonzept, dann wird er sich vor allem die Schuld für die negativen Ereignisse zuschreiben.

So entsteht ein starres Bild von der eigenen Person, die sozial beeinträchtigt ist. Wenn diese Person von anderen als schüchtern abgestempelt wird, dann verstärkt sich das Bild nur noch mehr.

Außerdem wird die Schüchternheit durch dominierende kulturelle Werte wie individuelles Erfolgsstreben, ehrgeizige Anspruchsniveausetzung und bedingte Zuneigung begünstigt.

2. Gemeinsamkeit und Verschiedenheit sozialer Ängste

2.1 Gemeinsamkeiten sozialer Ängste

Verlegenheit, Scham, Publikumsangst und Schüchternheit stellen vier Ausdrucksformen von sozialer Angst dar.

Eine Sache haben sie gemeinsam:

in Anwesenheit anderer Personen herrscht ein Gefühl des Unbehagens und der Selbstwertbeeinträchtigung vor; gleichzeitig tritt ein Zustand der öffentlichen Selbstaufmerksamkeit auf.

Dieser Zustand kann Voraussetzung oder Folge von sozialer Ängstlichkeit sein oder aber auch beides.

Es spielen aber noch weitere Persönlichkeitsmerkmale eine fördernde oder hemmende Rolle wie z.B. das Selbstkonzept und die Erregbarkeit.

Grundsätzlich kommt es darauf an, wie man sein Denken, Fühlen und Handeln in sozialen Situationen reguliert.

Sozialbeziehungen können eine Anforderung an das Individuum darstellen.

Dies ist besonders dann der Fall, wenn die soziale Umwelt fremdartig und ungewohnt ist.

Ein gefüllter Raum, in dem man den Mittelpunkt des Interesse darstellt, ein Annäherungsversuch gegenüber dem anderen Geschlecht oder der Versuch eines anderen Menschen, die eigene Freiheit einzuschränken, stellen Anforderungen der Umwelt dar, auf die das Individuum reagieren, also handeln muß.

Hier handelt es sich um sozialen Streß.

Wenn jemand oft verlegen, schüchtern oder ängstlich ist, so bringt er zu wenig Kompetenzerwartungen in die Situation ein.

Das bedeutet, daß die Art und Weise der Situationseinschätzung aufgrund der geringen subjektiven Kompetenz beeinflußt wird.

Die soziale Situation kann als herausfordernd, schädigend oder bedrohlich eingestuft werden, wenn sie denn überhaupt als relevant wahrgenommen wird.

Wir gehen durch viele Situation, ohne überhaupt zu bemerken, daß es sich um soziale Situationen handelt.

Jemand will z.B. mit dem Fahrstuhl von einem Stockwerk zum anderen fahren, können seine kognitiven Prozesse auf das Ziel der Fahrt, nämlich das Aussteigen im zehnten Stock, gerichtet sein. Oder aber er denkt an die Probleme, die ihn dort im zehnten Stock erwarten oder an die, die er gerade im ersten Stockwerk gelöst hat. Die Tatsache, daß außer ihm im Fahrstuhl noch fünf Angehörige des anderen Geschlechts stehen, wird von ihm erst dann als soziale Situation wahrgenommen, wenn er nicht mit anderen Kognitionen ,,beschäftigt" ist.

Wenn sich die kognitiven Prozesse aber auf die eigene Person richten, so erlebt man eine Hervorgehobenheit gegenüber den anderen Personen. Es kommt zur Befangenheit.

Dies wird noch verstärkt, wenn die ,,Mitreisenden" die Person durchdringend anblicken oder sogar ansprechen.

Wenn die Person auch noch bemerkt, daß einige Knöpfe offen sind, er nach Knoblauch riecht oder ihm der Magen knurrt, so versinkt er regelrecht im sozialen Streß.

Nun muß er sich Bewältigungsstrategien suchen, um die Situation erträglicher zu gestalten.

Er ringt sich mühsam einen Satz über das Wetter ab, betrachtet die Bedienungsanleitung des Fahrstuhls oder ,,nestelt" an seiner Kleidung.

Wenn er bemerkt, daß er errötet, so zieht er daraus den Rückschluß, daß er der sozialen Situation nicht gewachsen ist.

Die Selbstwahrnehmung verstärkt die unangenehmen Begleitemotionen und erschwert dadurch die Suche nach weiteren Bewältigungsstrategien.

Soziale Angst kann aber in derartigen Situationen auch ausbleiben.

Beobachtet man verschiedene Personen in solch einer sozial relevanten Fahrstuhlsituation, so findet man solche, die ganz ruhig und gelassen die Fahrt verbringen, und solche, die gut gelaunt ein Gespräch beginnen.

Warum also sind die einen sozial ängstlich und die anderen nicht?

Ein wesentlicher Faktor ist die öffentliche Selbstaufmerksamkeit.

Solange man sich selbst nicht als soziales Objekt wahrnimmt, kommt es gar nicht zu der Streßphase.

Ist jemand aber sensibel für eigene Person-Umwelt-Bezüge, dann bewertet er die Situation eher als herausfordernd und handelt bewußt mit der Tendenz, einen guten Eindruck machen zu wollen oder auch Kontakte zu knüpfen.

Bewertet die Person aber die Situation als schädigend oder verletzend, weil z.B. der Fahrstuhl voller Handwerker ist, die den dunklen Anzug beschmutzen könnten, so reagiert sie vielleicht ärgerlich.

Wird die Situation jedoch als bedrohlich bewertet, so entsteht soziale Angst. Allerdings nicht, weil ein Angriff seitens der Mitreisenden gefürchtet wird, sondern weil es sich hier um eine Selbstwertbedrohung handelt.

Dies wirkt sich auf das Verhalten folgendermaßen aus:

- Blickkontakt wird vermieden
- Versuch, das Gesicht zu verdecken
- Ausführen von überflüssigen Handlungen
- Erröten
- Verkriechen hinter einer Zeitung
- Verlegenheit
- Schüchternheit.

Die subjektive Überzeugung, in sozialer Hinsicht nicht kompetent genug zu sein, ist die entscheidende Ursache für soziale Angst.

Die öffentliche Selbstaufmerksamkeit dient hier als Zubringerfunktion.

Erst wenn die kognitiven Prozesse auf das Selbst in seiner scheinbaren und tatsächlichen Inkompetenz gerichtet sind, werden die sozialen Umweltanforderungen als unüberwindbar angesehen.

Es handelt sich hier um Kognitionen, die typischerweise in Streßsituationen auftreten. Die Person entwickelt blitzartig ein Situationsmodell und stellt diesem ein Selbstmodell gegenüber.

Das Situationsmodell beinhaltet die Bewertung der augenblicklichen sozialen Umwelt in Bezug auf deren Struktur, Herausforderung, Schädigung oder Bedrohung. Das Selbstmodell stellt die Bewertung der eigenen Person als ein sozial mehr oder weniger kompetentes Wesen dar.

Aufgrund dieser beiden Modellbildungen wird der Prozeß der Bewältigungsstrategien in Gang gesetzt.

Eine Sonderform wäre das Verlassen der Situation, wenn dies möglich ist.

Ein Gegenpol zur sozialen Angst ist die soziale Exploration.

Eine Person, die über eine hohe subjektive Kompetenzerwartung für soziale Situationen verfügt (also über ein vorteilhaftes Selbstmodell), wird eher bereit sein, das Risiko sozialer Zurückweisung einzugehen und neugierig Kontakte knüpfen, um seine soziale Umwelt näher kennenzulernen.

2.2 Verschiedenheit sozialer Ängste

Es gibt aber auch Unterschiede von sozialen Ängsten.

Verlegenheit und Scham hängen relativ eng miteinander zusammen, während Publikumsangst und Schüchternheit ebenfalls ein Paar bilden.

Bei Verlegenheit und Scham finden wir die Tendenz, sich das Gesicht zu bedecken und sich selbst für ein kritisches Ereignis oder eine Ungeschicklichkeit verantwortlich zu machen.

Diese beiden Reaktionsweisen kommen bei Publikumsangst und Schüchternheit nicht vor.

Dafür werden hier entsprechende Dispositionen angenommen. Sie werden aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen, sozialer Hervorgehobenheit, Neuartigkeit der Situation und Bewertungsangst ausgelöst.

Bei Verlegenheit und Scham spielt dagegen die Enthüllung von Privatheit eine große Rolle.

Im Mittelpunkt der vier sozialen Ängste steht die akute öffentliche Selbstaufmerksamkeit

Agiert die Person vor einer Zuhörermenge und wird furchtsam erregt, dann leidet sie unter Publikumsangst.

Wenn sich die soziale Interaktion mit anderen Personen abspielt und das Sozialverhalten beeinträchtigt wird, leidet das Individuum an Schüchternheit.

In beiden Fällen findet eine Aktivierung des Sympathikus statt. Außerdem besteht soziale Hervorgehobenheit, Bewertungsangst und eine Desorganisation des Handelns.

Kommt sich eine Person albern und unbeholfen vor, erlebt sie Verlegenheit.

Empfindet sie Selbstverachtung, so erlebt sie Scham.

Bei Scham und Verlegenheit dominiert die parasympathische Aktivität. Scham ist intensiver und länger anhaltend und mit größerer Selbstanschuldigung verbunden.

Erscheinungsformen und Ursachen von vier sozialen Ä ngsten (Buss, 1980, S.211)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Überwindung sozialer Ängstlichkeit

Soziale Ängstlichkeit ist eine erworbene Emotion.

Gelernte Verhaltenstendenzen lassen sich grundsätzlich durch Lernprozesse verändern.

Eine Möglichkeit wäre, die Wahrnehmung von Belastung zu beeinflussen.

Eine Person, die keinen sozialen Streß empfindet, erfährt auch keine unangenehmen Begleitemotionen.

Es hat allerdings wenig Sinn, Personen einzureden, soziale Interaktion sei nicht für das Selbst relevant oder hätte überhaupt keine bedrohlichen Elemente.

Es sollte allmählich die erste Bewertungsstufe im Streßverlauf derart beeinflußt werden, daß sich viele Situationen, die bisher als bedrohlich eingestuft wurden, als herausfordernd einschätzen lassen.

So können adaptive Regulationsprozesse in Gang gesetzt werden.

Diese Beeinflussung geschieht durch einen Lernprozeß, der bei der Kognition und bei dem konkreten Verhalten ansetzen muß.

Der wirksamste therapeutische oder pädagogische Weg zur Überwindung sozialer Ängstlichkeit führt über die kognitive Verhaltensmodifikation.

Jemand, der sozial ängstlich ist, muß lernen, wie er seine soziale Umwelt regulieren kann.

Umweltregulation erfordert die Wahrnehmung eines handlungswirksamen Selbst.

Das bedeutet, subjektive Kompetenzwahrnehmung und erfolgreiche Regulationsprozesse gehen im Lernprozeß Hand in Hand.

Adaptives Handeln gegenüber der sozialen Umwelt führt nur dann überdauernd zu einer Veränderung der Persönlichkeit, wenn die Erfolge der eigenen Person zugeschrieben werden und dadurch allmählich ein günstiges situationsspezifisches Selbstkonzept aufgebaut wird.

Aus diesem Grund wird an den sozial Ängstlichen appelliert, daß er an sich glauben soll und nur solche Gedanken akzeptiert, die ihm für den Aufbau von mehr Selbstvertrauen nützlich sind.

Das adaptive handeln, das den Bewältigungsprozeß in sozialen Streßsituationen ausmacht, muß den Anforderungen der Umwelt effektiv entgegentreten. Es muß mit sozialer Angst unvereinbar sein.

Wie dieses aussehen soll, kann man sich von Personen abgucken, die nicht sozial ängstlich sind. Sie handeln ruhig und gelassen und werden auch noch mit Erfolg belohnt.

Entspannungstraining ist z.B. eine Möglichkeit zur Überwindung von sozialer Ängstlichkeit.

Wer entspannt ist, kann nicht erregt sein.

Dieses Training ist aber bei weitem nicht ausreichend. Die Person muß soziale Kompetenz aufbauen, indem sie vorgefertigte Bewältigungsmuster lernt und diese auch auf andere Situationen anwenden kann.

In sozialen Situationen, die subjektiv als bedrohlich eingeschätzt werden, kommt es darauf an, selbstbehauptend zu handeln (assertives Verhalten).

Es gibt drei Elemente, die gemeinsam eine wirksame Maßnahme zur Überwindung von sozialer Ängstlichkeit darstellen:

1. Stärkung des Selbstvertrauens
2. Entspannung
3. selbstbehauptetes Handeln.

Der Erwerb von adaptiven Handlungselementen erfolgt am besten über den systematischen Aufbau von grundlegenden sozialen Fertigkeiten.

Diese betreffen vor allem das Sprechen in verschiedenen Interaktionszusammenhängen.

Der Ängstliche muß lernen, eine Unterhaltung zu führen, seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, auf Äußerungen anderer angemessen zu reagieren und später komplexere Sozialverhaltensweisen gedanklich vorzubereiten, um diese dann in realen Situationen erproben.

Für die meisten sozial Ängstlichen ist es schon problematisch, einen Nachbarn zu begrüßen. Er weiß nicht, was er sagen soll oder wie er grüßen soll. Aus diesem Grund tut er oft so, als habe er den Nachbarn gar nicht gesehen.

Er sollte sich bewußt vornehmen, alle Leute, die er kennt, betont freundlich zu grüßen und sich dabei noch ein paar belanglose Worte abzuringen.

Aber auch die Beendigung eines Gesprächs erfordert gewisse Techniken. Dazu gehören wertschätzende oder abschließende Äußerungen wie ,,Es war interessant, mit Ihnen gesprochen zu haben." oder ,,Das hat mir sehr geholfen; wir sehen uns ja bald wieder."

Eine wesentliche Sozialkompetenz liegt darin, den Belangen und Bedürfnissen der eigenen Person Ausdruck zu verleihen.

Der sozial Ängstliche sollte daher üben, Komplimente auszusprechen, andere zu ermutigen, um Hilfe bitten, Anleitungen zu geben, Gefühle mitzuteilen, Beschwerden vorzutragen, andere von etwas zu überzeugen oder seinem Ärger auf kontrollierte Art und Weise Luft zu machen.

Der Aufbau von Sozialbeziehungen bedarf eines gewissen Grads an Selbstenthüllung.

Das fängt schon bei der namentlichen Vorstellung an und geht bei der Rückmeldung gegenüber dem Interaktionspartner, wie sein Verhalten auf einen selbst gewirkt hat, weiter.

Wer auf wohldosierte Selbstenthüllung verzichtet, kann auch von seinem Gesprächspartner nur wenig Selbstenthüllung erwarten.

Das führt dazu, daß sich Menschen als Fassaden begegnen, was mit größerer Distanz und Formalität im Umgang verbunden ist.

Durch die Expression der eigenen Person kann man selbst aktiv den Interaktionsverlauf bestimmen.

Die Reaktionen der Interaktionspartner stellen für das Individuum Umweltanforderungen dar, auf die regulativ eingegangen werden muß.

Zu den sozialen Fertigkeiten gehört es, auch, ein Kompliment oder Lob freundlich zu akzeptieren, sich zu entschuldigen, Überredungsversuchen entgegenzuwirken, Hilfe zu leisten, eine Beschwerde abwägend oder wohlwollend zu behandeln und Ärger zu neutralisieren.

Eine Hauptschwierigkeit der Selbstbehauptung liegt in der Unterscheidung von assertivem und aggressivem Verhalten.

Sich zu behaupten heißt nicht, andere zu verletzen oder zornig zu agieren.

Für den Schüchternen liegt die Aufgabe gerade darin, die ihm eigene Höflichkeit zu bewahren und trotzdem seine Interessen durchzusetzen.

Es ist äußerst hilfreich, die Begleitemotionen zu identifizieren, um festzustellen, ob ängstliche Erregung oder Wut vorherrscht.

Durch inneres Sprechen kann die Person dem Körper ein Entspannungskommando geben, das erneute versuche der Selbst- und Umweltregulation zuläßt. Selbstkommunikation ist die steuernde kognitive Komponente beim Aufbau von Sicherheit im Sozialverhalten.

Alltagssituationen, in denen die erworbenen Einzelfertigkeiten erprobt und verbessert werden können, sind z.B. Besuch einer Bücherei, eines Kaufhauses oder eines Restaurants, Annahme von Telefonaten, Stellensuche, Freizeitgestaltung mit anderen, Beginn einer Liebesbeziehung, Teilnahme an geselligen Veranstaltungen und schließlich das Durcharbeiten von sozialen Konflikten im Privat- und Berufsleben.

4. Literatur

1. Schwarzer, ,,Streß, Angst und Hilflosigkeit", Stuttgart, Klett-Verlag, 1981ff
2. Leary & Kowalsky, ,,Social Anxiety", New York, The Guilford Press, 1995

[...]


1 Zum Vergleich: nach dem Vortrag wurden 98 Herzschläge pro Minute gemessen.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Soziale Angst
Autor
Jahr
1999
Seiten
27
Katalognummer
V99473
ISBN (eBook)
9783638979177
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale, Angst
Arbeit zitieren
Anika David (Autor:in), 1999, Soziale Angst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99473

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