DDR-Literatur
Der Begriff DDR-Literatur ist an einen politisch definierten geschichtl. Zeitabschnitt, nämlich die 41 Jahre des Bestehens der Deutschen Demokratischen Republik, u. an das histor. Hoheitsgebiet dieses Staates gebunden; er ist jedoch nicht gänzlich auf diese zeitl. u. räuml. Grenzen beschränkt. Hinweise auf einen ästhetischen Epochenstil enthält der Begriff zunächst nicht. Die Kontroversen um den Begriff DDR-Literatur - sie sind so alt wie die DDR selbst - zeigen, daß jede Festschreibung seiner Bedeutung an den weltanschaul. Standort des Betrachters gebunden ist, zumindest aber ein theoret. Konstrukt ist. Vorstellungen von einer ideolog., ästhetischen oder wie sonst immer gearteten Einheitlichkeit der DDR-Literatur (verstanden als Corpus von Texten) gingen schon immer in die Irre. Das gilt verstärkt seit dem Ende der 70er Jahre, als ein Exodus vieler bedeutender Autoren aus der DDR einsetzte u. immer mehr Texte der dort Verbliebenen nur in der BR Deutschland erscheinen konnten, wodurch sowohl die territoriale Einheit der DDR-Literatur in Frage gestellt als auch der Austausch zwischen Autoren u. Lesern in der DDR unmöglich geworden war.
Vom Beginn der 50er Jahre an hat die Auffassung von den zwei (oder mehr) dt. Literaturen, deren eine die der DDR sei, mit der These von der Einheit der dt. Literatur über Staats- u. Systemgrenzen hinweg im Widerstreit gelegen. Diese Polarisierung konnte u. kann in unterschiedl. Auffassungen des Verhältnisses von Kunst u. Gesellschaft begründet sein (hier die eines engen, gar kausalen Zusammenhangs beider, dort die einer Autonomie bzw. Gesellschaftsferne der Kunst). Überwiegend waren es aber polit. Interessen, die zur einen oder anderen Position hinführten. So behaupteten in den 50er Jahren sowohl die konservative westdt. Literaturkritik als auch die offizielle DDR-Kulturpolitik, es gäbe nur ›eine‹ dt. Literatur. Die einen schlossen dabei jegl. sozialistische Literatur rigoros aus ihrem sehr traditionellen Literaturbegriff aus, die anderen, die SED- Ideologen, hielten trotz der Zweistaatlichkeit zumindest propagandistisch bis 1956, teilweise darüber hinaus, an der ›Einheit der Nation‹ u. also auch derjenigen der Literatur fest. Danach, jedenfalls seit dem Bau der Mauer 1961, wurde von der DDR-Literaturwissenschaft ausnahmslos die Entstehung u. Entfaltung einer eigenständigen »sozialistischen Nationalliteratur« behauptet, deren Grundlage die »revolutionäre Umwälzung vom Kapitalismus zum Sozialismus und der Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft« sei. Ihre Schreibweise sei die »realistische, die Darstellung der revolutionären Veränderungen ermöglichende und sie befördernde Methode«. Dafür beispielhafte Autoren sind Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Anna Seghers u. Erwin Strittmatter. Andere Aussagen zur ästhetischen Spezifik von DDR-Literatur wurden nicht getroffen.
Die westdeutsche bzw. außerdt. Literaturwissenschaft, die insgesamt erst verspätet (ab etwa 1970), dann aber vehement von der DDR-Literatur Kenntnis nahm, hat sehr verschiedenartige Gründe für u. gegen die Existenz einer eigenständigen DDR-Literatur ins Feld geführt u. dabei wichtige Divergenzen u. Konvergenzen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945 namhaft gemacht. So wurde argumentiert, es hätten sich in Wortbestand u.
-bedeutung zwei unterschiedl. nationalsprachl. Varianten u. damit auch Literaturen etabliert. Andere behaupteten schon für die 50er Jahre - im Zeichen des ›Aufbaus des Sozialismus‹ in der DDR - die Herausbildung unterschiedl. Lebensweisen u. kultureller Identitäten, was im Kontext einer allg. »Diskulturalität« auch zu gegensätzl. Literaturen geführt habe (Jürgen Link). Korrespondierend damit wurde auf die DDR-spezifische Rückkehr zu vormodernen Schreibweisen hingewiesen. Andererseits fielen seit den 70er Jahren zunehmend Prozesse der themat. wie ästhetischen Annäherung west- u. ostdt. Literatur ins Auge, die die DDR(-Literatur) zur »zugänglichen Fremde« (Heinrich Mohr) machten. Vollends unübersichtlich wurde die literar. Szenerie nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, in deren Folge im Lauf der Jahre mehr als 100 Autoren, unter ihnen einige der besten, die DDR verließen. Daraufhin sprach Fritz J. Raddatz schon 1977 von einer »zweiten deutschen Exilliteratur« (wogegen als Betroffene u. a. Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich u. auch Wolf Biermann votierten), später (1987) - noch mißverständlicher - von einer »dritten deutschen Literatur«, womit er auf die abgewanderten Autoren als (vermeintlich) homogene Gruppierung, die wirklichkeitsnah u. -kritisch schreibe, abzielte. Statt dessen sollten, gerade mit Blick auf die zweiten 20 Jahre DDR-Literatur, die »unterschiedlichen Entwicklungslinien« (Hans-Jürgen Schmitt), die Vielfalt der Übergänge in der Wahl des Sujets, in den Schreibweisen u. intellektuellen Haltungen bei den gebliebenen wie bei den übergesiedelten Autoren in den Blick genommen werden. Diese Perspektive führt auch über die von Hans-Dietrich Sander vorgeschlagene strikte Dreiteilung in »Partei-Literatur« (die die führende Rolle der Partei akzeptierte), »Partisanen-Literatur« (anfangs, obwohl parteiloyal, kritisiert, später integriert) u. »traditionelle Literatur« hinaus.
Ein eigenes literar. System bildet die DDR-Literatur noch am ehesten durch das kulturpolit. Erziehungsprogramm des »sozialistischen Realismus«, das ihr anfangs massiver, später eingeschränkt von der SED verordnet wurde. Damit ist weniger eine allgemeinverbindl. Schreibmethode (im Sinne von Šdanovs Programm 1934) u. mehr eine operative, didakt. Vorgabe »von oben« gemeint, die die Schriftsteller darauf verpflichtete, volkstümlich, verständlich u. »sozialaktivistisch« (Uwe Johnson 1964) zu schreiben. Die von der Partei vorgenommene Festlegung der Rolle des Schriftstellers als die eines »Sozialliteraten« (Manfred Jäger) u. Volkserziehers, die die Autoren lange, teilweise bis zuletzt, verinnerlichten, ist das Zentrum jenes von Johannes
R. Becher konzipierten u. seither immer wieder beschworenen Modells »Literaturgesellschaft«, dessen Pole intensive Autorenförderung u. -privilegierung einerseits u. massive Zensur andererseits, bis hin zu strafgesetzl.
Sanktionen u. Ausbürgerung, heißen. Becher, der führende Literaturpolitiker u. bis zu seinem Tod 1958 Kulturminister der DDR, zielte mit seinem idealisierenden Begriff auf das Leitbild einer umfassenden Demokratisierung u. Vergesellschaftung der Literatur auf allen Ebenen - der Autorschaft, der materiellen Herstellung, Verbreitung u. Aufnahme der Literatur beim Publikum, womit die »Poesiefeindlichkeit des Kapitalismus« (Marx) u. die traditionelle Ghettoisierung der Literatur in der bürgerl. Gesellschaft aufgehoben werden sollten. Tatsächlich war die DDR in den 40 Jahren ihrer Existenz ein neben Japan u. der Sowjetunion führendes ›Leseland‹, freilich um den Preis umfassender Lenkung u. Kontrolle aller Instanzen des literar. Lebens, die einen freien Buchmarkt u. die Regulation der Bedürfnisse von Lesern u. Autoren an ihm ausschlossen. Alle größeren Verlage (von den 78 Buchverlagen mehr als 60) waren ›volkseigen‹ oder ›organisationseigen‹ (d. h. im Besitz von Staat, SED, anderen Parteien u. Massenorganisationen). Der Literaturvertrieb war strikt hierarchisch gelenkt, u. am Ende der Kette stand, neben wenigen privaten Buchhändlern, ein staatseigener Volksbuchhandel, der etwa 85 Prozent aller Bücher verkaufte. Vor allem aber wurde kontrolliert, zensiert u. kontingentiert, was als Buch erschien. Seit 1954 gab es im Ministerium für Kultur die sog. »Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel«, die u. a. die Aufgabe hatte, die Verlage zu überwachen, zu lizenzieren, Gutachten zu veranlassen u. Buchgenehmigungen zu erteilen - oder zu verwehren (was der Verfassung der DDR, Art. 27, Abs. 1, die das Recht auf freie u. öffentl. Meinungsäußerung garantierte, widersprach). Außerdem wachte seit 1965 das »Büro für Urheberrechte« über die Vergabe von Auslandsrechten (was auch die BR Deutschland einschloß).
Einige der wichtigsten Bücher der DDR-Literatur sind so aus Zensurgründen nie oder um Jahre oder Jahrzehnte verspätet in der DDR selbst erschienen, u. a. Hanns Eislers Johann Faustus, Bertolt Brechts Das Verhör des Lukullus, Stefan Heyms 5 Tage im Juni u. Collin, Uwe Johnsons Ingrid Babendererde u. Mutmaßungen über Jakob, Fritz Rudolf Fries' Der Weg nach Oobliadooh, viele Theaterstücke von Heiner Müller
u. Volker Braun, Gedichte Günter Kunerts, Reiner Kunzes, Wolf Biermanns u. anderer. Einige Bücher wie Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. lagen jahrelang in der Schublade, andere erfuhren eine publizistische Nachzensur, so Christa Wolfs Nachdenken über Christa T. Freilich reichten die Internalisierung des gesellschaftl. Auftrags der Literatur durch die Autoren, das Akzeptieren des ihr angetragenen Nimbus, schließlich auch die Selbstzensur (Stefan Heym sprach schon 1955 vom »Zensor im Herzen«) so weit, daß die Mehrzahl auch der krit. Autoren sich mit der autoritären Kontroll- u. Verbotspolitik zähneknirschend arrangierte (das zeigt schon die obige Liste) u. sich in der Doppelrolle einrichtete, Repräsentant u. Märtyrer zgl. zu sein. Noch Monate nach der Wende konnte der letzte Vorsitzende des Schriftstellerverbands der DDR, Rainer Kirsch
- selbst mehrfach ein Opfer der Zensur - die »gelegentlichen« Verbote der Staatsführung auf ihren »merkwürdigen Respekt vor den Schriftstellern und Künstlern« zurückführen. Zur Ehrenrettung der DDR- Autoren läßt sich allerdings auch Christoph Heins mutige Rede auf dem X. Schriftstellerkongreß (1987) heranziehen, wo er die Zensur »überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, ungesetzlich und strafbar« nannte. Gewiß spielte die breitgefächerte materielle Privilegierung der Autoren (in der Regel gute Honorierung, Stipendien, einträgl. Nebentätigkeiten, Deviseneinnahmen aus Westveröffentlichungen, Reisemöglichkeiten, ggf. Ausbildung am Leipziger Literaturinstitut »Johannes R. Becher«) eine Rolle für die nie ganz aufgekündigte Loyalität der meisten Autoren gegenüber ihrem Staat; entscheidend ist aber wahrscheinlich das DDR- spezifische, jetzt gefallene Autorenprivileg, ernstgenommen u. gebraucht zu werden - sei es anfangs als ›Rädchen und Schräubchen‹ in einer durchgeplanten realsozialistischen Gesellschaft, sei es später, u. immer mehr, als Ersatzöffentlichkeit (mangels einer politisch-publizistischen Öffentlichkeit), als Tabubrecher in einem autoritären System. Unberührt bleibt die Definition der Autorrolle als die eines operativen Aufklärers u. Sozialpädagogen. Die Bestimmung von DDR-Literatur im Hinblick auf das staatl. System ist zu ergänzen durch eine historisch-differenzierende Verlaufsskizze, die gegenüber der vermeintl. Einheitlichkeit des DDR- Literaturbetriebs das Widersprüchliche u. Disparate betont, das sich unter dem Sammelbegriff verbirgt. Dabei sind die innerliterar. Umschwünge u. Zäsuren nicht nur aus den wechselnden kulturpolit. u. ideolog. Vorgaben dieser 40 Jahre zu erklären, sondern auch aus den Erfahrungsunterschieden von vier Autorengenerationen. Diese Unterschiede u. das wachsende Bewußtsein der Autoren, daß Anspruch u. Wirklichkeit des DDR-Sozialismus auseinanderklaffen, setzten die entstehende Literatur zunehmend in Widerspruch zum polit. Leitdiskurs u. begünstigten gleichzeitig eine ›nachholende‹ ästhetische Modernisierung der anfangs überwiegend traditionalistischen DDR-Literatur.
Die Gründungsurkunde der DDR-Literatur ist, noch vor der Existenz der DDR als Staat, ihr antifaschistischer Grundkonsens. Er vereinigte die Autoren der ersten, älteren Generation, die, wie Becher, Brecht, Seghers oder Arnold Zweig, im Exil gewesen waren (auch die Jüngeren, Stefan Heym u. Stephan Hermlin, gehören hierher), mit denen der zweiten, damals jungen Generation, die das NS-Regime u. den Krieg als Hitlerjungen u. BdM- Mädel, SA-Leute u. Soldaten selbst erlebt hatten, in der Regel als naiv Begeisterte oder als Mitläufer. Die Autoren dieser in den 20er Jahren geborenen Generation ersetzten nun einen Glauben, ein ›totales‹ Weltbild, durch einen neuen Glauben, eine neue totalisierende Weltanschauung, die des Marxismus. Der aus dem schlechten polit. Gewissen geborene Antifaschismus wurde zur ideolog. Klammer, die Autoren wie Erwin Strittmatter, Franz Fühmann, Hermann Kant, Erich Loest, Christa Wolf, Heiner Müller, Günter de Bruyn u. Erik Neutsch untereinander u. mit den Älteren, die eine durch Exil oder Widerstand beglaubigte linke Identität hatten, verband. Diese Selbstbindung an das realsozialistische System, die zunehmend zur Fessel wurde, hat teilweise über 40 Jahre gehalten. Nur wenige Autoren, wie Peter Huchel oder Günter Kunert, haben sich der quasi familiären Loyalität gegenüber dem SED-Staat, der als ›Sieger der Geschichte‹ u. Anwalt des Antifaschismus auftrat, entziehen können. Diese doppelte Verstrickung einer ganzen Generation erscheint aus dem histor. Abstand gravierender als die immer wieder zitierten Diktate des »sozialistischen Realismus« als Schreibmethode, - Diktate, die in der Version von Georg Lukács tatsächlich seit 1948, verstärkt seit 1951 verhängt wurden, verbunden mit der sog. Formalismus-Kampagne, die sich gegen alle avantgardistischen, ›modernistisch-westlichen‹ Strömungen richtete. Es ist eine Tatsache, daß die Mehrzahl der Schriftsteller in den 50er u. noch in den frühen 60er Jahren die Außenlenkung der Ästhetik durch die Partei, die Dominanz des Themas ›neue, sozialistische Produktion‹ u. den Einsatz ihrer literar. Werke zu polit. Zwecken (v. a. zur Produktivitätssteigerung) nicht nur duldete, sondern bejahte. Die so entstandenen Betriebsromane u. Brigadestücke, Bücher gegen den Krieg oder Aufbaugedichte affirmieren in der Regel freiwillig den polit. Leitdiskurs, haben teil an der herrschenden Monosemie. Ausnahmen - Brechts Buckower Elegien (Bln./DDR 1953), Gedichte Erich Arendts, Peter Huchels, Johannes Bobrowskis, oder Günter Kunerts; Peter Hacks' u. Heiner Müllers frühe Stücke; dazu die Proteste einiger Intellektueller auf dem IV. Schriftstellerkongreß 1956 - bestätigen die Regel. Auch die Proklamation des sog. »Bitterfelder Weges« auf einer Kulturkonferenz im Chemiekombinat Bitterfeld wurde von Autoren wie Franz Fühmann oder Christa Wolf zunächst mitgetragen. Nach diesem Programm sollten zum einen die Schriftsteller in die Betriebe gehen u. aus dem Leben der Brigaden berichten (Christa Wolf tat es z. B. in Der geteilte Himmel. Halle 1963), zum anderen »die Kumpel zur Feder greifen«. So sollten Kunst u. Leben, Hand- u. Kopfarbeit versöhnt u. ihre Differenz schließlich aufgehoben werden. Die ›Zweite Bitterfelder Konferenz‹ on 1964 war dann ein schlecht verhülltes Begräbnis dieses idealistischen, aber zum Scheitern verurteilten Konzepts. Dennoch sind die frühen 60er Jahre, ironischerweise begünstigt durch den Bau der Mauer geprägt von der optimistischen sog. ›Ankunftsliteratur‹, in der Züge des bürgerl. Bildungs- u. Entwicklungsromans sozialistisch gewandelt wieder auferstehen. Ihre Helden (in Büchern u. a. von Christa Wolf, Brigitte Reimann, Werner Bräunig, Karl-Heinz Jakobs) ›kommen‹ am Ende einigermaßen stereotyper polit. Lernprozesse geläutert ›im Sozialismus an‹. Den Umbruch in der DDR- Literatur verbindet man heute nicht mit den polit. Zäsuren 1961 (Mauerbau) u. 1971 (VIII. Parteitag der SED, der im Übergang Ulbricht zu Honecker zu einer gewissen Liberalisierung der Kulturpolitik führte), sondern mit der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Das berüchtigte 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dez. 1965 hatte mit seiner scharfen Kritik u. a. an Manfred Bieler, Wolf Biermann, Stefan Heym, Günter Kunert u. Heiner Müller einen Schutzwall gegen alle »modernistischen« u. »nihilistischen« Tendenzen in den Künsten zu errichten versucht - auf lange Sicht erfolglos. Nach dem Ausschluß Uwe Johnsons aus der DDR-Literatur durch die zweimalige Verhinderung seines Debüts (1956 u. 1959) sind es v. a. Heiner Müller (Philoktet u. Der Bau. Beide verfaßt 1964), Fritz Rudolf Fries (Der Weg nach Oobliadooh. Ffm. 1966), Christa Wolf (Nachdenken über Christa T. Halle 1968, Neuwied 1969) sowie, neben den Älteren (Arendt, dem kaltgestellten Huchel u. Kunert), einige jüngere Lyriker (Volker Braun, Wolf Biermann, Karl Mickel, Sarah u. Rainer Kirsch, Reiner Kunze, Heinz Czechowski, Bernd Jentzsch), die sich in ihren Texten mit zunehmender Radikalität vom polit. Offizialdiskurs lösen u. Literatur als ›Gegentext‹ entwerfen. Das bislang sakrosankte ›klassische Kulturerbe‹ (die Literatur Goethes u. Schillers sowie des bürgerl. Realismus von Gottfried Keller bis Thomas Mann) samt den damit verknüpften traditionell-realistischen Schreibhaltungen verliert seinen Vorbildcharakter. An seine Stelle treten die Romantik, Heinrich von Kleist, Friedrich Hölderlin, Jean Paul, Georg Büchner sowie große Teile der Avantgardeliteratur seit Charles Baudelaire u. Arthur Rimbaud als Projektionsräume u. -figuren, die eine Artikulation der eigenen Sehnsüchte u. Träume, Zerrissenheit u. Melancholie möglich machen, nun auch in einer korrespondierenden modernen Formensprache. In der Prosa können sich von der Norm abweichende, ›verrückte‹ Erzählhaltungen durchsetzen, bereits Jahrzehnte vorher erreichte Standards der Moderne (z. B. Autoreflexivität, Diskontinuität oder Fabellosigkeit) werden nun wieder eingeholt. Erzähler wählen Genres wie z. B. die phantastische Erzählung, die Groteske oder die Warnutopie, die noch bis Mitte der 60er Jahre zum formalistisch- dekadenten Un-Erbe gezählt wurden (z. B. bei Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. 1972.. Irmtraud Morgner: Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz. 1974. Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends.
1979. Kassandra. 1983. Fritz Rudolf Fries: Verlegung eines mittleren Reiches. 1984).
Gleichzeitig entsteht ein neuer Alltagsrealismus, der Ersatzöffentlichkeit herstellt u. gesellschaftl. bzw. polit. Tabus bricht - so z. B. das des verdrängten NS-Erbes (Christa Wolf, Erich Loest, Jurek Becker), des Stalinismus in der DDR (Christoph Hein) u. andauernder autoritärer, feudalsozialistischer Strukturen (Günter de Bruyn, Volker Braun, Thomas Brasch, Reiner Kunze, Hans Joachim Schädlich, Uwe Saeger). Einige Autoren schreiben über das entfremdete Leben in einer innovationslosen Industriezivilisation ohne Perspektiven (Franz Fühmann, Klaus Schlesinger, Christoph Hein u. andere). Der gemeinsame Nenner der unangepaßten neuen DDR-Literatur heißt Zivilisationskritik, wobei der zivilisatorische Entwurf des »realen Sozialismus« immer weniger im Zeichen von Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung« u. immer häufiger im Gegenzeichen der Apokalypse oder wenigstens einer »Dialektik der Aufklärung« gesehen wird. In diesem Kontext findet auch eine erstaunlich breite Rezeption alter Mythen, insbes. der griechischen, statt. So unterschiedl. Autoren wie Erich Arendt (Ägäis. Lpz. 1967), Franz Fühmann (Das Ohr des Dionysios. Rostock 1985), Irmtraud Morgner (Amanda. Bln./Weimar 1983), Christa Wolf (Kassandra) sowie Peter Hacks u. Heiner Müller in mehreren Theaterstücken lesen, mehr oder minder radikal, die Mythen als Urbilder einer widersprüchlichen abendländ. Zivilisationsgeschichte. So offenbarten sich für Christa Wolf in den Vorgängen um Kassandra die Anfänge des bis heute dominanten männlich- kriegerischen, zweckrationalen Zivilisationstypus, die Ursprünge unserer Welt von heute als einer »Megamaschine« von zerstörerischer Irrationalität. - Auch die neuen Theatertexte verwerfen das klassizistische Erbe einer auf Totalität zielenden Fabel mit ›rationaler Idee‹ zugunsten einer Fragmentarisierung von Vorgängen, die über Brechts Konzept des epischen Theaters weit hinausgeht - so v. a. Heiner Müller (am krassesten in Hamletmaschine. 1977. Urauff. 1979), Volker Braun (u. a. Die Übergangsgesellschaft. Urauff. Bremen 1987), Thomas Brasch u. Stefan Schütz. - Vielleicht realisiert die jüngere Lyrik, zumal die der Volker- Braun-Generation, am stärksten Literatur als subversiven Gegendiskurs, indem sie neue Sprechweisen, Redevielfalt, Dialogizität u. Intertextualität (Text) praktiziert u. damit das monosem.-affirmative Sprachmilieu unterläuft. In ihren Anfängen war die DDR-Literatur freiwillig Gesinnungsliteratur (gewiß mit Ausnahmen), später dann, als den Autoren ihre Gesinnung als geschlossene Weltanschauung zerfiel, Sinngebungsliteratur. Seit Ende der 70er Jahre wollte auch das nicht mehr recht gelingen, zumal nach der Ausbürgerung des populären Liedermachers Wolf Biermann, dem Ausschluß mehrerer wichtiger Autoren aus dem Schriftstellerverband 1979 u. dem Exodus einer ganzen Hundertschaft von Schriftstellern. In den 80er Jahren begann zudem eine neue Autorengeneration - die in den 50er u. 60er Jahren Geborenen - zu schreiben, die den Sozialismus nur noch als »deformierte Realität« u. nicht mehr als »Hoffnung auf das Andere« (Heiner Müller) kennengelernt hat. Die experimentellen Texte dieser ›jungen Wilden‹ (u. a. Uwe Kolbe, Bert Papenfuß-Gorek, Rainer Schedlinski), bis 1989 nur in minimaler Auflage in Samisdat-Zeitschriften vervielfältigt, haben einen entscheidenden Beitrag zum Abbau von Gesinnung u. vermeintl. Sinn im ›realen Sozialismus‹ geleistet u. das ideolog. Sprachmaterial poetisch zersetzt u. verballhornt. Nachdem Wolf Biermann u. Jürgen Fuchs die Spitzeltätigkeit von Sascha Anderson - einem der Wortführer der sog. Prenzlauer-Berg-Szene - zurecht angeprangert haben, wird vermehrt die Auffassung vertreten, daß damit die junge alternative Literatur (als vom In ihren Anfängen war die DDR- Literatur freiwillig Gesinnungsliteratur (gewiß mit Ausnahmen), später dann, als den Autoren ihre Gesinnung als geschlossene Weltanschauung zerfiel, Sinngebungsliteratur. Seit Ende der 70er Jahre wollte auch das nicht mehr recht gelingen, zumal nach der Ausbürgerung des populären Liedermachers Wolf Biermann, dem Ausschluß mehrerer wichtiger Autoren aus dem Schriftstellerverband 1979 u. dem Exodus einer ganzen Hundertschaft von Schriftstellern. In den 80er Jahren begann zudem eine neue Autorengeneration - die in den 50er u. 60er Jahren Geborenen - zu schreiben, die den Sozialismus nur noch als »deformierte Realität« u. nicht mehr als »Hoffnung auf das Andere« (Heiner Müller) kennengelernt hat. Die experimentellen Texte dieser ›jungen Wilden‹ (u. a. Uwe Kolbe, Bert Papenfuß-Gorek, Rainer Schedlinski), bis 1989 nur in minimaler Auflage in Samisdat- Zeitschriften vervielfältigt, haben einen entscheidenden Beitrag zum Abbau von Gesinnung u. vermeintl. Sinn im ›realen Sozialismus‹ geleistet u. das ideolog. Sprachmaterial poetisch zersetzt u. verballhornt. Nachdem Wolf Biermann u. Jürgen Fuchs die Spitzeltätigkeit von Sascha Anderson - einem der Wortführer der sog. Prenzlauer- Berg-Szene - zurecht angeprangert haben, wird vermehrt die Auffassung vertreten, daß damit die junge alternative Literatur (als vom Staatssicherheitsdienst gesteuerte) insg. desavouiert sei. Doch das bleibende Verdienst dieser Autoren - der Ausbruch aus der Selbstfesselung an das DDR-System, der vielen der älteren Generation nie ganz gelungen war - kann dadurch nicht in Frage gestellt werden.
Mit den Wendejahren 1989/90 ist die DDR-Literatur zumindest äußerlich an ihr Ende gekommen. Das Modell ›Literaturgesellschaft‹ ist binnen kürzester Zeit vollständig zerfallen. Die westl. Institutionen u. Strukturen mit dem literar. Markt als Zentrum haben sich durchgesetzt. Mit dem Untergang des Staates DDR, aber auch dem der Utopie vom anderen, besseren Sozialismus ist den Autoren ihre bisherige Grundlage entzogen worden. Gewiß wird es über das Jahr 1990 hinaus DDR-Literatur in dem Sinne geben, daß Texte entstehen, die von der jahrzehntelangen Lebens-u. Schreiberfahrung in der DDR geprägt sind u. Stoffe aus ihrer Geschichte, die Wendezeit inbegriffen, verarbeiten. Doch müssen sie nicht mehr in einem autoritären System als Ersatzöffentlichkeit fungieren. Gerade die krit. DDR-Literatur, u. insbes. die Prosa als explizit ›informative‹ Gattung, wird hiervon betroffen sein. Inwieweit es eine Fortsetzung der realsozialistischen Trivialliteratur vom Schlage Erik Neutsch, Dieter Noll oder Gisela Steineckert geben wird, muß offenbleiben.
Künftig wird die DDR-Literatur weniger als bisher rein zeitbezogen u. mit der ideolog. Elle gemessen werden. Man wird sie vermehrt in europ. u. westl. Kontexte stellen u. ihre ästhetischen Standards mit denen der internationalen Moderne u. Postmoderne vergleichen. Dabei werden Schwächen der DDR-Literatur deutlicher hervortreten (z. B. der Hang einiger Autoren zu einer spekulativen, moralisierenden Ideenliteratur in Fortsetzung einer spezifisch dt. Tradition), u. es werden Gemeinsamkeiten innerhalb der gesamten deutschsprachigen Literatur seit 1945 sichtbar werden (z. B. zwischen den um 1920/30 geborenen west- u. ostdt. Autoren wie Böll u. Grass einerseits sowie Fühmann u. Christa Wolf andererseits). Für eine Bilanz der DDR-Literatur im Sinne eines Werkkanons ist es gewiß zu früh. Immerhin hat die DDR-Literatur einen Dramatiker von Weltrang (Heiner Müller) u. eine bemerkenswert reiche, vitale Lyrik hervorgebracht, so viele Abstriche auch bei der bislang am meisten rezipierten, aber stärker zeit- u. systemgebundenen Prosa zu machen sein werden.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.