Sommer wars, nach dem Heuet ungefähr, denn die Wiesen waren frisch gemäht, und im Felde stund noch das Korn. Gegen Abend gings, aber noch brannte die Sonne heiß, und dunkle Wolken stocketen am Himmel. Da saß auf einem Abweissteine an einer staubichten Landstraße ein junges Weib, hatte ein Kind an der Brust, und ein Kinderwägelchen stund vor ihr. Es war offenbar kein arm Weib, denn im Wägelchen war schönes, reines Bettzeug, und es selbst trug ländliche Tracht, zwar nicht hoffärtige, aber reiche, und doch schien es unglücklich; denn so munter, als der Bube auf seinem Schoße sog, ebenso stark weinte es gar bitterlich. Als der Junge endlich seinen Durst gestillt, wischte es, so gut es ging, die Tränen ab, packte ihn sorgfältig ins Wägelchen und zog fürbaß, aber mühsam, offenbar ermatteten Schrittes.
Das war eine junge Baurenfrau, die Frau des Sohnes des Tanzbodenbauers, welche heimwollte zum Besuch über den Sonntag; denn es war Samstagsnachmittag. Stüdeli war da aus den Dörfern herauf, wie man im Emmental zu sagen pflegt, hatte auf dem Tanzboden sich eingemannet. Der Tanzboden ist dem Weibervolk sonst ein sehr beliebter Aufenthaltsort, wie bekannt, und dieser Tanzboden, von dem hier die Rede ist, noch dazu ein recht schöner Hof und der Bauer nicht verschuldet und doch Stüdeli da oben nicht wohl; denn das Heimweh wollte ihns nicht loslassen. Wenn schon nicht die Worte, so doch die Töne klangen ihm immer und immer im Herzen: »Herz, mys Herz, warum so trurig, und was soll das Ach und Weh? ’s ist so schön im fremden Lande, Herz, mys Herz, was witt de meh? Was mr fehlt? Es fehlt mr alles, bi so gar verlasse hie, möcht zum Ätti, möcht zum Müetti, ha nit Lust und ha nit Fride, bis ih i mym Dörfli bi.« Nun, in fremdem Lande war das Fraueli noch lange nicht. Der Tanzboden war kaum vier Stund von Straudachigen, wo Stüdeli daheim gewesen, entfernt, und doch schien es ihm, es sei auch so, wie es im gleichen Liede heißt: »Es ist wohl schön da oben, doch zur Heimet wird es nie!« Dieses Weh nach einer Heimat, die nicht zwei Stunden weit entfernt liegt, findet man oft im Schweizerland. Ja, es gibt Bauern, denen es nicht wohl wird, bis sie wieder auf den Hof, in das Haus, in welchem sie geboren wurden, eingezogen. Drei Stunden sind eine große Weite im Schweizerlande; wo innige Liebe ist, sind hundert Ellen eine grausame Weite.[...]
Sommer wars, nach dem Heuet ungefähr, denn die Wiesen waren frisch gemäht, und im Felde stund noch das Korn. Gegen Abend gings, aber noch brannte die Sonne heiß, und dunkle Wolken stocketen am Himmel. Da saß auf einem Abweissteine an einer staubichten Landstraße ein junges Weib, hatte ein Kind an der Brust, und ein Kinderwägelchen stund vor ihr. Es war offenbar kein arm Weib, denn im Wägelchen war schönes, reines Bettzeug, und es selbst trug ländliche Tracht, zwar nicht hoffärtige, aber reiche, und doch schien es unglücklich; denn so munter, als der Bube auf seinem Schoße sog, ebenso stark weinte es gar bitterlich. Als der Junge endlich seinen Durst gestillt, wischte es, so gut es ging, die Tränen ab, packte ihn sorgfältig ins Wägelchen und zog fürbaß, aber mühsam, offenbar ermatteten Schrittes.
Das war eine junge Baurenfrau, die Frau des Sohnes des Tanzbodenbauers, welche heimwollte zum Besuch über den Sonntag; denn es war Samstagsnachmittag. Stüdeli war da aus den Dörfern herauf, wie man im Emmental zu sagen pflegt, hatte auf dem Tanzboden sich eingemannet. Der Tanzboden ist dem Weibervolk sonst ein sehr beliebter Aufenthaltsort, wie bekannt, und dieser Tanzboden, von dem hier die Rede ist, noch dazu ein recht schöner Hof und der Bauer nicht verschuldet und doch Stüdeli da oben nicht wohl; denn das Heimweh wollte ihns nicht loslassen. Wenn schon nicht die Worte, so doch die Töne klangen ihm immer und immer im Herzen: »Herz, mys Herz, warum so trurig, und was soll das Ach und Weh? ’s ist so schön im fremden Lande, Herz, mys Herz, was witt de meh? Was mr fehlt? Es fehlt mr alles, bi so gar verlasse hie, möcht zum Ätti, möcht zum Müetti, ha nit Lust und ha nit Fride, bis ih i mym Dörfli bi.« Nun, in fremdem Lande war das Fraueli noch lange nicht. Der Tanzboden war kaum vier Stund von Straudachigen, wo Stüdeli daheim gewesen, entfernt, und doch schien es ihm, es sei auch so, wie es im gleichen Liede heißt: »Es ist wohl schön da oben, doch zur Heimet wird es nie!« Dieses Weh nach einer Heimat, die nicht zwei Stunden weit entfernt liegt, findet man oft im Schweizerland. Ja, es gibt Bauern, denen es nicht wohl wird, bis sie wieder auf den Hof, in das Haus, in welchem sie geboren wurden, eingezogen. Drei Stunden sind eine große Weite im Schweizerlande; wo innige Liebe ist, sind hundert Ellen eine grausame Weite.
Stüdeli war auf den Tanzboden gekommen, es wußte kaum, wie, fast wider Willen. Stüdeli hatte auch ein Meitschiherz, flinke Buben gefielen ihm wohl. Einen Kurs in der spekulativen Philosophie hatte es nicht durchgemacht, es war noch viel zu jung, um was dran zu begreifen. Es fragte nicht nach Geld und Sachen, die Lüstigsten waren ihm die Liebsten, eines Geißenhändlers Bub war der Allerlüstigste, der war ihm auch der Allerliebste. Nit eben so, was man sagt, im Ernste; von Heiraten war keine Rede, aber drTüfel sei immer ein Schelm gewesen und werd noch immer einer sein, dachten die Alten, ungsinnet könnts fehle. Da kam einmal eine Bettlerfrau, es war im Winter, und fragte, ob sie nicht hineinkommen und sich wärmen dürfe? Dieses schlägt man in der Regel nicht ab; so eine weiß was zu erzählen, und gerade die war eine der Rechten. Hauptsächlich drehte sich ihre Rede um den Tanzboden herum und vergaß dabei Peter nicht, den Sohn. »Das wär einer für dich«, sagte sie zu Stüdeli, »werchbar, huslig, hübsch, frein wär er, kurz alles, was einem Burschen wohl ansteht und Meitschene sonst anständig ist.« Stüdeli verlachte diese Reden, aber der Mutter gingen sie in die Ohren. Das schickte sich, wenn die zusammenzubringen wären, dachte sie. Das Meitschi sei ihr nicht erleidet, aber man wäre doch dann Kummers los.
Als die Bettlerin endlich ging, ging die Mutter ihr nach, und korbeten die Sache zusammen, so gut, daß es allerdings einen Käs gab, wie man zu sagen pflegt. Stüdeli wehrte sich nicht auf Leben und Tod; die Bäurin stach ihm doch noch tiefer im Kopf als des Geißenhändlers Bub, und da Geißenhändlers Buben wohl selten zu Bauern werden, so zog der Baurensohn vor. Übrigens war Peter, wenn auch nicht der lüstigste, so doch gar kein übler Bursche, hatte gesunden Verstand, einen tüchtigen Körper. Am meisten war es Stüdeli zuwider, daß es so weit vo Müetti weg müßte und dazu noch ins Emmental hinauf in die wüsten, schwarzen Berge hin. Daß es so hell und heiter im Emmental ist wie irgendwo, sieht man ihm freilich von ferne nicht an. Des Geißenhändlers Bub tat anfangs wüst, erst redete er von Erschießen, dann von zKrieg gehen, und endlich machte er es wie die meisten in ähnlichen Fällen, er nahm eine andere.
Stüdeli war recht hellauf als Braut, freute sich sogar auf die Hochzeit wie die andern auch, wenn sie es zuweilen auch nicht erzeigen wollen, und blieb als junge Frau noch einige Zeit recht wohlgemut daheim. Da begehrten aber die Schwiegereltern ernstlich, daß es zu ihnen käme. Es sei ja dumm, sagten sie, und die Leute würden ihnen wenig darauf halten, wenn sie eine Schwiegertochter hätten und, statt diese ins Haus zu nehmen, einer Jungfrau den Lohn gäbten, für ihre Sache zu machen. Daneben verlauf drJung eine Zeit, es sei nicht zu sagen, und wenn man schon die Zeit nicht achten wollte, so sei dann erst noch von den Schuhen zu reden.
Stüdeli mußte also von den Dörferen herauf auf die Höfe und trug das Bewußtsein in sich, es sei eine Art von Mißheirat, weil man in den Dörfern gebildeter sei, den Comment des Lebens viel besser kenne als da oben in der Wildnis. Es hatte eine Sekundarschule besucht, konnte Französisch schreiben, das heißt französische Buchstaben machen, sagte »Merci bien!« hatte eine Arbeitsschule besucht, konnte Pantoffel sticken und Hosenträger. In seinem Dorf gehörte Stüdeli unter die Gebildetsten, es hatte sogar »Martin, das Findelkind« gelesen und vorn »ewigen Juden« gehört. Indessen hatte ihm dieses durchaus nicht geschadet, es hatte die glückliche Gabe, so zu lesen, daß es grusam kurzi Zyti hatte darob. So sagte es wenigstens; ob es eigentlich so war, können wir wirklich nicht sagen, jedenfalls so, daß diese Bücher ihm durchaus nicht schadeten. Wir wissen nicht, sollen wir sagen, weil es sie nicht begriff, oder weil es unter die Reinen gehörte, denen alles rein ist. Es ist mit dem Lesen eine eigene Sache, es geht mehr Leuten, als man glaubt, so glatt über die Haut weg wie Wasser, macht nicht den mindesten Eindruck, hinterläßt nicht die geringste Spur. Dagegen betrachtet man in den Bergen und auf den Höfen die Dörfer als einen gemeinern, roheren Schlag von Menschen, ungefähr wie in London die Bewohner der vornehmen Quartiere die Leute in der City, oder in Bern die Leute in der Junkerngasse die hinter den Spychern. Anspruchsvoll ist man also in beiden Lagern, aber das ist wahr, daß der Stolz der Dörfer weit plumper, beleidigender hervortrittet als der der Höfer. Wenn man sich zu Heiraten herbeiläßt, so betrachtet man es immer als eine Art von Herablassung, zu welcher man nur bestimmt wird durch eigentümliche persönliche Zuneigung, welche aber selten sich findet, der durch Geld. Beides war mehr oder weniger hier der Fall. Stüdeli bekam einmal ein sehr schön Stück Geld, und nachdem einmal die Bettlerfrau die beiden zusammengebracht, gefiel Stüdeli Peter absonderlich wohl, und Stüdelis Mutter war aus bekannten Gründen so holdselig gegen den etwas schüchternen Peter, so holdselig, wie er es nie erlebt hatte, so daß man fast sagen könnte, eigentlich sei die Mutter die Leimrute gewesen, an welcher der Vogel hängen blieb. Dieses soll übrigens ein Fall sein, der sich nicht selten ereignet. Stüdeli ging ungern auf den Tanzboden hinauf, aus der Heimat in die Fremde, welche weit, weit, mehr als drei Stunden weit von der Heimat lag, daß es fast nicht zu erleben war.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Text?
Der Textabschnitt erzählt die Geschichte einer jungen Bäuerin namens Stüdeli, die nach ihrer Heirat auf den Tanzboden gezogen ist und dort Heimweh und Unbehagen empfindet. Er beschreibt ihre Herkunft, die Umstände ihrer Heirat mit Peter, dem Sohn des Tanzbodenbauers, und ihre Schwierigkeiten, sich an das Leben in den Bergen anzupassen.
Wer ist Stüdeli?
Stüdeli ist eine junge Frau aus einem Dorf, die einen Sohn des Tanzbodenbauers geheiratet hat. Sie hat eine Sekundarschule besucht und gilt in ihrem Dorf als gebildet. Sie fühlt sich jedoch auf dem Tanzboden, in den Bergen, fremd und unglücklich.
Warum ist Stüdeli unglücklich?
Stüdeli leidet unter Heimweh und kann sich nicht an die Lebensweise und die Menschen auf dem Tanzboden gewöhnen. Sie vermisst ihr Dorf, ihre Familie und die Gesellschaft, die sie dort hatte. Sie fühlt sich missverstanden und isoliert.
Wie kam es zu Stüdelis Heirat?
Stüdelis Heirat wurde durch eine Bettlerfrau und Stüdelis Mutter arrangiert. Die Mutter sah darin eine Möglichkeit, die Tochter gut zu versorgen, und die Bettlerfrau lobte Peter als geeigneten Kandidaten. Stüdeli selbst war anfangs von einem Geißenhändlers Bub angetan, entschied sich aber letztendlich für Peter, weil er ein Bauer war.
Was stört Stüdeli am Leben auf dem Tanzboden?
Stüdeli stört die schweigsame Art der Menschen, ihre Mundart, die ihr grob erscheint, und ihr exaktes Arbeiten und Aufräumen. Sie fühlt sich auch unwohl dabei, dass sie mit dem Gesinde vertrauter ist als mit ihren Schwiegereltern.
Wie reagieren die Schwiegereltern auf Stüdelis Verhalten?
Die Schwiegereltern sind nicht zufrieden mit Stüdelis Verhalten. Sie finden, dass sie ungepflegt aussieht und sich zu sehr mit dem Gesinde gemein macht. Sie kritisieren auch, dass sie sich bei den Mägden über ihre Situation beklagt.
Welchen Rat gibt die Großmutter Stüdeli?
Die Großmutter rät Stüdeli, ihre Klagen und Sorgen direkt mit ihren Schwiegereltern zu besprechen und nicht mit den Mägden. Sie sagt, dass dies bei ihnen nicht üblich sei und dass sie Geduld miteinander haben müssten, damit es gut gehen kann.
Was bedeutet der Titel "Tanzbodenbauer"?
Der "Tanzbodenbauer" ist der Bauerhof, auf dem Stüdeli nun wohnt.
- Arbeit zitieren
- Jeremias Gotthelf (Autor:in), 2008, Der Besuch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119868