Die Normalität der Politischen Korruption

Das Beispiel Leuna/Minol


Doktorarbeit / Dissertation, 2002

288 Seiten, Note: cum laude

Thomas Wieczorek, Dr. (Autor:in)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung
1. Untersuchungsgegenstand
1.1. Die Relevanz des Themas „Politische Korruption“
1.2. Forschungsstand
1.3. Die Relevanz der Neuen Politischen Ökonomie
1.4. Das Beispiel Leuna/Minol
1.5. Abgrenzung des Themas
1.6. Die Hypothesen
2. Methodisches
2.1. Untersuchungsmethode
2.2. Vorgehensweise und Materialauswahl
2.3. Das Allgemeine und das Historisch-Konkrete der Korruption
3. Gliederung

TEIL A: Zur Methode der Korruptionsanalyse
1. Ansätze zur Erklärung des Verhältnisses von Politik und Ökonomie
1.1. Marxsche Politische Ökonomie
1.2. Wohlfahrtsökonomik und Eigennutzaxiom
1.3. Neue Politische Ökonomie/Institutionenökonomik
1.4. Interessenidentität von Kapital und Gesellschaft
2. Klärung des Begriffs der Korruption
2.1. Die Verhältnisse der Korruptionsbeteiligten untereinander
2.1.1. Das Grundmodell des korrupten Tausches
2.1.1.1. Das Grundmodell
2.1.1.2. Die Grenzen des Modells
2.1.2. Der Begriff der „Beeinflussung“
2.1.3. Die Zeitnähe als Problem des Korruptionsnachweises
2.1.4. Die Umdeklarierung der korrupten Leistung
2.1.5. Der subjektive Faktor als Antikorruptions-Argument
2.1.6. Das Problem der Geheimhaltung
2.1.7. Die unterlassene Handlung als korrupte Leistung
2.1.7.1. Die unterlassene Handlung des Agenten
2.1.7.2. Die unterlassene Leistung des Klienten
2.1.8. Der erzwungene korrupte Tausch (Erpressung)
2.1.8.1. Der erpresste Klient – erzwungenes Schmiergeld
2.1.8.2. Der erpresste Agent – erzwungene korrupte Leistung
2.1.9. Der korrupte Kauf selbstverständlicher Leistungen
2.1.10. Das Problem der Legalität
2.2. Die korrupte Leistung des Agenten
2.2.1. Kauf oder Verkauf zu falschem Wert
2.2.2. Korrupter Tausch bei mehreren Interessenten
2.2.3. Willkürlicher Kauf oder Verkauf
2.2.4. Die Initiierung des Tauschgeschäfts als korrupte Leistung
2.3. Die korrupte Leistung des Klienten
2.3.1. Direkter materieller Bestechungslohn
2.3.1.1. Geld
2.3.1.2. Bezahlung nur scheinbar erbrachter Leistungen
2.3.1.3. Sachwerte
2.3.1.4. Geldwerte Leistungen
2.3.2. Indirekter materieller Bestechungslohn
2.3.3. Immaterieller Bestechungslohn
2.4. Die pauschale Bestechung des Agenten
2.5. Kickback

TEIL B: Der korrupte Eingriff in den Staat
1. Der korrupte Eingriff in die Politik
1.1. Der Agent: Parteien und Politiker
1.1.1. Der Politiker als „homo oeconomicus“
1.1.2 Die Partei als Egoistenverein
1.1.3 Die Grenzen des Eigennutz-Axioms
1.1.4 Der Eigennutz der Regierung
1.2. Das Verhältnis des Agenten zum Prinzipal
1.2.1. Die Klassifizierung der Verträge des Agenten
1.2.1.1. Die Verfassung
1.2.1.2. Das „ganze Volk“
1.2.1.3. Das Gemeinwohl
1.2.1.4. Der Wähler
1.2.1.5. Der Regierungschef bzw. die Regierung
1.2.1.6. Parteispitze, Fraktionsspitze und Fraktion
1.2.1.7. Die Parteibasis
1.2.1.8. Die vier Loyalitäten
1.2.2. Die Leistung des Prinzipal an den Agenten
1.2.2.1. Diäten
1.2.2.2. Parteienfinanzierung durch den Staat
1.3. Das Verhältnis des Agenten zum Klienten
1.3.1. Die Identifizierung des Klienten
1.3.2. Die Leistung des Klienten
1.3.2.1. Unterstützung von Gruppen: Die Parteispenden
1.3.2.2. Gezielte Unterstützung von Personen
1.3.2.2.1. Materielle Leistungen des Klienten: Sachwerte und Geld
1.3.2.2.2. Karriereförderung
1.3.2.2.3. Die Chance zur Selbstbereicherung
1.3.3. Die Leistung des Agenten: Spezielle korrupte Leistungen der Politik
1.3.3.1. Gewährung direkter finanzieller Vorteile
1.3.3.2. Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. Privatisierung
1.3.3.3. Immaterielle bzw. mittelbar finanzielle Leistungen
1.3.3.4. Leistungen für die gesamte Wirtschaft
1.3.4. Der Agent als Klient
1.3.5. Die juristische Autonomie der Agenten
2. Der korrupte Eingriff in die Justiz
2.1. Das Objekt der Bestechung - der Agent
2.2. Das Subjekt der Bestechung – der Klient
2.3. Der Gegenstand der Bestechung – die korrupte Leistung
2.4. Methoden der Bestechung – die korrupte Gegenleistung
3. Die Bewertung des korrupten Eingriffs in den Staat
3.1. Die Folgen des korrupten Eingriffs in den Staat
3.2. Die Bewertung durch die Institutionenökonomik
3.3. Der Ansatz der Marxschen Politischen Ökonomie
4. Erscheinungsformen und Merkmale staatlicher Korruption
5. Zusammenfassung der Teile A und B

TEIL C: Der Verkauf von Leuna/Minol an Elf-Aquitaine
1. Die Ausgangslage
1.1. Variante 1: Ein vorbildliches Geschäft zum Nutzen beider
1.2. Variante 2: Kohl als Agent des Klienten Deutschland
1.3. Variante 3: Elf als Klient - Leuna-Geschäft und Subventionen als Paket
1.4. Variante 4: Die isolierte Betrachtung der Geldströme
1.5. Schlussfolgerung
2. Der Klient Elf
2.1. Das Verhältnis von Elf-Aquitaine zu Staat und Politik
2.1.1. Was wussten Kohl und Mitterand?
2.1.2. Korruption als Unternehmensstrategie: Loik Le Floch-Prigent
2.2. Was wollte/erhielt Elf?
2.2.1. Chronik der Privatisierung von Leuna-Raffinerie und Minolkette
2.2.2. Das Geschäft als solches
2.2.3. Die „Goldgrube“ Minol AG
2.2.4. Die Subventionen
2.3. Die Elf-Agenten und ihre Methoden
2.3.1. Der Untersuchungsbericht der Generalstaatsanwaltschaft Genf
2.3.1.1. Bericht I: Die Strafanzeigen von Elf Aquitaine
2.3.1.2. Bericht II: Ermittlungen zur Geldwäsche
2.3.1.3. Bericht III (Tipps an die deutschen Kollegen)
2.3.1.4. Wertung
2.3.2. Das Elf-Agententeam? (Das „System Elf“)
2.3.2.1 Der „Überzeuger“? Alfred Sirven
2.3.2.2 Der Organisator? Hubert Le Blanc-Bellevaux
2.3.2.3 Der „Strohmann“? André Guelfi
2.3.2.4 Die „Nahtstelle“: Pierre Lethier
2.3.3. Das deutsche Team
2.3.3.1. Die „personifizierte Marktwirtschaft“: Dieter Holzer
2.3.3.1.1. Die Person Holzer
2.3.3.1.2. Holzers Auftraggeber in Sachen Leuna/Minol
2.3.3.1.3. Holzers Geschäfte Die Firma Delta International
2.3.3.1.4. Holzers Honorar
2.3.3.1.5. Holzers Leistung
2.3.3.1.6. Holzers „Überredungskünste“
2.3.3.1.7. Holzers Glaubwürdigkeit und die Glaubwürdigkeit der Politik
2.3.3.2. „Doppelagent“ und „Geldbote“: Walther Leisler Kiep
2.3.3.3. „Phantom“ und „Universalgenie“? Ludwig Holger Pfahls
2.3.3.4. „Beraterin“ oder „Geldbotin“? Agnes Hür­land-Büning
2.3.3.5. „Ungewöhnliche Maßnahme“ in Person: Hans Friderichs
2.3.3.6. Lobbyist. Ideologe und Ausbilder: Karlheinz Schreiber
2.3.3.7. Die deutsche Antwort auf Elf Aquitaine: Thyssen
2.3.4. Fazit aus 2.3
2.3.4.1. Sinn und Motiv der Zusammenarbeit Elf – Thyssen
2.3.4.1.1. Wozu brauchte Elf den Thyssen-Konzern?
2.3.4.1.2. Warum hat Thyssen überhaupt mitgemacht?
2.3.4.1.3. Wozu brauchte man das „Überredungs-Management?“
2.3.4.2. Der Schmiergeldfluss
3. Der Agent Kohl
3.1. Das „System Kohl“
3.2. Helmut Kohls Kassen
3.3. Was erhielt Kohl von der französischen Seite?
3.4. Helmut Kohls Gegenleistung
3.5. Helmut Kohls Helfer
3.5.1. Die Treuhandanstalt
3.5.1.1. Geschichte der Treuhandanstalt
3.5.1.2. Die Überzeugungstäterin? Birgit Breuel
3.5.1.3. Der „Drahtzieher“? Klaus Schucht
3.5.1.4. Fazit aus 3.5.1
3.5.2. „Helfershelfer“ und „Mann fürs Grobe“? Friedrich Bohl
3.5.3. „Helfershelfer“ aus Überzeugung? Johannes Ludewig
4. Der „Sand im Getriebe“: Wozu musste wer wie „überzeugt“ werden?
4.1. Der Gralshüter des Wettbewerbs? Das Bundes-Kartellamt
4.2. Der Sachwalter des Mittelstandes? Günther Krause
4.3. Der Sachwalter Sachsen-Anhalts? Werner Münch
4.4. Der Zögernde Sachwalter Thüringens? Bernhard Vogel
4.5. Die „Verdächtigte Randfigur“? Gerhard Schröder
5. Zusammenfassung des Teils C

TEIL D: DER KAMPF GEGEN DIE KORRUPTION
1. Die Untersuchung des Leuna/Minol-Geschäfts
1.1. Die Untersuchung durch die Justiz
1.1.1 Die Gesetze
1.1.1.1. Das Individualstrafrecht
1.1.1.1.1. Verfassungsrecht
1.1.1.1.2. Strafrecht
1.1.1.1.3. Die Wiedereinführung des Delikts „Abgeordnetenbestechung“ 152
1.1.1.2. Das Fehlen des Unternehmensstrafrechts
1.1.2. Die Anwendung der Gesetze
1.1.2.1. Die Aktenvernichtung (Der Sonderermittler Burghard Hirsch)
1.1.2.2. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften
1.1.2.2.1. Dienst nach Vorschrift
1.1.2.2.2. Keine Ermittlungen wegen Kohls anonymer Spender
1.1.2.3. Der Abschlussbericht der Bundesanwaltschaft
1.1.2.4. Sanktionen gegen die Aufklärer
1.1.3. Der korrupte Eingriff in die Justiz
1.1.3.1. Die Gesetze zur Richterbestechung
1.1.3.2. Justizbehinderungen
1.1.3.2.1. Korrupte Eingriffe in die Justiz
1.1.3.2.2. Die „simple“ Behinderung der Ermittlungen
1.1.3.3. Fazit aus 1.1.3
1.2. Die Aufklärung durch die Erste Gewalt: Die Untersuchungsausschüsse
1.2.1. Die gesetzlichen Grundlagen
1.2.2. Der Untersuchungsausschuss „Treuhand“
1.2.2.1. Der Untersuchungsauftrag
1.2.2.2. Die Aktenverweigerung
1.2.2.3. Der Abschlussbericht der Ausschussmehrheit
1.2.2.4. Das Minderheitenvotum der SPD
1.2.2.5. Abweichender Bericht der PDS/Linke Liste
1.2.2.6. Fazit aus 1.2.2
1.2.3. Der Untersuchungsausschuss „DDR-Vermögen“
1.2.3.1. Der Untersuchungsauftrag
1.2.3.2. Die Aktenverweigerung
1.2.3.3. Der Abschlussbericht der Ausschussmehrheit
1.2.3.4. Bewertung durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen
1.2.3.5. Abweichender Bericht der PDS
1.2.3.6. Fazit aus 1.2.3
1.2.4. Der Untersuchungsausschuss „Parteispenden“
1.2.4.1. Der Untersuchungsauftrag
1.2.4.2. Der reguläre Ablauf der Ausschussarbeit
1.2.4.2.1. Aktenvernichtung
1.2.4.2.2. Aktenverweigerung: Die Stasi-Unterlagen
1.2.4.2.3. Aktenverweigerung durch die neue Regierung
1.2.4.2.4. Manipulation (Zeugenabsprachen)
1.2.4.2.5. Fazit von 1.2.4.2
1.2.4.3. Aussagen
1.2.4.3.1. Verweigerung der Aussage oder des Eides
1.2.4.3.1.1. Aussageverweigerung wegen anderer Strafverfahren
1.2.4.3.1.2. Eidverweigerung
1.2.4.3.2. Wirkliche Aussagen - Aussagen als Selbstrechtfertigung
1.2.4.3.3. Die französischen Zeugen
1.2.4.3.4. Anwendung der NPÖ am Beispiel Zeugenverneh­mung
1.2.4.4. „Hickhack der Parteien“
1.2.4.4.1. Der konkrete Konkurrenzkampf im Ausschuss
1.2.4.4.2. Das Urteil des BVG zur Ausschussarbeit
1.2.4.5. Die Bewertungen durch die Parteien
1.2.4.5.1. Der Abschlussbericht der Ausschussmehrheit
1.2.4.5.2 Abweichender Bericht der CDU/CSU-Fraktion
1.2.4.5.3. Abweichender Bericht der Fraktion der PDS
1.2.5. Fazit aus 1.2
1.3. Die Aufklärung durch die Zweite Gewalt: Die „Task Force“
1.4. Die eigenständige Aufklärungsarbeit der CDU
1.5. Fazit der Untersuchungen: Korruption im Leuna/Minol-Geschäft?
2. Konsequenzen: Neue Gesetze und Vorschläge gegen Korruption
2.1. Das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 26. Juli 1997
2.2. Parteien und Kommissionen
2.2.1. Die Rau-Kommission
2.3. Die Vorschläge von Transparency International
2.3.1. Die Forderungen im Vergleich mit denen anderer Parteien
2.3.1.1. Höhe der Spenden
2.3.1.2. Veröffentlichungspflicht (im Rechenschaftsbericht)
2.3.1.3. Sanktionen
2.3.1.4. Kontrolle
2.3.2. Verbot nachträglicher Einflussspenden
2.3.3. Sachspenden
2.3.4. Parteinahe Organisationen
2.3.5. Ehrenkodex für Mandatsträger
2.4. Die Novellierung des Parteiengesetzes am 19.04.2002
2.4.1. Der Anlass
2.4.2. Das Gesetz
2.4.3. Beurteilung durch Wissenschaft und Medien
2.4.3.1. „Besser als nichts“
2.4.3.2. Keine Erschwernis für Korruption
2.4.3.3. Kontrolllücke
2.4.3.4. Keine Riegel gegen Abhängigkeit zwischen Politik und Wirtschaft
2.4.3.5. Legale (Dauer)-Bestechung möglich
2.4.3.6. Illegale Barspenden nicht strafbar
2.4.3.7. Keine Änderung der Strukturen
2.4.3.8. Systemgrenze Verfassung
2.4.4. Fazit von 2.4

TEIL E: Aus der Theorie abgeleitete Vorschläge
1. Die Vorschläge der Institutionenökonomik
1.1. Überprüfung von Überregulierung und Bürokratie („Anreize“)
1.2. Legalisierung („Anreize“)
1.3. Überzeugung („Informationen“)
1.4. Strafen
1.5. Symbolische Politik zur Verteidigung korrupter Strukturen („Anreize“)
1.6. Kontrollen („Negative Anreize“)
1.7. Wertung
2. Der ethisch motivierte Ansatz
3. Die Position der Marxschen Politischen Ökonomie
3.1. Vorschläge
3.1.1. Eindeutige Eingrenzung des Korruptionsdelikts
3.1.2. Zuordnung der Verantwortung
3.1.3. Entwertung der Ausrede Fahrlässigkeit
3.1.4. Hohe Strafen
3.1.5. Scharfe Kontrollen
3.1.6. Längere Verjährungsfristen
3.1.7. Nebeneffekte der vorgeschlagenen Maßnahmen
3.2. Mittel der Durchsetzung und Ziel: „Soziale Ächtung“

TEIL F Zusammenfassende Schlussbemerkungen
1. Bestimmung des Tatbestands „Politische Korruption“
2. Korruption im Leuna/Minol-Geschäft
3. Die Einordnung der Fall Leuna/Minol
4. Die Aufklärung
5. Gesetze und Vorschläge gegen die Korruption
6. Die Brauchbarkeit der Untersuchungsmethode
7. Schwächen und Grenzen der Marxschen Politischen Ökonomie
8. Das Problem der immateriellen Korruption
8.1. Die nichtmaterielle Bezahlung im Einzelfall
8.1.1. Der immaterielle korrupte Lohn
8.1.2. Das Problem des Gemeinwohls
8.2. Korruption als Gesamtpaket – Korruption innerhalb der Politik
9. Konsequenzen

Abkürzungen von Publikationen

Literaturliste

Lebenslauf

EINLEITUNG

1. Untersuchungsgegenstand

1.1. Die Relevanz des Themas „Politische Korruption“

Gegenstand der Arbeit ist die Normalität der Politischen Korruption in der Marktwirt­schaft am Bei­spiel des Verkaufs der Leunawerke und des Minol-Tankstellennetzes an den französischen Staatskonzern Elf Aquitaine durch die Treuhandanstalt im Ja­nuar 1992.

Bis vor kurzem tat sich die Korruptionsforschung zumindest in Deutschland noch relativ schwer: Zwar benennt der Politologe und Korruptionsforscher Ulrich von Alemann be­reits 1989 das Problem und überschrieb einen Aufsatz mit der Feststellung: „Korrup­tion. Ein blinder Fleck in der Politikwissenschaft“.[1]

Andrerseits aber spricht 1992 der Politologe Wolfgang Seibel[2] indi­rekt sogar von einer jahrzehntelangen Korruptionsforschung und einer zentralen Be­deutung in der Politik­wissenschaft: „Dass die staatliche Institutionenord­nung, wie sie in den geschriebenen Verfassungsnormen fixiert ist, durch die Arrange­ments und Inter­essenskoalitionen zwi­schen staatlichen und parastaatlichen, verbandli­chen und Clan-artig organisierten Ak­teuren überlagert, und das heißt: relativiert und partiell außer Kraft gesetzt wird, ist ei­nes der Generalthemen der Politikwissenschaft in den westli­chen Demokratien seit den 1970er Jahren. Erst allmählich aber ist die Er­kenntnis ge­wachsen, dass diese Verflechtungs- und Interaktionsphänomene zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden relativ komplexe mikrostruktu­relle Grund­lagen haben. Zu die­sen mikrostrukturellen Grundlagen zählt unter anderen die jewei­lige Festigkeit, mit der die institutionellen Imperative der Regierungs- und Verwaltungs­strukturen auf der Grundlage einer demokratischen Verfassung durch­gehalten werden können gegenüber informellen Absprachen, Ämterpatronage, außer­parlamentarischen Kompromissen, tauschförmigen Markbeziehungen, Quasi-Korrup­tion usw. usf.“[3]

Aber ebenfalls 1992 beklagte der Verwaltungswissenschaftler und damalige Referent in der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holsteins, Göttrik Wewer, dass Korrupti­onsforschung nicht unbe­dingt gern gesehen sei: „Die Erforschung der Korruption ist methodisch schwierig, praktisch und politisch zumeist heikel und der eignen Karriere nicht unbedingt förder­lich. Dass die ‚Schattenpolitik’[4] eher ein Schattendasein in der hiesi­gen Verwaltungs- und Politikwissenschaft führt und unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet bislang eher bescheiden sind, dürfte auch damit... zu tun haben“.[5]

Auch im öffentli­chen Bewusstsein war Korruption kein vorrangiges Problem. Noch vor nicht einmal einer Generation as­soziierte man beim Reizwort „Korruption“ Begriffe wie „Ba­zar“, „Bananenrepublik“, „Entwicklungsländer“ oder „Südeuropa“. Heute gilt: „Wozu in die Ferne schweifen?“ Bereits nach dem Flick-Skandal, spätestens aber nach der Kohl-Affäre kann das Uralt-Phänomen Korruption – für das bereits die Ägypter, Grie­chen und Römer sogar eigene Vokabeln und Gegenmaßnahmen hatten[6] - weder als volkswirt­schaftlich unerhebliche „Randerscheinung“ heruntergespielt noch als „Zeit­geistphänomen“ beklagt werden.

Man kann sogar sagen, dass die Korruption in Deutschland „von Anfang an mit dabei“ war: „... die Reichsgründung von 1870/71 markiert den Ausgangspunkt dieser Ent­wicklung, in dessen Verlauf das Mittel der Korruption – wenn auch in sehr unterschied­lichem Stil und Ausmaß – zum Begleitphänomen der politischen Kultur Deutschlands in vier verschiedenen Verfassungssystemen wurde. So beginnt die Geschichte der Kor­ruption in der politischen Kultur des deutschen Nationalstaates mit der Bestechung Ludwig II. von Bayern durch Otto von Bismarck. Um König Ludwig II. zu bewegen, dem preußischen König Wilhelm I. die Kaiserkrone anzutragen, sicherte Bismarck dem Bayernkönig jährliche Zuwendungen aus dem berüchtigten Reptilienfonds[7] zu.“[8]

Auch bei der Bundesrepublik Deutschland soll die Korruption zu den „Geburtshelfern“ gehört haben, insbesondere bei der Entscheidung des Bundestages in der Hauptstadt­frage.[9] Bis heute noch nicht entkräftet ist der Vorwurf des damaligen Abgeordneten der Bayerpartei (BP), Hermann Aumer, es seien „insgesamt zwei Millionen DM an Mitglie­der verschiedener Fraktionen gezahlt worden, hauptsächlich an die BP. Etwa hundert Abgeordnete sollen Summen zwischen 1.000 und 20.000 DM erhalten haben, damit sie für Bonn stimmten“[10].

Angesichts der Vielzahl von Kor­ruptionsfällen in nahezu allen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesell­schaft und mit immer neuen Spielarten liegt die Vermutung nahe, dass ohne Korruption die internationale und nationale Volkswirtschaft gar nicht mehr funktionieren und auch nicht funktionieren würde. Für den Verfassungsrechtler und Korruptionsforscher Hans Herbert von Arnim ist Korruption gar „die Seele des Sys­tems“[11]. Bartholomäus Grill sagt in der ZEIT: „Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Korrup­tion zu den größten Entwick­lungshemmnissen zählt. Sie vertieft die Kluft zwischen Armen und Reichen, weil raff­gierige Eliten die öffentlichen Haus­halte ausrauben. Sie verzerrt den Wettbewerb, weil Unternehmen immer größere Summen abzweigen müssen, um Aufträge zu erhalten. Sie unter­höhlt die Demokratie, das Ver­trauen in den Staat, die Legitimität von Re­gie­rungen, die allgemeine Moral. Und: Die Korruption kann Staaten zerrüt­ten.“[12]

Das Thema dieser Arbeit bedarf also kaum einer Begründung: Es drängt sich geradezu auf.

Ausgehend davon, dass die Korruptionsfälle so zahlreich sind , dass sie nicht mehr Einzelfälle schwarzer Schafe aufgefasst werden können, stellen sich zweierlei Fragen:

- Ob und inwieweit das System der Korruption, bei allen unterschiedlichen Erschei­nungsformen und Verästelungen, letztlich in der gegebenen politischen und gesell­schaftlichen Ordnung begründet sind.
- Ob die „Anormalität“ der Korruption nicht in Wahrheit bereits „Normalität“ geworden ist und mithin alle Korruptionswürfe trivial und alle Antikorruptionskonzepte illusionär sind.

Dies soll am Fall Leuna/Minol untersucht werden.

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1.2. Forschungsstand

Eine grundsätzliche (nicht nur politik-)wissenschaftliche Diskus­sion über Politische Kor­ruption in Deutschland – sieht man einmal von den z.T. in dieser Arbeit behandelten spora­dischen Einzel-Analysen und den überwiegend deskriptiven Werken bzw. Bei­trä­gen ab – findet faktisch (noch) nicht statt. Noch im Jahr 2001 stellt von Arnim fest: „In Deutschland ist die Korruptionsforschung... bisher ziemlich rückständig.“[13]

Dies mag zum einen damit zu tun haben, dass es eine einheitliche spezifische Metho­dik der Politikwissenschaft nicht gibt[14], dass anstelle der sogar früher „mit wechselseiti­gen Ex­kommunizierungsdrohungen aus der Wissenschaftsgemeine geführten, wissen­schaftstheoretischen und politischen Kontroversen“[15] die Praxis wechselseitiger „Theorie­anleihen“ trat und seitdem eher die Gefahr bestehe, „dass die Kontroversen ganz unterbleiben, erstickt werden von einer freundlichen, wechselseitigen Indiffe­renz.“[16] Man forschte lange Zeit quasi nebeneinander her und ignoriert sich mehr oder weniger wechselseitig.

Hinzu kommt, dass praktisch erst durch Helmut Kohls Geständnis über die Annahme von Schwarz­geld am 16. Dezember 1999 im ZDF[17] das Thema „Regierungskriminali­tät“ und wie­derum erst im Gefolge davon das Thema „Politische Korruption“ wirklich ins Interesse der Öffentlichkeit gelangte – und auch das nur in Form des Themas „Besto­chene Poli­tiker“. Eine „Entlarvungswelle“ in Gestalt ei­ner in ihrer Gesamtheit kaum noch überschaubare Fülle von empirischem Material in Form von journalisti­scher Lite­ratur und Einzelmeldungen strömte auf den Bürger ein, ohne dass – mit wenigen Aus­nahmen - hinreichende oder überhaupt ir­gendwelche Deutungsmöglichkeiten angebo­ten wurden, vor allem zur Frage, ob es sich um eine „Springflut von Einzeltätern“ oder um zwangsläufige Wesensmerkmale des Kapitalismus handelt. Ein weiterer Grund könnte aber zumindest für marxistische Autoren darin liegen, dass sie die Politische Korruption gar nicht als eigenständiges Problem sehen, sondern die Frage durch die allgemeine Ableitung des Staates als „Instrument der herrschen­den Klasse für ein für alle Mal geklärt“ halten.

Dennoch gibt es durchaus bemerkenswerte Arbeiten und Ansätze, von denen einige für die Untersuchung des Falles Leuna/Minol von besonderer Bedeutung sind.

1992 versuchten z.B. Ulrich von Alemann/Ralf Kleinfeld, die politikwissenschaftliche Korruptionsforschung zu systematisieren.[18] Als Ausgangspunkt dient dabei das Eigen­nutz-Axiom, auf dem auch die Neue Ökonomische Politik bzw. die Institutionenökono­mik[19] basiert: „Verallgemeinernd rückten hierbei Erklärungsmuster in den Mittelpunkt, die von einem individualistisch-rationalistischen (Gewinn-)Kalkül der beteiligten Akteure ausgehen, das dort zum Tragen kommt, wo diesen Akteuren sozial vermittelte Macht- oder andersartige Ressourcen zukommen, die politisches Handeln beeinflussen kön­nen.“[20]

Dabei unterschieden die Autoren zwischen drei grundlegenden Konzeptionen

- Korruption als Rechtsverletzung im Amt zum Zwecke privater Interessendurchsetzung
- Korruption als Konflikt zwischen privater und öffentlicher Moral und Interessen.
- Korruption als tauschförmige Nutzenmaximierung.

Letztere wird aufgefasst als „Austausch ökonomischer gegen politische Belohnun­gen“[21]. Auch von Arnim „stimmt insofern mit dem Ansatz der sogenannten Neuen Politi­schen Ökonomie überein, als die Existenz von Eigeninteressen der Politiker aner­kannt wird“[22].

Er vertritt die These, dass die Amts- und Mandatsträger sui generis eine eigennützige „Politische Klasse“ bilden[23], sieht „ Die Verfassung im Griff des Systems“[24] und plädiert quasi als Allheilmittel für „Direkte Demokratie“.

Peter Eigen vom Antikorruptions-Netzwerk Transparency International Deutschland (TI-D) geht ebenfalls vom Eigennutz aus. Er sieht das Spannungsfeld Eigennutz – Gemeinsinn einerseits als Frage von „Moral und Anstand“, andrerseits aber will er der Ethik durch Transparenz, Kontrollen und Sanktionen nachhelfen.[25]

Der Politologe Hans-Joachim Lauth[26] untersucht besonders „klientelistische Strukturen“ als Erscheinungsformen Politischer Korruption, ohne die auch der Fall Leuna/Minol in dieser Form kaum möglich gewesen wäre.

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1.3. Die Relevanz der Neuen Politischen Ökonomie

Bei der offenkundigen Bedeutung des Ansatzes der NPÖ ver­steht es sich von selbst, dass sich die vorliegende Arbeit auch als exemplarische Auseinandersetzung mit die­sem Ansatz versteht. Er erhebt den An­spruch, sämtliche ge­sellschaftlichen Probleme, also auch das der Korruption, mittels ökono­misch-mathematischer Modelle lösen zu können. Es bietet sich also an, den für die Korrupti­onsanalyse relevanten Teil der NPÖ ausführlich dar­zustellen und sowohl methodologisch als auch in der Praxis der Anwendung auf das Beispiel Leuna/Minol kritisch zu überprüfen, ohne deshalb den Anspruch einer „Gene­ralkritik“ der NPÖ zu erheben. Bei dieser Kritik greife ich auch auf die Marxsche Politische Ökonomie[27] bzw. den Marxismus zurück, ohne letzteren na­türlich erschöpfend beleuchten zu können.

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1.4. Das Beispiel Leuna/Minol

Das Beispiel Leuna/Minol-Geschäft wurde gewählt, weil es einer der spektakulärsten Fälle der deutschen Nachkriegsgeschichte ist, in denen Politikern bzw. der Politik ins­gesamt Be­stechlichkeit vorgeworfen wurde. Dabei besteht das Herausragende nicht nur in dem außeror­dentlichen Interesse der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Bislang einmalig war auch das der Vorwurf der Bestechlichkeit gegen einen zur fragli­chen Zeit amtierenden Regierungs-Chef und Teile seiner Regierung.

Der Skandal löste darüber hinaus auch eine Lawine an Vorschlägen, Initiativen und neuen Ge­setzen bzw. Gesetzesänderungen zum Thema Korruption aus.

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1.5. Abgrenzung des Themas

Nicht oder nicht ausführlich behandelt werden:

a) Die internationale Lage. Zwar ist auch das Leuna/Minol-Geschäft letztlich nur im historischen globalen Kontext zu verstehen, trotzdem muss z.B. auf eine genaue Un­tersuchung der deutsch-französischen Beziehungen verzichtet werden; zumal man auch diese nur vor noch allgemeine­rem Hintergrund klären könnte. Die Darstellung des internationalen Rahmens hat also den Sta­tus unbewiesener, aber auch nicht zu bewei­sender Aussagen – also von Axiomen.
b) Die Rolle der Medien. Nach dem Eigennutz-Axiom stellen auch die Medien und Journalisten ihr eigenes Interesse über die „Wahrheitsfindung“, schreiben also z.B. das, was der Karriere nutzt, nicht was „wahr“ ist.
c) Die genauen parteiinternen bzw. gruppeninternen Widersprüche und Mechanismen. Es wird also nicht das Eigeninteresse jedes einzelnen Entscheidungsträgern er­schöp­fend unter­sucht.
d) Der Begriff des Gemeinwohls selbst. Er dient als Kennzeichnung der Gemein-Inte­ressen in Abgrenzung zu den Teilinteressen z.B. der Regierung, der Parteien, des Re­gierungschefs etc. Nicht problematisiert wird, wer das Gemeinwohl, vor allem bei kon­kreten Entscheidungen über­haupt feststellen will, wieso man gewählten Abgeordnete eher Entscheidungen zum Gemein­wohl zutraut als der Volksmehrheit.
e) Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Neuen Ökonomischen Politik und der Marx­schen Theorieauslegung, sofern dies nicht zur Korruptionsanalyse notwendig ist. Dem Einwand, dass letztlich auch unterschiedliche Korruptionstheorien auf unter­schiedliche Ansätze zurück­zuführen sind, trage ich insoweit Rechnung, dass ich diese Ansätze diskutiere und ihnen the­senhaft widerspreche. Es müssen Fragen ausge­klammert werden, z.B. warum nicht irgendeine globale Situation alles Kapital der Welt dazu zwingen könnte, aus „Einsicht in die Sachzwänge“ die Korruption für immer abzu­schaffen und damit allerdings auch den Kapitalismus.
f) Das Eigennutz-Axiom selbst. Nicht erschöpfend problematisiert wird, dass der Ei­gennutz als subjektive Kategorie analytisch schwer fassbar ist. Bei immateriellem Lohn wie „Prestige“ und Macht“ wird der Nutzen thesenhaft angenommen. Täte man das nicht, und ließe z.B. Argu­mente wie „Macht bedeutet ihm nichts“ oder „Orden sind ihm eher peinlich“ gelten, dann wäre man bald bei dem Einwand „Geld bedeutet mir nichts“ und würde ohne axiomatische Festle­gung dieser Werte als eigennutzfördernde gar keine Korruptionsanalyse durchführen können. Dies ist aber kein Problem der Marx­schen Politischen Ökonomie, sondern der subjektiven Grenznutzenlehre, der die NPÖ ja selbst untreu wird, wenn sie einfach voraussetzt, dass man z.B. ein für alle „rationa­len“ Menschen gleiches, also ein objektives, Verhältnis von Korruptions­neigung und Korruptionslohn berechnen könne.
g) Die Analyse der Folgen der Korruption für den Gebrauchswert. Sie kommt nur inso­weit zur Sprache, als dadurch die Sichtweise der Wohlfahrtstheorie verdeutlicht werden kann.
h) Die Analyse der Bedeutung der Korruption für das Wertgesetz. Einerseits ist sie für diese Ar­beit nicht unbedingt erforderlich; andrerseits basiert die Marxsche Politische Ökonomie darauf, so dass die Frage der Modifikation des Wertgesetzes durch Korrup­tion im Anhang in Thesen­form erläutert wird.

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1.6. Die Hypothesen

Überprüft werden sollen folgende Hypothesen:

+ Korruption - die Beeinflussung Handlungsbevollmächtigter (Agenten) mittels mate­rieller und immaterieller Bestechung - ist in der Marktwirtschaft kein Einzelfall, nicht einmal ein „Aus­wuchs“, sondern von vornherein im System der Marktwirtschaft an­ge­legt. Auch Politische Kor­ruption – die Beeinflussung staatlicher Handlungsbevollmäch­tigter durch Bestechung - ist ein Kennzeichen der Marktwirtschaft.

+ Korruption im Allgemeinen und Politische Korruption im Besonderen erschöpfen sich weder im materiellen Tausch noch im korrupten Einzeltausch (konkrete korrupte Leis­tung gegen kon­kreten korrupten Lohn), Politische Korruption liegt auch dann vor, wenn „die Politik“ ( Politiker, Partei, Gruppe etc.) immateriell oder pauschal davon profitiert, dass sie bestimmte Teilinteres­sen zu Lasten des „Gemeinwohls“ bzw. des „ganzes Volkes“ vertritt bzw. begünstigt.

+ Aus strukturellen Gründen können weder die Politik noch die Justiz eine wirkliche Aufklärung des Leuna/Minol-Geschäfts leisten geschweige denn einen wirksamen Kampf gegen die Kor­ruption führen. Die Politik agiert keinesfalls unabhängig vom Ein­fluss der Ökonomie; vielmehr unterliegt sie auch konkret massiven Einflüssen und Ein­flussversuchen durch die Wirtschaft.

+ Das von der Neuen Politischen Ökonomie entwickelte Korruptionsmodell kann zwar ein durchaus brauchbares Instrument zur Analyse des einzelnen korrupten Tausches sein, das aber wegen seines mikroökonomischen Ausgangspunktes keine Aufschlüsse über die Politi­sche Korruption als Struktur liefern kann.

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2. Methodisches

2.1. Untersuchungsmethode

Die Arbeit verwendet als Untersuchungsmethode die auf dem dialektischen und histo­rischen Materialismus basierende Marxsche Politische Ökonomie. Wichtigste Prämis­sen sind das dia­lektische Verhältnis von Sein und Bewusstsein bei Dominanz des Seins sowie das dialektische Verhältnis von ökonomischer Basis und politisch-juristi­schem Überbau bei Dominanz der Ba­sis.[28] Das bedeutet, dass auch die Phänomene der Korruption, insbesondere der Politischen Kor­ruption aus den Produktionsverhält­nissen zu erklären sind. Ich wähle diese Methode, ob­wohl oder gerade weil die Mög­lichkeit der Anwendung auf die Realität, also des von Marx pos­tulierte Schritts vom Abstrakten zum Konkreten[29], selbst von Marxisten seit jeher bezweifelt[30] oder durch das Verweisen auf die „Klassenkonstellation als Tätigkeitsgrenze“[31] quasi für überflüs­sig erklärt wurde.

Bei der Erprobung der Methode der NPÖ und bei ihrer Kritik mit dem Ansatz der Marx­schen Po­litischen Ökonomie wird sich zeigen, dass nicht alles an einem „konkurrieren­den Ansatz“ falsch sein muss. Insofern ist mir im Hinblick des Vorwurfs einer „Ansatz­vermengung“ jene Bemerkung des Politologen Carl Böhret sehr sympathisch: „Ich sehe für mich keinen Anlass und für mein Verständnis von Politikwissenschaft keine Not­wendigkeit, die Grundlinien der wissenschaftli­chen Arbeit zu verändern.. Ich bleibe of­fen für viele ‚Ansätze’: ich fertige eine Politikfeldanalyse dann an, wenn mich mein Er­kenntnisinteresse dorthin drängt ... Ich bin Institutionalist, wenn mich eine neue Frage­stellung reizt... Ich argumentiere heftig normativ, wenn es nötig ist und ich forsche mit­tels Computer und historischer Quellenanalyse, wenn ich es brauche. Wenn es das Er­kenntnisinteresse und der Gegenstand erfordern, dann mache ich das auch alles gleichzei­tig.“[32]

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2.2. Vorgehensweise und Materialauswahl

Die Aktualität der Vorgänge waren für die Arbeit Schwierigkeit und Vorteil zugleich: Ei­nerseits wurde ich während der Arbeit (Beginn Juni 2001) mit immer neuen Enthüllun­gen, Entwicklungen und Wendungen konfrontiert, was ein ständiges Umdenken und Umdisponieren erforderte. And­rerseits kam ich eben deshalb gar nicht erst in Versu­chung, die Untersuchung durch etwaige vorgefasste Meinungen einzuengen. Die Tat­sache etwa, dass sich der juristisch relevante Be­stechungsvorwurf zusehends aus Be­weismangel auflöste, enthob mich der Gefahr, Politische Korruption mit ihrer kriminel­len Form zu verwechseln und ihre „geldlosen“ Formen zu vernach­lässigen.

Die Arbeit ist folglich keine kriminalistische Untersuchung. Das gewählte Beispiel könnte also für den Zweck dieser Arbeit – die Untersuchung der Strukturen im Zusam­menwirken zwischen Po­litik und Wirtschaft – genauso gut erfun­den sein. Dieser Aspekt erscheint deshalb wichtig, weil nicht auszuschließen ist, dass der konkrete Sachverhalt sich im Nachhinein ganz anders dar­stellt als zum jetzigen Zeitpunkt bekannt. Folglich muss es Ziel der Arbeit sein – und zwar un­abhängig von den konkreten Details des Falls Leuna – bestimmte Strukturen freizulegen und den Blick für ihre Erscheinungs­formen zu schärfen: Schon jetzt lösen Reizworte wie „Land­schaftspflege“, „Berater“, „Gutachten“ oder „Parteispenden“ in der Bevölkerung skeptische bis allergische Reak­tionen aus. Die Arbeit soll dazu beitragen, diese Skepsis zu widerlegen oder aber zu untermauern.

Als Quellen verwende ich sämtliche „frei zugänglichen“ Publikationen. Für die Untersu­chung des Leuna/Minol-Geschäfts stütze ich mich vor allem auf Veröffentlichungen der Medien sowie auf Dokumente der Untersuchungsausschüsse, Parteien, Parlamente und sonstiger Organisati­onen.

Der Versuch, darüber hinaus gehende Quellen – etwa persönliche Interviews oder ver­trauliche Dokumente – zu nutzen, stieß auf die unüberwindliche Schwierigkeit, dass es sich eben um strafrechtlich oder zumindest moralisch relevante Fragen handelt: Es er­scheint mir nicht realis­tisch, zitierfähige Aussagen oder gar bislang unbekanntes Be­lastungsmaterial zu erhalten.

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2.3. Das Allgemeine und das Historisch-Konkrete der Korruption

Obwohl diese Arbeit die Strukturen untersucht, können Chronologie und Personen nicht unbe­rücksich­tigt bleiben, da „das, was man unter Korruption versteht, aus der Perspektive des Beobachters ständig variert. Zwar hat der Begriff der Korruption eine weite Verbreitung und Anwendung gefunden, aber die damit transportierten Inhalte und Wertungen sind auch nichts annähernd deckungsgleich“[33]. Das heißt

a) Es ist nicht nur „interessant zu wissen“, son­dern auch für die Strukturanalyse von Bedeutung, welche zeitliche Abfolge und damit möglicherweise welche Kausalität zwi­schen den Entscheidungen der einzelnen Beteiligten bestand. Ähnliches gilt z.B. für die Frage, ob ein und dieselbe Person zwei konkurrierende Un­ternehmen in zeitlichem Ab­stand von fünf Jahren oder zeitgleich – sozusagen als „Doppelagent“ – be­raten hat, oder die Frage, ob ein Minister eine Entscheidung vor oder kurz nach einem intimen Zusammentreffen mit an der Entscheidung inte­ressier­ten Personen revidiert hat.
b) Es ist trivial festzustellen, dass jegliche politische Aktion sich letztlich durch Perso­nen realisiert. Darüber hinaus aber besitzt Korruption schon per defi­nitionem ein star­kes subjektives Element. Schon allein bei der Definition von Korruption kommt man ohne Bestimmung der Akteure – Be­stechende und Bestochene – nicht aus. Entspre­chend ist eine Identifizierung von Korruption im Zusammenhang mit dem Leuna/Minol-Ge­schäft ohne die Identifizierung von Bestechenden und Bestochenen, insbesondere der tatsächlichen oder vermeintlichen Entscheidungsprozesse, unmöglich.

Die Beschäftigung mit der Chronologie und den Akteuren ist also kei­nes­wegs eine Al­ternative oder Antithese zur Strukturanalyse, vielmehr ihre notwendige Voraus­setzung. Von Alemann/Kleinfeld schreiben dazu: „Der ubiquitäre Charakter des Phänomens Korruption legt es zunächst nahe, Definitionsversuche auch bei raum- und zeitunge­bundenen Erklärungsversuchen ansetzen zu lassen. Derartige Erklärungsmuster fin­den sich entweder in individuellen Eigenschaften und Dispositionen der beteiligten Ak­teure oder im Rückgriff auf grundlegende Probleme sozialer Beziehungen.“[34]

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3. Gliederung

Teil A behandelt die Methode der Korruptionsanalyse und entwickelt den Korruptions­begriff. Was ist überhaupt Korruption und was nicht?

Dabei werden die „Geschäfts“- und Abhängigkeitsverhältnisse der Beteilig­ten unter­sucht und die von der Institutionenökonomik verwendeten Begriffe „Prinzipal“, „Agent“ und „Klient“ einge­führt.

Im Mittelpunkt stehen die Wechselbeziehungen zwischen den Nutznießern der Korrup­tion un­tereinander – also dem Bestechendem (Klient) und dem Bestochenem (Agent) – sowie zwi­schen Bestochenem und Geschädigtem (Prinzipal). Dabei geht es um die Frage, ob die Korrup­tion als „Störfall“ oder als notwendige Erscheinungsform des Sys­tems zu betrachten ist, ob Kor­ruption also den Kapitalismus qualitativ verändert.

Dies erfordert eine Bewertung der Korruption, also die Erörterung ihrer ein­zel- und ge­samtwirt­schaftlichen Folgen, wobei (in Auseinadersetzung mit der Institutionenökono­mik) das offenbar gar nicht mehr für wichtig erach­tete Thema der Wertschöpfung aus­führlich untersucht wird: a) einzelwirt­schaftlich: Schafft der an der Korruption beteiligte Akteur einen „Wert“? b) gesamt­wirtschaftlich: Wie stichhaltig ist die These, Korruption werde (wegen Geheimhaltungskosten etc.) auf die Dauer zu teuer? Wird durch Korrup­tion der Volksreichtum gemehrt oder vermin­dert? Können die „rei­nen“ mathematischen Ansätze den Unterschied bzw. Zusammenhang von „Gebrauchswert“ (Nützlichkeit) und Tauschwert (Preis, BSP etc.) erfassen? Kann man die Ein­zelinteressen zu einem ein­heitlichen Gesamtinteresse zu­sammenfügen (Pareto-Optimum)? Wird wirklich die op­timale Nützlichkeit optimal bezahlt? Wird dieses Ziel durch Korruption beför­dert oder behin­dert?

Teil B analysiert den korrupten Eingriff in den Staat: Ist Korruption positiv, negativ oder wertfrei zu beurteilen? Ist sie unter Umständen wünschens­wert? Ist Korruption „mora­lisch?“ Welche Konsequenzen hat der direkte korrupte Eingriff in den Staat, also vor allem in die Justiz und die Politik? Ge­fährdet die Korruption die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung? Hierbei wird die Eigennutz-These der NPÖ diskutiert – und was dieser Menschenbeg­riff für die Analyse des korrupten Eingriffs in den Staat bedeutet.

Wenn man nämlich auch Macht, Prestige und Karrierevorteile als „ideelles Schmier­geld“ für eine korrupte Handlung gelten lässt, dann droht einem der Korruptionsbegriff zwischen den Händen zu zerrinnen: Wieso soll ein Politi­ker korrupt sein, wenn er für eine Entschei­dung 100.000 Euro kas­siert - wenn er als Lohn für diese Entscheidung aber Minister wird (was ihm per­spekti­visch sogar noch mehr Geld verheißt), aber inte­ger? Wie aber will man ver­hindern, dass willkürlich alle möglichen Leistungen, die ein Mi­nister zuvor zur Zufriedenheit derer erbracht hat, die ihn dann zum Minister machen, als korrupte Leistungen gewertet werden?

Weiterhin werden u.a. Versuche der Wohlfahrtstheorie dargestellt, dem Vorwurf zu be­gegnen, die Ethik des „homo oeconomicus“ verabsolutiere ka­pitalistische Geldgier zur menschlichen Ei­genschaft schlechthin. Was sind die Ursachen der Korruption: Ist Kor­ruption eine zufällige (will­kürlich ent­standene und wieder abschaffbare) oder eine zwangsläufige Erscheinung? Kann man mittels Korruption bewusst auch „links“ steu­ern? Ist Wirtschaft und Politik mit Korruption überhaupt lenkbar?

Teil C untersucht auf dieser Grundlage das gewählte Beispiel des Leuna/Minol-Ge­schäfts. Ein­gangs werden verschiedene Sichtweisen disku­tiert. Sichtweise 1: Nach Vollzug der Deutschen Einheit trafen im Leuna-Deal verschiedene Interessen aufein­ander: Elf-Aquitaine wollte erklär­terma­ßen neben dem rein ökonomischen Profit auch entscheidenden auf die östli­chen Märkte erlangen. Die Entscheidungsträger ließen sich aus Habgier be­stechen. Sichtweise 2: Die Kohl-Regierung brauchte von sich aus den Deal, um „blühende Landschaften“ zu schaffen oder im Hinblick auf Wiederwahl we­nigstens den Eindruck „die tun was“ zu erzeugen. Sichtweise 3: Der Deal war vorher vereinbarte Gegenleistung der Kohlregierung für die Zustim­mung Frankreich zur Eini­gung. Wozu aber war dann die Korruption nötig? Um „Sand“ im Getriebe zu beseitigen, also einzelnen „Quertreibern“ (Treu­hand, Kartellamt, Minister) ihre Zustimmung abzu­kaufen? Um Alternativ­projekte bzw. Konkurrenten auszuschalten? Um einfach die Parteifinanzen aufzu­bessern? Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass man mit der modellhaften „Identifizie­rung“ der Korruptionsbeteiligten nichts gewonnen hat, son­dern dass die Frage, wer wen besto­chen hat, wozu und womit, nur in der Realanalyse beantwortet werden kann.

Aus deutscher Sicht und für diese Arbeit ist von zentralem Interesse das sogenannte „System Kohl“: Es stellt sich dar als sehr komplexes und konspi­ratives korruptes Sys­tem, in dem die Akteure wechselseitig Bestechende und Bestochene sind: Schmiergeld dient den Empfängern als „Betriebska­pital“ um selbst die innerparteiliche Gewogenheit anderer zu erkaufen. Da­bei soll nicht nur das System Kohl als „Staat im Staat“ unter­sucht werden, sondern auch die Frage, ob nicht die bisherigen (und womöglich alle künfti­gen) Gesetze, Strafen und sonstige Maßnahmen gegen Korruption zwangs­läufig ins Leere laufen. Anders ausgedrückt: Ob nicht derartige Skan­dale nur deshalb ruch­bar und kriminell werden, weil den Akteuren überflüssige, für den reinen korrupten Akt selbst nicht notwendige Fehler unterlaufen.

Teil D untersucht den praktischen Kampf gegen die Korruption in Deutsch­land. Zu­nächst wer­den die bestehenden Gesetze kritisch bewertet und ge­fragt, ob der Leitge­danke nicht eher ein größtmöglicher legaler Handlungs­spielraum für die Politik ist, und ob ein zweiter Gedanke nicht darin besteht, im dennoch eintretenden Fall des Verge­hens und dessen Aufdeckung die Verfol­gung durch schnelle Verjährung zu vereiteln bzw. durch glimpflichste Strafen möglichst erträg­lich zu gestalten. Die Anwen­dung die­ser ohnehin kritikwürdigen Gesetze im Leuna/Minol-Fall er­scheint als Paradebeispiel für die Anwendung des Mittels der Korruption auch in seiner negati­ven Form (Drohung mit Repressalien) auf die Justiz. Es soll untersucht werden, ob sich durch das Muster „W (Wirtschaft) kauft P (Politik), P kauft J (Justiz), damit J nicht gegen W und P vor­geht“ der korrupte Kreis schließt und nach Meinung von Systemkritikern „die De­mokra­tie im Ka­pitalismus sich selbst entlarvt“. Ähnlich stellt sie die Frage für die drei mit Leuna befassten Unter­suchungsausschüsse, insbesondere den Untersuchungsaus­schuss „Partei­spenden“. Hier geht es vor allem um das Wechselspiel von erbitterter Par­teienkonkurrenz, die bei wechselseitig vorhandenen Überführungsmöglich­keiten auf das „eine Hand wäscht die andere“ hi­nauslaufen könnte.

Teil E befasst sich mit allgemeinen Vorschlägen zur Korruptionsbekämpfung, die aus der Theo­rie abgeleitet sind. Dabei setze ich mich vor allem mit dem Konzept der Neuen Politischen Öko­nomie auseinander, besonders in Hinblick auf ihren Anspruch der umfassenden und unmittelba­ren Anwendbarkeit. Unter anderem wird die These überprüft, dass es sich bei diesen „Wenn-dann-Modellen“ teils um simple und in ihrer Naivität irreführende Ratsch­läge, teils aber auch um sozialstaatsfeindliche Anregungen handelt.

Dem wird die Sichtweise der Marxschen Politischen Ökonomie gegenüberge­stellt, wo­bei auch das Dilemma dieser Sichtweise herausgearbeitet wird: Wenn der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und damit das Problem der Korruption (wenn überhaupt) nur durch ein anderes Ge­sellschaftssys­tem lösbar wäre, mit welcher Perspektive sollte dann eine sozialistische Po­litik im Kapitalismus der Korruption begegnen?

Der zuweilen von Kritikern der westlichen Marktwirtschaft implizit aufge­stellte These, im Kapita­lismus könne man im Prinzip auch gegen die Kor­ruption nicht viel mehr un­ternehmen als fata­listisch auf die „revolutionäre Situation“ zu warten, wird abschlie­ßend mit eignen Vorschlägen begegnet.

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TEIL A: Zur Methode der Korruptionsanalyse

Bei oberflächlicher Betrachtung entsteht der Eindruck, als bestünden die Theorie der Wirt­schaftspolitik im Allgemeinen und erste Ansätze zu einer Theorie der Kor­ruption im Besonderen fast gänzlich aus Variationen der Wohlfahrtsökonomik, speziell der Institu­tionenökonomik bzw. der Neuen Politischen Ökonomie. Viele dieser Arbeiten ver­zich­ten auf irgend­eine Art der Dar­stellung der historischen Entstehungsgeschichte dieser The­orie und insbesondere auf eine Auseinandersetzung mit der Marxschen Poli­tischen Ökonomie.

Lapidar und wissenschaftlich recht fragwürdig, wird sinngemäß erklärt, der Marxis­mus sei mit dem Scheitern der Modelle des Ostblocks endgültig erle­digt. So schreibt z.B. Roland Sturm: „Es ist kaum verwunderlich, dass mit dem Scheitern der politischen Al­ternative des Sozialismus, die marxistische politische Ökonomie, die bereits vorher Mühe hatte, über historische und theore­tisch-systematische Arbeiten hinaus, ihren An­spruch einzulösen, sich produktiv in laufende ge­sellschaftliche und v.a. ökonomische Konflikte ein­zumischen, weiter und insgesamt stark an Boden verloren hat.“[35] Nach die­ser Logik aber, dass die Marxsche Politische Ökonomie inklu­sive ihrer recht aus­deu­tungsfähigen Sozialis­musperspektive zwangsläufig zu Misswirtschaft und Stalinis­mus führe, könnte man auch Pareto-Optimum und Keynesia­nismus für den 2. Welt­krieg verantwortlich machen.

Die drei relevanten Nachkriegstheorien – Wohlfahrts­ökonomik, Marxismus und NPÖ – lassen sich nach folgendem für die Korruptions­analyse unabdingbaren Aspekt unter­scheiden:

„Alle Theorie der Marktprozesse ist entweder Lehre von der volkswirt­schaftlichen Wertschöp­fung und sucht von dieser her das Preisge­schehen in seinen Grundzügen zu erklären; oder sie ist Lehre von der Marktpreisbildung allein, ohne nach ‚dahinter’ liegenden Umständen zu fra­gen“.[36] Dem entsprechen unterschiedliche Problem­stellun­gen: „Die Werttheo­rie fragt nach Geset­zen, die Preislehre nach Bedin­gungen der Preisbildung.“[37]

Die objektive Werttheorie ist Grundlage der Marxschen Politi­schen Ökonomie, die subjektive Preistheorie ist Grundlage von Wohlfahrts­ökonomik und NPÖ.

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1. Ansätze zur Erklärung des Verhältnisses Politik - Ökonomie

1.1. Marxsche Politische Ökonomie

Historische Vorgängerin der Marxschen Politischen Ökonomie war die klassische Wert­lehre[38]. Die Ar­beit als wesentliche Ursache für Wert und Preis der Waren zu se­hen, war revolutio­när, solange der Kapitalismus sich gegen den Feuda­lis­mus durchsetzen musste. Wel­chen Spreng­stoff die Theorie von der wertbil­denden Kraft der Arbeit aber besaß, zeigt beispielhaft die Posi­tion des Öko­nomen William Petty. Für ihn sind z.B. Händler „nichts als eine Art von Spielern, die miteinander um die Arbeitsergebnisse der Armen spie­len, ohne selbst etwas hervorzubrin­gen.“[39] Und er gibt zu bedenken: „Wenn die zahlrei­chen Ämter und Sporteln, die mit Regierung, Rechtswesen und Kirche zu­sammenhängen, und wenn die Menge der Geistlichen, der Advo­katen, Ärzte, Kaufleute und Krämer, die alle hohe Entgelte für geringe Arbeit er­halten, die sie an der Gesell­schaft leisten, gleichfalls herabgesetzt würde – wie viel leichter könnten die öffentli­chen Ausgaben bestritten werden!“[40]

Spätestens die Marxsche Arbeitswerts­lehre lieferte die theoretische Begrün­dung für die sozia­listische Vision: „Die Bourgeoisie erweist sich als überflüs­sige Klasse... Das Pro­letariat ergreift die öffentliche Gewalt und verwandelt dank dieser Gewalt die den Hän­den der Bourgeoisie ent­gleitenden gesell­schaftlichen Produktionsmittel in öffentliches Eigentum.“[41]

Das Grundprinzip der Marxschen Politischen Ökonomie „orientiert sicham Gesamt­system des Kapitalismus als Ausdruck einer durch ökonomische Machtver­hältnisse dominierten Gesell­schaftsformation.“[42]

Politik erscheint als „Oberflächenphänomen, das nur dann richtig verstan­den werden kann, wenn die eigentliche Triebkraft der Gesellschaft, die aus ökonomischer Un­gleichheit entstehen­den Klassenkämpfe, analysiert wer­den.“[43] Allerdings ist das Verhält­nis von Politik und Ökono­mie keineswegs als deterministisches, sondern als di­alektisches – also sich gegenseitig beein­flussendes – aufzufassen.[44]. Das heißt für die Korruptionsanalyse: Weder kann man sagen, dass eine auf Marktwirt­schaft basierende Gesellschaft nahezu ausschließlich aus potentiellen Korrumpieren­den und Korrum­pierten besteht, noch dass es diese Spezies in einer anderen Ge­sell­schaftsordnung überhaupt nicht mehr gebe. Dennoch hängt Korruption eng mit Markt­wirt­schaft zu­sammen: Sie ist kein systemübergreifender Unterfall des Überlebenstriebs in Form ei­nes Nutzenmaximierungstriebs.

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1.2. Wohlfahrtsökonomik und Eigennutz-Axiom

Insofern scheint es zumindest logisch, dass eine Theorie benötigt wurde, die zweierlei leisten musste:

a) Die Gleichheit der Einkommensansprüche musste postulierte werden. Daher nen­nen Kritiker die gesamte subjektivistische Theorie (Grenznutzen-, Grenzproduktivitäts­theo­rie) pauschal eine Rechtfertigungsideologie.[45] „Der ei­gentliche Grund zum Ausbau ei­ner subjektivistischen ‚Wert’-Lehre ist ... in jenem gesellschaftlichen Bedürfnis zu se­hen, als schon vorher zur Ableh­nung der klassischen Arbeitswertlehre, mit ihren sozi­alkritischen Folgerun­gen, geführt hatte.“[46] Und zwar: „Die Träger des entfalteten ‚Hochka­pitalis­mus’ sehen sich einem neuen Widersacher gegen­über: der Sozialkritik aller Richtungen, einer wachsenden Arbeiterbewegung, schließlich dem ‚wissen­schaft­lichen Sozialismus’. Die Arbeitswertslehre, die in der Theorie des ‚Mehrwerts’ ausmün­dete, erscheint als verderblich.“[47]
b) mittels der Wohlfahrtsökonomik erscheinen Politik und Wirtschaft als ge­trennte Sphären. „Die Wirtschaft erscheint nicht als öffentliche, sondern als rein private Ange­legenheit.“[48]

Aus der Sicht der ahistorischen Theoriebetrachtung entstand die Wohl­fahrts-Ökonomik aus dem Scheitern der Versuche, objektive oder subjektive Kriterien für Reichtum und Wohlstand zu fin­den – und zwar als Versuch der wertfreien Herausarbeitung der not­wendigen Bedingungen für ein gesell­schaftliches Optimum.

Zu diesem Zweck werden Modelle konstruiert und mit dem Status Quo ver­glichen. Das vorge­gebene Ideal der Wohlfahrtsökonomik ist das Pareto-Op­timum (Pareto-Effizienz): eine Situation, in der positive Veränderungen selbst für eine einzige Person nicht mög­lich sind, ohne mindes­tens eine andre Person schlechter zu stellen[49], wobei das Krite­rium des Optimums aber rein sub­jektives Wohlbefinden ist.[50] Diese Prämisse wird im Fol­genden „Eigennutz-Axiom genannt.

Schon hier sei auf den Streit um die Wertfreiheit des Ansatzes des Pareto-Modells, also von Wohlfahrtsökonomik und NPÖ, hingewiesen. Unabhängig davon, ob mit dem Begriff „homo oe­conomicus“ ausgedrückt werden soll, dass jeder klardenkende Mensch jedweder Gesell­schaftsordnung eigennüt­zig und habgierig ist, oder ob er den Men­schen nur bei seinen ökonomi­schen Handlungen beschreibt[51], kritisieren einige Auto­ren die Auswirkungen auf die Ge­sellschaftsanalyse:

„Die Paretianische Wohlfahrtsfunktion beruht auf einer ‚individualistischen’ Gesell­schaftsord­nung. Wenn man es als Wohlstandsziel bezeichnet, jedes Individuum so gut wie möglich zu stellen, dann liegt damit ein Werturteil vor, das individuelle Wohlbefin­den zum ausschließlichen Kriterium der ge­sellschaftlichen Wohlfahrt macht.“[52] Damit aber entlarvt sich der Ansatz dann doch als einer des allgemeingültigen Egoismus, denn er „lässt außer acht, dass die relativen Unterschiede des Versorgungsniveaus verschiedener Individuen oder Gruppen eine Bedeutung für die individuelle Wohlfahrt ha­ben.“[53]

Aufgrund des Vergleichs eines Ideals mit dem Status Quo erscheinen in der Wohl­fahrtsöko­no­mik Politik und Wirtschaft als voneinander getrennte ge­sellschaftliche Be­reiche, „wobei über die Möglichkeit politischer Vorgaben für die Wirtschaft, wenn auch nicht über deren Wünschbarkeit, Übereinstim­mung besteht“[54].

Damit ginge es in bezug auf Korruption darum, ob es eine gute Idee der Wirtschaft ist, Politiker zu bestechen, und eine gute Idee der Politi­ker, sich bestechen zu lassen, und nicht in erster Li­nie darum, was die Beteiligten daran hindern sollte. In den Hintergrund träte also die Frage, ob also die Politik das tut, wofür sie gewählt ist, oder das, wofür sie von Dritten bestochen wird.

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1.3. Neue Politische Ökonomie/Institutionenökonomik

Nach eignem Anspruch wendet die NPÖ „die ökonomische Theorie auf das Gebiet der Politik­wissenschaften an und richtet ihr Augenmerk auf Problem­bereiche im politischen System.“[55] Sie entstand – dies drückt schon die Wahl des Namens aus – als Kampfan­sage an den in den späten 60ern wie­derauferstandenen Marxismus und als Versuch der Rettung der Wohl­fahrts­theorie. Sie gründet sich auf das Werk „An Economic The­ory of De­mocracy“ von Anthony Downs, das 1957 in den USA und als deutsche Über­setzung 1968 erschien.[56]

„Während marxistische Ansätze ökonomische Probleme im gesamtgesell­schaftlichen Zusam­menhang diskutieren, plädiert die Neue Politische Öko­nomie für einen strikten methodischen Individualismus, also eine Gesell­schaftssicht aus der Individualperspek­tive. Ökonomische Er­wägungen die­nen dazu, Individualentscheidungen zu strukturie­ren und ihnen eine ge­wisse Ra­tionalität zu verleihen.“[57]

Anders als die Wohlfahrtsökonomik geht die NPÖ von bestehenden Situatio­nen, nicht von Ide­alvorstellungen aus. Der Ökonom Coase moniert bei der Wohlfahrtstheorie: „...the whole dis­cussion is largely irrelevant for questions of economic policy since what ever we may have in mind as our ideal world, it is clear that we have not discovered how to get to it from where we are.“[58]

Der Wohlfahrtsökonomik wirft sie vor, sie berücksichtige nur die Beziehung Mensch-Ressource, nicht aber die Beziehung Mensch-Mensch[59].

Auf Basis des Pareto-Optimums müssten „die normative Ideale gegebenen­falls gegen den Wil­len der Betroffenen“ durchgesetzt werden - was zu Ärger führen könnte, und zwar „durch die unausbleibliche Reaktion der so Betrof­fenen[60] “ (weil die ihr eignes Wohl nicht hinter das angebli­che Gemeinwohl zu­rückstellen wollen), die das ganze „... bis hin zur Undurchführbarkeit verteuert“[61]. Das bedeutet im Klar­text: Die „wertfreie“ pare­tianische Frage, viel Streichung von So­zialhilfe, gesetzlicher Lohnabbau, Zwangs­arbeit etc. ökonomisch bringen würde und ob es den Staat nicht billiger käme, auf sämtliche Sozialleistungen und Umweltgesetze zu verzichten und das Geld lieber in die Innere Sicherheit bei den zu erwartenden „sozialen Unruhen“ zu ver­wenden, ist eine Milchmädchenrechnung.

Denn selbst wenn man bei Verrechnung mit den Kosten für den dann not­wendigen „Polizei­staat“ zu einem zunächst positiven Profitergebnis kommt, kann diese Strategie durchaus an dieser „unausbleiblichen Reaktion der so Betroffenen“ scheitern, wie die Geschichte wiederholt gezeigt hat. Man denke nur an Aufstieg und Fall des 3. Reiches, das man durchaus paretia­nisch analysieren kann und aus Sicht des Institutionenöko­nomen sogar muss.

Um also soziale Unbill zu vermeiden, dehnt die NPÖ ihre ökonomische Ana­lyse auf die ge­samte Gesellschaft, also auch auf die Politik aus. Teilweise wird sogar von „Im­peria­lismus“ ge­sprochen.[62] Die Selbstsucht ist nicht mehr nur ökonomische, sondern ge­sell­schaftliche Maxime. Altruismus er­scheint „irrational“[63].

Genauer gesagt, arbeitet Downs mit einer Art „charmanter Zumutung“: Er will „den tautologi­schen Schluss vermeiden, dass das Verhalten jedes Men­schen stets rational ist, weil es immer auf irgendein Ziel gerichtet ist und die sich aus diesem Verhalten er­gebenden Erträge in den Augen des betreffenden Menschen die Kosten des Verhal­tens überwogen haben müs­sen. Denn sonst hätte er sich nicht so verhalten... Um die­ser Falle auszu­weichen, konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit einzig und allein auf die wirt­schaftlichen und Politischen Ziele eines je­den Individuums und jeder Gruppe im Modell. Zugegebenermaßen ist die Trennung... falsch und will­kürlich, wenn man (Ge­winnmaximierung, T.W.) als einziges wahres Motiv ansieht. Trotzdem ist festzuhalten, dass die vorliegende Abhandlung... sich mit wirt­schaftlicher und poli­tischer Rationalität befasst, nicht mit Psycholo­gie.“[64] Auf Deutsch: Downs weiß zwar, dass die Prämissen ir­real sind, aber er setzt sie trotzdem, damit es keine Tautologie gibt.[65]

Entsprechend „wird die Pareto-Optimalität durch die der Pareto-Superiorität ersetzt. Der Wis­senschaftler untersucht die Ausgangssituation daraufhin, ob ein pareto-superi­ores institutionel­les Arrangement denkbar und erreichbar ist, in dem mindestens ein Akteur bessergestellt, dabei aber kein Akteur schlechtgestellt ist.“[66] Dies klingt einer­seits nach Kohls legendären blühen­den Landschaften, andrerseits – im Lichte der Arm-Reich-Schere - danach, wie man die Reichen immer reichen machen kann, ohne den Rest „schlech­ter zu stellen“.

Mit anderen Worten: Wie kommt man zum Ideal, ohne irgendwem oder zu vielen auf die Füße zu treten? Dies aber heißt auf Grundlage der Theorien der subjektivistischen Wertlehre und der Wahl­handlungen: Wichtig ist nicht das Wirkliche, sondern was die Leute empfinden – was man ihnen EINRE­DEN kann. Wichtig ist nicht, ob die Armen immer ärmer werden, sondern ob sie es so empfinden. Die Institutionenökonomik, for­dert im Gegensatz zur Wohlfahrtsökonomik, die Leute nicht zu verprellen und gewalt­sam niederzu­halten, sondern zu „überzeu­gen“.[67]

Dass diese Theorie noch weitere normative Grenzen kennt, wird deutlich an Hinweisen für die ganz Naiven: „Entscheidend ist letztlich, dass alle Akteure den Maßnahmen zur Realisierung des fraglichen Zustandes zustimmen kön­nen. (Folglich muss es sich um eine relevante, also er­reichbare Alternative handeln und nicht um ein utopisches Wunschbild.)“[68] Klartext: ‚Konsens’ durch Manipulation des „mündigen Bürgers“ durch Werbung, Wahlkampf­agitation und ähnliches ja – und schließlich kann man offenbar fast alles (Unliebsame) zur „Utopie“ erklären.[69]

Stellvertretend für viele, zieht Roland Sturm das Fazit zur Neuen Politischen Ökono­mie: „Ge­ordneter Verlust an Informationen und Modellbildung führen unter dem Etikett der ‚Verwissen­schaftlichung’ zu einer Entpolitisierung des Politischen. Die Priorität der Ökonomie über die Po­litik wird von der Neuen Politischen Ökonomie anders als im Marxismus nicht über die Ableitung von Gesellschaftlichkeit aus ökonomischen Zu­sammenhängen hergestellt, son­dern durch die Scharnierfunktion des Ökonomischen. Relevante gesell­schaftliche Beziehungen werden als al­leine über ökonomische Kos­ten-Nut­zen-Mechanismen hergestellte analysiert. Erfolgreich ist eine Politik in allen Be­reichen dann, wenn sie in diesem Sinne ökonomisch denkt und handelt. Der leichte Zugang zu diesem einfachen Grundgedanken erklärt die vorder­gründige wissen­schaft­liche Attraktivität der Neuen Politischen Ökonomie. Ausgehend von sehr begrenzten Prä­missen lassen sich hochkomplexe, ma­thematische Modelle für soziales Verhalten in einer eige­nen Wissenschafts­sprache erstellen und damit eine Kommunikationsge­meinschaft mit wissen­schaftlichem Gewicht konstituieren.“[70]

Der Wirtschaftstheoretiker Werner Hofmann resümierte grundsätzlich für die auch der Institutio­nenö­konomik und der NPÖ zugrundeliegenden Grenzwertlehre, sie erschöpfe sich „im bloßen Konstatieren, in der gelehrten Umschreibung allgemeiner Sach­ver­halte.“[71] Und der Nobelpreisträ­ger für Wirtschaftswissenschaft, Karl Gun­nar Myr­dal, pole­misierte gegen die Grenznutzenlehre, sie führe „zu einer leeren Formel, deren psychologi­scher Erkenntnisgehalt glich Null ist. Mit großem Aufwand theoreti­schen Scharfsinns bringt man schließlich auf der Ba­sis reiner Zirkeldefinitionen nichts ande­res zustande als eine um­ständli­che Formulierung einer begrifflichen Tautologie.“[72]

Die Neue Politische Ökonomie ist aber nicht einfach als Theorie für simple Gemüter und Blen­der abzutun; sie ist auch die direkte Antithese zu jegli­chen Wertesystemen und Moralvorstellun­gen und ein Freibrief für „Fachidi­oten“, die hinterher „von nichts gewusst“ haben wollen.

In seiner Polemik gegen staatlichen Umweltschutz sagt der sich christlich gerierende Protago­nist für „Ökonomische Ethik“[73], Andreas Suchanek, die Umweltschützer gingen „von der fal­schen Voraussetzung aus, dass Umwelt­schutz durch moralische Normen gesteuert werden könnte, d.h. es wird verkannt, dass die moderne Gesellschaft nicht mehr werte- sondern viel­mehr regelintegriert ist.“[74] Diese wertfreien „Regeln“ sind aller­dings in Wahr­heit ebenfalls Werte, nämlich die der Profitmaximierung.

Daher ist NPÖ ist keinesfalls eine reine „Nonsens-Theorie. Ihr Kunstgriff be­steht ledig­lich darin, marktwirtschaftstypische Probleme und Verhaltenswei­sen zu allgemeingülti­gen zu erklären.

Daraus ergibt sich 1. Indem die NPÖ den Allgemeingültigkeitsanspruch erhebt, bean­sprucht sich gleich­zeitig, sämtliche Fra­gen des gesellschaftlichen Lebens nach den Prinzipien der Pro­fitmaximierung zu lö­sen. Dabei fasst sie aber alle Fragen als Einzel­fragen und gesellschaftliche bzw. Struktur-Fragen lediglich als Summe dieser Einzel­fragen 2. Ihr überzogener Anspruch spricht aber nicht gegen diese Theorie. Vielmehr drückt sie exakt die Prinzipien des Ka­pitalis­mus aus. Dass Firmen um des Profits Wil­len Gesundheit und Leben von Menschen riskieren, ist keine Erfindung unmoralischer NPÖ-Theoretiker, sondern hier nicht zu belegende Realität, die dem Zwang zur Kapi­talver­wertung entspringt. 4. Es wird zu zeigen sein, dass die NPÖ eben wegen ihres Charakters als Theorie der Profitmaximierung auch für Korruptions­analyse durch­aus brauchbare Methoden anbietet, die an der Oberfläche de­nen der Politischen Ökonomie ähnlich sind. Man könnte auch sagen: So­lange sich eine Theorie des Kapitalismus auf Kapita­lismusanalysen be­schränkt, ist es unerheblich, ob sie sich für darüber hinaus allgemeingültig hält oder nicht. 5. Dies gilt allerdings nicht für die grundlegende Struktur­analyse und die daraus resultierenden Vorschläge zur Korruptionsbekämp­fung. Es wird deutlich werden, dass die NPÖ sich schlicht übernimmt bzw. zu einer grundle­genden Theorie der Korruptionsbekämpfung aus methodischen Gründen überhaupt nicht in der Lage ist.

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1.4. Interessenidentität von Kapital und Gesellschaft

Während der subjektive Effekt des Wertfreiheitspostulats also in einer Art moralischem Persil­schein für Theoretiker und Praktiker der (Wirtschafts-) Politik besteht, führt dieses Postulat auf Basis des Axioms der „Allgemein­gültigkeit“ bzw. „Naturgegebenheit“ des (ökonomischen) Egoismus im All­gemeinen und der Marktwirtschaft im Besonderen ge­radewegs zum Postulat der Identität von Kapitalinteressen und Gemeinwohl:

„Will der Staat einwirken, muss er Angebote formulieren, die für die priva­ten Kapital­eigner att­raktiv sind, etwa als Signal im Sinne des Investitions­anreizes oder der Stand­ortwahl. Damit wird der Einsatz des Staates für das wirtschaftliche Gemeinwohl syn­onym mit der Förderung der Unternehmer­interessen“[75] Das Problem: Verteidiger und Kri­tiker der Marktwirtschaft sind sich ei­nig, dass die Rei­chen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Die Verteidiger, de­ren aller­höchstes Normativ die Auf­rechterhal­tung dieses System ist, stellen ein ums andere Mal mit Bedauern fest, dass es in der konkreten Situation leider keine Alternative zu unter­nehmer­freundlichen und volks-unfreundlichen Maßnahmen gebe: Eine Situation, in de­nen es der Be­völkerung relativ besser geht als den Kapitalbesitzern, ist in der Marktwirt­schaft weder praktisch noch theoretisch denkbar. Im Gegen­teil: Der Gesamtkonsens lässt sich überhaupt nur auf eine mögliche Art rea­lisieren: Wenn „das Volk“ einsieht, dass es z.B. nur dann Ar­beitsplätze gibt, wenn es dem Investor profitabel erscheint, dass also wenigstens ein paar Brot­krumen nur dann abfallen, wenn „die am Tisch“ satt sind.[76]

So ähnlich sieht das auch Marx, der das aller­dings nicht von subjektiver Bösartigkeit oder ange­borener Habgier ableitet, sondern von den Gesetz­mäßigkei­ten der kapitalis­tischen Produkti­onsweise, insbesondere vom Zwang zur Profitmaximierung, als dessen Folge der Kapitalist als „personifi­ziertes Kapital“[77] agiert. Während aber die Kritiker die­ses System eben wegen dieses Tri­buts als überlebt bzw. überwindenswert anse­hen, fordern die Verteidiger der Marktwirtschaft die (so natürlich nicht bezeichnete) re­lative Verelen­dung als notwendigen Tribut an dieses vor­geblich bestmögliche Gesell­schafts­system ein. Deshalb handeln Politiker, die aus Sicht der Kri­tiker dem Kapital Profite zu Lasten der Gesellschaft verschaffen, aus Sicht der Verteidiger in Wahrheit im Interesse des Gemeinwohls. Die Frage, ob eine solche unternehmer­freundliche Po­litik eine ge­gen die Interessen des Prinzipals verstoßende Ge­genleistung eines ge­schmierten Agenten oder gar eines ganzen Parlaments sein könne, verstehen sie daher gar nicht oder wollen es nicht: „Die Gesell­schaft ... will, dass sie (die Unternehmen, T.W.) gut verdie­nen, wenn sie so die nötigen Anreize für gesellschaftlich notwendige Aktionen erhalten. Dabei weiß die Gesellschaft, dass sie sich dies angesichts der hohen Koope­ra­tions­ge­winne..., von denen letzt­lich jedes Gesellschaftsmitglied profitiert, leisten kann.“[78] Des­halb ist es auch überhaupt nichts ab­surd, dass ein Politiker sozu­sagen „ehrli­chen Herzens“ Entscheidungen trifft, die bestimmte Unternehmen oder Branchen bevorzugen oder gar Gesetze verletzen. Es kann gut sein, dass Politiker einem Unter­nehmen eine illegale Exportgenehmigung geben, Umweltzerstörung durchgehen las­sen oder ihm trotz eines schlechteren Ge­bots einen Auftrag erteilen, weil sie „aufrich­tig“ davon überzeugt sind, dass die Profitmaximierung für dieses Unternehmen oder diese Branche der Schlüssel zum Maximierung des Gemeinwohls ist. Aber führt dies – realis­tisch betrachtet - auch dazu, „dass jedes Gesellschaftsmitglied profitiert“?

Betrachtet man als „Gesellschaft“ die Gesamtbevölkerung inklusive der Armen, dann wäre die These, „dass letzt­lich jedes Gesellschaftsmitglied profitiert“, bo­denloser und höchst unwissen­schaftlicher Propaganda-Zynismus. Einen Sinn ergibt die These nur, wenn man „die Gesell­schaft“ ähnlich selektiv fasst wie weiland die Griechen und Rö­mer und später die Apartheid-Weißen Südafri­kas - oder wie die Boulevard-Soziologie die „Spaßgesellschaft“.

Die Korruptionsfrage stellt sich jedenfalls aus diesem Blickwinkel in ganz anderem Lichte dar: Wenn immer die Politik ein Unternehmen mit Subven­tionen, Aufträgen und anderen Vergünsti­gungen überschüttet und die Be­günstigten großzügig spenden, dann hat das mit einem kor­rupten Tausch nicht das Geringste zu tun: Die Begünstigung des Unternehmens dient dem Gemeinwohl – ebenso wie die Parteispende, da starke Par­teien ja vor allem im Interesse des Bürgers sind, der diese Parteien ja zudem in ver­antwortli­che Positionen gewählt hat. Das Kor­ruptionsproblem wird schlicht wegdefi­niert.

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2. Klärung des Begriffs der Korruption

Im Lexikon findet man unter Korruption z.B. folgende Definition: „Benut­zung staatl. Machtmittel oder der Vorteile einer öffentlichen Position, um sich gesetzeswidrige, pri­vate Vorteile zu ver­schaffen.“[79]. Obwohl diese Gleich­setzung von „Korruption“ mit „staatli­cher Korruption“ eine Einen­gung dieses Begriffs darstellt, kommt diese Einen­gung des Begriffs dem Ziel die­ser Arbeit sehr entgegen. Dennoch muss der Begriff weiter präzisiert wer­den und dazu zunächst erweitert werden. Als „Korruption“ werden nämlich umgangssprachlich auch so unterschiedliche Hand­lungen Verhaltensweisen bezeichnet wie Untreue, Verschwendung, Selbstbereicherung, Unter­schla­gung, Betrug oder Ähnliches. Für meine Arbeit entscheidend aber ist der korrupte Tausch, das heißt: Die genannten Delikte können auch als „einsei­tige Handlung“[80] begangen werden. Das Interesse dieser Arbeit dient aber nicht dem sich bereichernden Akteur an sich, son­dern dem Akteur, der sich dadurch bereichert, dass er Dritten die Bereicherung er­mög­licht. Es ist al­lerdings davor zu warnen, gerade im Falle der Politiker voreilig von einer einseitigen, also nicht korrupten, Handlung zu reden. Auch wenn ein Politiker z.B. Staatskarossen für private Zwecke missbraucht, so ist dies keineswegs eine Bereiche­rung ohne Gegenleistung; denn zweifellos hat er die Möglichkeit zum Missbrauch nur in seiner Eigenschaft als Politiker. Um aber über­haupt in diese Funktion zu gelangen, muss er möglicherweise[81] die im Laufe der Arbeit zu identifi­zierenden korrupten Leistun­gen erbringen.[82]

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2.1. Die Verhältnisse der Korruptions-Beteiligten untereinander

2.1.1. Das Grundmodell des korrupten Tausches
2.1.1.1. Das Grundmodell

Für die Korruptionsanalyse wird folgendes Grundmodell mit seinen gängigen Bezeich­nungen[83] verwendet:

a) An einem korrupten Tausch sind mindestens drei Akteure beteiligt:

Der Bestechende = „Klient“,

der Bestochene = „Agent“,

der Geschädigte und eigentliche Vertragspartner des Agenten = „Prinzipal“.

Als „Vertrag“ werden dabei Vereinbarungen und Geschäfte zwischen den Akteuren be­zeichnet, und zwar unabhängig davon, ob sie schriftlich, münd­lich oder durch still­schweigendes Überein­kommen (‚ungeschriebenes Ge­setz’, Gewohnheitsrecht, Gent­lemen’s Agreement etc.) fixiert werden.[84]

b) Prinzipal und Agent unterhalten eine Vertragsbeziehung, die dem Agen­ten eine Po­sition bringt, die der Klient nicht hat. Es findet ein Tausch zwi­schen Agent und Klienten statt. Die Leistung des Agenten ist hierbei ein Verstoß gegen eine im Vertrag mit dem Prinzipal festge­legte Regel.

c) Zum Regelverstoß nutzt der Agent seine Position auf zwei verschiedene Arten:

+ Er überschreitet seinen vertraglich vereinbarten Ermessensspielraum bzw. seine Kompetenz. Beispiel: Ein Treuhänder, dessen einzige Vorgabe die Ge­winnmaximie­rung ist, verkauft ein Grundstück gegen Schmiergeld an einen schlechter bietenden Interessenten.

+ Er überschreitet den Ermessenspielraum bzw. seine Kompetenz nicht, lässt sich aber in sei­ner Aktion durch eine Gegenleistung beeinflussen, ohne dass der Prinzipal dieser Gegenleis­tung zugestimmt hätte oder die Zustim­mung vorauszusetzen war. Beispiel: Besagter Treuhän­der verkauft das Grundstück unter zehn Gleichbietenden an den Schmiergeldzahler. Der Re­gel­verstoß besteht darin, dass der Agent „den Vorteil auf die Waagschale seiner Entscheidung legt“[85].

Im Vorgriff auf Teil D ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Kompe­tenzüber­schreitung auch den juristischen Unterschied bei Straftaten im Amt markiert: §331 (Vorteilsnahme) und § 333 (Vorteilsgewährung) StGB regeln den Regelverstoß im Rahmen der Kompetenzen, §332 (Bestechlichkeit) und §334 (Bestechung) den Regel­verstoß mit Kompetenz-Überschreitung so­wie §335 die Fälle der §§ 332 und 334 in besonders schweren Fällen.

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2.1.1.2. Die Grenzen des Modells

Bei der konkreten Anwendung des Modells hängt die Zuordnung der Rollen Agent und Klient vom Betrachter ab, ist also insofern willkürlich[86]. Beispiel: Ein Unternehmen zahlt einem Politi­ker Geld für einen Staatsauftrag. Be­trachtungsweise 1: Das Unternehmen ist der Klient und der Politiker der Agent, der einen Regelverstoß gegenüber dem Prin­zipal „ganzes Volk“ be­geht. Betrachtungsweise 2: Der Politiker braucht dringend Geld und „schmiert“ den Prokuristen des Unternehmens mit einem Staatsauftrag, der mehr der Karriere des Agenten als dem Unterneh­men nutzt. Hier ist der Po­litiker der beste­chende Klient und der Prokurist der bestochene Agent, der einen Regelverstoß gegen­über dem Unternehmen begeht. Dieses Problem, dass uns bei der gesamten Analyse des Leuna/Minol-Geschäfts beschäfti­gen wird, zeigt die Beschränktheit des ansonsten brauchbaren Modells: Denn allem Allgemeingültigkeitsanspruch zum Trotz, kann es nämlich die Frage nicht beantworten, wer denn hier Bestechender und wer Bestoche­ner ist, welcher Prinzipal also hintergangen wurde und seinen Agenten tunlichst aus dem Verkehr zie­hen müsste: Hat der Prokurist die „Schmiergeldkasse“ für eigene Zwe­cke missbraucht und ei­nen unattraktiven Auftrag übernom­men oder exakt seine Auf­gabe erfüllt? Hat umgekehrt der Politiker die Billi­gung des Prinzipals, für die Vergabe eines unattraktiven Auftrags „Provi­sion“ zu kassieren? Diese Fragen entziehen sich der institutionenökonomi­schen Me­thode. Wenn sie aber den „Korruptionssünder“ gar nicht identifi­zieren kann, wie will sie ihn dann mit ihren „Infor­mationen und Anreizen“ von der Kor­ruption abhalten? Diese Kritik ändert aber nichts an der Tatsa­che, dass die­ses Mo­dell als Modell für die Korruptionsanalyse durchaus brauchbar ist.

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2.1.2. Der Begriff der ‚Beeinflussung’

Korruptionsverdächtige versuchen häufig, ein Art „Katz- und Maus-Spiel“ zu veranstal­ten, indem sie einfach behaupten, sie hätten die Entscheidungen auch ohne Gegen­leistung genau so ge­troffen, sie hätten von der Gegen­leistung erst nachträglich erfah­ren oder die Gegenleistung sei gar keine, sondern ihr Zusammentreffen mit der er­brachten Leistung sei rein zufällig. Selbstver­ständlich kann sich weder der geduldige Bürger, noch die Korrupti­onsanalyse auf Derartiges einlassen, zumal es hier auch gar nicht um Schuldnachweise im juristischen Sinne geht. Bei­spiel: Man stelle sich vor, ein Tapezierer behauptet, er habe einem Bekannten aus purer Nach­bar­schaftshilfe die Wohnung tapeziert und sei ganz überrascht gewesen, an­schließend Geld zu erhalten bzw. das Geld habe mit dem Tapezieren nichts zu tun, sondern sei eine Spende für ei­nen notleidenden Familienvater gewe­sen. Obwohl so etwas im Einzelfall natürlich stimmen kann, dürfte kaum ein Finanzamt diese Version akzeptieren. Ebenso geht es bei der Korrupti­ons­analyse um zwei Leistungen und deren objektiven inneren Zusam­menhang. Ist dieser Zu­sammenhang gegeben, wird die Leistung des Agenten als kor­rupte Aktion und die Leitung des Klienten als korrupte Bezahlung gewertet.

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2.1.3. Die Zeitnähe als Problem des Korruptionsnachweises

Ein korrupter Tausch wird nicht immer so offensichtlich durchgeführt, dass die beiden zusam­menhängenden Leistungen zeitnah erfolgen. Es liegt aber auf der Hand, dass eine Obergrenze für den Zeitraum, in die Leistungen erfolgen müssen, um einen Zu­sammenhang zu beweisen, nicht zu benen­nen ist. Wie viel später darf eine „Danke­schön-Spende“ kommen, um als solche identifiziert zu werden? Eine Woche, einen Monat ein Jahr, fünf Jahre nach der ‚Gefälligkeit’? Da Zeitnähe also nicht definierbar ist, kann sie auch kein Kriterium der Identifizierung von Kor­ruption sein. Nun bedeutet aber ein scheinbar perfektes Verbrechen – in diesem Fall eines ohne nachweis­bares Motiv – noch lange nicht, dass es nicht stattgefunden hat. Und die Tatsa­che, dass ei­nem Agenten der Erhalt eines konkreten, projektbezoge­nen korrupten Lohnes nicht nachgewiesen werden kann, zeigt bestenfalls die Grenzen der Analyse des isolierten Korrupti­onsfalls, nicht aber, dass der Agent nicht insgesamt davon profitiert, dass er seinen Klienten zu Vorteilen auf Kosten des Prinzipals verhilft. Es ist nämlich substan­tiell kein Unter­schied, ob je­mand z.B. alle zwei Jahre eine Million überweist und dafür bei zehn Grundstücksvergaben be­vorzugt wird, oder ob er jede Bevorzugung mit 100.000 DM bezahlt. Der Schluss, dass Beste­chung nicht zeitnah sein muss, betrifft besonders das im Rahmen dieser Analyse zu erörternde Problem der Parteispenden bzw. die Unterscheidung zwischen verbotenen projektbezogenen und zulässigen all­gemeinen Spenden.

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2.1.4. Die Umdeklarierung der korrupten Leistung

Ein weiteres Problem stellt die Umdeklarierung der korrupten Leistung dar. Es soll vertuscht werden, welche Leistung tatsächlich erbracht und bezahlt wurde. Genauso wie kein Auftrags­killer seinen Lohn als ‚Mörderentgelt’ ver­buchen wird, sondern z.B. als ‚Beraterhonorar’ etc., so tarnen meist auch Klient und korrupter Agent den wirklichen Grund für einen Geldfluss, z.B. auch als ‚Beraterhonorar’ oder als Honorar für ‚Stu­dien’.[87] In der Korruptions­untersuchung wird dann häufig der Nachweis versucht, dass es sich wirklich nur um Scheinstudien handelt; aber dieses Vorgehen ist problema­tisch und zudem überflüssig.

Problematisch ist der Nachweis, weil der Begriff „Studie“ ähnlich dehnbar ist wie der Begriff „Kunst“. Und ähnlich wie die Auffassung, „Alles ist Kunst“ eine durchaus gän­gige Auffassung ist, so ist es bei halbwegs sorgfältiger Tarnung so gut wie unmöglich, eine Studie als wertlose Scheinstudie zu identifizieren. Zu­dem wäre dies selbst im Er­folgsfall besten­falls ein Beweis für die mangelnde Qualifikation des Autors.

Überflüssig ist dieser Nachweis, weil die Qualität der Studie völlig unerheb­lich ist. Überhaupt ist es unwichtig, was Klient und Agent als Grund für die Gegenleistung an­geben. Was zählt, ist der Zusammenhang zwischen Leis­tung des Agenten und Ge­genleistung durch den Klienten. Denn bei Liefe­rung einer weiteren echten Leistung (neben der korrupten) durch den Agenten wäre schon der bloße Kauf dieser Leistung als korrupter Lohn zu werten, weil bekanntlich auch der Verkaufsakt bzw. der Auftrag an sich schon einen Wert an sich darstellt, für den Bestechungs­honorar gezahlt wird.

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2.1.5. Der subjektive Faktor als Antikorruptions-Argument

Der subjektive Faktor ist für die Korruptions-Analyse im allgemeinen und auch für den Fall Leuna/Minol deshalb besonders wichtig, weil man gele­gentlich mögliche korrupte Leistungen allein dadurch der Analyse entziehen will, dass man z.B. behauptet, man sei „wegen Überlas­tung nicht dazu ge­kommen“, „zu unerfahren und gutgläubig gewe­sen“ oder „der Komplexität der Sache nicht gewachsen gewesen“. Zugegebenermaßen ist im Einzelfall die subjektive Schuld­zumessung – die Unterscheidung von Absicht, Fahrläs­sigkeit und Unfähigkeit – recht schwierig, aber gerade deshalb muss von ihr abstrahiert und das Problem von der Seite der korrupten Be­zahlung her an­gegangen werden. Dies ist keine strafrechtliche Unter­suchung; deshalb zählt nur die Frage, ob ein Agent einem Klienten einen Vorteil ver­schafft hat und davon profitiert hat. Ob der Agent dies tatsächlich aus „Gut­gläubigkeit“ getan hat und demzufolge sich das Glück des korrupten Lohns gar nicht erklären kann, ist nicht Gegenstand dieser Analyse

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2.1.6. Das Problem der Geheimhaltung

Geheimhaltung wird in der gängigen Theorie als wichtiges Kriterium für Be­stechung angesehen. Natürlich ist Geheimniskrämerei charakteristisch für Korruption. Wenn aber damit gemeint ist, „dass der Prinzipal von den Vor­gängen grundsätzlich nichts wissen darf“[88], so ist das in dieser All­gemein­heit falsch.

Der Trend scheint eher dahin zu gehen, scheinbar offenkundige Fälle von korruptem Tausch in­sofern zu leugnen, dass selbst die zeitliche Nähe von Leistung (z.B. Verkauf von Staatseigen­tum, Kreditvergabe, Mietgarantie) und Gegenleistung (Parteispende) als „Zufall“ hingestellt wird. Besonders forsch und beleidigt abgestritten wird der Kor­ruptionscharakter von Sach­werten. Selbst Kreuzfahrten von fünfstelligem Wert werden nicht etwa heimlich unternommen, sondern als „viel zu geringfügig“ dargestellt, als dass sie den integren Politiker in seinem Handeln beein­flussen könnten.

Am vehementesten und generell geleugnet wird der Bestechungscharakter von Partei­spenden, obwohl „Landschaftspfleger“[89] wie Karlheinz Schreiber ganz offen und nachvoll­ziehbar zugeben, dass der Spender natürlich eine Gegenleistung erwartet.

Die trotzdem noch relativ große Zurückhaltung bei der Offenlegung von Spenden hat eher zwei andere Gründe als die der Kriminalisierung: zum ei­nen die Befürchtung von Imageverlust und im Gefolge davon auch ökono­mischer Nachteile, zum anderen die Verquickung mit anderen Delikten wie Steuerhinterziehung.

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2.1.7. Die unterlassene Handlung als korrupte Leistung

Sowohl Klient als auch Agent können durch das Unterlassen bestimmter für die Ge­genseite unerwünschter Handlungen ihre korrupte Leistung erbrin­gen: Die Unterlas­sung einer Handlung ist auch eine Handlung.

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2.1.7.1. Die unterlassene Handlung des Agenten

Der Klient bezahlt den Agenten für die Unterlassung einer Handlung.

Beispiel 1: Ein Staatsanwalt unterlässt die Strafverfolgung. Im Gegenzug veranlasst der Be­schuldigte die Beförderung des Staatsanwalts oder ver­zichtet auf dessen Straf­versetzung. Bei­spiel 2: Ein Aufsichtsratsmitglied unterlässt die genaue Kontrolle von Parteifreunden im Vor­stand, um sich Karrierevorteile zu verschaffen bzw. sich keine Karrierenachteile einzuhan­deln.

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2.1.7.2. Die unterlassene Leistung des Klienten

Der Klient bezahlt den Agenten mit der Unterlassung einer Handlung.

Beispiel 1: Ein Beschuldigter unterlässt die Veranlassung der Strafverset­zung eines Staatsan­walts und erkauft damit Verfahrenseinstellung. Beispiel 2: Ein Vorstandsmit­glied unterlässt es, ein Aufsichtsratsmitglied z.B. durch private Enthüllungen hochge­hen zu lassen und erkauft da­mit laxe Kontrol­len.

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2.1.8. Der erzwungene korrupte Tausch (Erpressung)

Der Begriff „Erpressung“ im Rahmen von Korruption ist eine subjektive Ka­tegorie. D.h. ob ein korrupter Tausch erzwungen oder freiwillig ist, kann letztlich nicht objektiv be­stimmt werden. Dies klingt merkwürdig, weil z.B. die Drohung mit dem Tode der Ange­hörigen offenbar ungleich gravierender erscheint als die Drohung, jemanden nicht ins Kino mitzunehmen. Auch dies ist aber nur eine – wenn auch kaum in Zweifelgezogene – Annahme. Der Gesetzgeber spricht in §253 StGB von einer „Drohung mit einem empfindli­chen Übel“ - was ohnehin sehr ausdeu­tungsfähig ist – und fügt hinzu: „Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Androhung des Übels zu dem ange­strebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.“ Das heißt: Wenn der Er­presste den Tod der Angehöri­gen ohnehin begrüßen würde, dafür aber eine pathologischer Kinofreund ist, wäre die Kino-Drohung für ihn die schlim­mere und die Todesdrohung überhaupt kein Druckmit­tel. Dies aber heißt: Ähnlich wie bei der ‚normalen Bestechung’ klammert die Korrupti­onsanalyse auch hier das subjektive Element aus: Sonst nämlich könnte umgekehrt je­der beliebige „Land­schaftspflege“ der Bestechungscharakter abgesprochen werden mit der Behauptung, einen wahren Staatsmann interessiere der schnöde Mammon in kei­ner Weise. Im Gegenteil: Die Kor­ruptionsanalyse darf auch allgemein als „Bagatellen“ gewertete ‚Aufmerksamkeiten’ nicht a pri­ori ausklammern. Wenn es um die Frage geht, ob eine bestimmte politi­sche Entscheidung durch einen dem Politiker, der Regierung, einer Partei oder Gruppen gewährten Vorteil beein­flusst wurde.

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2.1.8.1. Der erpresste Klient – erzwungenes Schmiergeld

Beispiel: Die Regierung droht mit einem Exportverbot, falls keine „Land­schaftspflege“ erfolgt.[90]. Aus der Sicht des Konzerns ist jegliche angedachte Einschränkung der Profit­maximierungs­möglichkeiten eine „Erpressung“. So­gar Schmiergeld zur Erlangung eines Staatsauftrags, den sonst ein anderer bekäme, kann als „erpresste Landschafts­pflege“ angesehen werden.

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2.1.8.2. Der erpresste Agent – erzwungene korrupte Leistung

Beispiel: Der Konzern droht mit einer Kürzung oder Nicht-Erhöhung von „Landschafts­pflege“, falls keine Exportgenehmigung erfolgt. Aus der Sicht der Regierung ist jegliche angedachte Einschränkung ihrer Gelder eine „Er­pressung“, zu deren Vermeidung durch eine korrupte Leis­tung ihr keine Al­ternative bleibe.

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2.1.9. Der korrupte Kauf selbstverständlicher Leistungen

Der Agent nimmt Geld für Leistungen, die er normalerweise billiger oder gratis erbrin­gen müsste. Stephen P. Riley nennt als Beispiel für diese „Priva­tisierung des Ermes­sensspiel­raums“.[91] Wegezölle, die die Polizei von Sierra Le­one bei offiziellen Straßen­sperren auf eigene Rechnung erhebe.[92] Im All­tag erlebt man das, wenn ein Obolus die Bearbeitungszeit eines An­trags verkürzt, wenn man nur gegen ‚Trinkgeld’ einen Re­staurantplatz oder eine Talkshow-Ein­ladung erhält. Ebenfalls in diese Rubrik fällt der Verkauf ei­gentlich nicht geheimer Informatio­nen. Sagt z. B. ein Beamter, diese oder jene (öffentlich zugängliche und nicht geheime) Akte finde er nicht, findet sie aber ge­gen Honorar eines Nachrichtenmagazins dann plötzlich doch, so ist dies natürlich Kor­ruption. Grundsätzlich aber ist es unerheblich, ob der Bestechungslohn verlangt wurde oder nicht, zumal dieses Verlangen oft schwer nachzuweisen ist. Klar ist: Wenn ein Politiker für eine wie auch im­mer geartete Leistung eine Gegenleistung annimmt, dann han­delt es sich um Korruption.[93] Diese Feststellung ist keine theoretisierende Wortklaube­rei, sondern auch ein prakti­sches Erfordernis. So spielt z.B. bei politischen Entscheidungen häufig auch die Schnelligkeit eine Rolle: Sie bedeutet für das betrof­fene Unternehmen bares Geld. Wenn dies auch der entscheidende Politiker weiß, dann könnte er sich ohne weiteres eine ‚zü­gige Entscheidung’ honorieren lassen. Nun könnte man einwenden, es handle sich nicht um Korruption, weil der Klient sowieso nur das ihm Zustehende erhalten hat. Genau dies ist aber falsch. Bestandteil des „ihm Zu­stehenden“ ist genau ge­nommen auch das Bearbeitungstempo – und gerade das soll ja durch das Bestechungsgeld beeinflusst werden. Das Tempo ist also ge­nau so eine Er­messungsentscheidung wie etwa die Auftragsentscheidung zwischen gleich­wer­tigen Konkurrenten.

Die Kehrseite dieser Aktion ist die Nötigung des Agenten zur selbstver­ständlichen Leistung. Sie liegt dann vor, wenn der Klient sein legitimes An­liegen statt durch eine Belohnung durch eine Drohung untermauert. Dies wäre der Fall, wenn besagtes Un­ternehmen die schnelle Bearbei­tung nicht durch Geld erreichen wollte, sondern mit der Drohung, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.

Entscheidendes Motiv für den korrupten Kauf selbstverständlicher Leistung aber dürfte die Dro­hung bzw. Befürchtung sein, ein Konkurrent könnte mit korrupten Mitteln den Agenten beein­flussen. Markantes Beispiel ist eine Auftragsvergabe, die in eine Schmiergeld-Auktion ausartet, in der einem auch das ‚normalerweise’ beste Angebot nichts nutzt. Umgekehrt kann aber auch die einfache Bereitstellung öffentlicher Leis­tungen oder Erteilung von Genehmigungen gegen Bezahlung durch den Konkurrenten durchaus behin­dert werden

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2.1.10. Das Problem der Legalität

Einige Autoren, wie der erwähnte NPÖ-Ökonom Schwyzer, sehen als Bedin­gung für Korruption die Illegalität[94]. Folgerichtig landen sie bei dem Prob­lem, dass in einigen Län­dern erlaubt, gedul­det oder gar gefördert wird, was in anderen Ländern als Korrup­tion verboten ist[95] und – vor allem – „dass un­ter gewissen Umständen Korruption legali­siert wird oder einst legale Trans­aktionen plötzlich korrupt sind“.[96] Schwyzer nennt sogar ein außeror­dentlich wichtiges Beispiel: „Beispielsweise können Beste­chungsgelder zur Finanzierung von Parteien über eine Anpas­sung zur Parteienfinan­zierung le­galisiert werden.“ Dann aber fährt er fort: „Die Gefahr der Mani­pulation der Rechtsordnung und damit und damit der Bestechungstatbestände dürfte insbeson­dere in diktatorischen Regimen gegeben sein.“[97] Und schließlich ret­tet er das für die prakti­sche Po­litik bzw. für Rechtfertigung verdächtigter Politiker so wichtige Postulat, dass nur Korruption sein kann, was illegal ist, durch die unbewiesene Behauptung, auch die Diktatoren hätten „ei­nen An­reiz, zumindest eine legale rechtsstaatliche Fassade zu er­richten... Regeln, welche Kor­ruption von legalen Handlungen unterscheiden, existieren des­halb“.[98]

Meiner Arbeit liegt die These zugrunde, dass Korruption im Sinne des oben vorge­stellten Mo­dells nicht im mindesten etwas mit der Frage zu tun hat, ob der Regelver­stoß legal oder illegal ist. Daher wird diese Frage zunächst aus­geklammert. Umso wichtiger aber ist die Gesetzeslage allerdings für die in den Teilen D und E behandel­ten Fragen der Korruptionsbekämpfung und darüber hinaus für die Bestimmung der Rolle der Korruption in einer Mark­wirtschaft.

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2.2. Die korrupte Leistung des Agenten

Im folgenden werden die für diese Arbeit wichtigsten Formen der korrupten Leistung vorgestellt und anhand einiger Beispiele erläutert.

2.2.1. Kauf oder Verkauf zu falschem Wert

Die Bestimmung des Wertes ist selbst wieder ein Problem. Die gängige Schutzbe­hauptung Kor­ruptionsverdächtiger ist es, sie hätten ein Objekt kei­nesfalls günstiger kaufen bzw. verkaufen können als geschehen. An dieser Stelle der Analyse wird ein ‚echter’ Wert unterstellt (wie z.B. bei Büchern in Form des festgelegten Endpreises).

Beispiele für Güter, die der Staatsagent billiger verkauft oder teurer kauft (oder mietet), sind Immobilien[99] oder Firmen sowie im Prinzip „alles was nicht angeschraubt ist“.

Beispiele für teurer gekaufte Dinge sind öffentliche Projekte, Fortbildungs­kurse, Gut­achten, aber auch überhöhte Abfindungen (die den Freikauf von einer Verpflichtung darstellen) oder unan­gemessene Subventionen (die z.B. ‚Arbeitsplätze kaufen’ sollen).

Beispiele für billiger verkaufte öffentliche Leistungen sind Infrastrukturmaß­nahmen[100], Steuernach­lässe und Billigkredite.

Zu beachten ist, dass all diese Fehlhandlungen natürlich nicht Korruption an sich dar­stellen, sondern nur Aktionen, die dem Klienten nutzen. Zur Korrup­tion werden sie durch einen - aller­dings wie auch immer gearteten – Vorteil für den Agenten.

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2.2.2. Korrupter Tausch bei mehreren Interessenten

Der Agent kauft (verkauft) bei der Existenz mehrerer Interessenten vom (an den) Be­stechen­den. Obwohl dies eine Ermessensentscheidung ist, han­delt es sich bei An­nahme einer Gegen­leistung um Korruption, auch wenn immer wieder beteuert wird, man hätte diese Entscheidung „sowieso“ ge­troffen. Wie schon gezeigt, ist auch die ‚ei­gentlich’ korrekte Entscheidung, wenn sie honoriert wird, eine korrupte Handlung.

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2.2.3. Willkürlicher Kauf oder Verkauf

Der Agent kauft (verkauft) Dinge, die der Prinzipal nicht unbedingt kaufen (verkaufen) wollte, um damit dem Klienten einen Vorteil zu verschaffen. Hier kann der Preis durch­aus korrekt sein. Beispiel: Ein öffentlicher Bauauf­trag für ein nicht (zwingend) benötig­tes Projekt gegen Bezah­lung durch den Bauunternehmer. Auch hier steht und fällt alles mit der korrupten Gegen­leistung (was ja ohnehin die Voraussetzung für Korruption ist). Mit anderen Worten: Hat ein Politiker für die Auftragserteilung eine wie auch immer ge­artete Gegenleistung erhalten, ist es völlig uner­heblich, ob eine neue Um­gehungs­straße völlig überflüssig oder ein dringendes Verkehrserfor­dernis ist.

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2.2.4. Die Initiierung des Tauschgeschäfts als korrupte Leistung

Auf Korruption bei der Initiierung von Tauschverhältnissen weist u.a. die Korruptions­forscherin Susan Rose-Ackerman hin. „Korrupte Käufer und Verkäufer entwickeln oft Systeme, die sich gegenseitig verstärken und perpetuieren. Solche Systeme ... können auch so organisiert sein, dass sie beeinflussen können, welche Art Dienstleistungen und öffentliche Aufträge die öffentli­che Hand vergibt.“[101] Zwar bezieht Rose-Ackerman diese Art der Korruption hier auf den öffentli­chen Sektor, er ist aber natürlich auch in­nerhalb der Privatwirtschaft möglich. Das Besondere daran ist, dass hier erst die Mög­lichkeit zu einem lukrativen (korrupten oder „ehrlichen“) Ge­schäft erkauft wird. Beispiel: Der Agent redet dem Arbeitgeber ein, man müsse die gesamte Belegschaft mit Handys (oder alle Räume mit Kaffeemaschinen, Kühlschränken etc.) ausstat­ten. Davon profi­tiert zunächst die gesamte entsprechende Branche, ohne dass es schon geklärt ist bzw. eine Rolle spielt, welche Unternehmen die Handys (oder Kaffeemaschinen, Kühl­schränke) liefern soll. Bei korrupten Geschäften mit der Politik wird diese allgemein-be­ste­chende Funktion häufig von Lobbyisten wahrgenommen. Die „Überredung“ zur Auf­weichung der Straßenver­kehrsordnung, zum Bau neue Autobahnen etc. dient ja zu­nächst der Automobilindustrie und dem Baugewerbe allgemein: Es ist quasi ein neuer Kuchen da, um den sich die einzelnen Branchenmitglieder streiten können.

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2.3. Die korrupte Leistung des Klienten

2.3.1. Direkter materieller Bestechungslohn
2.3.1.1. Geld

Geldzahlungen scheinen sehr beliebt, sind aber wegen des Geheimhaltungs­aufwands und vor allem bei Entlarvung recht problematisch, wie die großen Korruptionsskandale zeigten. Der Kausalzusammenhang mit der Gegen­leistung wird auch bei zeitlicher Nähe zwar vehement, aber in den Augen der veröffentlichten Meinung häufig wenig überzeugend, bestritten. Vor al­lem bei Bargeld kommt an der simplen Frage, warum dass Geld nicht über­wiesen, sondern „zu­gesteckt“ wurde, kommt meist kein Verdäch­tigter vor­bei.

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2.3.1.2. Bezahlung nur scheinbar erbrachter Leistungen

Wie schon oben (2.1.4.) ausgeführt, wird der korrupte Lohn häufig als Lohn für eine andere, nicht wirklich erbrachte Leistung gezahlt. Dies hat den Vorteil, dass man über die Methode „Frechheit siegt“ den umdeklarierten Bestechungslohn ganz offen zahlen kann.

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2.3.1.3. Sachwerte

Sachgeschenke (z.B. Briefmarken, Kreuzfahrten) oder stark verbilligte Sachwerte (z.B. Immobi­lien, Mietnachlässe, Fahrzeuge, aber auch vom Klienten bezahlte Anzeigen etc.) haben den Vorteil der - wenn auch oft un­verfrorenen und nicht akzeptierten - Stan­dardausrede, es seien belanglose Kulanzen, die mit Korruption nichts zu tun hät­ten.

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2.3.1.4. Geldwerte Leistungen

Geldwerte Leistungen bieten sich besonders an, wenn der Klient diese Leistungen am Markt anbietet (z.B. für den Hausbau).

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2.3.2. Indirekter materieller Bestechungslohn

Indirekte Leistungen zahlt der Klient nicht an den Bestochenen, sondern an einen Dritten, der sich wiederum mit dem Bestochenen einigt. Beispiel: Ein Konzern zahlt dem Bekannten eines Bestochenen ein Stipendium oder kauft ihm ein Scheingutachten ab, und der Bestochene kas­siert vom Bekannten ein Äquivalent in Form von „Berater­honorar“, Bargeld oder Sachgeschen­ken. Diese Vernebelungsmethode findet ihre Grenzen nur in der Bezahlung und der Vertrau­enswürdigkeit der ‚Strohleute’.

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2.3.3. Immaterieller Bestechungslohn

Wie schon erwähnt, ist immaterieller Bestechungslohn auch für die NPÖ eine durchaus harte Währung[102]. Neben „Prestige“ (persönliche Schleichwer­bung) und „Macht“ zählen vor allem – als Vehikel zur Erreichung der Haupt­ziele - ‚Beziehungen’ (‚Vitamin B’) dazu. Der Korruptionsnach­weis erscheint hier außerordentlich schwierig. Beispiel: Dem kooperativen’ Betriebsrat man kaum nachweisen können, dass sein korrupter Lohn im Kennenlernen „in­teressanter Leute“ mit der Folge eines Spitzenjobs in der Wirtschaft be­stand. Noch drastischer ist es, wenn ein besto­chener Agent als Lohn in die Firma des Bestechenden übernommen wird.

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2.4. Die pauschale Bestechung des Agenten

Bei längeren Geschäftsbeziehungen kann der Klient den Agenten durch re­gelmäßige Geld- oder Sachgeschenke zu regelmäßigen korrupten Leistun­gen bewegen. Beispiele wären viertel­jährliche Pauschal-Zahlungen eines Lieferservice an einen für die Es­sensbestellungen zustän­digen Firmen-Mitar­beiter. Der Regelverstoß liegt auch ohne Kompetenzüberschreitung darin, dass sich der Mitarbeiter durch die Zahlung zur Be­vorzugung dieser Liefer­firma gegenüber Konkurrenzfirmen bewegen lässt.

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2.5. Kickback

Unter Kickback versteht man eine „Provision“ vom Bestechungsgeld, das der Agent des Klienten einstreicht: der Bestochene belohnt den Prokuristen für das Zustandekommen des korrupten Tausches. Es ist dies der korrupte Eingriff in einen korrupten Eingriff. Nun erscheint also der korrupte Agent seinerseits als Klient, der den Agenten des ihn bestechenden Klienten besticht.

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TEIL B: Der korrupte Eingriff in den Staat

1. Der korrupte Eingriff in die Politik

Politische Entscheidungen sind durch Bestechung direkt (also unabhängig von ge­kaufter öffent­licher Meinungsmache etc.) manipulierbar, und zwar durch Kauf (oder Er­pressung) der Ent­scheidungsträger.

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1.1. Die Agenten: Parteien und Politiker

1.1.1. Der Politiker als „homo oeconomicus“

Entsprechend dem universellen Anspruch der NPÖ und ihres Ansatzes des „homo oe­conomi­cus“ ist der Mensch auch als im Staatsauftrag Tätiger zunächst ein ‚rationaler’ Egoist, also auf Eigennutz-Maximierung bedacht.

Von Alemann/Kleinfeld[103] greifen auf die allgemeine Definition des Historikers Jacob van Klave­ren zurück[104]: „Unter Korruption wollen wir also verstehen, dass ein Beamter sein Amt als Betrieb betrachtet, dessen Einnahmen er im Extremfall zu maximieren versucht. (...) Die Höhe der Einnahmen hängt dann also nicht ab von einer ethischen Einschätzung seiner Nützlichkeit für das Gemeinwohl, sondern eben von der Marktlage und von seiner Geschicklichkeit, den Maximumgewinnpunkt auf der Nachfragekurve des Publikums herauszufinden.“[105]

Wie schon gezeigt, gibt es allerdings Unterschiede in der Interpretation des eigennützi­gen Ziels. Einige Vertreter beschränken Eigennutz auf Habgier nach Materiellem. Folg­lich ist für sie, wie etwa für Streissler, die Korruption ein „einfacher Anwendungsfall der Preistheorie“[106].

Entsprechend erscheint Korruption als „ein Tauchgeschäft zwischen einem Korrum­peur und einem Korrumpierten, die über unterschiedliche Güter oder Chancen verfü­gen: Der Korrumpeur meist über Geld oder Naturalien, der Korrumpierte meist über mehr Macht, dank derer er etwas zu vergeben hat, sei es nun einen Auftrag, eine Stelle oder ein Amt“.[107]

Allerdings ist die Reduktion des Eigennutzes von Politikern und Parteien auf rein Mate­rielles mitnichten ‚im Sinne des Erfinders’ Anthony Downs: Ihr Mo­tiv sei (wie bereits zi­tiert) „ihr persönliches Verlangen nach Einkünften, Prestige und Macht.“[108]. Immate­rielle Tauschobjekte werden also durchaus als gleichwertig anerkannt. Polemisch könnte man sagen: Die Einschrän­kung des Eigennutzes auf das Materielle rückt den „rationalen Egoisten“ in die Nähe eines geistig und kulturell unterbelichteten Kretins, der seinen Egoismus tatsächlich ausschließlich mit Geld und Sachwerten befriedigt und sich gar nicht vorstellen kann, dass sich ein nicht minder rationaler und ei­gennüt­ziger Akteur im Zweifelsfall lieber für das Kanzleramt und den Nobel­preis als für den Geld­koffer oder die Hochseejacht entscheidet. Fatal für die Analyse wird diese Ein­schrän­kung aber dadurch, dass konsequenterweise immaterielle Bezahlung gar nicht als sol­che und damit auch nicht als Beste­chungslohn wahrgenommen wird.

Helmut Kohls Ex-Büroleiter, der Politologe und Journalist Wolfgang Bergs­dorf, sieht das Verhältnis sogar tendenziell umgekehrt: „Wer sich für die Po­litik entscheidet, darf nicht die Hoffnung haben, sein Einkommen zu maxi­mieren zu können. Der größere Teil seines Honorars besteht in der Teilhabe an der politischen Macht, die ihre eigene poli­tische Ausstrahlung hat. Dazu gehört Publizität, die von vielen genossen wird, auch politische Lebenser­fahrung, die man in der Politik erwirbt, ob man es will oder nicht.“[109]

Interessanterweise relativiert Downs sogar seinen um das Immaterielle er­weiterten Ei­gennutz-Begriff. Zwar begründet er ihn prinzipiell mit Adam Smith[110]: „Nicht von der Güte des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwar­ten wir unsere Mahlzeiten, sondern von deren Rücksicht, die jene auf ihr ei­genes Interesse nehmen.“[111] Aber er erläutert rela­tivierend: „In keinem Le­bensbereich ist eine Beschreibung menschlichen Verhal­tens vollständig, wenn sie den Altruismus übergeht; jene, die ihn besitzen, zählen zu den heroischen Gestalten, die von den Menschen bewundert werden.“[112] Sollte das nicht sarkastisch gemeint sein, worauf nichts hinweist, dann ist dies die Andeutung, dass Eigennutz speziell unter markwirtschaftlichen Bedin­gungen ‚rational’ im Sinne von ‚existenznotwendig’ ist, keinesfalls aber “all­gemeingültig“‚ „angeboren“ oder wün­schenswert.[113]

Noch differenzierter scheint der Begriff „Politisches Unternehmertum“ von Joseph A. Schumpeter[114], der zu den Grundbedingungen für ein erfolgrei­ches Wirken u.a. morali­sche Integrität, einen gut ausgebildeten, verant­wortungsbewussten und angesehenen öffentlichen Dienst, funktionierende demokratische Selbstkontrolle, die Ausgrenzung politischer Abenteurer und verantwortungsvollen Umgang mit der Regierungsverant­wortung zählt.[115]

Ob aber der Eigennutz des Politikers nun „zeitlos allgemeingültig“ oder nur auf Markt­wirtschaften bezogen als Haupttriebkraft seines Handelns angese­hen wird, ist für die­sen Abschnitt der Analyse nebensächlich. Es kam darauf an, den an Egoismus und Ei­gennutz anstatt an Altruismus und Gemeinwohl orientierten Menschen, den „homo oe­conomicus“, als Heuristik für die Kor­ruptionsanalyse abzuleiten.

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1.1.2. Die Partei als „Egoistenverein“

Auf der Basis des Eigennutz-Axioms erscheint die Partei als eine Art ‚Egois­ten-Verein.’ Wie banal sich das teilweise äußert, zeigt das Beispiel der mit Einkaufsrabatten bei di­versen Partner-Unternehmen verbundene „SPD-Card“ für Parteimitglieder[116] . Man könnte boshaft fragen, welche Zielgruppe das ist – und man als Mitglieder erhält - die ihren Parteieintritt von einer verbilligten Urlaubsreise abhängig macht. Jedenfalls han­delt es sich um un­politische Werbung, was die Frage aufwirft, welche Bedeutung das politi­sche Programm für die Mitglieder überhaupt hat.

Downs sagt dazu: „Parteimitglieder haben als Hauptmotiv den Wunsch, sich die mit dem Regierungsamt verbundenen Vorteile zu verschaffen; daher streben sie nicht die Regierung an, um vorgefasste politische Konzepte zu verwirklichen, sondern formulie­ren politische Konzepte, um an die Regie­rung zu kommen“[117]

Dies führt zu zweierlei Konsequenzen:

1. für die Partei als Gruppe. Downs folgert ebenso unverblümt wie logisch: „Unsere Hauptthese lautet, dass die Parteien in der demokratischen Politik den Unternehmen in einer auf Gewinn abgestellten Wirtschaft ähnlich sind. Um ihre privaten Ziele zu er­rei­chen, treten sie mit jenen politischen Pro­grammen hervor, von denen sie sich den größten Gewinn an Stimmen ver­sprechen, so wie die Unternehmer... diejenigen Wa­ren produzieren, von de­nen sie sich den meisten Gewinn versprechen.“[118]

2. für das Verhältnis der Mitglieder zur Partei bzw. untereinander. Von Ale­mann schließt sich dabei „ganz unbefangen“[119] der These des Fraenkel-Schülers und Politolo­gen Winfried Steffanis an: „Parteien sind Interessengruppen in eigner Sache, die an politischen Führungsaufgaben interes­sierten Bürgern Karrierechancen eröff­nen.“[120] Dar­aus ergeben sich weitere Problemstel­lungen:

a) zum Verhältnis von einfachem Parteimitglied (Parteibasis) und Partei­führung. Nicht alle sind oder werden Parteimitglied, um Reichtum, politische Macht, außerpolitische Karrierevorteile[121] oder Ruhm zu erwerben, obwohl sie – was trivial ist – ebenfalls ei­nen Nutzen von der Mitgliedschaft anstre­ben. Viele versprechen sich als ‚rationale Bürger’[122] (genauso wie Wähler) eine individuelle Nutzenmaximierung als Bürger (wie etwa Unternehmer in einer Unternehmerpartei oder Arbeitnehmer in einer Arbeitneh­merpartei) oder verfolgen nicht eigennützige Ideale, ohne an eine Parteikarriere zu denken; und dann würde die Ideologie doch wieder eine Rolle spielen. Während vom Karrieristen nämlich ange­nommen wird, dass ihm die jeweilige Parteilinie – z.B. für oder gegen Krieg, oder Sozialbau – persön­lich egal und nur als Mittel zur Wählerge­winnung wichtig ist, dürfte die Parteilinie für den „Selbstverwirklicher“ keineswegs ir­re­levant sein, also ob er in einer Unternehmer­partei über Möglichkeiten des Steuerbe­trugs oder in einer Arbeitnehmerpartei über so­ziale Gerechtigkeit diskutiert.

Das heißt aber für die Korruptionsanalyse: Setzt man einmal – auch wenn das natürlich nicht exakt der Realität entspricht[123] – die Karrieristen mit Par­teispitze und die Nicht-Kar­rieristen mit Parteibasis gleich, dann ergibt sich folgendes Bild:

aa) Die pauschale Bestechung einer Partei richtet sich de facto an die Par­teispitze; denn die Parteispitze hat für die korrupte Leistung der Partei zu sorgen.
bb) Dafür muss sich die Parteispitze von der Basis in entsprechende Positio­nen wäh­len lassen bzw. gegebenenfalls die Zustimmung zu Einzelhandlun­gen holen[124]. Da­durch wird sie als Agent der Partei legitimiert.
cc) Die Basis hat damit lediglich die Funktion von „Stimmvieh“. Sie ist in kei­ner Weise „Geschäftspartner“ des Korrumpeurs.
dd) Profiteur der Bestechung einer Partei ist im Kern die Parteispitze.
ee) Die Basis bzw. das nichtkarrieristische einfache Parteimitglied profitiert von der Be­stechung nur vermittelt: wenn z.B. vom Bestechungsgeld Partei­büros renoviert werden oder – sollte der korrupte Lohn eine Regierungsbe­teiligung sein - durch die subjektive Freude am Machtzuwachs der eigenen Partei und entsprechende Erwartungen zur Verbesserung der eignen Lage.

Hier zeigt sich aber die Begrenztheit der NPÖ: Die Selbstsucht als allge­meine Triebfe­der ist zu allgemein und unausgewiesen. Denn nach dieser Sichtweise können sämt­li­che Parteimitglieder als gleichermaßen korrupt da­stehen. Derartige Versuch aber, jed­wede Motive einschließlich von offen­sichtlich altruistischen als letztendlich glei­cherma­ßen egoistische darzustel­len, enden in tautologischen Spitzfindigkeiten und Fehlanaly­sen. Denn ein vom einfachen Parteimitglied eingegangener politischer Kom­promiss kann unter dem Gesichtspunkt der besseren Durchsetzung seiner politischen Ge­samt­ziele durchaus vernünftig sein. Natürlich kann man ohne weiteres die Volksweisheit „Jeder hat seinen Preis“ mathematisch darstellen und auch hier anwenden. Dass eine solche Aussage aber im Rahmen der NPÖ durchaus korrekt ist, bestätigt die Grund­kri­tik: Korrekt, aber oft un­brauchbar. Festzuhalten bleibt: Weil nicht die Partei, sondern die Parteispitze den kor­rupten Ver­trag geschlossen hat und von ihm profitiert, begeht die Partei­spitze einen Regelverstoß gegenüber der Gesamtpartei.

b) zum Verhältnis der Parteispitze untereinander. Entsprechend obiger An­nahme be­steht die Parteispitze aus Karrieristen, die ihr persönliches Ziel am besten erreichen zu können glauben, wenn sie mit ihren Parteispitzenkolle­gen, die ja von Wesen her ihre erbitterten Konkurrenten sind, kooperieren. Diesen Sachverhalt – zeitweilige notge­drungene Kooperation bei prinzipiel­ler Konkurrenz, bezeichnet also das schon be­schriebene „Gefangenendilemma“ der Institutionenökono­mik[125]. Der einzelne Karrierist muss eine Vielzahl von Überle­gungen zur eigenen Nutzenmaximierung anstellen, die sich von den fiktiven Überlegun­gen der Gesamtpartei und der Gesamtparteispitze un­terscheiden z.B.:

aa) unter der Bedingung, dass eine Regierungsbeteiligung, bzw. ein Mei­nungsschwenk vom Wähler honoriert würde: Wird sie auch von der Basis - gegenüber der Parteispitze und gegenüber ihm selbst - honoriert?
bb) Stärkt oder schwächt die Aktion seine Stellung in der Parteispitze?
cc) Könnte es für ihn vorteilhaft sein, wenn die Partei in eine Krise gerät?
dd) Fördert oder behindert seine Stellung in der Parteispitze seine Nutzen­maximie­rung? Wäre ein Amtsverzicht besser?[126]
ee) Stärkt die Aktion seine eigne und der Partei Attraktivität als Kor­ruptionspart­ner?
ff) Ergeben sich gesonderte Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Partei­spitze (Flügelkämpfe)?
gg) Erscheint ihm die Ausnutzung seiner Führungsposition für außerpoliti­sche Nutzen­befriedigung erstrebenswerter?[127]

Es zeigt sich, dass auf Basis des Eigennutz-Axioms die Ideologie für eine Partei ebenso wie für den politischen Karreristen keinen „Wert an sich“, sondern nur ein belie­big austauschbares Mittel zum Stimmenfang ist. Ebenso klar ist aber, dass die instituti­onenökonomische An­wendung auf Realanalysen, insbesondere kon­krete Korruptions­analysen, ein offenes Einfallstor für pauschale Verdächtigungen und entsprechend für pauschale Zurückweisungen bietet.

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1.1.3. Die Grenzen des Eigennutz-Axioms

Da die NPÖ den uneigennützigen Akteur als ‚irrational’ ausblendet, erlangt das Eigen­nutz-Axiom des Status einen Freibriefs für Spekulationen. Es ist kein Wunder, dass eine Theorie mit Phänomen, die man apodiktisch igno­riert, im Falle ihres Auftauchen nichts anfangen kann. Nicht erfasst werden z.B. die politischen „Überzeugungstäter“. Beispiel: Ein Politiker, der ehrli­chen Herzens davon überzeugt ist, im Interesse des freien Westens, der freien Wirtschaft und damit der Menschheit müsse man den Tod von Frauen und Kindern unter „Kollateralschaden“ („dumm gelaufen“) abhaken, braucht dazu nicht notwendiger Weise „Beraterhonorar“ von der Rüstungsindustrie, Amt und Würden eines Verteidigungsministers oder einen Spitzenplatz in der Beliebt­heitsskala. Die NPÖ steht gegenüber einem solchen Politiker – und darüber hinaus je­dem Politiker – vor der intellektuell peinlichen Situa­tion, ihm seine Integritäts-Beteue­rung zu glauben oder nicht. Eine Klärung müsste sie der Kriminalistik übergeben und damit jenen Anspruch aufgeben, der ja nach dem Selbstverständnis ihrer Vertreter ihr Wesen ausmacht: Nämlich jedes Problem dieser Welt ohne die methodische Hilfe ir­gendeiner anderen Wissenschaft lösen zu können. Die Folge: Wenn man die Frage des Altruismus oder Egoismus kriminalistisch und gerichtstauglich beweisen muss - wozu braucht man dann die Institutionenökonomik?

Benutzt man das Eigennutz-Axiom – oder die These vom „personifizierten Kapital“ – dagegen für die Strukturanalyse, so kommt man gar nicht erst in die Verlegenheit des Einzelnachweises. Dann kann man die Frage z.B. so stellen, welche Entscheidungen eine Partei, eine Parteispitze oder eine Re­gierung) in bestimmten Zeiträumen getroffen haben und wie sie und ihre Mitglieder davon profitiert haben. Ein Beispiel: Eine Test­abstimmung unter 100 Abgeordneten ergibt 2 Gegenstimmen oder 90 Gegenstimmen. Es wäre unverantwortlich und erst recht nicht wissenschaftlich, bestimmten Abgeord­neten willkürlich die Gegenstimmen zu unterstellen. Für die Analyse aber wäre die SI­CHERE Feststellung über 2 oder 90 Gegenstimmen von höchster Wichtigkeit.

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1.1.4. Der Eigennutz der Regierung

Der Eigennutz der Regierung wird hier nicht gesondert behandelt, da er sich im we­sentlichen analog zu dem der Parteispitze ableitet. Dies gilt insbeson­dere für die Ab­lehnung der These der traditionellen Wirtschaftstheorie, „dass sowohl die soziale Funktion als auch der private Beweggrund der Re­gierung in der Maximierung des sozi­alen Nutzens oder der sozialen Wohl­fahrt bestehen“[128], und für die Gegenthesen, dass das Hauptmotiv der Regie­rung „Maximierung der Stimmen, nicht des Nutzens oder der Wohl­fahrt“[129] sind und dass „die Regierenden... eine Partei (darstellen), die mit an­de­ren Parteien um die Beherrschung des Staatsapparates im Wettstreit steht.“[130]

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1.2. Das Verhältnis des Agenten zum Prinzipal

Nachdem eben die vom Eigennutz abgeleiteten Interessen der Politiker, Parteien und Regierungen betrachtet wurden, ist nun ihre Stellung innerhalb des Schemas Prinzipal – Agent – Klient zu analysieren.

1.2.1. Die Klassifizierung der Verträge des Agenten

Offenbar unterhält der Politiker Verträge[131] mit mehreren Partnern, aus de­nen sich Ver­pflichtungen ergeben.[132] Im Folgenden werden am Beispiel ei­nes Ministers mit Abgeord­netenmandat die wichtigsten dieser Verträge bzw. der Vertragspartner klassifi­ziert: Die Verfassung, das Gewissen, die Gesell­schaft, das Gemeinwohl, der Wähler, der Regierungschef, die Regierung, die Parteispitze und die Parteibasis.

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1.2.1.1. Die Verfassung

Nach Artikel 38 GG ist der Abgeordnete ein „Vertreter des ganzen Volkes, der an Auf­träge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen ist“. Diese Formulierung ist schwammig - wer außer dem Ab­geordneten selbst will beurtei­len, ob er sich gewissensgetreu verhält? Wie will man also jemals einen Verstoß, ge­schweige denn eine korrupte Hand­lung nachweisen? Ganz offenbar erhält „Gewissen“ die Bedeutung von „Gut­dünken“. Lässt man den gesamten staatsrechtlichen Aspekt außer Acht, dann ist dieser Paragraf, der nichts anderes darstellt als den allen anderen Verträgen übergeordneten Vertrag des Agenten mit dem Prinzipal, ein Frei­brief für jeg­liches Handeln, sofern es sich im Rahmen von Recht und Gesetz bewegt. Hinzu kommt: Dieser Vertrag ist in keiner Weise sanktions- oder strafbewehrt.[133] Dasselbe gilt entsprechend für den Amtseid der Regierungsmitglie­der nach Artikel 56 GG[134].

Dies könnte zu dem Schluss verleiten, der Abgeordnete bzw. Minister habe zwar einen Vertrag mit dem „ganzen Volk“, könne aber nahezu jede Hand­lung als vertragskonform ausgeben, sei also de facto ungebunden und könne einfach Verträge mit Dritten ein­gehen. Aber dem ist nicht so. Viel­mehr ist zu prüfen, ob es sich bei den anderen Be­ziehungen tatsächlich um Verträge handelt und ob sie Regelverstöße gegenüber dem Vertrag mit dem Prinzipal „ganzes Volk“ darstellen.

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1.2.1.2. Das „ganze Volk“

Die Verpflichtung auf das „ganze Volk“ impliziert ein Neutralitätsgebot, also das Verbot der Bevorzugung einzelner und einzelner Gruppen[135] bzw. entspre­chender Verträge. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht für den Einzelfall, sondern nur für bestimmte Zeit­räume oder Gesamtzusammenhänge gelten kann. Beispiel: Die Besetzung eines Refe­ratsleiterpostens mit einem männ­lichen SPD-Mitglied wäre keine Bevorzugung des Geschlechts oder einer Partei, die Besetzung aller zehn Referatsleiterposten mit männlichen SPD-Mitgliedern dagegen schon.

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1.2.1.3. Das Gemeinwohl

Aus der in Teil A 1.4. („Interessenidentität von Kapital und Gesellschaft“) vorge­nom­menen Interpretation des Begriffs „Gemeinwohl“ könnte man folgern, dass Abgeord­nete und Regierungen zur Wahrnehmung von Kapitalinteres­sen geradezu verpflichtet wären. Aber unabhängig davon gilt auch hier, analog zur Verpflichtung gegenüber dem „gan­zen Volk“, das Neutralitätsge­bot, also der Neutralität gegenüber den einzelnen Unter­nehmern, Branchen und Firmen. Festzuhalten ist: Gerade um das „Gemeinwohl“ dre­hen sich aber die Hauptauseinandersetzungen in der prakti­schen (wie auch in der the­oretischen) Politik. So kann Gemeinwohl als identisch mit „Kapitalwohl“ (vgl. Teil A 1.4.) begriffen werden, da es der Gemeinschaft nur gut gehe, wenn es der Wirtschaft gut gehe. Gemeinwohl kann aber auch als subjektiv empfundenes „Mehrheitswohl“ bzw. „Wählerwohl“ (vgl. Teil B 1.2.1.4.) verstanden werden, da die Mehrheitsmeinung ein immer noch besseres Kriterium sei als gar kein Kriterium Daher ist „Gemeinwohl“ also letztlich „Ansichtssache“ und somit kein geeigneter Maßstab zur Beurteilung kon­kreter politischer Handlungen.

Der Begriff ist aber noch unter einem anderen Aspekt zu problematisieren. So sieht Hans Herbert von Arnim in der Verpflichtung auf das Gemeinwohl den Gegenpol zur „Demokratie im Sinne von Selbst- beziehungsweise Mitentscheidung des Volkes (Par­tizipation).[136] Sie sei „der Versuch, den Interessen und Belangen des Volkes unabhän­gig[137] von seinem Willen Geltung zu verschaffen.[138] Hinzu kommt ein weiterer Gesichts­punkt: „Natürlich kann das Gemeinwohl in einer echten Demokratie niemals der alleinige Grundwert sein.“[139] Er verweist auf das BVG-Urteil zum KPD-Verbot: "In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert ... Für den politisch-sozialen Bereich bedeutet das, dass es nicht genügt, wenn eine Obrigkeit sich bemüht, noch so gut für das Wohl von 'Untertanen' zu sorgen; der Einzelne soll viel­mehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an Entscheidungen für die Ge­samtheit mitwirken. Der Staat hat ihm dazu den Weg zu öffnen."[140] So aber stellt sich nach von Arnim die Frage anders: „Der Inhalt dessen, was den Amtsträgern als Ge­meinwohl aufgegeben ist, ist undeutlich und vage. Klar ist nur, dass das Repräsentati­onsprinzip eine Motivation fordert, die das Gegenteil vom Streben nach eigenem Nut­zen ist. Ist diese Voraussetzung in der Praxis gegeben oder geht im Kollisionsfall meist der Eigennutz vor? Kann man wirklich erwarten, dass Amtsträger sich „irgendwie“ an jene Verpflichtung halten, oder wird diese Erwartung zunehmend zum reinen Wunsch­denken, das die eigentlichen Probleme zukleistert?“[141]

1.2.1.4. Der Wähler

Der Wähler wird hier verstanden als Bürger, der den Politiker gewählt hat oder dessen Stimme der Politiker gewinnen will.[142] Laut NPÖ denkt auch der Wähler nur an seine eigne individuelle Nutzenmaximierung.[143] Einfach ausge­drückt: Er erwartet, dass es ihm selbst möglichst gut geht und die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Für altruistische „irrationale“ Ziele ist er nicht empfänglich.[144] Diese Konstellation, das Aufeinandertreffen zweier am Eigennutz interessierter Akteure, bietet eigentlich die ideale Vor­aussetzung für korrupten Tausch. Dabei aber wird oft die Wählerbestechung in den Vordergrund gerückt[145], und tatsächlich gibt es nicht nur skurrile Ein­zelfälle des di­rekten Stimmenkaufs[146], sondern auch und häufig den Vorwurf der Wählerbeeinflus­sung durch „Wahlgeschenke“. So wurde der rotgrünen Regierung ein Gesetz gegen Schwarzarbeit als „schönes Wahlgeschenk“ für die Gewerkschaft ausgelegt.[147]

Wenngleich diese Sichtweise plausibel erscheint: Die um­gekehrte Sichtweise erscheint im Rahmen der Korruptionsanalyse zweckmäßiger. Demnach hätte der Klient Gewerk­schaft die Regierung zu diesem Gesetz bestochen, und zwar mit dem unausgespro­chenen Ver­spre­chen, ein Teil der Gewerkschaftsmitglieder würde dann eher rotgrün wäh­len. Das heißt, so eigenartig es klingt: Wahlgeschenke sind per definitionem die Bestechung der Schenkenden durch die Beschenkten. Wichtig – auch für die Analyse des Leuna/Minol-Geschäfts[148] – ist die Feststellung, dass die Frage, wer wen besticht, letztlich vom Blick­winkel der Analyse abhängt. Das resultiert daraus, dass man bei je­dem Tausch das eine als Leistung und das andere als Gegenleistung werten kann und umgekehrt.

Nicht unmittelbar einleuchtend ist das Resultat, dass nämlich Entscheidun­gen der Re­gierung zugunsten ihrer Wähler Politische Korruption darstellen, weil doch genau dies die Wähler erwarten (dürfen). Dazu ein extremes Bei­spiel: Eine Partei verspricht, im Falle eines Wahlsieges werde sie Rentnern, Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und Beamten ein Existenzminimum von 20.000 Euro zahlen. Die Parteimitglieder in der Regierung aber wären mit ih­rer Vereidigung eben nicht mehr dieser Wählergruppe, sondern dem „ganzen Volk“ ver­pflichtet. Die Einhaltung des Wahlversprechens wäre demnach die Erfüllung einer Verpflichtung aus einem korrupten Tausch; und schon das Wahlver­sprechen wäre korrupt. Daraus aber folgt, dass sämtliche an eine be­stimmte Bevölkerungs­gruppe (Klientel) gerichteten Wahlversprechen kor­rupt sind. Darauf könnte entgegnet werden, dass es ja gerade Sinn unter­schiedlicher Parteien ist, unter­schiedliche Grup­pen zu vertreten und es also folgerichtig ist, dass eine von der Mehr­heit gewählte Regierung die Mehrheitswünsche umsetzt[149] ; und die Frage ist, ob die­ses offensichtliche Problem ein Problem des Analyse-Ansatz oder ein Problem des ge­sellschaftlichen Systems selbst ist. Ich ver­trete die Auffassung, dass es sich nicht um ein Problem des Analyse-Ansatzes han­delt und auch nur in zweiter Linie um ein juristi­sches Problem, sondern dem Wesen nach um ein Problem der Marktwirtschaft, also der Warentauschgesell­schaft.

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1.2.1.5. Der Regierungschef bzw. die Regierung

Genauso wenig wie ein Angestellter mit dem Abteilungsleiter zum gemein­samen Vor­teil und zu Lasten des Betriebes kooperieren darf, so wenig darf ein Minister mit dem Regierungschef zu Lasten des Prinzipals „ganzes Volk“ kooperieren. Natürlich ist der Regierungschef – wie der Abteilungsleiter – weisungsbefugt, aber Prinzipal ist nicht er, sondern das „ganze Volk“. Dies hindert den Regierungschef aber nicht daran, als Klient aufzutreten und den Minister als Agenten des ‚ganzen Volkes’ zu bestechen. Beispiel: Der Re­gierungschef sichert dem Minister (oder dem Abgeordneten) einen Platz im neuen Kabinett zu, wenn er als Propagandist des Regierungschefs agiert. Organisierte Beziehungsgeflechte dieser Art nennt man „Hausmacht“, „Seil­schaft“ oder sogar „Ma­fia“. Besonders evident wird der korrupte Charakter dieses Tausches, wenn es z.B. um Propaganda für einen Regierungsbe­schluss geht, für den der Regierungschef bzw. die Regierung ihrerseits von privat geschmiert wurden[150].

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1.2.1.6. Parteispitze, Fraktionsspitze und Fraktion

Parteispitze, Fraktionsspitze und Fraktion werden gemeinsam behandelt, weil sich das Problem für den Minister oder Abgeordneten gegenüber allen drei Gruppen gleich dar­stellt und so ähnlich wie gegenüber den Wählern: Seine Position verdankt er Leuten, die bestimmte Ziele damit verbinden. Nun aber ist er gesetzlich nur noch dem Gewis­sen bzw. dem ‚ganzen Volk’ verpflichtet. Der Abgeordnete wäre ‚nichts’ ohne diese Gruppen. Macht ein Minister oder Abgeordneter von seinem Recht auf Gewissensent­scheidung Gebrauch und entscheidet er gegen den Wunsch der Partei- oder Frak­tion(spitze), drohen Sanktionen seitens Parteispitze und Fraktionsspitze.[151] Entscheidet ein Minister oder Angeordneter aus dem eigennützigen Kar­riere-Motiv heraus, so ist dies eine korrupte Handlung, auch dann, wenn dies nichts nützt oder überflüssig ist.[152] Auch hier droht wieder Verwirrung durch das subjektive Moment und die Frage der Kausalität. Aber diese Fra­gen sind hier ‚auszublenden’: Wichtig für diese Stufe Analyse ist die kor­rupte Konstellation, also der mögliche korrupte Tausch, nicht der vollzo­gene. Das heißt: Auch wenn noch nie irgendein Fraktionsvorsitzender oder Parteiführer ei­nem Abgeordneten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Partei- oder Frakti­ons“wunsch“ mit Sanktionen gedroht und damit den korrupten Tauch geradezu lehr­buchmäßig angemahnt hätte, auch dann be­steht für jede Konstellation dieser Art die Möglichkeit eines korrupten Tausch. Es bedarf keiner Erläuterung, dass eine derartige korrupte Konstel­lation als solche – unabhängig von der Art und Häufigkeit ihren realen Um­setzung – als Korruption und gegebenenfalls als korruptes System zu wer­ten ist. Basiert ein parlamentarisches System auf diesen Abhängigkeiten von Regierungsmit­gliedern und Abgeordneten von ihren Parteien und Frak­tionen bzw. deren Spitzen, dann kann man insoweit von einem korrupten System sprechen.

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1.2.1.7. Die Parteibasis

Mit der Parteibasis verhält es sich ähnlich wie mit den Wählern: Sie hat dem Abgeord­neten (und im weiteren Sinne auch dem Regierungsmitglied[153] ) zu seiner Position verhol­fen, und er ist von ihr abhängig. Auch dies ist folglich eine korrupte Konstellation, d.h. es ist dem Abgeordneten möglich, aus ur­eigensten Interesse und ohne Berück­sichtigung der Interessen des Prinzi­pals „ganzes Volk“ mit der Basis einen korrupten Tausch etwa nach dem Motto ‚populäre Forderungen gegen Nominierung’ zu vollzie­hen.

Ein zusätzliches Dilemma besteht dann, wenn Wähler und Parteibasis unter­schiedliche Erwartungen hegen. Dies ist häufig bei radikalen Kurswechseln einer Partei der Fall, wie dies z.B. den bei den Grünen[154], im Zusammen­hang mit dem Regierungsbeitritt 1998 oder der PDS[155] zu konstatieren ist. Das Regierungsmit­glied oder der Abgeord­nete ist möglicherweise unsicher, ob er mehr seinen Wählern oder der Parteibasis ver­pflichtet ist. Aufgrund des bisher Festgestellten ist aber klar, dass er letztlich weder der Basis noch dem Wähler verantwortlich ist, sondern eben dem „Gemeinwohl“ und dem „Gewissen“.

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1.2.1.8. Die „vier Loyalitäten“

Im Widerspruch zum bisher Entwickelten wird das Problem teilweise als „Loyalitäts­konflikt“ und der Politiker quasi als „Diener mehrerer Herren“ dargestellt, denen grund­sätzlich die gleichen Rechte zugebilligt werden. In dem vom Juristen Günter Tondorf he­rausgegebenen Werk „Staatsdienst und Ethik: Korruption in Deutschland“ von 1995 findet sich ein interessanter Aufsatz des damaligen Geschäftsführers und späteren Chefs der Kölner SPD-Ratsfraktion, Norbert Rüther. In dem Aufsatz „Versuche zu einer Ethik kommunalpolitischen Handelns“[156] entwickelt er eine Theorie der „vier Loyali­tä­ten“[157]. Die ersten beiden „Loyalitäten“ sieht er in „dem abstrakt zu definierenden Ge­meinwohl und dem konkret nachzuvollziehenden pro­grammatischen Entwurf einer Partei“.[158] In diese „Loyalitäten“, also gegen­über dem „ganzen Volk“ und gegenüber sei­ner Partei“ ist der Politiker „in seinem alltäglichen Handeln... grundsätzlich gestellt“, Aber dazu kommt noch eine „Loyalität“ gegenüber „einem bestimmten Sektor der Ge­sell­schaft, dessen Interessen ihm näher liegen als die anderen Bereiche. Da reicht die Bandbreite vom Gewerkschaftsmitglied, das in seinem Betrieb langjähriger Betriebs­ratsvorsitzender ist bis zum Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskam­mer.“[159] Die vierte „Loyalität“ „ist die Loyalität, die das gewählte Ratsmitglied zu sich selbst – und damit seinen eignen In­teressen gegenüber hat“.[160] Innerhalb dieses „Loyali­tätskonflikts“ setzt Rüther Prioritäten. „In einer individualistisch-egoistischen Wohlstandsgesell­schaft ist die Problematik ‚Wie viel verdient jemand am Mandat’ für viele Bürgerinnen und Bürger und die Medien häufig die entscheidende Frage nach der Motivation zur Übernahme eines kommunalen Mandates.“[161] Unmiss­verständlich sagt Rüther: Es gilt, um eine Ethik kommunalpolitischen Handelns zu entwickeln, insbeson­dere die Problematik der ‚vierten Loyalität’ aufzuarbeiten. Dabei sind selbstverständlich Querverbindungen zur ‚dritten Loyalität’ gegeben. Die erste und zweite Loyalität (Ge­meinwohl und Pro­grammausrichtung) werden von dieser Problematik eher weniger be­rührt.“[162] Mit anderen Worten: Rüther sieht in dem Vertrag mit dem Prinzi­pal „ganzes Volk“ lediglich eine „abstrakt zu definierende“ Verpflichtung, die – ebenso wie die Loya­lität gegenüber den Zielen seiner Partei - zurücktritt hinter dem Eigennutz unter Be­rücksichtigung seiner „Bereichs“-Zugehörig­keit. Genau genommen ist das die theoreti­sche Begründung einer „Seil­schaft“: An erster Stelle der „Loyalitätenliste“ steht der Po­litiker selbst, ge­folgt vom „Bereich“; erst dann kommt die Partei und ganz am Ende das „ganze Volk“. Rüther selbst hat seine Theorie eindrucksvoll umgesetzt: Ge­gen ihn wurde am 14.. Juni. 2002 Haftbefehl wegen Bestechlichkeit erlas­sen, weil er im Zu­sammenhang mit dem Kölner „Klüngel-Skandal“ zwei Mio. DM Schmiergelder ange­nommen haben sollte.[163]

Es wird in dieser Arbeit nicht behauptet, dass theoretische Unklarheit dar­über, dass die Amts- bzw. Mandatsträger vorrangig dem Prinzipal „ganzes Volk“ verpflichtet sind, zwangsläufig in die Kriminalität und ins Gefängnis führt. Fest steht aber, dass man Rüther keinesfalls „theoretische Heuchelei“ vorwerfen kann. Sein Ansatz ist vielleicht keine Anleitung, in jedem Fall aber eine Rechtfertigung der ihm zur Last gelegten Handlungen.

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1.2.2. Die Leistung des Prinzipal an den Agenten
1.2.2.1. Diäten

In seinem „Diäten-Urteil“[164] von 1975 nannte das BVG als oberstes Ziel, den Abgeordne­ten „für die Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Parlament eine ausreichende Existenzgrundlage“ und damit ihre die politische Unabhängig­keit zu sichern. Dies klingt vernünftig, birgt aber auf Grundlage des Eigen­nutz-Axioms ein beträchtliches Problem. Die Diäten sind das Gehalt das der Abgeordneten[165], und wie alle ‚rationalen’ Agenten fragen sie sich, ob es nicht irgendwo noch etwas dazuzuverdienen gibt. Diese Frage sollen Diäten überflüssig machen. „Sie sollen nicht darauf angewiesen sein, dazuzuver­dienen.“[166] Anders ausgedrückt: „ Unabhängigkeit muss sich wieder loh­nen“.[167] Es ist nur so, dass die Redwendung, „jemand könne seinen Hals nicht voll ge­nug kriegen“, durchaus eine (wenn auch polemische) korrekte Anwendung der NPÖ beschreibt.[168] Daraus folgt, dass die Diätenerhöhung keine wirkliche Maßnahme gegen den Korruptionsanreiz ist, sondern umge­kehrt diese Behauptung zur Diätenerhöhung benutzt wird.

Mehr noch: die Diäten und Zulagen schaffen im Gegenteil einen erhöhten Korruptions­anreiz: „ Bedroht wird die Unabhängigkeit des Parlamentariers heute weniger durch die Scheckbücher mächtiger Konzerne als durch die Parteien, die ihre Abgeordneten mit Vergabe und Entzug bezahlter Ämter zu disziplinieren versuchen.“[169] Diese Sicht wird bestätigt durch eine BVG-Ent­scheidung vom Juli 2000, die höhere Diäten nur für Frak­tionsvorsitzende der Landtage akzeptiert, nicht jedoch für deren Stellvertreter und für Aus­schussvorsitzende.[170] Das heißt also: Die Diäten stellen einen materiellen An­reiz für den Abgeordneten da, nicht seinem Gewissen bzw. dem „ganzen Volk“ zu dienen, sondern gegenüber Partei- und Fraktion bzw. ihren Spit­zen[171] korrupte Leistungen zu erbringen. Das Problem entsteht schlicht des­wegen, weil der Prinzipal nicht selbst über die Entlohung seines Agenten entscheidet, sondern dies anderen Agenten überträgt.

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1.2.2.2. Parteienfinanzierung durch den Staat

Die Parteienfinanzierung durch den Staat ist im Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz)[172] geregelt. So heißt es in § 18 (Grundsätze und Umfang der staatli­chen Finanzierung) u.a.:

„Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Mittel bilden der Erfolg, den eine Partei bei den Wählern bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen erzielt, die Summe ihrer Mitgliedsbeiträge sowie der Umfang der von ihr eingeworbenen Spenden“[173]. Diese Spenden honoriert der Staat mit „0,50 Deutsche Mark für jede Deutsche Mark, die sie als Zuwendung (Mitglieds­beitrag oder rechtmäßig erlangte Spende) erhalten haben; dabei werden nur Zuwendungen bis zu 6.000 Deutsche Mark je natürliche Person be­rück­sichtigt.“[174]

Das heißt: Der Gesetzgeber, der an dieser Stelle Parteispenden nicht einmal hypothe­tisch als Bestechungslohn in Betracht zieht, zahlt zu Spenden 50 Prozent dazu - mit der Folge, dass sich zumindest der Gedanke aufdrängt, man könne durch ‚Luftbuchun­gen’ Staatsgelder abschöpfen.

Bemerkenswert ist auch die Obergrenze: „Das jährliche Gesamtvolumen staatlicher Mittel, das allen Parteien höchstens ausgezahlt werden darf, be­trägt 245 Millionen Deutsche Mark (absolute Obergrenze).“[175] Ganz offensicht­lich soll die Obergrenze, die als absolute Zahl willkürlich erscheint, symbolisch klarmachen, dass der Gesetzgeber den Parteien ihre Finanzie­rung möglichst selbst überlassen will. Noch deutlich wird das in der Pas­sage: „Die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung darf bei einer Partei die Summe ihrer jährlich selbst erwirtschafteten Einnahmen ... nicht über­schreiten (relative Obergrenze). Die Summe der Finanzierung aller Parteien darf die absolute Obergrenze nicht überschreiten.“[176] Abgesehen davon, dass alle Bundestagsparteien z.B. 1997 auf etwa ein Drittel Staatsgeldanteil kamen[177] und damit von dieser Obergrenze noch weit entfernt waren: Mit die­ser Bestimmung wird zum Ausdruck gebracht, dass die Vertre­tung der spezifischen Interessen der Wähler, der Sponsoren, aber auch der Parteiba­sis geradezu erwartet wird.

Es wurde eben hergeleitet, dass die Bezahlung des Agenten durch den Prin­zipal nur eine graduelle Rolle für das Korruptionsverhalten des Agenten spielt. Dennoch er­scheint der quasi staatlich verordnete Spendenanteil auf­schlussreich: Nach der NPÖ spendet jeder Akteur nur, weil er sich etwas davon verspricht. Die Sozialhilfeempfänge­rin für ihre 5 Euro ebenso wie der Bau-Unternehmer für seine 500.000 Euro. Der Un­terschied ist nur der, dass die Sozialhilfeempfängerin mit ihren 5 Euro kaum etwas be­wirken kann. Die 500.000 Euro dagegen sind „Landschaftspflege“.

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1.3. Das Verhältnis des Agenten zum Klienten

Die einfachste Form des korrupten Tausches besteht darin, dass eine natür­liche oder juristische Person für Geld von der Politik eine Entscheidung kauft.

Besonders anschaulich wird das Grundprinzip vom Satiriker Ephraim Kishon beschrie­ben: „Eine Arbeiterregierung wie die unsere kann nicht ohne wei­teres vom Volk die Steuern einheben, um sie dann auf die einzelnen Büro­kraten zu verteilen. Man braucht einen Vertuschungsfaktor dazwischen. Also bediente man sich des (Unternehmers, T.W.) Schubinski, der als eine Art Kontokorrent zwischen den verschiedensten Betei­ligten fungiert hat... Schubi bekommt öffentliche Mittel in Form von staatlichen Anlei­hen, Zu­schüssen und Schutzzöllen, und diese Gelder ließ er dann wieder in Form von Rabatten, Geschenken, Stipendien, Diäten und ähnlichem an die Staatsdiener zurück­fließen... Der volle Terminus technicus lautet: Der Zah­lungsmittelumschlag von der Ta­sche des Steuerzahlers an die Spitzengre­mien über Katalysator Schubinski.“[178]

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1.3.1. Die Identifizierung des Klienten

Klienten und Agenten schaffen meist ein kaum durchschaubares Organisati­ons- und Strukturwirrwarr, um sich selbst der Identifikation und erst recht der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen. Wichtiges Mittel dafür ist es, den Zusammenhang von Leis­tung und Gegenleistung zu verschleiern. Häu­fig benutzt der Klient professionelle Bestecher („Berater“), die in seinem Auftrag die Staatsorgane bestechen oder ihrer­seits weitere „Berater“ mit der Bestechung beauftragen usw. usf.. Fliegt dann die Sa­che auf, so bleibt sie an irgendeinem dieser „unteren Chargen“ hängen, oft an solchen, die tatsächlich nichts als simple Geldboten sind und mit dem eigentlichen Deal (schon aus intellektuellen Gründen) nichts zu tun haben. Im Extremfall bringt X ein Päckchen von einem Postschließfach in ein anderes, ohne Ab­sender und Empfänger zu kennen.

Auch bestochene Agenten fungieren zuweilen ihrerseits als Klienten. Bei­spiel: Ein Mi­nister kassiert pauschal eine Summe, die er in Eigenverant­wortung zum „Kauf“ anderer Ministerkollegen verwendet.[179]

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1.3.2. Die Leistung des Klienten
1.3.2.1. Unterstützung von Gruppen: Die Parteispenden

Aus der Theorie, nur Egoismus sei rational, folgt logisch, dass Spenden „Landschafts­pflege“ sind, für die eine Gegenleistung er­wartet wird. Folge­richtig werten einige An­sätze Parteispenden generell als Korruption. Nach der Logik der Institutionenökonomik aber ist z.B. die (legale) Parteispende als Anerkennung für eine bestimmte Regie­rungspolitik keine Korruption, sondern eine Art „Trinkgeld“, die der Agent (Partei) mit Billigung des Prinzi­pals (Gesellschaft) erhält. Und das ist auch legal so: Schließlich sind Partei­spenden lediglich zweckungebun­dene Beihilfen zur Stärkung der Parteien und damit der Demokratie und des „Gemeinwohls“ schlechthin, und umge­kehrt werden Kapitalinteressen als identisch mit „Gemeinwohl“ dargestellt, also wird jede Subvention und jede Genehmigung „schon irgendwie die Wirtschaft ankurbeln“. Allerdings ist eine Korruptionsvermutung dennoch herstellbar: Wenn eine Regierung ein Steuergeschenk zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beschließt und ein Konzern im – nicht nachweisba­ren - Gegen­zug an die Regierungspartei spendet, kann gerade das (scheinbare) Feh­len einer konkreten Gegenleistung auch als Indiz für eine allgemeine (korrupte) Ge­genleistung gewertet werden, dass also die Parteien „auf der Gehalts­liste“ der Spender stehen und man die Einzelleistung gar nicht gesondert zu bezahlen braucht. Im spe­ziellen Fall Leuna/Minol wäre es aber ohnehin kaum praktikabel gewesen, dass Elf Aquitaine der CDU Millionenbeträge als „Beitrag zur allgemeinen Stärkung der deut­schen Demokratie“ hätte „spen­den“ können.

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1.3.2.2. Gezielte Unterstützung von Personen

Gezielte Unterstützung von Personen oder Unterabteilungen der Gesamtpar­tei zieht der Klient dem Gießkannenprinzip vor[180], da die Erfolgskontrolle (die Rentabilität der In­vestition Spende) ungleich größer ist - ebenso aller­dings die Gefahr des Korruptions­vorwurfs, was zu besonders sorgfältiger Geheimhaltung zwingt. Daher sind als unver­blümte Variante auch (Schein)- Arbeitsver­träge, etwa die ganz offizielle Anstellung als Geschäftsführer eines Inter­essensverbandes, recht beliebt. Ausgehend von der Egoismusthese (Geld, Macht, Ansehen) ist die Palette der korrupten Bezahlung eines Politi­kers unerschöpflich, allerdings oft äußerst schwer nachweisbar, da hier die ge­samte Palette immaterieller oder indirekter Bezahlung greift. Im Kern geht es um die „personellen Formen der ‚politischen Landschaftspflege’“.[181] Worum es dabei geht, schil­dert in seltener Offenheit der frühere Chef der Rechtsabteilung der Thyssen AG, Hans Joachim Klenk, vor dem Untersu­chungsausschuss „Parteispenden“: „Wir hatten bei uns eigene Bundestags­abgeordnete, den Ihnen sicher bekannten Herrn Wieczo­rek... Das sind SPD-Mitglieder gewesen. Sie versuchten dann, auf irgendeinen Men­schen der Verwaltung einzuwirken, damit der Auftrag hierher ging. Gut, diesen Wün­schen wurde Rechnung getragen. Das führte dazu, dass sich die Firmen verpflichtet fühlten, sich auch den Parteien durch Spenden oder ähnliches erkenntlich zu zeigen. Das ist doch nichts Besonderes.”[182] Es geht hier gar nicht um den Sonderfall des Ex-Thyssen-Managers Wieczorek oder um ir­gendwelche gegen ihn erhobenen Vor­würfe.[183] Klenks Aussage und insbeson­dere die Formulierung „eigene Abgeordnete“ deuten aber auf ein Beziehungsgeflecht hin, das zuweilen mit der Redewendung „auf jemandes Gehaltsliste stehen“ umschrieben wird: Ein Politiker zieht dauerhaften Vor­teil daraus, dass er sich für ein Unternehmen einsetzt; und dieser Vorteil muss keineswegs immer materieller Natur sein. Fest steht: Eine Beziehung in der Art der von Klenk be­schriebenen ist Korruption; und wenn sie „nichts Besonderes“ ist, dann macht sie dies nicht harmloser: Wird eine Brandstif­tung für eine Stadt dadurch harmloser, dass sie nur eine von 2000 Brandstiftungen pro Nacht ist? Im Gegenteil: man wird eine solche Stadt als „Brandstifter-Stadt“ bezeichnen und eine „Brandstifter-Mafia“ vermuten.

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1.3.2.2.1. Materielle Leistungen des Klienten: Sachwerte und Geld

Zur Vielfalt der materiellen Vorteile für den korrupten Amtsträger sei hier beispielhaft der Korruptionsexperte Schaupensteiner zitiert, der das ganze ein „Buffet der Gefällig­keiten“ nennt: „Im Gegenzug bedienen sich die Staatsdiener bei den Firmen wie in Kaufhäusern ohne Kassen. Die Palette der Vorteile umfasst alles was das Herz be­gehrt: Häuser, Fernreisen und Automobile, Kleidung, Pelze, Preziosen, Einladungen in Restaurants und Rotlichtmilieu, Opernkarten, Weinproben, Einkaufsvorteile, Garten­pflege, Möbel, Elektronik, Zuchttiere, Segelyachten, Krafträder, Kleinflugzeuge und was es sonst nicht alles sonst noch gibt.“[184]

Dagegen scheinen nach Schaupensteiners Recherchen „die Zeiten dezenter Übergabe von Bargeld zuende zu gehen... Die Schmiergelder werden auf vielfältige Weise gewa­schen: Als gut dotierte Nebentätigkeiten, als Beraterverträge und Privatgutachten, durch Scheinarbeitsverhältnisse, auch zugunsten von Angehörigen des Nehmers, durch die Beteiligung an Patentrechten, Firmen und Immobilien, als „Provisionen“ für Auftragsvermittlung oder durch großzügige Entgelte für ‚Literaturrecherchen’ und dilet­tierende Werke der Kunst.“[185] Selbstverständlich helfen die Empfänger fleißig mit: „Amts­träger stellen in Gästezimmern und Küchen Computer auf, die unter dem Brief­kopf einer Scheinfirma fleißig Rechnungen über fingierte Leistungen schreiben („Kü­chenfirmen“), Planungsfirmen und Designerbüros, Kopiershops und Beratungsunter­nehmen werden von Strohmännern und –frauen gegründet, um den Schmiergeldfluss zu tarnen.“[186]

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1.3.2.2.2. Karriereförderung

Noch einmal gesondert einzugehen ist auf die schon erwähnte Bestechung von Politi­kern durch Karrieren; und zwar nicht nur deshalb, weil natürlich Politiker in ungleich bessere Positionen zu hieven sind als normale korrupte Akteure: Im Gegensatz zu ‚normalen’ Akteuren können Politiker den Unter­nehmen institutionelle Rahmenbedin­gungen schaffen, Subventionen oder andere Vorteile verschaffen. Vor allem aber brin­gen sie jene spezifischen Insiderkenntnisse und die Kontakte mit, die auch für weitere korrupte Ge­schäfte zwischen dem Unternehmen und der Politik von Vorteil sind. Zu­dem dürfte außer den Eigennutz-Kriterien „Prestige“ und „Macht“ auch der finan­zielle Aspekt beträchtlich sein, so dass bei genauerer Betrachtung diese Art Bezahlung einer Entlohnung nur durch „schnöden Mammon“, womöglich noch in schwarzen Aktenkof­fern, vorzuziehen ist. Und nicht zuletzt ist auch das Risiko vergleichsweise gering. Ein Geldbote oder Korruptionsmanager („Berater“) könnte auspacken. Aber selbst wenn beispielweise ein Konzern­manager hinterher behaupten würde, man den Ex-Minister Z. lediglich als Belohnung dafür eingestellt, dass er damals die Konzerninteressen im Ka­bi­nett vertreten hätte, so könnte er das wohl kaum beweisen. Jürgen Bellers konstatiert in diesem in diesem Zusammenhang: „Es gibt... eine schwer erforschbare Grauzone zwischen Einfluss (und dessen verbandlicher Aus­formung in Gestalt des Lobbyismus) einerseits und Korruption andrerseits. Was ist es beispielsweise, wenn ein Beamter dem Drängen eines bestimmten Interessenverbandes stets nachgibt, mit dem Ziel, die Karriereleiter hochzusteigen?“[187]

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1.3.2.2.3. Die Chance zur Selbstbereicherung

Ein äußerst wichtiger, wenn auch hier nicht ausführlich zu behandelnder korrupter Vorteil für den Politiker ist die Chance zur allgemeinen Selbstbereicherung. Diese Chance kann einen Politiker nämlich durchaus zu einer Begünstigung desjenigen be­wegen, der ihm diese Chance verspricht.

Für die allgemeine politische Korruption bedeutet dies, sämtliche Chancen auf Ver­günstigungen hinzuzuzählen, die sich aus seinem Amt oder Mandat ergeben.

Damit sind also nicht nur „normale“ Vergünstigungen für Abge­ordnete gemeint, wie die vor der Bundestagswahl 2002 heftig diskutierten privaten Freiflüge von Bundestagsab­geordneten.[188] Es geht um sämtliche Bereicherungsmöglich­keiten auch illegaler Art (Un­treue, Unterschlagung) die ein Ab­geordneter nur qua Amt erhält. Beispiel: Ein Mi­nister, der als Mitglied einer Seilschaft nicht die Interessen des „ganzen Volkes“ vertritt, sondern die ureigensten Inte­ressen z.B. des Regierungschefs, und insofern eine kor­rupte Leistung erbringt, erhält als korrupte Gegenleistung die Chance, in großem Stil Gelder zu veruntreuen. Hier handelt es sich um einen korrupten Tausch, und zwar un­abhängig davon, ob und in welchem Ausmaß er die Chance zur Selbstbereicherung wahrnimmt.

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1.3.3. Die Leistung des Agenten: Spezielle korrupte Leistungen der Politik
1.3.3.1. Gewährung direkter finanzieller Vorteile

Gängige direkte finanzielle korrupte Leistungen der Politik sind:

a) Steuernachlässe. Beispiel wäre[189] die Flickaffäre[190].
b) Kredite. Beispiel wären die „Aubis-Kredite“[191].
c) Subventionen[192]. Beispiel wären die Subventionen der deutschen Steuerzahler für den französischen Konzern Elf Aquitaine[193].
d) Verkaufen von Staatseigentum unter Wert. Beispiel wäre die Abwicklung des DDR-Staatseigentums durch die Treuhandanstalt[194].

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1.3.3.2. Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. Privatisierung

Den üblichen Ablauf der korrupten Vergabe öffentlicher Aufträge schildert beispielhaft Susan Rose-Ackerman „Wenn der Staat Käufer oder Auftraggeber ist, gibt es mehrere Gründe, Beamte zu bestechen. Erstens kann eine Firma zahlen, um in die Liste der zugelassenen Anbieter aufgenommen zu werden und um den Umfang der Liste zu be­schränken. Zweitens kann sie für Insider-Informationen zahlen. Drittens können Beste­chungsgelder Beamte motivieren, die Spezifikation einer Ausschreibung so zu struktu­rieren, dass die korrupte Firma der einzig qualifizierte Anbieter ist. Viertens kann eine Firma zahlen, um als Auftragsnehmer ausgewählt zu werden. Nachdem eine Firma als Auftragsnehmer ausgewählt wurde, kann sie schließlich zahlen, um überhöhte Preise festsetzen zu können oder mit schlechter Qualität durchzukommen.“[195] Diese vier Punkte gelten analog auch für Projekte, in denen der Staat Verkäufer ist, also auch für Privatisierungen. „Der (Teil-)Verkauf großer staatlicher Einrichtungen – etwa Banken, Flughäfen u. ä. – stellt ein neues Potential von Korruption dar, die damit zugleich neue Formen annimmt und schlechter kontrolliert werden kann.“[196] Es wird zu untersuchen sein, welche der hier angesprochenen Mechanismen auch beim Leuna/Minol-Geschäft anzutreffen sind.

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1.3.3.3. Immaterielle bzw. mittelbar finanzielle Leistungen

„Übliche“ Immaterielle bzw. mittelbar finanzielle korrupte Leistungen der Politik sind u.a.[197]:

a) Insiderinformationen. Beispiel ist der Fall der Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, die als gleichzeitiges Aufsichtsratsmitglied im Bewerberkonsortium für den Flughafenbau BBF quasi Insider-Informationen qua Amt hatte.[198]
b) Bevorzugung bei der Auftragsvergabe. Beispiel ist der schon in Teil A 2.4.2. zitierte Fall des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin.
c) Erlangung von Leistungen ohne (vollen) Gegenwert. Beispiele sind Infrastruktur­maßnahmen, die unter der Devise „Standort X-Stadt“ von Bund, Ländern und Kommu­nen aus Steuergeldern den ansiedlungsbereiten Investoren „geschenkt“ werden.
d) Abrechnungen nicht erbrachter Leistungen. Beispiele wären die in Teil C 2.3.1. er­wähnten Scheinstudien, außerdem nützliche „Weiterbildungskurse“, die laut Medienbe­richten von Arbeitsamt-Mitarbeitern dubiosen und unqualifizierten Privatfirmen zuge­schanzt werden.[199]
e) Beseitigung von Beweismitteln. Beispiel ist die in Teil D 1.2.1. geschilderte Akten­vernichtung im Kanzleramt.
f) Sachlich nicht gerechtfertigte Genehmigungen. Beispiele wären die in Teil C geschil­derten Fälle zu Genehmigungen durch das Kartellamt (4.1.) und durch das Umweltmi­nisterium(4.4.).[200]
g) „Gute Zusammenarbeit“. Beispielhaft sind die Aktivitäten des Kontakthändlers Moritz Hunzinger: Der Politiker zeigt sich „kontaktfreudig“, und Hunzinger zahlt z.B. Honorare für deren Bücher.[201]
h) Vermeidung/Umgehung von Sanktionen und Auflagen bzw. Duldung rechtswidriger Zustände. Beispiele sind generell Bußgelder und Strafen, die derart niedrig sind, dass sie den Betroffenen keinerlei Anreiz zur Einstellung illegaler Tätigkeiten wie Schwarz­arbeit, Steuerhinterziehung oder Umweltkriminalität bieten, sondern quasi als „Be­triebskosten“ aufgefasst und gezahlt werden.[202]

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1.3.3.4. Leistungen für die gesamte Wirtschaft

Als korrupte Leistungen, die der Gesamtwirtschaft gelten, kommen etwa Lohnneben­kostensenkung, Steuerreform, Kündigungsschutzlockerung und allgemein der „Rück­bau“ des Sozialstaats in Frage. Selbstverständlich ist nicht jede dieser „wirtschafts­freundlichen“ Maßnahmen ein korrupter Akt; entscheidend ist der Vollzug des korrup­ten Tausches, also die unter 1.3.2. bereits dargestellten Gegenleistungen der Klienten. Die ebenfalls schon diskutierte These der Interessenidentität von Kapital und Gesell­schaft (Teil A, 1.4.) ändert allerdings nichts Wesentliches am Korruptionsproblem: Selbst wenn jemand von einem Klienten „nur“ dafür eine Gegenleistung annimmt, dass er eine gemeinnützige und insofern selbstverständliche Aktion ausführt, liegt ein kor­rupter Tausch vor. An dieser Stelle kann nur allgemein formuliert werden: Trägt ein Po­litiker allein oder als Teil einer Partei, Gruppe oder Seilschaft dazu bei, die Wirtschaft zu bevorzugen und erhält er dafür eine Gegenleistung von Seiten der Begünstigten, so ist dies ein korrupter Tausch. Die Gegenleistung kann sich auch auf materielle Dinge wie Macht und Prestige erstrecken. Kann also ein Politiker aufgrund von Erfahrungen darauf hoffen, durch „wirtschaftsfreundliche“ Politik seine Chance auf einen „Traumjob“ in der Wirtschaft zu erhöhen, so handelt es sich bereits um Politische Korruption. Der Einwand, es sei doch „ganz natürlich“, dass die Wirtschaft wirtschaftsfreundliche Politi­ker gern einstelle, zeigt nur, inwieweit korrupte Verhaltensweisen und Strukturen im Rahmen der Marktwirtschaft als „ganz natürlich“ empfunden werden.

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1.3.4. Der Agent als Klient

Hier sind zwei Varianten zu unterscheiden.

a) Der Klient bezahlt den Agenten dafür, dass er in seinem Auftrag andere Akteure schmiert. Hier ist der Agent kein eigenständiger Klient, sondern Bote, „Berater“ oder Ähnliches. b) Der Klient bezahlt den Agenten, dafür er in Sinne des Klienten ein Netz­werk korrupter Agenten aufbaut. Hier ist aber nicht gesagt, dass sich der Agent wirklich daran hält und nicht eigenständige Ziele verfolgt. Zu unterscheiden, ob der Agent auf eigne Rechnung, zum Wohle der Partei oder zum Wohle des Spenders besticht, zumal diese Teilinteressen häufig zusammenfallen dürften, erscheint spitzfindig, ist es aber nicht. Beispiel: Ein Regierungschef und Parteiführer unterhält eine schwarze Kasse, aus der er Unterorganisationen oder Einzelne bezahlt. Im Laufe der Zeit entsteht ein so starkes Abhängigkeitsgeflecht, dass man nicht einmal mehr sagen kann, die vom Par­teiführer bestochenen Politiker seien letztlich vom ursprünglichen Klienten bestochen. Vielmehr unterhält der Parteiführer nun ein eigenständiges korruptes Imperium, und so gesehen, handelt es sich dabei um eine ‚unerlaubte Nebentätigkeit’, d.h.: In seinem ‚Hauptberuf’ ist er Agent des ‚ganzen Volkes’, gegenüber dem er – meistbietend – alle möglichen Regelverstöße begeht. In seinem ‚Nebenberuf’ ist er Klient, der ebenfalls Agenten des ‚ganzen Volkes’ besticht, also des gemeinsamen Prinzipals.

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1.3.5. Die juristische Autonomie der Agenten

Ohne weitere Erläuterung an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Politiker einen unschätzbaren Vorteil gegenüber gewöhnlichen Agenten haben: Die Politik be­stimmt selbst, was Korruption überhaupt ist, wann sie vorliegt und wie sie bestraft wird. Sie sind Gesetzgeber in eigner Sache. Dazu ist sie durch den Wähler legitimiert und be­auftragt. In diesem Lichte gewinnt auch die Verpflichtung der Abgeordneten und Man­datsträger auf Recht und Gesetz einen sarkastischen Unterton. Als pars pro toto kann die Tatsache gelten, dass der Bundestag es über 40 Jahre lang – vom 4. August 1953 bis zum 22. Januar 1994 – vermieden hatte, die Abgeordnetenbestechung – also ihre eigne – unter Strafe zu stellen. Nun ist es weder Aufgabe der Analyse und noch dem Bürger zuzumuten, fortwährend darüber zu spekulieren, ob die Abgeordne­ten wirklich ‚nach bestem Wissen und Gewissen’ Gesetze beschließen oder mit dem Gedanken im Hinterkopf, diese Gesetze könnten sie selbst, ihre Partei oder ihren Be­kanntenkreis treffen. Die Analyse muss und kann sich damit begnügen festhalten: Würden die Bun­destagsparteien feststellen, dass bestimmte Regelverstöße von 80 Pro­zent des hohen Hauses begangen wurden und weiter begehen wollen, so hätte das Hohe Haus alle MÖGLICHKEITEN, mit den erforderlichen Mehrheiten im Zweifelsfall diese Regelver­stöße eher legalisieren als die Betroffenen der Gefahr einer empfindli­chen Strafe aus­zusetzen. Dem Bürger seinerseits bleibt es unbenommen, in seiner Einschätzung aus der MÖGLICHKEIT ein FAKTUM zu machen, was der Politikerverd­rossenheit sicher keinen Abbruch täte.

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2. Der korrupte Eingriff in die Justiz

Der korrupte Eingriff in die Justiz kappt sozusagen den Rettungsanker der Demokratie. Intendiert ist ja, das alles Ungesetzliche spätestens hier sein Ende findet. Daher ist es nur logisch, dass die korrupte Aktion in der Bestechung der Justiz ihre Ergänzung, Ab­sicherung und Vollendung findet. Bei der folgenden kurzen systematischen Darstellung ist zu berücksichtigen, dass nach dem Eigennutz-Axiom alle Menschen nach Eigen­nutz-Maximierung streben, also auch die Akteure der Dritten Gewalt, und dass sie sich demzufolge nach demselben Kosten/Nutzen/Risiko-Kalkül für oder gegen Korruption entscheiden.

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2.1 Das Objekt der Bestechung – der Agent

Bestechungsobjekte sind alle, die auf juristische Verfahren irgendeinen Einfluss haben, z.B. Richter, Staatsanwälte, Gegenanwälte, Zeugen, Gutachter etc.

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2.2. Das Subjekt der Bestechung – der Klient

Im Prinzip kann fast jeder versuchen, die 3. Gewalt zu bestechen, z.B. den Anwalt der Gegenseite. Hier aber geht es um zweierlei Klienten: Private Unternehmen und Politi­ker, die ihrerseits bestochene Agenten sein können.

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2.3. Der Gegenstand der Bestechung – die korrupte Leistung

Häufiger Gegenstand von Bestechung sind Gerichtsur­teile, Verfahrenseinstellungen,), Gutachten, Zeugenaussagen (‚Amnesie’). Verfahrenssabotage (Aktenverlust, Fristen­versäumung). Diese Delikte sind meist gar nicht oder nur schwer nachweisbar. Urteile inklusive Strafmaß sind „Ermessenssache“, Amnesie kann (in dubio pro...) echt sein, und selbst Sabotage kann einfache Schussligkeit sein.

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2.4. Methoden der Bestechung – die korrupte Gegenleistung

Da Richter und Staatsanwälte Beamte sind, spielt die Beförderungspraxis eine große Rolle. Es gilt das erpressungsähnliche Prinzip Belohnung oder Bestrafung. Missliebige werden übergangen oder gar strafversetzt. Wer sich als ‚kooperativ’ einen Namen ma­chen kann, dem winkt eine Steilkarriere. Obwohl in manchen Fällen ‚jeder weiß’, dass die konkrete Entscheidung – Haftbefehl, Anklage oder nicht? – nichts mit der Sache, sondern eher mit Zivilcourage bzw. Karrierismus des Staatsanwalts zu tun hat, ist das Delikt der Korruption praktisch nicht nachweisbar und erst recht nicht in Straftatbe­stände zu fassen. Das Wichtige aber ist auch hier, dass von Seiten des Staates – der Politik, der Vorgesetzten etc. - die MÖGLICHKEIT zur Korruption in Form der Erpres­sung besteht. Und will man dem Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier glauben, dann ist er wegen seiner Korruptions-Ermittlungen[203] auch gegen Mitglieder der CDU und der CSU von eben dieser CSU massiv behindert und gemobbt worden, so dass er schließlich eine Stelle als Familienrichter antrat.[204]

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3. Die Bewertung des korrupten Eingriffs in den Staat

3.3. Die Folgen des korrupten Eingriffs in den Staat

Der direkte korrupte Eingriff in den Staat durch Bestechung seiner Entscheidungsträger ist etwas qualitativ anderes als die Bestechung gewöhnlicher Mitglieder (Staatsbürger, Unternehmen etc.). Die Institutionenökonomik benennt ihr Normativ für die Aufgaben des Staates recht unmissverständlich:

„Zu den produktivsten Regeln, die im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben werden können, gehören solche, die das Eigentum institutionalisieren, also Unternehmerge­winne, genauso wie die Verdienste von Arbeitnehmern, Erträge von Kapitalvermögen und so fort, nicht zuletzt auch die Verwendung solcher Einkünfte... Die Gesellschaft überlässt dem Unternehmer seine unter Umständen hohen Gewinne, weil sie weiß, dass jedes einzelne Gesellschaftsmitglied letztlich davon profitieren wird.“[205]

„Bürgerliche“ und marxistische Theorie sind sich also durchaus darin einig, dass der Staat die gesellschaftliche Ordnung, insbesondere die Wirtschaftsordnung, schützen soll. Daraus folgert die Institutionenökonomik, dass der korrupte Eingriff in Staatstätig­keit von elementarer Bedeutung ist: „Werden Gerichtsurteile käuflich, dann können Richter den ihnen von der Gesellschaft zugedachten Aufgaben nicht mehr gerecht werden.“[206] Entsprechend „werden auch höhere Beamte, Regierungsmitglieder und sons­tige Agenten im öffentlichen Sektor nicht mehr fähig sein, den ihnen gesellschaft­lich zugedachten Aufgaben nachzukommen.[207] Die Folge: „Nach und nach werden die Verlierer der Korruption den Gesellschaftsvertrag aufkündigen“ – bis hin zu Mafiatätig­keit und Schlimmerem: „Die Verteidigung ihrer durch Korruption und anderweitig er­worbenen Besitzstände gegen die um sich greifende Wohlstandminderung und den Zugriff durch schlechter ausgestattete Gesellschaftsmitglieder wird für die privilegierten Agenten zunehmend teuer, bis die Kosten der Aufrechterhaltung des politischen und gesellschaftlichen Status Quo endlich prohibitiv hoch sind und es zum allgemeinen Einbruch oder zum Umsturz kommt.“[208] Es „besteht bei großer Unzufriedenheit inner­halb weiter Kreise der Bevölkerung... die Gefahr der vollständigen Aufkündigung des Gesellschaftsvertrages. Die Folgen dieses Extremfalls wären Umsturz, Enteignung und möglicherweise die Installierung eines ganz anderen Gesellschaftssystems.“[209]

Dies klingt wie die NPÖ-Übersetzung der Marxschen Vision von der Zuspitzung der Klassenwidersprüche bis hin zur Alternative Sozialismus oder Barbarei.[210]

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3.3. Die Bewertung durch die Institutionenökonomik

Wie schon erwähnt, sagt die Institutionenökonomik, „dass Korruption gesellschaftliche Vorteile zeitigen kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Gesellschaftssystem von Überregulierung geprägt ist.“[211] Dennoch: „Ein gleichwertiger Ersatz für die Ausbesse­rung der gesellschaftlichen Rahmenordnung ist Korruption allerdings nie, weil erstens das Risiko der Entdeckung und Betstrafung den ... Tausch für Agent und Klient unattraktiv macht und zweitens der Zwang zur Geheimhaltung...gesellschaftlich unpro­duktive Folgen hat“.[212] Diese ‚gesellschaftlich unproduktiven Folgen’ sind aber vorwie­gend politischer Art: Umsturz droht.

Wohlfahrtstheorie und Institutionenökonomik sehen diese Umsturzgefahr als Folge ei­nes „unvernünftigen“ (also freiwilligen) Fehlverhaltens in Form von grenzenloser Gier in Tateinheit mit Kurzsichtigkeit und Undankbarkeit.[213] Da nun erklärtermaßen „die Institutio­nenökonomik alle Probleme systematisch auf Informationen und Anreize zu­rückführt“[214], käme es darauf an, Einkünfte und Privilegien zu erhöhen sowie die Politi­ker etc. darüber aufzuklären, wie gut es ihnen geht und dass sie Gefahr laufen, ‚die Milchkuh zu schlachten’. Damit aber tut die Institutionenökonomik exakt das, was sie der Wohlfahrtsökonomik süffisant vorwirft, nämlich den Akteuren ins Gewissen zu re­den und ihnen zu raten „doch einfach ihre Ressourcen optimal zu nutzen“.[215]

Damit aber wird die Institutionenökonomik zu reinen Agitationstheorie. Insbesondere ist die Annahme, der ausschließlich am ureignen Nutzen interessierte „homo oeconomi­cus“ sei für „übergeordnete Anreize“ empfänglich, ein innerer Widerspruch des Pareto-Mo­dells. Zwar wird zuweilen versucht, dem Vorwurf zu begegnen, die Ethik des „homo oe­conomicus“ verabsolutiere kapitalistische Geldgier zur menschlichen Eigenschaft schlechthin, indem man Altruismus und das daraus resultierende Gefühl der Befriedi­gung als eine Form des Egoismus darstellt[216]. Damit aber landet man letztlich bei den Gossenschen Genussgesetzen[217]. Wäre nämlich die Hoffnung begründet, man könne kor­rupte Individuen „im eignen langfristigen Interesse“ zu Ehrlichkeit und Zurückhaltung bewegen, dann wären sämtliche vom materiellen Eigennutz abgeleiteten Modelle will­kürlich. Ebenso wäre die Kritik an sozialistischen oder am Christentum orientierten So­lidarmodellen der Gesellschaft hinfällig: Wenn die Bekehrung von habgierigen Krimi­nellen möglich ist, um wie viel eher dann wären ehrliche Unternehmer bereit, die Vor­teile des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmitteln einzusehen und sich mit gesellschaftlich akzeptierten Prämien und Auszeichnungen zufrieden zu geben? Das sind sie natürlich nicht, weil sie Geld sehen wollen, womit aber wiederum die Hoffnung auf den freiwilligen Verzicht der Korrupten gestorben wäre.

Man könnte - polemisch aber korrekt - resümieren: Die Grundannahme der Instituti­onsökonomik ist weder der triebhaft habgierige Egoist, noch der biblische „Gut­mensch“, sondern z.B. der Chemiefabrikant, der nach Besuch eines institutionenöko­nomischen Umweltseminars seinen Müll fortan legal entsorgt und als guter Verlierer Pleite geht, womit er nach der NPÖ-Theorie „eine Form gesellschaftlicher Solidarität“ zeigen würde, und zwar als „Besserstellung anderer[218], der aber trotzdem keinen Sozia­lismus will, weil er auf ‚bessere Zeiten’ innerhalb der freien Markwirtschaft hofft. Wieso er das aber tun sollte, diese Frage bleibt die NPÖ schuldig: Wieso sollte ein ge­scheiterter Unternehmer mit 15 Mio. Euro Schulden und folglich lebenslangem Sozial­hilfe-Budget auf Idee kommen, er würde sich in dieser Gesellschaft in irgendeiner Weise ökonomisch besser stellen als in jeder anderen mit demokratischer Verfassung? Auf diese Idee kann er nur kommen, wenn er neben dem Eigennutz-Axiom auch noch das des Privateigentums an Produktionsmitteln zugrunde legt.

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3.3. Der Ansatz der Marxschen Politischen Ökonomie

Anders als Wohlfahrtsökonomik bzw. NPÖ hält die Marxsche Politische Ökonomie den Zusam­menhang von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bzw. von ökono­mischer Basis und gesellschaftlichem politischem Überbau nicht für willkürlich herstell­bar und trennbar, sondern für dialektisch, also sich gegenseitig beeinflussend. Dabei wurden und werden bestimmte Produktivkräfte stets von bestimmten Klassen „reprä­sentiert“ – als deren „Charaktermasken“. Der Kapitalist ist die „Charaktermaske“ des Kapitals, „personifiziertes Ka­pital“. Die bedeutet keineswegs, dass jeder Kapitalist per se der „skrupellose Aus­beuter“ sei. Subjektiv mögen auch „Fehlhandlungen“ wie Um­weltzerstörung, Sozi­alabbau oder auch Korruption als „objektiver Sachzwang einer konkreten Situation“ er­scheinen – aber genau das ist mit „Charaktermaske“ gemeint.

In der Markwirtschaft kommt der konkurrierende Unternehmer permanent und gesetz­mäßig in die Situation, bei Strafe des Untergangs keine andere Möglichkeit zu haben als z.B. Lohnkürzung, Entlassung, Giftmüllkriminalität. Beim Existenzkampf um Profit­maximierung erscheint die Korr uption nur als ein – wenn auch riskantes – Mittel unter vielen. Der Unternehmer als „Charaktermaske“ denkt nicht nach über Moral und Ver­werflichkeit. Er erstellt eine „wertneutrale“ mathematische Kosten-Nutzen-Risiko-Ana­lyse und entscheidet dann über Bestechung.

Auch der Politiker, der z.B. die maroden Finanzen seines Vorgängers übernimmt, sieht es als objektiv notwendig an, z.B. an Kindergärten zu sparen, „weil irgendwo ja gespart werden muss“, nicht aber an Steuervergünstigen, weil die Unternehmer sonst noch mehr Leute entlassen müssen. Dies ergibt sich bereits, wenn man den Politiker als „ge­rade neu aufgetaucht“ betrachtet. In der Regel aber gelangt kein Politiker – wie der „Regulator“ im Pareto-Optimum – „einfach so“ auf. Vielmehr ist sein Weg gepflastert von aktiver und passiver Korruption, vor allem aber von Abhängigkeiten. Er ist also, ob er es nun wahrnimmt oder nicht – bestochen und bestechlich. Ein Minister zum Bei­spiel, der nie einen normalen Beruf ausgeübt hat, weiß um die ungeheuren Vor- oder Nachteile, die ein relevanter Gesinnungswechsel haben könnte. Sagt etwa ein Um­weltminister, er habe seine Position (hin zu der der Atomlobby) völlig freiwillig geän­dert, dann hat das einen ähnlichen Glaubwürdigkeitsgehalt, wie die Beteuerung einer Geisel, sie werde gut behandelt. Nicht zu unterschätzen ist dabei das Element des Selbstbetrugs. Dies ist zwar keine psychologische Arbeit. Dennoch sollte der psycho­logische Aspekt bei der wirtschaftsPolitischen Korruptionsanalyse nicht gänzlich aus­geklammert werden.

Als allgemeine URSACHE von Korruption benennen nicht nur Marxisten die „Privatisie­rung moralischer Belange“, die „Ungleichheit von Reichtum, Macht und Status“, die „Aufspaltung in Fraktionen“ sowie die Instrumentalisierung staatlicher Institutionen als „Werkzeug von Gruppen und Klassen“. Wenn aber der Staat – Politik und Justiz – selbst Gegenstand erbitterter Konkurrenzkämpfe inklusive korrupter Handlungen sind, dann erscheint die Hoffnung, Politik und Justiz würden gegen die Korruption vorgehen, bestenfalls als unbegründeter Wunsch.

Anti-Korruptions-Konzepte wie „korruptionsmindernde Gestaltung institutioneller Strukturen, politische Erziehung, Formen politischer Partizipation sowie die Begren­zung der Akkumulation von Reichtum und erblichen Privilegien“[219] sind zwar ein wichti­ges Fundament demokratisch verfasster politischer Systeme, werden aber, wie von Ale­mann/Kleinfeld ausführen „den Funktionsbedingungen komplexer pluralistischer Ge­sellschaften nicht mehr voll gerecht.“[220]

Die Politische Ökonomie teilt diese Einschätzung; denn sie begreift den korrupten Tausch ja nicht als Fehlverhalten‚ sondern als logisches Verhalten des personifizierten Kapitals. Er gehört zur Marktwirtschaft wie der Tausch selbst.

Die Ableitung des Kapitalismus und der Korruption aus der Warenproduktion und damit auch aus der Konkurrenz widerspricht aber auch der in der Stamokap-Theorie ange­legten These, die Staatsorgane und sämtliche marktwirtschaftlich orientierten Parteien könnten quasi als ‚monolithische korrupte Erfüllungsbrigaden der Monopole’ einträchtig und planvoll im Sinne der gemeinsamen Erzielung und Aufteilung des Profits und aus Kostengründen auf Konkurrenz untereinander und unkoordinierte Korruption verzich­ten.

So wird in dem vom Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED heraus­gegebenen Standardwerk „Imperialismus heute“ 1965, die Haupt-These der Stamokap-Theorie formuliert, nämlich „dass für den staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht dieses spontane Wirken der ökonomischen Gesetze, diese spontane Regulierung der Produktion und des Austausches, sondern ein umfassendes System der Regulierung im Maßstab der Volkswirtschaft charakteristisch ist.“[221] Das heißt: Wer rational die Volks­wirtschaft planen kann, der kann auch die Korruption steuern.

Damit aber verlässt die Stamokap-Theorie den Boden der Politischen Ökonomie und nähert sich der NÖP an: Beide Ansätze postulieren die Möglichkeiten, dass die öko­nomischen Gesetze der Marktwirtschaft, vor allem die Konkurrenz und damit auch die Korruption als ihre Variante außer Kraft gesetzt werden können.[222]

Zusammenfassend ist festzuhalten:

Das überzeichnete Primat der Politik besagt: Es ist möglich, durch gesamtgesellschaft­liche Aufklärung und/oder Massenaktionen „von unten“ den korruptionsfreien „Gutmen­schen“ zu züchten bzw. zu erziehen.

Das überzeichnete Primat der Ökonomie besagt: Unter den Bedingungen des Kapita­lismus ist der Kampf gegen Korruption von vornherein sinnlos. Andrerseits werden durch die Entwicklung der Produktivkräfte die Kapitaleigner paralell zur Konkurrenz auch die Korruption sukzessive einstellen.

Nach der Marxschen Politischen Ökonomie handelt sich aber um ein dialektisches Verhältnis:

Einerseits ist Korruption - und damit auch staatliche und Politische Korruption - als be­sondere Form des Warentausches so lange unausrottbar, solange es Tauschverhält­nisse und Verträge zwischen Agenten und Prinzipal gibt: Zwangsläufiges Pendant zu „Verträge sind einzuhalten“ ist nämlich „Verträge können gebrochen werden.“ Dement­sprechend ist jeder, der nicht Agent oder Prinzipal des jeweiligen Vertrages ist, ein potentieller Klient, der den Agenten durch Bestechung zum Vertragsbruch bewegen kann.

Andrerseits kann Korruption beträchtlich erschwert werden (von Kontrollen und Strafen bis hin zur sozialen Ausgrenzung bzw. Ächtung). Der Kampf gegen die Korruption ist vergleichbar mit Kämpfen für soziale Gerechtigkeit bzw. Abwehrkämpfen gegen die Verbreiterung der Arm-Reich-Schere. Das Eigeninteresse des Prinzipals Bevölkerung am Anti-Korruptions-Kampf besteht – wie das jeden anderen Prinzipals – in der Ein­haltung des Vertrages durch die Agenten, also die Staatsdiener und politischen Ent­scheidungsträger.

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4. Erscheinungsformen und Merkmale staatlicher Korruption

Einige für diese Analyse wichtige Erscheinungsformen staatlicher Korruption nennt Wolfgang Sielaff, Landespolizeiinspekteur der Polizei Hamburg und Korruptionsfor­scher, in einem Referat für die Organisation „Pro Honore“, wobei er von einer These des Münchener Politologen Paul Noack ausgeht: "Korruption im Staat führt ohne Um­wege zur Korruption des Staates."[223]

Hilfreich zu ihrer Erkennung können Indikatoren sein, die auf korrumpierendes Verhal­ten hinweisen. Im Zusammenhang mit früheren Ermittlungen aus dem behördlichen Beschaffungswesen sind beispielsweise folgende Als „typische Korruptionssignale“ nennt Sielaff u.a.

a) Finanzierung von Dienstreisen durch den jeweiligen Lieferanten; Geschäftsbespre­chungen bei Firmen[224] außerhalb des allgemeinen Rahmens, z.B. auf einer Wochenend­segeltour auf Firmenkosten.
a) Kurzurlaub, Theaterbesuch auf Firmenkosten, ggf. mit Ehefrau oder Familie.
b) Urlaub in firmeneigenen Unterkünften.
c) Sachzuwendungen durch Firmen für den Privatgebrauch, z.B. Porzellan,
d) Fernsehgerät, Videorekorder, PC, Videokamera.
e) Finanzierung von Betriebsfeiern oder Ausrichtung von Betriebsausflügen.

Fast zynisch fügt Sielaff hinzu: „Ich vermute, dass mancher von ihnen denkt, dass das doch normale Usancen im Geschäftsverkehr seien.“

Sielaff unterscheidet „personen- und verfahrensspezifische Korruptionsindikatoren“.

Personenspezifische Indikatoren:

a) Urlaub in firmeneigenen Unterkünften.
b) auffallende Vertraulichkeit im Umgang mit Kunden/Antragstellern.
c) auffällig aufwendiger Lebenswandel, der auch nicht plausibel erklärbar ist.
d) "risikoreiche Lebensweisen" z.B. Spielsucht, Alkoholabhängigkeit.
e) Persönliche Übernahme von Klienten/Kunden.
f) absichtliches Unterlassen von Sicherheitsvorschriften (z.B. Vier-Au­gen-Prinzip).
g) überzogenes Argumentieren für einen bestimmten, nicht unumstrittenen Auftrag.

Verfahrensspezifische Indikatoren:

a) Entscheidungen ohne vorherige Prüfung.
b) Entscheidungen gegen die Rechtslage.
c) unvollständige oder fehlerhafte Akten.
d) Verzicht auf Kontrollen.
e) Vertragsabschlüsse mit unüblich langen Bindungen.
f) unerklärliche Verfahrensbeschleunigungen.
g) Verzicht auf öffentliche Ausschreibungen.“

Es wird zu untersuchen sein, welche dieser Indikatoren auch beim Leuna/Minol-Ge­schäft bzw. bei den Versuchen zur Aufklärung der Vorwürfe zu beobachten sind. Sielaff betont allerdings, „dass die Indikatoren für sich alleine noch kein Beweis für eine kor­ruptive Verbindung sind. Erst wenn sie sich häufen oder in bestimmten Konstellationen auftreten, wird aus den einzelnen Indizien häufig eine Indizienkette und schließlich auch ein Beweis.“

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5. Zusammenfassung der Teile A und B

Es war notwendig, die beiden Ansätze ausführlich zu untersuchen, um ihre innere Lo­gik ebenso wie die Intention zu erfassen. Wir haben jetzt mit dem auf dem Eigennutz-Axiom beruhenden Korruptionsmodell der NPÖ ein Instrumentarium, das am konkreten Beispiel erprobt werden soll. Vom Marxschen „Personifizierten Kapital“ und seinem Prinzip der Profitmaximierung unterscheidet es sich dadurch, dass es vom Eigeninte­resse des „Menschen an sich“ ausgeht, während Marx das Profitinteresse aus den Produktionsverhältnissen des Ka­pitalismus herleitet. Daher taugt das NPÖ-Modell zwar nur für die Einzelfallanalyse, aber um die geht es ja im ersten Schritt:

1. Wir haben einen „Prinzipal“ der mit dem Agenten einen regulären Vertrag unterhält, und wir haben einen „Klienten“, der sich in diesem Vertrag einmischt, indem er durch Bestechung den Agenten zu einer korrupten Leistung mit oder ohne Verletzung seines „Hauptvertrages“ bewegen will. Der Bestechungslohn muss nicht in Geld, sondern kann auch in „Macht“, „Karriere“, „Prestige“ etc. bestehen. Der Verkauf einer politi­schen Entscheidung ist also zwar die deutlichste, keinesfalls aber die einzige und wo­möglich nicht einmal die gängige Erscheinungsform politischer Korruption.
2. Dennoch ist eine wichtige Frage: Wurden beim Leuna/Minol-Geschäft deutsche Po­litiker von französischer Seite finanziell geschmiert? Hat also der Klient Elf, den Agen­ten „deutsche Politik“ mit Geld dazu bestochen, ein Geschäft zum Nachteil des Prinzi­pal Deutschland abzuschließen? Diese Frage ordnet sich aber der allgemeineren un­ter: Haben deutsche Politiker im Leuna/Minol-Geschäft ihre Pflichten gegenüber dem „ganzen Volk“, indem sie Dritten Vorteile gewährt und materiellen oder immateriellen Lohn dafür erhalten?
3. Als Agenten fungieren ausnahmslos Akteure, die als Mandats- oder Entscheidungs­träger dem „ganzen Volk“ bzw. dem „Gemeinwohl“ verpflichtet sind. Dass diese beiden Begriffe schwer zu identifizieren sind, ist an dieser Stelle nicht von Belang. Wichtig ist dagegen, dass die Akteure in erster Linie und übergeordnet diesem Prinzipal ver­pflichtet sind, und nicht etwa der Regierung, ihrer Partei, einer Gruppe dieser Partei, ih­ren Wählern oder einer anderen Schicht des Volkes – obwohl die Akteure solche „Un­terverträge“ in der Regel natürlich unterhalten. Es wird also konkret zu untersuchen sein, mit wem die Politiker Verträge unterhalten, wie ihre Leistungen in diesen Verträ­gen aussehen und welche Gegenleistung sie er­halten.
4. Ein Agent kann seinerseits als bestechender Klient auftreten. Ist ein Regierungschef zum Beispiel zur Erfüllung seiner korrupten Leistung (oder aber zur Mehrung seines Eigennutzes) ohne oder gegen den Willen des Prinzipals auf die Hilfe anderer Agenten des „ganzen Volkes“ angewiesen, so kann er diese Agenten ebenfalls durch Beste­chung wie z.B. Karriere zur korrupten Aktion zu seinem Vorteil veranlassen.
Waren also im Falle Leuna/Minol korrupte Aktionen von Mandats- oder Entscheidun­gen zum Vorteil (der Machterhaltung oder des Prestiges) von Helmut Kohl Faktum oder mindestens möglich? Selbst bei bloßer Möglichkeit wären damit Strukturen Politischer Korruption identifiziert.
5. Lässt es sich also verallgemeinern oder kann es sich – auch bei nachgewiesener Korruption – um eine unglückliche, aber prinzipiell vermeidbare Verkettung von Zufäl­len handeln?

Anhand dieser Fragen ist nun das Leuna/Minol-Geschäft zu analysieren.

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TEIL C: Der Verkauf von Leuna/Minol An Elf Aquitaine

1. Die Ausgangslage

1.1. Variante 1: Ein vorbildliches Geschäft zum Nutzen beider

Die deutsche Einigung wäre in dieser Form und Zügigkeit ohne die positive Haltung und Unterstützung Frankreichs kaum möglich gewesen. Auch wenn die überkommene Geschichtsbe­trachtungsweise „Männer machen Geschichte“ keineswegs aufgewärmt werden soll, ist doch auf die Bedeutung des offenbar freundschaftlichen Verhältnisses, der „Männerfreundschaft“[225], zwischen Helmut Kohl und Francois Mitte­rand hinzuwei­sen. Dies bedeutet aber noch nicht, dass es sich bei der positiven Haltung zum Leuna/Minol-Geschäft um ein selbstloses Entgegenkommen Mitterands gehandelt hat; schließlich handeln ja nach dem Eigennutz-Axiom der NPÖ nur diejenigen rational, die bei der Verfolgung ihres eignen Vorteils buchstäblich „keine Verwandten kennen“, ge­schweige denn Freunde.

Das „Geben und Nehmen“ der Marktwirtschaft (und davon abgeleitet ihrer Politik) fand seine Entspre­chung in einer Art Deal. Motto: „Wenn du mir bei der deutschen Vereini­gung hilfst, dann kannst du dir vom DDR-Eigentum was Schönes aussuchen“ – oder umgekehrt: „Wenn du mir bei der Eroberung des Ostmarktes hilfst, dann bekommst du die Einheit und Arbeitsplätze.“

Der Aufklärungsexperte der Süddeutschen Zeitung, Hans Leyendecker, sieht das so: „Elf hat Ambitionen im Osten, und da trifft es sich, dass Helmut Kohl am 12. Mai 1991 den Arbeitern im Chemiewerk zwischen Leuna, Halle und Bitterfeld verspricht, den historischen Standort... auf jeden Fall zu erhalten.“[226]

Kohls Version im Januar 2001[227]: Schon beim ersten Besuch im Chemiedreieck Halle/Leuna/Bitterfeld im Frühjahr 1990 sei ihm klar geworden, dass man die veralte­ten Fabrikanlagen nur schwer halten könne. Innerhalb der deutschen Chemieindustrie habe es damals starke Tendenzen gegeben, Leuna aus Konkurrenzgründen zu schlie­ßen. Er habe aber Arbeitsplätze erhalten und mit Investitionen auch zusätzliche in der Region schaffen wollen, Daher habe er "Weisung gegeben, mit Nachdruck Investoren zu suchen"[228]. Letztlich sei ein einziges geeignetes Unternehmen geblieben, nämlich Elf Aquitaine. Er habe sich im Rahmen seiner Gespräche mit Mitterand politisch dafür stark gemacht, dass Elf bei seiner Bereitschaft bleibe, in Leuna zu investieren.

„Der französische Staatspräsident nimmt das Staatsunternehmen Elf in die Pflicht, sich zu bewerben... Der Staatspräsident will seinem Freund helfen, denn wenn Leuna nicht gerettet wird, gehen im Osten Tausende von Arbeitsplätzen verloren. Der Kanzler der Einigung hat aber blühende Landschaften versprochen, und 1994 stehen Bundestags­wahlen[229] an – Kohls Wiederwahl ist nicht sicher. Mitterand wiederum braucht den ver­lässlichen Partner, um den europäischen Einigungsprozess voranzubringen, und Frankreich möchte auch seinen eignen Anteil bei der Integration Ostdeutschlands de­monstrieren.“[230]

Diese Sicht der Dinge bestätigt auch der damalige Elf-Chef Loïk Le Floch-Prigent: „Das Leuna-Projekt war eine politische Entscheidung. Helmut Kohl wollte es, François Mitte­rand wollte es ebenso. Und zwar um jeden Preis.“[231]

Demnach war der Handel an sich - die Einheit und der Ausbau des Standorts Leuna zur blühenden Landschaft gegen das Minol-Netz plus Subventionen - ein durchaus plausibles ganz „normales“, korruptionsfreies Geschäft, sogar ein vorbildliches: Beide profitierten, keiner von beiden musste zu irgendetwas überredet, geschweige denn be­stochen werden.

Allerdings lässt diese Sichtweise die „Kleinigkeit“ außer Acht, dass Kohl, obwohl er bei diesem Geschäft nach Aussagen von Beteiligten[232] fast alles beeinflussen konnte, nicht identisch mit Deutschland und Mitterand nicht identisch mit Frankreich war.

Die beiden großen Staatsmänner waren also nicht Eigentümer ihrer Länder (Prinzi­pale), sondern Agenten. Der Vertrag mit ihren Völkern verpflichtete sie, das Optimale für ihre Völker – und nur für diese Völker, nicht etwa für sich persönlich! - herauszuho­len.

Die Frage lautet also: Hat Kohl das Optimale für Deutschland herausgeholt?

Diese Art der Fragestellung öffnet natürlich Tür und Tor für Spekulationen und unbe­wiesene Behauptungen. Gute Beispiele aus der neueren Geschichte sind die Ostver­träge, der deutsche Einigungsvertrag oder jede Tarifrunde. Wenn immer ein Agent et­was auszuhandeln hat, also einen Ermessenspielraum besitzt, sind anschließend die Meinungen geteilt und die Rollen offenbar verteilt. Naturgemäß beteuern Regierung, Vorstand oder Verhandlungsführer stets, man habe „das Äußerste herausgeholt“. Demgegenüber behaupten oft unzufriedene Teile des Auftraggebers (Prinzipals), also des (durch die Medien „vertretenen“) Volkes, sowie konkurrierende Agenten, z.B. die politische oder innergewerkschaftliche Opposition, die Verhandlungsführung habe „sich über den Tisch ziehen lassen“. Bemerkenswerterweise ist dabei oft vom „Verkauf der Interessen“ die Rede, bei den Ostverträgen und dem Einigungsvertrag gar von „Aus­verkauf“.

Dem stereotypen „Da wäre aber mehr drin gewesen“ steht also ein gebetsmühlenhaf­tes und apodiktisches „Mehr war politisch nicht durchzusetzen“ gegenüber.

Im Falle Leuna meldeten sich zunächst acht Bewerber, von denen schließlich zwei üb­rig bleiben: Ein von BP geführtes Konsortium und Elf/Thyssen. BP will die alte Raffine­rie modernisieren und die Minolkette aufteilen. Elf will die Raffinerie neu aufbauen und die Minolkette behalten. „In Branchenblättern wird der Verkauf an Elf als die ’volkswirt­schaftlich schlechteste aller Alternativen’ beschrieben, weil hohe Subventionen anfie­len.“[233]

Es liegt aber auf der Hand, dass diese Fragen noch nicht einmal von sachkundigen Außenstehenden letztlich geklärt werden können. Zudem bedeutet ein schlechtes Ver­handlungsgeschick noch lange nicht Bestechlichkeit. Gewährt z.B. ein Autoverkäufer 30 Prozent Rabatt, so kann er die Anweisung zum flexiblen Handeln extensiv ausge­legt haben. Steckt ihm der Käufer aber einen Teil des Rabatts privat zu oder bietet ihm einen Job in seiner eignen Firma an, dann sieht die Sache schon anders aus. Daher ist nachzufragen, ob die „Agenten“ Deutschlands, insbesondere die Regierung und der Kanzler Kohl, bei dem Geschäft persönlich profitiert haben. Zuvor aber ist auf andere Betrachtungsvarianten hinzuweisen.

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1.2. Variante 2: Kohl als Agent des Klienten Deutschland

These A: Helmut Kohl hat – obschon Agent der Deutschen – beim Leunadeal als „Pro­kurist“ des bestechenden Klienten Deutschland gehandelt. Er hat im Auftrag und Inte­resse der Deutschen eine Leistung (deutsche Ein­heit) vom französischen Volk gekauft und den Preis dafür bezahlt. Zu diesem Zweck hat er im Volksauftrag die Agenten der Franzosen bestochen, damit diese die Interessen Frankreichs (deutsche Teilung) ver­letzen.[234]

„Die deutsche Politik stand damals unter enormem Druck, den völligen Zusammen­bruch der maroden Industriestrukturen im Osten zu verhindern und wenigstens einige ‚Industriekerne’ am Leben zu erhalten, koste es, was es wolle.“[235]

„Schmiergeld“ waren demnach das Objekt Leuna/Minol und die damit verbundenen Subventionen. Dafür wiederum zahlten ihm die französischen Agenten Provision. Dann wäre es „Kickback“: Der Beauftragte des Bestechers, die Kohlregierung, kassiert „Un­terbestechungslohn“ vom Bestochenen. Die Hauptbestochenen aber wären Elf/Mitterand, die für einen eignen Vorteil französische Interessen verkauft hätten.

These B: wie bei A, nur ohne Berücksichtigung der internationalen Politik. Es ist die Frage, ob der französische Staatskonzern „überhaupt eine Notwendigkeit sah, in Deutschland irgendwen schmieren zu müssen“ und ob man nicht „im Gegenteil Elf das Geld geradezu hinterherschmeißen musste, um sie ins berüchtigte Chemiedreieck von Sachsen-Anhalt zu locken“.[236]

Demnach hat Kohl mittels Bestechung das marode Leunawerk, das keiner haben wollte, an Frankreich losgeschlagen und damit Tausende von Arbeitsplätzen gerettet: „Geschäftlich scheint Leuna ... keine gute Investition zu sein. Weil die Altlasten auf mindestens 400 Mio. DM beziffert werden, sollen Investoren auch das begehrte Netz der rund tausend Tankstellen des Monopolisten Minol bekommen. Als Beigabe werden Subventionen in Milliardenhöhe und Staatsbürgschaften gewährt.“[237]

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1.3. Variante 3: Elf als Klient - Leuna-Geschäft und Subven­tionen als Paket

Betrachtet man die Subventionen nicht als Schmiergeld, sondern als Teil des gesam­tes Geschäfts, dann ist dieses Geschäft – auch nach Bekunden Le Flochs (s.o) – durchaus attraktiv, so dass es durchaus sinnvoll erschienen wäre, dafür Schmiergeld einzusetzen.

In diesem Sinne bezeichnete SPD-Politiker Friedhelm Julius Beucher Erklärungen, das Geschäft hinge vor allem mit den engen deutsch-französischen Beziehungen zusam­men, als „Ammenmärchen“. Tatsächlich hätten handfeste geschäftliche Interessen hinter dem Geschäft gestanden.[238]

Die Argumentation von Variante zwei wird also umgedreht: Der Klient Elf setzte alles daran, um an das Gesamtgeschäft einschließlich der Subventionen heranzukommen. Zu diesem Zweck wurde Schmiergeld eingesetzt, um die Agenten Deutschlands zu ei­nem Regelverstoß gegenüber ihrem Prinzipal Deutschland[239] zu bewegen. Dies läuft aber wieder auf die Frage hinaus, ob die Subventionen auch in dieser Höhe „notwen­dig“ für ein im deutschen Interesse liegendes Geschäft waren, oder ob sie überflüssig bzw. überhöht und damit eine Veruntreuung deutschen Eigentums darstellten. Diese Frage aber entzieht sich der Korruptionsanalyse und wäre von ökonomischen Untersu­chungen zu klären.

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1.4. Variante 4: Die isolierte Betrachtung der Geldströme

Eine rigide Anwendung des Eigennutz-Axioms ermöglicht folgende Sichtweise: Die Agenten Deutschlands und des Konzerns Elf hatten vor allem ihre Selbstbereicherung in Form von Geld im Kopf. Das einzige Geld, dass die Agenten beider Lager unter sich aufteilen konnten, waren die von Elf seinen Agenten zur Verfügung gestellten „Kom­missionen“.[240] Das Hauptziel der Elf-Agenten war es, an einen möglichst großen Teil der ihnen anvertrauten „Kommissionen“ heranzukommen. Dazu gab es zwei Möglich­keiten: a) Die direkte Veruntreuung: Die Elf-Agenten lassen auf dem langen geheimen Weg des Schmiergelds einen Teil davon verschwinden, ohne dass der Auftrageber Elf und die Empfänger (deutsche Entscheidungsträger) je davon erfahren. b) Die Elf-Agenten liefern „pflichtgemäß“ das Schmiergeld in geplanter Höhe ab, kassieren aber von den Bestochenen „Kickback“.[241]

Nach dieser Sichtweise ist den Agenten beider Lager das offizielle Geschäft als sol­ches – in diesem Fall Leuna/Minol - völlig egal und insofern beliebig austauschbar. Ebenso egal ist ihnen die Frage, ob das Schmiergeld überhöht bzw. überflüssig war. Es geht ausschließlich um Vorwände für den Strom fremden Geldes in die eignen Ta­schen. Das heißt: a) Der korrupte Politiker wählt staatliche Projekte (unabhängig vom gesellschaftlichen Nutzen) vor allem danach aus, wo er möglichst hohe staatliche Sub­ventionen (oder günstige Gesetze) loswerden kann, um dafür vom Klienten Beste­chungslohn zu erhalten. b) Der Agent des Klienten wählt seine Projekte (unabhängig vom Unternehmensziel) vor allem danach aus, wo er möglichst hohe Bestechungsgel­der zahlen kann, um dafür vom Bestochenen Kickback zu erhalten. Dies steht zumin­dest als Verdacht auch für die Elf-Agenten im Raum:„Den damaligen Chefs von Elf ging es nach Ansicht der französischen Ermittler im übrigen nicht nur um das Firmen­wohl. Allein von 1989 bis 1993 sollen mindestens 1,2 Milliarden Mark in dunklen Ka­nälen versickert sein.“[242]

Das heißt: Das eigentliche – von der Marktwirtschaft qua Eigennutzstreben angeblich im Selbstlauf verfolgte - Ziel, nämlich dass Staat und Privatwirtschaft ein für beide op­timales Geschäft tätigen, wird bestenfalls zufällig erreicht, als „Abfallprodukt“ der Selbstbereicherung der Agenten beider Geschäftspartner.

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1.5. Schlussfolgerung

Es zeigt sich also: Die Bestimmung von Prinzipal, Klient und Agent eines korrupten Tausches und sogar die Identifikation eines Tausches als korrupte Tauschhandlung „liegen im Auge des Betrachters“. Dieses Ergebnis ist aber für diese Arbeit nur insofern wichtig, als es auf die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit der isolierten Korruptionsana­lyse verweist. Selbst eine Aussage wie „Kohl nimmt Geld von Elf und verkauft dafür Leuna/Minol“ erlaubt noch keinerlei Korruptionsaussage, sondern erlangt ihre Bedeu­tung erst - in Form eines „Wenn-dann-Modells“ - als Bestandteil einer weitergehenden Analyse. Auch ob ein Akteur Bestochener ersten oder zweiten Grades („Kickback“) ist, kann isoliert nicht geklärt werden, ist aber ebenfalls für diese Untersuchung weder analytisch noch moralisch von Belang.

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2. Der Klient Elf

Die eingehende Untersuchung korrupter Vorgänge des damaligen Geschäfts führt zu­nächst zu der Frage, was es mit den Strukturen des Konzern Elf-Aquitaine auf sich hatte und in welchem Verhältnis er zum französischen Staat bzw. zur Regierung und insbesondere zum Staatspräsidenten Mitterand stand.

Wie schon gezeigt, erscheint in der heilen Welt pareto-optimistischer Modelle, in denen der Staat ein übergeordnetes und insofern außenstehendes Gebilde ist, auch ein Staatsbetrieb als ein von außen in den „normalen“ Wirtschaftskreislauf eingeführtes und störendes Element. Kaum in Zweifel gezogen wird, dass das Kommando über die­sen Betrieb die – womöglich auch noch objektiv, vernünftig und gemeinwohlorientiert agierende – Politik besitzt. Bestechungsfälle erscheinen als etwas quasi „Unnatürli­ches“, eben als „pareto-inferiorer“ Zustand, der aber nichts an der Grundstruktur än­dere. Ganz so simpel scheint die Realität indes nicht zu sein.

Konkrete Hinweise auf eine mögliche Verwicklung des französischen Ölkonzerns Elf in die CDU-Finanzaffäre sind seit Mai 1997 bekannt.[243] Sie lenken den Blick auf die seltsa­men Praktiken, die in der bis zu ihrer Übernahme durch Totalfina 1999 größten französischen Unternehmensgruppe zu Beginn der neunziger Jahre gang und gäbe waren.

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2.1. Das Verhälnis von Elf-Aquitaine zu Staat und Politik

Zur Zeit des Leuna/Minol-Geschäfts hatte der französischer Staatskonzern Elf Aqui­taine ca. 96 000 Mitarbeiter, machte ca. 200 Mrd. FRF Umsatz und war bis zur Über­nahme durch TOTALFINA 1999 die größte französische Unternehmensgruppe. Leyen­decker gebraucht klare Worte: „Schmiergeldmaschine der Französischen Republik ist der staatliche Ölmulti Elf Aquitaine, bei dem Bestechung zur Unternehmenskultur ge­hört, und für Henrik Uterwedde, Direktor des deutsch-französischen Instituts in Lud­wigsburg und Experte für französische Wirtschaft, ist der Konzern schlicht eine „Sumpfblüte des Staatskapitalismus“.[244]

Schon seit der Entstehung von Elf (Staatspräsident de Gaulle wollte ein französisches Gegengewicht zu den US-dominierten Konzernen schaffen) waren die Grenzen zwi­schen Staats- und Unternehmensführung verschwommen. „Die Firma konnte im Be­wusstsein handeln, eine nationale Mission zu erfüllen, die mit dem allerhöchsten politi­schen Segen versehen war. Elf, die vor allem afrikanische Erdölvorkommen ausbeutet, war sehr früh eng mit den damaligen Afrika-Spezialisten und -Netzwerken der regie­renden Gaullisten verbunden. Dass im Ölgeschäft Schmiergelder gang und gäbe wa­ren, von denen auch eine Reihe afrikanischer Staatschefs profitierte, war wohl unver­meidlich, weil branchenüblich. Damals entstand auch die Praxis regelmäßiger Alimen­tierung französischer Parteien über afrikanische Umwege.“[245]

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2.1.1. Was wussten Kohl und Mitterand?

Glaubt man dem französischen Ex-Außenminister Dumas[246], dann waren die Schmier­geldzahlun­gen an Kohl bzw. die Parteien zumindest innerhalb der französischen Re­gierung All­gemeinwissen. Mitterand habe nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten den Kauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie durch Elf gewollt, weil er darin ei­nen Nutzen für Frankreich gesehen habe. Der Präsident sei davon ausgegangen, Eu­ropa werde von Frankreich und Deutschland aufgebaut. Mitterand habe sein Vertrauen in Bundeskanzler Kohl hervorgehoben; er wisse nicht, wer nach dem CDU-Politiker an die Regierung kommen werde. "Dieses Interesse gebot es, Kohl zu helfen... Mitterand hat das ganze Projekt unterschrieben, die Kommissionszahlungen vielleicht ein­ge­schlossen."[247] Davon habe "mit Sicherheit" die Umgebung des Staatschefs gewusst - Ely­sée-Generalsekretär Hubert Védrine sowie die damalige Europa-Mi­nisterin Elisa­beth Guigou.[248]

Eine interessante Gegenthese verbreite­ten der französische Fernsehsender France 2 und die ARD unter Berufung auf einen Informanten aus der Umge­bung des früheren französischen Präsidenten François Mitterand: Der 30-Millionen-Transfer sei sogar auf Veranlassung Mitterands er­folgt, um eine Niederlage Kohls bei der Bundestagswahl 1994 um jeden Preis zu verhindern. Die ARD zitierte ihren "hochrangigen" Informanten mit den Worten: "Das war kein Bestechungsgeld, das war Geld für die Wahl­kampagne. Die Zahlung war im Staatsinteresse - für Europa."[249] Deutlicher wurde dagegen der für Elf tätige Vermittler André Guelfi: Nach seiner Aussage waren Kohl und Mitterand dar­über informiert, dass deutsche Parteien über 80 Mio. an „Kommission“ eingestrichen hätten.[250]

Für französische Manager sind derartige Eingriffe der Wirtschaft in die Politik offenbar nichts Besonders. Motto, wie der Frankreich-Experte Ulrich Wickert es ausdrückt: "Natürlich haben wir den Wahlkampf von Helmut Kohl bezahlt. Das war der Dank dafür, dass er während des Referendums über den Euro helfend in die französische Innen­po­litik eingegriffen hat."[251]

Helmut Kohl bestritt dagegen zunächst nicht nur die Bestechung der deutschen Regie­rung, sondern sogar sein Wissen von Bestechungsplänen.[252] Überhaupt habe er sich in die Verhandlungen über das Leuna/Minol-Geschäft nie direkt eingeschaltet. Sein Feld seien unter­stützende politische Gespräche mit Staatspräsident Mitterand und den Re­gierungschefs Frankreichs, Balladur und Juppé, gewesen.[253] Dagegen sagte der dama­lige Elf-Konzernchef Le Floch-Prigent im August 2000 der Pariser Staatsanwalt­schaft, Kohl habe ihn noch vor Abschluss des Kaufvertrages für Leuna/Minol Ende 1992 im Bonner Kanzleramt zu einem vertrauli­chen Vieraugengespräch empfangen. Dabei habe ihm der Kanzler staatliche Subventionen für das Leuna/Minol-Projekt in der von Elf ge­wünschten Größenordnung zugesagt.[254]

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2.1.2. Korruption als Unternehmensstrategie: Loik Le Floch-Prigent

Als eine Schlüsselfigur dieser seltsamen Geschäftspraktiken, die als "Elf-Affäre" seit 1993 in Frankreich die Schlagzeilen beherrschten[255], gilt der frühere Elf-Präsident Loik Le Floch-Prigent, in dessen Amtszeit (1989-1993) mindestens 2,5 Milliarden Franc an sogenannten Kommissionen in dunklen Kanälen versickert sein sollen und der wegen der Verwicklung in eine Elf-Korruptionsaffäre Ende Mai 2001 zu dreieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt wurde[256].

[...]


[1] V. Alemann 1989, S. 918 f.

[2] Seibel ist u.a. Geschäftsführer der „Politischen Vierteljahreszeitschrift“.

[3] Seibel, S. 148 f.

[4] V. Alemann 2/1987.

[5] Wewer, S. 303.

[6] So versuchte schon Julius Caesar im Jahre 59 v. Chr. mit einer Lex Iulia de repetun­dis, die ausufernde Bestechlichkeit der Beamten zu bekämpfen (vgl. Röttger 1999). Der Missionswissenschaftler Karl Rennstich berichtet ausführlich über „Kor­ruption in der Umwelt des Alten Testaments“ (Rennstich, S. 137 ff.), „Korruption im Alten Testament“ (ebd., S. 143 ff.), „Korruption in der Umwelt des Neuen Testa­ments“ (ebd., S. 175 ff.) und „Korruption in der Sicht des Neuen Testaments“ (ebd., S. 184 ff.).

[7] Dieser Fonds war 1868 aus dem beschlagnahmten Vermögen der entthronten han­noverschen und hessischen Landesherren entstanden und umfasste damals ca. 40 Mio. Mark. Die Zinsabschöpfungen von ca. 1.8. Mio. Mark jährlich nutzte Bis­marck im Kampf gegen alle von ihm als reichsfeindlich und antipreußisch einge­stuften Widerstände gegen seine Politik. Vgl. Jandt, S. 16.

[8] Jandt, S. 16. Bis zu seinem Tod 1886 soll Ludwig II. fast fünf Mio. Mark erhalten ha­ben (ebd.).

[9] Vgl. dazu Bellers, S. 39-42.

[10] Bellers, S. 40.

[11] So betitelt von Arnim ein ganzes Buchkapitel (v. Arnim 2001, S. 172 – 193).

[12] Grill 1999.

[13] V. Arnim 2001, S. 177.

[14] V. Alemann 1995, S. 74.

[15] Bogumil/Immerfall, S. 10.

[16] Bogumil/Immerfall, S. 10 f. Was ja nicht bedeutet, dass es keine Unterschiede in den Ansätzen mehr gibt, sondern nur, dass sie recht zögerlich herausgearbeitet werden.

[17] ‚Nach neuem Geständnis wächst der Druck auf Helmut Kohl’, BZ 18.12.1999.

[18] (v. Alemann/Kleinfeld, S. 259 - 282).

[19] Beide Begriffe werden teils synonym verwendet, teils drücken sie unterschiedli­che Standpunkte aus: Man kann die Institutionenökonomik als Methode der Wissen­schaft NPÖ ansehen. (Entsprechend dieser Auffassung werden auch im Rahmen dieser Arbeit die Begriffe abwechselnd verwendet.) Man kann aber auch die Institu­tionenökonomik selbst als Universalwissenschaft betrachten und die NPÖ als einen „Unterfall“; vgl. Sturm, S. 17. Das ‚Gabler Wirtschaftslexikon’ hält sich aus diesem Streit heraus („Je nach Betrachtungsschwerpunkt findet man auch neue Namen“) und wählt als Stichwort den Oberbegriff „außermarktliche Ökonomie“; Gabler, Bd. 1, S. 305.

[20] (v. Alemann/Kleinfeld, S.262)

[21] (Alemann/Kleinfeld, S. 271).

[22] v. Arnim 2002, S. 39. Im Unterschied zur NPÖ hebt v. Arnim aber hervor, die Parteien seien keineswegs monolithische Blöcke und müssten nicht unbedingt in die Regierung gelangen. „Die Mandate selbst sind zu Pfründen geworden, und die kann man auch ohne Wahlsieg der eignen Partei erlangen oder behalten.“ (ebd.)

[23] v. Arnim 2001, Abschnitte „Gemeinsinn geht vor“ (S. 31 ff.) und „Die Wirklichkeit: Eigennutzdominiert“ (S. 34 ff.

[24] v. Arnim 2001, S. 87. f

[25] Vgl. Eigen 2002; TI-D

[26] Lauth

[27] Der Ausdruck „Marxsche Politische Ökonomie“ wird synonym zu „Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie“ verwendet.

[28] Vgl. Marx MEW 13/1, S. 8 f.

[29] Marx Grundrisse, S. 21 ff.

[30] z.B. kritisiert Josef Esser: „Notwendigkeit, Grundfunktion, Klassencharakter, Gemeinwohl-Illusion der Politikform sowie ihr Verhältnis zur ökonomischen Struktur sind zwar logisch bestimmt, jedoch nicht historisch konkretisiert.“ (Esser, S. 159).

[31] Blanke/Jürgens/Kastendiek, S. 438 ff.

[32] Böhret 1985, S. 319 f.

[33] v. Alemann/Kleinfeld, S. 262.

[34] V. Alemann/Kleinfeld, S. 262.

[35] Sturm 1995, S. 16 f.

[36] Hofmann 1, S. 113.

[37] Hofmann 1, S. 115.

[38] Z.B. die Theorien von Adam Smith, und David Ricardo.

[39] Petty, S. 28 f. zit. nach Hofmann 1, S. 35.

[40] Petty, S. 28 f. zit. nach Hofmann 1, S. 35.

[41] Engels, S. 228.

[42] Sturm, S. 14.

[43] Sturm, S. 15.

[44] Insofern ist die These, dieses Verhältnis sei durch die sozialwissenschaftliche Forschung noch nicht ausreichend geklärt (vgl. Sturm, S. 13, und Abromeit, S. 11 ff.), nicht ganz exakt: Die Frage nach dem Primat der Politik bzw. dem Primat der Ökonomie lässt sich nicht klären bzw. stellt sich gar nicht.

[45] Hofmann 2, S. 161.

[46] Hofmann 2, S. 119.

[47] Hofmann 2, S. 113.

[48] Sturm, S. 12.

[49] Gabler 6, S. 2537.

[50] Das heißt, im Vorgriff auf die Korruptionsanalyse: Es kommt z.B. weniger darauf an, wie viel Schaden durch Korruption tatsächlich entstanden ist, sondern wie viel davon überhaupt ans Tageslicht kommt und wie der Einzelne es empfindet. Daraus lässt sich lässt sich daraus ableiten, dass Korruptionsbekämpfung auf Grundlage der subjekti­vistischen Lehre logisch impliziert, dass Vertuschung und Beschönigung für die Be­sänftigung der Bevölkerung und der Konkurrenten mindestens genauso wichtig sind.

[51] Elster, S. 22, und Suchanek 1993, S. 2.

[52] Pütz, S. 93.

[53] Pütz, S. 93.

[54] Sturm, S. 15.

[55] Schwyzer, S. 31.

[56] Downs, Anthony: Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen 1968

[57] Sturm, S. 16.

[58] Coase, S. 43.

[59] Dietz, S. 18.

[60] Dietz, S. 19.

[61] Dietz, S. 19.

[62] Sturm, S. 17 und McLean, S. 510.

[63] Downs, S. 26.

[64] Downs, S. 6 f.

[65] Damit trifft eigentlich nicht Downs der zuweilen auch gegen ihn erhobene Vorwurf „holzschnittartiges Menschenbild“, dass die „Selbstsucht zur gesellschaftlichen Ma­xime“ erhebe. Sturm, S. 24.

[66] Dietz, S. 22.

[67] Heißt das „für dumm zu verkaufen“? Die Inhaltslosigkeit („Amerikanisierung“) der Wahlkämpfe bzw. die - vom Gegner stets so benannten - „Lügen“ geben beredtes Zeugnis.

[68] Dietz, S. 22.

[69] Beispiel Atomkonsens: Die Energiewirtschaft erklärt alles, was ihr keinen Maximal­profit bringt, insbesondere Umweltbewahrendes, für „utopisch“. Also „ei­nigt“ man sich auf ihren Vorschlag als angeblich „für alle akzeptabel“, weil sonst Arbeitsplätze verloren gingen.

[70] Sturm, Politische Wirtschaftslehre, S. 18 f. Was damit gemeint ist, demonstriert beispielhaft der Institutionenökonom Christophe Schwyzer mit einer Formel zur Attrak­tivität der Korruption:∆ = v - [{(1 - r)/r²} . s b + {(1 - r/r) . s k + (1/r ²) . t b + (1/r) . t k} Dabei gilt: ∆ = Beste­chungsanreiz.

V = Wert der Gegenleistung für die Bestechungssumme in Geldeinheiten. Dieser Wert besteht aus der Differenz zwischen dem korrupten Gewinn und der bestmögli­chen legalen Alternative.

r = Wahrscheinlichkeit, dass die Bestechung nicht aufgedeckt, verhindert und geahndet wird (Erfolgswahrscheinlichkeit).Sk,sb = in Geldeinheiten bewertete, erwartete Strafe für den korrupten Klienten resp. Beamten. Dazu gehören Haft, Buße, Entlassung, gesell­schaft­liche Diskriminierung und weitere gesellschaftliche Sanktionen. Tk,tb = Transakti­onskosten der Bestechung für den Klienten bzw. Bürokra­ten. Insbe­sondere Suchkos­ten des Tauschpartners, Verhandlungskosten und Kosten der Durch­setzung des ‚kor­rupten Vertrages. Nach drei Buchseiten voll hochkomplexer Rechnungen kommt Schwyzer dann zu dem „überraschenden“ Schluss: „Der Anreiz eines Bürokraten und seines Klienten, einen korrupten Vertrag einzuge­hen, steigt an, wenn der Wert der Bestechungsleistung steigt und das Aufdeckungsri­siko, das Strafmaß und die Transaktionskosten sinken.“ (Schwyzer, S. 54 ff.).Man möchte anmerken: „Da wären wir ohne NPÖ nie drauf gekommen." Natürlich wird die Aussage als solche keinesfalls angezweifelt. Selbstver­ständlich ist Korruption umso verlockender, je ungefährlicher sie ist. Aber das ist trivial. Ebenso könnte die NPÖ „hochwissenschaftliche“ mathemati­sche Modelle dafür entwickeln, dass der Anreiz zum Fernsehen mit der er­warteten Qualität des Fernsehprogramms steigt.

[71] Hofmann I, S. 181.

[72] Hofmann I, S. 181; Myrdal 1962, S. 20.

[73] Suchanek 2001. Suchanek, der an der Katholischen Universität Eichstätt lehrt, geht z.B. von der Frage aus, „warum denn die Menschen oft so handeln, dass Werte und Ziele, die ihnen eigentlich sehr wichtig sind – Frieden, Umweltschutz, humane Arbeitsbedingungen usw. – nicht erreicht werden“ (Suchanek 1993, S.3), entwi­ckelt aber dann ein ‚wertfreies’ Modell gegen die 100-prozentige Lohnfortfortzah­lung im Krankheitsfall als Mittel gegen die „Strategie des ‚Krankfeierns’“ (Suchanek 2001, S. 92).

[74] Suchanek 1993, S. 96.

[75] Sturm, S. 66.

[76] Dies ist übrigens exakt die US-ame­rikanische Vorstellung vom Staat der freiwillig mildtätigen Reichen bei möglichst null ein­klagbaren Rechten (Sozialhilfe etc.) für die anderen.

[77] Vgl. Marx MEW 23, S. 618.

[78] Dietz, S. 66.

[79] Der Neue Knaur 5, S. 3384.

[80] Einseitige Handlungen sind z.B. Unterschlagung, Kassendiebstahl oder das „Mitneh­men“ von Büromaterial. Vgl. dazu Pritzl, S. 59 f.

[81] Dies ist im Einzelfall zu untersuchen. Kein seriöser Wissenschaftler wird sich darauf einlassen, z.B. pauschal jeden einzelnen Abgeordneten der Politischen Korruption zu beschuldigen.

[82] Anders verhält es sich natürlich mit dem Dienstwagen-Missbrauch z.B. durch eine Parlaments-Sekretärin, die in der Regel keine politischen Aktionen ausführt.

[83] Vergleiche Klitgaard 1/1991, S. 223 f. Dieses Modell entstammt zwar dem Instrumentarium der Institutionenökonomik; dennoch erscheint es generell brauchbar, wenn man Korruption – auch die Politische Korruption – als Tauschverhältnis auffasst. Es ist kein Widerspruch, im Interesse der „Begriffssicherheit“ auf die Terminologie letztlich abgelehnter Theorien zurückzugreifen.

[84] Fügt z.B. ein Antragssteller dem Formular eine Banknote bei und wird der Antrag ohne Rückgabe der Banknote genehmigt, so ist dies ein korrupter Vertrag, ebenso wenn die Banknote nach Erteilung der Genehmigung übergeben wird. Der Begriff „Vertrag“ ist also weiter gefasst als z.B. in den §§ 145-157 BGB.

[85] Dreher/Tröndle, S. 1753–1770. Der Institutionenökonom Markus Dietz weist dar­auf hin, dass die in der juristischen Betrachtungsweise mögliche Variante, der Agent lasse sich von einer Zuwendung NICHT beeinflussen, für den Institutionenö­konomen aufgrund der Eigennutzmaxime inakzeptabel ist, weil „er sich nicht vor­stellen kann, dass der Bestechende eine Leistung erbringt, ohne dafür eine Gegen­leistung zu erhalten“ (ebd.). Dies deckt sich teilweise mit dem Marxschen Begriff des Kapitalisten als „personifiziertes Kapital“. (Vgl. z.B.: Marx MEW 23, S.167 f.).

[86] Wenn man sie nicht in eine „übergeordnete Analyse“ einbettet.

[87] Die auch im Leuna/Minol-Geschäft eine Rolle spielten, wie unten noch gezeigt wird.

[88] Dietz, S. 43.

[89] Der von Schreiber selbst verwendete Ausdruck „Landschaftspflege“ bezeichnet ge­nau diesen Zusammenhang Spende-Gegenleistung. „Wenn Sie so wollen, eine Landschaftspflege“, FR 12.01.2000.

[90] Dabei ist es für die Einschätzung dieses korrupten Tausches unerheblich, ob das Ex­portverbot gesetzlich zwingend, möglich oder mutwillig wäre.

[91] Schwyzer, S. 44.

[92] Riley, S. 195.

[93] Das Problem der Erheblichkeit der Gegenleistung wird an dieser Stelle ausgeklam­mert, da es für das Verständnis des korrupten Tausches an sich irrele­vant ist.

[94] Schwyzer S. 36.

[95] In Deutschland z.B. durch die §§ 331-335 StGB.

[96] Schwyzer, S. 37.

[97] Schwyzer, S. 37 f.

[98] Schwyzer, S. 38.

[99] Zu teuer kann der Staatsagent Dienstgebäude anmieten und sich den Gewinn mit dem Vermieter teilen; zu billig kann der Staatsagent Villen an privat vermieten.

[100] Zum Beispiel der Bau einer Straße, die nur einer bestimmten Firma oder einem pri­vaten Klienten nutzt.

[101] Rose-Ackerman 1999, S. 40.

[102] Vgl. Downs, S. 34.

[103] V. Alemann/Kleinfeld, S. 270.

[104] Den v. Alemann/Kleinfeld offenbar nicht der NPÖ zurechnen, obwohl er natürlich genau diesen Ansatz vertritt.

[105] V. Klaveren, S. 289-324, zit. nach v. Alemann/Kleinfeld, S. 270.

[106] Streissler, S. 300 ff., zit. nach v. Alemann/Ralf Kleinfeld, S. 270.

[107] Saner, S.49-57, zit. nach v. Alemann/Kleinfeld, S. 271.

[108] Downs, S.34; an anderer Stelle (ebd .S.30) nennt Downs als viertes Motiv „die ‚Freude am Spiel’, die bei vielen Tätigkeiten auftritt, die ein Risiko mit sich bringen.“ Letzteres, fügt er ironisch hinzu, könne man im Gegensatz zu den anderen Zielen, auch ohne Wahlsieg erreichen.

[109] Rheinischer Merkur, Nr. 14/2002, S. 3.

[110] Downs, S. 27.

[111] Adam Smith 1937, S. 14.

[112] Downs, S. 27.

[113] Daher können sich die Schöpfer nassforscher Begriffe wie „Abwickeln“, „Rück­bau“, „Kollateralschaden“, Rentnerschwemme“ oder „Freisetzung“ keinesfalls auf Anthony Downs berufen, sondern bestenfalls auf die menschenverachtende Um­deutung seiner Theorie durch vorgebliche Epigonen.

[114] Schumpeter 1942, auf dessen „tiefschürfende Analyse der Demokratie“ sich auch ausdrücklich Downs bezieht: „Wir stehen sehr tief in seiner Schuld und empfinden ihm gegenüber große Dankbarkeit.“ (Downs, S. 29).

[115] Sturm, S. 27. Dahin gestellt sei, ob diese „teilweise Rücknahme der Marktanalo­gien“ einfach nur wirklichkeitsfremd sind oder das theoretische Fundament bilden z.B. für „eine Wahlkampfführung, die von Marktforschern, die ansonsten für In­dustrieprodukte werben, konzipiert und begleitet wird ... inhaltliche Entleerung, eine Reduktion von programmatischen Positionen auf Symbole, Schlagwörter oder gar direkt Personen“; ebd. S. 28 f.

[116] Vgl. SPD SERVICE Intern 11/2000. Im Sommer 2002 z.B. konnte das SPD-Mit­glied unter www.imageshop.de u.a. Versicherungen, Reisen, Computer und T-On­line-Leistungen billiger erhalten.

[117] Downs, S. 290.

[118] Downs, S. 289.

[119] V. Alemann 2001, S. 167.

[120] Vgl. Steffani, S. 559, zit. nach: v. Alemann 2001, S. 167.

[121] Damit ist der Besitz des „richtigen Parteibuchs“ gemeint.

[122] Vgl. Downs, S. 289.

[123] Diese modellhafte Vereinfachung beabsichtigt weder Verunglimpfung der Partei­spitze noch die Glorifizierung der Basis.

[124] Z.B. auf Sonderparteitagen zu gravierenden Themen wie Militäreinsätzen.

[125] Suchanek 2001, S. 41 f.

[126] Um z.B. eine industriefeindliche Position nicht mittragen und so seine Chancen als Korruptionspartner schwächen zu müssen.

[127] Z.B. um Industrienmanager, Präsident eines Fußballclubs, Talkshow-Dauergast oder Mitglied einer reichen Familie zu werden.

[128] Downs, S. 50.

[129] Downs, S. 50.

[130] Downs, S. 50.

[131] Im oben definierten, erweiterten Sinne.

[132] Gemeint sind hier ‚interne’ Verträge, also innerhalb seines politischen Organisati­onsrahmens. ‚Externe’ Verträge, also z.B. Bestechung durch Unterneh­men, kommen hier noch nicht zur Sprache.

[133] Dies hat nichts damit zu tun, dass sich der Abgeordnete dem geltenden Recht un­terliegt.

[134] "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, sei­nen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Ge­setze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."

[135] Also auch der Wähler.

[136] V. Arnim 2001, S. 20. Weiter heißt es: „In einer echten Demokratie geht der nächstliegende Weg zur Realisierung von Gemeinwohl dahin, den Willen des Volkes zur Geltung zu bringen; zugrunde liegt die Überzeugung, die Bürger wüssten selbst immer noch am besten, was gut für sie ist. Hier läuft Regieren für das Volk also auf Regieren durch das Volk hinaus. Dazu ist es nötig, den Willen der Bürger insgesamt zum Ausdruck und zur politischen Wirksamkeit zu bringen. Das ist das Konzept der direkten Demokratie, wie es schon im alten Griechenland für Städte und Kleinstaaten mit übersichtlichen Verhältnissen entwickelt worden ist.“

[137] Hervorhebung v. Arnim.

[138] V. Arnim 2001, S. 21. Er zieht historische Parallelen zum „Standpunkt des aufgeklärten Absolutismus (Friedrich der Große: ‚Ich bin der erste Diener meines Staates’) und schon der Römischen Republik (‚salus publica suprema lex’ – das öffentliche Wohl ist das höchste Ziel). Einen ähnlichen Grundgedanken enthält bis zu einem gewissen Grad auch das Grundgesetz. Danach sind alle Amtsträger auf das Gemeinwohl verpflichtet (Gemeinwohlprinzip). Das preußische Pflichten- und Beamtenethos und das US-amerikanische Trust-Konzept sind aus diesem Gedanken heraus entstanden.“ (ebd.).

[139] V. Arnim 2001, S. 383.

[140] V. Arnim 2001, S. 383; BVerfGE 5, 85 (204 f.).

[141] V. Arnim 2001, Seite 21. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass von Arnim durchaus paretianisch argumentiert: “Falls nämlich jeder einen Laden eröffnen beziehungsweise ein Unternehmen gründen kann (Marktoffenheit) und fairer Wettbewerb unter den Kaufleuten besteht, kann die Summe der Egoismen durchaus zur allgemeinen Wohlfahrt führen - ein Konzept, das der sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegt und das man von der Wirtschaft auch auf die Politik übertragen hat (Kapitel 2). Es handelt sich der Idee nach um einen Mechanismus, welcher der Politik die Wünsche der Mehrheit der Bürger aufzwingt – und zwar gerade dann, wenn die Politiker sich nicht vom Nutzen der Allgemeinheit, sondern von ihren Eigeninteressen leiten lassen. Durch Offenheit des Zugangs der Parteien und Kandidaten zu den Wahlen und durch faire Konkurrenz um Wählerstimmen sollen die Repräsentanten indirekt dazu gebracht werden, den Wünschen der Bürger zu entsprechen (Wettbewerbsdemokratie). Hier geht das Gemeinwohlkonzept also wieder über ins Regieren durch das Volk. Erste Voraussetzung für das Funktionieren dieses Ansatzes ist allerdings, dass der Zugang wirklich für alle möglichen Bewerber offen ist und faire Wettbewerbsbedingungen bestehen.“

Das ist mit Pareto und sogar mit Adam Smith argumentiert, aber an diesem Punkt ohne Belang.

[142] Also nicht allgemein als kleinste Einheit des „Wahlvolkes“.

[143] Vgl. Downs, S. 289.

[144] Das bereits oben behandelte Altruismusproblem wird hier ausgeklammert.

[145] Zum Beispiel Schwyzer, S. 15.

[146] „In Augsburg wurde gegen ein Mitglied der Republikaner per Strafbefehl eine Geld­buße von 1100 Euro verhängt. Der Mann hatte Wählern für ihre Unterschrift auf der Unterstützungsliste in sechs Fällen Geld versprochen und die Summen zwi­schen fünf und 20 Euro auch ausbezahlt“. (Zit. in: ‚Ermittlungen dauern an’, ‚dpa 04.04.2002 | 01:00 Uhr).

[147] „Gesetz gegen Schwarzarbeit verfassungswidrig“, Welt, 20.02.2002.

[148] Gemeint ist z.B. die noch zu diskutierende Frage, ob Kohl die „blühenden Land­schaften“ mit dem „Schmiermittel“ Leuna bezahlt hat oder umgekehrt die Franzo­sen Leuna mit dem Korruptionslohn „blühende Landschaften“.

[149] Wie sich das besonders bei Koalitionen konkret darstellt, muss an dieser Stelle außer Acht gelassen werden.

[150] Zum Beispiel Subvention oder Exportgenehmigung.

[151] ‚SPD streitet um richtigen Umgang mit den Abweichlern’, WELT 05.09.2001.

[152] Was ja stets beteuert wird.

[153] Wenn die Parteispitze z.B. Mitgliederbefragungen zum Thema Regierungsbeset­zung durchführt.

[154] Vgl. Müller-Schöll 2001.

[155] Neu 2000, S. 16 ff.

[156] Tondorf, S. 55. Rüther beschreibt zwar das Problem eines Kommunalpolitikers, seine These kann aber als allgemeingültige diskutiert werden..

[157] Tondorf, S. 56.

[158] Tondorf, S. 56.

[159] Tondorf, S. 56.

[160] Tondorf, S. 56.

[161] Tondorf, S. 56.

[162] Tondorf, S. 56.

[163] ‚Auch Rüther im Gefängnis’, ND 15./16.06.2002.

[164] BVerfGE 40, 296.

[165] Daher verfügte das BVG in diesem Urteil auch ihre Besteuerung.

[166]Unabhängigkeit muss sich wieder lohnen’, BZ 22.07.2000.

[167]Unabhängigkeit muss sich wieder lohnen’, BZ 22.07.2000.

[168] Nun könnte man natürlich wieder mittels einer mathematischen Gleichung entgeg­nen, mit dem Wohlstand steige auch die Verlustangst, aber da man keinem Menschen reale „Angst-Ziffern“ von 0 bis ∞ zuordnen kann, bliebe das reine Spe­kulation und löste überdies das Problem nicht.

[169]Unabhängigkeit muss sich wieder lohnen’, BZ 22.07.2000.

[170]Verfassungsrichter kappen Privilegien in den Parlamenten’, Tagesspiegel 22.07.2000.

[171] Und anderen für die Diätenerlangung wichtigen Akteuren.

[172] Parteiengesetz.

[173] Parteiengesetz.

[174] Parteiengesetz.

[175] Parteiengesetz.

[176] Parteiengesetz.

[177] Vgl. v. Alemann 2001, Tabelle S. 90 f.

[178] Kishon, S. 167.

[179] Vgl. 1.3.3.

[180] Bestes Beispiel ist der Flickskandal, wo persönliche Spenden u.a an Helmut Kohl aktenkundig wurden. ‚‚ Eberhard von Brauchitsch’, Tagesspiegel 25.08.2000.

[181] PDS-Votum 2002, S. 54.

[182] Vernehmung Dr. Klenk, 12.10.2000, S. 6, zit. in: PDS-Votum 2002, S. 54.

[183] Wieczorek war neben seinem Bundestagsmandat bis 1994 bei Thyssen beschäf­tigt und soll gute Geschäftsbeziehungen zu Schreiber unterhalten und die Lieferung von Thyssen-Panzer an Saudi-Arabien 1991 abgewickelt haben. (Vgl. ‚FDP: Schmiergelder auch an SPD-Politiker’, WELT 30.11.1999.

[184] Schaupensteiner 1999, S. 137.

[185] Schaupensteiner 1999, S. 137.

[186] Schaupensteiner 1999, S. 137.

[187] Bellers 1989, S. 3 f.

[188] ‚Freiflüge für die Vielflieger’, BZ 30.07.2002.

[189] Dies immer unter der Voraussetzung, dass es tatsächlich einen Kausalzusammen­hang zwischen Leistung und Gegenleistung gibt. Zudem sind die in diesem Abschnitt genannten Fälle nur als mögliche Beispiele zur Erläuterung des korrupten Mechanismus zu verstehen, nicht als konkrete Tatsachenbehauptungen.

[190] Der Flick-Konzern erhielt von Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs 1975 eine Steuervergünstigung von 450 Mio. DM und spendete der FDP 6,5 Mio. DM (vgl. Fischer Chronik, S. 755 f.

[191] Die Immobilienfirma Aubis erhielt von der HypBank, einer Tochter der Berliner Bankgesellschaft (BGB), einen 600-Millionenkredit. Zeitnah übergaben die Aubis-Manager Neuling und Wienhold dem BGB-Chef Klaus Landowsky, 40.000 DM als Barspende. Alle drei waren CDU-Mitglieder (vgl. Rosenkranz 2001).

[192] Die Subvention wird hier eingeordnet, weil sie in der Regel projekt- bzw. verwen­dungsgebunden ist und daher in der Kostenrechnung des Subventionsneh­mers als produktionskostenmindernd auftaucht. Allerdings kann die Subvention auch als Bezahlung für die eigentliche Ware betrachtet werden. Beispiel 1: Ein Poli­tiker will einen Spitzenjob in einem Konzern und erhält ihn, weil er den Konzernvor­stand mit einer Subvention schmiert. Hier wäre der Konzernvorstand der korrupte Agent, der Politiker der Klient und der geschädigte Prinzipal die Konzerneigentümer, von denen vermutet wird, dass ihnen der Verkauf von Spitzenjobs nicht recht ist. Beispiel 2: Eine Partei erkauft sich mit Agrarsubventionen oder Eintreten dafür die Wahlpropaganda der Agrarfunktionäre. Beispiel 3: Eine Partei erkauft sich durch „arbeitnehmerfreundliche“ Beschlüsse, die der Gewerkschaftsführung nutzen, die Wahlpropaganda der Gewerkschaftsführung.

[193] Anders als in den Fällen Flick und Aubis ist beim Leuna/Minol-Geschäft die Gegen­leistung als solche noch ungeklärt, wie im Teil C gezeigt werden wird.

[194] Vgl. dazu Teil C 3.5.1. über die Treuhandanstalt.

[195] Rose-Ackerman 1999, S. 41 f.

[196] Rügemer, S. 26.

[197] Vgl. dazu die Zusammenstellung des Korruptionsforschers Karlhans Liebl, die auf allen im Zeitraum 1975 bis 1985 in den Alten Bundesländern abgeschlossenen gerichtlichen Korrupti­onsverfahren (717 Beschuldigte) basiert (vgl. Liebl, S. 288).

[198] ‚Senatoren geben Mandate zurück’, WELT 17.08.1999.

[199] MONITOR Nr. 477 am 05.07.2001.

[200] Auch dies ist nur als mögliches Beispiel zur Erläuterung des korrupten Mechanis­mus zu verstehen, nicht als konkrete Tatsachenbehauptung.

[201] Vgl. u.a. Leyendecker 7/2002.

[202] In diese Richtung geht natürlich auch der Kampf gegen EU-Richtlinien zur Verbes­serung des Umweltschutzes nach der Logik: „Umweltschutz vernichtet Ar­beitsplätze“. So unterstützte der rotgrüne Umweltminister Werner Müller 2002 die Auffassung der IG Bergbau Chemie Energie, der Richtlinienvorschlag der EU - Kommission zum Handel mit Emissionszertifikaten sei „eine Bedrohung für den In­dustrie - und Energiestandort Deutschland. Er gefährde etwa 60 000 Arbeitsplätze quer durch alle Branchen und bringt schwere Nachteile im internationalen Wettbe­werb.“ (‚Nicht mit uns’, IG Bergbau Chemie Energie

home.t-online.de/home/Vertrauensleute-GFA/home.htm)

[203] Unter anderem in Sachen Leuna/Minol. Der ‚Fall Maier’ kommt unten noch zur Sprache.

[204] ‚Bei Klartext kommt die CSU ins Schwitzen’, FR 31.10.2001.

[205] Dietz, S. 57.

[206] Dietz, S. 41.

[207] Dietz, S. 63.

[208] Dietz, S. 63.

[209] Dietz, S. 67.

[210] Marx MEW 23, S. 675.

[211] Dietz, S. 91.

[212] Dietz, S. 91 f.

[213] Vgl. Dietz, S. 63.

[214] Dietz, S. 27.

[215] Dietz, S. 20.

[216] Suchanek 1993, S. 7.

[217] Hofmann 1, S. 212.

[218] Suchanek, 2001 S.83. Der Autor ist aber immerhin Zyniker genug einzuräumen, dass diese Solidarität „nicht als solche empfunden wird, vor allem deshalb, weil man es sich nicht aussuchen kann, ob man sich diese Zumutung auflädt oder nicht.“ (Ebd.).

[219] V. Alemann/Kleinfeld, S. 270.

[220] V. Alemann/Kleinfeld, S. 269 f.

[221] Imperialismus heute, S. 416.

[222] Wobei sich die NÖP ja für diese Gesetze gar nicht interessiert.

[223] Sielaff 2000.

[224] Gemeint sind hier immer die bestechenden Firmen.

[225]Staaten haben keine Freunde ...’, Tagesspiegel 02.12.2000.

[226] Leyendecker, S. 179.

[227]Kohl tritt Beschuldigungen energisch entgegen’, FR 31.01.2000.

[228]Kohl tritt Beschuldigungen energisch entgegen’, FR 31.01.2000.

[229] Die NPÖ kennt sogar ein „Modell der permanenten Überlagerung des ‚natürli­chen’ Wirtschaftsverlaufs durch politische Interventionsbestrebungen, die sich am Rhythmus von Wahlen orientieren und darauf abzielen, zum Wahltag die bestmögli­che Wirtschaftslage vorzuspiegeln.“ Vgl. Sturm, S.36. Auch marxistische Theoreti­ker sehen diese Interventionen, allerdings als Mittel, in Zeiten des Aufschwungs ein ‚Überangebot an Arbeitsplätzen und damit verbundenen bessere Kampfbedingun­gen für die Arbeiter in Lohnkämpfen zu verhindern. (Vgl. Kalecki 1943, S.322-331).

[230] Leyendecker, S. 179.

[231] „Es ist Geld geflossen“, ZEIT 24/2001.

[232] "Der Kanzler konnte alles beeinflussen", BZ 16.05.2001.

[233] Leyendecker, S. 180.

[234] Dass dieser Ansatz zumindest nicht ganz absurd ist, zeigt auch die Auffassung von Peter Eigen, dem Vorsitzenden von Transparency International: "Unter der Re­gierung Kohl gehörten Bestechungsgelder im Ausland zur offiziellen Linie der Poli­tik" (SZ 15.06.2001, S. 13).

[235] ‚Nach Leuna für jeden Preis’, WELT, 15.12.1999.

[236] ‚Nach Leuna für jeden Preis’, WELT, 15.12.1999.

[237] Leyendecker, S. 179.

[238] ‚Ex-Elf-Chef bestätigt Schmiergeld’, SZ 07.06.2001.

[239] Immer zu verstehen im Sinne des im Teil B entwickelten Begriffs „Ganzes Volk“.

[240] Natürlich kann man auch Subventionen „verschwinden“ lassen, aber offiziell gin­gen sie an den Konzern Elf, standen den gemeinten Elf-Agenten nicht direkt zur Disposition und daher in ihrer Eigenschaft als mögliche direkte „Agenten-Beute“ aus der Analyse auszuklammern.

[241] Ebenso könnte man natürlich unterstellen, die Initiative wären von den deut­schen Agenten ausgegangen: Sie animierten die Franzosen, ihnen „Kommissionen“ zu verschaffen und zahlten ihnen dafür Kickback. Das Resultat ist dasselbe.

[242] ‚Schmiermittel für Raffinerie?’, FR 17.05.01.

[243] Erste Gerüchte wurden Ende April 1997 u.a. durch LE PARISIEN veröffentlicht (vgl. ‚CDU soll Geld von Elf-Konzern erhalten haben’, BZ 30.04.1997). Diese Ge­rüchte wurden zu konkreten Anschuldigungen u.a. durch zwei Artikel in Le Monde, wo zunächst von „commissions occultes, d'un montant de plus de 300 millions de francs“ (‚Les déboires d'Elf dans l'ex-RDA recèlent une affaire d'États’, LE MONDE 28.05.1997), dann von besagter „commission de 256 millions de francs“ (‚Les juges français demandent à suivre la piste d'une commission de 256 millions de francs’, LE MONDE 24.07.1997) die Rede war.

[244] Uterwedde 2000.

[245] Uterwedde 2000.

[246] "Mitterand wollte Kohl helfen", FR 19.06.2001.

[247] "Mitterand wollte Kohl helfen", FR 19.06.2001.

[248] "Mitterand wollte Kohl helfen", FR 19.06.2001.

[249]30 Millionen für Kohl-Sieg?’, FR 24.01.2000.

[250] ‚Schmiergelder beim Verkauf an Elf?’, SZ 08.03.2001.

[251] Wickert 2001.

[252] ‚Schmiermittel für Raffinerie?’, FR 17.05.2001.

[253] ‚Kohl versprach Subventionen für Leuna’, BZ 16.05.2001.

[254] ‚Kohl doch direkt verwickelt?’, SZ 16.05.2001.

[255] Uterwedde 2000.

[256] ‚Beim Schmieren war Elf unparteiisch’, SZ 02.10.2001, und Uterwedde 2000.

Ende der Leseprobe aus 288 Seiten

Details

Titel
Die Normalität der Politischen Korruption
Untertitel
Das Beispiel Leuna/Minol
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Note
cum laude
Autor
Jahr
2002
Seiten
288
Katalognummer
V29335
ISBN (eBook)
9783638308687
ISBN (Buch)
9783656085034
Dateigröße
1902 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Politische Korruption ist nicht etwa ein "Ausrutscher schwarzer Schafe", sondern der Normalfall deutscher Politik. Gezeigt wird dies am Beispiel des Verkaufs der Leunawerke und des Minol-Tankstellennetzes an den damaligen französischen Staatskonzern Elf-Aquitaine durch die Treuhandanstalt im Januar 1992
Schlagworte
Normalität, Politischen, Korruption, Beispiel, Leuna/Minol
Arbeit zitieren
Thomas Wieczorek, Dr. (Autor:in), 2002, Die Normalität der Politischen Korruption, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29335

Kommentare

  • Gast am 31.7.2007

    Minol - Hermetische Geheimisse.

    Thomas Wieczorek's Arbeit über die Korruption stellt ein wichtiges Kompendium zum höheren Verständnis.In Hinsicht auf den Stand des Leunaverfahrens bleiben Zweifel, ob die Klärung mit Mitteln des Rechtsstaates auszurichten ist. Dabei sind Mythen entstanden, die den Blick auf die Wirklichkeit verstellen.Ein Mythos ist wohl der, daß es keine Beweise gibt. Dabei drängt sich der Verdacht auf, daß die Mythologisierung der Beweisnot bereits Staatsräson war, bevor so getan wurde es gäbe ein Ende vor dem Schluss. Dort aber, steht ein Wort, welches deutscher nicht sein kann: Aufarbeitung

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Titel: Die Normalität der Politischen Korruption



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