Entwicklung des Genres Talkshow
Das Mutterland der Talkshows sind die USA. „US - amerikanische Programmmacher sahen Ende der 50er Jahre die Talkshow als ein geeignetes Podium, in einer Zeit zunehmender Isolation und Entfemdung das (öffentliche) Gespräch miteinander zu beleben.“1
Die erste US-amerikanische Talkshow war das Broadway Open House mit Jerry Lester, das am 29. Mai 1950 bei NBC auf Sendung ging. Die 60 minütige Sendung wurde von montags bis freitags im Spätabendprogramm ausgestrahlt und enthielt bereits viele Elemente, die noch heute zur Grundausstattung vieler Talkshows gehören: Einen charismatischen Moderator, der mit Gags und Showeinlage durch die Sendung führte, eine attraktive Assistentin, ein Orchester und ein Studiopublikum, das schon damals mit in die Diskussionen einbezogen wurde.
In den folgenden Jahren startete NBC auch zu anderen Zeiten Talkshow- Serien: Während Today (1952) am Vormittag und The Home Show (1954) am Nachmittag gesendet wurden, bekam auch das Abendprogramm Zuwachs in Form der Tonight Show. Sie wurde 1962 von Johnny Carson übernommen, der die 90 minütige Sendung fast 30 Jahre werktäglich moderierte. Die Schwerpunkte lagen hier hauptsächlich auf Humor, Lebenshilfe und auf dem allseits beliebten Prominenten- oder Promi-Talk, wobei Rücksicht auf die Interessen des weiblichen, tagsüber fernsehenden Publikuns genommen wurde.
Ende der 50er Jahre wurden mehr und mehr Talkshows mit politischen Akzenten ausgestrahlt, darunter u.A. Person To Person (1958) und The Merv Griffin Show (CBS, 1962).
Zu dieser Zeit waren die grundlegenden Konzepte, die die nächsten Jahrzehnte der Talkshow-Geschichte prägten, geschaffen.
Erst mit der Oprah Winfrey Show (1986) kam der Mut zu neuen Ideen. In dieser Sendung wurde ein großer Akzent auf intensive Emotionalität gesetzt, ein „Seelenstriptease“, in dem die Talkgäste über ihr Privatleben sprachen. Diese dort diskutierten Kuriositäten, Horrorstories und auch Abartigkeiten wurden zum Publikumsmagneten.
Im selben Jahr ging eine weitere Form der Talkshow auf Sendung: In der Spätabendshow Geraldo After Dark heizte der Moderator die Diskussionen bis hin zu Prügeleien im Studiopublikum an, die Combat Talk Show war geschaffen.
Auf die Spitze trieb es allerdings die Morton J. Downey Show (1987), in der der Moderator mit seiner ohnehin deftigen Ausdrucksweise sogar Gäste und Publikum beschimpfte und beleidigte. Diese Sendung fand zunächst hohen Anklang; nachdem aber Werbekunden verschreckt wurden und trotz immer extremerer Themen Abnutzungserscheinungen auftraten, geriet sie in eine Sackgasse.
Darauf folgte ein neuer Trend: Die „Talkshows der Freundlichkeiten“1, bei denen liebenswürdige Moderatoren mit ihren Gästen Plaudereien in lockerer Party-Athmosphäre führten.
In Deutschland gab es Gesprächssendungen im weitesten Sinne schon seit den 50er Jahren.
Einer der Vorläufer, der Klassiker unter den Talkshows, war Der Internationale Frühschoppen mit Werner Höfer, der am 29. August 1953 erstmals zur Funkausstellung in Düsseldorf ausgestrahlt wurde. Hiernach war er 34 Jahre bei der ARD auf Sendung. Es diskutierten fünf Journalisten aus fünf verschiedenen Ländern über ein aktuelles politisches Thema, wobei das Gespräch auf einer rein sachlichen Ebene ablief, da kein Saalpublikum zugegen war. Diese Form einer Gesprächssendung war allerdings von einer echten Talkshow im engeren Sinne weit entfernt.
Weitere Produktionen der 50er Jahre waren das Rhein-Ruhr-Clübchen und Zu Gast bei Margot Hielscher (1955). Diese Sendungen verdienten diese Bezeichnung schon eher, denn neben unterhaltsamen Gesprächen vor Saalpublikum wurden auch einige Showelemente, Musikeinlagen und witzige Monologe mit einbezogen. Beide Sendungen liefen allerdings nur kurz. Schon in den 60er Jahren entstanden erste Ideenausarbeitungen, die sich an den Programmen in den USA orientierten. Jedoch wollte keiner den ersten Schritt wagen, denn der Gefallen des Publikums an einer solchen Sendeform wurde in Frage gestellt.
Den Anfang machten schließlich Dietmar Schönherr und Peter Hajek, die 1971 den Entschluss fassten, die amerikanische Idee der Talkshow nach Deutschland zu bringen. Ihre Konzepte wurden von Sender zu Sender abgelehnt, bis 1972 schließlich der WDR wagte, eine hausinterne Nummer zu produzieren. Die Resonanz hinter den Türen des WDR war so gut, dass am 4. März 1973 die erste deutsche Talkshow Je später der Abend mit Dietmar Schönherr auf Sendung ging. Zunächst wurde sie nur regional ausgestrahlt. Erst ab Silvester 1973/74 konnte man sie bundesweit empfangen, von da an mit Hansjürgen Rosenbauer als Moderator. Die im zwei-Wochen-Rhythmus ausgestrahlte Sendung wurde zum Zuschauermagneten. Sie unterlag einem Konzept in dem es gesittet und höflich zuging, einer den anderen ausreden ließ und jeder toleriert und akzeptiert wurde. Der Moderator fungierte als eine Art „Missionar in Sachen gesellschaftlicher Kommunikation“1. So schnell das Publikumsinteresse gekommen war, so schnell ließ es auch wieder nach. Es kam Kritik am Moderator (zu steif und langweilig) und auch an der Sendung selbst (zu wenig spontan und engagiert, zu brav und bieder) auf. Die Show wurde 1978 schließlich eingestellt.
Als offiziell zweite deutsche Talkshow gilt III nach 9, die von Radio Bremen entwickelt wurde. Sie startete am 19. April 1974 und wird bis heute ausgestrahlt. Diese Show wollte sich von den amerikanischen Vorbildern trennen. Das Konzept sah vor, dass drei Moderatoren mit Spontanität und Witz durch die Sendung führen. Die Gespräche fanden in einer Art Kneipenathmosphäre statt, wobei die Tische im Zuschauerraum standen. Das Saalpublikum wurde bei den unterhaltungs- und alltagsorientierten Themen zum Mitreden animiert, Chaos und Pannen waren beabsichtigt. Der Spiegel lobte diese Talkshow 1984 mit den Worten sie sei ein „anarchisches Feuerwerk“, das „in die Trübnis des pendantischen TV-Alltags schlug“2. Eine gewisse Eigenständigkeit legte auch das Kölner Treff mit Alfred Biolek und Dieter Thoma an den Tag. Diese Sendung, deren Vorbilder die Bühnen- Talkshows der Theater sind, wird seit 1976 im WDR ausgestrahlt. Die beiden Moderatoren laden in familiärer Stimmung die unterschiedlichsten Gäste auf ihr Sofa ein, um mit ihnen ein lockeres Gespräch vor und mit Studiopublikum zu führen.
Aufgrund des Erfolgs dieser Sendereihen entwickelten auch andere Sendeanstalten eigene Talkshows. Insgesamt wurden zu dieser Zeit von allen Sendern zusammen etwa 100 Talkshow - Folgen ausgestrahlt, bei denen die unterschiedlichsten Schwerpunkte und Produktionsformen vertreten waren. Einige dieser Sendungen scheiterten bereits nach kurzer Zeit, wie z.B. Feuerabend (HR) mit Hans Joachim Kuhlenkampff, Unter sechs Augen (RB) mit Gerd von Paczensky und Peter Merseburger und Der heiße Draht (SWF) mit Joachim Fuchsberger.
Anfang der 80er Jahre entstanden einige neue Talkshow - Formen, wirklich neue Ideen gab es jedoch nicht:
ARD und ZDF griffen auf altbewährte Gesprächskonzepte der USA zurück, die vor allem unterhaltend und informativ sein sollten. Auch der Prominententalk etablierte sich in dieser Zeit auf allen öffentlich - rechtlichen Kanälen. Als Vorbilder für die Talkmaster galten damals die US - Talker Johnny Carson und Dick Carett, deren idealtypisches Modell zu kopieren versucht wurde. Den zweiten Frühling erlebten die Talkshows mitte der 80er Jahre. Die wöchentliche bzw. tägliche Ausstrahlung bewirkte eine quantitative Zunahme und die Zahl der Talkshow - Reihen wurde schnell größer. Man versuchte die Sendungen lebendiger zu gestalten, den Akzent vom Gespräch auf weitere Formen der verbalen Auseinandersetzung zu verschieben. Eine der ersten Gesprächssendungen in Deutschland, in der Sketche, Gags und musikalische Darbietungen zum Programm gehörten, war So isses mit Jürgen von der Lippe, die von 1984 bis 1989 auf West 3 zu sehen war.
Vorwiegend wurde jedoch auf Konfrontation gesetzt: Den Anfang machte Karl Dall 1985 mit Dall - As (RTL plus), der in seiner Sendung bewusst provozierend mit seinen Gästen umgeht. Noch deutlicher wurde die Konfrontation in Sendungen wie Explosiv - der heiße Stuhl (1989, RTL plus) und Einspruch mit Ulrich Meyer (1992, Sat 1). Diese sogenannten Confrotainment Talkshows (Konfro - Talks) fanden ihren Platz im Abendprogramm. Anfang der 90er Jahre wurde, „nahrzu täglich und von morgens bis abends getalkt“1, hauptsächlich zwischen 11.00 Uhr und 17.00 Uhr. Oft wurden, wie auch heute noch, Sendungen eng mit der moderierenden Person verbunden und nach ihr benannt. Dieses Front Face stellt „den personalen Bezug zwischen Programm und Publikum dar, durch ihn (den Moderator) kommt eine Sendung ins Haus, er ist das erkennbare, wiederkehrende Menschliche.“1 Es wird nahezu mit dem Moderator geworben.
Bekannt Beispiele hierfür sind z.B. Hans Meiser, dessen Sendung am 14.
September 1992 bei RTL plus startete und Arabella, (Start: 6.Juni 1994, Pro7). Beide Talkshows laufen bis heute sehr erfolgreich im Nachmittagsprogramm.
Bis heute sind in Deutschland mehr als 60 verschiedene Talkshows entstanden, Tendenz steigend!
[...]
1 In: Talkshows. Formate und Zuschauerstrukturen.
1 In: Die Geschichte des Talkshow - Genres im deutschen Fernsehen [online].
1 In: Brot und Spiele? - Die Talkshow.
2 In: Die Geschichte des Talkshow - Genres im deutschen Fernsehen.
1 In: Brot und Spiele? - Die Talkshow
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Ursprung der Talkshow als Genre?
Die Talkshow hat ihren Ursprung in den USA. US-amerikanische Programmmacher sahen in den späten 50er Jahren die Talkshow als ein geeignetes Format, um in einer Zeit zunehmender Isolation das öffentliche Gespräch zu beleben.
Welches war die erste US-amerikanische Talkshow?
Die erste US-amerikanische Talkshow war das Broadway Open House mit Jerry Lester, das 1950 auf NBC ausgestrahlt wurde.
Wer war Johnny Carson und welche Bedeutung hatte er für die Tonight Show?
Johnny Carson übernahm 1962 die Tonight Show und moderierte sie fast 30 Jahre lang. Er prägte die Sendung mit Humor, Lebenshilfe und Prominenten-Talks.
Wie entwickelte sich die Talkshow in den USA in Bezug auf politische Themen?
Ende der 50er Jahre wurden vermehrt Talkshows mit politischen Akzenten ausgestrahlt, beispielsweise Person To Person und The Merv Griffin Show.
Was waren die neuen Ideen, die die Oprah Winfrey Show einbrachte?
Die Oprah Winfrey Show setzte einen großen Akzent auf Emotionalität und den „Seelenstriptease“, bei dem Talkgäste über ihr Privatleben sprachen.
Was ist eine Combat Talk Show?
Eine Combat Talk Show, wie Geraldo After Dark, zeichnet sich durch hitzige Diskussionen und Provokationen bis hin zu Prügeleien im Studiopublikum aus.
Was waren die "Talkshows der Freundlichkeiten"?
Die "Talkshows der Freundlichkeiten" waren ein Trend als Gegenreaktion zu konfrontativen Formaten. Sie zeichneten sich durch liebenswürdige Moderatoren und lockere Gespräche in Party-Atmosphäre aus.
Wann gab es die ersten Gesprächssendungen im deutschen Fernsehen?
Gesprächssendungen im weitesten Sinne gab es in Deutschland schon seit den 50er Jahren.
Welche Sendung gilt als Klassiker unter den deutschen Talkshows?
Der Internationale Frühschoppen mit Werner Höfer, erstmals ausgestrahlt 1953, gilt als Klassiker, war aber keine echte Talkshow im engeren Sinne.
Welches war die erste deutsche Talkshow?
Je später der Abend mit Dietmar Schönherr, ausgestrahlt ab 1973, gilt als die erste deutsche Talkshow.
Wie unterscheidet sich III nach 9 von amerikanischen Vorbildern?
III nach 9 wollte sich von amerikanischen Vorbildern trennen, indem sie mit Spontanität, Witz und einer Kneipenatmosphäre arbeitete und das Publikum zum Mitreden animierte.
Welche anderen Talkshows entstanden in Deutschland aufgrund des Erfolgs von III nach 9?
Aufgrund des Erfolgs entstanden weitere Talkshows wie das Kölner Treff mit Alfred Biolek und Dieter Thoma.
Was sind Confrotainment Talkshows?
Confrotainment Talkshows (Konfro-Talks), wie Dall - As, Explosiv - der heiße Stuhl und Einspruch, setzten auf Konfrontation und Provokation.
Was versteht man unter einem "Front Face" im Zusammenhang mit Talkshows?
Das "Front Face" bezieht sich auf den Moderator, der eine persönliche Verbindung zwischen Programm und Publikum herstellt.
Welche Talkshows wurden in den 90er Jahren in Deutschland populär?
Bekannte Beispiele sind Hans Meiser und Arabella, die beide im Nachmittagsprogramm sehr erfolgreich liefen.
Wie viele Talkshows gibt es bis heute in Deutschland?
Bis heute sind in Deutschland mehr als 60 verschiedene Talkshows entstanden.
- Arbeit zitieren
- Bettina Arwers (Autor:in), 2001, Entstehung und Entwicklung von Talkshows, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100833