Die Verantwortung der Ökonomie. Vorstellung einer ordnungspolitischen Klimainitiative

Lakonische Kapitalismuskritik Teil III


Essay, 2019

12 Seiten


Leseprobe


Earth provides enough to satisfy every man’s needs, but not every man’s greed.

Mahatma Gandhi

Die leidenschaftlich geführten Debatten um die Begrenzung der weltweiten Emissionen klimaschädlicher Gase und die Sorgen über den drohend näher rückenden Erdüberlastungstag scheinen sich auf Verbote sowie Einschränkungen individueller Freiheiten zu fokussieren. Dabei werden Anpassungen an den Preisen der Produkte angestrebt, um die externen Kosten entsprechend einzupreisen bzw. den klimaschädlichen Konsum zu reduzieren. In Zeiten stetig steigender Ungleichheit werden soziale Spannungen aufgrund dieser Herangehensweise kaum zu vermeiden sein, wenn Geringverdienende und der Mittelstand in ihren Konsumfreiheiten eingeschränkt werden, obwohl deren CO2-Fußabdruck im Vergleich zu SpitzenverdienerInnen wesentlich geringer ausfällt. Dennoch ist die Vermeidung von CO2-Emissionen unabdingbar. Quälende Hitzewellen und Dürreperioden nehmen stetig zu. Verheerende Stürme ziehen in immer kürzeren Abständen über die ErdbewohnerInnen. Regenwälder werden abgeholzt, um Platz für Plantagen mit den immer selben Monokulturen zu gewinnen, welche u. a. die Biodiversität verringern. Manche klimapolitischen Maßnahmen (z. B. Biokraftstoffe) fördern diesen Verfall noch. Die Jugend fürchtet um ihre Zukunft, während der Plan zur Rettung des Klimas, welcher auf einem guten Weg schien (z. B. Pariser Klimaschutzabkommen), nicht entsprechend umgesetzt bzw. ausgesetzt wurde. So hat z. B. der Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre (SROCC) des Weltklimarats (IPCC) noch einmal die verheerenden Auswirkungen der Klimaveränderungen für den Lebensraum der Menschen betont. Es muss zwingend gehandelt werden! Allerdings bedürfen die starken Ungleichheiten und die unterschiedlichen Lebenssituationen der Menschen, selbst innerhalb einer Gesellschaft, einem Paradigmenwechsel, auch um die in Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes verankerte „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ und einen breiten Konsens in der Bevölkerung zu erreichen. Eine Akzeptanz der Handlungsnotwendigkeit kann jedoch nur erreicht werden, wenn damit keine sozialen Spannungen einhergehen. Darüber hinaus vernachlässigen die derzeit geführten Debatten zur Lösung der Klimafrage oft die Probleme, welche in Folge der Vierten Industriellen Revolution zu bewältigen sind. Diese umfassen neben der zunehmenden Digitalisierung diverser Lebensbereiche und den vielfältigen disruptiven Technologien (z. B. Elektroauto) eben auch die Frage nach der zukünftigen Ausrichtung der Volkswirtschaften und deren Wettbewerbsfähigkeit. Es bedarf einer ganzheitlichen Lösung, um sowohl der Dringlichkeit des Umweltschutzes als auch den Herausforderungen der Industrie 4.0 gerecht zu werden. Aber können Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit im Einklang mit Klimaschutz gedeihen?

Eine wirtschaftsfreundliche und zugleich sozial-gerechte Klimapolitik kann auf Grundlage verbindlicher Eigenverantwortung innerhalb eines Ordnungsrahmens gelingen.

Die hier vorgestellte klimapolitische Initiative beruht auf den Grundprinzipien des Ordoliberalismus, beabsichtigt also die Stärkung der marktwirtschaftlichen Volkswirtschaft, wie sie von Walter Eucken (1952) und den Angehörigen der Freiburger Schule erdacht wurde. Im Ordoliberalismus soll ein staatlich implementierter Ordnungsrahmen den ökonomischen Wettbewerb und die Freiheit der BürgerInnen auf dem Markt ermöglichen. Auf diesem Konzept begründete Alfred Müller-Armack (1976) die Soziale Marktwirtschaft, welche zurecht als „Garant für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Stabilität“ (KAS 2019) bezeichnet wird. Dieser Erfolg lässt sich mit der Ausgewogenheit bzw. Balance des Systems erklären. Die einzelnen MarktteilnehmerInnen koordinieren ihre wirtschaftlichen Aktivitäten über entsprechende Märkte und, nur wenn diese Koordination zu unerwünschten Resultaten führt, soll der Staat eingreifen. Ganz nach der oft zitierten Devise des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ (Egner 1963, S. 267). Der grundlegende Rahmen des Geschehens ist gesetzlich vorgegeben und versucht, schädliches Verhalten durch Regulierung zu verhindern. Gleichzeitig wird aber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert, indem z. B. Menschen, welche in einer nach dem Leistungsprinzip ausgerichteten Gesellschaft nicht (mehr) konkurrenzfähig sind, nicht zurückgelassen werden. Eine wirksame und zugleich gerechte Klimapolitik kann nur auf diesem Fundament gelingen. Denn die Problematiken, welche sich aus der Klimakrise heraus ergeben, können weder durch freiwillige Selbstverpflichtung noch durch alternierende politische Eingriffe bzw. wechselhafte Verordnungen gelöst werden. Der Ansatzpunkt muss bei den VerbraucherInnen liegen und diese im Sinne eines fairen sowie wirkungsvollen Mechanismus zum Zwecke des Klima- und Umweltschutzes lenken. Dabei gilt es, nicht pauschal zu beschränken, sondern Wahlmöglichkeiten zu gewähren, welche nicht ausschließlich auf den finanziellen Möglichkeiten der BürgerInnen beruhen. Der liberale Ansatz in der Ökonomie muss gewahrt bleiben, hat er doch dazu geführt, dass Anreize gesetzt wurden, Wohlstand und Fortschritt zu steigern.

Um den Erfolg der Anstrengungen zum Klima- und Umweltschutz sicherzustellen, muss Klimagerechtigkeit (auch im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit) als ausschlaggebender Startpunkt über allem stehen. Somit kann eine Lösung zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes nicht durch einen Preismechanismus realisiert werden. Die finanziell besser Gestellten könnten weiterhin Urlaubsreisen mit dem Flugzeug durchführen und große Mengen an Fleisch verzehren, während die GeringverdienerInnen und der Mittelstand auch in diesem Bereich immer mehr abgehängt würden. Vielmehr würde der Staat in nahezu expliziter Weise entscheiden, welche Produkte konsumiert werden können, da viele BürgerInnen aufgrund des höheren Preises in ihrer Konsumfreiheit eingeschränkt wären. Dies hätte nichts mehr gemein mit marktwirtschaftlichen Prozessen, sondern würde planwirtschaftliche Elemente verkörpern. Dies kann zu sozialen Zerwürfnissen führen, welche die westlichen Gesellschaften weiter spalten. Ohne eine verständliche, effektive und vor allem langfristige Strategie auf politischer Ebene kann zudem kein Anreizsystem im Sinne der Leistungsgesellschaft entstehen.

Es fehlen schlichtweg klare und verbindliche Ziele, welche alle BürgerInnen einhalten müssen und auf die sie sich dementsprechend (im ökonomischen Wettbewerb) einstellen können. Darüber hinaus darf man nicht vergessen: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“; so besagt es Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, einer als Absichtserklärung verfassten Resolution der Vereinten Nationen. Deshalb hat auch keine Gruppe (z. B. Europäische Union) das Recht, den Planeten auszubeuten und die klimatischen Bedingungen zu verändern, während die andere Gruppe (z. B. afrikanische Staaten) am meisten darunter zu leiden hat. Dieser Gruppe müsste demnach ebenso zugestanden werden, ihren Fortschritt mit Hilfe preisgünstiger fossiler Energieträger zu erwirtschaften, was aber den ökologischen Kollaps der Erde zur Folge hätte. Deshalb müssen die Menschen „auf der Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten das Klimasystem zum Wohl heutiger und künftiger Generationen schützen“. Dieser Ausschnitt aus Artikel 3 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen beinhaltet somit den Gedanken, dass alle Menschen Verantwortung übernehmen müssen auf Grundlage einer gerechten und deshalb nicht monetären Weise. Dieses Prinzip einer geteilten Verantwortung spricht gegen Preissteigerungen in Form verschiedener Abgaben, wie sie gefordert werden und sich z. B. in der Einführung einer CO2-Steuer ausdrücken. Eine solche allgemeine Besteuerung befördert die Spaltung der Gesellschaft und den Populismus, da untere sowie mittlere Einkommensschichten in der Folge weniger Produkte für die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel erhalten. Dies würde somit auch der Wirtschaft erheblich schaden. Ähnlich verhält es sich mit Verboten, welche aufgrund unterschiedlicher Lebenssituationen meist nicht gerecht eingesetzt werden können und manche Gruppen stärker treffen als andere. Ständige Diskussionen über die Klimapolitik und mögliche Verschärfungen der Klimagesetze verursachen Verunsicherungen der MarktteilnehmerInnen und erwecken den Eindruck, dass eine Langfristigkeit in den strategischen Überlegungen der Politik nicht gegeben ist. Da nun Erwartungen in der Ökonomie eine bedeutende Rolle zukommt, sollte verstärkt auf den ordnungspolitischen Rahmen im Sinne einer langfristigen Perspektive geachtet werden. Grundlage sollte dabei ein Ordnungsrahmen gemäß dem Ordoliberalismus oder der Sozialen Marktwirtschaft (als dessen Weiterentwicklung) sein. Dieses Gerüst der deutschen Ökonomie, sozusagen ein Mittelweg zwischen Planwirtschaft und (neoliberaler) Marktwirtschaft, sollte daher als Ausgangspunkt für Überlegungen zu einer gerechten und wirkungsvollen Klimaschutzpolitik dienen. Denn inhärent ist in dieser Theorie, dass Fairness eine zentrale Stellung einnimmt. Aber bewährte Umverteilungs- und Transfersysteme kommen bei der Komplexität der Probleme – Klimaschutz und Digitalisierung – an ihre Grenzen. Ob nun der Unterschied zwischen Stadt und Land oder die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen, es muss ein Ansatz gefunden werden, welcher Klimaschutz und Freiheit verbindet, ohne dass hierdurch Wettbewerb, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit geopfert werden.

Eine naheliegende Lösung wäre die Realisierung eines Punktesystems, nach dem klimaschädliche Produkte gemäß ihrem Schädigungsgrad oder Impact bewertet werden. So gibt es bereits Initiativen, welche einen solchen Ansatz verfolgen. Darunter das vom Kairos - Institut für Wirkungsforschung & Entwicklung ins Leben gerufene Konzept „Ein guter Tag hat 100 Punkte“, welches den Konsum mit Hilfe eines Punktesystems ökologisch bzw. nachhaltig zu steuern versucht. Die TeilnehmerInnen haben demnach die Selbstverpflichtung, an einem Tag nicht mehr als 100 Punkte zu verbrauchen. Diese Punkte ergeben sich aus der Annahme, dass jedem Menschen täglich 6,8 kg CO2 ‚zustehen‘. Ein anderes Projekt verbindet ein Punktesystem für nachhaltigeren Konsum mit einem Bonusprogramm. Hierbei kann man durch den Kauf umweltfreundlicher Produkte und Dienstleistungen sog. „Umweltpunkte“ erwerben, welche bei Partnerunternehmen dann auch eingelöst oder ausbezahlt werden können.

Jedoch ist eine solche freiwillige Selbstverpflichtung auf breiter Ebene keine praktikable bzw. effektive Lösung, da nicht alle Menschen die Kausalität des Klimawandels verinnerlicht haben oder aus Bequemlichkeit alte Verhaltensmuster beibehalten. Der stetige Wunsch nach mehr und die Nichtanerkennung der eigenen individuellen Verantwortung sowie mangelhafte Transparenz bei der Schädlichkeit einzelner Produkte und deren Erzeugung bzw. Vertrieb sind weitere Aspekte, die gegen eine Lösung sprechen, die auf Selbstverpflichtung beruht. Die Erreichung eines Zustandes, in dem Fairness im Sinne von Chancengleichheit und Nachhaltigkeit vorherrschen, somit auch Solidarität mit von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung bedrohten ErdbewohnerInnen, kann nur gelingen, wenn alle Menschen ihrer Verpflichtung im gleichen Maße nachkommen. Die externen Kosten bzw. negativen externen Effekte der Umweltverschmutzung müssten somit direkt nach dem Verursacherprinzip auf die VerbraucherInnen verteilt werden, ohne dass dabei ein Mensch aufgrund seiner wirtschaftlichen Stellung begünstigt wird (sofern kein Ausgleich erfolgt). Die Wahrnehmung der geteilten Verantwortung kann durch die Einführung von ökonomisch-ökologischen Fairness-Punkten oder, eindringlicher, EcoFair-Points (Economic and Ecological Fairness), bewerkstelligt werden. Hierbei wird jeder Person ein Konto eingerichtet, auf dem sich gemäß den jeweils vereinbarten Klimazielen (z. B. Pariser Klimaschutzabkommen) ein Guthaben (Emissionsrechte) befindet, welches im Laufe eines gewissen Zeitraumes abgetragen werden kann. Als Grundlage dieser Initiative müssten Waren und Dienstleistungen entsprechend ihrer Klimaschädlichkeit und vielleicht auch – in einem zweiten Schritt – gemäß ihrer Ressourcenbeanspruchung (ggf. unter Einbeziehung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele) mit Punkten versehen werden. Es wird dadurch eine Wahrnehmung der Schadensklasse von Produkten ermöglicht, Planbarkeit erzeugt und Transparenz für VerbraucherInnen sowie innerhalb der Lieferkette hergestellt. Dieser ökologische bzw. CO2-Fußabdruck kann schon heute auf diversen Plattformen online ermittelt werden. Somit besteht bereits die Berechnungsgrundlage. Es müsste nur eine Umwandlung in ein Punktesystem erfolgen.

Zusammenfassend: Jeder Mensch erhält ein Grundguthaben an CO2-Emissionen, welches im eigenen Ermessen und gewünschten Zeitraum aufgebraucht werden darf. Dieses ergibt sich aus den UN-Klimazielen, festgehalten im Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, die jedem Staat zugeordnet sind.

Mit einem solchen Konto können auch Anreize gesetzt werden, welche nicht dem Naturschutz dienen, sondern sozial- oder wirtschaftspolitische Ideen befördern sollen. So könnte ein solches Punktekonto auch aufgrund von Sanktionen gesellschaftsschädigenden Verhaltens, z. B. als Strafe für Steuersünder, reduziert oder durch ehrenamtliche Tätigkeiten erhöht werden. Für solche Zwecke könnte sich der Staat ein eigenes Guthaben vorhalten. Dieses Guthaben könnte u. a. durch Ausgleichsprojekte (CO2-Entzug) selbst generiert werden. Dabei soll bei dieser Initiative nicht das chinesische Sozialkredit-System übernommen, sondern ein freiheitliches Pendant gesetzt werden, das dem Leistungsprinzip entspricht und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit sicherstellt.

Diese skalierbare Initiative (flexibel bzgl. Einzugsgebiet und Produktumfang) unterscheidet nun umwelt-/klimaneutrale Waren und Dienstleistungen, welche gefördert werden sollen, so z. B. vegetarische Bio-Produkte oder Bahnfahren mit Ökostrom, und umwelt-/klimaschädliche Waren und Dienstleistungen, deren Konsum gesenkt werden muss, so z. B. Flugreisen oder Fleischkonsum, und sieht entsprechende Punkte gemäß ihrer Schädlichkeit für die Umwelt vor. Dieses Konto wird bei klimaneutralen Produkten nicht belastet. So erfolgt auch keine Nachverfolgung des Konsumverhaltens, sondern nur der Guthabenabzug für klimaschädliche Produkte. Das Limit des Punktekontos muss dabei an die Lebenswirklichkeit der diversen Regionen angepasst werden. So können BewohnerInnen außerhalb der urbanen Regionen nicht mit den GroßstädterInnen gleichgesetzt werden. Sei es der Kindergarten, die Schule oder auch der Arbeitsplatz – diese täglichen Ziele sind auf dem Land mit den meist selten verkehrenden öffentlichen Verkehrsmitteln oft schlecht zu erreichen. Im Rahmen des Grundguthabens können die Menschen ihr Leben weiterhin nach ihren Präferenzen gestalten, ohne dass einzelne Produkte für finanziell Schlechtergestellte nicht mehr erschwinglich sind. Wenn nun jemand das eigene Auto als Hobby versteht und dafür aber keine Flugreisen unternimmt, dann kann sie oder er ihren bzw. seinen Interessen weiter nachgehen, ohne dass steigende Abgaben dieses Hobby unbezahlbar machen. Auf der anderen Seite hat jemand, der kein eigenes Auto besitzt, die Möglichkeit, seine Punkte für eine Flugreise zu verwenden. Beide Aspekte zeigen, dass flexible Lösungen im Klimaschutz, welche die Heterogenität von Präferenzen beachten, notwendig sind, um der Wirtschaft nicht zu schaden bzw. Wahlmöglichkeiten zu erhalten. Ziel staatlicher Klimaschutz-Anstrengungen sollte es also sein, den Überfluss bzw. die Verschwendungssucht zu reduzieren, aber nicht die Freiheit der BürgerInnen aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung einzuschränken, sondern jeder und jedem sein eigenes Emissionspaket im Rahmen internationaler Vereinbarungen zuzugestehen. Das Gefühl, gesellschaftlich abgehängt worden zu sein, würde sonst nur noch mehr Menschen ergreifen mit all den bereits heute absehbaren Folgen. Denn um dies hier nochmal zu betonen, Menschen mit einem höheren Einkommen oder Vermögen haben meist auch einen wesentlich höheren ökologischen Fußabdruck (UBA 2016) und tragen deshalb weit mehr zum Klimawandel bei. Es kann daher in keiner Weise gerecht sein, wenn nun die Ärmeren unverhältnismäßig dafür aufkommen müssen.

Die Emissionen der Unternehmen würden an die VerbraucherInnen weitergegeben, wodurch auch hier an marktwirtschaftlichen Prinzipien festgehalten werden würde. Diese Weiterreichung der Punkte an die VerbraucherInnen kann man sich analog der Mehrwertsteuer-Systematik vor Augen führen, was somit im digitalen Zeitalter keine gravierenden bürokratischen Hürden bzw. Belastungen darstellen dürfte. NutzerInnen könnten dabei über eine Smartphone-App ihr Guthaben stets im Blick behalten und verwalten. Unternehmen wiederum wären durch dieses Konzept bestrebt, ihre Waren und Dienstleistung schnellstmöglich klimaneutral zu designen sowie herzustellen. Dies beträfe im selben Maße auch Importe, da diese ebenso dem Punktesystem unterlägen, wenn sie ihre Erzeugnisse auf den betreffenden Märkten anbieten wollten. Die innovativsten Geschäftsmodelle und Herstellungsverfahren würden sowohl im Investitionsgüter- wie auch im Konsumgüterbereich hervorstechen. Die gesamte Produktions- und Lieferkette könnte dann auf Grundlage dieser Systematik nachhaltiger werden. Bei diesem Lösungsvorschlag werden folglich keine Verbote verhängt, sondern Wahlmöglichkeiten eingerichtet, so dass der liberale Geist westlicher Demokratien weiterhin Bestand haben kann. Insgesamt wird damit der Druck auf die Industrie erhöht, klima- und umweltfreundliche Waren und Dienstleistungen anzubieten, welche schonend hergestellt wurden. Denn im Vordergrund darf nicht der harte Einschnitt in Form von Verboten oder erheblichen Verteuerungen stehen, sondern die Senkung des jährlich gutgeschriebenen Punkte-Guthabens auf jedem dieser Konten bis zum Erreichen einer weitestgehend emissionsfreien Lebens- und Produktionsweise. MarktteilnehmerInnen könnten sich an diesen Rahmen anpassen und würden zusätzlich mit Planungssicherheit ausgestattet. ProduzentInnen sind somit in der Lage, langfristige Geschäftsmodelle zu entwickeln. VerbraucherInnen könnten zu fairen sowie gleichen Teilen ihren Anteil an dem Erhalt unseres Ökosystems beitragen. Es werden Investitionsanreize gesetzt, sowohl im privaten wie auch im unternehmerischen Bereich, womit umweltschonende Produktionsverfahren und Ressourcenverwendung durch die grundsätzlichen Kräfte des Marktes koordiniert werden. Ferner würden regionale Produkte stärkere Beachtung erfahren, da diese durch geringere Transportwege weniger Emissionen aufweisen und weniger Punkte bedürfen. Ist dieses System erst angelaufen, muss die staatliche Wirtschaftspolitik nicht mehr eingreifen. Parallel dazu sollten einfache und planbare Verbote, beispielsweise von umweltschädlichen Materialien wie Plastik, realisiert werden, welche nicht die freiheitlichen Ideale der Sozialen Marktwirtschaft beschränken, sondern im Interesse der Ressourcenschonung stehen.

Nun müssen aber auch Möglichkeiten erdacht werden, welche greifen, wenn das Grundguthaben vorzeitig aufgebraucht wurde. Das Konto könnte dann erhöht werden, wenn ein Ausgleich für die entstandenen Emissionen getätigt wird, trivial z. B. Bäume pflanzen. So sind auch weiterhin Luxusgüter wie Yachten oder Privatjets möglich. Diese Ausgleichszahlungen würden somit direkt in langfristige Gegenmaßnahmen fließen, welche wiederum dem Gemeinwohl zugutekämen. Für größere Investitionen, seien es Autos oder die Realisierung des Eigenheimes, könnten sinnvoller Weise solche EcoFair-Points angespart oder ‚zinsfrei‘ über mehrere Jahre abgetragen werden, wenn diese Punkte von anderen Konten auszuleihen sind. Alternativ könnte man aber auch einen Handel (ähnlich dem Emissionsrechtehandel) ermöglichen: entweder zwischen BürgerInnen innerhalb einer Gesellschaft oder auf globaler Ebene mit einem finanziellen Mindestwert der Punkte. Egal wie weit die Ausmaße reichen, abhängig u.a. vom politischen Willen und der Koordinationsfähigkeit der Staatengemeinschaft, es würde als Nebeneffekt eine Kapitalverschiebung erfolgen. Die finanziell weniger gut ausgestatteten Personen, ob nun im In- oder Ausland lebend, würden bei einer klimaschonenden Lebensweise eine neue Einnahmequelle erschließen. Ungleichheit würde sich zunehmend reduzieren. Menschen in Entwicklungsländern könnten hiervon ebenso profitieren wie die sogenannten abgehängten Bevölkerungsschichten im Inland. Es muss dringend versucht werden, eine Zweiklassengesellschaft zu verhindern, in der die einen über genügend Kapital verfügen, um die Folgen des Klimawandels durch Anpassung ihrer Lebensumgebung bzw. Infrastruktur im Sinne baulicher Veränderungen oder eines Umzuges weniger spüren zu müssen; während die andere Gruppe den Auswirkungen des Klimawandels schutzlos ausgeliefert ist, obwohl deren Beitrag an der Erwärmung der Erde doch bekanntermaßen als gering einzuordnen ist.

Der Kapitalismus hat zwar zweifellos einen erheblichen Anteil zur Zerstörung der Umwelt beigetragen, konnte aber auch durch seine Innovations- und Anpassungsfähigkeit den Wohlstand wesentlich erhöhen. Die Einsicht der Märkte, dass epochale Maßnahmen zum Schutz der Umwelt getätigt werden müssen, welche über Marketingaktivitäten hinausgehen, ist offensichtlich begrenzt. Nichtsdestotrotz muss sich auch die Wirtschaft verantwortlich zeichnen für die externen Kosten. Es gilt dabei, schonender mit Ressourcen umzugehen und Nachhaltigkeit nicht nur als Werbemittel zu verstehen. Staatliche Regulierung durch einen Ordnungsrahmen, welcher eine langfristige wirtschaftliche Perspektive ermöglicht sowie eine verlässliche Klima- und Umweltschutzpolitik bereitstellt, kann der Ökonomie ihre Verantwortung zuweisen.

Die Reduzierung der Erderwärmung wird oftmals auch als Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts bezeichnet und beansprucht allerhöchste Priorität. Bleibt sie ungelöst, dann wird der Wohlstand der Menschen stagnieren – oder sich sogar reduzieren – und der Fortschritt sich erheblich verlangsamen. Die liberale Weltordnung steht auf dem Spiel, wenn es nicht gelingen kann, alle Menschen gleichzeitig zu fairen Teilen an der Verantwortung des Klima- und Umweltschutzes zu beteiligen. Man sollte sich an diesem Punkt nicht mehr darauf verlassen, dass technische Lösungen in naher Zukunft Hilfe leisten, Treibhausgase zu reduzieren oder der Atmosphäre wieder zu entziehen. Deshalb muss augenblicklich gehandelt werden, da die sich um die Erde spannende ‚Wärmedecke‘, welche sich aus den Treibhausgasen bildet und die Sonnenenergie zwar herein, aber nicht mehr angemessen entweichen lässt, bereits jetzt die Lebensqualität erheblich mindert. Die Naturkatastrophen nehmen stetig zu – seien es Stürme, Überflutungen, Hitzewellen, Dürren oder die sich daraus ergebenden Waldbrände – und das Leiden der ErdenbewohnerInnen wird wohl zwangsläufig die staatlichen Institutionen an ihre Grenzen führen sowie populistischen Bewegungen (die sich meist vehement gegen die Notwendigkeit des Umweltschutzes stellen) weiter befördern, wenn nicht schnellstmöglich Handlungsalternativen aufgeführt werden! Ein System, welches jeder Person entsprechend ihres Alters die gleiche Verantwortung aufbürdet und dabei zugleich Wahlmöglichkeiten offeriert, kann sich diesen negativen Trends entgegenstellen und das Vertrauen in die Politik wieder erhöhen, indem den Menschen klare Handlungsalternativen vorgegeben werden, auf die sie sich individuell einstellen können bzw. müssen. Die staatlichen Klimaziele, also die Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes bzw. die sich daraus ergebenden Mengen an noch ‚erlaubten‘ Emissionen, ließen sich so auf die EinwohnerInnen eines Landes verteilen. Der Beitrag der Ökonomie muss daher in ihrer Fähigkeit liegen, Interessen auf Grundlage marktwirtschaftlicher Interaktionen auszugleichen, um somit ihrer Lenkungsfunktion nachzukommen. Eine Vermehrung des Wohlstandes kann nicht mehr dadurch gelingen, den symbolischen Kuchen unendlich zu vergrößern, sondern die eingesetzten Ressourcen effizienter zu verwenden und die einzelnen Stücke gerechter zu verteilen. Dem Wirtschaftswachstum wird auch in Zukunft eine Bedeutung zukommen, nur muss Wachstum auf anderen Wegen erfolgen, als es heute der Fall ist. Es darf nicht mehr darum gehen, die Quantität zu erhöhen, sondern die Qualität. Der wachsende Servicesektor und die Möglichkeiten der Vierten industriellen Revolution lassen Grund zur Hoffnung, dass die Vernunft in der Ökonomie die Überhand gewinnen wird.

Literaturverzeichnis

Egner, Erich (1963): Studien über Haushalt und Verbrauch. Berlin: Duncker & Humblot.

Eucken, Walter (1952): Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Bern: Francke.

KAS (2019): Soziale Marktwirtschaft. Konrad-Adenauer-Stiftung. Online verfügbar unter https://www.kas.de/web/soziale-marktwirtschaft, zuletzt geprüft am 30.09.2019.

Müller-Armack, Alfred (1976): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik: Studien und Konzepte zur sozialen Marktwirtschaft und zur europäischen Integration. 2. Auflage. Bern: Haupt.

UBA (2016): Wer mehr verdient, lebt meist umweltschädlicher. Umweltbundesamt. Online verfügbar unter https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/ wer-mehr-verdient-lebt-meist-umweltschaedlicher, zuletzt geprüft am 30.09.2019.

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Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Verantwortung der Ökonomie. Vorstellung einer ordnungspolitischen Klimainitiative
Untertitel
Lakonische Kapitalismuskritik Teil III
Hochschule
Universität Münster
Autor
Jahr
2019
Seiten
12
Katalognummer
V503294
ISBN (eBook)
9783346043412
ISBN (Buch)
9783346043429
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klimaschutzpolitik, soziale Gerechtigkeit, Ordoliberalismus, Vermögensungleichheit
Arbeit zitieren
Patrick Pobuda (Autor:in), 2019, Die Verantwortung der Ökonomie. Vorstellung einer ordnungspolitischen Klimainitiative, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503294

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