Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Demokratieprinzip
2. 2 Direkte Demokratie
2. 3 Repräsentative Demokratie
3. Erscheinungsformen direkter Demokratie
3.1 Referenden
3.2 Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid
4. Direkte Demokratie auf Kommunal- und Länderebene
4.1 Referenden in der Praxis
4.2 Volksinitiative in der Praxis
4.3 Volksbegehren und Volksentscheide in der Praxis
5. Direkte Demokratie auf Bundesebene
5.1 Argumente für Volksentscheide
5.1.1 Legitimität durch Art. 20 Abs. 2
5.1.2 Themenspezifische Partizipation
5.1.3 Weniger Politikverdrossenheit
5.2 Argumente gegen Volksentscheide
5.2.1 Schwächung der parlamentarischen Demokratie
5.2.2 Fehlende Verantwortlichkeit und Gemeinwohlorientierung
5.2.3 Exklusionsbegünstigung bestimmter sozialer Gruppen
5.2.4 Polarisierung
5.2.5 Schlechte Vereinbarkeit mit dem Föderalismuskonzept
5.2.6 Negative Erfahrungen in der Weimarer Republik
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Bundesrepublik Deutschland steht vor Herausausforderungen, die mit der Forderung nach Reformen einhergeht. Ob die Bereitschaft auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger vorhanden ist, selbst Einschränkungen und Veränderungen zu akzeptieren, ist unklar. Unbestritten ist jedoch, dass Anpassungen nur mit der Akzeptanz der Bevölkerung umgesetzt werden können. Eine Form der Akzeptanzgewinnung ist Beteiligung.
Fraglich ist, ob die bisherigen Partizipationsmöglichkeiten im politischen System ausreichen. Die Partizipation von Bürgerinnen und Bürger an politischen Prozessen ist für die Identifikation mit dem Staat, vielmehr dem politischen System bedeutend. Es gibt zwei Formen: die direkte (unmittelbare) und repräsentative (mittelbare) Partizipation (vgl. Moeckli 2018: 21).
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, darüber zu diskutiert, ob in Deutschland direkte Mitwirkungsmöglichkeiten eingeführt werden sollten. Konkret handelt es sich hier um die Debatte, der Einführung von Volksentscheiden. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen wie „Mehr Demokratie e.V.“ fordern dies seit Jahrzehnten und finden breite Unterstützung (vgl. Decker/Lewandowsky/Solar 2013: 50). Weiterhin stellt die Koalition zwischen CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag vom Februar 2018 die Möglichkeit der Einführung direkter Beteiligungsinstrumente in Aussicht. Während solche Elemente auf Kommunal- und Länderebene bereits eingeführt sind, sind Volksentscheide über Bundesgesetze nach wie vor, nicht vorgesehen.
Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass Volksentscheide in der ganzen Gesellschaft für einen breiten Diskussionsprozesse sorgen (vgl. Hornig 2011: 475). Dennoch geht die Meinung über den Nutzen von Volksentscheiden im politischen Diskurs weit auseinander (vgl. Decker 2020: 640; Moeckli 2018: 21). Obwohl eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Einführung direktdemokratischer Elemente befürwortet (vgl. FAZ 2010: 5), scheiterte es bisher an der Umsetzung. Befürworter argumentieren mit gesteigertem Beteiligungsbedürfnis auf Seiten der Bevölkerung (vgl. Roth 2002: 515), wohingegen Gegner eine Entwertung des Parlaments und eine erhöhte Polarisierung befürchten (vgl. Bosbach 2002: 518). Diese Debatte führt zu der Leitfrage dieser Ausarbeitung, welche Chancen und Gefahren die Einführung direktdemokratischer Beteiligungsformen auf Bundesebene birgt. Konkret geht es um die Wirkung von Volksentscheiden auf die Bürgerbeteiligung.
Dazu werden im ersten Schritt das Demokratieprinzip, die direkte und die repräsentative Demokratie definiert. Moeckli (2018) und Kost (2019) bieten dazu eine dezidierte Übersicht. Dann werden konkrete Instrumente direkter Demokratie aufgezeigt. Der Fokus hier liegt auf den Referenden, der Volksinitiative, dem Volksbegehren und dem Volksentscheid. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, in welchem Maße direktdemokratische Elemente auf Kommunal- und Landesebene bereits institutionalisiert sind. Die dann folgende Gegenüberstellung von Pro- und Contra Argumenten eröffnet eine differenzierte Sichtweise auf die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene. Schlussendlich fasst das Fazit die Ergebnisse der Arbeit zusammen.
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Demokratieprinzip
Die Möglichkeit direktdemokratischer Verfahren wird sich aus dem Demokratieprinzip hergeleitet. Dieses wird als Staatsstrukturprinzip aufgefasst und manifestiert sich vor allem in Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetztes. Demnach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und Kern dieses Prinzips ist die Volkssouveränität. Die Garantie dessen sind vorrangig freie und wiederkehrende Wahlen (vgl. Dreier/Wittreck 2009: 11).
2. 2 Direkte Demokratie
„Direkte Demokratie ist ein Zusammenspiel [von] unterschiedlichen, in den jeweiligen Verfassungen und Gesetzen festgeschriebenen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten der Bürgerinnen und Bürger und bedeutet die unmittelbare Einwirkung […] auf eine bestimmte Entscheidung“ (Kost 2013: 24). Kost zufolge geschieht dies unter Umgehung von Repräsentanten in Form von Abstimmungen durch Entscheidungen über Personen als Amtsträger oder als Votum über Sachfragen. Zu den wichtigsten Elementen der direkten Demokratie zählen das Referendum, die Volksinitiative, das Volksbegehren und der Volksentscheid. Theoretisch versteht man unter „direkter Demokratie“ eine Herrschaftsordnung, in der alle stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger alle verbindlichen politischen Entscheidungen grundsätzlich bestimmen. Dennoch kann dies praktisch nur in kleinen politischen Gemeinschaften realisiert werden (vgl. Kost/Solar 2019: 55).
2. 3 Repräsentative Demokratie
In der repräsentativen Demokratie werden politische Entscheidungen durch Vertretungskörperschaften (Parlamente und Volksvertreter) die auf Verfassungsgrundlage in allgemeinen Wahlen konstituiert werden, getroffen. Die Bevölkerung wird im politischen Prozess durch gewählte Personen und/oder Institutionen repräsentiert. Durch die Repräsentation kommt der Volkswille als Herrschaftsform nicht ungeteilt und unmittelbar zum Ausdruck, sondern geschieht im Namen des Volkes. „[…] Repräsentanten setzen die Willensbildung des Volkes erst in Gang und interpretieren […] eigenverantwortlich politische Entscheidungen“ (Kost/Solar 2013: 25).
3. Erscheinungsformen direkter Demokratie
Es gibt unterschiedliche direktdemokratische Elemente. Im Rahmen dieser Arbeit werden folgende Verfahren näher erläutert: das Referendum, der Volksentscheid, das Volksbegehren und die Volksinitiative. Weitere nennenswerte Instrumente wären Plebiszite, die Volksbefragung und wie in Bayern und Bremen vorgesehen, die vorzeitige Auflösung des Landtages.
3.1 Referenden
Das Referendum ist eine Volksabstimmung, welche vom Parlament oder von der Regierung angestoßen wird. Ziel hierbei ist es, Änderungen der Verfassung oder den Beschluss eines Gesetzes der Entscheidung von Bürgerinnen und Bürger zu unterwerfen (vgl. Kost/Solar 2019: 191). Man unterscheidet zwischen Verfahrensvorschriften nach festgelegten Normen (obligatorisches Referendum) oder Sammlung einer bestimmten Zahl von Unterschriften von Wahlberechtigten (fakultatives Referendum). Fakultative Referenden gelten als ein klassisches Oppositionsinstrument, da die Regierenden die Anwendung des Verfahrens nicht kontrollieren können. Es wirkt demnach „machtteilend“ (Kost/Solar 2019: 246). Plebiszite, die durch Staatsorgane (Regierung, Parlamentsmehrheit) ausgelöst werden und wegen ihrer Manipulierbarkeit häufig in der Kritik stehen, finden hier keine Beachtung.
3.2 Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid
Wie dem Titel der Arbeit entnommen werden kann, stehen Volksentscheide im Vordergrund. Allerdings sollte bedacht werden, dass dieses Instrument am Ende des dreistufigen Gesetzgebungsprozesses steht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb 1: Eigene Darstellung
Somit sind sowohl Volksinitiativen, als auch Volksbegehren, elementarer Bestandteil der folgenden Ausführungen.
Ein Volksbegehren erzwingt die verbindliche Entscheidung des Volkes oder des Parlaments in einer Sachfrage. Es bezeichnet zum einen die Forderung der Bürgerinnen und Bürger über eine von Initiatoren vorgelegte Frage bzw. Gesetz ein Volksentscheid abzuhalten, zum anderen das Verfahren, dieses Ziel zu verwirklichen. Das bietet die Möglichkeit direkt an einem Gesetz Änderungen und Aufhebungen vorzunehmen. Die Volksinitiative ist ein Instrument, welches Bürgerinnen und Bürger ermöglicht, ihren politischen Willen zu einem Sachverhalt gegenüber dem Parlament zu äußern, sowie die Regierung rechtlich damit zu verpflichten, sich damit auseinanderzusetzen. Als Hindernis gilt eine Mindestanzahl an Unterschriften (vgl. Kost/Solar 2019: 251).
4. Direkte Demokratie auf Kommunal- und Länderebene
Das Bedürfnis nach mehr Direktdemokratie spiegelt sich in der Verfassungspraxis von Ländern und Gemeinden wider. Volksgesetzgebungen haben sich hier in allen 16 Bundesländern etabliert. Es besteht die Möglichkeit der Volksinitiative und des Bürgerantrages, des Volksbegehrens und des anschließenden Volksentscheides. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Etablierung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eine relativ junge Entwicklung darstellt (vgl. Decker 2020: 474; Magin/Eder/Vatter 2008: 346). In einigen Ländern stehen die Verfahren bisher nur auf dem Papier (Saarland), in anderen Ländern sind sie dagegen regelmäßig in Gebrauch und nehmen auf den politischen Prozess Einfluss.
4.1 Referenden in der Praxis
In den deutschen Bundesländern ist das obligatorische Referendum in Bayern und Hessen möglich. Sonderregelungen und einschränkende Varianten wie in Bayern existieren auch. Die Möglichkeit, dass auf Beschluss des Parlaments oder der Regierung ein fakultatives Referendum angesetzt werden kann, gibt es lediglich in Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen (vgl. Neumann 2009: 215). In der Praxis haben beide Verfahren es so gut wie keine Bedeutung (vgl. Kost/Solar 2019: 146) und wurden an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
4.2 Volksinitiative in der Praxis
Das Instrument der Volksinitiative existiert nur auf Landesebene. In 13 von 16 Bundesländern sind Volksinitiativen gängig. Die Landesverfassung von Bayern, Hessen und dem Saarland kennt dieses Instrument nicht. In Thüringen und Bremen heißt es „Bürgerantrag“, in Baden-Württemberg und Sachsen nennt man es „Volksantrag“ und in Hamburg wählt man den Begriff „Volkspetition“. Die genaue Ausgestaltung der Volksinitiative unterscheidet sich zwischen den Bundesländern erheblich (Neumann 2009: 196ff.). Genaue Begriffsbedeutungen sind wichtig, denn häufig wird der gesamte Prozess der Volksgesetzgebung in deutschen Bundesländern als Volksinitiative bezeichnet (Neumann 2009, S.193 und 205).
4.3 Volksbegehren und Volksentscheide in der Praxis
Seit der Einführung direktdemokratischer Elemente steigen die „Initiativen“ stetig. Im Jahr 2016 wurden zwölf Verfahren in acht Bundesländern neu initiiert. (Magin/Eder/Vatter 2008: 251). Der „[...] thematische Gegenstand eines Volksbegehrens [muss] immer ein förmliches Gesetz sein, für welches das jeweilige Bundesland die Gesetzeszuständigkeit besitzt“ (Kost 2013: 60). Es gibt auch Ländergesetze, die einem Volksbegehren vorenthalten werden. Beispiele hierfür sind Volksbegehren über Gebühren und Steuern, Besoldungsrodungen, Finanzfragen und Staatsverträge. Ein Volksentscheid wird eingeleitet, wenn je nach Bundesland zwischen 4 und 20 Prozent der Stimmberechtigten durch Unterschriften entsprechende Unterstützung erhalten (vgl. Magin/Eder/Vatter 2008: 350). So werden beispielsweise in Brandenburg 80000 (ca. 3,7 Prozent) Unterschriften verlangt und in Hessen müssen 20 Prozent des Unterschriftenquorums erfüllt sein.
5. Direkte Demokratie auf Bundesebene
In der Bundesrepublik überwiegen in erster Linie repräsentative Beteiligungsverfahren. Es gibt dennoch legitime Argumente für die Einführung direktdemokratischer Instrumente, präziser Volksentscheide. Fraglich ist, ob die Einführung von Volksentscheidend auch zu mehr Bürgerbeteiligung führt.
5.1 Argumente für Volksentscheide
5.1.1 Legitimität durch Art. 20 Abs. 2
Zentraler Ausgangspunkt bei der Suche nach der grundlegenden Möglichkeit der Einführung direktdemokratischer Verfahren auf Bundesebene und deren Verankerung im Grundgesetz, bildet Art. 20 Abs. 2: „Die Staatsgewalt wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt“.
Die Ausführung der Volkssouveränität erfolgt nach Abs. 2 Satz 2 durch „Wahlen und Abstimmungen“ sowie Repräsentativorgane (vgl. Dreier/Wittreck 2009: 16). Demnach stehen Wahlen, als repräsentatives Element und Abstimmungen, als direktdemokratisches Element gleichberechtigt nebeneinander. Weiterhin ist dieser Artikel durch die Ewigkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3) geschützt. Direktdemokratische Legitimität können zudem die Art. 29 Abs. 2 ff. GG (Neugliederung des Bundesgebiets) und Art 146 GG (Ablösung des Grundgesetzes durch eine Verfassung) bilden.
5.1.2 Themenspezifische Partizipation
Ein wichtiges Argument für die Einführung von Volksentscheiden ist, anders als bei Wahlen, themenspezifische Beteiligung. Dies führt nach Auffassung von Rogge (2008: 236) zur Öffnung parteidemokratischer Machtstrukturen bei, weil diese dann einen sachbezogenen Dialog über Inhalte mit den Bürgern führen müssen. Verbunden mit dieser Überlegung ist vor allem Kritik gegenüber Parteien.
Dem kann an dieser Stelle allerdings nicht vollständig zugestimmt werden. Von 1949 bis 2011 wurden in den Bundesländern neunzehn Volksentscheiden im Rahmen der Volksgesetzgebung durchgeführt. Sechs wurden unmittelbar von Parteien organisiert und die anderen Volksbegehren wurden zumindest von ihnen unterstützt. Parteien spielen demnach eine große Rolle beim Erfolg von Volksbegehren, und dementsprechend für Volksentscheide. Ein Garant für Erfolg sind sie jedoch nicht (vgl. Grotz 2009: 297). Auf lange Sicht könnten Parteien Volksentscheide aber als Austausch und Kommunikationsmittel mit zukunftsweisenden Bürgerinnen und Bürger ansehen.
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