Die Eskalation des Ost-West-Konflikts in der Kuba-Krise


Seminararbeit, 2002

28 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Überblick über das Thema
1.2. Problemstellung und Fragestellung der Arbeit
1.3. Kontroverse Sichtweisen und Stand in der Forschung
1.4. Beantwortung der Fragestellung

2.1. Wie schätzten sich die Führer der Weltmächte gegenseitig ein?
2.2. Wie beeinflussten diese Bewertungen das politische Handeln?
2.3. Welche Absichten verfolgten die Akteure?

3.1. Welche Vorbereitungen wurden in den Vereinigten Staaten vor der Krise getroffen?
3.2. Wie verliefen die Kuba-Krise und die Stationierung der Raketen?

4.1. Welche Rolle spielte Kuba?

5. Abschlussbetrachtung

Anhang

1. Einleitung

Diese Seminararbeit wurde im Zusammenhang mit der Veranstaltung „Ost-West-Konflikt 1949 – 1989 Teil 3“ an der Universität der Bundeswehr erstellt. Die Veranstaltung, die im Frühjahrstrimester von Prof. Dr. August Pradetto gehalten wurde, behandelte die Entwicklungsstufen des Ost-West-Konfliktes nach dem Zweiten Weltkrieg und deren Folgen.

Die auch unter dem Begriff „Kalter Krieg“ bekannt gewordene Zeitspanne drohte zu Beginn der sechziger Jahre in einen „heißen Krieg“ umzuschlagen. Den Ausschlag hierfür gab die Stationierung von Mittelstreckenraketen, die die Sowjetunion auf Kuba, das sich gerade zum Sozialismus bekannt hatte, stationierte, um so die strategische Ungleichheit zu überwinden. Man glaubte aufgrund von Raketenentwicklungen der Vereinigten Staaten ins Hintertreffen zu geraten und verursachte dabei beinahe einen Atomkrieg, den eigentlich man hatte vermeiden wollen.

Überblick über das Thema

Am 1. Januar 1959 hatte der 31jährige Revolutionär Fidel Castro auf der karibischen Insel Kuba erfolgreich eine Revolution durchgeführt. Die amerikanische Presse, die Castro in seinem Bestreben unterstützt hatte, entzog ihm die propagandistische Hilfe in den Vereinigten Staaten, als Castro mit Hilfe eines neuen Gesetzes, das den Bodenerwerb regelte, zahlreiche amerikanische Firmen enteignete. Die amerikanische Regierung zog sich langsam von Kuba zurück und der Geheimdienst organisierte eine Konterrevolution, die im April 1961 in der Schweinebucht auf Kuba landete. Die Revolution schlug fehl. Castro fühlte sich in der Folge bedroht und befürchtete, dass in Kürze eine weitere Invasion von Seiten der Amerikaner gestartet werden könnte. Er wandte sich der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu, wo Nikita Chruschtschow nach dem Tod Stalins die Macht innehatte. Im Sommer 1962 begann die Sowjetunion an Kuba Atomraketen zu liefern, die bis auf Seattle jede Großstadt in den Vereinigten Staaten hätten treffen können. Ein U-2-Aufklärungsflugzeug entdeckte diese Raketen, deren Stellungen sich zwar noch im Bau befanden, aber in Kürze fertig gestellt sein würden. Mit Hilfe einer Blockade Kubas, die offiziell als „Quarantäne“ tituliert wurde, versuchten die USA weitere Lieferungen zu unterbinden. Der Regierung der Sowjetunion wurde angeboten, eigene Jupiter-Raketen aus der Türkei abzuziehen, wenn die Sowjetunion ihrerseits die Bedrohung auf Kuba beseitigte. Wenige Tage später, nach dem Abschuss eines U-2-Aufklärungsflugzeuges auf Kuba, drohte die Krise zu eskalieren. Die Abgesandten der Streitkräfte drängten Präsident Kennedy zu einer militärischen Intervention, die in letzter Sekunde durch Geheimdiplomatie Kennedys abgewendet werden konnte. Chruschtschow wollte die Raketen gegen das offizielle Versprechen der USA, nicht in Kuba zu intervenieren, oder auf andere Weise einen Regierungssturz herbeizuführen, abziehen. Darüber hinaus wurden bis Ende 1962 die Jupiter-Raketen aus der Türkei abgezogen.[1]

Problemstellung und Fragestellung der Arbeit

Diese Arbeit will die Motive und Absichten der Hauptakteure, die im Zusammenhang mit der Kuba-Krise stehen, analysieren. Wie konnte es nach dem Tod Stalins 1953 zu einer derartigen Krise kommen, obwohl Chruschtschow und Kennedy als Hoffnungsträger der Entspannung betrachtet wurden? Dazu soll zunächst die persönliche Ebene zwischen Kennedy und Chruschtschow und deren gegenseitige Einschätzung untersucht werden, um darzulegen, wie diese Einschätzungen das jeweilige Handeln beeinflussten. Im Weiteren soll die tatsächliche Bedrohung der Vereinigten Staaten durch die Stationierung dieser Raketen behandelt werden. Darüber hinaus soll analysiert werden, wann die USA von der Existenz der Raketen auf Kuba gewusst haben und wie aufgrund dieses Wissens Vorbereitungen zu deren Beseitigung getroffen wurden. Die Reaktion der amerikanischen Administration entwickelte sich zum größten Teil im Exekutiv-Komitee des Nationalen Sicherheitsrates (ExComm.). So ist zu analysieren, wie sich die Entscheidungsfindung im ExComm. darstellte.

Auch die Entwicklung Kubas nicht außer Acht gelassen werden. Wie konnte es beispielsweise geschehen, dass sich Kuba nach jahrelanger Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten der Sowjetunion zuwandte? Die Folge dieser Zuwendung zur UdSSR war die größte Bedrohung, die jemals auf die USA gewirkt hat. Aber die US-Regierung unternahm keinen Versuch den Verlust Kubas zu verhindern.

Kontroverse Sichtweisen und Stand in der Forschung

Die Menge an Literatur über die Kubakrise ist als überaus zahlreich zu bezeichnen. Es liegen heute zahlreiche Monographien zu der Krise an sich vor, die ausschließlich den chronologischen Ablauf der Stationierung der Raketen aufzeigen. Auch Interpretationen aus sowjetischer und amerikanischer Sicht sind vorhanden. Die Einschätzung der amerikanischen Reaktionen hat sich jedoch gänzlich geändert. Haben die Autoren der ersten Jahre nach der Krise zahlreiche Vermutungen angestellt, was im Weißen Haus diskutiert wurde, so liegen heute Tonbänder vor, die John Fitzgerald Kennedy heimlich aufgenommen hat. Es ist klar erkennbar, dass sich der Präsident seine Entscheidungen keineswegs leicht gemacht hat und unter massivem Druck seiner Berater stand. Die Einteilung in diplomatische Richtung und Hardliner, in „Tauben“ und „Falken“ und deren Standpunkte liegen nun offen.

Darüber hinaus haben sowohl Nikita Chruschtschow als auch Robert Kennedy ihre Erinnerungen an die Krise veröffentlicht. Gegen Ende der achtziger Jahre trafen erstmals amerikanische Forscher mit sowjetischen zusammen und tauschten ihre Meinungen zur Krise aus. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wagen auch immer mehr sowjetische Generale sich öffentlich zu erinnern.

Bemerkenswerte Widersprüche zeigen sich zwischen amerikanischen Autoren auf. Abhängig von dem Erscheinungsjahr ihrer Publikation kommen sie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Erst die Veröffentlichung aller sowjetischen Aufzeichnungen wird die Moskauer Interessen offen legen.

Beantwortung der Fragestellung

Die aufgezeigten Fragestellungen sollen mit Hilfe von drei Kapiteln beantwortet werden. Dabei wird zunächst auf die persönlichen, dann auf die politischen Verhältnisse zwischen der Sowjetunion, Kuba und den USA behandelt. Anhand des dritten Kapitels soll die Rolle Kubas in der Krise behandelt werden.

Dabei wird unter anderem belegt, dass die Raketen auf Kuba nicht Ursache der Krise waren. Vielmehr wurde der offene Ausbruch eines bereits lange schwelenden Konfliktes durch sie beschleunigt. Die Tatsache, dass man sich am Rande eines atomaren Krieges befand und nur die Besonnenheit von zwei Menschen die Welt davor bewahrte, die ganze Erde und alles darauf vorhandene Leben zu zerstören, ist Gegenstand aller Kapitel.

2.1. Wie schätzten sich die Führer der Weltmächte gegenseitig ein?

Chruschtschow:

Nikita Sergejewitsch Chruschtschow[2] wurde am 17. April 1894 in Kalinowka im Gouvernement Kursk geboren und war seit 1939 Mitglied des Politbüros. 1952 kam er in das Präsidium des ZK. Ab 1953 war er 1. Sekretär der KPdSU. Sein Aufstieg unter Stalin und der radikale Bruch mit dessen Politik ließen die Hoffnung aufkommen, es könne nach einer ersten Hochphase des Kalten Krieges zu Beginn der 50er Jahre eine Entspannung eingeleitet werden. Diese Hoffnung schien sich in Chruschtschows Bild der „friedlichen Koexistenz“ zu manifestieren.

Da jedoch auf Seiten der USA mit Präsident Eisenhower noch ein klassischer „Kalter Krieger“ an der Macht war, schien diese Hoffnung zunächst nicht realisierbar. Chruschtschow erkannte diese Lage und begann den noch unbekannten John F. Kennedy zu unterstützen, in dem er eine Wunsch-Alternative zu Richard Nixon sah.[3] Dieser hatte sich mit Äußerungen zur überlegenen amerikanischen Kultur des Konsums und der Technologie bei Chruschtschow ins Abseits gestellt, so dass Chruschtschow jeden Kandidaten lieber im Weißen Haus gesehen hätte als den republikanischen Kandidaten Nixon.

Chruschtschow wies den Geheimdienst KGB an, ihn über den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zu informieren und Maßnahmen zu prüfen, inwieweit die Sowjetunion mit diplomatischen und propagandistischen Mitteln in diesen Wahlkampf eingreifen könne. Chruschtschow ließ veröffentlichen, dass kaum Verständigung zwischen den Atommächten möglich sein werde, solange Eisenhower oder Nixon Präsident seien.[4] Den Sieg Kennedys am 4. November 1960 schrieb Chruschtschow auch seinen Interventionen zu, da der Sieg Kennedys äußerst knapp gewesen war.

Über die Person Kennedy wusste Chruschtschow eher wenig. Die sowjetische Botschaft hatte ein Personalprofil Kennedys nach Moskau gesandt, nachdem dieser in Los Angeles zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden war. In dem Bericht heißt es, dass Kennedy „typischer Pragmatiker“ sei und „von keinerlei festen Überzeugungen gelenkt“ werde.[5] Außerdem sei Kennedy Gesprächen mit der Sowjetunion aufgeschlossen und nicht der Meinung, dass man der UdSSR grundsätzlich nicht trauen dürfe. Chruschtschow erfuhr, Kennedy sei kaum in der Lage selbständig eine Entscheidung zu finden oder Ideen zu entwickeln. In dem Bericht der Botschaft heißt es, er sei „besser im Umsetzen und Anwenden von Ideen und Gedanken anderer als im Entwickeln eigenständiger Ideen.“[6] Am Vorabend Präsident Kennedys Amtseinführung erließ Chruschtschow zahlreiche Bestimmungen, die die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen verbessern sollten. Unter anderem entließ er die Piloten des Aufklärungsflugzeuges RB-47, die im Juli 1960 über dem Norden der Sowjetunion abgeschossen worden waren.

Auf der anderen Seite glaubte Chruschtschow sich Kennedy überlegen. Der zu junge, zu intellektuelle, zu liberale und zu unerfahrene Präsident könne kaum ein Hindernis für das Durchsetzen sowjetischer Interessen sein. Wenn es erst einmal zu ernsthaften Komplikationen käme, würde Kennedy schon zurückschrecken.[7] Als Kennedy in das Weiße Haus einzog war Chruschtschow zwar an einer „friedlichen Koexistenz“ interessiert, verlor jedoch seine eigene Ideologie nie aus den Augen, weil die Ausdehnung des Sozialismus und die Öffnung des sowjetischen Machtbereichs bis an die Grenzen der Monroe-Doktrin klares Ziel Chruschtschows waren. Somit erklärt sich, dass Chruschtschow hoffte, Kennedy in der Frage der kubanischen Raketen überrumpeln und vor vollendete Tatsachen zu können.[8]

Im Laufe der Krise wandelte sich jedoch das Bild Chruschtschows von Kennedy, da er erkannte, dass Kennedy eine Bedrohung von Kuba nicht akzeptieren würde und eine militärische Intervention von Seiten der Amerikaner nach dem Gespräch zwischen Robert Kennedy und dem sowjetischen Botschafter unmittelbar bevorstand: „In seiner Botschaft wiederholte Kennedy dringend die Forderung der Amerikaner, dass wir die Raketen und Bomber von Kuba abziehen sollten. An dem Ton seiner Botschaft spürten wir, dass die Spannung in den Vereinigten Staaten tatsächlich einen kritischen Punkt erreichte“.[9] Für wie realistisch Chruschtschow jedoch die Vermutung einschätzte, die USA seien von einem Militärputsch bedroht gewesen, ist in seinen Memoiren nicht erkennbar.[10]

Nach der Krise schätzte Chruschtschow Kennedy ganz anders ein als zuvor. Er lobt ihn als einen großen Staatsmann, der „sich letzten Endes als besonnener Mann erwies, entschlossen, einen Krieg zu vermeiden. Er ließ sich weder erschrecken, noch war er leichtsinnig“.[11] Chruschtschow setzt an dieser Textstelle sein Lob für Kennedy fort, was belegt, dass die grundlegende Meinung Chruschtschows sich gewandelt hatte.

Kennedy:

John Fitzgerald Kennedy[12] wurde am 22. Januar 1932 in Boston geboren und am 22. November 1963 in Dallas, Texas, ermordet. Der frühe Tod des Präsidenten wird in Chruschtschows Memoiren sehr bedauert. Der Verlust Kennedys hätte zum Festfahren der USA in Vietnam und zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten geführt.[13]

Kennedy war sich der sozialistischen Ideologie und deren Einfluss auf Chruschtschows Handeln bewusst. Als außenpolitisches Ziel erklärte deshalb, dass der Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus in den Dritte-Welt-Staaten entschieden werden würde. Der expansive Charakter des Sozialismus, den Kennedy in der Figur Chruschtschows personifiziert wahrgenommen hat, sollte in seiner Regierungsperiode drastisch eingeschränkt werden. Kennedy wollte als derjenige Präsident in die Geschichte eingehen, der den Sozialismus aus den Entwicklungsländern verbannt hätte.[14]

Es musste klar gewesen sein, dass er mit dieser Absicht im Gegensatz zu den Zielen Chruscht­schows gestanden haben musste. Um die Entscheidung in den Entwicklungsländern herbeizuführen, steigerte Kennedy zwischen 1961 und 1964 die Rüstungsausgaben im Verhältnis zu den Jahren 1956 bis 1960 um 30 Milliarden Dollar. Er stellte Spezialkräfte wie die Navy-SEALS auf, die später in Vietnam eingesetzt wurden.

Ob Kennedy bereits zu Beginn seiner Regierungszeit in Chruschtschow einen Verhandlungspartner sah, oder einen Gegner, der den Kampf der Ideologien suchte, geht aus der mir vorliegenden Literatur nicht hervor. Es ist jedoch zu vermuten, dass Kennedy nach dem Gipfeltreffen von Wien nicht mehr daran glaubte, in Chruschtschow den außenpolitischen Reformer nach Stalin gefunden zu haben.

2.2. Wie beeinflussten diese Bewertungen das politische Handeln?

Der Einfluss der Meinungen über den vermeintlichen Gegenspieler ist sowohl bei Kennedy als auch bei Chruschtschow zu erkennen. Chruschtschow änderte die Außenpolitik am Vorabend der Amtseinführung Kennedys dramatisch. Er entließ nicht nur, wie bereits erwähnt, die beiden über der Sowjetunion abgeschossenen Piloten, sondern ließ auch ein Institut für amerikanische Studien in Moskau gründen. Des Weiteren wurden die Ausreisebestimmungen für etwa 500 ältere sowjetische Bürger gelockert, die Verwandte in den Vereinigten Staaten hatten. Auch sollten amerikanische Autoren Honorare für die Werke erhalten, die in der Sowjetunion bis dahin ohne Entlohnung veröffentlicht wurden. Zu den weiteren Maßnahmen zählten die Wiedereröffnung des jüdischen Theaters, die Erlaubnis der Publi­ka­tion von Zeitschriften, die unter Stalin verboten worden waren und Studenten­aus­tausch­pro­gramme mit den Vereinigten Staaten.[15] Chruschtschow wollte Kennedy offenbar entgegenkommen, um bei einer späteren Auseinandersetzung Trümpfe in der Hand zu haben. Da er glaubte, dass Kennedy kaum Standfestigkeit hatte und von den Ratschlägen seiner Berater abhängig war, sollte hier anscheinend früh ein Entgegenkommen signalisiert werden, das mit den Absichten Kennedys später in Konflikt geraten würde.

Unter Kennedys Präsidentschaft auf der anderen Seite war am 15. April 1961 die „Operation Zabata“ gestartet worden. Vom CIA ausgebildete Exilkubaner landeten in der Schweinebucht auf Kuba, um in einer Konterrevolution die Regierung Castro zu stürzen.[16] Diese Operation scheiterte an vielen Faktoren. Unter anderem wird darauf aufmerksam gemacht, dass Kennedy den Konterrevolutionären die Unterstützung aus der Luft versagte und die Nachschubprobleme nicht überbrückt werden konnten.[17] Einen Tag nach seinem 67. Geburtstag, am 18.April 1961 schrieb Chruschtschow an Kennedy einen Brief, in dem er erwog, dass ein Fortsetzen des Brandes in der Karibik zu „ein(em) neuen Brand in einer anderen Region“ führen würde.[18] Mit dieser „anderen Region“ spielt Chruschtschow vermutlich auf Berlin an. Sollte Kennedy also die Konterrevolution mit eigenen Truppen oder Luftangriffen unterstützen, würde Chruschtschow Westberlin einnehmen lassen. Dabei hatte man die Berlinkrise von 1958 gerade erst überstanden geglaubt. Das Ausbleiben der Unterstützung Kennedys lässt die Vermutung aufkommen, dass Chruschtschow mit seiner Drohung Erfolg hatte.

Das Schweinebuchtdesaster belastete das amerikanisch-sowjetische Verhältnis in der Folge schwer. Kennedy und Chruschtschow kamen am 3. und 4. Juni 1961 in Wien zu ihrem ersten Gipfeltreffen zusammen,[19] das auch das letzte persönliche Treffen der beiden sein sollte. Kennedy wollte den Kalten Krieg zu beenden und dazu zunächst die Neutralitätszonen zwischen den beiden Blöcken erweitern. Die Ausweitung des Konfliktes in die Dritte Welt sollte trotz der Erwartung von Auseinandersetzungen in diesen Ländern nach Möglichkeit eingedämmt werden, damit es nicht zum Wettrennen käme. Kennedy wich mit dem Vorschlag, umstrittene Staaten zur Neutralität zu bewegen, von den außenpolitischen Bestrebungen seines Vorgängers scharf ab. Eisenhower hatte versucht die Sowjetunion einzukreisen, um den Sozialismus zum Scheitern zu bringen.[20]

Chruschtschow hatte Kennedy mit den Worten begrüßt: „Ich habe gehört, Sie seien ein junger und viel versprechender Mann.“[21] Die Heraushebung des Alters zeigt bereits auf, dass Chruschtschow, der etwa ein viertel Jahrhundert älter war als Kennedy, sich dem Präsidenten überlegen fühlte. Er hatte schließlich den Großteil der sowjetischen Geschichte selbst miterlebt und hatte einen jahrzehntelangen Vorsprung in der Durchsetzung eigener Interessen errungen. Die vorgeschlagene Abkehr von der Weltrevolution und von der Möglichkeit den eigenen Einfluss auf die Dritte Welt auszuweiten, konnte er nicht akzeptieren. Er wiederholte sogar mehrmals, dass die USA Castro zu einem Kommunisten machten, wenn sie ihren Druck weiter ausübten oder intensivierten. Er spielte damit eindeutig auf die fehlgeschlagene „Operation Zabata“ an.[22]

Das Scheitern dieses Gipfels ist auch auf die Schweinebucht-Invasion zurückzuführen. Kennedy gestand ein, dass das Einmischen in die sozialen Umbrüche Kubas ein Fehler gewesen sei. Chruschtschow zeigte sich über diese Äußerung sehr erbost und fühlte sich offenbar von Kennedy belehrt: „Wir machen keine Fehler. Wir fangen keinen Krieg aus Unachtsamkeit an“.[23] Chruschtschows Einschätzung, dass Kennedy nicht mit Eisenhower gleichgesetzt werden könne, verfestigte sich im Laufe des Treffens. Er glaubte zu erkennen, dass Kennedy das staatsmännische und der weite Horizont Auftreten seines Vorgängers fehlten.

Kennedy verhielt sich auch dahingehend sehr zurückhaltend, als er nicht versuchte Chruschtschow zu beeindrucken, oder dessen Bild von ihm zu beeinflussen. Die von Kennedy propagierte „Raketenlücke“, die faktisch nicht vorhanden war, erwähnte der Präsident nicht. Auch das zerbrechende sowjetisch-chinesische Verhältnis kam kaum zur Sprache.

Die Kubakrise veränderte das Verhalten beider Politiker. Kennedy ging am 22. Oktober 1962 mit seiner Fernsehansprache an die Öffentlichkeit und stellte klar, dass die Entscheidung, ob es einen dritten Weltkrieg geben werde, in der Hand Chruschtschows lag. Eine solche Standfestigkeit hatte der Sekretär wahrscheinlich nicht erwartet. Er behauptet in seinen Memoiren zwar, die Situation stets unter Kontrolle gehabt zu haben und der absolute Gewinner der Krise gewesen zu sein, ob er allerdings ähnlich beunruhigende Tage verlebte wie die Mitglieder des ExComm. kommt nur am Rande heraus.[24]

2.3. Welche Absichten verfolgten die Akteure?

Chruschtschow:

Über die Antwort auf die Frage, welche Gründe Chruschtschow gehabt haben könnte, heimlich Nuklearraketen auf Kuba zu stationieren, wurden sehr viele Mutmaßungen angestellt. Fest steht, dass Chruschtschow und seine Berater keinen Kontakt zu Fidel Castro hatten, als dieser am 1.Januar 1959 in Havanna die Macht übernahm. Chruschtschow betont darüber hinaus, dass er Castro nie für einen richtigen Kommunisten hielt, obwohl er die durchgeführten Bodenreformen Castros auf sozialistisches Gedankengut zurückführte. Eine sozialistische Reform in direkter Nähe der Vereinigten Staaten veranlasst Chruschtschow zu der These, dass die Invasion in der Schweinebucht von den USA durchgeführt worden war, oder zumindest von diesen begrüßt wurde.[25] Er lässt jedoch nicht das Gefühl aufkommen gewusst zu haben, dass die Invasion von der CIA im Untergrund angestiftet worden war.

Castros Bekenntnis zum Sozialismus nahm Chruschtschow mit Wohlwollen zur Kenntnis, hielt jedoch den Zeitpunkt für unpassend und einen taktischen Fehler, da man davon ausgehen müsse, dass eine weitere Invasion stattfinden würde. Er geht davon aus, dass die „konspirativen Emigranten“ sich nicht die Chance würden nehmen lassen die „Aggression zu wiederholen“.[26] Die Gefahr der amerikanischen Unterstützung einer solchen Aggression sei zu diesem Zeitpunkt so groß gewesen, dass es falsch sei mit dem Bekenntnis zum Sozialismus eine offene Provokation auszusprechen.

Als Folge hiervon erkannte Chruschtschow die Notwendigkeit Kuba sowjetischen Schutz zu gewähren. Die Motivation war dabei jedoch nicht „sozialistische Nächstenliebe“, sondern eher die Befürchtung, den gesamten Einfluss in Lateinamerika zu verlieren, wenn man Kuba aus seinem Machtbereich verlöre.

„Die logische Antworte war Raketen“ stellte Chruschtschow im Laufe eines Auslandsaufenthaltes in Bulgarien fest. Dabei habe er nie die Absicht gehabt einen Krieg zu beginnen, sondern wollte vielmehr die Vereinigten Staaten davon abhalten ihrerseits einen Krieg anzufangen. Denn „Jeder Narr ist in der Lage einen Krieg zu beginnen, und hat er es erst einmal getan, wissen selbst die weisesten Männer keinen Rat, den Krieg zu beenden – vor allem, wenn es ein Atomkrieg ist“.[27] Chruschtschow war sich also sehr wohl der Tatsache bewusst, dass sein Verhalten einen Atomkrieg hätte verursachen können, wenn die USA die Absicht Chruschtschows falsch interpretiert hätten.

Wäre die Stationierung der Raketen erfolgreich gewesen, so hätte Chruschtschow drei Ziele erreicht: zunächst wäre die von Kennedy propagierte „Raketenlücke“ zwischen den beiden Mächten geschlossen worden, eine weitere Invasion der USA auf Kuba wäre abgewendet und die Sicherheit der Regierung Castro gewährleistet. Drittens hätte man die eigene Vormachtstellung in der Dritten Welt ausgebaut.[28]

Die genauen Gründe für die Stationierung werden sehr vielfältig interpretiert. Subok liefert dazu die nachvollziehbarste Analyse. Chruschtschow habe nicht an eine dritte Alternative neben der „friedlichen Koexistenz“ und einem atomaren Krieg geglaubt. Aus diesem Grunde seien auch die Statistiken über die Größe der Waffenarsenale nicht entscheidend. Vielmehr sei die sinnvolle Stationierung der vorhandenen Möglichkeiten wichtig. Des Weiteren war Chruschtschow darauf aus, eine weitere militärische Aktion der Amerikaner in Kuba zu verhindern, um die eigene Hegemoniestellung innerhalb des kommunistischen Lagers aufrechtzuerhalten. Die kubanische Revolution sollte dazu nicht als Hebel für die Stärkung der sowjetischen Position im Ost-West-Konflikt genutzt werden. Die Möglichkeit der strategischen Nutzung einer Übersee-Operation sei maßgebender gewesen. Da die USA ihren Einflussbereich bis nach Europa hineingetragen hatten, habe die Sowjetunion ein Recht auf die Ausdehnung bis an die Grenzen der Monroe-Doktrin.[29]

Die politische Absicht interpretiert Kurt Spillmann. Er geht davon aus, dass Chruschtschow den Willen des neuen jungen Präsidenten austesten wollte. Dazu nutzte er eine Region, die für die Existenz der Sowjetunion nicht entscheidend war. Als weiteres sieht er Machtkämpfe innerhalb des Kremls. Nach dem missglückten Berlin-Ultimatum und kaum nennenswerten innenpolitischen Erfolgen, brauchte Chruschtschow einen außenpolitischen Erfolg, um seinen Machtanspruch zu rechtfertigen.[30]

Im Verlauf der Krise wurden die Einschätzungen Chruschtschows zunehmend realistischer. Er glaubte, dass die Vereinigten Staaten die UdSSR mit Hilfe der Quarantäne einschüchtern wollten, sich aber genauso vor einem Atomkrieg fürchteten wie er selbst. Er sah sich jedoch absolut im Recht, da er den Kubanern nur die Unterstützung zukommen ließ, die die USA auch ihren Verbündeten gewährten. Solange die USA sich dabei auf drohende Gesten beschränkten, sah er keinen Grund an dieser Rechtsposition zu wackeln.[31]

Chruschtschow erkannte, seine Politik ausgereizt zu haben, als der sowjetische Botschafter zu einem Vier-Augen-Gespräch mit dem Justizminister der USA, Robert Kennedy, geladen wurde. Er stellt sich als den Triumphator der Krise dar, der den schwachen Präsidenten gerettet habe und sieht die Krise nach dem Abschuss des U-2-Aufklärungsflugzeuges beendet.[32] Seine Zugeständnisse, die er über Radio Moskau am 28.Oktober 1962 veröffentlichen ließ, werden nur als „Austausch von Noten“ beschrieben.[33] Abschließend lässt sich aber die Entschlossenheit des Sekretärs erkennen. Er stellt fest, dass es bei einem Blutvergießen auf Kuba auch zu einem gewaltsamen Konflikt in Deutschland gekommen wäre.

Kennedy:

John F. Kennedy verfolgte zum Teil das genaue Gegenteil Chruschtschows Politik. Er erkannte, dass der Vorsprung der USA in der Entwicklung nuklearer Waffen auf Dauer kaum haltbar sein würde und kreierte dementsprechend den Begriff der „Raketenlücke“. Basierend auf dem Streitkräftevergleich zur Zeit seines Wahlkampfes 1960 waren die USA zum Teil noch stark im Vorteil.[34]

Jedoch war er der Meinung, dass der Kampf zwischen Kapitalismus, den er mit Freiheit, Demokratie und Menschenrechten gleichsetzte, und dem Kommunismus, von dem auf die Dauer nichts Gutes zu erwarten sei, in der Dritten Welt ausgetragen würde. In Europa hielten beide Blöcke ihre Einflusssphären, nur der Status Berlins war weiterhin umstritten. In Lateinamerika, Südostasien und Afrika waren jedoch in Zukunft massive Auseinandersetzungen zu erwarten.[35] Er benannte die kommenden Konfliktherde unmittelbar nach seiner Amtsübernahme: Kuba und Vietnam. Er erklärte die Beziehungen zu diesen Ländern ab sofort zur Chefsache. Kuba nahm folglich Symbolcharakter für die amerikanische Außenpolitik an.

Die Operation in der Schweinebucht war der erste Anlauf den eigenen Einfluss auf Kuba zurück zu gewinnen. Die fehlende Konsequenz der Unterstützung der Exilkubaner stellte kurzzeitig dieses oberste Ziel in Frage. Chruschtschow hatte gedroht, dass bei militärischer Unterstützung ein Atomkrieg ausbrechen würde. Der außenpolitisch unerfahrene Präsident fasste diese Drohung offenbar sehr ernst auf und verstand sie nicht als das typische sowjetische Temperament Chruschtschows.

Die mit der Entdeckung der Raketen verbundene Bedrohung des eigenen Territoriums und strategisch wichtiger Punkte wie dem Panamakanal, konnten er aber auf keinen Fall akzeptiert, oder mit Hilfe eines Kompromisses gelöst werden. Wenn seine Richtlinie Erfolg haben sollte, mussten die Raketen sofort beseitigt werden. Dies musste Kennedy im Wesentlichen aus drei Gründen durchsetzen: erstens musste die amerikanische Position der nuklearen Überlegenheit nach außen hin gewahrt bleiben, zweitens musste man den Einfluss auf die Dritte Welt sicherstellen und drittens hätte es mit der Verfestigung des Status Quo auf längere Sicht auch eine Regierung unter Castro zur Folge.

3.1. Welche Vorbereitungen wurden in den Vereinigten Staaten vor der Krise getroffen?

Der Vorlauf der Krise in den Vereinigten Staaten lässt sich in drei Phasen einteilen. Zunächst publizierte die Presse Warnungen, dass auf Kuba Waffen stationiert seien, woraufhin die US-Regierung feststellte, dass offensive Waffen auf keinen Fall akzeptiert würden. Abschließend erfolgten konkrete militärische Vorbereitungen.

Bereits Anfang 1962 gab es zahlreiche Berichte in der „New York Herald Tribune“ und dem „National Observer“ über die Aufrüstung Kubas nach der fehlgeschlagenen Schweinebuchtinvasion. Diese Artikel stützten sich jedoch ausschließlich auf Berichte von Augenzeugen, die von der Insel geflohen waren. Es ist also davon auszugehen, dass die Exilkubaner kein Interesse daran hatten Kuba in ein möglichst gutes Licht zu stellen. Es wurde unter anderem berichtet, dass mehr als 100 Millionen Dollar Militärhilfe nach Kuba gesandt worden seien.

David Lawrence, der seinen Artikel am 4.Januar in der „New York Herald Tribune“ publizierte, zitiert für diese Zahl einen Bericht des Außenministeriums, der die Überschrift „Sowjetische Machtübernahme in Kuba Ist es Zeit für eine totale Blockade?“ hatte.[36]

Der republikanische US-Senator Kenneth B. Keating warnte die Regierung in einem Interview im „US News & World Report“ vor dem sowjetischen Ausbau Kubas. Auch die CIA stellte auffällige Bewegungen auf Kuba fest. Seit Ende Juli hielten sich etwa 5000 sowjetische Soldaten in Kuba auf, die die Ladung sowjetischer Schiffe löschten. In Washington kursierten zwei Einschätzungen zu diesen Geschehnissen. Die überwiegende Mehrheit ging von defensiven Waffen aus. Boden-Luft-Raketen sollten die Luftabwehr aufbauen oder elektronische Störmaßnahmen die NASA-Starts in Cape Canaveral beeinflussen. Der CIA-Chef John ­ McCone teilte diese Auffassung nicht. Er ging davon aus, dass Boden-Luft-Raketen nur dann Sinn machten, wenn es auch etwas zu beschützen gäbe. Dies wären zum Beispiel Mittelstreckenraketen. Entscheidend wäre bei Zutreffen dieser Interpretation, dass sich die sowjetische Außenpolitik im Allgemeinen und die Kubapolitik im Speziellen massiv gewandelt hätten. Bis dahin hatte die UdSSR nie Atomraketen in das befreundete Ausland geliefert. Eine Lieferung sogar bis vor die amerikanische Grenze wäre ein absoluter Bruch.[37] Eine Stationierung hätte weitreichende Folgen: die Regierung Fidel Castros würde bestärkt und ein Eingreifen unmöglich gemacht. Dies widersprach grundlegend den amerikanischen Interessen.

Am 23. August berief Kennedy seine engsten Berater zu einer Sitzung in das Weiße Haus. Dean Rusk, Robert S. McNamara, McGeorge Bundy, General Taylor und John McCone waren anwesend, um die Maßnahmen zu besprechen, die man gegen Kuba einleiten wollte. Sollte es sich bei den sowjetischen Lieferungen nur um defensive Waffen handeln, wollte man mit geheimen Operationen gegen die Stellungen vorgehen und in kürzester Zeit einen Aufstand gegen Castro veranlassen. General Taylor wurde beauftragt die „Operation Mongoose“ voranzutreiben, die dieses Ziel verfolgte.[38]

Wenn es sich bei den Lieferungen um Mittelstreckenraketen oder ähnliche offensive Waffen handelte, sollten diese mit Luftangriffen ausgeschaltet und alle militärischen Einrichtungen bombardiert werden. Dabei nahm man bereits in Kauf, dass die Sowjets als Vergeltungsschlag die Jupiterraketen in der Türkei zerstören würden. Dabei ist anzumerken, dass es noch sieben Wochen bis zu den Luftaufnahmen der Raketenstellungen und drei Wochen bis zum ersten Anlanden der Raketen dauern sollte. Die Richtung war ab sofort vorgegeben,[39] denn es ging um die sowjetischen Lieferungen als solche und nicht um die Raketen an sich.

Die zweite Phase begann am 4.September 1962, als Kennedy öffentlich erklärte, dass die Vereinigten Staaten die Stationierung offensiver Waffen auf Kuba auf keinen Fall akzeptieren werde. Der Grund hierfür war die erwähnte Entdeckung von SAM-Stellungen[40] nahe San Christobal.

Um den 11.September wurde der Kreml aufmerksam. Chruschtschow befürchtete, dass sein Geheimplan aufgedeckt war und stritt präventiv die Existenz der Raketen und alle Pläne solche zu liefern ab. Dabei drohte er gleichzeitig mit einem Atomkrieg, sollten die USA Kuba angreifen.[41] Diese Drohung im Hinterkopf habend, stellte Kennedy in einer Pressekonferenz am 13. August 1962 klar, dass „unser Land tun (werde), was es tun muss, um sich und seine Verbündeten zu schützen“.[42]

Nachdem die CIA den Präsidenten dazu bewegen konnte die U-2-Aufklärungsflüge von zwei auf vier Flüge pro Monat zu steigern, erteilte der Kongress Kennedy am 26.September die Vollmacht alle Maßnahmen gegen Kuba einzuleiten, die notwendig sein würden, die Bedrohung zu beseitigen.[43]

Am 28. September 1962 bestätigte sich der Anfangsverdacht: die Marineaufklärung in der Karibik fotografierte elf längliche Kisten an Bord eines sowjetischen Frachters aus dem 1958 in vergleichbarer Verpackung „Iljuschin-28“ kamen. Diese Flugzeuge sind Düsenbomber, die fähig sind in einem Radius von 1200 Kilometern Atombomben zu transportieren.[44]

Die dritte Phase der Vorbereitungen begann mit konkreten militärischen Maßnahmen. Diese muten etwas verwundernd an, wenn man der offiziellen Meinung glauben soll, dass die US-Regierung erst am 14. Oktober von der Existenz der Raketen erfuhr. Die Luftwaffe simulierte in der Wüste Nevada Luftangriffe an nachgebauten kubanischen Objekten. Am 25. September war bereits der frisch renovierte Flugzeugträger „Essex“ aus New York City Richtung Kuba ausgelaufen und bald darauf folgte die „Independence“. Ziel war es um den 20. Oktober in Angriffsnähe zu Kuba zu sein. Abschließend bereitete sich die 5. Luftlandebrigade der Marine auf eine Verlegung in die Karibik vor.[45]

Die Frage, die sich aufgrund dieser Maßnahmen stellt, ist die nach dem Zeitpunkt an dem die amerikanische Administration von der Existenz der offensiven Waffen gewusst hat. Die Vergleichsfotos von dem sowjetischen Frachter kommen nicht in Frage, da diese für etwa elf Tage verschwunden waren. Warum wartete man überhaupt mit der Invasion? Wollte man vielleicht Verbündete und lateinamerikanische Staaten mit Beweisen überzeugen, die noch nicht vorhanden waren? Und warum gab sich die ganze Regierung nach den Fotos vom 14.Oktober total überrascht, als wären die Waffen ganz plötzlich aufgetaucht?

Bernd Greiner kommt zu folgenden Thesen: die Amerikaner wussten früh von den Waffen und wollten deshalb sowieso auf der Insel landen, konnten dies aber nach der Entdeckung der Raketen nicht mehr, da man nicht wusste ob diese bereits abschussbereit waren. Als Alternative sieht er, dass die Amerikaner Anfang Oktober von der Existenz der Raketen wussten und intervenieren wollten. Hätte Chruschtschow keine Nuklearraketen gesandt, hätte man sich dabei auch auf Untergrundaktionen der „Operation Mongoose“ beschränkt.[46]

Aus diesen Thesen ist zu schließen, dass die USA bereits vor dem 14. Oktober 1962 wussten, dass sich auf Kuba offensive Waffen befanden. Für die Existenz von Mittelstreckenraketen hatte man jedoch keinen Beweis. Von daher ist die Krise nicht plötzlich über die USA gekommen, sondern sie hatten ebenso Anteil an der Eskalation im Vorfeld.

Die Quelle der Informationen über die Waffen vor dem 14. Oktober ist nicht bekannt. Greiner vermutet aber, dass der sowjetische Abwehroffizier Oleg Penkovsky, der seit Jahren als amerikanischer und britischer Agent tätig war, Nachrichten an die CIA weitergab. Daniel und Hubbell, die ihr Werk unmittelbar nach der Krise verfasst haben stützen die These des frühen Wissens um die Waffen und Raketen ebenfalls, nennen Penkovsky jedoch nicht.[47]

3.2. Wie verliefen die Kuba-Krise und die Stationierung der Raketen?

Die Motive Chruschtschows und seiner Militärberater auf Kuba Atomraketen zu stationieren wurden bereits erörtert. Der tatsächliche Ablauf des Planes begann am 24. Mai 1962, als der sowjetische Verteidigungsrat die „Operation Anadyr“, welche die Stationierung der Raketen auf Kuba beinhaltet, genehmigte. Am 21. Februar 1961 hatte man neue SS-7 Interkontinentalraketen getestet und die Mittelstreckenraketen auf Kuba sollten taktisch weiterhelfen. Die sowjetischen Soldaten auf Kuba wurden von Issa A. Plijew kommandiert, der sich bei der Niederschlagung eines Aufstandes in Nowotscherkassk verdient gemacht hatte.[48]

Am 4.Oktober 1962 trafen mit der „Indigirka“ die ersten Atomsprengköpfe in Port Mariel auf Kuba ein, etwa ein Monat vor den Zwischenwahlen des Kongresses in den Vereinigten Staaten. Die Sowjet-Führung plante Kennedy nach dieser Wahl von der Stationierung der Raketen zu informieren. Die Raketen sollten jedoch bereits zwischen dem 25. und dem 27.Oktober 1962 einsatzbereit sein.

Die von Präsident Kennedy genehmigten U-2-Aufklärungsflugzeuge mussten Anfang Oktober am Boden bleiben. Die offizielle Begründung hierfür war der Wirbelsturm „Ella“. Daniel und Hubbell stellen jedoch heraus, dass „Ella“ erst am 14.Oktober von der Wetterbehörde als Möglichkeit eines größeren Sturmes klassifiziert wurde. Zwischen dem 3.Oktober und dem 14.Oktober wäre das Wetter ausreichend gewesen.[49] Was auch immer die wirkliche Begründung gewesen sein mag, ist nicht weiter erforscht. Am 14.Oktober fotografierten die Piloten eines U-2-Aufklärungsflugzeuges eine dramatische Entwicklung: vier Abschussbasen für MRBM´s, acht MRBM´s auf Fahrzeugen in der Nähe, Fahrzeuge mit Raketentreibstoff und Zelte für 500 Soldaten; bei Remedios in Zentralkuba wurde eine weitere Basis für IRBM´s mit Abschussrampen, zwei Kontrollbunker und eine Zeltstadt entdeckt.

Da die Auswertung länger dauerte als in heutiger Zeit, wurde der Sonderberater des Präsidenten erst am 15.Oktober über die neuen Erkenntnisse informiert. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. McGeorge Bundy organisierte sofort das erste Treffen des Exekutiv-Komitees des Nationalen Verteidigungsrates (ExComm.) gegen elf Uhr am 16.Oktober. Die Geschwindigkeit der Einberufung des ExComm. und das späte Informieren des Präsidenten wird von den Autoren sehr unterschiedlich bewertet. Während Greiner den zügigen Ablauf lobt, kritisieren Daniel und Hubbell McGeorge Bundy scharf. Die beiden Autoren titulieren in der Folge Robert Kennedy jedoch auch als „Generalstaatsanwalt“, so dass hier von politischer Abneigung gegen die Regierung der amerikanischen Autoren ausgegangen werden muss.[50]

Das erste Treffen liefert für diese Arbeit kaum entscheidende Erkenntnisse. Der Präsident und seine Berater wurden von John McCone, dem CIA-Chef, über die Anlagen auf Kuba informiert. Die Diskussion in Bezug auf das weitere Vorgehen begann unmittelbar. Die Stationierung von sowjetischen Raketen musste auf jeden Fall gestoppt werden, notfalls mit Krieg.[51] Dabei sprachen vier Gründe gegen die Raketen auf Kuba: die Hierarchie im internationalen Machtgefüge musste erhalten bleiben, die innenpolitischen Gesichtspunkte in Bezug auf die anstehenden Wahlen, der eigene Einfluss in der Dritten Welt und die mögliche Stabilisierung der Regierung Fidel Castros.

Die Bewertung der sowjetischen Raketen teilte sich in zwei Richtungen. Das Außenministerium vertrat zum einen die These, dass es sich bei der Operation auf Kuba um einen „linken Haken“ Chruschtschows handelte, um eine Lösung für Westberlin zu erzwingen. Auf der anderen Seite ging der militärische Teil davon aus, dass es sich in Bezug auf Berlin um die Ablenkung handelte, während auf Kuba das nukleare Gleichgewicht hergestellt werden sollte.[52]

Dabei waren sowohl der Präsident und als auch der Verteidigungsminister der Meinung, es habe keine Verschiebung der militär-strategischen Verhältnisse gegeben. Es handele sich vielmehr um ein macht-psychologisches Problem, was auch Rusk und Bundy unterstrichen.

Daniel und Hubbell widersprechen dieser Einschätzung. Sie liefern dafür vier Gründe, die belegen sollen, dass die Stationierung sehr wohl strategische Folgen hatte. Zunächst seien die Raketen auf Kuba aufgrund ihrer Reichweite wesentlich billiger als die Interkontinentalraketen. Zweitens seien die Mittelstreckenraketen wesentlich zielgenauer. Des Weiteren bedrohten die Raketen auf Kuba nicht nur Ziele in den USA, sondern auch in Mittel- und Südamerika, an denen die USA ein großes Interesse hatten.[53] Als Beispiel sei der Panama-Kanal genannt. Als abschließender Grund ist die reduzierte Vorwarnzeit zu nennen, welche das Strategische Luftkommando nutzlos mache.[54] Woher die Autoren ihre Informationen über die letzte Einschätzung beziehen und um wie viel sich die Vorwarnzeit reduzieren würde, lassen die Autoren offen.

Die Literatur sieht in ihrer Einschätzung durchschnittlich sechs Eröffnungszüge, die die Regierung Kennedy einschlagen könnte. Erstens könnte man nichts tun, da sich laut Meinung des Präsidenten die Verhältnisse kaum gewandelt hatten. Die Masse der Stationierungen und der Einfluss der militärischen Berater auf Kennedy lässt diese Option jedoch als utopisch erscheinen. Zweitens konnte man unterhalb der offiziellen Beziehungen Kontakt zur Sowjetunion aufnehmen, um privat bei Chruschtschow zu protestieren. Drittens könnte man die Sowjetunion und Kuba vor dem UN-Sicherheitsrat anklagen, was aber am sowjetischen Veto scheitern würde, so dass man auf das Wohlwollen der Vollversammlung angewiesen wäre. Viertens könnte man Kuba blockieren, was natürlich der Handlungsfreiheit der USA entgegenlaufen würde. Schließlich würde es sich um eine offensive anklagbare Strategie handeln. Fünftens konnte man Kuba überraschend angreifen und hoffen alle Raketen und Stellungen zu vernichten. Sechstens könnte man eine Invasion auf Kuba starten, die allerdings eine gewisse Vorlaufzeit benötigen würde, für die kaum Zeit zur Verfügung zu stehen schien.[55]

Der Präsident schien auf der ersten Sitzung des ExComm. sehr nervös zu sein. Dies zeigt sich an ständigen Unterbrechungen der CIA-Experten Arthur Lundahl und Sidney Graybeal während ihres Vortrag.[56] Die Treffen des ExComm. im Weißen Haus liefen zumeist streng geheim ab. Auch Sitzungen im Außenministerium wurden mit äußerster Sorgfalt durchgeführt.

Als am 18. Oktober der sowjetische Außenminister Gromyko zu Besuch nach Washington kam, wurden alle Dienstwagen vor den Gebäuden entfernt, um nicht den Anschein zu erwecken, etwas Ungewöhnliches sei im Gange. Gromyko bemerkte nichts von den Treffen. So traf er zwei Stockwerke über dem ExComm. mit dem Präsidenten zusammen und stritt jede Existenz von Raketen auf Kuba ab. Der wütende Präsident wollte sich nicht auf die Gipfeldiplomatie einlassen, die offenbar seit dem Wiener Treffen eingeschlagen worden war und klärte Gromyko nicht über den aktuellen Stand der eigenen Erkenntnisse auf. Gromyko hingegen war nach Washington gereist, um die Kenntnisse und die Entschlossenheit der USA abzuschätzen, kam jedoch zu einem falschen Ergebnis.[57]

Der Präsident verlas erneut seine Stellungnahme zu den offensiven Waffen vom 4.September, woraufhin Gromyko dieses als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas verurteilte. Darüber hinaus kritisierte der Minister das Handelsembargo gegen kubanische Produkte und warnte vor einer Invasion auf der Insel. In einem solchen Fall würden die Sowjets dem Verbündeten zu Hilfe eilen.

Am 20.Oktober wurden zum ersten Mal die Jupiter-Raketen als mögliches Tauschangebot von Adlai Stevenson in die Diskussion gebracht. Das ExComm, insbesondere die „Falken“, lehnte eine solche Option jedoch strikt ab. Ein abgestuft-flexibles Modell, das eine Möglichkeit zur Entspannung im Ost-West-Konflikt hätte sein können, wurde nicht in Betracht gezogen.

Am 20.Oktober wurde im Weißen Haus die erste Entscheidung getroffen. Nach langen Diskussionen zwischen den Hardlinern und den liberaleren Kräften wurde die Seeblockade durchgesetzt. Diese wurde als „Quarantäne“ tituliert, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man verstoße gegen internationales Seerecht. Die Blockade, die Kennedy am 22.Oktober in seiner Fernsehrede ankündigte, wurde von vielen Verbündeten der USA nicht begrüßt. Großbritannien glaubte den Sowjets damit einen Anlass zu geben, Westberlin einzunehmen.[58]

Bemerkenswert ist der Umstand, dass Radio Moskau von dieser Rede nichts erwähnte. Man verkündete, dass sich in der Welt nichts tue und dass das Telex stillstehe. Chruschtschow hingegen behauptet, dass die sowjetische Bevölkerung jederzeit in vollem Unfang über die Situation informiert war.[59]

Die Lage hatte sich zugespitzt. Am 22.Oktober war jeder achte B-52-Bomber über den Vereinigten Staaten mit Atom- und Wasserstoffbomben beladen in der Luft. Das strategische Luftkommando ging erstmals seit 1945 auf „Defense Condition 2“, welche die höchste Alarmstufe vor dem Einsatz ist. Erst nach dem Angriffsbefehl würde auf „Defense Condition 1“ geschaltet werden. In seiner Rede gegen 19 Uhr kündigte Kennedy die Blockade Kubas an, setzte jede von Kuba abgefeuerte Rakete mit einem Angriff der Sowjetunion auf die Vereinigten Staaten gleich und appellierte an Chruschtschow, einen dritten Weltkrieg zu verhidnern.[60]

Kennedy hatte die Sowjetunion mit der Zusammenschaltung der Medien der ganzen Welt in Zugzwang gebracht. Diese sah sich jedoch nicht unter Druck, sondern konterte, dass die Blockade Schritt zu einem weltweiten thermonuklearen Krieg sei.

Chruschtschow hatte die Ernsthaftigkeit der amerikanischen Drohung offenbar erkannt, als er am 24.Oktober 14 von 22 sowjetischen Frachtern befahl in die Sowjetunion zurückzufahren. Er wollte sich aber anscheinend noch nicht geschlagen geben und ließ die Frachter „Komiles“ und „Gagarin“ weiter in Richtung des Blockaderinges laufen. Zwischen den beiden Tankern befand sich ein U-Boot zu deren Schutz. Erst in letzter Sekunde drehten die Frachter, sowie das U-Boot bei und schlossen sich den anderen Schiffen für die Rückfahrt an. Parallel bereiteten sich sowjetische Truppen, für den Fall einer Eskalation in der Karibik, auf die Einnahme Berlins vor. Sowohl im ExComm. als auch in den US-Streitkräften war die Stimmung gespannt. Ein U-2-Aufklärer war in sowjetischen Luftraum eingedrungen, da man offenbar vergessen hatte den Kommodore über die Situation zu informieren.

Am 25.Oktober 1962 erhielt Chruschtschow einen unzutreffenden Geheimdienstbericht, in dem stand, die Amerikaner wollten in naher Zukunft eine Invasion auf Kuba starten. Am folgenden Tag sandte er einen Brief an Kennedy, in dem er den Abzug der Raketen anbot, wenn die USA erklärten, keine Gewalt gegen Kuba anzuwenden, oder einen Verbündeten damit zu beauftragen, die Regierung Castro zu stürzen. Das ExComm. stritt heftig über die Authentie des Briefes. Kennedy war überzeugt, dass Chruschtschow ihn selbst verfasst hatte, was auch der Stallvertreter Chruschtschows Anastas Mikojan rückblickend bestätigte.[61] Am 27.Oktober folgte jedoch eine Nachricht über Radio Moskau, die dem ersten Brief widersprach. Hierin wurde der Tausch der Kuba-Raketen mit den Jupiterraketen der Türkei gefordert.

Die Reaktionen im ExComm. gerieten in Wallung. Man spekulierte, ob Chruschtschow eventuell abgesetzt worden sei und wer nun am anderen Ende „den Finger auf dem Knopf hatte“. Es musste gehandelt werden und dabei war es von Vorteil den Ball wieder in die Hände Moskaus zu spielen, um diese zum nächsten Zug zu zwingen, indem man den sofortigen Baustop der Arbeiten an den Stellungen forderte. Dies geschah auch etwa zwei Stunden nach Veröffentlichung des zweiten Briefes.

Die folgenden Reaktionen sind bemerkenswert. Der sowjetische Unterhändler Fomin erklärte, dass der erste Brief von Chruschtschow gewesen sei und dieser auf eine schnelle Antwort Washingtons gewartet hätte, während sich das ExComm. über die Authentie heiß redete. Man sei aber nach wie vor mit dem schlichten Gewaltverzicht gegenüber Kuba einverstanden. Der sowjetische UNO-Botschafter Zorin hingegen stellte fest, dass der zweite Brief der re­le­van­te sei und der Erste nur dazu gedient habe, die Linie der UdSSR abzustecken.[62]

Die USA entschieden den ersten Brief zu beantworten und den zweiten zu ignorieren. Dieser als „Trollope-Trick“ bekannt gewordene Schachzug, der auf den viktorianischen Schriftsteller Anthony Trollope zurückgeht, sollte die unklare sowjetische Position unter minimalen Zugeständnissen klären.

Während die Krise hier schon fast vorbei war, kam es zu einem Zwischenfall, der am 27.Oktober erneut fast zur Eskalation führte: ein U-2-Aufklärer wurde über Kuba abgeschossen. Die Hintergründe dieses Abschusses scheinen unklar. Die Theorien reichen von fehlgeschlagenen sowjetischen Kommandostrukturen bis hin zu einem Angriff von Soldaten der „Operation Mongoose“, die ohne Wissen Kennedys weiter operierten, reichen. Für das ExComm. schien der Fall klar: Kuba musste angegriffen werden, nachdem man die UdSSR informiert hatte, man habe die Jupiter-Raketen entschärft und beginne den Abbau. Eine diplomatische Lösung schien an dieser Stelle nahezu ausgeschlossen. Die USA suchten nicht mehr nach einer Lösung des Raketen-Problems, sondern nach einem Anlass zum Showdown mit dem Kommunismus an sich. Die Sitzung des ExComm. wurde bis 18:30 Uhr unterbrochen.

John F. Kennedy begann nun seine Geheimdiplomatie. Er gab seinem Bruder den Auftrag, mit dem sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin Kontakt aufzunehmen und diesem die amerikanische Position ganz klar aufzuzeigen: wenn sich die Sowjetunion nicht sofort zurückzöge, gebe es den dritten Weltkrieg. Die genauen Einzelheiten der Instruktionen sind bis heute absolut unbekannt. Nachdem Robert Kennedy das Büro verlassen hatte, sollte Dean Rusk außerdem über Andrew Cordier Kontakt zum UNO-Generalsekretär U Thant aufnehmen. Dieser sollte den Vorschlag eines Raketentausches von Seiten der UNO unterbreiten, ohne den Anschein zu erwecken, die USA hätten Thant in irgendeiner Form beeinflusst.[63] Auch von diesen Instruktionen erfuhr die Presse lange nichts.

Das Gespräch, das Robert Kennedy und Anatoli Dobrynin geführt haben war lange sehr umstritten und wird nie aufgeklärt werden. Fest steht, dass Kennedy der Sowjetunion ein Ultimatum setzte. Die folgende ExComm-Sitzung gegen 21 Uhr beschloss so auch, dass Luftangriffe gegen Kuba und die Sowjetunion geflogen würden, wenn Chruschtschow nicht einlenkte.

Es bleibt festzuhalten, dass während dieser gesamten Zeit keine Truppenteile verlegt wurden und dass es keine Maßnahmen außer einer Urlaubssperre gab. Außerdem wurde der sowjetische Kommandeur auf Kuba angewiesen, auf keinen Fall die Atomraketen zu starten.

Das glückliche Ende der Krise sandte am Folgetag Radio Moskau mit folgender Botschaft: „Um den gefährlichen Konflikt schneller zu liquidieren, der Sache des Friedens zu dienen, allen mit Sehnsucht nach dem Frieden erfüllten Völkern mehr Vertrauen zu geben und das Volk Amerikas zu beruhigen, das, dessen bin ich sicher, den Frieden ebenso wünscht wie die Völker der Sowjetunion, hat die sowjetische Regierung in Ergänzung früher ergangener Anweisungen zur Einstellung der weiteren Arbeiten an den Waffenbaustellen, eine neue Anordnung zur Demontage der Waffen, die Sie als Angriffswaffen bezeichnen, zu ihrer Verpackung und Rückführung in die Sowjetunion erlassen.[…]“[64]

4.1. Welche Rolle spielte Kuba?

Bis zur Amtsübernahme der Regierung Fulgencia Batistas durch Fidel Castro und dessen Mitstreiter war ein Guerilla-Krieg auf Kuba geführt worden. Kuba war bis dahin eine Art Kolonie der Vereinigten Staaten, in der amerikanische Firmen billig produzieren konnten.

Im April 1959 erkannte Washington offiziell die neue Regierung in Havanna an. Castro, der auf Kuba geboren wurde, strebte jedoch entgegen der Erwartung Eisenhowers die Abspaltung von den USA an und wollte eine Herauslösung aus dem Abhängigkeitsverhältnis. Auf ihre Beziehungen zu Kuba wollten die Vereinigten Staaten jedoch nicht verzichten und versuchten ihren Einfluss auf die Regierung geltend zu machen.[65]

Zu einer massiven Verschlechterung des bilateralen Verhältnisses kam es am 19.Mai 1959, als Castro ein neues Gesetz erließ, das den Bodenbesitz auf Kuba neu regeln sollte. Von diesem neuen Gesetz war unter anderem die Firma „United Fruits“ betroffen, die ihre Aktien innerhalb von 90 Tagen auf kubanische Staatsangehörige übertragen musste. Der amerikanische Kongress erwog als Gegenmaßnahme die Einfuhrquoten für kubanischen Zucker stark herabzusetzen.

Castro beschimpfte die USA als Ausbeuter. Diese jedoch begannen ihn für Massaker an Anhängern Batistas, das Ausbleiben von freien Wahlen und das Fehlen bürgerlicher Freiheiten zu kritisieren. Castro wollte auf die Unterstützung eines Partners nicht verzichten und wandte sich deshalb der Sowjetunion zu, welche ihm Ende 1959 Finanz-, Militär- und Wirtschaftshilfe anbot, nachdem keine Aussicht bestand, dass sich das Verhältnis Kuba vs. USA in Kürze verbessern würde.[66]

Obwohl am 13.Februar 1960 ein Handelsabkommen zwischen Kuba und der Sowjetunion geschlossen wurde, ging es mit der kubanischen Wirtschaft steil bergab. Die Angestellten in den Fabriken verdienten nur noch etwa ein Drittel des Lohnes, den sie in denselben Fabriken unter amerikanischer Leitung bekommen hatten. Dieser Umstand führte zu einer starken Abwanderungstendenz, so dass im ersten Jahr nach der Revolution etwa 500000 Kubaner ihr Land verließen.[67] Die Aufstellung von X-Jahresplänen, die bereits in anderen Ländern ihre Wirkung verfehlt hatten und die Vetternwirtschaft innerhalb der Regierung steigerten das Vertrauen in das neue Wirtschaftskonzept nicht. Den massivsten Einbruch erlitt die Wirtschaft aber 1960, als Eisenhower im Laufe des Sommers, welcher von den Präsidentschaftswahlen geprägt war, die Quoten für kubanischen Zucker um 95% reduzierte.

Die Verstaatlichung von 382 Firmen bis zum Herbst 1960 und die Verurteilung Kubas im UN-Sicherheitsrat sorgten für die Abberufung des US-Botschafters aus Havanna.[68] Castros Macht festigte sich nach dem Desaster in der Schweinebucht, obwohl er nach der Wahl John F. Kennedys auf eine Entspannung der politischen Lage gehofft hatte. Er kehrte sich Anfang 1962 vollständig von den USA ab und entschloss sich die sowjetischen Raketen auf Kuba zu stationieren. Kuba hatte sich in der Zwischenzeit in zweierlei Weise zu einem Symbol gewandelt. Die lateinamerikanischen Staaten sahen in Kuba ein Beispiel für das Herauslösen aus amerikanischer Unterdrückung und Chruschtschow sah in Kuba immer mehr das Symbol für die Standfestigkeit des Sozialismus und dessen Überlegenheit.

Obwohl die „Operation Mongoose“ auf Kuba operierte und letztlich sogar Spekulationen aufkamen, sie könne für den Abschuss der U2 verantwortlich gewesen sein, steigerte die UdSSR ihre Militärhilfe sprunghaft. Dabei ging das sowjetische Politbüro, wie bereits erwähnt, davon aus, dass sich die USA nicht mit der Regierung Castros abfinden würde. Kuba gelte als Symbol in der Dritten Welt und der Verlust dieser Einflusssphäre wäre ein herber Rückschlag für die eigene Außenpolitik und die Expansion des Sozialismus geworden.[69]

Für Kuba ging es hingegen um wesentlich vitalere Interessen. Unterstützte die Sowjetunion die Verteidigung Kubas nicht durch massive Maßnahmen, würde eine erneute Invasion bald stattfinden. Kuba, in Angst vor einer solchen und ohne wirtschaftlichen Partner, akzeptierte Anfang Juli den sowjetischen Stationierungsplan.

Kennedy steigerte seinen Druck auf Kuba immer mehr und drängte Castro immer weiter in die sowjetischen Arme. Als er 1962 dafür sorgte, dass Kuba aufgrund der Enteignungen 1959 aus der Organisation amerikanischer Staaten ausgeschlossen wurde, gab es kaum noch einen Rückweg.

Als Chruschtschow letztendlich unter amerikanischem Druck die Raketen zurückzog, schien seine Strategie gescheitert. Er weigerte sich sogar den sowjetischen Botschafter zu empfangen[70] und erwog sich auf die chinesische Seite innerhalb des kommunistischen Lagers zu schlagen. Chruschtschow musste erneut handeln. Nachdem er Kuba der amerikanischen Bedrohung entzogen hatte, drohte China der Sowjetunion die Führungsrolle abzulaufen. Er schickte am 2. November 1962 Anastas Mikojan nach Havanna, um Castro davon zu überzeugen, dass die Krise eigentlich ein Erfolg gewesen sei. Castro stellte zahlreiche Forderungen, unter anderem an die USA. Diese unterstützte Chruschtschow: eine Beendigung der Wirtschaftsblockade, Einstellen der subversiven Tätigkeiten auf Kuba, Einstellung der Aufklärungsflüge und die Räumung des Stützpunktes Guantanamo. Keine dieser Forderungen wurde bis heute von den USA erfüllt.

5. Abschlussbetrachtung

Die Kuba-Krise und ihre Entwicklung sind eindeutig als der Höhepunkt des Kalten Krieges zu bezeichnen. Das Gegenüberstehen der Weltmächte und der nahe atomare Krieg schienen fassbar und die totale Vernichtung unausweichlich. Obwohl mit Chruschtschow ein Reformer an der Spitze des Kremls saß und in Kennedy Hoffnungen gesehen wurden den Kalten Krieg zu beenden, schien die Situation zu eskalieren. Nur das rationale und menschliche Denken Kennedys und Chruschtschows haben die Welt davor bewahrt, wegen einer unbedeutenden Insel in der Karibik vernichtet zu werden. Das Prestige-Denken trat letztendlich in den Hintergrund, weil Kennedy nach einer anderen Lösung suchte, als die, die seine Berater ihm aufzeigten. Es hat sich gezeigt, dass die Ideologie der beiden Spitzenpolitiker nicht unterschiedlicher hätte sein können und nur die Frage, wer Kuba an sich binden könnte die Entscheidungen beeinflusste.

Literaturnachweis

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The Cuban Missile Crisis of 1962 – A case in national security crisis management

National Defense University, Washington, D.C., U.S. Government Printing Office, 1978

Wladislaw Subok

Der Kreml im Kalten Krieg – Von 1945 bis zur Kubakrise

Claassen Verlag, Hildesheim, 1997

William James Medland

The american-soviet nuclear confrontation of 1962: An historiographical account of the cuban missile crisis

University Microfilms International A Bell & Howell Information Company, Ann Arbour, Michigan, 1990

Lester H. Brune

The missile crisis of October 1962 – A review of issues and references

Regina Books, Claremont, California, 1985

Peter Rötzel

Kuba – Die Revolution fraß ihre Kinder

Schwarzmarkt Verlag, Hamburg, 2000

James Daniel & John G. Hubbell

Als der Westen schlief…- Die Geschichte der Kubakrise

Schweizerisches Ost-Institut, Bern, 1963

Ernst-Otto Czempiel & Carl-Christoph Scheitzer

Weltpolitik der USA – Einführung und Dokumente

Leske + Budrich, Leverkusen, 1984

Bernd Greiner

Kuba-Krise

Delphi Politik, Nördlingen, 1988

Kurt R. Spillmann

Die Kubakrise von 1962 – Geschichtliche, politische und strategische Hintergründe

Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse, ETH-Zentrum, Zürich, 1987

Ernest R. May & Phillip D. Zelikow

The Kennedy tapes – Inside the White House during the missile crisis

The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts and London, 1997

Strobe Talbott (Hrsg.)

Chruschtschow erinnert sich

Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1971

(Die Originalausgabe erschien 1990 unter dem Titel „Krushchev on Krushchev. An Inside Account of the Man and his Era“ bei Little, Brown & Co, Boston)

William Taubman (Hrsg.)

Nikita Chruschtschow – Marionette des KGB oder Vater der Perestroika

C. Bertelsmann Verlag, 1.Auflage, München, 1991

Volker Skierka

Fidel Castro

Kindler Verlag GmbH, 2.Auflage, Berlin, 2001

Dtv-Atlas Weltgeschichte

Band 2 Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart

Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 31.Auflage, 1997

[...]


[1] Vgl. Bernd Greiner, Kuba-Krise, Delphi Politik, Nördlingen, 1988, passim.

[2] Siehe Anhang, Abb.1.

[3] Vgl. Wladislaw Subok, Der Kreml im Kalten Krieg – Von 1945 bis zur Kubakrise, Claassen Verlag, Hildesheim, 1997, S. 333.

[4] Vgl. Ebenda, S. 334.

[5] Ebenda, S. 334.

[6] Wladislaw Subok, S. 335.

[7] Vgl. Bernd Greiner, Kuba-Krise, Delphi Politik, Nördlingen, 1988, S. 22f.

[8] Vgl. Ebenda, S. 22.

[9] Strobe Talbott (Hrsg.), Chruschtschow erinnert sich, Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1971, S. 498.

[10] Vgl. Ebenda, S. 498.

[11] Vgl. Ebenda, S. 500.

[12] Siehe Anhang, Abb.2.

[13] Vgl. Strobe Talbott, S. 504.

[14] Vgl. Bernd Greiner, S. 14.

[15] Vgl. Wladislaw Subok, S. 336.

[16] Siehe Anhang, Abb.3.

[17] Vgl. Peter Rötzel, Kuba – Die Revolution fraß ihre Kinder, Schwarzmarkt Verlag, Hamburg, 2000, S. 46ff.

[18] Wladislaw Subok, S. 339.

[19] Siehe Anhang, Abb.4.

[20] Vgl. Wladislaw Subok, S. 341ff.

[21] Ebenda, S. 341.

[22] Vgl. Ebenda, S. 343.

[23] Ebenda, S. 344.

[24] Vgl. Strobe Talbott, S. 497ff.

[25] Vgl. Ebenda, S. 488ff.

[26] Ebenda, S. 492.

[27] Ebenda, S. 493.

[28] Vgl. Peter Rötzel, S. 63.

[29] Vgl. Wladislaw Subok, S. 363f.

[30] Kurt R. Spillmann, Die Kubakrise von 1962 – Geschichtliche, politische und strategische Hintergründe, Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse, ETH-Zentrum, Zürich, 1987, S. 15f.

[31] Vgl. Strobe Talbott, S. 496.

[32] Vgl. Ebenda, S. 500.

[33] Ebenda.

[34] Siehe Anhang, Abb.6.

[35] Vgl. Bernd Greiner, S. 14.

[36] James Daniel & John G. Hubbell, Als der Westen schlief…- Die Geschichte der Kubakrise, Schweizerisches Ost-Institut, Bern, 1963, S. 7f.

[37] Vgl. Bernd Greiner, S. 24.

[38] Vgl. Bernd Greiner, S. 25 und Daniel & Hubbell, S.9.

[39] Vgl. Bernd Greiner, S. 25.

[40] Surface to Air missiles.

[41] Vgl. Daniel & Hubbell, S. 12.

[42] Daniel & Hubbell, S. 12.

[43] Vgl. Bernd Greiner, S. 27f.

[44] Vgl. Daniel & Hubbell, S. 13.

[45] Vgl. Bernd Greiner, S. 27ff.

[46] Bernd Greiner, S. 29ff.

[47] Vgl. Bernd Greiner, S. 94 und Daniel & Hubbell, S.6.

[48] Vgl. Wladislaw Subok, S. 369.

[49] Vgl. Daniel & Hubbell, S. 14f.

[50] Vgl. Bernd Greiner, S. 38 und Daniel & Hubbell, S.29 + 31.

[51] Vgl. Wladislaw Subok, 363.

[52] Daniel & Hubbell, S. 36.

[53] siehe Anhang, Abb.5.

[54] Vgl. Daniel & Hubbell, S. 38f.

[55] Vgl. Ebenda, S. 44f.

[56] Ernest R. May & Phillip D. Zelikow, The Kennedy tapes – Inside the White House during the missile crisis, The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts and London, 1997, S. 47ff.

[57] Vgl. Bernd Greiner, S. 65.

[58] Vgl. Ebenda, S. 72.

[59] Vgl. Bernd Greiner, S. 94 und Strobe Talbott, S. 496.

[60] Vgl. Peter Rötzel, S. 68.

[61] Vgl. Bernd Greiner, S. 107.

[62] Vgl. Bernd Greiner, S. 128.

[63] Vgl. Bernd Greiner, S. 145.

[64] Peter Rötzel, S. 71f.

[65] Vgl. Kurt R. Spillmann, S. 11.

[66] Vgl. Ebenda, S. 12.

[67] Vgl. Peter Rötzel, S. 59.

[68] Vgl. Kurt R. Spillmann, S. 14.

[69] Vgl. Kapitel 2.3. Abschnitt „Chruschtschow“.

[70] Vgl. Strobe Talbott, S. 500.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die Eskalation des Ost-West-Konflikts in der Kuba-Krise
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
Veranstaltung
Ost-West-Konflikt 2
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
28
Katalognummer
V107562
ISBN (eBook)
9783640058198
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eskalation, Ost-West-Konflikts, Kuba-Krise, Ost-West-Konflikt
Arbeit zitieren
Claas Wowries (Autor:in), 2002, Die Eskalation des Ost-West-Konflikts in der Kuba-Krise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107562

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