"Beleidigung" - Materialien zur Kritik eines justiziellen Phantomdelikts


Essay, 2007

93 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

„BELEIDIGUNG“ – THEORETISCH

„Beleidigung“ als justitielles Konstrukt von Verfolgerbehörden

Forschungsbericht mit Material/ien zum Stand der Dinge

BELEIDIGUNG – PRAKTISCH

Die Oiskirchener Beleidigungsfarce: Kritik Anklageschrift; Zeugenbefragung; Schlußwort des öffentlich Angeklagten

„BELEIDIGUNG“ UND MEHR

Verfassungsbeschwerde gegen ein „Phantomdelikt“

„BELEIDIGUNG“ – EIN EPILOG

Menschenrechtsbeschwerde 2006 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

DER AUTOR UND SEINE BÜCHER

THE AUTHOR

Rechtsprechung

"Herr K. nannte oft als in gewisser Weise vorbildlich eine Rechtsvorschrift des alten China, nach der für große Prozesse die Richter aus entfernten Provinzen herbeigeholt wurden. So konnten sie nämlich viel schwerer bestochen werden (und mußten also weniger unbestechlich sein), da die ortsansässigen Richter über ihre Unbestechlichkeit wachten - also Leute, die gerade in dieser Beziehung sich genau auskannten und ihnen übelwollten. Auch kannten diese herbeigeholten Richter die Gebräuche und Zustände der Gegend nicht aus der alltäglichen Erfahrung. Unrecht gewinnt [zu] oft Rechtscharakter einfach dadurch, dass es [zu] häufig vorkommt. Die Neuen mußten sich alles neu berichten lassen, wodurch sie das Auffällige daran wahrnahmen. Und endlich waren sie nicht gezwungen, um der Tugend der Objektivität willen viele andere Tugenden, wie die Dankbarkeit, die Kindesliebe, die Arglosigkeit gegen die nächsten Bekannten, zu verletzten oder so viel Mut zu haben, sich unter ihrer Umgebung Feinde zu machen."

Bertolt Brecht

(Anregend ist auch die später „Rechtsfindung“ genante 6. Szene in Brechts Szenenmontage „Furcht & Elend des Dritten Reiches“ (1938) – „The Private Life of the Masters Race“ - in: Gesammelte Werke III = Stücke 3; Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1967: 1103-1120 [= werkausgabe edition suhrkamp])

Vorwort

Dieses Bändchen entstand auf Anregung des GRIN-Verlags. Es enthält drei meiner im Verlag erschienen Netztexte (2007). Über den link

http://www.grin.com/de/search?searchstring=6760&search=id_autor&page=0 lassen sie sich leicht erschließen. Diese hier unverändert gedruckten Beiträge werden ergänzt durch drei ebenfalls bisher ungedruckte praxisbezogene kurze Netztexte zum virtuellen oder Phantomdelikt „Beleidigung“: http://de.geocities.com/earchiv21/beleidigungsfarce.htm (bei Interesse/Bedarf zum kostenlosen Lesen/Herunterladen); wobei mein „Schlusswort“ (S. 37-47), ohne dass ich beanspruche, „revolutionär“ oder gar ein „Revolutionär“ zu sein, künftig durchaus auch publizistisch gut ´aufgehoben´ sein könnte in jeder Neuauflage des (inzwischen lange vergriffenen) roten „Freisprüche“-Sammelbands[1].

Niemand muss „Revolutionär“ noch „revolutionär“ sein/werden, um den gegenwärtigen Justizapparat im bürgerlichen Deutschland für so höchst reformbedürftig wie nachhaltig - und systemimmanent gesehen - reformunfähig zu halten u n d den Stellenwert dieses ideologischen u n d repressiven gesellschaftlichen Bereichs und „Subsystems“ politiksoziologisch so (oder ähnlich) zu bewerten:

Im Gegensatz zur Ideologie (von) der Bundesrepublik Deutschland als dem „freiheitlichsten Staat in der deutschen Geschichte“ (Eckhard Jesse) bedeutet dieses staatliche Gebilde zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein vor allem durch Leitinstitutionen wie Staatsanwaltschaft und Berufsrichterei sowie weitere Behörden des Unterdrückungsapparats als „Polizeibüttel“ (Rosa Luxemburg) repräsentiertes, empirisch wirksames Gewaltverhältnis zur nachhaltigen Aufrechterhaltung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Mehrwert- und gesellschaftlichen Surplusproduktion und ihrer inegalen Distribution und ungleichen Verteilung gegen actuelle und potentielle Dissenter. Unter den konkret-historischen Bedingungen demontierter Sozialstaatlichkeit und abnehmender Sozialstaatsillusionen bei Bedeutungszunahme erweiterter Funktionen sowohl der ideologischen als auch der repressiven Staatsapparate von Medien einerseits und von polizei- und sicherheitsstaatlichen Maßnahmen andererseits zeigt diese Herrschaft gesellschaftlicher Minderheiten über gesellschaftliche Mehrheiten ausgeprägte Züge präventiver Repression mit totalitär-bürokratischen und lumpenbürgerlich-kakistokratischen Elementen.“[2]

Bleibt in concreto zu den Texten in diesem Bändchen noch dreierlei nachzutragen: (1.) können auch die hier dokumentierten und kritisch kommentierten „unscheinbaren Oberflächenerscheinungen“, so Siegfried Kracauers kulturhistorischer Hinweis (1927), geeignet sein, den „Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, schlagender zu bestimmen“ als die diversen zeitgeistigen „Urteile der Epoche über sich selbst“[3]; (2.) ist das im ersten Text zum PhantomdeliktBeleidigung“ positiv hervorgehobene Bad Kreuznacher Landgerichtsurteil auf Betreiben von Generalstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht Koblenz inzwischen „kassiert“ worden. Beide angeklagte „Volljuristen“ wurden inzwischen nach OLG-Revision von derselben Richterperson (Vorsitzendem Landgerichter B.) bei unveränderter Sachlage „verknackt“; (3.) ist – ein weiterer derzeit unauflösbarer Widerspruch – (nicht nur meine) Justizkritik heuer grad denen leider unzugänglich, die ihrer als „professionell“ tätige Jurist(inn)en so dringlich bedürfen, weil hurtig reingezogene repetitorische Deduktionsmechaniken wohl als Voraussetzung zum Eintritt in den Staatsdienst ausreichen (mögen), gleichwohl jedes humanintellektuelle und sozialmoralische Verständnis von Justiz, Gesetz, Recht und Gerechtigkeit vermissen lassen (müssen).

[1] Freisprüche. Revolutionäre vor Gericht, hrgg. von Hans Magnus Enzensberger (suhrkamp taschenbuch 111, ²1973, 483 p.) - [2] http://de.geocities.com/earchiv21/richard-albrechts-blog.htm; sowie ders., http://de.geocities.com/earchiv21/moz.art1.htm – [3] Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse. Essays [...] (suhrkamp taschenbuch 371, ²1971, p. 50)

Richard Albrecht, Bad Münstereifel, Ende August 2007

„BELEIDIGUNG“ – THEORETISCH

„Beleidigung“ als justitielles Konstrukt
von Verfolgerbehörden.

Forschungsbericht mit Material/ien zum Stand der Dinge

in der Bundesrepublik Deutschland, Anfang 2005

"Insult" within Current Germany, 2005
A radical look on a petty crime

In this smart documentary essay the author, a German scholar basically interested in the culture of law and its social consequences, takes “insult” as pars pro toto according to a group of ´petty crimes´, which are not really defined in the German law itself, seriously. When discussing exemplarily the specific petty crime named “insult”, the author, first of all, works out the virtual character of “insult” as a petty crime: whenever a central principle of law ruling every civilized society is applied -no punishment without law ("nulla poena sine lege") - within the German penal law/code “insult” is still not defined. Consequently, any condemnation according to "insult" (or, to use a more sophisticated term, "defamation") cannot be legal but must be regarded as, at least, a relevant matter of some obscurity, if not, in the last instance, as a basic illegal act itself; for the German constitution proclaims as her basic principle ruling the Federal Republic of Germany/FRG as a democratic and social state (in article 20 [3]) legal bindings of judges according to both law and right, too, as the other side of the coin called the independency of judges in Germany. Given this setting, the author in the second part of his essay broadly quotes a German academic teacher demonstrating that whenever "insult" (as a petty crime) is thoroughly discussed by penologist as scholars, it is by no means an easy judicial job to condemn anybody for having insulted another. In the third and last chapter the author quotes two juridical verdics and their principal sentences as worked out by appellate courts (0berlandesgericht Duesseldorf [Northrhine-Westphalia], in 1995; Landgericht Bad Kreuznach [Rhineland-Palatinate] in 2004), leading to acquittal of those having been publicly accused (within the last case two professional German lawyers) as "insulters" of a public prosecutor. – This smart essay closes, in the sense of Robert(o) Michels, a serial of scholarly pieces the author did within last winter, in 2004/05.

Übersicht

1. Grundposition/en
1.1. Gesetzesbestimmtheit und „Verbotsirrtum“
1.2. Keine Strafe ohne Gesetz, keine Bestrafung ohne Schuld
1.3 Absolutes Rückwirkungsverbot als Menschenwürdegarantie
1.4. Richterliche "Unabhängigkeit“
1.5. RiStBV und verfassungswidrige Nachzensur
1.6. Rechtskulturelle Hinweise
1.7. „Im Namen des Volkes“

2. "Beleidigung" – Hinweise von Hermann Avenarius

3. "... fallen der Staatskasse zu Last": Zwei bemerkenswerte Freisprüche
3.1. Methodisches zur „Beleidigung“ vor deutschen Gerichten
3.2. Oberlandesgericht Düsseldorf 1995
3.2. Landgericht Bad Kreuznach 2004

4. Ausblick

So wenig „inhärente Tendenzen der Natur“ – argumentierte der deutsch-italienische Sozialwissenschaftler Robert(o) Michels 1928 – auf Wirtschaft und Gesellschaft übertragbar sind, weil es sich bei diesen nicht um biologische, sondern um sozioökonomische und soziokulturelle Erscheinungen handelt, so sehr sollten bestimmte Tendenzen (in) der Natur in ihrer Beeinflussung menschlichen Verhaltens nicht vernachlässigt werden. Robert(o) Michels nennt ausdrücklich die „Jahreszeiten“ und hält eine „Sommer- und Wintersoziologie“ als soziologisches Konzept für vertretbar.

(Robert Michels, Soziologie als Gesellschaftswissenschaft. Berlin: Maritius, 1928 [ = Lebendige Wissenschaft Bd. IV, ed. Fritz Edinger, Seiten 54-64])

Gesellschaft erwartet und erzwingt individuelles „Sich-Verhalten“ durch „zahllose Regeln, die alle darauf hinauslaufen, die Einzelnen gesellschaftlich zu normieren, sie gesellschaftsfähig zu machen, und spontanes Handeln wie hervorragende Leistungen zu verhindern.“

(Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. München-Zürich: Piper, 1981, Neuausgabe [ = Serie Piper 217], Seite 41)

„Gesellschaft heißt immer Normierung von Verhalten. Normierung [...] bedeutet, dass bestimmte Werte als geltend gesetzt werden. Werte als geltend setzen heißt, dass es Instanzen gibt, die Geltung verleihen und Sanktionen verhängen können. Das aber sind Herrschaftsinstanzen. Gesellschaft heißt Herrschaft, und Herrschaft heißt Ungleichheit.“

(Ralf Dahrendorf, Der moderne soziale Konflikt. Essay zur Politik der Freiheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1992, Seite 47)

1. Grundposition/en

1.1. Gesetzesbestimmtheit und „Verbotsirrtum“

Wer immer in Deutschland öffentlich angeklagt wird wegen Beleidigung, diesem Phantomdelikt und künstlichem, also "virtuellen Straftatbestand" (siehe zusammenfassend zuletzt Claus Plantiko, Richterwahl auf Zeit durchs Volk:

http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/juh/24886.html, hier Kapitel 4; grundlegend schon J. H. Husmann; Monatsschrift für Deutsches Recht, Heft 9, 1998, Seiten 727-739), sollte wissen, dass es in diesen Verfahren gar nicht um Gesetz, Recht und Gerechtigkeit gehen kann: Denn wenn der alteuropäische Rechtsgrundsatz "nullum crimen" (kein Verbrechen), genauer: "nulla poena sine lege" („Keine Strafe ohne Gesetz“: Anselm Feuerbach 1801) gelten soll - dann darf solange der Straftatbestand "Beleidigung" nicht im Gesetz ("per legem") definiert ist, gar nicht angeklagt werden: "Keine Strafe ohne Gesetz" nämlich heißt es übereinstimmend in § 1 des deutschen Strafgesetzbuchs/StGB und in Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention/EMRK. Diese Gesetzlichkeitsregel hat auch das Bundesverfassungsgericht/BVerfG bestätigt:

"Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde".

Das damit angesprochene Gebot der Gesetzesbestimmtheit soll in der Tat gewährleisten, "dass jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist [...]. Diese Vorhersehbarkeit fehlt, wenn das Gesetz einen Straftatbestand zu unbestimmt faßt." (2 BvR 636/72 vom 8.5.1974; zitiert nach: BVerfGE Band 37, Nr. 15, Seiten 201-216, hier zitiert Seite 207).

Genau die vom deutschen Bundesverfassungsgericht angesprochene fehlende Gesetzesbestimmtheit ist „Beleidigung“ im Sinne des § 185 StGB, in dem es heißt:

„Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft"

1.2. Keine Strafe ohne Gesetz, keine Bestrafung ohne Schuld

Mit anderen Worten: Im Strafgesetz wird wohl etwas über die Bestrafung des angeblichen Beleidigers ausgesagt. Aber nichts über den Straftatbestand der Beleidigung. Damit fehlt jede Gesetzesbestimmtheit von „Beleidigung“. Insofern ist „Beleidigung“ im deutschen Strafrecht nichts Anderes als ein Phantomdelikt, das nach Recht, Gesetz und Rechtsprechung des BVerfG´s n i c h t angeklagt und n i c h t bestraft werden darf.

Mehr noch: Solange „Beleidigung“ nicht im Strafgesetz definiert ist, kann „Beleidigung“ gar nicht rechtserheblich („justitiabel“) sein. Jedem angeblichen Beleidiger muß entsprechend des Hinweises im Strafgesetzbuch auf „Verbotsirrtum“ (StGB § 17) „die Einsicht, Unrecht zu tun", fehlen. Wer aber „ohne Schuld handelt“, darf nach Recht und (Straf-) Gesetz in Deutschland nicht betraft werden. Sondern muss als Unschuldiger nach dem zwingenden Rechtsgrundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" [nulla poena sine culpa] freigesprochen werden, weil nur der bestraft werden darf, der schuldhaft handelt.

Beim undefinierten, damit im Sinne von Recht und Gesetz fiktiven, dazu phantomischen und virtuellen Straftatbestand "Beleidigung" aber kann diese keinem Täter individuell vorgeworfen werden, weil infolge fehlender Definition keiner wissen kann, was "Beleidigung" überhaupt ist.

Denn mit der "Beleidigung" ist es eben nicht so, dass jedermann oder jede Frau von alters her immer schon weiß, was das ist.

Wilhelm Busch betonte zu Beginn des 16. Kapitels seiner "Frommen Helene" zum Zusammenhang von Problemen und Problemlösungsmitteln:

"Es ist ein Brauch von alters her /

Wer Sorgen hat, hat auch Likör!"

Zum Zusammenhang von "Beleidigung" und Bestrafung hingegen gilt meiner, auch lyrisch-poetischen auszudrückenden, Meinung nach mit Blick auf diesen bis heute undefinierten –wirklichen oder angeblichen- Strafrechtstatbestand und das, was deutsche Staatsanwält(inn)e(n) und Richter(innen) dafür halten, das Gegenteil, genauer:

„Beleid´gung fassen ist zu schwer /

Das weiß man doch Alters her"

1.3 Absolutes Rückwirkungsverbot als Menschenwürdegarantie

Wenn auch und aus verständlichen Gründen nicht bei so unterwertigem Justizdreck wie „Beleidigung“, so hat doch das deutsche Bundesverfassungsgericht Anfang 2004 zum in der latinisierten Formel nulla poena sine culpa („Keine Strafe ohne Schuld“) in einem wesentliche(re)n Komplex zum „absoluten Rückwirkungsverbot“ als Menschenrechtserfordernis uned Menschenwürdegarantie im Sinne des Rechtsstaatsgrundsatzes nach Artikel 103 des Grundgesetzes richtungsweisend ausgeführt (zit. nach

http://www.bverfg.dntscheidungen/rs20040205_2bvr202901.html; auch in der späteren Entscheidsammlung [BVerfGE Band 109] gedruckt). In dieser Richtungsentscheidung zum strafrechtlichen Bestimmungsgebot heißt es grundlegend und damit auch auf die immer noch fehlende Bestimmtheit des § 185 StGB der „Beleidigung“ anwendbar:

„Das absolute Rückwirkungsverbot ist in der Menschenwürdegarantie und im Schuldprinzip verankert. Art. 103 Abs. 2 GG geht von dem rechtsstaatlichen Grundsatz aus, dass Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 25, 269 <285>; 105, 135 <154>). Dieser Grundsatz wurzelt in der vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungskräftig geschützten Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, die vom Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten sind (vgl. BVerfGE 25, 269 <285>). Die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt. Jede Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen; der Grundsatz "nulla poena sine culpa" hat insoweit den Rang eines Verfassungssatzes (vgl. BVerfGE 45, 187 <228>). Auch die Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes Unrecht muss in einem vom Schuldprinzip geprägten Straftatsystem durch eine hinreichend gesetzlich bestimmte Strafandrohung für den Normadressaten vorhersehbar sein (vgl. BVerfGE 105, 135 <153 f.>). Der strafrechtliche Schuldvorwurf setzt voraus, dass der Maßstab der Entscheidung von vorneherein eindeutig gesetzlich festgelegt ist. Nur wer diesen Maßstab kennen und sich auf die Rechtsfolgen seines Tuns einstellen kann, ist verantwortliches Subjekt. Gerade im Strafrecht, wo ein Unwerturteil über ein eigenverantwortliches Verhalten eines Menschen gefällt wird, hat der Einzelne einen Anspruch auf Gewissheit über die Möglichkeit einer Sanktion (vgl. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1993, S. 264) [...] Die traditionell aus dem nulla-poena-Prinzip abgeleiteten Gewährleistungen (Gesetzlichkeitsprinzip, Bestimmtheitsgebot, Analogieverbot und Rückwirkungsverbot) haben eine gemeinsame Grundlage. Sie sollen dem Einzelnen die Möglichkeit geben, im Bereich des Strafrechts sein Verhalten eigenverantwortlich so einzurichten, dass eine Strafbarkeit vermieden werden kann (vgl. BVerfGE 95, 96 <131>). Zu diesem Zweck verstärken sie die strukturähnlichen Garantieelemente des Rechtsstaatsprinzips. Anders als das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende allgemeine Vertrauensschutzgebot ist das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG der Abwägung nicht zugänglich. Zugleich entlastet das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 2 GG davon, den Schutz auch in Bezug auf Vorgänge zu erstrecken, die nicht unmittelbar Gegenstand schuldangemessenen Strafens sind. Diese Vorgänge werden hinreichend durch die allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien abgesichert (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 167) [...]. Normzweck des Art. 103 Abs. 2 GG ist ein erhöhter rechtsstaatlicher Schutz gegenüber spezifisch strafrechtlichen Maßnahmen, mit denen der Staat auf schuldhaftes Unrecht antwortet. Die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG soll verhindern, dass der Staat nachträglich ein Verhalten hoheitlich missbilligt, indem er es mit einer Sanktion belegt und dem Betroffenen den Vorwurf rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens macht. Sinn der Verfassungsnorm ist es, dem Bürger die Grenzen des straffreien Raumes klar vor Augen zu stellen, damit er sein Verhalten daran orientieren kann (vgl. BVerfGE 32, 346 <362>). Wer sich gesetzestreu verhalten hat, darf nicht durch eine rückwirkende Rechtsnorm nachträglich "ins Unrecht gesetzt" werden (vgl. Maurer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 60 Rn. 41). Mithin schützt das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG den Bürger davor, dass der Staat die Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat nachträglich zum Nachteil des Täters ändert (vgl. BVerfGE 46, 188 <193>; 95, 96 <131>), gleichgültig ob er vergangenes Verhalten neu mit Strafe bedroht, eine bestehende Strafdrohung verschärft (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 46, 188 <192>; 81, 132 <135>) oder auf sonstige Weise - etwa durch Streichung eines Rechtfertigungsgrundes (vgl. BVerfGE 95, 96 <131 f.>) - den Unrechtsgehalt neu bewertet.“

Und nachdem diese Bundesrichter die Schutzfunktion des Art. 103 (2) GG herausarbeiteten, indem sie betonten, dass Bürger/innen wissen müssen, wann sie sich straffrei verhalten und wann sie sich strafbar machen (können) und ihr Handeln entsprechend daran ausrichten können, betonen sie noch einmal zur Strafbarkeit nach Art. 103 (2) GG im Sinne des Schuldprinzips ´nulla poena sine culpa´:

„Strafbarkeit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG setzt danach voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 103 II Rn. 165; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 II Rn. 10) und von seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich dient.“

1.4. Richterliche "Unabhängigkeit“

Jeder deutsche Robenjurist, der trotzdem wegen angeblicher „Beleidigung“ als Staatsanwalt anklagt und, einerlei ob zu Geld- oder Gefängnisstrafe, als Richter verurteilt, setzt sich, wie zitiert, in Deutschland über Recht, Gesetz und höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinweg und wird von diesen in besonderer Weise „unabhängig“, weil er die entscheidende Bindung an „Gesetz und Recht“ (Art. 20 [3]) aufgegeben hat. Dieser Richter ist dann freilich nur noch, im so verkehrten wie negativistischen Sinn „unabhängig“, nämlich nicht mehr „dem Gesetz unterworfen“ (Art. 97 [1]). Damit hat der so bindungslos gewordene (Straf-) Richter seine Berechtigung, Recht zu sprechen, verloren, den Bereich des bürgerlichen Normenstaats verlassen und das Feld des totalitären Maßnahmestaats betreten.

Im übrigen können Institutionen wie Behörden oder Staatsorgane als solche gar nicht "beleidigt" werden: die historischen deutschen StGB-Paragraphen § 95 (Majestätsbeleidigung) aus dem Kaiser-Willem Reich oder/und § 106 (Staatsfeindliche Hetze) aus realsozialistischen Zeiten und/oder die faschistische Verfolgungspraxis zur "Bekämpfung der Staatsfeinde" (Reinhard Heydrich: Deutsches Recht, 7-8.1936, Seiten 121-123) gibt es, jedenfalls soweit ich weiß, in Deutschland 2005 nicht mehr und/oder noch nicht wieder ... was amtierende deutsche Staatsanwälte und Berufsrichter bedauern mögen. Aber: Es ist so.

Und wer immer wegen des Phantomdelikts "Beleidigung" real angeklagt wird, sollte wissen, dass er/sie mit Verfahrenseröffnung öffentlich Angeklagter ist. Und kein Zeuge. Zeugen dürfen, nach Strafprozessordnung/StPO § 70, bis zu sechs Monate in Erzwingungshaft genommen werden. Angeklagte nicht. Sondern allenfalls maximal eine Woche/sieben Tage (Strafprozessordnung § 231 b und Gerichtsverfassungsgesetz § 178).

1.5. RiStBV und verfassungswidrige Nachzensur

"Beleidigung" ist, wie zitiert, in Deutschland nicht im Gesetz, nämlich im Strafgesetzbuch definiert. Sondern in Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV, hier 229-232). Diese sind kein Gesetz. Sondern Richtlinien. Vor allem für Staatsanwälte (aber auch für Strafrichter). Insofern ist "Beleidigung" weder ein klagefähiges noch ein strafwürdiges, sondern ein Phantomdelikt. Und weil das so ist - heißt es dazu auch in RiStBV 232 der "vornehmlich für den Staatsanwalt" bestimmten "Richtlinien" unter "Beleidigung von Justizangehörigen“ unter anderem:

"Wird ein Justizangehöriger während der Ausübung seines Berufs oder in Beziehung auf ihn beleidigt [...], so ist regelmäßig auch das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen. [...] Allgemeine Unmutsäußerungen von Personen, die sich in ihrem Recht verletzt glauben, werden regelmäßig keine Veranlassung geben, die öffentliche Klage zu erheben, es sei denn, dass wegen falscher Verdächtigung vorzugehen wird."

Meiner Kenntnis nach gehört Deutschland, einer Stellungnahme der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zufolge, zu jenen zurückgebliebenen Staaten, die solch´ unterwertigen Justizdreck wie „Beleidigung“ strafrechtlich exzessiv verfolgen. In der OSZE-Stellungnahme zu Strafgesetzen einiger Staaten vom 24. Mai 2002, „Beleidigung“ betreffend, heißt es:

„Strafgesetze wegen Beleidigung und Diffamierung werden häufig als nötige Abwehr gegen angeblichen Mißbrauch der Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Sie sind aber mit OSZE-Normen nicht konform; ihre Anwendung bildet einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung“

Oft ergibt sich auch aus den konkreten Fallzusammenhängen z.B. wenn Bürgerrechtler/innen wegen „Beleidigung“ angeklagt werden (sollen): Es geht um verfassungswidrige Nachzensur. In Art. 5 GG [1] heißt es nämlich: „Eine Zensur findet nicht statt.“

1.6. Rechtskulturelle Hinweise

Wenn nun die verfassungsmäßig garantierte „richterliche Unabhängigkeit“ (Art. 97 GG) im Zusammenhang mit ihrer ebenda genannten Gesetzesunterworfenheit einerseits und andererseits die Bindung aller drei Staatsgewalten, damit auch und insbesondere von Rechtsprechung und (Berufs-) Richtern, an „Gesetz und Recht“ als wesentlichem Staatsstrukturprinzip, ohne dessen Verwirklichung die Bundesrepublik Deutschland kein „demokratischer und sozialer Rechtsstaat“ im Sinne der Verfassung (Art. 20 [3] GG) sein kann (vgl. grundlegend Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie. Aufsätze zur politischen Soziologie. Neuwied-Bln: Luchterhand, 1967 [= Soziologische Texte Bd. 47], hier Seiten 109-138), bedacht, abgewogen und auf „Beleidigung“ als nachweislich bis heute im Gesetz/per legem nicht definiertem, damit so virtuellem wie phantomischen, Strafrechtstatbestand, focussiert wird – dann sehe ich zwei handlungsrelevante strafprozessuale Strategien, richterlichen Rechtsbruch bei der Verurteilung von „Beleidigern“ zu vermeiden: Einmal und weitergehend Einstellungsformen im Sinne des § 153 StPrO: als Bagatelle oder Verfahrenseinstellung, dies´ freilich nur bei Zustimmung von Staatsanwaltschaft und Angeklagten. Es ist dies eine Verfahrensvorschrift, die in der Tat – so Ralf Dahrendorf schon vor vierzig Jahren –auf die „zentrale Rolle des Staatsanwalts im deutschen Strafverfahren“ verweist (Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München: Piper, 1965, Seite 162). Zum anderen und als rechtsstaatliche Mindesterfordernis kann und hat „das Gericht vom Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen“, wenn es eine „veränderte Sachlage“ zur erweiterte Vorbereitung/en von Anklage/Verteidigung erkennt. Dies müßte/sollte immer dann der Fall sein, wenn z.B. erstinstanzlich-amtsrichterlich die eigene verfassungsgemäße Bindung an Recht und Gesetz im Sinne des Artikel 20 (3) GG und richterliche Gesetzesunterworfenheit im Sinne des Artikel 97 (1) erkannt und rechtskulturell-handelnd eingelöst würde: Denn es wäre in der Tat ein Hintertreppenwitz der neusten deutsche Rechts(sprechungs)geschichte, wenn auch nur ein/e (Berufs- und/oder Amts-) Richter/in, weil sie/er sich weigert/e, auf Grundlage des derzeitigen § 185 StGB Strafverfahren zu eröffnen oder/und Angeklagte als Straftäter wegen des in der Tat höchst unterwertigen Delikts „Beleidigung“ zu verurteilen, als Landesbedienstete entlassen werden würde...

1.7. „Im Namen des Volkes“

In diesem (Kurz-) Beitrag geht es "nur" um "Beleidigung" als "virtuellen Straftatbestand" und Phantomdelikt – wobei „Beleidigung“, insofern pars pro toto, nur einer mehrerer virtueller Straftatbestände und Delikte ist, die eins gemeinsam haben: Sie sind im deutschen Strafgesetzbuch bis heute nicht definiert, insofern phantomisch. Es ging im einleitenden Kapitel dieses Essays n i c h t um den nicht nur viel wesentlicheren, sondern um den zentralen Punkt des gegenwärtigen deutschen Rechtssystems: Das zentrale (berufs) richterliche Legitimationsdefizit in Deutschland: Kollektivsubjekt und Souverän werden wohl in und mit jedem Richterspruch ("Im Namen des Volkes") formelhaft bemüht. Aber auch hier wiederum nur phantomisch-virtuell. In Wirklichkeit aber entwickelt sich das, was demokratischer Verfassungs- und Gesetzesstaat (und eben nicht bloßer ´Rechtsstaat´) sein soll, so beschleunigt wie nachhaltig in einen „oligarchischen Richterstaat“ (Bernd Rüthers: FAZ 02.02.2005)

Es ist meiner Meinung nach dringlichst, dass das zentrale und dramatische Legimationsdefizit deutscher Richter - nämlich ihre fehlende Popularlegitimation - öffentlich breitestens debattiert und noch in diesem Jahrzehnt mit nachhaltig veränderten politischen und Mehrheitsverhältnissen institutionell produktiv in Richtung: Richterwahl durchs Volk auf Zeit gelöst wird.

Dann -und erst dann- könnte meiner Meinung nach das hohle Gerede von der und um die ´Berliner Republik´ überhaupt Sinn erhalten.

2. "Beleidigung" – Hinweise von Hermann Avenarius

In der letzterschienenen Auflage seines seitdem nicht mehr aufgelegten, höchstnützlichen Handbuchs "Kleines Rechtswörterbuch" führt Hermann Avenarius, Universitätslehrer am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt/Main mit Lehrauftrag: Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft zur "Beleidigung" aus:

"Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) ist Ehrverletzung durch Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung; an der Kundgabe fehlt es bei Äußerungen im engsten Familienkreis. Ehre ist der „gute Ruf" eines Menschen u. zugleich dessen Anspruch, nicht „unter seinem Wert" behandelt zu werden. Beleidigungsfähig sind natürliche Personen, öffentliche Einrichtungen (z. B. die Bundeswehr), ferner Per­sonengesamtheiten, die eine anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen (z. B. eine Aktiengesellschaft, ein Sportverein). Die sog. Kollektivbeleidigung, durch die die Ehre einer sozialen Gruppe herabgesetzt wird („Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder", „Alle Unternehmer sind Ausbeuter“), ist keine B. des Kollektivs, sondern der ihm angehörenden Einzelpersonen; doch kann die Kollektivbeleidigung zugleich B. einer öffentl. Einrichtung oder einer Personengesamtheit sein.“

Und weiter zur Differenzierung des § 185 StGB:

„Zu unterscheiden sind folgende Beleidigungsdelikte: a) Einfache B. (§ 185 StGB) ist eine Äußerung negativer Tatsachen gegenüber dem Beleidigten sowie die Kundgabe negativer Werturteile gegen­über dem Beleidigten selbst oder gegenüber Dritten. Die einfache B. wird mit Freiheitsstrafen bis zu 1 Jahr oder mit Geldstrafe, die tätliche B, mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Eine ->sexuelle Handlung erfüllt nur dann auch den Tatbestand der tätlichen B., wenn der Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung zugleich eine herabsetzende Bewertung des Opfers bedeutet (BGH v. 15.3.1989). b) Üble Nachrede (§ 186 StGB) besteht in ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten. Dabei kommt es nicht darauf ans ob die Tatsachen unwahr sind; es genügt, dass sie nicht bewiesen werden können. Handelt es sich bei der behaupteten Tatsache um eine Straftat, ist der Wahrheitsbeweis einerseits ausgeschlossen, wenn der Beleidigte rechtskräftig freigesprochen, andererseits erbracht, wenn der Beleidigte rechtskräftig verurteilt worden ist. Im übrigen kann auch eine wahre - und deshalb den Tatbestand der üblen Nachrede nicht verwirklichende - Tatsachenbehauptung wegen der Form der Äußerung oder wegen der Umstände, unter denen sie ge­schieht, als Formalbeleidigung nach § 185 StGB bestraft werden (z. B. Anzeige in der Zeitung, dass A., der erwiesenermaßen gestohlen hat, ein Dieb sei). Die üble Nachrede ist mit Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder mit Geldstrafe, bei öffentlicher Begehung (auch durch publizistische Verbreitung) mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, c) Verleumdung (§ 187 StGB) liegt vor, wenn der Täter gegenüber einem Dritten unwahre Tatsachen, die ehrenrührig oder kreditgefährdend sind, wider besseres Wissen behauptet Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe, bei öffentl. Begehung (auch in einer Versammlung oder durch publizistische Verbreitung) Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe, d) Mit höherer Freiheitsstrafe ist öfftl., in einer Versammlung oder publizistisch geäußerte üble Nachrede oder Verleumdung gegen einen Politiker bedroht, die aus Beweg­gründen begangen wird, die mit der öfftl. Stellung des Beleidigten zusammenhängen, und die geeignet ist, sein öffentl. Wirken erheblich zu erschweren (§ 187 a StGB). Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) wird mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, wahlweise mit Geldstrafe bestraft.“

Dass bei weitem nicht alles, was beleidigend erscheint, strafrechtsrelevant sein kann, verdeutlicht der Autor auf zwei Feldern: Der speziellen Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG) und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ im Sinne des Strafgesetzbuchs:

„Die Rechtswidrigkeit der B. entfällt bei tadelnden Urteilen über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, bei Äußerungen zur Verteidigung von Rechten, bei Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, bei dienstlichen Anzeigen o.ä; rechtmäßig sind außerdem beleidigende Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB). Der letztgenannte Rechtfertigungsgrund setzt voraus, dass, zumindest mittelbar, eigene Interessen verfolgt werden, dass Tatsachenbehauptungen gewissenhaft auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden und dass die Äußerung das unter den gegebenen Umständen gebotene Mittel der Interessenwahrnehmung ist. Pressemeldungen beleidigenden Charakters sind privilegiert, wenn das Interesse der Presse, die Öffentlichkeit zu unterrichten, höher zu bewerten ist als das Interesse des Beleidigten, von öffentlichen Herabsetzungen verschont zu bleiben; die Zeitung ist jedoch gehalten, die verbreiteten Tatsachen auf ihren Wahrheitsgehalt zu recherchieren (-> auch Persönlichkeitsrecht).“

Und zu einer Besonderheit des § 185 StGB, nämlich Strafantrag des/der Personen als angeblich oder wirklich Beleidigten, führt Hermann Avenarius abschließend aus:

„Die B. wird nur auf -> Strafantrag verfolgt; bei öffentl. bekundeter B. von Opfern der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft (z.B. durch die sog. Auschwitzlüge) ist ein Antrag unter bestimmten Voraussetzungen nicht erforderlich (s. im einzelnen § 194 StGB). Wird eine B. auf der Stelle erwidert, kann der Richter beide Beleidiger oder einen von ihnen für straffrei erklären (§ 199 StGB)."

(Hermann Avenarius, Kleines Rechtswörterbuch, 7. Auflage, ed. Landeszentrale für politische Bildung NRW, Düsseldorf 1992, Seiten 71-72; vgl. wesentlich kurzgefaßter auch ders., Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung. Dritte, neu bearbeitete Auflage; Bonn 2002: Bundeszentrale für politische Bildung [ = Schriftenreihe Bd. 370], Seiten 167-168)

3. "... fallen der Staatskasse zu Last": Zwei bemerkenswerte Freisprüche

3.1. Methodisches zur „Beleidigung“ vor deutschen Gerichten

Beide hier abschließend kurz zitierten und noch kürzer interpretierten Freisprüche vom Vorwurf der „Beleidigung“ sind jeweils in mehrfacher Hinsicht sowohl was die jeweiligen Besonderheiten als auch ihre argumentativen Schwerpunkte betrifft bemerkenswert; wobei klar ist, dass, wie der eben breit zitierte Rechtswissenschaftler Hermann Avenarius, auch die folgend zitierten Oberlandes- und Landrichter sich auf den real-existierenden § 185 StGB trotz seine phantomischen Rechtsstatus einlassen und dessen virtuellen Rechtscharakter nicht erkennen, mithin auch die hier vertretene Meinung vom Phantomdelikt „Beleidigung“ (besonders von „Justizangehörigen“) im gegenwärtigen deutschen Strafrecht nicht erkennen können.

3.2. Oberlandesgericht Düsseldorf 1995

Der erste, soweit ich weiß rechtskräftige, Beschluß des OLG Düsseldorf vom 29.12.1995 (Az. 5 Ss 381/95 – 93/95 II; zitiert nach Neue Zeitschrift für Strafrecht/Rechtsprechungsreport, Heft 6, 1996, Seiten 164-167) ist ein Revisionsentscheid wegen materieller Rechtsverletzung durch die Vorinstanzen und schloss eine jahrelange Auseinandersetzung ab: Ein in der Öffentlichkeit bekannter Bürger hatte sich als Vater als Petent, anstatt seines Sohnes, erfolgreich an den Petitionsausschuß des Nordrhein-Westfälischen Landtags gewandt und in seinem Sinn am 12.5.1992 diese bemerkenswerte Stellungnahme des NRW-Gesetzgebers erhalten (zitiert nach aaO., Seite 164; der NRW-LT-Petitionsausschuß wurde leider vergeblich um Zusendung seiner damaligen Stellungnahme gebeten):

„Bei sorgfältiger Ermittlungstätigkeit, insbesondere unter Berücksichtigung des in § 160 II StPO niedergelegten Grundsatzes [nämlich: „Die Staatsanwaltschaft hat ... auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln...“] wäre es nach Auffassung des Petitionsausschusses nie zu der Erhebung der öffentlichen Klage gekommen.“

Allerdings hatte der Petent in seinem Hyperengagement in Rahmen seiner öffentlichen Auseinandersetzung mit Vertretern der öffentlichen Anklage von „Familienverfolgungen“ und, mehr noch, von „faschistischer Sippenhaftung“ gesprochen. In der Freispruchsbegründung heißt es unter anderem zugunsten des angeblichen Beleidigers:

„Auch eine ehrverletzende Äußerung genießt grundsätzlich den Schutz des Art. 5 I 1 GG, wenn es sich um eine Meinungsäußerung handelt [...] Meinungen bringen die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung zum Ausdruck und enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen und Personen [...] Bei den Äußerungen des Angeklagten handelt es sich um Meinungsäußerungen. Er stellt über die Art und Weise der Verfolgungsmaßnahmen keine und insbesondere keine falschen Tatsachenbehauptungen auf, sondern vergleicht sie [...] mit faschistischen Methoden. Dieser Vergleich enthält eine subjektive Bewertung der von der StA [Staatsanwaltschaft] und GenStA [Generalstaatsanwaltschaft] durchgeführten Strafverfolgungsmaßnahmen und damit auch ein Urteil über die Tätigkeit der Beamten und diese selbst.“

Dabei betont das OLG Düsseldorf, dass die angeblich beleidigenden „Angriffe in erster Linie der Justiz als Institution galten“, weder einen „Angriff auf die Menschenwürde noch eine Formalbeleidigung oder gar eine Schmähung der bezeichneten Beamten“ enthalten und vor allem: Nicht ursächlich, sondern Reaktion sind, also nicht, wie es in der martialistisch-strafjustitiellen Sprache heißt, „Erstschlag“, sondern „Gegenschlag“ waren, um die „persönliche Ehre sowie die seines Sohnes zu verteidigen“. Insofern war, so die OLG-Revisionsrichter, des Angeklagten „Handlungsweise im Grunde verständlich und aus seiner Sicht möglicherweise notwendig, um wahrscheinliche oder mögliche Angriffe gegen sich [...] abzuwenden.“ Mit dieser Bewertung folgen die Richter einer These des bayrischen Rechtswissenschaftlers Klaus Rolinski (damals Lehrstuhl Strafrecht/Kriminologie an der Universität Regensburg), der 1990 „als situative Handlungskomponenten“ für widerständiges und/oder gewaltsames Handeln „sozial integrierter Bürger“ die „Qualität der Sicherung eigener Existenz“ herausarbeitete, wodurch „gewaltsamer Widerstand [...] zum zwar aufgezwungenen, aber notwendigen Handeln wird“ (Politische Gewalt und Grundbedürfnisse; in: ders./Irenäus Eibl-Eibesfeld [eds.], Gewalt in unserer Gesellschaft. Gutachten für das Bayrische Staatsministerium des Innern. Berlin: Duncker & Humblot, 1990, Seiten 11-39, hier zitiert Seite 33).

Der Düsseldorfer OLG-Beschluß Ende 1995 zeigt bei genauerer, und dass heißt: kritisch-hermeneutischer, Beschlusslektüre und Textdeutung eine weitere Auffälligkeit: Er wurde von damaligen OLG-Richter Wolfgang Steffen unter der Überschrift „Meinungsfreiheit contra Beleidigung von Justizangehörigen“ mitgeteilt. Es gibt aber ebenso wenig wie „Beamtenbeleidigung“ und/oder „Richterbeleidigung“, wie herausgearbeitet, eine weitere spezielle „Beleidigung von Justizangehörigen“, sondern nur eine allgemeine, in § 185 StGB nicht definierte „Beleidigung“. Die Formel „Beleidigung von Justizangehörigen“ nämlich findet sich allein in den zuerst 1977 produzierten „Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren“ (hier RiStBV Nr. 232) mit dem weiterführenden Hinweis, gegebenenfalls und dann auch ohne Strafantrag „wegen falscher Verdächtigung [§ 164 StGB] vorzugehen.“ – Allein der Tatbestand, dass hier nicht per legem im Sinne des Gesetzgebers, sondern vor allem nach dem exekutivem Strafverfolgerkonstrukt: „Beleidigung von Justizangehörigen“ verfahren wurde mit entsprechender Bevorrechtung der „vorgesetzten Dienststelle“, die „zur Wahrung des Ansehens der Rechtspflege der Rechtspflege Strafantrag stellt“, wodurch dann an sich schon, also per se, „das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung [...] zu bejahen ist“ (RiStBV Nr. 232), verweist auf zu mindesten problematischen Umgang mit dem bürger-, menschen- und grundrechtlichen Gleichheits- und dem rechtlichem Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn nicht schon auf reale Ungleichbehandlung sozialer Gruppenangehöriger, die in anderem Zusammenhang „gleicherer“ genannt wurde (vgl. Richard Albrecht, Ist gleicher als gleich gleicherer? Bundeslöschtage, Bundesregierungen, Staatsanwaltschaften 1998-2004. Vorläufiger Kommentar aus bürgerrechtlicher Perspektive:

http://www.wissen24.de/vorschau/22801.html).

3.2. Landgericht Bad Kreuznach 2004

Der letztaktuelle Fall von „Beleidigung von Justizangehörigen“, nämlich eines rheinland-pfälzischen Staatsanwalts im speziellen, ist meines Wissens nach ein deshalb noch nicht rechtskräftiger Freispruch zweier wegen „Beleidigung“ angeklagter Juristen (Rechtsanwalt der eine, Rechtsbeistand der andere), weil staatsanwaltschaftlich Revisionsgründe vorliegen (sollen).

Das Kreuznacher Landgericht ließ sich im Beschluss vom 26. 10. 2004 (Az. 2010 Js 5124/03 Cs Ns, unveröffentlicht, 18 Seiten; mir mitgeteilt von Rechtsassessor Friedrich Schmidt, Bernkastel/Kues) von, soweit ich sehe, z w e i Grundüberlegungen leiten: Einmal dem zentralen Gleichheitssatz und zum anderen einem, an Günther Dürig angelehnten, Menschenwürdeverständnis, das Menschenwürdeverletzung/en immer dann vermutet, wenn ´der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird´ (zit. nach FAZ 204/3.9.2003, Seite 33). Insofern urteilten die Kreuznacher Landgerichter human und ´gegen den Strom´ postmodernistischer Beliebigkeit (der etwa Dürig´sche Hinweise eh als Menschenwürde“lyrik“ gelten und deren Endstation nur Rechtsnihilismus sein kann). Und auch wenn dies den Richtern selbst nicht bewusst gewesen sein mag – ihr Rechtsspruch stand nicht nur in der aufklärerischen Tradition im allgemeinen, sondern bedachte auch die totalitären Gefährdungspotentiale unseres „late modern age“ (Anthony Giddens), die, soweit ich sehe, zuerst Franz Kafka visionär erfaßte (Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt/Main: S. Fischer, 1968² [erweiterte Ausgabe]; Franz Kafka, Der Prozess. Roman. Frankfurt/Main: Fischer Bücherei 676, 1960; vgl. Richard Albrecht, Lebendige Menschen als tote Registraturnummern. Eine Bürokratie-Kritik im Anschluss an Franz Kafka: ´Die Aula´ - SWF Radiobeitrag [Erstsendung SWF Baden-Baden am 12.2.1989]; gedruckt in: Die Brücke, Heft 84, 1995, Seiten 79-83; vgl. auch Janko Ferch, Recht ist ein „Prozess“. Wien: Manz, 1999) und die der nationalsozialistische Faschismus, im philosophischen Sinne Ernst Blochs, zur Kenntlichkeit brachte (vgl. Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit. Zürich: Oprecht & Helbling, 1935; sowie, politiksoziologisch, Franz Neumann, Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism 1933-1944; ²nd rev. ed. 1944; reprinted by Octacon Books [1963]; vgl. auch Manfred Funke, „Behemoth“ war die erste Strukturanalyse des Dritten Reiches; in: Die Politische Meinung, Heft 421/Dezember 2004, Seiten 79-81).

So gesehen, ist es nur folgerichtig, wenn die Kreuznacher Landgerichter auf eine substantiell-bürgerrechtliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom (5.3.1992, Az. 1 BvR 1770/91) abheben. In dieser hieß es grundlegend und auch in impliziter Abgrenzung zu angstproduzierenden totalitären Gesellschaftssystemen mit ihrem „Prinzip der Furcht“ (Hannah Arendt), jener destruktiven „Befindlichkeit der Ausgeliefertheit an eine existentielle Bedrohungssituation aufgrund erfahrener Handlungsunfähigkeit“ (Klaus Holzkamp), zum Verhältnis von Bürger zum Staat und dessen Maßnahmen:

"Das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit." (1 BvR 1770/91 vom 5.3.1992; vgl. Richard Albrecht, Bürgerrechte und Staatspflichten in Deutschland:

http://www.hirzel.de/universitas/archiv/buergerrechteneu.pdf)

In diesem Sinn kritisierten die Prozessbevollmächtigten die rheinland-pfälzische Justiz harsch als „Gewalteneinheitstyrannis“ und warfen der Staatsanwaltschaft als (Verfolger-) Behörde nicht nur „Übermaß bei der Strafverfolgung“, sondern auch „Rechtsbeugung“, „Verfolgung Unschuldiger“ – nämlich ihrer Mandanten, einer Winzerfamilie – und „Willkürjustiz“ als auch dem sachbearbeitenden Staatsanwalt ad personam vor, „ein zynischer, gefühlloser Karrierist, ohne innere Bindung an Recht und Verfassung“ zu sein, vor dem sie als Strafverteidiger ihre Mandanten zu schützen hätten. (zitiert nach aaO., Seiten 3, 4, 7)

Die entscheidende Besonderheit –als/und wenn man so will: differencia specifica- liegt im speziell zum richterlich als real hypostasierten Strafrechtstatbestand „Beleidigung“ (§ 185 StGB) entwickelten und angewandten methodischen Leitfaden des Urteils, in dem es zur berufsrichterlichen Handlungslogik heißt (zit. nach vorliegender Kopie, Seiten 14 und 15):

1. "Die Prüfung einer ehrverletzenden Äußerung auf ihre Strafbarkeit hat nach den Vorgaben des Verfassungsrechts und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in der Regel in folgenden Schritten zu erfolgen (vgl. BayQbLG, NSTz-RR 2002, 40 ff. <Freispruch eines Angeklagten, der einen Richter mehrfach der Rechtsbeugung bezichtigt hatte>; Bundesverfassungsgericht, NJW 2000, 199 ff.)"

1.1. "Zunächst ist zu untersuchen, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Dabei steht bei der Tatsachenbehauptung die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund, weshalb sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist, während Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schütz in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind."

1.2. "Erweist sich die Äußerung als Werturteil bzw. als Meinungskundgabe, geht die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, scharf oder verletzend formuliert ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingestuft wird (Bundesverfassungsgericht, NJW 1994, 1779) . Im "Kampf um das Recht" darf ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche. Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seine Kritik hätte anders formulieren können (Bundesverfassungsgericht, Siv 1991, 458). Dies gilt im Besonderen auch für Rechtsanwälte oder Rechtsbeistände (statt vieler: BVerfG, StV 1997, 485). Zurücktreten muss die Meinungsfreiheit allerdings dann, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (Bundesverfassungsgericht NJW 1999, 2262, 2263)"

1.3. "Handelt es sich noch um eine Meinungsäußerung, die die vorgenannte Grenze nicht verletzt, ist eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz geboten, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt."

Folglich waren beide Angeklagten zu Recht „aus Rechtsgründen freizusprechen“

4. Ausblick

Abschließend soll weder auf Mark Twains „The Prince and the Pauper“ noch auf die Popularmemorabile „The Monkey and the Chauffer“ verwiesen werden; weshalb ich, um zu verdeutlichen, dass auch die hier beschriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse geschichtlich gewordene und damit auch zukünftig veränderbare sind, an einen Hinweis eines Sozialwissenschaftlers, der sich als „Rheinländer“ bezeichnete (und doch Moselianer war) und der früher (zu) oft und heute (zu) selten zitiert wird, erinnern möchte:

„Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven.“

(Carl Marx: Lohnarbeit und Kapital [1849]; zitiert nach: Marx-Engels-Werke Band 6 [= MEW 6], Seite 407)

[...]

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
"Beleidigung" - Materialien zur Kritik eines justiziellen Phantomdelikts
Autor
Jahr
2007
Seiten
93
Katalognummer
V80615
ISBN (eBook)
9783638889469
ISBN (Buch)
9783638889629
Dateigröße
785 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beleidigung, Materialien, Kritik, Phantomdelikts
Arbeit zitieren
Dr. Richard Albrecht (Autor:in), 2007, "Beleidigung" - Materialien zur Kritik eines justiziellen Phantomdelikts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80615

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